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Grabreden von Walter Müller und Stefan Slupetzky

„Liebe Hinterbliebene …“

In Büchern von Stefan Slupetzky und Walter Müller wird der Grabrede die ihr gebührende Ehre erwiesen

Hic sunt leones, schrieben die Geografen früherer Zeiten in geschwungenen Lettern quer über jene Leerräume ihrer von Hand gezeichneten Landkarten, welche die noch unerforschten Gebiete der Erde darstellten, und versahen diese auch noch mit fantastischen gehörnten oder doppelköpfigen Kreaturen. Die monströsen Wesen sind aus den Karten verschwunden, seit alles vermessen und bis ins Detail kartiert ist. Gibt es denn gar kein unerforschtes Land mehr? Stimmt, was der Wiener Schri steller, Musiker und Zeichner Stefan Slupetzky gleich auf der ersten Seite seines neuen Buchs „Nichts als Gutes“ schreibt, nämlich „Unsere Welt hat keinen Arsch mehr, ihre Karte keinen weißen Fleck“?

So pointiert kann man es formulieren. Doch Rettung naht, wenn auch eine sehr unheimliche, denn eine große Terra incognita existiert bis in alle Ewigkeit. Sie ist allerdings, so Slupetzky, „kein Wunschziel, und doch werden wir sie alle ausnahmslos bereisen“. Au ruchstermin: ungewiss, und um eine Gruppenreise handelt es sich ganz bestimmt nicht. Ein jeder und eine jede geht den letzten Weg allein. Dass er gegangen werden muss, ist sicher, obwohl wir es – einem berühmten Zitat Sigmund Freuds zufolge – partout nicht wahrhaben wollen: „Im Grunde glaubt niemand an seinen eigenen Tod.“

Um das Ende des Lebens ist gut ein bisschen Wind machen. Darum sind die Rituale, mit denen die Lebenden die Toten auf die Reise schicken, so mannigfaltig. Eins davon ist, jedenfalls in der westlichen Welt, die Grab- oder Trauerrede. Und es trifft sich, dass in diesem Buchherbst gleich zwei Bände mit solchen Reden erscheinen: Jene in Stefan Slupetzkys „Nichts als Gutes“ sind fiktiv; jene aus „Lasst uns über die Liebe reden“ aus der Feder des Salzburger Journalisten und Dramaturgen Walter Müller sind tatsächliche solche, die Müller im Lauf

Stefan Slupetzky. Nichts als Gutes. Grabreden. Picus Verlag, 159 S., € 20,–

Walter Müller. Lasst uns über die Liebe reden. Trauerreden. O o Müller Verlag, 262 S., € 22 ,–

der Jahre gehalten hat, und zwar in seinem zweiten Beruf als professioneller Trauerredner, welcher ihm unübersehbar auch Berufung ist.

Es handelt sich bereits um das zweite solche Buch, das Müller veröffentlicht. Dieser Umstand allein lässt auf Bedarf schließen. 22 Grabreden und damit auch Viten versammelt er diesmal: Es sind gefühlvoll, detail- und facettenreich komponierte Tours d’Horizon durch die Lebensläufe, Errungenscha en und Charakterlandscha en Verstorbener; vom hochbetagt dahingeschiedenen Mondseer Faktotum und Ex-Weltmeister im Barfußwasserski bis zu einer japanisch-österreichischen Frau mit Beeinträchtigung, die ihre Umgebung ein bedächtigeres Lebenstempo und Wertschätzung des Glücks im Kleinen lehrte. Müllers Devise: Jedes Leben ist einzigartig und wert, erzählt zu werden. Zweifellos können sich alle Hinterbliebenen glücklich schätzen, die Müller als Trauerredner verpflichtet haben. Wer wissen möchte, wie eine achtsame, respektvolle Grabrede gelingt, ist gut beraten, sich an Müllers Können zu orientieren. Ums Literarische geht es hier weniger.

Auf die literarischen Aspekte der Grabrede legt umgekehrt Stefan Slupetzky sein Augenmerk, der dieses Genre als sträflich vernachlässigte Kurzform des biografischen Erzählens identifiziert und für sich entdeckt hat. Der Buchtitel „Nichts als Gutes“ bezieht sich natürlich auf den allseits bekannten lateinischen Lehrspruch „de mortuis nihil nisi bene“ (Von Verstorbenen soll man nichts als Gutes sagen). Und natürlich macht sich Slupetzky einen Mordsspaß daraus, sich genau an diese Devise nicht zu halten.

Der Reiz besteht für ihn unverkennbar auch darin, den Toten einmal ins Grab nachspucken zu dürfen, sie zu enttarnen und zu entblößen und etwaigen zu Lebzeiten angesammelten Rachegefühlen und Ressentiments gegenüber einem Verstorbenen endlich, endlich und sozusagen auf großer Begräbnisbühne und vor Publikum nachgeben zu dürfen. Deshalb geht es in Slupetzkys Grabreden auch mindestens so sehr um die Grabredner selbst wie um die Verstorbenen. Sie sind schließlich noch quietschlebendig und können ihren Gefühlsanwandlungen Ausdruck verleihen.

Ein bisschen funktionieren die Grabreden bei Slupetzky wie in manchen Hollywoodfilmen, wo sie als dramaturgische Momente immer wieder für Knalleffekte und Enthüllungen gut sind. Tabubruch macht Spaß und hat auch etwas Entlastendes. So zum Beispiel, wenn Slupetzky einen seiner Grabredner dazu ansti et, seinen verstorbenen langjährigsten Freund als Verräter zu enttarnen („Du warst mit einem Schwein verheiratet ...“), um im nächsten Atemzug der Witwe einen Heiratsantrag zu machen.

Auf die satirische Spitze getrieben wird zudem so ziemlich alles, was man in zarten Ansätzen auch von echten Begräbnisreden kennt – vom belanglosen Blabla bis zur leb- und lieblosen Aufzählung: Da ist die Grabrede des Chefs, der eigentlich rein gar nichts über den verstorbenen Kollegen zu sagen weiß; der Stand-up-Comedian, der in seiner Trauerrede mit dem Neid auf die Pointen des toten Kollegen nicht hinterm Berg halten kann; oder der Funktionär, der seine Trauerrede als Parteiveranstaltung missversteht.

Manches davon ist ziemlich lustig. Einige von Slupetzkys Versuchsanordnungen (wie etwa die Grabrede auf einen verstorbenen Fußballer, der zum Samenspender wurde) sind hingegen so sehr an den Haaren herbeigezogen, dass man nicht mehr recht weiß, warum man dem Klamauk folgen sollte. Das wirklich Tolle an Slupetzkys Grabreden-Band sind nämlich weniger die fiktiven Grabreden selbst als seine kurzen essayistischen Einleitungen, die er jeder einzelnen von ihnen vorangestellt hat.

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