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László Krasznahorkai und die Apokalypse nach J. S. Bach
Die Apokalypse nach Johann Sebastian Bach
In László Krasznahorkais „07769 Herscht“ vergeigt Angela Merkel die Chance, das Universum zu re en
Herscht 07769“ schreibt FlorianHerscht aus 07769 Kana ins Absenderfeld seiner Briefe an die Bundeskanzlerin in Berlin. Der junge Mann aus Thüringen will Angela Merkel von einem „naturphilosophischen Alarmsignal“ in Kenntnis setzen. Im Volkshochschulkurs „Die Physik auf modernen Wegen“ hat er Herrn Köhler, den Kursleiter, so verstanden, dass, kurz gesagt, das Universum aus quantenphysikalischer Sicht ein Fehler und deshalb dem Untergang geweiht sei.
So hat Herr Köhler das zwar nicht gemeint, aber Florian lässt nicht ab von seinem Weltrettungsplan, der ihn nach Berlin vors Kanzleramt führt und regelmäßig an den Bahnhof von Kana, stets in der Hoffnung, Angela Merkel hätte sein Gesprächsangebot erhört. Aber das ist nur der Anfang in einer stürmischen Eskalation der Ereignisse, in deren Zentrum Florian Herscht steht, der ziemlich naive, wenn auch bärenstarke Bäckergeselle aus Kana. Seiner Einfalt zum Trotz geht Herscht den Welträtseln auf den Grund und findet deren Lösung bei niemand anderem als Johann Sebastian Bach. Das und noch viel mehr ist „Florian Herschts Bach-Roman“, eine aberwitzige, rabenschwarze Thüringer Apokalypse, wie sie wohl nur László Krasznahorkai ersinnen konnte.
„Die Hoffnung ist ein Fehler“ ist dessen jüngstem Roman als Motto vorangestellt, und dieser verdient genauere Betrachtung auf zwei Achsen: der Thüringen-Achse und der Krasznahorkai-Achse. Krasznahorkais Thüringen baut auf bekannten literarischen Topoi vom wilden Nachwende-Osten auf (man denke an Clemens Meyer, Juli Zeh oder Lukas Rietzschel) und treibt sie noch tiefer ins Extrem. Da sind, nicht unrealistisch, die Rechtsradikalen, mit Florians Ziehvater, dem besonders widerwärtigen „Boss“, an der Spitze. Auf dessen Geheiß und aus völkischen Motiven übt sich ein Laienorchester, die „Kanaer Symphoniker“, mit unzulänglichen Mitteln der BachPflege. Als auf Thüringer Bach-Gedenkstätten Sprayattentate verübt werden, sehen der Boss und seine Getreuen den ersehnten Zeitpunkt für richtig große „Action“ gekommen.
Um die zunehmend gewal ätigen Nazis herum hat Krasznahorkai einen Kranz von treuherzigen Beobachtern gelegt, wahren Ausbünden der Kleinstadtbiederkeit, die sich ewig über die richtige Einkaufsadresse für Kaffeebohnen oder die Vorzüge des „Meininger Rhöntropfens“ unterhalten können. Und schließlich greifen in und um Kana Wölfe ins Geschehen ein, die mitten in der Kleinstadt Menschen angreifen, was wiederum den örtlichen Hass auf die Naturschützer lenkt, die den Wolf auch noch gegen die Menschen verteidigen wollen.
Das ist in etwa das Thüringen-Szenario dieses Romans, und man kann nicht behaupten, dass es viel Neues und Erhellendes zu bieten hätte oder auch nur bieten wollte. Eher führt der Roman, womit wir auf der Krasznahorkai-Achse wären, ein von diesem Autor bekanntes und o gerühmtes Erzählkonzept in einem neuen Setting noch einmal vor.
Zu den Auffälligkeiten von Krasznahorkais Prosastil gehört seit jeher die Punktlosigkeit. Auch dieser Roman besteht aus einem einzigen Satz und enthält bis auf ein paar „Regenbogenbänder“ genannte Zwischenüberschri en kaum gliedernde Elemente. Wie die ebenfalls im Roman häufiger au retenden Steinadler schwebt diese Prosa mit langen Schwingen über dem Geschehen, auf einer Flughöhe, von der aus sich die Kämpfe am Erdboden wie kosmische Anekdoten ausnehmen.
Das Erhabene, ja Sphärenharmonische dieser Form verweist auf das motivische Zentrum des Romans, der eine kosmologische Pointe hat. Wenn das Universum tatsächlich ein Fehler ist, dann kann nur Bach es retten, so etwa reimt es sich der ah-
Florian Herscht, der bärenstarke Bäckergeselle aus Thüringen, weiß, dass nur Bach den Weltuntergang au alten kann
László Krasznahorkai: 07769 Herscht. Florian Herschts Bach-Roman. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. S. Fischer, 416 S., € 26,80
nungslose, aber irgendwie auch spekulativ begabte Florian zusammen: „und in Bachs Kunst gab es keinen Zufall, aber nicht vor ihrer Entstehung nicht, sondern von dem Zeitpunkt an, da sie geschaffen worden war, es gab und gab ihn nicht und würde ihn nie geben, nichts Zufälliges, keine Veränderung würde mehr au auchen, denn Bach war STABILE STRUKTUR und würde das auf ewig bleiben“. Mit Bachs Kantaten („Falsche Welt, dir trau ich nicht“) und der Matthäuspassion im Ohr begibt sich Florian sodann auf eine Rache- und Sühnemission von kolossalen Ausmaßen. Wenn niemand, auch die Kanzlerin nicht, die „Bach-Frage“ verstehen will, dann soll die Welt eben in einer Katastrophe enden.
Die Komik solcher Ereignisse und Reden entsteht ein bisschen vorhersehbar aus der Konfrontation von hohen (Bach, Merkel, das Universum) mit eher niederen Gegenständen (Hooligans und ihre Lieblingsbiersorten, Postbedienstete mit Schweißfüßen, unbedar e Bäckergesellen aus dem Plattenbau). Ein wenig zu routiniert hat der Autor des „Sátántangó“ und anderer literarischer Großtaten hier mit den Bausteinen seines eigenen Universums gespielt. Auf der Thüringen-Achse bleibt der Roman in literarisch präfigurierten Ansichten von Land und Leuten stecken und ist damit offenbar zufrieden. Auf der Krasznahorkai-Achse variiert der Autor an einem neuen Schauplatz die apokalyptische Provinzposse, die man von ihm kennt, zuletzt aus dem vielgelobten Roman „Baron Wenckheims Rückkehr“.
Das ist bestimmt nicht wenig, aber gemessen an den Erwartungen, die man inzwischen an Krasznahorkai hat, vielleicht auch nicht genug. Wie der späte Thomas Bernhard musiziert Krasznahorkai hier mit Elementen aus dem eigenen Repertoire und entwickelt beim Remix der eigenen Bestände eine neue, immer noch ziemlich schwarze, Heiterkeit.
CHRISTOPH BARTMANN
Ich will keine Hilfe Ich bin gern am Boden Ich ertrinke in meinem Egoismus Das ist wundervoll
Pedersen beweist sowohl Mut als auch sprachliche Sicherheit. (…) Es hat etwas Befreiendes an sich, über verrückte unsympathische Frauen zu lesen, die vögeln, fluchen und sich berauschen, so wie männliche Romancharaktere es seit Jahrhunderten zur Gewohnheit haben.
© Håkon Borg
Aus dem Norwegischen von Andreas Donat Roman, Hardcover, 192 Seiten ISBN 978-3-903081-90-1 € 20.00 [D], € 20.00 [A]