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2013

Nacht!

Die bessere Tageszeit Warum werden wir nachts kreativ? So greift man aktiv in seine Tr채ume ein Macht uns die Uni krank? 01_Durst 1

27.09.2012 13:26:00 Uhr



die ­dunklen seiten des mondes

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ie Nacht ist der neue Tag. Uni und Job haben uns die Stunden unter der Sonne mit Terminen zugemüllt. Das wirkliche Leben findet in der Nacht statt. Was soll an einem frühen Morgen schon passieren? Die Müdigkeit ist doch viel zu groß. Konzentration um acht Uhr morgens? Auf welchem Planeten soll das funktionieren? Dann hat sich der Mensch das Feuer dienstbar gemacht und die Elektrizität erfunden. Seitdem sind wir nicht mehr an den natürlichen Wechsel zwischen Tag und Nacht gebunden. Inzwischen beleuchten Neonröhren Fabrikshallen, erhellen Kronleuchter Ballsäle, vertreiben Schreibtischlampen Dunkelheit und Feierabend. Beinahe alles, was wir tagsüber machen, können wir auch Nachts erledigen.

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Editorial

ir finden, die Nach t die bessere Tagesz ist eindeutig eit und haben sie zum Heftthem a letzten freiwilligen gemacht. Die Frühaufsteher werd auch noch fürs Pi en wir mit diesem Heft ck begeistern. Wir sa enbleiben und Durchmachen gen euch, wann ih r die Party verlassen könnt un d glied ihr mit billi bei welchem Redaktionsmitge habt. Für die Müd n Anmachsprüchen Chancen en Mitgefühl empfinde unter euch können wir kein n, ben, schaffen es m denn, wie wir erfahren haanche, mit ein pa ar Nickerchen von zwanzig Minut en men. Das Träumen Schlaf pro Tag auszukomist übrigens auch das, was es einm al war. Wir haben nicht mehr uns bemüht, unsere geistige Um na sind aber dennoc chtung zurückzuschrauben, h od beim Thema Alko er gerade deshalb auch hol gelandet. Eine gute Nacht.

Cover: Christian Bretter, Foto Diese Seite: Sandra Schieder

nachts kommen die dämonen Doch auch wenn unsere Straßenlaternen die nächtlichen Städte mit Licht versorgen, haben die Stunden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang immer noch etwas Bedrohliches, Mythisches. Woher kommt unsere Vorstellung, dass des Nachts die Dämonen kommen? Ist es ein Relikt aus jener längst vergangenen Zeit, als wir uns verkriechen mussten, um nachtaktiven Vierbeinern mit scharfen Zähnen zu entgehen? Die vierbeinigen Raubtiere, die uns ernsthaft schaden könnten, haben wir ausgerottet oder zumindest in Zoos und Reservate verfrachtet. Die einzigen Wesen, vor denen wir uns nachts noch fürchten müssen, sind unsere Mitmenschen. Aber die sind tagsüber genauso gefährlich. Es gibt also objektiv betrachtet keinen Grund mehr vor der Nacht Angst zu haben. Im Gegenteil. Erst wenn die Dunkelheit kommt, beginnt jene Zeit, die uns selbst gehört. Kreativität, Kunst, Partys, Liebe, Sex, die schönsten Dinge des Lebens passieren nachts. Darum möchten wir hier endlich einmal die Nacht würdigen. Und die dunkle Seite des Mondes war schon immer die spannendere.

Arbeiten, Schlafen, endlich Ruhe für Ideen haben: Die Nacht steht für vieles DURST 2/12

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INhalt / Impressum 26

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IMPRESSUM

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Medieninhaber Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien T: 043/1/536 60-0 E: durst@falter.at www.falter.at/durst Redaktion Thomas Askan Vierich (Ltg), Martina Powell, Mara Simperler, Georg Eckelsberger, Raffael Fritz, Sandra Eigner, Sandra Schieder, Manuel Köllner, Valentin Ladstätter, Stephanie Lehner Autoren Marie Gamillscheg, Yvonne Widler, Sahel Zarinfad

Die Redaktion stellt sich vor: Wie wir uns selbst in den Schlaf singen und wiegen � � � � � � Best of Students: Uni-Projekte und studentische Arbeiten, auf die die Welt gewartet hat � � Umfrage: Was ihr nachts tut – außer schlafen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Ausgehen: Tipps zum Feiern aus Wien und Graz � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Baby, mach mich an! Manchmal klappen auch die dümmsten Anmachsprüche � � � � � � � � Pro/Contra: Manchmal ist besser die Party zu verlassen, jetzt. Unsere Checkliste � � � � � � � �

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Der Dämon in uns: Immer mehr Studierende leiden unter Leistungsdruck und Bürokratie. Das Ergebnis sind ­ urnOuts und Depressionen schon zu Studienbeginn. Macht die Uni uns krank? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � B Studieren im Dunkeln: Tromsö, die nördlichste Universität der Welt � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Polyphasischer Schlaf: Zwei Stunden Schlaf pro Tag - das könnte reichen. Ein Selbstversuch � � � � � � � � � � � � � � � �

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Magie der Nacht: Warum übt die Nacht so eine Faszination auf uns aus? Warum macht sie uns manchmal Angst? Eine DJane und ein Schlafforscher diskutieren über Frühaufsteher und Nachtmenschen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 26 Bier her! Unterwegs mit den Rettern der Homepartys � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 30 Trinkspiele aus aller Welt: Zur Nachahmung empfohlen. Kater garantiert � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 32 Sexseite: Wann sollen wir miteinander ins Bett gehen: gleich, morgen, bald, vielleicht oder nie? � � � � � � � � � � � � � � � 34 Mit Blaulicht durch die Nacht: Wir sind mit der Rettung mitgefahren � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 36

Durststrecke

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Aperolbitch, Whiskeykenner oder doch Shot-Trinkerin: Studentische Trinkertypen. Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Und warum man sich vor ihnen in Acht nehmen sollte � Schlaflos: Was passiert mit dem Körper, wenn man gar nicht mehr schläft? � � � � � � � � � � � � � � � � � � Bewusstlos: Ein Besuch im Ausnüchterungsraum � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � �

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Luzides Träumen: Du willst die Weltherrschaft übernehmen? Deine geheimsten Wünsche in die Tat umsetzen? Tu es! Während du schläfst! Wir verraten, wie es geht � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Isolation, Frustration, Todessehnsucht: Ein literarisches Bild der Nacht von Studierenden der Angewandten. � � Der Alkberater: PartyFit! berät junge Menschen beim Trinken � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Die Prostituierten-Beraterin: SOPHIE hilft Frauen auf der Straße � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Der Nachtportier: Was los nachts im Hotel? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Die Schlafwache: Eine Jusstudentin hilft obdachlosen Jugendlichen. � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Der Nachtkraftwerker: Ein Besuch im 24h-Fitnesscenter � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Der Turnusarzt: Nachts geht es oft um Leben oder Tod � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Nachts in der U-Bahn: Modische Verbrechen, verlorene Schuhe, vergessene Hüte, leere Waggons � � � � � � � � � � � � Wo hab ich denn das eigentlich her? Nächtliche Fundstücke der DURST-Redakteure � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � �

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Art Direction Christian Bretter Illustrationen Kurt Rudolf Fotos Die Redaktion und wie angegeben Produktion Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Cornelia Gleichweit Anzeigenverkauf Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Sigrid Johler (Leitung) Geschäftsführung Siegmar Schlager Druck Niederösterreichisches Pressehaus DVR: 047 69 86 Alle Rechte, auch die der Übernahme nach § 44 Abs.1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.

p Schreibt uns was ihr wollt, wo‘s zwickt und was euch ankotzt. Wir haben für alles Platz.

facebook.com/ durstmagazin durst@falter.at Das nächste DURST erscheint zu Beginn des Sommersemesters 2013.

Das Foto am Cover entstand 2007 in Brügge/Belgien im Zuge einer Ausstellungsvorbereitung des Ordinariates Textuelle Bildhauerei der Akademie der bildenden Künste Wien. Dank an: Katharina Heistinger und Christoph Meier. siehe: http://textuellebildhauerei.akbild.ac.at/Portal/magazin-textuelle-bildhauerei

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COVERFOTO: CHRISTIAN BRETTER; Fotos: manuel Köllner, georg eckelsberger, valentin ladstätter; Illustration: Kurt Rudolf

Die Nacht ist zum Schlafen da, oder? Nein! Ausschlafen können wir, wenn wir tot sind. Vorher wollen wir andere Dinge nachts tun.

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Was wir tun, wenn wir nicht schlafen können

„Ich wünsche Ihnen eine musenreiche Viertelstunde.“ So befördert mich Michael Köhlmeier ins Träumeland. Nicht, dass „Die klassischen Sagen des Altertums“ fad wären. Ok, vielleicht ein bisschen. Jedenfalls kann ich die Augen nur zwei, drei Minuten offen halten, wenn er wieder über die Titanen philosophiert. / Martina Powell

Vier Uhr morgens, und um neun muss ich auf: Je mehr ich den Schlaf herbeisehne, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er kommt. Darum versuche ich es mit umgekehrter Psychologie: Wie lange kann ich mit geschlossenen Augen im Dunkeln wach bleiben? Keine Ahnung, was mein Rekord ist. Bin immer eingeschlafen. / Raffael Fritz

Schlaflose Nächte? Kenne ich nicht, nicht einmal vor schweren Prüfungen. Nur einmal wollte ich mit meinem Liebeskummer nicht alleine schlafen gehen. Danach kannte ich jede Folge der Harald SchmidtShow auswendig (natürlich nur jene aus Sat1-Zeiten). Vorm Schlafengehen hatte ich mich müde gelacht. / Stefanie Lehner

In den wenigen Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, haben sich zwei Dinge bewährt: Alles lesen, wofür ich mir sonst nie Zeit nehme. Denn das ist besonders nachts eine gute Inspirationsquelle. Zweitens: Zocken. Ob Xbox, PC oder Playstation. Ein paar Aliens abmurksen ist unschlagbar, wenn man nicht schlafen kann. / Valentin Ladstätter Über Compilations nachdenken. Die traurigsten Songs, die am dollsten trösten. Ich habe ja noch echtes Vinyl im Schrank. Ich könnte jetzt aufstehen, und nachsehen... Die zehn besten Singles aller Zeiten. Die besten LPs der Rockgeschichte. All killers, no fillers. Morgen höre ich sie mir alle nochmal an, morgen... / Thomas Askan Vierich

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Foto: Karin Wasner

Schlaflos am Schlossberg über den Dächern von Graz. Für Nachtschwärmer und jene, die die Decke in den eigenen vier Wänden für eine Nacht gegen einen Sternenhimmel tauschen wollen. Ideal für einen ­Spaziergang durch die menschenleeren, mit Laternen beleuchteten Wege oder ein nächtliches Picknick. / Sandra Schieder (Graz, nicht im Bild)

Irgendjemand muss doch die Wahrheit sagen: Wer nicht schlafen kann, der onaniert. Ich bin mir sicher, das machen alle. Alle, außer mir. Ich lese. / Mara Simperler

Ich lese Musikmagazine. / Kurt Rudolf (nicht im Bild)

Wenn ich am nächsten Tag wirklich fit sein soll, aber nicht einschlafen kann, dann tu ich so, als würd ich schlafen. Wenn man nicht die ganze Zeit denkt „Oh Gott, nur noch vier Stunden bis zum Aufstehen!“, sondern „Wenigstens sind ich und meine Augen ausgeruht“, dann ist das schon die halbe Miete. / Sandra Eigner

Schlafen ist einfach. Mit geschlossenen Augen bewegungslos rumliegen, tief ein-, langsam ausatmen. Aber manchmal geht es einfach nicht. Dann hilft auch die 50igste ColumboWiederholung nichts, dann bleibt nur eines: Wachbleiben und stolz darauf sein. Sollen die einfachen Gemüter schlafen, du hast die Nacht für dich. / Georg Eckelsberger Er mag ein Klassiker, ein Kultfilm sein. Aber wenn es mit dem Schlafen nicht so klappt, kann Stanley Kubricks „2001: A Space Odysee“ auch für dem menschlichen Körper Gutes tun. Nichts lässt schneller einschlafen als der Klang des Donauwalzers und ein Raumschiff, das in einer fünfminütigen Filmszene um die Erde kreist. / Manuel Köllner

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BEST OF STUDENTS

SCHLAFLOSE NÄCHTE MIT GRAZER EULENBIER Energydrinks waren einmal. Bald trinkt man in Österreich Bier zum Munterwerden.

von Logistik oder wie man einen Businessplan verfasst,“ so Joris, „das muss alles mit ‚learning by doing‘ funktionieren.“ Bisher geht das gut, auch wenn die Eule aus den eigenen Taschen finanziert wird.

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in netter Abend, der viel verspricht, doch nach dem vierten Bier fallen einem fast die Augen zu. Vier Grazer wollen Abhilfe schaffen. Bier plus Koffein ist gleich offene Augen? Mit dem „Eulenbier“ angeblich schon.

Der Wettbewerb im Biergewerbe ist hart, das ist den Grazern bewusst. Deshalb suchen sie nicht den Konkurrenzkampf mit den großen steirischen Bierproduzenten. „Die Eule ist kein Bier für den ganzen Abend, sondern mehr das Bier für den Müdigkeitseinbruch zwischendurch“, erklärt Joris. „Es soll die Energydrinks aus den Lokalen verdrängen, nicht die anderen Biermarken.“ Könnte funktionieren, denn eine Flasche der Eule enthält gleich viel Koffein wie eine Dose Red Bull.

Bereits vor zehn Jahren kam den Freunden Joris Narath und Toni Krisper in einer flüssigen Nacht die Idee eines Koffeinbiers. Doch erst als sie im Frühjahr 2011 am Straßenfestival Lendwirbel in Graz Flo Enzinger kennenlernten, der zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung zum Braumeister in München absolvierte, wurde das Projekt konkreter. Flo versuchte sich an ersten Rezepturen, während Joris und seine Studienkollegin Marie Pirer das Marketing- und Designkonzept im Rahmen ihrer Diplomarbeit für den Lehrgang „Marketing- und Kommunikationsdesign“ an der Ortweinschule Graz entwarfen. Im Februar brauten sie das erste Mal und am Lendwirbel im Mai wurde dann die Öffentlichkeit auf das Eulenbier losgelassen. Innerhalb weniger Stunden schenkten sie 250 Liter Bier aus. Seitdem sind die Bierpaten auf der Suche nach einer größeren Brauerei.

Joris ist sich sicher: Die Eule wird sicher kein Diplomarbeitsprojekt bleiben. „Zuerst möchten wir, dass sich unser Bier in Graz etabliert, dann möchten wir den ganzen österreichischen Markt erobern und schließlich nach Deutschland“, träumt er. Das große Ziel lautet Springfestival 2013, wo sie gern als Partner auftreten würden: Vier schlaflose Nächte mit dem Eulenbier. Denn die Eule ist nicht nur was zum Feiern, sagt Joris: „Sie ist auch das perfekte Reparaturbier am nächsten Morgen.“ Sein Lächeln lässt Erfahrung vermuten. / Marie Gamillscheg

Joris hat Großes vor mit dem Eulenbier. Auch wenn das noch anstrengend werden könnte. „Keiner von uns hat Ahnung

http://www.eule-bier.com/ http://lendwirbel.at/projects/eule-bier/

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WAS DARF DEINE APP VON DIR WISSEN? Wer sind deine Freunde, was kaufen die und was könnte man ihnen andrehen? Facebook-Apps können das in wenigen Minuten herausfinden. Das Programm „Social Snapshots“ ist ihnen auf der Spur.

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armVille verwendet deinen Namen, dein Profilbild, andere öffentliche Informationen und deine Freundesliste von Facebook, um dein Nutzererlebnis zu personalisieren.“ Danke FarmVille, danke Facebook! Und was ist, wenn ich das nicht will? Die schlechte Nachricht für alle Addicts von Farmville und Konsorten: Noch kann man nicht verhindern, dass Apps auf Facebook und anderen Sozialen Netzwerken unsere Nutzerinformationen verwenden. Aber: Ein Forscherteam mit studentischer Beteiligung hat am österreichischen Kompetenzzentrum für Informationssicherheit, SBA Research, ein Programm entwickelt, mit dem sich nachvollziehen lässt, welche Daten die Entwickler von Apps den Facebook-Nutzern „klauen“. Wobei klauen relativ ist, denn schließlich gibt der AppNutzer sein Einverständnis. Was aber wenige wissen: Oft lässt man die App-Entwickler nicht nur auf das eigene Profil zugreifen, sondern auch auf die seiner Freunde. Das Programm von SBA heißt „Social Snapshots“ und genau das tut es: Es macht einen

Schnappschuss aller Daten, die man über ein Nutzerprofil abrufen kann. Social Snapshots brauchte dafür in Tests keine 15 Minuten. Und was Social Snapshots kann, können auch die Apps. Das Programm will also feststellen, in welchem Ausmaß Apps Daten „ernten“. Die Forscher wollen dadurch unter anderem die Frage beantworten, wie viele Informationen eine App wirklich braucht, um zu funktionieren und was sie quasi extra absahnen. Zum Beispiel: Eine Horoskop-App benötigt maximal ein Geburtsdatum, warum muss man ihr auch Zugriff auf Fotos und Freundesliste erlauben? Und sie hoffen, bei Usern die Sensibilität dafür zu erhöhen, wie viele Daten sie unbedacht von sich selbst und ihren Web-Freunden preisgeben. / Sandra Eigner

http://www.sba-research.org/socialsnapshots/ Und wer selbst noch mitentwickeln möchte: https://github.com/markushuber/social-snapshot-tool

WAS MACHST DU? Du hast einen Plan, um den Weltfrieden zu erreichen? Um alle unsere Energieprobleme zu lösen? Oder einfach nur ein verdammt cooles Fotoprojekt? Was es auch ist – wir hätten bei „Best of Students“ eventuell Platz, es vorzustellen. Schickt eure Vorschläge an durst@ falter.at. Die besten Einsendungen findet ihr in der nächsten Ausgabe.

FOTOS: MARIE GAMILLSCHEG, SBA, TU GRAZ, BISTROBOX

Bier, das munter macht? Diese vier Grazer machen‘s möglich. Ihr „Eulenbier“ enthält genauso viel Koffein wie eine Dose Red Bull.

So könnte ein „sozialer Schnappschuss“ deines Facebook-Profils aussehen. Den macht das Programm Social Snapshots. Damit soll Datenklau durch Apps nachgewiesen werden.

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Fotos: marie gamillscheg, SBA, TU Graz, Bistrobox

Oct, 18th: G3, Shopping Resort Gerasdorf

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Österreichischer Mini- Hightech-Pizza aus Satellit auf Tour dem Automaten

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TUGSAT misst die Helligkeit von Sternen. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie unser Kosmos tickt.

Für besonders Hungrige: Heiße Pizza in weniger als 100 Sekunden. Und gesund soll sie auch noch sein.

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sterreich ist ja nicht gerade eine Raumfahrernation, trotzdem schicken „wir“ noch heuer einen Satelliten ins All: TUGSAT, den ersten rein österreichischen Satelliten. Bravo. Er wurde letzten Sommer am Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation an der TU Graz fertiggestellt. Beteiligt an dem Projekt sind auch die Uni Wien und die Uni Toronto, und ganz wichtig: Studierende aller drei Universitäten. Sie haben mitentworfen, mitgebaut und mitgetestet. Ihre Erkenntnisse fließen und flossen in Arbeiten und Dissertationen ein. Der spannendste Teil steht aber noch aus, der Start der Mission: TUGSAT wird der alles andere als blinde Passagier einer Rakete, die von Indien aus in die Umlaufbahn geschossen wird. Der Nano-Satellit ist winzig, nur 20 x 20 x 20 cm groß, trotzdem könnte er Großes leisten: Im Idealfall hilft er uns, besser zu verstehen, wie das Universum entstanden ist. In erster Linie wird TUGSAT aber mittels eines Teleskops die Helligkeitsschwankungen massiver, heller Sterne messen. Dadurch wollen die Wissenschaftler erfahren, was im Inneren der Sterne so abgeht. / Sandra Eigner

http://www.tugsat.tugraz.at

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ier Uhr früh, der Magen knurrt. Keinen Bock auf ranzige Pizza vom hygienisch fragwürdigen Döner-Nudel-PizzaMultitalent? Die Lösung könnte der erste Pizza-Automat, die „BistroBox“, sein. Er erzeugt schnell, hygienisch und Müll trennend eine Pizza, die kalorienärmer als Döner und Leberkäsesemmel ist. Das war die Vision von drei Absolventen der FH Wels. Die Idee für ihre BistroBox kam ihnen während einer Marketing-Vorlesung 2006. Mehr als zehn­tausend gebackene Test-Pizzastücke später (Testesser gab es an der FH Wels genug) werden im Oktober die ersten Seriengeräte aufgestellt. Die BistroBox kann dank einer speziellen Heißlufttechnologie innerhalb von 100 Sekunden Pizzastücke aufbacken. Neben dem Standardprogramm soll es bald auch eine Vitalpizza geben. Die Hightech-Backöfen wird man – geht es nach den Erfindern – in Unis, auf Bahnhöfen und Flughäfen finden, aber auch in Unternehmen. Wäre doch eine nette Idee für einen Club: so ein Pizzaautomat irgendwo zwischen Tanzfläche und Toiletten! Und sogar für die eigene Party kann man sie ausleihen. / Sandra Eigner

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http://www.bistrobox.com

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27.09.2012 15:03:47 Uhr


Umfrage

Was machst du nachts?

Hoszan, 20 Psychologie

Nachts treffe ich meinen Freund, für den ich untertags keine Zeit hab. Da reden wir dann bis früh in den Morgen, weil man das Gefühl hat, man hat sich drei Wochen nicht gesehen. Sonst höre ich Musik und informiere mich über das Weltgeschehen.“

Petro, 20 Soziologie

Wenn ich nicht grade unterwegs bin, nehm ich mir Zeit für mich selbst, ein bisschen die Einsamkeit und das Alleinsein kosten. Gerade die letzten Tage waren wir viel unterwegs, wir sind grade auf Wohnungssuche, und dann kommt man meistens erst abends dazu, sich hinzusetzen und alles Revue passieren zu lassen.“

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Lisa, 21 und Lisa, 22 beide Germanistik

Ich schütte nonstop Kaffee und RedBull in mich rein, um länger wach bleiben zu können und zu lernen, da ich nämlich untertags komplett unbrauchbar bin und erst ab sieben, nach meinem Nachmittagsschläfchen, zu lernen anfangen kann. Nachts nutze ich die Gunst der Stunde und die hohe Kreativität, die man da als Germanistin an den Tag legt.“

Alex, 20 auf Austausch aus Montreal, Kanada, Politikwissenschaften

Am Fenster sitzen, rauchen und nachdenken, weil in der Nacht alles irgendwie wichtiger ist und kostbarer. Wenn man eigentlich ins Bett gehen sollte, denkt man am besten und ist künstlerisch produktiver.“

One of the things I do at night is the laundry, because I never have time for it during the day. So I always do it around midnight or so. It‘s a good thing that I have a laundry machine in my apartment here in Vienna!“

FotoS: Thomas Askan Vierich

Im Hof der Wiener Hauptuni ­haben wir Studierende nach ihrem Nachtverhalten befragt: Was machst du nachts, zu dem du tagsüber nicht kommst? Außer schlafen natürlich ...

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FotoS: Thomas Askan Vierich

Von Sandra Eigner

Daniel, 22 Physik und Chemie auf Lehramt

Hauptsächlich mit der Freundin relaxen. Aber ich spiele in einer Synthie-Pop-/Indierock-Band E-Gitarre und da setz ich mich am Abend hin und prob die eigenen Lieder oder versuche, etwas Neues zu machen.“

Lea (li) und Svenja (re), beide 18 Pädagogik

„ Stefan, 24 Physik

Feiern natürlich! Wir gehen in Clubs, Elektro hauptsächlich.“ Mehr wollten die beiden nicht preisgeben.

Ich versuche schon, nachts zu schlafen und untertags zu arbeiten und zu lernen. Aber wenn mir irgendwelche Ideen kommen, denen ich untertags nicht nachgehen kann, mach ich mir eine Notiz und dann schau ich mir das nachts an. Da hab ich dann zehn Tabs offen und bis man die dann alle durchgearbeitet hat, sind eh schon Stunden vergangen.“

Anni, 24 Lebensmitteltechnologie

Ich nähe in der Nacht derzeit immer viel. Ich nähe Taschen, für Klamotten bin ich zu schlampig. Die beste Zeit zum Nähen ist zwischen neun und halb eins.“

Florian, 21 Publizistik

Ich schaue gerne Filme in der Nacht, da fang ich meistens erst um zwölf an. Ich schaue eigentlich alles gern, aber am liebsten Woody Allen Filme. Vor drei geh ich selten schlafen.“ DURST 2/12

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ausgehen

von Sandra Schieder, Sandra Eigner, Mara Simperler, Thomas Askan Vierich

W uf‘s Hell-O-Wien in der Ottakringer Brauerei (26.10.) geht man nicht wegen des Biers oder tiefsinniger Gespräche. Beim Hell-O-Wien kann man sich einfach nicht satt sehen. Unterhalten ist ob der Lautstärke der Musik (Metal, Industrial, Gothic) sowieso nicht und schmusen empfiehlt sich bei so viel Schminke in den Gesichtern beider Geschlechter auch nicht. Vom gasmaskierten Cyberpunk über heiße Burlesque-Outfits bis zu handzahmen Freddy- und Jason-Imitaten ist alles dabei.

enn jemand eine Sache ernst anlegt und sie misslingt, dann entsteht Komik. Sagt Loriot. Stermann und Grissemann verbeugen sich vor dem Großmeister des deutschsprachigen Humors und lesen aus Loriots gesammelter Prosa. Vom überforderten Lottogewinner vor der Fernsehkamera bis zu den Herren in der Wanne, vom Frühstücksei bis zur Jodelschule. Vico von Bülow war, als er letztes Jahr starb, so alt wie Stermann und Grissemann zusammen, alle drei verbindet die Liebe zu selbstgemachtem Zwetschgenkuchen und skurrilen Dialogen. 10.10. und 6.11., 19.30 Theater Akzent Wien

ELECTRONIC BEATS FESTIVAL 2012

Schokaladeverkostungen

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as Festival bietet in diesem Jahr eine Mischung aus großen Namen wie der scheue Elektrominimalist James Blake (Foto) und bislang weniger bekannten: Der Brite Square­pusher vereint Acid Techno mit Jazz, der Schotte Hudson Mohawke nennt seinen Stil „Emotronic“. I Heart Sharks aus Berlin packen für ihren Elektropop die Synties mit ein. Aus Österreich sind die Senkrechtstarter HVOB sowie der internationl gefeierte FJ und Produzent Wolfram mit am Start. Das kann eine lange Nacht werden. 12.10., Arena Wien, € 19 VV

Lange Nacht der Museen 2012

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ame procedure as last years: Über 670 Museen, Galerien und andere Kultureinrichtungen in allen Bundesländern (samt Liechtenstein!) sind am Samstag, 6. Oktober, von 18 bis 1h geöffnet. Und das bereits zum 13. Mal. Seit 2000 konnten dreieinhalb Millionen Besucher zu einem nächtlichen Besuch animiert werden. Bitte, warum rennen die Menschen masssenhaft ins Museum? Nur weil’s draußen schon dunkel ist? Die Exponate bleiben die gleichen, darf man Getränke mit reinnehmen? (Darf man nicht). Vielleicht liegt’s am Preis: Mit einem Ticket (6 Euro für ein, 11 Euro für mehrere Bundesländer) kommen Besucher in alle beteiligte Museen. Gratis-Shuttlebusse gibt‘s auch.

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Schlaflose Nächte in Graz

Elevate-Festival für zeitgenössische Musik, Kunst& politischen Diskurs. Fünf schlaflose Nächte mit Konzerten, internationalen DJs, Lesungen, Diskussionen, Filmvorführungen. 24.-28. Oktober 2012 im Inneren des Grazer Schlossbergs und dessen Umgebung http://2012.elevate.at Lange Nächte im „Kulturzentrum Niesenberger“ Oft ist es zu spät, um nach Hause zu gehen, dann bleibt nur noch das Niesenberger. Denn dort fängt das Nachtleben erst an, wenn es draußen schon hell wird. Den buntesten Mix an schlaflosen Grazern trifft man mit Sicherheit dort an. Der Club dient tagsüber manchmal als Ausstellungsort oder Lesebühne und versucht sich mit einer Mitgliedskarte den Schein einer gewissen Exklusivität zu bewahren. Niesenbergergasse 16, 8020 Graz, www.niesenberger.com

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chokov ist ein netter Laden rund um die Schokolade, mit vielen wirklich exklusiven und extrem leckeren Spezialitäten, geführt von jungen, engagierten Leuten, die sich mit ihrer Schokoidee erfreulich erfolgreich halten. Im Oktober und auch im November bieten sie Schokoverkostungen mit Weinbegleitung 9.10. und 24.10., 19h, 29 Euro, Weinbegleitung inklusive Siebensterngasse 20, 1070 Wien, Tel. 0664/885 13 145, ab 8 Personen kann man sich den Termin selbst ausmachen!

CuntRa la Kunsthure Neue Bar in Graz seit dem Frühjahr mit verschiedensten Veranstaltungen wie Konzerten, Lesungen, Theaterstücken, Malkursen. Jede Kunstform ist willkommen. Jakoministraße 8, Graz http://cuntralakunsthure.blogspot.co.at

Fotos: Cuntra, ejasmin schuller, schokov, hans leitner, udom leitner

„Die Ente bleibt drauSSen“: Stermann und Grissemann lesen Loriot

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27.09.2012 15:08:39 Uhr


Von Mara Simperler & DURST-Redaktion

„Fick mich, wenn ich mich irre, aber wollten wir nicht schmusen?“

Kontaktaufnahme Mach mich an!

J

a, es ist derb. Ja, es ist tief. Ja, andere Frauen laufen davon, wenn du so einen Spruch ablässt. Ich nicht. Ich heb die Hand, von mir bekommst du ein High Five. Die Welt verträgt blöde Anmachsprüche und vielleicht braucht sie sie sogar.

Schau mal, die Sterne leuchten so schön … Willst du mir nicht einen runter holen? Kannst du schwimmen? - Ja. - Darf ich dich dann ins Becken stoßen? Ich muss ein Lichtschalter sein … Jedes Mal, wenn ich dich sehe, machst du mich an! Sind deine Eltern Terroristen? - Du bist scharf wie eine Bombe. Du musst der wahre Grund für die Erderwärmung sein. Ich bin vom ÖAMTC und würde dich heute gerne abschleppen. Sorry, ich hab meine Telefonnummer verloren. Kannst du mir deine borgen? Hey, was willst du morgen zum Frühstück ans Bett? Hallo, so wie du aussiehst, hast du nur auf mich gewartet. Die Farbe deiner Augen passt zu meiner Bettwäsche. Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick? Sonst geh ich raus und komm nochmal rein. Denkst du wir haben vielleicht einen gemeinsamen Freund, der uns einander vorstellen könnte? Schmus´ma? Mir is wurscht! Hat es weh getan? – Was? – Als du vom Himmel gefallen bist.

Ich habe das Gefühl, dass intelligente Menschen es sich unnötig schwer machen, einander aufzureißen. Oft steht man stundenlang verkrampft da und überlegt sich, wie man das Objekt der Begierde dazu bekommt, einen Moment Aufmerksamkeit abzuzweigen. Und wenn dieser Moment da ist, will man genauso intelligent rüberkommen, wie man ist. Oder noch intelligenter. Ich habe schon mehrmals eine potenzielle Schmuserei verpasst, weil ich mich in heiße Diskussionen über die Objektivität von Wissenschaft oder die Romantisierung des Proletariats verstrickt habe. Keine Frage, auch Marx kann sexy sein, aber über die Akkumulation ist es meistens ein weiter Umweg bis zur Liaison. Man wüsste viel schneller, woran man ist, würde man erst mal einen blöden Spruch bringen, der das Eis bricht, bevor man darüber redet, wie Shell die Arktis privatisieren will. Denn: Wer anfänglich tief stapelt, kann durch nachfolgende Tiefgründigkeit nur gewinnen. Du bringst einen bescheuerten Spruch und dein Gegenüber bricht in Gelächter aus? Jackpot, damit wäre schon mal die Frage des gemeinsamen Humors geklärt. Bonuspunkte bekommst du, wenn du es danach schaffst, das Gespräch doch irgendwann in seriöse Bahnen zu lenken. Denn klar ist auch: Wer nur blöde Sprüche bringt und dann nichts mehr, der hat seine Chance verspielt. Wer nicht tief stapelt sondern tief ist, der verwendet peinliche Anmachsprüche nicht als selbstironisches Mittel, sondern glaubt tatsächlich, dass man ausschließlich mit so etwas zum Zug kommt. Blöde Anmachsprüche sind eine Kunst, die man gekonnt einsetzen sollte. Sonst kriegst du ein High Five. Ins Gesicht.

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Heimgehen, jetzt? Immer die gleiche Frage. Entscheidungen zu treffen ist nicht deine Stärke? Hier hast du ein paar Punkte zum Abhaken. Treffen auf einer Seite mehr zu als auf der anderen, weißt du, was du zu tun hast. Hau rein!

ja

Mal ehrlich: Das mit dem Schmusen wird heute eh nix mehr. Daheim wartet eine kalte Pizza! Ich kenn hier keinen und das wird auch so bleiben. Obwohl nur Fashion-TV läuft, glotz’ ich ständig auf den Bildschirm. Warum habe ich eigentlich Schuhe mit Absätzen angezogen? Das Make-up verläuft, ich seh’ aus wie ein Zombie. Ich hab schon zweimal gekotzt. Einmal sogar auf mein Date. (Wo ist er eigentlich hin?)

Beim nächsten Lied tanze ich ganz bestimmt. (GmneB!*) Die Blondine da drüben hat mich doch gerade angelächelt, oder? (GmneBueS!**) Zu Hause geht die Heizung nicht. (GmneB!*) Von Hugo wird man nicht so schnell besoffen. (GmdeB!***) Wer vor der Sperrstunde geht, hat verloren. (GmneB!*) Noch zwei Stunden, dann hat sich der Eintritt gelohnt. (GmneB!*) Die Öffis fahren noch nicht. (GmneB!*) Jetzt ist es auch schon egal. (GmneB!*)

Vergiss es: Auch der nächste Drink wird die Leute nicht schöner machen.

Mein Dealer wollte noch vorbeischauen. (GmneB!*)

Ich rufe schon zum dritten Mal in den letzten 20 Minuten meine E-Mails ab.

Mein Ex wollte noch vorbeischauen. Der schuldet mir noch Geld. (GmneB!*)

Zuhause liegt eh die Freundin im Bett. Der DJ spielt YouTube Videos ab. Ich würde mich lieber von meiner Bettdecke umarmen lassen als von dem Typen, der mich schon die ganze Zeit angafft. Ist das nicht meine Ex? Morgen klingelt der Wecker um 8:00. Die Yogalehrerin wartet. Diesmal muss „Der Hund“ klappen.

Die neue Jeans war zu teuer, um jetzt schon gehen zu müssen. (GmneB!*) Ich habe den neuen Pizza-Automaten noch nicht ausprobiert. Die Musik ist der Hammer, die Leute sind gut drauf, die Damen sind echt entzückend und alle meine Freunde sind da. (GmneB!*) Ich hab Liebeskummer. (GmneW!****)

Die Katze daheim ist so einsam.

Ich hab’ doch Geburtstag. (GmneB!*)

Ich fühle mich hier so alt.

Zuhause ist auch nicht mehr los. (GmneB!*)

Ich fühle mich hier so jung.

Man soll die Hoffnung nicht aufgeben. (GmneB!*)

Ich habe keine Lust mehr, über den Eurorettungsschirm zu diskutieren. Wenn ich nochmal „I‘m sexy and I know it“ höre, dreh ich durch.

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nein

Ich hab‘ mir doch g‘rad ein Bier bestellt, oder? * Gib mir noch ein Bier! ** Gib mir noch ein Bier und einen Spritzer! *** Gib mir doch ein Bier **** Gib mir noch einen Whiskey!

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„Jeden plagt sein Dämon. (Zur unrechten Zeit nämlich.)“ Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Dichter und Politiker,

KLEBESCHRIFT: KURT RUDOLF

Brief an Friedrich v. Müller, 7.4.1823

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Das Dunkel in mir

Klebeschrift: Kurt Rudolf, Foto: Martina Powell

Immer mehr Studierende leiden unter psychischen Krankheiten, das „lustige Studentenleben“ wird für sie zum Martyrium. Macht die Uni krank? Von Martina Powell, Mara Simperler und Georg Eckelsberger

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in Kater bringt das Fass zum Überlaufen. Kein alkoholbedingter, sondern einer mit Fell und Krallen. Marie (Name geändert) holt ihn vom Tierheim ab. Ihre Wohnung ist ein Saustall. Die 22-Jährige schafft es seit Wochen nicht mehr, aufzuräumen. Eigentlich soll ihr der Kater Abwechslung bringen, Wärme und Zuneigung schenken. Stattdessen zickt das Tier herum, ist nervös. Marie wird auch nervös. Aus ihrer Nervosität wird Angst, aus Angst wird Panik. „Ich schaff es nicht, ich schaff es nicht, ich schaff es nicht“, denkt sie. Es geht nicht um den Kater, aber der Kater muss weg. Marie ist aufgelöst, kann die ganze Nacht nicht schlafen, nimmt eine Schlaftablette. Als sie nach dreißig Stunden wieder aufwacht, weiß sie, dass sie Hilfe braucht. „Ich hatte im Dezember 2011 einen Nervenzusammenbruch“, sagt Marie heute. Die 22-Jährige sitzt im Café Jelinek im sechsten Wiener Gemeindebezirk und hat kein Problem, über die schwierige Zeit zu sprechen. Man würde der jungen Frau mit braunem Haar auf den ersten Blick nicht anmerken, dass sie vor nicht einmal einem Jahr nervlich am Ende war und bis heute Antidepressiva nimmt. Marie liebt ihr Studium und sagt trotzdem: „Ein Teil meines Nervenzusammenbruchs ist auf das UniSystem zurückzuführen.“

Klebeschrift: Kurt Rudolf, Foto: Martina Powell

Das Studium, wirklich die schönste Zeit des Lebens? Tagsüber im Hörsaal philosophieren, nachts feiern. Die Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten. Mach was draus! Es sind schöne Bilder, die sich die Gesellschaft vom Unileben zeichnet, aber stimmen sie? 45 Prozent der Studierenden gaben bei der Studierendensozialerhebung 2011 an, durch psychische Beschwerden im Studium schwerer voranzukommen. Hochgerechnet auf aktuelle Studierendenzahlen der Statistik Austria wären das über 162.000 junge Frauen und Männer, die so sehr unter Leistungsdruck, Versagensängsten und Prüfungsangst leiden, dass sich ihr Studienfortschritt verzögert. Nicht alle davon sind psychisch krank, nicht jeder braucht Behandlung – doch die Grenze ist schwer zu ziehen. Genaue Zahlen, wie viele Studierende in Österreich dermaßen unter ihrem Studium leiden, dass ihre Ängste in Depressionen umschlagen, gibt es nicht. Doch eines ist klar: Sie steigen. Vor allem Studierende an der Veterinärmedizinischen Universität DURST 2/12

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und an Kunstuniversitäten leiden laut Umfrage unter psychische Beschwerden. Macht die Uni krank? Zumindest bei Marie scheint das Studium eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. „Bei mir hat sich alles irgendwann aufgestaut“, sagt sie. 2008 inskribiert sie „Transkulturelle Kommunikation“ an der Universität Wien. Die ersten zwei Semester lässt sie sich Zeit, will wissen, ob sie das Thema überhaupt interessiert. Als sie im dritten Semester richtig durchstarten will, kann sie sich zu keinem Kurs anmelden: „Ich erfüllte die Voraussetzungen nicht, weil ich einen Einführungskurs versemmelt hatte.“

am Tag an der Uni, arbeitet nebenbei noch als Nachhilfelehrerin. Privatleben? Fehlanzeige. Doch irgendwann stockt die Maschine: Marie kommt mit dem Druck nicht mehr klar, muss Kurse mitten im Semester abbrechen. „Das war frustrierend, weil sich dann im nächsten Semester noch mehr aufgestaut hat“, sagt sie heute. Dazu kommt der bürokratische Stress: Kurse bestätigen lassen, Anrechnungen einreichen und die ständige Angst, dass am Ende alles umsonst sein könnte. Marie ist permanent angespannt, schläft Nachts schlecht, die Spirale dreht sich immer schneller. Bis zu jenem

Als Marie nach dreißig Stunden aufwacht, weiß sie, dass sie Hilfe braucht

Fünf Monate untätig zu Hause herumsitzen und warten will Marie aber auch nicht. Sie findet einen Umweg, meldet sich über sogenannte Interessensmodule für Lehrveranstaltungen an und macht einfach weiter, obwohl sie laut Studienplan die Anforderungen nicht erfüllt. Drei Jahre lang geht das einigermaßen gut, doch der Druck wird immer größer. „Mir wurde von der Studienprogrammleitung sogar gedroht, dass mir Leistungen aberkannt werden, wenn rauskommt, dass ich nur über Interessensmodule angemeldet bin“, sagt Marie. Dabei will sie vor allem eines: Nicht noch mehr Zeit verlieren. „Du bist 22 und hast keinen Bachelor. Zeit, fertig zu werden”, denkt sie immer wieder. Marie setzt sich selbst immer mehr unter Druck, besucht pro Semester zehn bis fünfzehn Kurse, verbringt bis zu zwölf Stunden

Ein Teil meines Nervenzusammen­bruchs ist mit Sicherheit auf das Uni-System zurückzuführen.

Dezembertag, als Marie ins Tierheim geht, um ihren Kater abzuholen und danach zusammenbricht.

Der schwierige erste Schritt Warum all der Stress? Warum dieser Druck? Ist der Lehrplan schuld oder war Maries Martyrium hausgemacht? Sie selbst hat diese Frage für sich beantwortet. „Ich habe keinen Fehler gemacht, ist wüsste nicht was ich anders hätte machen sollen.” Es laufe viel falsch an der Uni Wien, sagt sie: Inkompetentes Personal in den Zulassungsstellen, viel Falschinformation und zu wenig Respekt gegenüber Studierenden. Vor Studienbeginn sei sie glücklich gewesen, sagt Marie. Obwohl zu Hause auch nicht immer alles einfach gewesen sei: Beide Eltern waren selbst einst Langzeitstudenten, die beschlossen, dass ihrer Tochter nicht dasselbe passieren soll und ihr deshalb Druck machten. Doch egal, wer Schuld trägt: Marie schafft am Ende etwas, was nicht jeder wagt. Sie ergreift die Initiative: Nach ihrem Nervenzusammenbruch holt sie sich professionelle Hilfe, geht zum Therapeuten und wechselt die Uni. Mittlerweile ist sie sogar dabei, ihr Studium zu beenden. „Der Schritt, sich Hilfe zu holen, ist oft schwierig“, sagt Madeleine Garbsch. Sie arbeitet als Psychologin und Therapeutin in der psychologischen Studentenberatung des Wissenschaftsministeriums im achten Bezirk. Mehr als 6000 Studierende haben sich im vergangenen Jahr an eine der sechs Zweigstellen der bundesweit tätigen Organisation gewandt. Und es werden immer mehr. Garbsch spricht ruhig, wählt ihre Worte mit Bedacht. Ob sie eine Antwort auf die Frage hat, warum immer mehr Studierende Hilfe suchen? „Ich glaube schon, dass sich die Leute mehr trauen, weil das Thema nicht mehr so tabuisiert wird“, sagt die Therapeutin. „Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Studierenden mehr Druck haben. Ob der vermehrte Druck auch mehr Beschwerden auslöst, traue ich mich aber nicht zu sagen.“ Einen Zusammenhang mit den veränderten Studienbedingungen der letzten Jahre hält sie zumindest für möglich. Die meisten Menschen kommen auch heute noch zur psychologischen Studentenberatung, weil sie Hilfe bei der Studienwahl oder studienspezifischen Entscheidungen brauchen, doch das Verhältnis hat sich in den vergangenen Jahren verschoben. Jeder dritte Kontakt fällt mittlerweile in den psychischen Bereich. Dabei hätten die Studierenden

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„Ihnen geht es eh gut“ Tina (Name geändert) ging es früher genau so – und schlimmer. „Sogar im Bett liegen war anstrengend”, sagt die 28-Jährige, wenn sie über ihre depressiven Phasen spricht. Ihre psychischen Probleme hängen nicht mit der Uni zusammen, sie beginnen schon viel früher und doch leidet ihr Studium sehr unter ihrer Krankheit. Dabei sagt sie, die Uni sei der einzige Ort, an dem sie ein halbwegs normales Leben führen könne. Tina sitzt in einem Café, die Arme immer fest um ihre Brust geschlungen. „Ich wollte mich sechs Mal umbringen“, sagt sie. Tinas Diagnose lautet „Borderline-Persönlichkeitsstörung“. Stimmungsschwankungen, Schwarz-Weiß Denken, Depressionen, Realitätsverlust und selbstverletzendes Verhalten sind Symptome, unter denen Borderline-Patienten häufig leiden. Wodurch sie ausgelöst werden, darüber streiten sich Wissenschaftler: Genetik? Traumatische Kindheitserlebnisse? Biochemische Fehlstellungen im Körper? Für Tina ist klar: Wären ihre sozialen Umstände anders, hätte sie

Tina hat 6 Selbstmordversuche hinter sich. „Ihnen geht es eh gut“, hörte sie im Krankenhaus

kein Geld hat, meldet sie sich in einem Obdachlosenheim für Jugendliche an und bleibt dort einen Monat lang. Wenn Tina über ihre Krankheit spricht, benutzt sie Fachbegriffe aus ihrem Psychologie-Studium. Informationen aus den Vorlesungen helfen ihr manchmal, ihre Situation besser zu verstehen. Aber das, was sie zu hören bekommt, macht sie auch wütend: „Wenn ich zum Beispiel auf Vorlesungsfolien lesen muss, dass Depressionen und ähnliche Krankheiten neurobiologische Ursachen haben. Das gesellschaftliche Umfeld als Risikofaktor spielt da nur am Rande eine Rolle.“ Nach fünf Semestern lässt sie sich von der Uni beurlauben: „Mir ging es so schlecht, ich konnte keinen Finger rühren. Im AKH musste ich von einer Ergotherapeutin und einer Krankenschwester hören: Ihnen geht es

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eh gut.” Tina will das auch glauben, fällt aber noch tiefer in ihr Loch, hat ­Suizidgedanken. Die sie auch in die Tat umsetzt: Sie nahm unter anderem vier Beruhigungstabletten aus dem Krankenhaus („Naiv, zu glauben, dass man davon stirbt”) oder 180 Aspirin („Hab‘ sofort die Rettung gerufen“). Krankenhaus, Therapiezentren, Psychatrie. Es dauert, bis Tina all ihre Stationen aufgezählt hat, bei denen sie Hilfe gesucht hat. Erst eine psychoanalytisch orientierte Therapie im Ybbs kann ihr helfen – zumindest ein wenig. Heute fühlt sich Tina zwar nicht mehr so leer, dafür

Ich habe das Gefühl ein schlechter Mensch zu sein. Ich geniere mich vor mir selbst, habe Angst aus dem Haus zu gehen.

unerwünscht: „Ich habe das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein. Ich geniere mich vor mir selbst, habe Angst aus dem Haus zu gehen. Freunde treffen, Einkaufen gehen, eine Vorlesung besuchen – das alles kostet Überwindung.” Deshalb ist sie froh, wenn sie Uni-Material über Online-Lernplattformen herunterladen und von zu Hause aus lernen kann.

Die Uni, dein Rettungsanker Hat die Uni eine Verpflichtung, auf ihre Studierenden zu schauen? Müssen Professoren auf Studierende mit psychischen Problemen besonders Rücksicht nehmen? Auch wenn sie selbst vielleicht unter den prekären Arbeitsverhältnissen leiden? „Die Aufgabe der Hochschule ist, Studierende über Möglichkeiten aufzuklären, wie sie mit ihrer Beeinträchtigung studieren können“, sagt Birgit Virtbauer. Seit drei Jahren ist sie Behindertenbeauftragte der Uni Wien und damit Ansprechpartnerin für Studierende, die sich durch körperliche oder psychische Beeinträchtigungen im Studium behindert fühlen. „Gleichzeitig müssen sich Studierende aber auch selbst um Informationen kümmern. Wobei auch klar ist, dass es vor allem für jene mit psychischen Beeinträchtigungen manchmal nicht leicht ist zu erkennen, dass sie Hilfe brauchen.“ Nur wenn die Studierenden von selbst zu ihr kommen, kann Virtbauer helfen: Mit einem Hinweis auf die Mitschriftenbörse zum Beispiel, dem Stipendium der Universität Wien für Studierende mit Beeinträchtigungen oder dem Angebot, Prüfungsmodalitäten individuell anzupassen. Ob das ausreicht die hilfesuchenden Studierenden aus ihren Löchern zu holen? „Vor allem bei psychischen Erkrankungen bleiben die Probleme unerkannt, weil die Betroffenen sich oft aus Angst vor einer Stigmatisierung nicht trauen ihre Bedürfnisse zu artikulieren“, sagt Virtbauer. „Das ist aber kein uni-spezifisches, sondern ein gesellschaftliches Problem.“ Virtbauer hat nicht den Eindruck, dass in den letzten Jahren mehr Studierende mit Problemen zu ihr kommen. Mit den alarmierenden Zahlen aus der Studierendensozialerhebung müsse man vorsichtig umgeghen, meint sie. „Ein Teil von den 45 Prozent, die unter psychischen Beeinträchtigungen leiden, findet vielleicht einmal pro Semester in der Prüfungszeit das Studium stressig. Allerdings ist nur ein kleinerer Prozentsatz tatsächlich während des gesamten Semesters gesundheitlich DURST 2/12

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Foto: Mara Simperler

heute vielleicht keine Angst, aus dem Haus zu gehen. „Mein Vater hat mich gebrochen, später meine Mutter.“ In der Schule wird sie gemobbt, schon als 16-Jährige leidet sie unter Depressionen: Tina fühlt sich antriebslos, schlapp, dann wieder ist sie überdreht und unkonzentriert. 2003 beginnt sie ihr Studium an der Uni Wien und will ausziehen. Ihre Mutter ist dagegen, es kommt zu Handgreiflichkeiten. Für Tina sind die Zustände unerträglich. Sie hat zwar einen Platz in einer 5er-WG in Aussicht, will aber schon früher von ihrer Mutter weg. Weil sie

Foto:martina powell

ganz unterschiedliche Anliegen, sagt Garbsch: „Im normalen Studienverlauf sind Lernprobleme und Prüfungsangst die Klassiker. Dann natürlich alles, was an Lebensalltag sonst anfällt: Probleme mit Eltern, Partnern, der Peer Group. Dieser psychische Bereich hat aber nichts mit der Uni zu tun.“ Doch egal ob Lernstress oder Streit mit der Freundin – die Anfragen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Warum weiß niemand so genau. Manche Studienrichtungen verzeichnen zwar einen Rückgang bei den Anfragen, doch das dürfte nicht an den entspannten Studienbedingungen liegen. „Die Mediziner kommen kaum noch, einfach weil sie keine Zeit mehr dafür haben”, sagt Garbsch. Wenn das Studium Stress verursacht, der wiederum psychische Probleme auslöst, fehlt den Studierenden meist einfach die Zeit, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen. Es ist ein Leidenskreis, der für den Einzelnen nur schwer zu durchbrechen ist. „Man sollte verstärkt Sachen machen, die einem Freude bereiten, und die Dinge, die einem Schwierigkeiten machen, weniger oft”, sagt Garbsch. Klingt einfach. „Doch das schafft natürlich nur jemand, der noch nicht zu tief in die Depression gerutscht ist. Dann scheint oft schon die Fahrt zur Uni unmöglich. Sehr verkürzt gesagt: Die bleiben im Bett und dann ist das Semester um.”


Foto: Mara Simperler

mich für nichts aufraffen, außer für die Uni. Meine Krankheit füllt mein ganzes Leben aus.” Tina weiß, sie hat noch einen langen Weg vor sich – einen Weg, den Rahel hinter sich gebracht hat: Die 27-Jährige sitzt im „Sonnensegel”, einem Raum der Organisation Pro Mente in der Pressgasse im vierten Bezirk und sagt: „Ich habe Therapien gemacht, aber am Ende habe ich einfach Rückhalt gebraucht, das Gefühl mit dem Thema nicht mehr alleine zu sein”, sagt sie. Heute leitet Rahel die Selbsthilfegruppe „Junge Leute” – Zielgruppe 18 bis 30 Jahre.

Eine Depression ist kein Schnupfen „Uns war nicht klar, dass wir damit hauptsächlich Studierende ansprechen würden”, sagt Sina Bründler, Pressesprecherin von Pro Mente. „Wir wollten einfach ein Angebot für junge Leute machen, Menschen in Umbruchsphasen, die eine Neuorientierung brauchen.” Trotzdem sind heute etwa 70 Prozent der Teilnehmer Studierende. Doch warum? Macht die Uni psychisch krank? So

„Man sollte verstärkt Sachen machen, die einem Freude bereiten, und die Dinge, die einem Schwierigkeiten machen, weniger oft”, sagt Madeleine Garbsch, Therapeutin in der psychologischen Studentenberatung. „Doch das schafft natürlich nur jemand, der noch nicht zu tief in die Depression gerutscht ist. Dann scheint oft schon die Fahrt zur Uni unmöglich.“

einfach sei es nicht, sagt Rahel. Vor vier Jahren kam sie selbst als Teilnehmerin hierher, sie studierte damals Pädagogik und Soziologie – wusste alleine nicht mehr ein oder aus. Prüfungsangst, Leistungsdruck, Orientierungslosigkeit – das sind vielgehörte Schlagworte, doch Rahel bringen sie an den Rande ihres Verstandes. Seit mittlerweile drei Jahren leitet sie die Gruppe, kommt einmal die Woche ins „Sonnensegel”, um mit Leidensgenossen über deren Probleme zu sprechen. „Ich glaube nicht, dass das Studium mich krank gemacht hat. Ich habe mich ja auch auf die Uni gefreut, wollte das schöne Studentenleben genießen und das habe ich auch. Nicht meine ganze Studienzeit war furchtbar”, sagt sie. Jede Depression verläuft anders, nicht jede ist so schlimm, dass man es nicht mehr aus dem Haus schafft. „Es stimmt nicht, dass es kein Leben außerhalb der Depression gibt”, sagt Rahel. Auch sie ging auf Partys, hatte Spaß, traf Studienkollegen – doch da waren auch all diese Fragen in ihrem Kopf. Ist das Studium das richtige? Was wenn nicht? Wie geht es danach weiter? Werde ich einen Job

Foto:martina powell

beeinträchtigt.” Studierende aus dieser letztgenannten Gruppe kommen dann zu ihr, sagt Virtbauer. Das UniSystem – Bürokratie oder Stress in der Einführungsphase – werde dann ein Risikofaktor, wenn die Person ohnehin schon vorher unter psychischen Belastungen gelitten hat. Dabei kann die Uni in manchen Fällen sogar ein Rettungsanker sein, der dabei hilft, nicht vom schwarzen Loch der Depression verschlungen zu werden. Tina sagt, ihr Studium sei ein Rückzugsort, der ihr ein bisschen Normalität verschaffe. An der Uni versucht sie, vor Kollegen ihre Krankheit zu verstecken, was nicht immer gelingt. Einmal habe sie während eines Referats begonnen, unkontrolliert zu lachen. Wegen der Anspannung. „Die Professorin ist nachher zu mir gekommen und hat mir geraten, autogenes Training zu machen, damit ich in Zukunft bei Referaten etwas lockerer werde. Ich fand das nett,“ sagt sie. Selbst Arbeit zu suchen oder sich für einen der Berufseinführungskurse für psychisch Beeinträchtigte anzumelden, die das Arbeitsmarktservice anbietet, scheint ihr unmöglich: „Derzeit kann ich

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gleich mit dem Master in Klaviermusik weitermachen. Allerdings hatte er nur eine Drei im Bachelorzeugnis. Nichts Schlimmes für In Suck, aber bei der Zulassung hieß es dann, er erfülle die Anforderungen nicht. Er müsse eine Zusatzprüfung machen. „Das war eine komische, unzulässige Änderung in den Zulassungsbestimmungen. Nach dieser Regelung gilt das Bachelorzeugnis gleichzeitig als Aufnahmezeugnis für den Master. Eine Zwei in der Abschlussprüfung ist da Minimum. Ich fand das eine Frechheit“, sagt er. In Suck lässt sich das nicht gefallen, diskutiert mit der

In Suck Jang ging für seine Masterzulassung bis zum Verfassungsgericht – und verlor

Kann es sein, dass nicht die Uni zu stressig ist, sondern wir uns zu wichtig nehmen? Dass wir so viel über uns selbst nachdenken, bis wir in die Depression fallen?

Stress als Motivation Manche sehen psychischen Stress auch als positive Herausforderung: In Suck Jang lebt seit 16 Jahren in Österreich, ursprünglich kommt er aus Südkorea. Wenn er über seine Erfahrungen mit der Uni-Bürokratie spricht, geht es um Ungerechtigkeit, zweifelhafte Postenvergaben und inkompetentes Personal: „An der Uni wirst du nicht etwas, weil du etwas leistest, sondern weil du Beziehungen hast.” Nach seinem Bachelor in Instrumentalmusik in Salzburg wollte er

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Zulassungsstelle, mit Professoren, Assistenten und landet schließlich vor dem Verfassungsgericht – und verliert. Trotzdem kann er nach eineinhalb Jahren seinen Master beginnen, weil sich Professoren für ihn eingesetzt haben. Beziehungen muss man halt haben. Für In Suck ist die Zeit, in der es unklar war, ob er seine Ausbildung weitermachen kann, „extrem stressig” gewesen: Er entwickelt Gastritis und leidet bis heute unter Migräne, die er mit Medikamenten unterdrückt. Trotzdem empfindet er Stress als nichts Schlechtes. Im Gegenteil:

„Diese Situation war eine Herausforderung für mich, in der ich merkte, wer meine wahren Freunde sind.“ Stress im Studium habe er auch so, sagt In Suck. Aber das Bild des Musikstudenten, der besonders unter Leistungsdruck zu leiden hat, stimmt nicht mehr: „Heutzutage ist es doch in jedem Studium stressig. Egal ob Musik, Sport oder Publizistik.“

Das Leben geht weiter Kann es sein, dass das Problem ganz wo anders liegt? Dass nicht die Uni zu stressig ist, sondern wir uns selbst zu wichtig nehmen? Dass wir so viel über uns selbst nachdenken, bis wir in die Depression fallen? Die Psychologin Madeleine Garbsch sagt: „Reflexion ändert nichts daran, ob ich krank bin. Jemand, der weniger reflektiert, würde vielleicht eher Alkohol trinken.“

Zumindest bei Marie und In Suck sind bürokratische Hürden Teil des Problems. Auch Rahels Depressionen begannen während des Studiums. Tina bezeichnet die Uni zwar als Rückzugsort, doch durch ihre Krankheit fällt ihr das Studium auch schwerer als anderen. Was die vier Schicksale verbindet, ist, dass die Betroffenen sich irgendwann aufgerafft haben. Sie haben erkannt, dass es ein Problem gibt und versuchen, es in den Griff zu bekommen. Genauso wie jede Krankheit anders verläuft, hat auch jeder andere Vorschläge, wie man damit umgehen soll. Das Wichtigste ist, sich professionelle Hilfe zu holen, sagen die Experten. Bei entsprechenden Stellen an der Uni oder in weiterer Folge bei Psychologen. Tina rät außerdem, dass man aktiv bleiben und die eigenen Ängste bekämpfen sollte. Sie macht sich beispielsweise Termine und zwingt sich so, auch dann außer Haus zu gehen, wenn es ihr sehr schwer fällt. Wenn die Probleme direkt im UniSystem verankert sind, ist es hilfreich, sich Mitstreiter zu suchen, denen es ähnlich geht, sagt Marie. „Auch wenn jeder individuelle Probleme hat, kann man sich gegenseitig Halt geben.“ Vor allem aber sollte man auf die Signale des eigenen Körpers hören und die Probleme annehmen, meint In Suck Jang. Früher übte er acht bis zehn Stunden pro Tag, „weil ich weiterkommen wollte“. Heute übt er manchmal im Durchschnitt nur drei Stunden pro Woche, ein andermal vier bis sechs Stunden am Tag. Zufriedenheit ist ihm wichtiger, als der Beste zu sein. Und Marie sagt einen Satz, der so selbstverständlich klingt, aber vielleicht der wichtigste von allen ist: „Zwischendurch sollte man nicht vergessen, zu leben.“

INFOBOX FÜR ANLAUFSTELLEN Behindertenbeauftragte der Universitäten z.B.: Uni Wien – Birgit Virtbauer, Referat Student Point, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1 Graz – Barbara Levc, Universitätsplatz 3 Pro Mente Wien – Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit http://www.promente-wien.at/ Psychologische Studierendenberatung (6 Stellen in Österreich) www.studentenberatung.at z.B.: 1080 Wien, Lederergasse 35/4, Tel: 01/402309

Foto: priavt

bekommen? Es sind Fragen, die sich wohl jeder Studierende stellt – manche kommen damit zurecht, andere zerbrechen daran. Dass man zur zweiten Gruppe gehört, ist nicht leicht zuzugeben. „Man bindet das nicht jedem auf die Nase, weil es nicht jeder versteht”, sagt Rahel. Ihre Studienkollegen erfuhren damals nichts von ihren Problemen, Rahel wollte nicht schwach erscheinen. „In sehr leistungsorientierten Fächern wie zum Beispiel BWL ist es besonders hart, wenn man Schwäche zeigt. Dabei ist es keine Schwäche, Depressionen sind Krankheitsphasen. Andere Leute sind dauernd verkühlt oder bekommen einen Bandscheibenvorfall”, sagt Bründler. „Fakt ist, dass man etwas braucht, das einem hilft.” Doch ist es am Ende wirklich so einfach? Ist die Depression nichts anderes als ein Schnupfen? Rahel hat ihr Studium mittlerweile abgeschlossen, mit einiger Verspätung. „Manche in der Gruppe merken schnell, dass es ihnen besser geht und kommen dann nicht mehr. Es ist schön, wenn das passiert”, sagt Rahel. Doch das ist nicht die Regel – die schnelle Heilung gibt es meist nicht. Oft kommen sie wieder – wenn die scheinbar unlösbaren Fragen wieder lauter werden. „Ein Teilnehmer war zwei Jahre dabei”, sagt Rahel. Das Studium wird immer verschulter, gleichzeitig geht jeder Fünfte nebenbei zumindest einem geringfügigen Job nach. Was aber, wenn man depressiv ist, sich fürs Arbeiten zu schwach fühlt und wegen stockendem Studienfortschritt keine Beihilfen mehr bekommt? Eine Depression ist kein Rollstuhl, eine Manie macht nicht blind. Psychische Beeinträchtigungen kann man in den meisten Fällen nicht sehen, man bekommt dafür auch keine extra Beihilfen. Statt dessen brauchen Studierende mit psychischen Problemen oft viel Geld für Therapien. Der finanzielle Druck nimmt zu, statt ab.

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60 Tage Finsternis 8.800 Studenten sehen jährlich für zwei Monate kein Tageslicht: Tromsø ist die nördlichste Universitätsstadt der Welt und für ihre sechzigtägige Polarnacht berühmt. Andrei, Ingrid, Justyna und Øystein erklären, warum sie ohne Sonne, aber nicht ohne Tromsø leben können. von Martina Powell

sagt jemand, der dunkle Tage und lange Nächte eigentlich gewohnt sein sollte. Andrei Sorokin stammt aus Murmansk in Russland und lebt seit sechs Jahren in Norwegen. Im Winter ist es in seiner Heimatstadt zwar auch dunkel, aber nicht so extrem wie im Norden Norwegens, erklärt der 30Jährige. Vom 21. November bis zum 21. Jänner steigt die Sonne nicht vollständig über den Horizont. Andrei fällt es in diesen Monaten schwer, in der Nacht zu schlafen. Tagsüber ist er dann komplett erledigt. Jedes Jahr kommt sein Biorhythmus durcheinander: Er fühlt sich schlapp, manchmal depressiv. Nur in der „Blauen Stunde“ – die von zwölf bis drei am Nachtmittag dauert – wird es in Tromsø etwas heller: die Berge und der Schnee bekommen einen Blaustich, am Horizont deutet ein Lichtstreifen fernes Sonnenlicht an. Andrei gehört zu den sieben Prozent der Bevölkerung in Tromsø, die unter Schlafstörungen, Depressionen und Stimmungsschwankungen während der Polarnacht leiden. Die Dunkelheit war auch ein Grund, warum sich Andrei nicht sicher war, ob er nach Tromsø ziehen soll. Schließlich sei die Hauptstadt Oslo ja auch schön und sie liegt nicht ganz so nördlich wie „T-Town“,

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meint der Gitarrenlehrer. Umgezogen ist er aber bis heute nicht, hauptsächlich wegen seiner Freunde, seines Studiums am Konservatorium, seines Jobs und seiner Liebe für Tromsø. „Für mich war es neu, in einem Studium so frei zu sein wie hier. Informationen, Bücher und Musiknoten bekommst du in Norwegen ohne Probleme, anders als in Russland.” Wenn Andrei die Dunkelheit besonders zu schaffen macht, kommt seine „Schlaftechnik“ zum Einsatz: „Ich schlafe einfach, wann ich will und kann. Nach einer schlaflosen Nacht nicke ich auch nur mal 20 Minuten bei der Arbeit oder auf der Uni ein.“

keine Zeit für depressionen Auch Justyna Janczuk ist wie Andrei keine „echte“ Tromsøerin. Depressiv oder launisch sei sie aber in der Polarnacht nie geworden, sagt sie. Im Gegenteil: Die 25-jährige Polin findet das einzigartige Lichtspiel im Winter aufregend. Angst hatte sie vor der Polarnacht nur vor ihrem Umzug nach Tromsø vor vier Jahren. Heute muss sie darüber lachen: Die Dunkelheit im Winter empfindet sie mittlerweile als normal. Justyna kam als Erasmusstudentin nach Tromsø und verlängerte ihren Aufenthalt, um ihr Studium der

Skandinavistik in Norwegen fortzusetzen. Aber auch als „die Dunkelheit“, wie Justyna sie nennt, zum ersten Mal über sie hereinbrach, gab es nicht mehr Partys oder ausgeflippte Tagesrhythmen als sonst: „Mehr und ausgelassener Feiern war für uns ohnehin nicht mehr möglich.“ Auch wenn ein Tag im Bett für Justyna verlockend klingt, während ihres Studiums hat sie dafür keine Zeit: Studium, Arbeit und nebenbei ein bisschen Party. Drei Stunden Schlaf pro Tag sind da keine Seltenheit. Manchmal hebt auch ein Weckerorchester Justyna nicht aus dem Schlaf. Ein Freund sorgt deshalb dafür, dass sie bei Prüfungen aus dem Bett kommt. „Aber ich glaube nicht, dass das etwas mit der Dunkelheit zu tun hat, sondern mit meinem generellen Problem aufzustehen.“ Partys, Nachtleben und „Vikingfjord“, norwegischer Wodka: Das alles interessiert Ingrid Thunem nicht. Wegen einer neurologischen Krankheit ist die 23-jährige Norwegerin von der Brust abwärts gelähmt. Als sie vor vier Jahren von Oslo nach Tromsø zog, konnte sie noch laufen, tanzen und schwimmen gehen. Erst seit zwei Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Ingrid spricht offen über ihre Lähmung: DURST 2/12

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Fotos: privat

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tell dir vor, die Sonne geht nicht auf. Es bleibt dunkel. Nicht nur heute, auch morgen, übermorgen und an den folgenden Tagen. Zwei Monate lang siehst du kein Sonnenlicht, maximal einen blauen Lichtstreifen am Horizont. Damit du über den Skripten nicht einschläfst, leiht dir deine Universität eine Tageslampe. Sie täuscht deinem Gehirn vor, dass es genügend Licht abbekommt. Bald ist das prickelnd warme Gefühl von warmer Sonne auf der Nase nur mehr eine schwache Erinnerung. Für Andrei Sorokin, Ingrid Thurnem, Øystein Evenstad und Justyna Janczuk ist das kein Albtraum, sondern Realität. Sie leben und studieren in Tromsø – „T-Town“, wie die Bewohner ihre Stadt nennen, die jedes Jahr im Winter sechzig Tage lang kein Sonnenlicht sieht. Tromsø liegt knapp 350 Kilometer nördlich des Polarkreises auf einer Insel, eingeklemmt zwischen norwegischem Festland und Fjorden im Europäischen Nordmeer. Die Stadt mit knapp 70.000 Einwohnern ist nicht nur für ihre Nordlichter bekannt, sondern auch für ihre Universität. Keine liegt weltweit höher im Norden als sie. „Der Winter ist für mich die schlimmste Jahreszeit in Tromsø“,

Foto: Jakob Eder

Blaue Stunde in Tromsø, knapp 350 Kilomter nördlich des Polarkreises. Richtig hell wird es im Winter sechzig Tage lang nicht. Dann leuchtet nur der Mond


Hier kannst du in der Polarnacht durchmachen… „Verdensteateret” ist das älteste Kino in Norwegen, das noch betrieben wird. Dort gibt es auch eine riesige Schallplattensammlung, die im Café zum Einsatz kommt.

Im winter wird‘s lebendig Andrei Sorokin ist harte Winter aus Murmansk gewöhnt

Ingrid Thunem schwärmt von der medizinischen Versorgung

Fotos: privat

Foto: Jakob Eder

Die Polin Justyna Janczuk hat keine Zeit für Winterdepressionen

Besonderes, obwohl sie in ihrem ersten Jahr in Tromsø ganz aufgeregt war, als die Sonne Ende November hinter dem Horizont verschwand. Ihr Tipp für dunkle Tage: aktiv bleiben. Ingrid versucht immer zur gleichen Zeit aufzustehen und auch am finstersten Tag aus dem Haus zu kommen. Manchmal macht sie ein „Candle-Light“Frühstück und zelebriert morgens die dunkelblaue Nacht. Während Andrei, Justyna und Ingrid der Polarnacht zumindest zu Beginn ihres Lebens in Tromsø mit gemischten Gefühlen begegneten, fragt sich Øystein Evenstad, was die ganze Aufregung über die Polarnacht eigentlich soll. Depressionen und Schlafstörungen während der Wintermonate? Reiner Placebo-Effekt, behauptet der 19-Jährige: „Diese ganze Depressionsgeschichte hat es hier gar nicht gegeben, bis die Leute aus Tromsø begonnen haben zu reisen und plötzlich realisierten, dass die Polarnacht an anderen Orten der Welt nicht existiert.” Øystein hat eine „ganz spezielle Technik“, um auch in den Wintermonaten pünktlich zu seinem Job als Rezeptionist in einem Hotel zu erscheinen: „Ich stelle meinen Wecker.“

„Hier gibt es ein tolles Krankenhaus mit den besten neurologischen Medizinern. Außerdem kann ich in Tromsø alles mit dem Rollstuhl erreichen.” Tromsø ist einzigartig, findet Ingrid: In der City brodelt das Stadtleben mit vielen Festivals, rundherum liegt beinah unberührte Natur. Deshalb ist Ingrid auch hierher gezogen. Vom exotischen Unterwasser-Rugby bis zu Sci-Fi-Club – Ingrids Liste von Aktivitäten, die Studierende in Tromsø ausprobieren können, klingt wie aus dem Werbeprospekt. Die 23Jährige weiß es zu schätzen, dass sie trotz ihrer Krankheit hier Möglichkeiten bekommt, Sport zu machen: DURST 2/12

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In den Sommermonaten radelt sie auf ihrem Handbike, fährt Kajak und schwimmt Wettkämpfe im Winter. Aber nicht nur wegen den Sportmöglichkeiten und der außergewöhnlichen Natur ist die Stadt bei Studierenden beliebt, sagt Ingrid, sondern auch wegen der individuellen Betreuung an der kleinen Universität Tromsø. In ihrem Studiengang „Spezielle Pädagogik“ kommen da zum Beispiel in einem Kurs drei Studierende auf einen Professor. Da fällt es kaum noch auf, dass sechzig Tage im Jahr die Sonne fehlt. „Mit ein bisschen Routine steht man das gut durch“, sagt Ingrid. Für sie ist die Polarnacht nichts

Tromsø schläft nicht während der Polarnacht. Tatsächlich ist der Winter die sozialste Zeit im Norden: Der Club, in dem Øystein manchmal arbeitet, ist immer voll. Die Partys sollen besonders verrückt sein, wenn die grün-weißen Nordlichter über den Bergspitzen tanzen. In Tromsø gibt es so viele Restaurants, Bars und Clubs, dass theoretisch ein Drittel der gesamten Bevölkerung gleichzeitig ausgehen und einen Sitzplatz bekommen könnte. Allerdings sind die Jugendgesetze in Norwegen streng: Unter zwanzig ist Hochprozentiges verboten, nach drei Uhr früh kann man am Wochenende keinen Alkohol mehr kaufen. Deshalb schließen auch viele Clubs um diese Zeit, was Øystein aber halb so schlimm findet: „Die Party beginnt bei uns einfach früher.“ Auch wenn Øystein so tut, als lasse ihn die Dunkelheit kalt, wird auch er während der „Blauen Stunde“ melancholisch. Und obwohl er die Kälte hasst und den Winter hier viel zu lang findet, liebt er Tromsø: „Einmal wurde ich vom Rasenmäher meines Nachbars geweckt. Es war fünf Uhr in der Früh. Mein Nachbar hatte am Tag davor einen Mittagsschlaf eingelegt, war aber so müde, dass er die ganze Nacht durchschlief. Wegen der Dunkelheit dachte er aber, dass es erst Nachmittag sei.“ Was Tromsø an Sonne im Winter fehlt, wird im Sommer nachgeholt

Im „Café Sånn” im „Kulturhuset” (Kulturhaus der Philharmonie) sitzen die Gäste auf Stühlen aus den 1970ern. Im Café „Circa” legen Live-DJs auf, Tanzbären kommen hier auf ihre Kosten. … und in den Sommermonaten Licht tanken „Bukta Festival“, ein Open-Air Musikfestival in Tromsø während der „Mitternachtssonne”. (http://bukta.no/) Ein „Nightrun“ im Sonnenlicht: Der Mitternachtsmarathon findet jährlich Ende Juni statt. (www.msm.no)

– vielleicht ein Grund dafür, warum die langen, dunklen Tage am Ende des Jahres halb so schlimm sind. Ende April bis Mitte August steht die Sonne über dem Horizont, „Mitternachtssonne“ genannt. Richtig dunkel wird es da nie. „Dann ist es endgültig vorbei mit dem Zeitgefühl“, sagt Øystein. „Die Versuchung ist groß, mitten in der Nacht wandern zu gehen, weil es draußen warm und hell ist.” Wie viele andere feiert Justyna den Beginn der Mitternachtssonne mit einer Grillparty – mitten in der lichtdurchfluteten Nacht am Gipfel eines Berges.

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ZWEI STUNDEN SCHLAF SOLLEN GENÜGEN Jeder Mensch verbringt etwa vier Monate pro Jahr schlafend im Bett. Ein Drittel unserer Lebenszeit. Ein bisserl viel, eigentlich. Ein bewusst umgestellter Schlafrythmus soll es ermöglichen, mit nur zwei Stunden Schlaf täglich auszukommen. Georg Plaz (21) hat einen Selbstversuch gewagt und seine Erfahrungen in einem Blog festgehalten.

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st die Zeit für Schlaf verlorene Zeit, die man sinnvoller nutzen könnte? Viele Studierende werden diese Frage – vor allem in der stressigen Lern- und Prüfungsphase zu Semesterschluss – bejahen. So wie Georg Plaz: Der 21-Jährige studiert Informatik und Philosophie an der Universität Wien und hat seine Ferien genutzt, um einen Selbstversuch zu starten. In seinem Onlinetagebuch berichtet er, wie er seinen Alltag als so genannter „polyphasischer Schläfer“ gemeistert hat. Das heißt: mehr oder weniger gemeistert hat. Nach einer rund 14tägigen Eingewöhnungsphase soll es nach dieser Methode möglich sein, mit nur zwei Stunden Schlaf täglich auszukommen.

6 X 20 MINUTEN „Polyphasischer Schlaf “ nennt sich ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, bei dem man mehrmals täglich für kürzere Zeiträume schläft. Jeweils zwanzig Minuten, sechs Mal am Tag, sollen möglich sein – und auch ausreichen. Beim polyphasischen Schlaf wird das Gehirn dazu gebracht, beim Einschlafen direkt in die so genannten REM-Phasen einzusteigen (siehe Infobox). Zu den bekanntesten polyphasischen Schläfern

zählen Leonardo da Vinci und Thomas Alva Edison. „Zu Beginn war es einfach pure Neugier, ob es überhaupt möglich ist, seinen Schlafrythmus umzustellen“, erklärt Georg Plaz. Aber bald malte sich der Student aus, welche Möglichkeiten ihm mit einer Wachzeit von 22 Stunden am Tag offen stünden: „Ich habe mich immer geärgert, dass ich so viel schlafe. Da habe ich mir gedacht, dass es schon cool wäre, wenn man jeden Tag 22 Stunden hat, die man effektiv nutzen kann.“ In der Vorlaufzeit eröffnete der 21-Jährige seinen Blog „1000 Schäfchen“. Für das Experiment wählte er das „Uberman-System“, das härteste der vier möglichen Schlafmuster, um ein polyphasischer Schläfer zu werden. Dementsprechend teilte er den Tag in sechs Abschnitte ein, jeder von ihnen mit einer 20-minütigen Schlafphase. „In den ersten Ferientagen klappte es nicht sofort mit dem Einschlafen und ich bin nur für ein paar Minuten in die REM-Phase gekommen.“ Schon nach wenigen Tagen klagte er über Symptome der Übermüdung: „Man ist ständig unkonzentriert, fühlt sich in einem Trunkenheitszustand, reagiert auf Situationen nicht adäquat und ist schlecht gelaunt“, erinnert sich Georg. Zu diesem Zeitpunkt schaffte

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er es bereits problemlos, innerhalb weniger Minuten einzuschlafen. Anstatt in die so genannte „REM-Phase“ zu gleiten, machte er aber andere – laut Georg für die Erholung unwichtige Schlafphasen – durch. Ohne die Ablenkung durch Freunde hatte er in den darauffolgenden Tagen große Probleme sich wach zu halten und musste Rückschläge in Form von „Überschlafen“ erleben: „Es gab Zeiten da habe ich den Wecker überhaupt nicht mehr gehört, obwohl er eine halbe Stunde lang geklingelt hat.“ Von seiner Müdigkeit versuchte er sich dadurch abzulenken, dass er sich mit Freunden traf oder Sport machte. Wenn er geistig fit genug war, programmierte er für sein Studium.

SCHWIERIGE ANWENDUNG Am Ende der Ferien gab Georg auf. „Ich bin nie durch diese Eingewöhnungsphase durchgekommen und es ist sehr schwierig, dieses Schlafmodell auf den Alltag anzuwenden – immerhin musst du auf der Uni oder unterwegs passende Schlafplätze finden. Aber es gab Momente, an denen ich tatsächlich nach zwanzig Minuten aufgewacht bin“, meint Georg. „Ich fühlte mich ausgeschlafen, aber wirklich munter war ich nie.“

DURCHPENNEN MIT REM Das „Gegenmodell“ des „polyphasischen Schlafs“ heißt „monophasischer Schlaf“: Innerhalb einer achtstündigen Schlafzeit stellen sich in etwa zwei Stunden Tiefschlafzeit die für die Erholung wichtigen REM-Phasen ein. Die so genannten Phasen des „Rapid Eye Movement“ nehmen etwa ein Viertel der typischen Ruhezeit eines Erwachsenen ein, also 90 bis 120 Minuten pro Nacht. In dieser Schlafphase bewegen sich unsere Muskeln, Angst- oder Alpträume können auftreten, Erektionen oder Stimulation der Klitoris sind keine Seltenheit. Wenn wir während einer REM-Phase aufwachen, können wir uns an Einzelheiten des Traumes erinnern. http://1000schafe.blogspot.co.at

FOTO: VALENTIN LADSTÄTTER

von Sandra Schieder

Nur 20 Minuten am Stück schlafen und trotzdem fit sein wie ein Turnschuh. Geht das?

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27.09.2012 13:47:10 Uhr


„Was ich habe, ist Charakter in meinem Gesicht. Es hat mich eine Masse langer Nächte und Drinks gekostet, das hinzukriegen.“ Humphrey Bogart (1899-1957),

KLEBESCHRIFT: KURT RUDOLF

Filmschauspieler, Quelle unbekannt

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Ist die Nacht die aufregendere Tageszeit? ANNA: Für mich schon. Die Nacht ist

mehr entkoppelt von alltäglichen Bezugsrahmen und Normen. Die Ablenkungen des Alltags fallen weg und der Fokus richtet sich auf selbstbestimmte und hedonistische Aspekte des Lebens. Das Ganze wird im Kontext eines Clubs noch einmal gesteigert. Es gibt tendenziell weniger Verpflichtungen in der Nacht, denen man nachgehen muss.

JOHN: In unserer Kultur der letzten hundert Jahre werden wir dazu gezwungen, in einem bestimmten Zeitrahmen etwas zu tun. Wenn wir da raus kommen, wenn der Druck weg ist, dann kann das spannend werden, dann wird es persönlicher. Man könnte sagen, es ist nicht die Nacht, die aufregend ist, es ist die Zeit an sich, in der man sich persönlich ausdrücken kann. Wir betrachten den Tag als Verlauf von „To-Dos“ und am Ende komme ich von dieser To-Do Liste weg. Entweder ich gebe auf – oder ich habe alles erledigt, egal, man kann feiern. Gleichzeitig schreit unser Körper nach Ruhephasen. Wir brauchen Pausen vom ständigen Druck, um uns zu erholen. Die Nacht ist vielleicht die Zeit, in der wir uns am Besten ausdrücken können, aber leider ist es auch eine Zeit, in der wir andere Dinge machen sollten wie zum Beispiel schlafen.

Wenn man in der Nacht arbeitet, gibt es aber nicht weniger Verpflichtungen, bloß weil eine andere Tageszeit ist.

WIR SIND NACHTAKTIVE TIERE Warum ist die Nacht eigentlich so toll? Wieso trauen wir uns in der Nacht mehr? Und ist eine durchgemachte Nacht wirklich schlecht? DURST geht diesen Fragen (und noch vielen anderen) nach und hat einen Schlafforscher und eine DJane zum Doppelinterview gebeten. Von Mara Simperler

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JOHN: Wir forschen seit Jahren über

die Problematik von stabilen Zeitstrukturen. Ob man gelegentlich in der Nacht arbeiten kann oder soll. Es gibt einen alten Spruch: „Early to bed, early to rise, makes a man healthy, wealthy and wise.“ Wir haben diese Vorstellung, dass eine regelmäßige Schlafperiode etwas Gesundes sein muss. Wir wissen aber mittlerweile auch, dass viel individuelle Flexibilität für Schlaf/Wach-Zyklen existiert.

KLEBESCHRIFT: KURT RUDOLF, FOTOS: MANUEL KÖLLNER

Der Anthropologe und Schlafforscher John Dittami fängt am liebsten morgens um vier zu arbeiten an

ANNA: Bei mir ist das ein Sonderfall, es ist ja etwas, das ich gerne mache. Es ist eine Leidenschaft, der ich nachts nachgehe. Außerdem arbeite ich beim Auflegen in viel kürzeren Zeiteinheiten als jemand, der hinter der Bar steht und von zehn Uhr abends bis acht Uhr Früh arbeiten und danach noch abrechnen muss. Ich sehe es deshalb nicht so sehr als Arbeit. Veranstalten ist ein bisschen was anderes, weil man eine gewisse Verantwortung trägt und am Ende doch eine Abrechnung zu erledigen ist.

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27.09.2012 14:26:29 Uhr


Klebeschrift: Kurt Rudolf, Fotos: Manuel Köllner

Wenn man eine Aktivität in der Nacht freiwillig macht und die darauffolgenden Tage so planen kann, dass man das schlafmäßig gut hinbekommt, sind wir der Meinung, dass es produktiv sein kann, nachts aktiv zu sein. Wenn es erzwungen wird, dann ist es schlimm. Dann kommt es zu Schlafstörungen und den negativen Folgen von Schlafentzug und man bekommt große Probleme. Aber wenn man das freiwillig oder leidenschaftlich gern macht, ab und zu, dann ist das alles kein großes Problem.

Anna Leiser ist ein Nachtmensch. Sie schreibt ihre Diplomarbeit in Psychologie am liebsten ab 22 Uhr, ist aber außerdem noch DJane, Partyveranstalterin und Internet­ radiomoderatorin bei Bebop Rodeo. Sie nennt das „Lebenszeitmaximierung“. John Dittami ist ein Frühaufsteher. Das trifft sich nicht schlecht, denn an der Uni Wien forscht und lehrt er seit 1988 über Circadiane Rhythmik (die „innere Uhr“ des Körpers), Endokrinologie (Lehre von den Hormonen) und Biorhythmik (regelmäßig wiederkehrende Veränderun­ gen des Körpers) und dafür muss man bekanntlich auch Morgenvorlesungen halten. Die nächste Vorlesung zum Schlaf findet aber trotzdem abends statt (Sleep and Dreams: Evolution, Physiology and Culture, Vorbesprechung 15. Oktober, 18 Uhr, Seminarraum Zoologie, Althanstr. 14)

Ich wäre gerne ein Nachtmensch, schlafe aber aus Prinzip spätestens um Mitternacht ein. Kann ich das ändern? John: Es ist möglich, mit Lichtthera-

pie, aber das würde ich niemandem empfehlen. Man kann aber schon mit sozialen Reizen seine eigenen Schlafzeiten langsam umstellen. Das Problem ist eher: Es gibt Menschen mit stark reglementierten Aktivitätsphasen, für die wäre es furchtbar, bis zwei Uhr früh herumtanzen zu müssen. Es gibt andere, die mehr Instabilität und Flexibilität mögen. Man sollte sich auf alle Fälle nicht schlecht fühlen, wenn man eigentlich gerne in der Nacht aktiv ist – oder wenn man nicht fähig ist, das zu tun. Man muss auf die innere Stimme hören. Wenn man sehr gern um zwölf ins Bett geht, heißt das eher, dass man eine strenge Zeitplanung schätzt. Wenn man lieber um zwei oder vier ins Bett geht und ein regelmäßiger Schläfer ist, muss man sich eben an diesen Zeitplan halten. Studierende haben da mehr Freiraum. Wir stellen aber immer wieder bei schlafmedizinischen Untersuchungen fest, dass Studenten fast pathologisch schlecht abschneiden. Sie schlafen unregelmäßig und beschweren sich, dass sie nicht dann schlafen können, wenn sie schlafen wollen. Wenn man das objektiv misst, sieht man, dass die Schlafeffizienz nicht schlecht ist. Der Schlaf ist nur einfach zu kurz. Wir haben aber auch herausgefunden, dass Stress zu Schlafstörungen führt. Und der wird

ich mich dann hinlege, schlafe ich ­relativ schnell ein. Schlaflosigkeit in Stresssituationen kenne ich kaum. Eher dann, wenn ich in positiver Hinsicht aufgewühlt bin.

John, arbeitest du auch in der Nacht?

Anna Leiser dreht nachts auf – und lernt dann auch am Besten vom Leistungsdruck an den Unis verursacht. Das ist am Anfang des Studiums besonders ausgeprägt. Man möchte meinen, dass Leute, die an ihrer Diplomarbeit schreiben, damit noch mehr Probleme hätten. Aber das stimmt nicht. An Unis, die eine freiere Organisation haben, sind die Schlafstörungen geringer und die Schlafqualität besser. Anna: Ich kann mich nicht erinnern,

jemals Schlafstörungen gehabt zu haben. Auch vor Prüfungen. Ich lerne zwischen 22 und vier Uhr am Besten. Ich habe da meinen Modus gefunden. Meistens lerne ich bis ich fast am Tisch einschlafe. Dann gehe ich schlafen und schlafe auch relativ gut.

John: Nein, ich bin eher ein Früher-

Plagt dich in Nächten, wo du nicht arbeitest, die Insomnia, sodass du dann etwas anderes arbeiten willst? Anna: Ich war schon immer ein Nachtmensch. Schon in der Schulzeit war ich relativ lange auf, obwohl ich regelmäßig um sechs Uhr aufstehen musste. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich von Schlaflosigkeit geplagt werde. Die Nacht ist für mich eine Zeit, in der ich Muße habe, mich entkoppelt von allen Anforderungen des Alltags hinzusetzen und etwas zu lesen. Man kann sich in einer anderen Intensität auf Dinge, die einem Freude machen, einlassen, weil es keine störenden Einflüsse gibt. Wenn

morgen-Typ. Ich kann gut ab vier a­ rbeiten, aber wenn ich umgekehrt bis vier lernen muss, vergesse ich danach wieder alles. Ich bin da der klassische Morgentyp. Es ist so: Wer bis spät in die Nacht lernt, kann am nächsten Tag zwar vieles wiedergeben, aber es wird nicht gut im Langzeitgedächtnis gespeichert. Anna: Ich bin nicht selten nach einer

durchgemachten oder durchgelernten Nacht zu einer Prüfung gegangen – mit gutem Ergenis. John: Ja, die Information ist parat und

man kann Fragen beantworten, aber das Wissen hält nicht an.

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Anna: In meiner Wahrnehmung so

gut wie gar nicht. Das mag aber auch mit den Leuten zu tun haben, die mich umgeben. John: Unsere Gesellschaft bevorzugt

Menschen mit stabilen, regelmäßigen Schlafmustern. Jemand, der reglementiert lebt, ist gesellschaftlich akzeptiert und normativ das Beste, was man sein kann. Das hat einen wirtschaftlichen Hintergrund und hat etwas mit ­unserer Zeitkultur zu tun, die besagt, dass man keine Zeit verschwenden darf. Menschen, die in der Nacht ­aktiv sind, haben leider den Ruf, dass sie in dieser Zeit etwas anderes tun, als sie tun müssen. Diese Art von Mentalität finde ich falsch hinsichtlich der Produktivität. Jeder Mensch muss kreativ sein, nicht nur Künstler. Und manche Menschen nützen die Schlaflosigkeit in der Nacht, um anders zu denken als untertags. Man grübelt, man ­versucht, eine neue Idee zu formulieren. Solche Dinge können sehr produktiv für eine Gesellschaft sein. Aber unsere Gesellschaft sieht das nicht so. In unserer Arbeitswelt können wir nicht leicht unsere Arbeitszeiten wählen, sagen, wir wollen zwischen acht Uhr abends und vier Uhr früh arbeiten, weil das wirtschaftlich nicht rentabel ist. ­Früher, vor der extremen Industrialisierung, hatte man mehr Freiraum. Wir leben heute viel reglementierter.

waren. Meiner war so einer. Deine Wahr­nehmung ist so, weil du in einem ­anderen Umfeld lebst, wo das sozial anerkannt ist. Anna: Ja, klar, das ist eine sehr subjek-

tive Einschätzung.

John: Ich sehe das von medizinischer

Seite, wo Leute die Schlaflabors stürmen und behaupten, sie seien krank. Sie sind nicht krank, sie haben subjektive Schlafstörungen, aber keine objektiven. Die Gesellschaft sagt, du bist krank, weil du nicht gut schläfst.

Anna: Ich würde sagen, es ist weniger

Sind Langschläfer schlechtere Menschen? Ist man nachts weniger produktiv? Früher war die Nacht assoziiert mit bösen Dingen. Geisterstunde, Geschichten von wilden Ungeheuern der Nacht, und so weiter. Der Mensch hat versucht, die Nacht auszuschalten. Erst mit Feuer, dann mit Kerzen. Mit dem elektrischem Licht hat er es endlich geschafft. Wieso wollen wir das?

Anna: Freie Berufe bieten aber schon

auch mehr Freiheiten.

John: Sagen wir eine Person schläft

erst um acht Uhr in der Früh ein und schläft den ganzen Tag. Meinst du, dass so eine Person gerne gesehen wird von der Gesellschaft? Anna : Das ist jetzt schwierig zu

­ eantworten. Ich glaube, das kommt b auf die Gründe an. Vielleicht ist das dann auch eine Flucht vor der ­Gesellschaft. Ich denke, das kommt auf die Gründe an, warum die ­Person erst um diese Zeit schlafen geht. Wenn sie produktiv ist in dieser Zeit, wird sie vermutlich eher akzeptiert. John: Wenn das ein Kind ist, wird

es zum Arzt geschickt. Ich finde, wir sind absolut intolerant gegenüber abnormalen Schlafmustern. Anna: Vielleicht ist das auch eine ­ enerationenfrage. Mein Vater steht G trotz Pension um sechs auf und geht um 22 Uhr schlafen. John: Ja, trotzdem gab es auch Groß-

väter, die wild waren und lang auf

John: Eigentlich sind wir von unserer

physiologischen und WahrnehmungsAusstattung her nacht- oder dämmerungsaktiv, nicht tagaktiv. Diese Ängste, die in der Nacht ­hochkommen, haben viel mehr damit zu tun, dass man Schlaf und Träume nicht verstanden hat. Man fühlte sich angreifbar, wenn man schläft. Ist ja klar: Wenn man sich hinlegt, weiß man nicht, was währenddessen passieren könnte. Zweitens gibt es die Angst vor dem unbewussten Traum­ zustand. Man bekommt im Traum einen Blick in eine andere Welt. Wir bringen Emotionen, die wir vom Tag haben, in diesen unbewussten Zustand hinein. Wir können die ­vertiefen, verstärken und wir ­können daraus die tollsten Geschichten ­machen. Gleichzeitig können wir auch Emotionen aus dem Traum wieder ins Bewusstsein einbringen. Heute verstehen wir unsere ­Träume viel besser, schlafen

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geschützt in ­Räumen. Aber wir haben immer noch Angst vor dem Dunklen. Manche Menschen wollen tatsächlich Beleuchtung haben, damit sie sich besser fühlen, auch wenn sie schlafen. Beleuchtung produziert aber nicht mehr Sicherheit. Es findet mehr Kriminalität auf beleuchteten Straßen als auf unbeleuchteten statt. Außerdem sind Lichtverhältnisse in einem dunklen Raum sehr störend für den Schlaf. Licht macht es uns leichter ein nachtaktives Leben zu führen, stört aber die Menschen oder Tiere, die nicht nachtaktiv sein wollen oder sind. Wir haben die Nacht nicht vertrieben, sondern verkleidet oder für viele sogar gestört. ein Vertreiben der Nacht, sondern man macht sich die Nacht zu Eigen im Sinne einer Lebenszeitmaximierung. Die Menschen arbeiten viel und es ist auch einfach ein Zugang, sich wieder Zeit zurückzuholen, die man für sich nutzen kann. Mit elektrischem Licht kann man sich ein paar Stunden der Nacht für sich zurückholen und seinem Leben zusätzlichen Ausdruck verleihen. Gerade am Wochenende nehme ich das im Zusammenhang mit Clubs noch viel stärker wahr. Da ist das dann Eskapismus. Leute, die die ganze Woche sehr produktiv und leistungsfähig sein müssen … John: … schlafen sich aus am Wo-

chenende.

Anna: Oder eben nicht.

In einem Club wird die Nacht zelebriert und künstlich verlängert. Ein Club hat keine Fenster, du bekommst gar nicht mit, dass draußen schon wieder Tag ist. Warum ist es akzeptiert, dass in der Nacht der Exzess stattfindet und am Tag nicht? Betrunkene in der U-Bahn finde ich beispielsweise in der Nacht ok, aber untertags störend. Warum? John: Du musst bedenken, du hast diese circadiane Uhr. Auch ohne Fenster weißt du, dass es Tag ist. Warum feiert man in der Nacht? Vielleicht aus dem gleichen Grund, warum man Fasching feiert. Warum spinnen die Leute am Fasching, jubeln, rennen herum? Fasching ist eigentlich biologisch die falsche Zeit, um zu feiern. Das ist die Zeit am Ende des Winters, wenn die Reserven aufgebraucht sind, wir müssten eigentlich noch zwei Monate aushalten, bis neue Vegetation und Nahrung kommt. Die Menschen veranstalten eine Art von letztem Gelage, feiern so richtig, verausgaben sich. Könnte eine Nachtfeier auch so etwas sein? Dass man sich am Ende eines

scheußlichen Tages austoben will, um dem nächsten Tag zu begegnen?

Und wie ist es mit dem Sex? John: Nachts ist man keineswegs se-

xuell am aktivsten. Tatsächlich ist das vormittags und nachmittags. Wie viele Partnerschaften entstehen in der Nacht? Anna: Partnerschaften wohl weniger, aber es mag dahinter ein ähnliches Motiv stecken (lacht). John: Es ist wirklich eine Frage, war-

um man feiert. Warum vertreibt man die Nacht mit Tanzen?

Anna: Ich glaube, es ist eine Art von

Eskapismus. Sich von den Anforderungen und Verpflichtungen der Woche abzugrenzen. Sich ein bisschen selbstbestimmte Lebenszeit zurückholen. Selbstdarstellung und Selbstinszenierung sind ja auch immer an so einen Clubabend gekoppelt. John: Die Menschen stellen sich nicht

so dar, wie sie sind, sondern wie sie selbst gerne sein würden. In einer Gesellschaft ohne Freiraum feiert man das bisschen Freiraum, das man bekommt. Und das passiert meistens nachts. Anna: Auch dieses Beispiel mit dem

Betrunkenen... In der Nacht gibt es eine andere Legitimation – man gesteht Leuten eher zu, so etwas in der Nacht zu tun. So wie man sich selbst zugestehen würde, in diesem Moment betrunken in der U-Bahn zu sitzen, weil man weiß, man hat diese Woche hinter sich und darf ein bisschen dem Hedonismus frönen. John: Und feiert miteinander.

Jetzt haben wir den Mythos Nacht ziemlich dekonstruiert. Ist die Nacht trotzdem noch immer die bessere Tageszeit, auch nach diesem Gespräch? Anna: Ich finde sie sehr toll, bin aber

mindestens ebenso gern in der Sonne beziehungsweise im Tageslicht. John: Die Nacht kann auch für jemanden, der einfach gerne schläft und sich in seinem kuscheligen Bett wohl fühlt, sehr erfüllend sein. Daran ist genauso viel persönlicher Gewinn gekoppelt, wie für jemand, der in der Nacht aktiv und kreativ ist und alle sozialen Einrichtungen in der Stadt sehen will. Man kann sehr viel Unterschiedliches aus der Nacht machen. Die Nacht ist nicht besser als der Tag, nur etwas, das wir weniger verstehen.

Foto: Manuel Köllner

Werden Nachtmenschen in unserer Gesellschaft diskriminiert?

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BIERERNSTES BUSINESS


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pätabends, ein nackter Busen. Christoph Geisler (er)starrt. Eine nackte junge Frau hat ihm soeben die Türe geöffnet. Hinter ihr stehen weitere junge, nackte Menschen und lachen. Jemand hält ihm einen Geldschein entgegen. Wenige Minuten zuvor hatte sich Geisler noch in eine blaue Plastikkiste von Kühlschrankgröße gebeugt, die im Laderaum eines gelben Kleintransporters steht. Er zog zwei Sechserträger Bier hervor und machte sich auf den Weg zu jener Wohnung, in der die Nackten eine Party feiern. Damit verdient er sein Geld. Nicht mit dem Feiern, sondern mit dem Bierbringen. Er liefert gekühltes Bier, wenn die Geschäfte Feierabend machen – und die Kunden durstig werden. Wenn Wiens Studenten feiern – ob nackt oder nicht – ist das gut für Geisler und sein Unternehmen bierher ­­ at. Studierende machen einen großen Teil seiner Kundschaft aus.

Fotos: Manuel Köllner

unternehmergeist + bierdurst Die Szene spielte sich allerdings schon vor Jahren ab. Heute ist der studierte Architekt 47 Jahre alt und rückt zwei leere Bierkisten zurecht, um eine passende Sitzgelegenheit für ein Gespräch zu schaffen. Da hockt er im Sommeroutfit, also mit Kurzarmhemd und angegrautem Drei-Tage-Bart, vor der Einfahrt des gemieteten Lagerraums im Ziegelgebäude der Ottakringer Brauerei und erzählt, dass er nach seinem Studium Ende der Neunziger irgendwie das unternehmerische Handwerk lernen und irgendwas mit dem gerade populär werdenden Internet machen wollte. Es ist ein Bierlieferservice geworden, wo auf einer Onlineplattform bestellt werden kann. Über Geisler an der Ziegelwand ist ein Baucontainer mit Fenstern befestigt: sein Büro und Logistikzentrum, um Bierbestellungen aus dem Großteil Wiens abzuwickeln. Zu Geislers Unternehmergeist kam ein persönliches Bedürfnis: Wie bekomm‘ ich abends bequem ein kühles Bier nach Hause?

kommt mit den Studis auch das Hauptgeschäft in die Stadt zurück. Obwohl die Studis im Sommer bei bierher als Kunden auslassen, haben sie in zweiter Hinsicht immer Saison: Während Geisler auf der Kiste sitzt und erzählt, klirren Flaschen hinten im Lagerraum. Stefan Zuba befüllt den gelben Lieferwagen. Der Wiener Jusstudent arbeitet seit zweieinhalb Jahren im Unternehmen. Der Lieferservice lebt von Studenten als Mitarbeiter. Die Arbeit als Lieferant sei prädestiniert zum Studentenjob. Geisler zählt mehr als zehn ehemalige Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeit bei bierher ihr Studium finanziert haben. Der Dienst im Lieferwagen endet meist zwischen ein und zwei Uhr morgens. Da sei es locker möglich am nächsten Vormittag in der Vorlesung zu sitzen.

„Du bestellst etwas online und es kommt real jemand vorbei und bringt dir etwas“, sagt Geisler. Ein Satz, mit dem vor etwas mehr als einem Jahrzehnt viele Menschen nicht viel anfangen konnten. Dieses Problem hatte auch Geisler mit seiner Geschäftsidee. Das Vorstellungsvermögen der Verantwortlichen in den Brauereien war noch nicht so weit. Mit einer Ausnahme. Die Vorarlberger Brauerei Fohrenburger hat an Geislers Idee geglaubt und Konditionen angeboten, mit denen der angehende Lieferant etwas anfangen konnte. Bald ist dann auch Ottakringer aufgesprungen, weil die Wiener Kundschaft vom Wiener Lieferservice das Bier forderte, das sie gewohnt war. Geisler wollte mit einem Lizenzsystem bierher auch in andere Städte bringen. Ein Lizenznehmer versuchte sich in Linz, scheiterte aber. Graz wäre die einzige Stadt in Österreich, die für Geisler noch Sinn ergeben würde. Es sei allerdings schwierig einen Partner zu finden, der genügend unternehmerisches Denken und Wissen mitbringe. Zudem wolle niemand ein Risiko eingehen.

20 EURO FÜR BLÖDE SCHMÄHS

mit den studis kommt das geschäft Bierher profitiert von einem für Studierende typischen Szenario: Es ist kurz nach acht Uhr abends. Du sitzt zu Hause und hast bis vor wenigen Minuten nicht gewusst, was der heutige Abend bringen wird. Doch vor Minuten riefen dich ein paar Freunde an, die gerade in der Nähe waren, und beschlossen dich zu besuchen. Der nächste Würstelstand liegt in unbequemer Distanz, Bier ist aber notwendig. „Die Leute planen nicht weit voraus“, sagt Geisler. Ein Vorteil für ihn ist auch, wenn sich Partyveranstalter verplanen. Dann werden ganze Lieferwagen bestellt. Der Sommer spielt gegen ihn. Die Studenten sind nicht da – und die, die da sind, haben viele Angebote, die sie spontan nutzen können, um nicht bei bierher zu bestellen. Im September und Oktober

In der Nacht ausliefern, am nächsten Morgen in die Vorlesung

Stefan Zuba ist ein zurückhaltender Mensch. Er steuert den Lieferwagen routiniert durch den Wiener Sommerabend. Er kennt die Vorlieben der Stammkunden. Zuba lächelt, wenn er sich an diverse Ausreden der Kunden zurückerinnert, warum gerade nicht bezahlt werden könne. Manche bestellen auch wieder ab. Das geht allerdings nur, solange der Lieferant noch nicht am Weg ist. Bei sturen Kundschaften helfe die Klagsdrohung. Das Anforderungsprofil des Lieferanten erfordert Gelassenheit. Der angetrunkene Steuerberater, der eine Feier für seine Kollegen schmeißt, ist für Zuba leicht auszuhalten. Er hat ihm um 70 Euro Bier und Schnaps geliefert und bekommt 20 Euro Trinkgeld dafür, dass er sich ein paar blöde Schmähs und ein Viertel der Lebensgeschichte des Kunden anhört. Solches Trinkgeld bleibt aber eher die Ausnahme. Nackte Studenten hat Zuba noch keine beliefert. Aber es sei schon bemerkenswert, wie wenig Wert auf Privatsphäre Menschen gegenüber Lieferanten legen, sagt Zuba. www.bierher.at

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Enzyklopädia Durstica

Die besten Trinkspiele der Welt. Getestet und mit dem Gütesiegel „Gut gegen DURST“ versehen. Gesundheitsrisiken bitte bei befreundeten Apothekern oder Ärzten ertfragen.

Von Manuel Köllner und Georg Eckelsberger

Possum

[sprich: di Hauör] (aus Frankreich)

(aus Neuseeland)

Utensilien: Uhr Spieler: 4+ Getränkeempfehlung:

Utensilien: Baum Spieler: 1+ oder je nach

Ricard, Pastis 51

Getränkeempfehlung: Bier

Spielablauf: Die Spieler trinken

Spielablauf: Der Spieler findet

nach der Uhr und eine volle Stunde lang. Zur vollen Stunde, zu jeder Viertelstunde (Ricard reimt sich auf quart), immer wenn eine Sechs oder Zehn kommt (six und dix reimen sich auf Pastis) sowie wenn die 51. Minute (Pastis 51) erreicht ist, wird angestoßen. In der Regel werden bis zu jedem Trinkzeitpunkt die Gläser geleert oder wahlweise ein Stamperl auf Ex getrunken. In der letzten Viertelstunde sind die Spieler beim Einschenken und Trinken zur Eile angehalten.

Ein Beispiel: 21:00, 21:06, 21:10,

21:15, 21:26, 21:30, 21:36, 21:45, 21:46, 21:51, 21:56, 22:00.

Tipp der Profis: Einer der

Baumvorkommen

einen geeigneten Baum, klettert mit ausreichend Bier hinauf und trinkt solange, bis er wieder herunterfällt.

Tipp des Profis: Ein Besoffener landet immer auf den Beinen. Ziel des Spieles: Wer sich nicht den Hals bricht, hat gewonnen.

King‘s Cup (USA)

Utensilien: ein großes Glas

oder ein Krug, Spielkarten

Spieler: 4 – 12

Mitspieler speichert sich alle Zeiten in den Wecker des Smartphones und zu jedem Trinkzeitpunkt ertönt der Ricard-Werbejingle.

Getränkeempfehlung: Je unterschiedlicher die Getränke der einzelnen Spieler desto besser.

Ziel des Spieles: Die Erkenntnis, dass Pastis sehr schräg schmeckt, ist das kleinste Problem.

Jolly-Kartendeck oder ein Pokerset ohne Joker rund um ein großes Glas oder einen Krug auf. Jeder

Spielablauf: Die Spieler legen ein

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zieht reihum eine Karte, die mit jeweils einer Aufgabe verbunden ist. Je nach gezogener Karte muss folgende Aktion ausgeführt werden: Ace – Waterfall: Alle Mitspieler

beginnen gemeinsam zu trinken. Derjenige, der in der Reihe am weitesten vom Ass-Zieher entfernt ist, darf als Erster zu trinken aufhören. Hat dieser aufgehört, darf der Nächste in der Reihe sein Glas absetzen und so weiter. Wer das Ass gezogen hat, darf zuletzt absetzen. Two – You: Wer die Zwei zieht, darf jemanden in der Runde bestimmen, der zu trinken hat. Three – Me: Wer die Drei zieht, trinkt. Four – Whores: Alle Frauen in der Runde trinken. Fife – Beer Bitch: Wer eine Fünf zieht, muss für die anderen Getränke holen, bis die nächste Fünf gezogen wird. Six – Dicks: Alle Männer in der Runde trinken. Seven – Heaven: Wird die Sieben gezogen, müssen alle die Hände Richtung Himmel strecken. Der Langsamste trinkt. Eight – Mate: Wer die Acht zieht, darf einen Trinkfreund bestimmen, der bis zum Ende des Spiels mit ihm mittrinken muss. Nine – Rhyme: Der Zieher der Neun sagt einen Spruch oder ein Wort, auf das alle Mitspieler

einen Reim erfinden müssen. Kein Reim darf doppelt vorkommen. Wer keinen findet, trinkt. Ten – Category: Wer die Zehn zieht, nennt eine Kategorie, zu der er selbst und die Mitspieler einen passenden Begriff nennen müssen. Wer keinen oder einen falschen nennt, trinkt. Jack – Make a Rule: Wer einen Buben zieht, darf eine neue Regel aufstellen. Wer die Regel bricht, trinkt. Der Klassiker: Niemand darf mehr mit Vornamen angesprochen werden. Queen – Question Master:

Wer die Dame zieht, muss jede Frage, die an ihn gerichtet wird, mit einer Frage beantworten. Wer drauf vergisst, trinkt. Wer die nächste Dame zieht, erlöst den bisherigen Question Master. King – King‘s Cup: Alle schütten einen Teil ihres Getränks in das Gefäß in der Tischmitte und derjenige, der den König gezogen hat, trinkt es aus. Tipp der Profis: Die Regelvariante, dass bei den ersten drei gezogenen Königen der Krug befüllt wird und der Zieher des vierten Königs alles austrinken muss, ist besonders ambitionierten Spielern zu empfehlen. Ziel des Spieles: Alle vier Könige zu ziehen und sich beim Trinken des Cups würdelos einzusauen ist für jeden Trinkspielprofi nicht nur Ziel, sondern Ehre.

Foto: Christian Bretter, Klebeschrift: Kurt Rudolf

The Hour

DURST 2/12

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Mäxchen (Deutschland)

Utensilien: zwei Würfel,

Würfelbecher

Spieler: 4 -10 Getränkeempfehlung: Shots Spielablauf: Es wird reihum

verdeckt gewürfelt, mit dem Ziel höher zu würfeln als der Vorwürfler. Die Punkteanzahl der Würfel ergibt den Gesamtwert. Das Mäxchen, also ein Würfel zeigt 1 und einer 2, besitzt den höchstmöglichen Wert. 1 und 3 hat den niedrigsten. Es ergibt sich diese Wertreihenfolge: 31, 32, 41, 42, 43, 51, 52, 53, 54, 61, 62, 63, 64, 65, 11, 22, 33, 44, 55, 66, 21. Entscheidend ist nun die Fähigkeit überzeugend zu lügen. Würfelt der erste Spieler eine 42, muss der nächste höher würfeln. Da verdeckt gewürfelt wird, kann der Folgespieler behaupten, er hätte 51 gewürfelt. Er übergibt dem Nächsten in der Reihe verdeckt sein Würfelergebnis. Dieser kann es ihm glauben und weiterwürfeln oder das Ergebnis überprüfen. Deckt er einen Lüge auf, trinkt der Lügner. Wurde nicht gelogen, trinkt der Aufdecker. Wer das Mäxchen würfelt, deckt dieses auf und der nächste an der Reihe trinkt/zahlt die nächste Runde. Wer einen Würfel fallen lässt, trinkt wegen unerlaubter Blödheit.

Tipp der Profis: Nach jedem

Mäxchen sollte die Richtung gewechselt werden, um sich auch für etwaige Lügen rächen zu können. Ziel des Spieles: Die Mimik auch unter starken Alkoholeinfluss beherrschen zu können, ist zwar kein hehres, aber doch ein Ziel.

Ich hab‘ noch nie (Dänemark)

Utensilien: Ehrlichkeit,

Leidensfähigkeit Spieler: 3 - 10

im Kreis Platz, beginnend beim Jüngsten und im Uhrzeigersinn muss nun jeder eine Sache nennen, die er noch nie in seinem Leben getan hat. Zum Beispiel: „Ich hab‘ noch nie etwas gestohlen.” Jeder, der das schon gemacht hat, muss daraufhin einen Schluck aus seinem Glas nehmen.

Tipp des Profis:Nach zwei bis drei

Fragen rutscht „Ich hab‘ noch nie” verlässlich auf zotiges SkikursNiveau ab, nach zwei Runden fühlt man sich wie im Sesselkreis im Swingerclub. Das ist nicht zu verhindern, wer vor hat ein wenig Würde zu bewahren, spielt besser gar nicht mit. Ziel des Spiels: Der Betrunkenste ist gleichzeitig derjenige, der sich in seinem Leben schon die meisten Kerben verdient hat – jeder Schluck ein Schulterschlag. Die Eigendynamik dieses „Kennenlernspiels” ist allerdings nicht zu unterschätzen: Willst du wirklich alles über deine Freunde oder gar deinen Partner wissen?

Die Münze (Kärnten)

Utensilien: Ein Bierkrügerl, eine

5-Cent-Münze, ein robuster Tisch

Spieler: 2 - 10 Getränkeempfehlung: Villacher Spielablauf: Jeder Spieler in der

Runde versucht der Reihe nach mit der Münze in das Krügerl zu treffen, das in der Mitte des Tisches steht – der Clou ist: Die Münze muss davor die Tischplatte berühren und erst von dort in das Glas hüpfen. Das ist nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Anfangs ist das Glas zu einem Viertel gefüllt – trifft die Münze ins Glas, muss der nächste Spieler den Krug leeren. Doch Achtung: Bei jedem Treffer an die Kante wird das Glas weiter aufgefüllt. Prost!

Tipp der Profis: Bitte beim Trinken

darauf achten, die Münze nicht zu verschlucken. Das passiert!

Ziel des Spiels: Als Trinksport lebt das Spiel von persönlichem Triumph und der Gehässigkeit gegenüber seinen Gegnern. Prinzip: Schadenfreude. Aber wie im Sport: Am Ende sind dann alle wieder Freunde.

Beerpong (USA)

Utensilien: 18 Pappbecher, 2

Tischtennisbälle, ein länglicher Tisch (ideal: Heurigentisch) Spieler: 4 Getränkeempfehlung: Bier, leichte Mixgetränke Spielablauf: Zwei Zweierteams

stehen sich an den Enden des Tisches gegenüber. Vor ihnen: Jeweils neun halb gefüllte Becher, in einem Dreieck angeordnet, das auf das gegnerische Team zeigt. Abwechselnd haben die Teams nun die Chance die Tischtennisbälle in den gegnerischen Bechern zu versenken – jeder getroffene Becher muss vom Gegner ausgetrunken werden. Wer zuerst keine Becher mehr vor sich stehen hat, verliert.

Tipp des Profis: Sind nur noch vier Becher am Tischende des Gegners, darf dieser aufgefordert werden sie anders anzuordnen. So wird das Zielen wieder leichter. Ziel des Spiels: Dieser Teamtrink-

sport ist popkulturell in den USA beheimatet – über dortige High-School und College-Parties erzählt man sich so manche Schauermärchen. Doch bei Beerpong soll eigentlich der sportliche Wettkampf im Vordergrund stehen – denn richtig betrunken werden nur die Verlierer.

Kottabos

(antikes Griechenland) Utensilien: Sofas; flache, antike Weinkelche mit zwei Henkeln; ein antikes Kottabos-Gestell Spieler: 2+

Getränkeempfehlung: Wein Spielablauf: Idealerweise besitzt

einer der Mitspieler ein antikes Kottabosgestell. Das sieht aus wie eine Art Stehlampe. An der Spitze des Gestells befindet sich eine Vorrichtung, auf der eine kleine Schale balanciert werden kann. In der Mitte ist an der Stange eine weitere größere Schale angebracht. Die Mitspieler liegen auf einem Sofa. Jeder hält einen Weinkelch in der Hand. Der rechte Zeigefinger wird durch den Henkel der Weinschale gesteckt und das Gefäß wird in Rotation gebracht. Ist genug Schwung geholt, schleudert der Spieler den Wein aus dem Kelch Richtung Gestänge. Wer es schafft, mit dem Wein die kleine Schale an der Spitze zu Fall zu bringen, und dass diese auch noch die größere mit zu Boden befördert, hat gewonnen. Alle trinken durchgehend und unabhängig voneinander. Tipp des Profis: Der Ursprung des Spiels wird auf das 4. bis 5. Jahrhundert v. Chr. datiert, daher ist eine Orgie der einzig geeignete Rahmen für Kottabos. Dieses Spiel wird nur fortgeschrittenen Alt-Philologen empfohlen.

Cineastenunterhaltung (weltweit)

Dazed & Confused: Immer wenn die junge Hauptfigur Mitch Kramer die Nase reibt oder einer seiner Freunde den Hintern versohlt bekommt, heißt es „Prost!”. The Big Lebowsky: Jedesmal wenn der Dude einen White Russian trinkt, trinkst du mit. Reservoir Dogs: Trinke immer, wenn jemand „Fuck” sagt. Stirb langsam: Trinke immer, wenn irgendetwas in die Luft fliegt und jedesmal, wenn Bruce Willis einen der bösen Buben ausschaltet. Dirty Dancing: Trinke immer, wenn der enttäuschte Blick eines Vaters zu sehen ist. Goodfellas: Jeder Mitspieler sucht sich einen der Hauptdarsteller aus und trinkt, wenn dieser flucht.

Foto: Christian Bretter, Klebeschrift: Kurt Rudolf

Getränkeempfehlung: Longdrinks

Spielablauf: Die Spieler nehmen

DURST 2/12

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33 27.09.2012 15:23:58 Uhr


WANN GEHEN WIR INS BETT? Zwei Menschen treffen einander zum ersten Date. Der Abend verl채uft durchaus harmonisch. Man/frau sp체rt, dass es beim Gegen체ber erotisch britzelt. Soll man/frau darauf eingehen? Wenn ja, wann?

Sofort Beim n채chsten Date Nach dem dritten Date Nach der Hochzeit Vielleicht Nie

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ILLUSTRATION: KURT RUDOLF

Von: Sandra Eigner, Raffael Fritz, Georg Eckelsberger und Thomas Askan Vierich (und wer von euch war mit wem in der Kiste?)

DURST 2/12

27.09.2012 14:33:15 Uhr


Illustration: Kurt Rudolf

Sofort

D

u willst es doch auch. Das wollte ich schon immer einmal sagen. Aber du musst zugeben, wir haben es beide gleich gemerkt, als wir einander das erste Mal in die Augen geschaut haben. Die Natur kennt da kein Pardon. Warum sollten wir also noch tagelang über unsere Lieblingsbands, -serien, -filme und -frühstücksflocken verhandeln, wenn doch jetzt schon alles klar ist? Sonst kommen wir am Ende noch drauf, dass einer von uns Nickelback hört oder Strache-Fan auf Facebook ist. Du hast sicher auch im RhetorikKurs gelernt, dass die Körpersprache ohnehin viel wichtiger ist als der Inhalt. Und unsere Körper sprechen eine eindeutige Sprache. Warum lassen wir nicht einfach die miteinander verhandeln? Du kannst auch zu mir kommen, ich habe eine nette Wohnung mit einem großen Bett (und eine Großpackung Kondome). Frühstück gibt’s auch. Und ob unsere Körper wirklich zusammenpassen wie Schwert und, nun ja, Scheide, finden wir am besten raus, wenn wir es ausprobieren: Wem du‘s heute kannst besorgen ...

betrunken zu versuchen, die Sache gleich in derselben Nacht über die Bühne zu bringen? Es ist wie mit dem Videospiel: Man hat die Trailer gesehen, weiß, dass man bald selbst zocken wird – viel besser wird es nicht mehr! Steckt das Spiel erstmal in der Konsole, kämpft man sich mühselig durchs erste Level. Und bevor man richtig zum Spielen kommt, ist man müde und schläft deprimiert ein. Mal ganz ehrlich: Wer es noch in derselben Nacht tut, hat gute Chancen, dass man die Angelegenheit beidseitig als One-Night-Stand abhakt. Dagegen gibt es ja auch nichts einzuwenden. Aber tut man es erst beim zweiten Treffen, steigen sofort die Chancen auf ein waschechtes Techtelmechtel. Und dann schafft man es gern auch mal über das erste Level hinaus.

Nach dem dritten Date

Beim zweiten Treffen

A

ls Kind war eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich regelmäßig zu treffen hatte, ob ich mein gesamtes Taschengeld für irgendein neues Videospiel ausgeben oder lieber sparen sollte. Zwischen den Regalen im Elektrofachgeschäft riet mir meine Mutter: „Schlaf nochmal drüber, Vorfreude ist die schönste Freude.” Nun pflege ich zwar nicht meine Mutter in Sexsachen um Rat zu fragen, aber: Würde man sich öfters dazu durchringen, nochmal drüber zu schlafen als miteinander, man würde sich wohl einiges ersparen. Was hat es für einen Sinn nach all der Anstrengung und Verwirrung des Kennenlernens, auch noch vermutlich mittelschwer

DURST 2/12

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E

ine junge Frau muss heutzutage ihre Prinzipien haben. Und was gut genug für Katherine Heigl ist, muss für mich schon lange reichen. Nicht umsonst verwenden die Amerikaner für den Dating-Fortschritt Baseballmetaphern, da versteht es sogar noch der dümmste Mann. Heute, beim ersten Date, geht es maximal zur ersten Base (Küsschen). Auch beim Baseball gelingt in den allerseltensten Fällen beim ersten Schlag schon ein Homerun. Das tut keinem Spiel gut, und sonst denkt er noch, ich wär eine Schlampe. Wenn er mich noch einmal ausführt, darf er auch mit Zunge, damit er weiß, dass es bei mir wirklich etwas zu holen gibt. Vielleicht lass ich ihn auch unter den BH. Und beim dritten Date ist es dann so weit, dann muss es soweit sein, schließlich bin ich weder prüde noch unfähig. Wenn sich selbst im oversexten Amerika alle an diese Regeln halten, muss es auch

schlecht entscheiden kann. Vielleicht will ich auch nicht dominant erscheinen. Man hat schließlich nicht umsonst Genderstudies belegt. Außerdem muss ich mir dann am nächsten Morgen keine Vorwürfe anhören. Ich kann immer sagen: Aber du hast mich doch auf ’s Klo gezerrt / in diesen Hauseingang/ mich in deiner Wohnung betrunken gemacht. Betrunken ist eh gut. Dann kannst du für nix verantwortlich gemacht werden. Blöd nur, dass man selten viel mitkriegt. Obwohl: Vielleicht auch besser so, wenn ich mir deine eckige Brille anschaue. Aber wurscht: Trink ma noch was und dann entscheidest du: zu mir oder zu dir.

hier funktionieren. Schließlich bin ich bei diesem Date nicht die einzige Teilnehmerin, die romantische Komödien schaut. Schon ehrlich von ihm, das zuzugeben. Danke Hollywood und Baseball!

Nach der Hochzeit

E

ines ist mal ganz klar, mein Jungfernhäutchen gibt es für nicht weniger als einen Ring. Gold oder Weißgold, und wenn es sein muss auch Silber, aber: Ein Ring muss her. Und wenn er glaubt, dass er mich bloß billig mit dem Heiratsantrag abspeisen kann, dann wird er mich noch kennen lernen. Erst wenn ich unter der Haube bin, kommt mir der unter den Rock. Mama hat schon Recht, heutzutage geht das alles viel zu schnell. Gott sei dank geht der Trend nicht nur bei mir zurück zu Heim und Herd, da spricht die Statistik für mich. Aber wenn er mich weiter so erwartungsvoll anschaut, dann hilft alles nichts, dann muss ich ihm mit der Bibel kommen. „Denn dies ist der Wille Gottes, {...} dass ihr Euch fernhaltet von aller Hurerei“, heißt es im ersten Brief an die Thessalonicher. Wenn er der Vater meiner Kinder werden will – und das ist ja wohl klar, sonst hätte er mich nicht zum Essen eingeladen –, dann wird er warten können. Was sind schon ein paar Jahre gegen den Rest seines Lebens, eines Lebens zwischen meinen Lenden!?

Nie

M

ein Mantra: Sex wird überschätzt. Trotzdem reden alle drüber. Unsere Gesellschaft ist von vorne bis hinten durcherotisiert, bis kein Stückchen Erotik mehr übrig bleibt. Wo bleibt die Scham? Die Aufregung eines Stückes nackter Haut ansichtig zu werden! Wenn sie einem ständig und ungefragt ihren gepiercten Bauchnabel und ihre aufgepuschten Brustansätze entgegenrecken. Die Dame gegenüber will ganz offensichtlich. Ich aber nicht. Obwohl ich sie sehr nett finde, charmant, interessant. Aber ich habe kein Kondom dabei, sie sicher auch nicht, meine Wohnung ist nicht aufgeräumt und sie hat was von einer Sechser-WG gemurmelt. Viel zu anstrengend. Wozu der Aufwand. Können wir nicht einfach Freunde sein? Auch wenn wir Mann und Frau sind. Das muss doch möglich sein. Aber wie bringe ich ihr das bei? Charmant, ohne dass sie sich als Frau zurückgestoßen fühlt. Am besten gar nicht. Am besten täusche ich eine volle Blase vor und komme einfach nicht wieder zurück an den Tisch. Gehe nach Hause, lege mir eine schöne Platte auf, rauche noch eine Zigarette (hier darf man nicht und sie ist Nichtraucherin) und genieße meinen Seelenfrieden. Der da unten hat nix zu melden. Ich bin stärker als er. Wäre doch gelacht.

Vielleicht

M

ein größtes Asset? Ich bin leicht verführbar. Gut für dich! Ich spür doch, dass du es willst. Will ich es auch? Egal. Ich überlass beim Sex gerne der Frau die Initiative. Sonst im Leben eigentlich auch. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich so

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Mit Blaulicht durch die Nacht Viele Studenten arbeiten neben dem Studium freiwillig als Rettungssanitäter. Ein Job mit Sinn, aber auch ein Job, der belasten kann. DURST war eine Nacht mit einem Rettungsteam unterwegs. Von Yvonne Widler

E

in kalter verregneter Septemberabend, 19 Uhr. Im Aufenthaltsraum der Station Favoriten sitzt die weiß gekleidete 50-jährige Angelika Buchinger inmitten von jungen rotuniformierten Männern. Es herrscht beinahe Wohnzimmeratmosphäre, als plötzlich ein Signal ertönt. Alle blicken zu dem Leuchtbalken über der Türe. „NEF, Einsatz!“ Blitzschnell laufen wir die Stiegen hinunter in die Garage. NEF, das Notarzteinsatzfahrzeug, steht für uns bereit. Ronald Packert von der Wiener Rettung und ich nehmen hinten im Wagen Platz, die Ärztin und ein Rettungssanitäter sitzen vorne. Mit Blaulicht düsen wir los. Buchinger zückt sofort das so genannte toughbook, eine Art Laptop, wo die wichtigsten Informationen über den aktuellen Einsatz festgehalten werden. „Ältere Dame, Schmerzen in der Brust, Blutzuckerwert bei 480 und uneinsichtig.“ Wir fahren über rote Ampeln, weichen auf Straßenbahnschienen aus, die Reifen des Wagens drehen ab und zu durch. Die Autos machen überraschend schnell Platz und es vergehen keine sieben Minuten, bis

wir am Einsatzort angelangt sind. „Wir können innerhalb von zehn Minuten an jedem Ort in Wien sein“, sagt Packert. Zehn Minuten können über Leben und Tod entscheiden. Wir springen aus dem Wagen, der Sanitäter schnallt sich seinen 15 kg schweren Rettungskoffer samt EKG-Gerät um. Wir laufen in den dritten Stock hinauf. Die ältere Dame sitzt im Wohnzimmer. „So viele Leute, nur wegen mir!“ Angelika Buchinger kniet sich vor sie hin und untersucht sie. „Es wäre besser, wenn Sie mitkommen, ich kann Sie aber nicht zwingen.“ Die Frau möchte auf keinen Fall ins Krankenhaus, und so verlassen wir den Einsatzort wieder und fahren zurück auf die Station. Auf dem Rückweg hat Angelika Buchinger wieder das toughbook auf dem Schoß und tippt. „Vor allem nachts arbeite ich gerne. Da habe ich das Gefühl, alle schlafen und wir passen auf sie auf.“ Draußen wird es dunkler. Wieder sitzen wir im Aufenthaltsraum. „Normalerweise habe ich pro Nachtdienst mindestens eine Reanimation.“ Mir wird etwas mulmig. Buchinger streicht sich die dunklen, kinnlangen Haare

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zur Seite und richtet sich die Brille. Der Unterschied zum Tagdienst liegt für sie in der Art der Einsätze. „In der Nacht handelt es sich eher um interne Dinge, wie Herzinsuffizienz, Atemnot, Schlaganfall, ältere Menschen, die nicht weiter wissen, Herz-Kreislaufstillstand, aber auch Selbstmorde. Die Verkehrsunfälle gehören eher dem Tagdienst.“ Sie lässt sich in die braune Ledercouch im Aufenthaltsraum fallen, um 22 Uhr wird sie noch einmal aufspringen, der erste Einsatz wird sich beinahe wiederholen: Ältere Dame, Schmerzen in der Brust, Blaulicht, kein Krankenhaus.

„Vorsicht, Nadel!“ Mitternacht. Wir finden einen 57-jährigen Mann, der wie Rettungssanitäter Thomas meint, „bewusstseinsbeeinträchtigt“ hinter einem Busch auf dem Boden liegt. Alkoholvergiftung. Die Sanitäter testen, ob er ansprechbar ist und versuchen, ihn aufzurichten. Erfolglos. Sofort wird die Liege geholt und der Mann in den Wagen transportiert. Alles geht rasend schnell. „Vorsicht, Nadel!“ schreit Thomas. Alle machen

einen hastigen Schritt zur Seite. In der rechten Hand hält er die gerade verwendete Nadel, die er ganz weit hochgehoben ans andere Ende des Wagens bringt und dort in eine kleine gelbe Box wirft. Danach zieht er seine Plastikhandschuhe aus und wirft auch diese weg. Er zieht sich sofort neue an. „Wie lang liegen Sie schon da?“ Der Mann versucht seinen Blick auf den Sanitäter zu richten. „Ich glaub, seit neun Uhr ungefähr. Drei, vier Leute sind eh schon vorbeigegangen, haben mir aber nicht geholfen.“ Er wendet seinen Blick zur Seite und sagt: „Ich Oaschloch, ich.“ Die Wiener Rettung fährt rund 165.000 Einsätze pro Jahr. Der Umgang ist in letzter Zeit rauer geworden. „Einem Sanitäter wurde einmal ein Finger abgebissen“, erzählt Thomas. „Bei jedem von uns gibt es ein, zwei Einsätze, die in Erinnerung bleiben, weil sie so dramatisch waren. Fälle, wo psychische Akutbetreuung notwendig war“, sagt Stationsleiter Wolfgang Amesmann, als wir zurück in der Zentrale sind. Kurz ist Stille im Aufenthaltsraum. Ronald Packert durchbricht die Stille und erinnert sich an seine Anfangszeiten: „Ich habe, wie ganz viele bei uns und auch wie die meisten Studenten, die bei uns arbeiten, beim Bundesheer Sanitäter gemacht. Das Wissen, im Notfall helfen zu können, unterstützen zu können, wenn es um Leben und Tod geht, das ist wirklich wichtig. Das war immer meine Motivation und bringt mir heute noch ein gutes Gefühl.“ Viele Studenten arbeiten nebenbei bei befreundeten Organisationen und absolvieren dort auch den Basiskurs zum Rettungssanitäter, die meisten als Freiwillige. Aufgrund der rotierenden Dienstzeiten ist es schwierig, neben dem Studium fix als Sani zu jobben. Es ist schon spät. Geli, wie Angelika Buchinger genannt wird, legt sich hin. Bilanz: Zwei Hausbesuche, ein Alkohol-Einsatz, viel Blaulicht. Später wird sie sagen, dass es eine ruhige Nacht war.

Fotos: Yvonne Widler, Klebeschrift: Kurt Rudolf

Alles geht rasend schnell. „Vorsicht, Nadel!“, schreit Thomas. Alle machen einen hastigen Schritt zur Seite

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27.09.2012 14:33:59 Uhr


„Weh denen, die des Morgens früh auf sind, des Saufens sich zu fleißigen, und sitzen bis in die Nacht, dass sie der Wein erhitzt, und haben Harfen, Psalter, Pauken, Pfeifen und Wein in ihrem Wohlleben und sehen nicht auf das Werk des Herrn und schauen nicht auf das Geschäft seiner Hände!“ Jesaja (6. Jh. v. Chr.), Prophet,

KLEBESCHRIFT: KURT RUDOLF

Bibel, Altes Testament, Buch Jesaja, 5, 11-12

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Wie der Mensch trinkt, so isser auch Das Trinkverhalten als Spiegel zur Seele. Studentische Trinkertypen als mahnende Exempel.

Die Aperol-Bitch

Der KO-Tröpfler

Die Shot-Trinkerin

Die Aperol-Bitch trifft man stets in Begleitung ihrer zwei BFFs, die sie „Ladies“ nennt. Sie profitieren vom Cheerleader-Effekt und sind leichter zu haben, als sie zugeben. Trennt man sie jedoch, verblasst der Zauber und man kommt in einer Unterhaltung über Gelnägel und Chihuahuas wieder zu sich.

Der KO-Tröpfler bemisst seinen Erfolg an der Anzahl von Leuten, die nach einer durchfeierten Nacht bewusstlos vor dem Lokal liegen. Entgegen der gängigen Meinung geht es ihm nicht darum, Mädchen gefügig zu machen, sondern eine Mut-Tinktur für schüchterne Mauerblümchen zu entwickeln. Er arbeitet noch an der richtigen Konzentration.

Die Shot-Trinkerin hat keine Zeit zu verlieren. Morgen früh muss sie wieder auf der MedUni den Aufbau des Magens auswendig lernen, deshalb testet sie abends noch schnell, wie er sieben Tequila verträgt: schlecht.

Trinkt: Aperol, Hugo und alles, was bunt ist und knallt, nie Bier, gerne Red Bull

Trinkt: Jugendgetränk, selten Alkohol, einer muss ja nüchtern bleiben

Studiert: Medizin

Studiert: BWL oder Jus

Studiert: Chemie

Hört: alles, wenn es nicht anstrengend ist und es die anderen auch hören

Hört: Acid Rock, Heavy Metal

Liest: „Österreich“ und das „New England Journal of Medicine“

Liest: Science Fiction, Hardboiled Krimis

Verkehrt: zwischen Leichenhalle und Großraumdisco

Verkehrt: privat in Bierkneipen, auf Beutezug in schicken Szeneläden

Trägt: H&M-Basics, bequem und preiswert

Trinkt: alles, was in 2cl-Gläsern serviert wird

Hört: 8-bit-Pop

Liest: Skripten und das „Seitenblicke“-Magazin Verkehrt: nüchtern in Hotelbars, besoffen im Bermudadreieck Trägt: Markenklamotten aus dem Outlet, second season, aber nie second hand

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Trägt: Jeans, Kordhosen, H&M, P&C

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Von Mara Simperler und Sandra Eigner • Illustrationen von Kurt Rudolf

Der Flatratetrinker

Die Vorglüherin

Der Abstinenzler

Der Flatratetrinker hat lange trainiert, nun kann er einen halben Liter trinken, ohne dazwischen zu schlucken. Gott sei dank sind die Mischungen auf Flatrateparties so schwach, dass er davon keine Alkoholvergiftung bekommt.

Nur ihre besten Freunde wissen, wie sie wirklich ist. Wer sie in der Öffentlichkeit trifft, kann nicht ahnen, dass sie zu früherer Stunde sogar zu tiefsinnigen Gesprächen fähig war. Sie selbst glaubt, auch um vier Uhr früh über Bourdieu zu reden, tatsächlich sagt sie aber bloß permanent „Wuuuwiiiööö Oida“.

Bei seinen Freunden sehr beliebt, weil verlässlicher Autofahrer, fühlt sich der Abstinenzler in seiner Nüchternheit oft missverstanden. Er würde so gerne einmal ein Gespräch über Ovids Metamorphosen führen, doch alles was ihm entgegenkommt ist „ Wuuuwiiiööö Oida“.

Trinkt: ALLES und davon VIEL

Trinkt: Wasser und Virgin Coladas Studiert: Studieren? Ich bin hier auf Erasmus!

Trinkt: Grüner Veltliner um 1,99 die Flasche, Gambrinus Bier (kalt schmeckt alles!)

Studiert: Vergleichende Literaturwissenschaft

Hört: Songs, bei denen man auch nach sechs Bacardi Cola noch mitgrölen kann (Lieblingslied: „Call me Maybe“)

Studiert: Soziologie

Liest: die Flyer, die vor der WU verteilt werden

Hört: Elektro-Jazz und kanadische Pop-Folk-Bands

Verkehrt: in Gürtelbahnbogen-Lokalen rund um die Nussdorfer Straße in Wien

Liest: offiziell Bourdieus „Die feinen Unterschiede“, heimlich „Fifty Shades of Grey“ und Nicholas Sparks

Trägt: Abercrombie & Fitch, man ist ja schließlich ein Weltenbummler und Mann von Welt

Verkehrt: vor Mitternacht in der WG-Küche, danach weiß sie es selbst nicht mehr so genau

Verkehrt: in den Bibliotheken dieser Welt und elitären Lokalen mit nicht zu lauter Musik und nicht zu schlechter Beleuchtung (man will sich beim Lesen schließlich nicht die Augen ruinieren)

Trägt: alles was hip ist, obwohl sie natürlich kein Hipster ist

Trägt: nichts Prätentiöses, schlicht und einfache Farben

Hört: Ö1 und wenn er‘s besonders wild treibt, legt er mal eine Oper von Verdi ein Liest: alles, was es zu vergleichen gilt

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Der Maßbiertrinker

Der Whiskeykenner

Die Sex-and-the-City-Tussi

Dank Bier hat er nicht nur eine weiche Seele, sondern ist auch um die Mitte eher soft. Angeblich verhelfen die Hormone im Bier zu mehr Busen, das gilt aber auch für Männer. Eigentlich ein sehr bodenständiger Mensch, fällt der Maßbiertrinker nach zehn Humpen aber auch schon mal vom Biertisch.

Der Whiskeykenner kam schon als Pensionist zur Welt. Was andere als braune Brühe betrachten, beschreibt er als „bernsteinfarbene Glückseligkeit“. Auch bei Frauen hat er einen exquisiten Geschmack: reif, wohlmundend, aber noch nicht im Eichenfass.

Als „SatC“ noch im Fernsehen lief, durfte die Tussi noch nicht einmal legal Wein kaufen. Trotzdem besitzt sie sämtliche Staffeln auf DVD und hält sich für eine „Carrie“. In fünf Jahren wird sie sich dafür schämen, dann wird sie aber zumindest endlich das Sexleben haben, das sie sich jetzt nur vorstellt.

Trinkt: Weißbier, Starkbier, Bockbier, tschechisches Bier, bayrisches Bier, ...

Trinkt: edle Tropfen aus den schottischen Highlands, die älter sind als er selbst

Trinkt: Cosmopolitans

Studiert: klassischer Gesang und Piano

Studiert: Publizistik

Hört: Alternative Country und Selbstkomponiertes

Hört: Café del Mar

Liest: Notenhefte

Liest: die Sex-Tips in der „Glamour“, die „Vogue“ kann sie sich nicht leisten

Studiert: Agrarwissenschaften Hört: Andreas Gabalier und Austropop Liest: „Kronen Zeitung“ und Online-Witzseiten Verkehrt: in Theaterbars und Gentelmen-Clubs Verkehrt: am billigen Abklatsch des Oktoberfests im Wiener Prater und den Rest des Jahres im Schweizerhaus Trägt: kariertes Hemd, Lederhose, Lebkuchenherz um den Hals

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Trägt: in der Öffentlichkeit Anzüge und zu Hause nichts

Verkehrt: zur Happy Hour in Lokalen, in denen Schirmchen und Zuckerrand an den Gläsern zum guten Ton gehören Trägt: hohe Schuhe und goldene Namenskettchen

DURST 2/12

27.09.2012 14:36:15 Uhr


Der Sommelier

Die Eingeladene

Der Flachmann

Der Sommelier geht in Psychoanalyse, weil er es nicht verkraftet, den guten Wein nach der Verkostung in den Eimer zu spucken. Um besser einzuschlafen zu können, blättert er im Bett durch den Jungwinzerkalender.

Man weiß nicht, wer sie wirklich ist, sie spiegelt immer nur die Wünsche ihres Gegenübers wider. Manchmal legt sie dafür sogar einen französischen Akzent auf: „Voulez vous coucher avec moi?“ Es wird aber nie „ce soir“ passieren, denn blickt man einmal kurz weg, ist sie auch schon wieder verschwunden.

„Do glaubst du trinkst an Bam“, sagt der Flachmann jetzt schon seit sieben Jahren jedes Mal, wenn er seinen treuesten Begleiter auspackt. Dass er der einzige ist, der noch über den Schmäh lacht, fällt ihm nicht auf.

Trinkt: was ihr vorgesetzt wird

Studiert: Sport

Studiert: Tourismusmanagement an der FH

Hört: alles, was gute Laune macht, von Bob Marley bis Blink182

Trinkt: in feuchten Träumen alleine eine Flasche Mouton Rothschild von 1945

Trinkt: selbst gebrannten Zirbenschnaps

Studiert: Weinbau, Önologie und Weinwirtschaft an der BOKU Hört: den Weinreben beim Wachsen zu Hört: David Guetta und alles, was sich so ähnlich anhört Liest: die Etiketten seiner Lieblingsweine Verkehrt: auf Winzerfesten in der Südsteiermark

Liest: nix außer Mitschriften von Vorlesungen, in denen sie nicht war

Trägt: ein rotes Hemd, damit man die Zweigelt-Flecken nicht sieht. Unverzichtbares Accessoire: Spuckbecher.

Verkehrt: am Feuerwehrfest und überall sonst, wo die Getränke genau so billig sind wie die Männer

Liest: Wanderkarten und die Biographie von Reinhold Messner Verkehrt: im Sommer am Segelboot, im Winter auf der Schipiste und dazwischen am Berg Trägt: Neopren und Neonfarben

Trägt: „was mit Ausschnitt“

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41 27.09.2012 14:36:23 Uhr


Illustration: Kurt Rudolf

Gar nicht schlafen ist garantiert ungesund. Wir wissen, was wann mit dem Kรถrper passiert.

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DURST 2/12

27.09.2012 14:37:04 Uhr


Durchmachen! Etwa sieben Stunden Schlaf braucht der Mensch pro Tag, sagen Experten. Aber was passiert mit unserem Körper, wenn er gar keinen Schlaf bekommt? Studien zeigen: Wir werden fett, hässlich und verrückt. Wann, ist allerdings individuell unterschiedlich. Von Martina Powell

Was passiert wo? Verwirrung Gedächtnisschwäche Kopfschmerzen Depression Halluzinationen Stimmungsschwankungen

Aufmerksamkeitsstörungen Konzentrationsschwäche Symptome, die einer Hyperaktivitätsstörung und Psychose ähnlich sind (Vergesslichkeit, Zappeligkeit, Angstzustände, Wahnvorstellungen) Blutunterlaufene Augen und Augenringe Muskelverspannungen

Schüttelfrost erhöhte Kälteempfindlichkeit Erhöhter Blutdruck Erhöhtes Diabetes-Risiko

Illustration: Kurt Rudolf

Änderungen der Stoffwechselaktivität: Der Cortisolspiegel steigt im Blut (dieses Hormon ist an Stressreaktionen beteiligt), die Immunabwehr ist beeinträchtigt und die Fähigkeit des Körpers im Umgang mit Glukose lässt nach. Damit besteht ein höheres Risiko für Gewichtszunahme und Diabetes. Schlafentzug kann auch heilsam sein: Sind die Botenstoffe Acetylcholin und Serotonin im Gehirn aus dem Gleichgewicht gekommen, kann ein kontrolliertes „Durchmachen“ sogar antidepressiv wirken.

DURST 2/12

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Wann passiert was? Wann Muskelverspannungen, Konzentrationsschwäche oder ähnliches durch Schlafentzug einsetzen, ist schwer zu sagen. Jeder Körper reagiert unterschiedlich. Experimente in Deutschland und den USA zeigten, dass etwa Folgendes passiert: 24 Stunden Schlafentzug: Du wirst reizbarer, aggressiver. Einfache Rechenaufgaben fallen dir schwerer als sonst. Deine Reaktionsfähigkeit nimmt ab: Du hörst und siehst so schlecht, als hättest du etwa eine Promille Alkohol im Blut. 65 Stunden Schlafentzug: Du glaubst, Spinnweben auf deinem Arm zu sehen, du halluzinierst, ein Hut schnüre deinen Schädel ein. Bereits ab der zweiten durchwachten Nacht treten Wahnvorstellungen und kurze Mikroschlafattacken auf, bei denen das Gehirn schlagartig in kurzen Tiefschlaf fällt. Eine Woche Schlafentzug: Symptome wie bei Demenz treten auf. Du entwickelst Persönlichkeitsstörungen und schwebst in Lebensgefahr. Wann ein Mensch wegen Schlafmangel stirbt, ist individuell unterschiedlich und wissenschaftlich noch nicht ausreichend belegt: Das kann nach ein paar Tagen der Fall sein oder nach Wochen. Experimente an Tieren lieferten unterschiedliche Ergebnisse: 1894 hielt eine russische Wissenschaftlerin fünf Welpen permanent wach. Nach knapp sechs Tagen starb das letzte Tier. Ein Experiment der Universität Chicago zeigte, dass Ratten nach sieben Tagen Schlafentzug eitrige Hautverletzungen entwickeln, stark an Gewicht verlieren und schließlich sterben.

Schlafzustandes: Leichtschlafphasen, in denen man durchaus noch denken und Geräusche wahrnehmen kann, und kurze Aufwachphasen im Tiefschlaf führen dazu, dass die ganze Nacht durchgängig als wacher Zustand oder bestenfalls als oberflächlicher, leichter Schlaf wahrgenommen wird.

Wo liegt der Rekord? 1965 war der 17-jährige US-amerikanische Schüler Randy Gardner elf Tage auf Schlafentzug. Mit Musik, Basketball und Autofahrten zum Donut-Shop hielten ihn seine Schulkollegen für ganze 264 Stunden wach. Drogen oder Koffein waren dabei nicht im Spiel, behauptete Gardner. Nach vier Tagen halluzinierte er, er sei Paul Lowe, ein Fußballspieler der

„San Diego Chargers“. Das Schulprojekt wurde zu einem der bekanntesten Schlafentzug-Experimente in der Geschichte der Schlafforschung. Gardners Experiment hat viele Nachahmer gefunden. 2007 verkündete Tony Wright, Gardners Rekord um zwei Stunden gebrochen zu haben. Trotzdem steht sein Name nicht im Guinness Buch der Rekorde, denn Wright verfolgte einen radikalen Lebensstil, um wach zu bleiben: Rohkost und extremes Fasten. Die Kommission weigert sich bis heute, Wrights Leistung wegen der Gesundheitsrisiken seiner Diät anzuerkennen. Gardner hat von seiner Aktion übrigens keine gesundheitlichen Schäden davongetragen: Der heute 65-Jährige ist nach eigenen Angaben seit seinen High School Tagen mit einem sehr tiefen und regelmäßigen Schlaf gesegnet.

Ewig nicht geschlafen und trotzdem noch am leben? Manchmal berichten schlafgestörte Patienten, sie hätten schon mehrere Wochen überhaupt nicht geschlafen. Tatsächlich zeigen EEG-Messungen aber, dass sie durchaus mehrere Stunden pro Nacht schlafen. Es handelt sich um eine so genannte „Fehlwahrnehmung“ des eigenen

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A so a Räuscherl is‘ ma liewa, als wie a Krankheit, wie a Fiewa Jede Party ist irgendwann am Ende. Manchmal auch der Partygast. Ein Mono- und Dialog über das alkoholbedingte bittere Ende der Nacht. Von Manuel Köllner

Und ich hör mich noch sagen: Ans trink ma schono, oda? Na sicher ... Sicher, ans. Jedenfalls, wollt i sag...n. Weiß‘ eh, die Dings hab ich troffn. Dings heiß‘s. Wenn ich dir‘s sag, die kenns‘. Hundert Pro. Glaubst darf ma da rauchen? … Aso, na ‘ut. Mach ja nix. Jedenfall, kommt die letztens nach der Vorlesung her zu mir un sag ... ... Na glaubst, wenn ich ane rauch, wird sicher niemadn störn. Oder, stört‘s euch da drüben? ... Na, wenn ich rauch? ... Nein? ... Na, bitte. So, na dann: Pros! Pros! ... Dir a, gell: Prost. Nochamal des Gleiche, bitte! ... Hast a Feuer? ... Danke. Jetzt geh‘ ma dann scho‘ no wo hin, ode‘? ... Komm! ... Na geeh. Was heiß‘, i geh‘ nirgns meh‘ hin?

Stunden später: Okay. Was ...? Was ist denn das? Oh Gott. Kann jemand das Licht abdrehen? Oida, oida. Was ist denn das? Wieso bin ich verkabelt? Hey, tut‘s das raus. Raus. RAUS! Was will diese Tante da? Raus damit. Nein, ich werd‘ mich jetzt nicht beruhigen. Schleicht‘s euch, weg mit den Kabeln! Weg, hab‘ ich g‘sagt. Weg! Sedier ... was? Wie, was zur Beruhigung? Gebt‘s die Kabeln weg! Du, mit deinem weißen Mantel kannst dich überhaupt schleichen. Wofür die Spritze? Nein, keine Spritze. NEIN. Nein. Nei...

Eine Stunde später: Oh Mann. Fuck, mein Schädel. Puh. „Guten Morgen. Wie geht’s Ihnen denn?“ „Dreckig, geht’s mir. Ich hab‘ Kopfschmerzen und fühl‘ mich wie zusammengeschlagen.“ „Wissen Sie, wo Sie sind?“ „Nicht so richtig. Schaut aber verdammt nach Spital aus.“ „Sie sind im Wilhelminenspital. Sie haben gestern a bissl zu viel getrunken.“ Ja, da war etwas ... „Bleiben Sie liegen, der Herr Doktor kommt gleich.“ „Keine Sorge, ich lauf ‘ nicht weg, danke. Könnten‘s mir einen Schluck Wasser besorgen?“ „Steht schon neben Ihnen.“ „Aja, danke, Schwester.“ „Guten Morgen, mein Name ist Lang. Na, wie geht’s Ihnen?“ „Guten Morgen, Herr Doktor. Naja, nicht so gut. Kopfschmerzen. Schlecht ist mir auch.“ „Sie wissen, warum Sie hier sind?“ „Ich schätze schon ...“ „Passiert Ihnen das öfters, dass Sie so viel trinken?“

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„Eigentlich nicht. Im Spital bin ich noch nie aufgewacht. Was ist denn passiert?“ „Sie wurden gestern vom Notarzt zu uns gebracht. Sie waren aufgrund des starken Alkoholeinflusses nicht mehr erweckbar. Keine Schmerzreize. Wir mussten Sie schutzintubieren, weil die Gefahr bestand, dass Magensäfte in Ihre Lunge gelangen. Sie haben also einen Schlauch in die Lunge bekommen, um Ihre Atmung sicherzustellen.“ „Puh. Okay.“ „Als Sie wieder aufgewacht sind, waren Sie verwirrt und aggressiv. Wir mussten Sie sedieren. Können Sie sich daran erinnern?“ „Nicht so richtig.“ „Sie haben die Möglichkeit, den psychosozialen Dienst in Anspruch zu nehmen. Möchten Sie das?“ „Ich glaube, das wird nicht notwendig sein.“ „Überlegen Sie sich‘s.“ Da gibt’s nix zu überlegen, ich bin doch kein Säufer! „Ich überleg‘s mir. Wann kann ich gehen?“ „Wir halten Sie nicht fest. Wenn Sie sich orientiert haben, ­können Sie gehen. Haben Sie jemanden, der Sie abholen kann?“ „Ja, habe ich. Danke, Herr Doktor.“

Wochen später: Wochen später: „Na, was hat dich der Spaß im Krankenhaus gekostet?“ „Nix. Zum Glück.“ „Ich dachte das kostet?“ „Vor ein paar Jahren hätte mich das über 1000 Euro ­gekostet. Heute zahlt‘s die Krankenkasse.“ Diese fiktive Geschichte basiert auf einem Gespräch mit Oberarzt Dr. Stephan Lang, Leiter der toxikologischen Intensivstation im Wiener Wilhelminenspital.

FACTBOX: 2011 wurden insgesamt 1.200 Patienten in der toxikologischen Intensivstation im Wiener Wilhelminenspital behandelt, davon 282 wegen übermäßigen Alkoholkonsums. Der Großteil der Alkoholisierten – nämlich 245 – konnte ambulant behandelt werden und die Station nach einigen Stunden wieder verlassen. 2011 gab es 37 Patienten, die stationär aufgenommen wurden. Ein großer Teil der Fälle, die mit Alkohol in Verbindung stehen, landen in den Unfallambulanzen. Verletzungen als Folge von Trunkenheit sind weit häufiger als Alkoholvergiftungen in lebensgefährlichem Ausmaß. Der Alkohol selbst richtet bei einer einmaligen Überdosierung im Hirn keinen Schaden an. Der Sauerstoffmangel ist da schon gefährlicher. Jemand der bewusstlos am Rücken liegt und sich übergibt, kann ersticken. Es besteht auch die Gefahr, an der eigenen Zunge zu ersticken. Bei langfristiger Überdosierung leidet unter anderem die Leber. Das in Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch bekannte Magenauspumpen wird laut Entgiftungsarzt Stephan Lang in Österreich bei Alkoholpatienten seit Jahrzehnten nicht mehr durchgeführt. Der Alkohol bleibt nicht lang genug im Magen, damit die Magenspülung Sinn machen würde. Bei Tablettenmissbrauch wird versucht, die Vergiftung mit Aktivkohle zu behandeln. Alkoholpatienten werden nicht mit Medikamenten behandelt, da der ­Alkohol vom Körper selbst schnell abgebaut wird.

DURST 2/12

27.09.2012 14:37:43 Uhr


„Denken ist die Arbeit des Intellekts. Träumen sein Vergnügen.“ Victor Hugo (1802-1885), Schriftsteller,

KLEBESCHRIFT: KURT RUDOLF

„Les Miserables“, 1862

DURST 2/12

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SUPERMAN VERHINDERT DIE ZOMBIEAPOKALYPSE Man nennt sie „Paradoxe Träume“, „Luzide Träume“ oder „Klarträume“: Das Tolle ist, man träumt – und weiß, dass man träumt und kann deshalb in seine Träume eingreifen. DURST hat nachgefragt, wie das funktioniert und ob das jeder kann.

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FOTOS: VALENTIN LADSTÄTTER

Von Valentin Ladstätter (Text & Foto)

DURST 2/12

27.09.2012 14:39:37 Uhr


UND SO GEHT’S!

Wie kann man im Traum fliegen, vögeln oder Leistungssport trainieren?

A Vom Monster zur Traumfrau. Luzides Träumen kann bei der Bewältigung von Albträumen helfen oder einfach nur schön sein

V

orgestern Nacht habe ich die Zombieapokalypse verhindert. Gestern Nacht gab es keine Schwerkraft. Und heute Abend werde ich die Weltherrschaft an mich reißen. Leider haben sich diese Dinge nicht in der Realität ereignet. Sie passieren auf einer anderen Ebene, nämlich auf der der Paradoxen Träume. Paradoxe Träume, auch Klarträume oder Luzide Träume genannt, werden deshalb als paradox bezeichnet, weil sich in ihnen ein Zustand größter körperlicher Entspannung mit einem Zustand größter geistiger Konzentration verbindet. Sie kommen dann zustande, wenn sich die schlafende Person ihres Zustands bewusst wird. Menschen, die Luzides Träumen regelmäßig praktizieren, nennt man Oneironauten. Vielleicht warst du ja selbst schon einmal Oneironaut und hast diesen Zustand erlebt. Du schaust gemütlich ein paar Fischen zu, etwas kommt dir komisch vor – wie etwa die Tatsache, dass du dich gerade unter Wasser befindest und ohne Sauerstoffgerät atmen kannst – und es wird dir klar, dass du gerade träumst. Und zack – du wachst auf. An dieser Stelle kannst du dich zurecht ärgern, denn du bist ganz knapp an dem vorbeigeschrammt, was man gemeinhin als Paradies bezeichnet, nämlich an der Möglichkeit, sich alle Wünsche zu erfüllen.

FOTOS: VALENTIN LADSTÄTTER

DIE VIA REGIA Hier möchte ich dich bitten, dir dies einmal bildlich vorzustellen: Du befindest dich in einem Raum, dessen Grenzen nur durch deine eigene Fantasie definiert werden. In diesem Raum kannst du aus dem Nichts alles materialisieren, was du willst, und das Materialisierte so gestalten, wie es dir gerade passt – ganz egal, ob es sich um Gegenstände, Tiere, Pflanzen oder Menschen handelt, oder ob es dein eigener Körper ist, den du veränderst. Darüber hinaus folgt dieser Raum nur jenen physikalischen Gesetzen, die du selbst bestimmst. Mit den Aktionen, die du in diesem Raum ausführst, schadest du nichts und niemandem, weil es ihn ja nur in deinem Kopf gibt. Und in deinem Kopf bist du Gott. Du willst fliegen? Kein Problem. Du willst Sex? Jederzeit, mit jeder Person und an jedem Ort. Auch durch Wände gehen, den Chef verprügeln, ein 360-Grad-Blick oder ein Ausflug ins Innere der Erde sind möglich. Eben DURST 2/12

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alles, was du willst und was du dir vorstellen kannst. Doch so verlockend das alles auch klingen mag, Klarträumen hat noch andere, weniger hedonistische Seiten. Einige Sportler nutzen die Möglichkeiten des Luziden Träumens, um Bewegungsabläufe zu verinnerlichen. Künstler lassen sich, wie einst René Magritte, von Luziden Träumen inspirieren. In Filmen wie dem Blockbuster „Inception“ bilden Klarträume die Grundlage der Handlung. Richard Linklater, der Regisseur des Experimentalfilms „Waking Live“, in dem es ebenfalls um Träume geht, soll manche Szenen des Films zuerst selbst geträumt und dann umgesetzt haben. Manchmal kann Luzides Träumen auch dazu genutzt werden, Ängste zu bewältigen. In der Psychotherapie wird Klarträumen als Technik eingesetzt, um die Persönlichkeitsbildung von Patienten zu fördern. Auch bei der Bewältigung von Albträumen kann der Klartraum von Nutzen sein, indem man dem Monster, das einen verfolgt, entgegentritt – anstatt vor ihm wegzulaufen. Doch man sollte vorsichtig sein. Brigitte Holzinger, Leiterin des Wiener Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung, empfiehlt, das Luzide Träumen nur dann privat auszuführen, wenn der Spaß im Vordergrund steht: „Sich auszuleben ist ja prinzipiell nicht schlecht.“ Alles, was darüber hinausgeht, wie etwa die Aufarbeitung von Traumata, sollte aber nur unter Aufsicht von Therapeuten stattfinden. Das habe einen einfachen Grund: „Wenn es stimmt, dass der Traum die ‚via regia‘ zum Unbewussten ist, (Anm.: Der Traum als ‚Königsweg’ zur Kenntnis des Unbewussten stammt aus Sigmund Freuds Buch „Über Psychoanalyse“) dann ist es die Welt des Unbewussten, die sich hier zugänglich macht.“ Und mit der sollte man nicht leichtfertig umgehen. Denn die unbewusste Welt des Traumes ist laut Holzinger eine kindliche Welt, in der in Gut-BöseSchemata gedacht wird. Dabei präsentieren sich Vorgänge, Gefühle und Gedanken in Bildern. „Es ist, als ob man eine eigene virtuelle Realität in sich selbst aufbaut.“ Das Böse zeigt sich dabei auch gerne mal in der Person des Teufels. Nun kann es natürlich sein, dass ein Träumender destruktive Persönlichkeitsmerkmale aufweist, die sich im Traum als Teufel, der aus den Katakomben der Seele emporsteigt, manifestieren. Lässt sich der Träumer wie Goethes Faust immer mehr auf diesen Teufel ein, dann kann es sein, dass die destruktiven Anteile seiner

m besten fängt man damit an, seine normalen Träume in einem Traumtagebuch so genau wie möglich niederzuschreiben. Dabei ist es hilfreich, sich das Traumtagebuch aufs Nachtkästchen zu legen, damit man sich gleich nach dem Aufwachen notieren kann, was einem des Nachts widerfahren ist. Da die Erinnerung an einen Traum sehr flüchtig ist, ist es sinnvoll, einen Trick anzuwenden. Wie die Traumforscherin Ursula Voss einmal der „Zeit“ erklärte, lagern sich Träume nur im Arbeitsspeicher des Gehirns ab und werden schnell mit anderen Dingen überschrieben. Bleib also morgens noch kurz mit geschlossenen Augen liegen, um Einflüsse von außen zu vermeiden und versuche, dich an deinen Traum so genau wie möglich zu erinnern. Mit ein bisschen Übung klappt das immer besser. Sobald du deinen Traum rekonstruiert hast, kannst du ihn aufschreiben. Aus eigener Erfahrung dauert diese morgendliche Übung zwischen 15 und 20 Minuten und wird immer leichter, denn je öfter man seine Träume aufschreibt, desto leichter erinnert man sich.

GLEICHZEITIG mit der Führung des Traumtagebuchs kannst du deinen persönlichen RealityCheck entwickeln. Das ist eine Handlung, die du mehrmals pro Tag in der Wirklichkeit durchführst und dich dabei fragst, ob du gerade träumst. Mach dir zum Beispiel zur Gewohnheit, einen auf eine Karte geschriebenen Satz wie diesen zu lesen: „Träume ich gerade?“ Dann siehst du kurz weg und liest den Satz noch einmal. Sind die Buchstaben und Worte dieselben, kannst du davon ausgehen, dass du gerade wach bist. Verändern sich die Buchstaben aber zwischen dem ersten und dem zweiten Lesen, kannst du die Realität in Zweifel ziehen. Sobald du dir eine solche Übung zur Gewohnheit gemacht hast, überträgt sich diese automatisch in deine Träume,

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Persönlichkeit gefördert werden und sich in wachen Phasen als Selbsthass oder Selbstzerstörung äußern. Kann neben der Förderung negativer Aspekte der Seele auch die Realitätsflucht zum Thema werden, wie etwa bei den Traum-Süchtigen in den Filmen „Inception“ oder „Bis ans Ende der Welt“? Schließlich befindet man sich ja als Profi-Klarträumer ständig im Paradies. Warum sollte man das für die manchmal doch eher langweilige Realität aufgeben? Brigitte Holzinger sieht diese Gefahr nicht wirklich. Träume brauchen ihrer Meinung nach kreative Inputs von außen. Wer sich in die Traumwelt zurückziehe, erfahre irgendwann keine neue Inspiration mehr: „Wenn man nur noch im eigenen Saft schmort, dann wird es irgendwann fad.“ Sich immer nur mit sich selbst zu unterhalten, sei vielleicht für Narzissten schön, wenn man aber Neues erfahren wolle, müsse man sich zusätzliche Inspiration aus der Realität holen, anstatt immer nur im Fruchtwasser der eigenen Psyche herumzudümpeln.

EIN WEISSER FLECK AUF DER KARTE Das ist Holzingers Meinung nach auch der Grund, warum Luzides Träumen eine professionelle Therapie nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann. Beim Luziden Träumen auf eigene Faust fehlt die Wechselwirkung mit der äußeren Welt und die entscheidende, weil heilende Beziehung zum Therapeuten. Luzides Träumen kann also Zwischenmenschlichkeit nicht ersetzen. Das ist nicht deshalb wichtig, weil Holzinger die Interessen der Psychotherapielobby vertritt, sondern weil der Beschäftigung mit Träumen ein bereits erwähntes Problem innewohnt: Die Wissenschaft weiß noch sehr wenig darüber. „In Wirklichkeit wissen wir immer noch nicht, womit wir uns da befassen. Es ist noch ein bisschen eine weiße Landkarte in unserem Alltag“, sagt Holzinger. Darum müsse man mit gebührendem Respekt agieren. „Man sollte bedenken, dass man sich da mit dem Innersten befasst, mit der Seele.“ Jetzt ist die Krux der ganzen Thematik angesprochen. Schlaf und Träume betreffen uns alle und führen bis in die tiefsten Tiefen unseres unterbewussten Kaninchenbaus. Trotzdem wissen wir bis heute nicht wirklich, warum wir träumen, in welchen Phasen des Schlafes wir träumen, was Träume bedeuten und wozu wir während des Träumens fähig sind. Allerdings

wurde während des zwanzigsten Jahrhunderts g doch mit einigen Paradigmen aufgeräumt. Noch bis in die 1950er Jahre galt Schlaf als eine Art Bewusstlosigkeit, bei der das Gehirn genauso abschaltet wie der Körper. Doch dann entdeckte der Medizinstudent Eugene Aserinsky, der seinen achtjährigen Sohn in einem Schlaflabor untersucht hatte, dass das Gehirn im Schlaf keineswegs ruht. Außerdem fiel ihm auf, dass sich die Augen seines Sohnes wie wild hin und her bewegten. Er beobachtete das, was wir heute die REM-Phase (rapid eye movement) nennen. Durch nachfolgende Versuche zeigte sich, dass Personen, die während des REM-Schlafs geweckt wurden, fast immer angaben, gerade geträumt zu haben. Man folgerte daher, dass der Mensch während des REM-Schlafs träumt. Dass Schlaf nichts anderes als eine Art Zustand von fehlendem Bewusstsein ist, blieb aber trotzdem die gängige Lehrmeinung. Schlaf wurde gar als Gegensatz von Bewusstsein definiert. Das blieb so bis ins Jahr 1978, als Steven LaBerge von der Standford University ein denkwürdiges Experiment durchführte. LaBerge, eigentlich Physikstudent, hatte sich seit etwa zehn Jahren mit Klarträumen beschäftigt, weil ihm selbst einmal des Nachts bewusst wurde, dass er bei einer Bergtour im Himalaya nicht fror, obwohl er nur ein T-Shirt trug. Das war wohlgemerkt noch zu einer Zeit, in der der Zustand Luziden Träumens vom Gros der Wissenschaftler entweder geleugnet oder als Hirngespinst abgetan wurde. Doch LaBerge gelang es, der Welt einen eindeutigen Beweis für die Möglichkeit des Paradoxen Träumens zu liefern, indem er sich selbst im Schlaflabor verkabeln ließ. Über seine Augenbewegungen während der REM-Phase übermittelte er seinem Assistenten ein vorher vereinbartes Signal aus der Traumwelt. Er bewegte einfach seine Augen im Traum einmal von links nach rechts und noch einmal von links nach rechts. Es war die erste wissenschaftlich nachgewiesene Verbindung zwischen Traum und Realität. Damit bewies LaBerge, was schon seit einigen tausend Jahren in verschiedensten Kulturen angenommen oder praktiziert wurde: Schlaf und Bewusstsein schließen einander nicht aus. Jetzt habe ich sogar wissenschaftliche Rückendeckung für meine nächtlichen Ausflüge und Actionspektakel. Also bleibe ich dabei und werde heute Abend die Weltherrschaft an mich reißen. Zur Entspannung fliege ich dafür morgen vielleicht einmal zum Mars.

sodass du auch dort einen Reality-Check ausführst. Nun gilt es, das Bewusstsein in diesem Zustand zu halten. Das ist gar nicht so einfach. Die ersten paar Male wirst du höchstwahrscheinlich aufwachen. Aber lass dich davon nicht ärgern und übe weiter, denn irgendwann schaffst du es, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Vorsicht ist nur dann geboten, wenn du zufällig in einem Stockbett schläfst. Es gibt nämlich Berichte von Leuten, die bei ihren ersten paar Klarträumen vor lauter Aufregung beim Erwachen aus dem Bett gefallen sind.

FÜR TECHNIKFREAKS und faule Säcke gibt es den sogenannten Novadreamer oder REMDreamer. Das ist eine Brille, die man sich vor dem Schlafengehen aufsetzt. Mit Infrarotsensoren erkennt die Brille, wann du dich in der REM-Phase deines Schlafes befindest. Dann gibt der Novadreamer leise akustische Signale und Blitzlichter ab. Diese können im Traum wahrgenommen werden und steigern die Möglichkeit des bewussten Träumens. Dann bleibt eigentlich nur noch eins zu tun: den Zustand genießen und sich austoben. Und wenn Carl Gustav Jung, einer der Altvorderen der Traumdeutung, mit seiner Behauptung, dass der Traum der Weg zum kollektiven Unbewussten ist, recht hatte, dann treffen wir uns ja vielleicht einmal.

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Der Bergson

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Musik, Theater, Tanz & Kunst unter einem Dach.

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27.09.2012 14:39:44 Uhr


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ass Autoren die Nacht gerne nutzen, um vor einem leeren Blatt Papier zu verzweifeln, ist kein Klischee. Keine Tageszeit eignet sich besser, sich im Strudel nagender Selbstzweifel und künstlerischer Wehleidigkeit zu versenken. Dabei lässt sich auch wunderbar über die Nacht schreiben – deshalb hat DURST Studierende der Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien genau dazu aufgefordert. Das Ergebnis liest sich düster und todessehnsüchtig, aber auch tröstend. Man hat es eben nicht leicht als Literat zur dunklen Stunde. Den besten Beitrag drucken wir in voller Länge, die anderen in Auszügen.

Sex, Tod und Rotwein Für DURST haben sich Studierende der Sprachkunst Gedanken zum Thema Nacht gemacht. Sie erzählen vom Lieben, Sterben und Trinken – die Nacht ist eben kein Kindergeburtstag. Redaktion: Georg Eckelsberger

Stillleben im Hafen, Aquarell auf Leinwand von Teresa Dopler

Teresa Dopler, 22 Geboren in Linz Seit Herbst 2010 inskribiert am Studiengang Sprachkunst

FOTOS: privat

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ie Wimpern der jungen Frau reiben bei jedem Blinzeln am Kopfpolster und rascheln durch den Schädel bis in ihr Gehirn. Sie versucht die Augen ohne Blinzeln offen zu halten, dreht sich auf den Rücken und stützt die Decke mit ihrem Blick. Die Laterne draußen vorm Fenster zeichnet ein Muster an die Wand. Er liegt ruhig neben ihr, atmet tief, sein Nasenloch pfeift zweistimmig. Er hat seinen Arm quer über ihren Bauch gelegt und drückt auf die volle Blase, manchmal zucken seine Finger, seine Oberarme oder seine Schultern. Alle Männer zucken beim Einschlafen. Sein Atem riecht nach Avocadoaufstrich mit Zitrone. An Avocados gefallen der jungen Frau die Kerne am besten, die sind groß und glatt. Avocadoeier. Seine Hände schlafwandeln auf ihrem Bauch und treiben den Härchen die Lust in die Spitze. Der Bauch will, aber die Augen der jungen Frau lassen den Bauch nicht in den Kopf. Die Augen hängen sich am Fensterkreuz auf, das in zwei Stunden seinen Schatten auf den Boden werfen und langsam durchs Zimmer schieben wird. Dann wird die junge Frau im Nacken schon taub vom Avocadoatem sein, das Blau draußen wird DURST 2/12

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den Vögeln in das Gefieder greifen und sie von den Ästen in die Luft heben. Die Hausmauer wird unter der Sonne ihre kalte Haut abstreifen, aber kein einziger Sonnenfaden wird sich ins Zimmer legen, weil das Fenster ein kaltes Auge hat. So wird der Tag die junge Frau vergessen. Sie streckt ihre Hände von sich, dreht sie hin und her und betrachtet sie im Halbdunkeln, streicht über die Augenbrauen und zieht an ihren Ohrläppchen. Er dreht seinen Kopf auf die andere Seite und haucht den letzten Rest Avocado ins Dunkle. Sie spürt ihre Schlüsselbeine und greift an den Busen, ganz leicht, sie muss ihn nicht festhalten, er bleibt bei ihr. Im Spiegel auf der gegenüberliegenden Wand sieht man die zwei Schlagobershügel ihrer Daunendecken. Die junge Frau ist die Kirsche. Die Heizung führt ein leises Selbstgespräch, durch die Fensterritze steckt die Nachtluft zwei Finger ins Zimmer. Beim Aufstehen steigt der jungen Frau kurz das Schwarz hinter die Lider. Der Boden knarrt, als sie ihre Zehen aufsetzt, sie weiß nicht, wo sie auftreten muss, damit es nicht knarrt. Sie legt die Hand unter die zurückgeworfene Decke und schreckt die Wärme mit ihren kalten Fingern. Das Fenster glaubt am Horizont das erste Morgenrot zu sehen, aber es ist die ewige Lichtglocke der Stadt, die ihm zuzwinkert. Ein neongelber Schimmer hängt über den Dächern und legt sich auf das Etikett der Rotweinflasche am Fensterbrett. Der Rotwein hält seinen Namen stolz entgegen. Die junge Frau legt ihre Stirn an die Scheibe und merkt, wie ihr die Kälte ins Hirn steigt. Das Spiegelbild blickt ihr aus der Scheibe entgegen, bis der Atem das Glas blind macht. Sie zeichnet einen kaputten Stern in den Atem, bei dem die sechste Zacke den restlichen fünf zum Opfer fällt. Die Luft im Zimmer steht und stinkt, sodass die junge Frau das Wort Ziegenstall unter dem Nasenbein tragen muss. Sie wagt nicht, das Fenster zu öffnen. Die Zimmerpflanze fängt bei jedem kalten Luftzug an, mit den Blättern zu zittern. Ihr Nachthemd endet kurz oberhalb der Knie und ihre nackten Zehen schreien nach oben, sie erstickt sie mit den Socken vom Vortag. Über den Dächern herrscht noch immer dasselbe künstliche Stadtlicht und die junge Frau gibt die Hoffnung auf Morgenröte auf. Sie bindet ihre Haare zu einem Knoten und betrachtet sich dabei

im Spiegel. Ihr Blick wird vom Spiegel zurück ins Zimmer gedrückt, hin zum schlafenden Mann. Seine Nase singt noch immer. Die junge Frau schließt die Bluse und ihre Weste und öffnet die Tür. Der Autoschlüssel lacht in ihrer Hand. Im Scheinwerferlicht windet sich vor ihr die Straße. Das Lenkrad ist so lange kalt und glatt, bis sie ihre Finger nicht mehr spürt. Sie rollt ohne langsamer zu werden durch die stillen Kreuzungen, alle Ampeln schlafen, die Laternen leuchten nur für sie. Irgendwann lässt sie die Lichtglocke der Stadt hinter sich und ist mit den Scheinwerfern alleine. Die leuchtenden Anzeigen im Inneren feiern ein stummes Fest, bis sie das Radio einschaltet. Die Männer an der Grenze hetzen den Schein der Taschenlampe kurz über ihr Gesicht und winken sie weiter. Auf den Schildern stehen bald nur mehr fremde Namen. Das Radio wechselt die Sprache. Die junge Frau fühlt sich frei in einer Welt aus fremden Zeichen und Lauten. Sie blickt das erste Mal seitlich aus dem Fenster und versucht in der Dämmerung die Landschaft zu erkennen, die Wolken schämen sich unter dem frühen Blick und laufen rosa an, die Bäume davor im Gegenlicht werden immer schwärzer. Sie biegt auf eine kleinere Straße ab, wird langsamer und öffnet das Fenster. Die Nachtluft drückt sich in ihre Lungen. Die Hand auf dem offenen Spalt hält eine Zigarette, sie glüht und verliert die Asche in den Haaren der jungen Frau. Die junge Frau spricht die Orte, die sie durchfährt, laut an. Die Namen fallen durch die Windschutzscheibe in ihre Pupille und flitzen dann weiter. Manche bleiben an der Zunge hängen, bis sie sich mit dem Brummen des Motors und der Musik aus dem Radio vermischen. Hinter einer Kurve taucht die glatte, graue Fläche auf. Salz und Wasser hängen in der Luft. Die Sonne ist eine unreife Honigmelone, die noch schal schmeckt und ihre Umrisse feig hinter den Wolken versteckt. Eine Straße stürzt sich nach unten, dieser glatten, grauen Fläche entgegen. Der Name des letzten Schildes ist weich, die Zunge spielt damit und lässt ihn nicht mehr los. Tropfen sammeln sich auf der Vorderscheibe und laufen durch den Fahrtwind auseinander. Die Augen der jungen Frau werden groß, die Wimpern schlagen vorsichtig, um nichts zu verschütten.

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naht von Dominik Ivancic

Dominik Ivancic, 21 Geboren in Amstetten Ist seit Oktober 2011 inskribiert

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ie Nacht. Sie dehnt sich und dehnt sich, bis sie schließlich an einer Seite reißt und ihr Inneres zeigt. Doch soweit ist es heut noch nicht. Ich sitze auf einer Klobrille. Hier in der Toilette: heller Tag. Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe und an dem alten Mann mit dem Wischmop vorbeigekommen bin, gehe ich hinaus in die Nacht, hinein in den Club. Vor der Bar, auf der quadratischen Fläche, wo wenige ein bisschen tanzen: Dunkelheit. Sie wird ständig

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Nächtliche Schwester von Afamia Al-Dayaa

durch Blitze durchbrochen und die Menschen sind nass, als würde es tatsächlich regnen. Ich mache mit und versuche im Rhythmus der Blitze zu bleiben. Kurz wird es hell, der Schatten neben mir entlarvt sich als Schönheit, das macht jedoch nichts – ich hab heute eh keine Lust eine Unbekannte anzusprechen, zumindest noch nicht. Ich kenne das Lied, bin kurz glücklich. Es ist aus, der Gedanke ist da, bin wieder weniger glücklich und gehe zur Bar. Alles zu teuer. Das Bier schmeckt mir in diesem Club nicht, ich zahle die 4,20. „Die Welt, die dreht sich nicht, wenn’s dunkl is.“ Er dreht sich trotzdem. Ich dreh mich weg und geh hinaus auf die Terrasse. Die Nacht scheint auch hier noch, nur das Gewitter bleibt hinter mir zurück. An den Tischen sind händchenhaltende Ungeheuer. Sie ekeln mich an, es fällt mir schwer hier zu atmen. Ich ziehe weiter. Am Rand sitzen bekannte Gesichter. „Hallo.“ Ich setz mich dazu, hole mein Handy heraus – sie interessieren mich nicht – wähle eine der Optionen und schreibe dieser eine Nachricht. Es wär so schön heut Abend mit mir, findest du nicht? ;) Ich stecke das Ding wieder in meine Hose, um nicht unhöflich zu wirken und versuche mitzureden – reicht jedoch nur kurz, um mich von mir selbst abzulenken. (...) Keine neue Textnachricht. Anscheinend findet sie es nicht schön, mit mir den Abend zu verbringen, sie hat sicher schon jemanden. Wieder hinein zur Bar, eine steht allein. Sie lässt mich nicht einmal beginnen, wendet sich ab und verzieht sich mit zwei Getränken zu ihrer Freundin. Die Blitze ziehen mich an, ich versuche den Gedanken loszuwerden und tanze für den Regen, der bei dieser Hitze nicht lange für sich tanzen lässt. Schweißnass tanze ich nun für mich weiter. Doch das gelingt nicht recht. Mich finde ich nicht auf der Tanzfläche, aber die Schönheit von vorhin – sie ist noch immer allein. Blickkontakt, sie lächelt mich an. Wir gehen hinaus und lernen uns ein bisschen kennen. „Zu tanzen befreit mich so unheimlich. Da fühl ich mich der Erde so nah.“ Eine halbe Stunde später beschließe ich, mich von diesem Eso-Mädchen zu entfernen. Der Club leert sich allmählich und die Versuche, die verbleibenden Frauen auf mich aufmerksam zu machen, fruchten nicht. Mittlerweile ist es Mittwoch, ich muss zum Bus. Die Nacht strahlt noch weiter vor sich hin, während ich auf die Nightline warte. Ich stelle mir den Wecker, um meine Haltestelle nicht zu verschlafen, und suche mir einen Platz ohne Sitznachbar. Übereinander getürmte Glitzerhaufen, gehäuft, um die Sterne zu imitieren, ziehen an mir vorbei. Die Haut der Nacht färbt sich langsam blau, bald ist es so weit. Ich steige aus dem Bus und die Nacht platzt. Gelbrote Innereien verdecken die Haut fast vollständig. Ein paar Stufen hinauf, ein Glas Wasser. Ich vertreibe mit Vorhängen den Tag und falle müde ins Bett.

Afamia Al-Dayaa, 27 Geboren in Wolfsburg, Deutschland Studiert seit Oktober 2011 Sprachkunst

(...)

Nach zwei Nächten ohne Schlaf ist der Körper schwer und träge. Es gibt unveränderbare Gesetze wie zum Beispiel die Erosion von Gestein durch Wasser oder den beschleunigten körperlichen und geistigen Zerfall des Menschen bei mangelndem Schlaf. Das ist ein Menschenrecht, der Mensch hat das Recht, zu zerfallen. Schlaf ist wichtig, wie es Vitamine und frische Luft sind, sonst bilden sich schneller Falten etc. und überhaupt, wer hat etwas vom Wachsein bei Nacht? Die Augen brauchen, sie dürsten nach Licht etc., Helligkeit, Wolken, anderen Augen ... Aber du bist und liegst wach im Dunkeln. Alles nur auf Grund einer Willensschwäche, sagen die anderen, also mal ehrlich. Schlaf ist Willenssache. Nach zwei und vielleicht einiges mehr an Nächten ohne Schlaf, nun ... Tabletten aufgebraucht und etc. Den Blick hartnäckig in die unnötig große Wanduhr gebohrt, deren Zeiger bedrohlich sind und keine Rücksicht nehmen auf den eigentlichen Stillstand, jene geistige Erschöpfung, auch Rauschlosigkeit und geräuschlos, also alles, nur die Zeiger ticken und tacken unermüdlich im Kreis ... Ruinen über Ruinen, denkst du und von Gestrüpp überwachsene Irrwege, eigentlich ja fast ein Dschungel von Gefühlen oder so ... Also besser nicht träumen und naja. Gott!, flehst du, jemand muss doch ... aber nein. Wieder ist ein Ich in viele Stücke zerbrochen, ein belangloses, ein Ich, nach dem nicht gefragt werden wird, ein Ich, das kaum jemand kannte oder ein Wir, auch ein Wir ist schon wieder zerbrochen, immer zerbricht mit dem Wir auch ein Ich und so weiter. Aber ja, diese Krisen sind ganz normal, fast schon langweilig, nichts besonderes etc., manche wandern sogar aus, hörtest du oder machen verrückte Sachen, werden plötzlich ganz impulsiv, sonst immer so vernünftig, schmeißen Teller durch die Wohnung (nicht das teure Porzellan!), damit auch wirklich alles zerbricht, also wandern aus, erst aus der gemeinsamen Wohnung, dann aus der Stadt (auch die erinnert, also diese Ecke und jene), dann aus dem Land oder so, also auswandern, vielleicht sogar in einen ganz anderen Kontinent, zumindest temporär, physischer Abstand also, um den psychischen zu beschleunigen, also der Fluchtweg muss immer ein längerer werden, davon hörtest

FOTOS: privat

Die junge Frau stellt das Auto im Hafen ab. Neben ihr kämpfen hohe Eisentürme und Kräne gegen den Schwindel, an den Pfeilern am Betonrand haben sich verfaulte Seilreste aufgehängt. Die junge Frau lehnt sich an die warme Kühlerhaube. In einiger Entfernung hat hinter zwei rostigen Lastwägen ein Café fünf Plastiksessel vor den Eingang gestellt. Die junge Frau wischt einen der fünf Sessel trocken und setzt sich. Auf einem anderen Sessel sitzt ein alter Mann in Gummistiefeln, der sich nur bewegt, wenn die Hand die Zigarette oder die Kaffeetasse zum Mund hebt. Die junge Frau lehnt sich zurück, sie kann der Sonne ohne zu blinzeln ins Aug schauen. Der Himmel stülpt sich nach außen und wird rosa. Es ist kühl und windig, die Zigarettenglut läuft schnell, sie hat keine Zeit, die feinen grauen Streifen zu zählen. Das Rosa tropft auf die graue Fläche. Der Morgen malt mit verdammt viel Rosa, findet die junge Frau, sie verrührt ihren Blick im Kaffee, in den Ohrmuscheln sammeln sich mehr und mehr Möwenzungen, der Rock ist graublau und halb Meer, durch die Nase steigen Algen, Motoröl und Fisch in den Schädel ein, die Poren auf ihrer Haut werden weiter und atmen das Salz, atmen mit den Wellen ein und aus.

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du. It‘s never cool to break up und so und yeah ... Du wusstest jedenfalls nicht mehr, wer dich da anstarrt im Spiegel, also was sagen, zerfahrene Haare und so, seit Tagen nicht mehr geschminkt, oder denken, was soll man da eigentlich denken, welche Ziele noch haben, die ja wieder ganz andere sein müssen und so weiter, also lieber still sein und liegen, im Dunkeln, wo kein Spiegelbild starrt und wachsam sein, dem Regen lauschen oder was auch immer da draußen vorm Fenster plärrt, kreischt, gackert, gröhlt, gluckst, plätschert ... (vielleicht trillert heut Nacht ein Vogel, der so verirrt unterm Mond einen Ast sucht oder ein Ästchen ...) Genug der Zerstörung. (...)

Nachtschwärmer von Cherry Hu

INSTITUT FÜR SPRACHKUNST 18. Oktober, 10–18 Uhr: Open House. Vordere Zollamtsstraße 2, 1030 Wien Studierende und Lehrende stehen für ­Informationen und Gespräche zur Verfügung 15 Uhr: Vorstellung des Studiums durch Studiengangleiter Ferdinand Schmatz. Im Anschluss lesen die Studierenden Texte aus der Werkstatt.

Cherry Hu, 23 Geboren in Wien Studiert Sprachkunst seit 2011

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wischen Erwachen und Nebel flüstert ihm sein Unterbewusstsein Folgendes zu: „Es ist drei Uhr morgens. Du hattest fünf Stunden Schlaf. Du bist 84 Jahre alt.“

Anfangs dachte er, es sei vorbei. Der Tod hatte wahrscheinlich, um nicht unhöflich zu sein, bereits im Traum sein Kommen angekündigt. Ein kurzes Hüsteln, der Zylinder wurde abgenommen, Knochenhände klopften auf Holz. Im Jenseits ist Respekt keine Kleinigkeit. Doch „anfangs“ war vor fünf Monaten. Heute öffnet er die Augen nur noch langsam und die einzige Feststellung ist: „Ich lebe noch.“ Daraufhin bleibt er liegen, bis die Umrisse seiner Schlafzimmermöbel sichtbar werden. Erst an dieser Stelle beginnt es. Es: sein Leben, die Gesamtheit zwischen Geburt und dem Jetzt, welches jeden Tag aufs Neue versucht, ihn einzuholen. Es wird nicht als Film wiedergegeben, wie viele behaupten, sondern als Fernsehreihe. Jeden Tag um drei Uhr morgens strahlt sein mentaler Kasten eine neue Folge aus, mal klar, mal unscharf und irgendwann, wenn es ihn endlich erreicht hat, wird er sich selbst sehen – ein alter Mann im Bett, so fokussiert auf den Fernseher im Kopf, dass er die gemurmelten Höflichkeitsfloskeln des Todes überhört. Ein Twoin-One, das Bild im Bild, der Traum im Traum. Er weiß: Manche meinen, dass die Zeit gar nicht existiert. Sie sagen: „Was momentan ist, war schon und wird auch schon gewesen sein.“ „Dummköpfe“, denkt er. „Sie existiert bis du alt wirst. Und dann verlierst du Gegenwart und Zukunft, weil sie dich nicht mehr aushalten. Herzlose Ausreißer, die nur deine Erinnerungen zurücklassen, weil diese zu schwer zum Tragen sind. Aber gut genug für eine billige Fernsehserie.“ (...)

The Vienna Review Voices of the New Europe

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FOTOS: privat

The Vienna Review is Austria’s only English language paper, an independent journal of news and opinion covering the life and times of Vienna and the Central and Eastern European Region, ten times a year.

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Nachtarbeiter Tags체ber studieren, nachts arbeiten. Studentenschicksal. Wir haben einen Alkoholberater, einen ehemaligen Turnusarzt, eine Prostituiertenberaterin, einen Nachtportier, einen Nachtw채chter im Fitnesscenter und eine Sozialarbeiterin in einer Notschlafstelle an ihrem n채chtlichen Arbeitsplatz besucht.

FOTOS: Sandra Eigner

Von Sandra Eigner, Sandra Schieder, Raffael Fritz, Georg Eckelsberger, Valentin Ladst채tter und Sahel Zarinfard

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Leo Singh berät junge Menschen beim Feiern. Als kleines Geschenk gibt‘s ein Gummibärchen für „davor“, ein Kondom „dafür“ und eine Reisezahnbürste für „danach“

zu anderen Jobs, die er schon gemacht hat, nicht schlecht. „Aber das war nicht das Hauptmotiv. Ich wollte etwas machen, das für was gut ist.“ Leos Arbeitszeiten kollidieren natürlich öfters mit privaten Partys. Doch das macht Leo in den allermeisten Fällen nichts aus. Meistens vergesse er während seiner Einsätze sogar auf seine eigene Party, weil er so viel Spaß daran hat. Das Arbeiten mit den Jugendlichen taugt ihm: „Zu achtzig Prozent vergeht die Arbeitszeit wie im Flug und danach hab ich selber ur Lust fortzugehen, weil ich die ganzen Leute sehe, wie sie Spaß haben.“

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gestörter biorhythmus

Der Alkberater Vielleicht seid ihr ihm schon mal begegnet: Leo Singh zieht nachts durch Lokale und Clubs und fragt junge Menschen nach ihrem Trinkverhalten. Angeblich kriegt er dabei nie auf’s Maul. Von Sandra Eigner

FOTOS: Sandra Eigner

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allo, hast du Lust auf ein Quiz mit fünf kleinen Fragen zum Thema Alkohol?“ So beginnt Leo Singh, 28, seine Arbeitsgespräche. Leo ist kein lästiger Keiler, sondern ein so genannter Promotion-Peer bei PartyFit!, einer Organisation, die Alkoholsuchtprävention betreibt. Und zwar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit einem Peer-to-Peer-Ansatz vor Ort. Das heißt, Leo ist da, wo getrunken wird. Das kann auf einem großen Fest sein, in einem Club oder ganz einfach auf öffentlichen Plätzen, an denen sich junge Leute treffen, immer abends oder nachts. Er läuft mit einem Kollegen oder einer Kollegin herum und zu zweit sprechen sie Jugendliche aus der Zielgruppe 16-24 an. Das mit dem Quiz ist kein Scherz. Tatsächlich stellen die Promotion-Peers von PartyFit! den jungen Menschen fünf Fragen, um deren Trinkverhalten zu reflektieren. Aber eben rein informierend und nicht belehrend. Leo arbeitet seit über einem Jahr bei PartyFit!. Er wird freilich nicht einfach so auf die Menschen „losgelassen“, sondern hat vor seinem DURST 2/12

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ersten richtigen Einsatz Basis-Kurse zum Thema „Substanzen und Sucht“ und „Motivierende Gesprächsführung“ besucht und war dann bei drei Einsätzen unter Anleitung seiner Peer-Koordinatorinnen dabei.

gutes tun Die meisten Jugendlichen, die Leo anspricht, finden seine Arbeit „eh cool“, sind erfreut von der Art, wie er mit ihnen umgeht. Viele seien zuerst durchaus skeptisch, aber relativ schnell kämen sie drauf, dass sie wertfrei miteinander reden können. „Man pflanzt einen Samen in die Erde und irgendwann gedeiht einmal was“, meint Leo fast biblisch. „Irgendwann nach einer Woche oder so überlegt sich jemand, mit dem ich gesprochen habe: ‚Warum hatte ich eigentlich einen Filmriss? War eigentlich gar nicht so leiwand …‘ Meine Aufgabe ist es, hier zu informieren, welche Reaktionen Alkohol auslösen könnte und wohin man sich bei Problemen wenden kann.“ Ihm gefällt sein Job, auch die Bezahlung findet er im Vergleich

Schwieriger ist dann schon die Sache mit dem Studium. Leo steht kurz vor der Diplomprüfung am Kolleg Multimedia an der Graphischen. Nach einem Einsatz schleppt er die Müdigkeit mitunter ganz schön lange mit und hat dadurch so manche frühe Unterrichtsstunde verpasst. „Der Rhythmus ist schon total gestört, anders als bei einem normalen Nine-to-five-Job.“ Wenn Leo ausschlafen kann, dann tut er es. Im Winter ist es daher oft schon dunkel, wenn er aufsteht. „Dem Körper fehlt das Serotonin, das spürt man dann schon.“ Leo bezeichnet sein Verhältnis zur Nachtarbeit als eine Art Hassliebe. Aber er hält sich grundsätzlich eher für einen Nachtmenschen, deswegen mache ihm die Nachtarbeit wahrscheinlich weniger aus als anderen Leuten, trotzdem meint Leo lachend: „Ich mach schon seit mehr als sieben Jahren Nachtdienste bei der Caritas (zweiter Nebenjob in einem Asylwerberheim, Anm.), also ganz normal bin ich nicht.“ Richtig genervt hätten ihn die Nachtdienste noch nie, sonst hätte er schon lange aufgehört, sagt Leo. Bei Leos PartyFit!-Einsätzen ist immer auch mindestens eine erfahrene Einsatzleiterin dabei. An sie kann sich Leo wenden, wenn ihn ein Gespräch überrascht hat – oder belastet. In den Gesprächen mit den Jugendlichen arbeitet Leo immer mit dem, was ihm sein Gegenüber anbietet: „Wir reden über alles Mögliche. Wenn er oder sie über Alkohol reden will, reden wir über Alkohol. Wenn er oder sie über die Schule reden will, weil die Schule so g‘schissen ist und er/sie deswegen immer mit Hawarern am Abend saufen geht, reden wir da drüber. Ich mach da viel nach Gefühl, ich hab kein Geheimrezept.“

Wir reden über alles Mögliche. Wenn er oder sie über Alkohol reden will, reden wir über Alkohol. Ich mach‘ da viel nach Gefühl. Alkoholkonsum von Jugendlichen & Studierenden

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tudenten trinken viel. Das ist nicht nur ein abgedroschenes Klischee, sondern statistisch belegte Realität: Rund 90 Prozent der Befragten einer ÖJAB-Studie (Österreichische Jungarbeiterbewegung) aus dem Jahr 2010 gaben an, Alkohol zu konsumieren – jeder Vierte wöchentlich, „nur“ knapp zwei Prozent trinken Bier und Co. täglich. Allerdings stufen die Studienautoren fast ein Viertel der Befragten als abhängig ein. Für Aufregung sorgten die Zahlen über Spitalsaufnahmen von Kindern und Jugendlichen „wegen Berauschung“: 2008 wurden 176 Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren eingeliefert. Die meisten Fälle gibt es allerdings laut aktuellem Bericht des Gesundheitsministeriums bei den 15bis 19-Jährigen: Allein 683 Burschen wurden laut dem Handbuch „Alkohol – Österreich“ des Gesundheitsministeriums in diesem Jahr eingeliefert. Bei den Mädchen waren es knapp 400.

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Als Streeetworkerin am Straßenstrich kann man schon den Glauben an die Männer verlieren

Die prostituierten-beraterin Dass ihr Nebenjob nicht gerade alltäglich ist, merkt Diana erst, wenn sie anderen davon erzählt: Die Jus-Studentin arbeitet als Streetworkerin für Straßenprostituierte. Von Raffael Fritz

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ehn Uhr abends im September: Das Riesenrad im Prater dreht gerade die letzten Runden, doch ein paar Straßen weiter geht der Trubel erst los. Leicht bekleidete Frauen säumen die Straße und warten auf ein Auto, das sie aufliest und mit ihnen für eine Viertelstunde im nahe gelegenen Parkhaus verschwindet. In der Perspektivstraße, Südportalstraße und Messestraße, wo tanzwütige Studierende von der U-Bahn zur Pratersauna spazieren und wo Ende 2013 die neue Wirtschaftsuni eröffnet, befindet sich derzeit Wiens größter Straßenstrich. Zehn Uhr abends – damit beginnt auch die Arbeit der Jus-Studentin Diana. Die nächsten paar Stunden wird sie hier verbringen, zusammen mit einer Kollegin und bewaffnet mit einer orangefarbenen Tasche voller Gleitgel, Kondome und Info-

Broschüren: „Mit den Kondomen brechen wir das Eis, denn die sind sonst sehr teuer“, sagt Diana. „Die Frauen freuen sich, wenn sie uns sehen und rufen oft schon von Weitem ‚Prezervativi, Prezervativi!‘“ Die 26-Jährige arbeitet als Streetworkerin für SOPHIE, eine Beratungseinrichtung der Volkshilfe Wien für Prostituierte: „Weil ich dort ehrenamtlich geholfen habe, war ich schon eingebunden, und so hat es sich halt ergeben“, sagt Diana. Von den Arbeitszeiten her sei es der ideale Studentenjob. „Bevor ich zum ersten Mal mitgekommen bin, war mir noch mulmig zumute, aber dann war ich positiv überrascht“, erzählt sie. „Die Frauen sind uns wohlgesonnen. Wir gehen einfach hin, sagen hallo und bauen Vertrauen auf, damit sie unsere Hilfe annehmen, wenn sie sie einmal brauchen sollten.“

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Ihre Arbeit führt Diana überall hin, wo in Wien das horizontale Gewerbe blüht. Sie verteilt Infomaterial in Bordellen – über 30 davon habe sie schon von innen gesehen – und so genannten Laufhäusern, in denen Prostituierte sich für mehrere hundert Euro pro Woche ein kleines Zimmer mit Bad mieten. Doch am meisten gebraucht wird ihre Hilfe auf der Straße, wo sich Frauen in Minirock, Netzstrümpfen und Plastikstiefeln bei jedem Wetter die Beine in den Bauch stehen. Dianas Arbeitsstelle wurde ursprünglich eingeführt, um zwischen Prostituierten und Anrainern zu vermitteln. Mittlerweile gibt es in Wien ein neues Prostitutionsgesetz – der Strich wurde aus den Wohngebieten verbannt und ist de facto nur noch an zwei Orten geduldet: Einerseits in Auhof an der Westeinfahrt von Wien – „die Gegend ist dunkel, abgelegen, nicht öffentlich erreichbar und schlicht gefährlich“ – und andererseits im Prater. Hier drängen sich jetzt über 100 Frauen auf drei Straßen, durch den Konkurrenzdruck habe ein Preisdumping eingesetzt. Nur 20 bis 30 Euro für Sex sind keine Seltenheit – oft ohne Kondom, weil viele Freier („Kunden“, sagen die Prostituierten) das verlangen: „Das sind keine edelprostituierten EscortDamen, die einen Tausender am Abend verdienen“, sagt Diana. „Diese Frauen stehen absolut am Limit.“ Die meisten von ihnen kommen aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien oder Nigeria. In der Heimat haben sie meist mehrere Kinder, die auf ihre Einkünfte angewiesen sind. Der Rest geht für Miete und Sozialversicherung drauf: Weil Prostituierte vor dem Gesetz als Neue Selbständige gelten, müssen sie sich bei der SVA versichern und haben dort, wie viele andere, oft Schulden. Mit der Selbständigkeit ist es trotzdem nicht weit her: „Die Rollen von Freund, Ehemann, Aufpasser oder Zuhälter sind oft vermischt“, sagt Diana. „Wir möchten den Frauen helfen, möglichst unabhängig zu sein.“

das männerbild leidet Also verteilen sie eben Kondome und Gleitgel, helfen bei Rechtsfragen oder der Steuererklärung, empfehlen

Krankenhäuser, in denen man keine lästigen Fragen stellt oder hören einfach zu, wenn den Frauen etwas auf dem Herzen liegt. Gegen ein Uhr nachts macht Diana Feierabend, den emotionalen Ballast kann sie auf der Perspektivstraße liegen lassen: „Man bekommt nur leider mit der Zeit ein schlechtes Männerbild“, meint Diana. „Ganze Männergruppen fahren durch und grölen nur aus dem Auto. Und es ist wirklich klischeehaft, aber ich sehe auch hin und wieder den typischen Familienwagen mit Kindersitz.“.

die frauen freuen sich, wenn sie uns sehen und rufen schon von Weitem: „Prezervativi! Prezervativ!“ Prostitution

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ber Sexarbeit in Österreich – illegal oder legal – gibt es nur grobe Schätzungen. Zwar müssen sich Prostituierte in Wien und dem Burgenland beim Meldeamt persönlich melden – in den anderen Bundesländern tun das die Bordellbetreiber für sie – und eine wöchentliche Gesundenuntersuchung vorweisen. Die Informationen darüber werden aber weder zentral noch einheitlich erfasst. Laut aktuellem „Lagebericht des Bundeskriminalamtes“ hat es in den Jahren 2007 bis 2010 einen Anstieg an legalen und illegalen Bordellbetrieben gegeben. Immer beliebter werden dabei so genannte „Laufhäuser“ und (Sauna)Clubs, während die Anzahl „klassischer Bordelle“ abgenommen habe. Vorarlberg nimmt eine Sonderstellung ein: Dort gibt es kein einziges legal zugelassenes Bordell. Die meisten „Sexarbeiterinnen“ gibt es in Wien: Bevor Straßenprostitution im November 2011 örtlich auf fünf Zonen eingeschränkt worden war, waren jede Nacht etwa 150 bis 250 Sexarbeiterinnen am Strich unterwegs. Etwa 95 Prozent der Prostituierten sind Migrantinnen. Die meisten kommen aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn.

FOTO: Raffael Fritz, Sahel Zarinfard

sex kostet 20 bis 30 euro

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FOTO: Raffael Fritz, Sahel Zarinfard

Unter der Woche passiert recht wenig. Eigentlich gar nichts. Alles schläft, einer wacht. Viel Zeit zum Lernen und Lesen

Doch die dunklen Seiten eines Nachtjobs kennt Tobias auch. Der nächste Tag ist ein verlorener, denn bis er ausgeschlafen hat, wird es schon wieder Nacht. Wirklich schlimm sind mehrere Nachtdienste hintereinander, vier Dienste seien bisher sein Rekord: „Da lebt man nur mehr in der Dunkelheit und verliert auch seine sozialen Kontakte.“ Doch selbst in diesen Nächten hat Tobias keine Probleme mit dem Wachbleiben: „Die neue Kaffeemaschine ist der Hit! Man kann sogar zwischen Cafe Latte, Capuccino und heißer Schokolade auswählen.“ Tobias ist entzückt.

der Nachtportier Blutunterlaufene Augen, schlaffe Tränensäcke und ständiges Gähnen: Das kennt der 23-jährige Student Tobias Stockinger nicht. Zumindest nicht bei sich selbst. Obwohl er als Nachtportier in einem Hotel arbeitet. Von Sahel Zarinfard

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enn der Lärm der Straßen nachlässt und die Großstadtmenschen in ihren Betten schlummern, steht Tobias Stockinger auf, bügelt sein schwarzes Hemd, stutzt seinen Vollbart, zieht sich seine schwarze Hose an und schnürt seine schwarzen Lederschuhe. „Zum Glück herrscht keine Krawattenpflicht“, sagt der großgewachsene, 23jährige Niederösterreicher, der an der Universität für Bodenkultur in Wien Umwelt- und Bio-Ressourcenmanagement im siebten Semester studiert. Um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, arbeitet Tobias als geringfügig Beschäftigter im The Art Hotel Vienna im fünften Bezirk als Nachtportier. Seit drei Jahren sitzt er vier Nächte im Monat von 23 bis 7 Uhr an der Rezeption. „Die eigentliche Arbeitszeit lässt sich auf drei Stunden reduzieren“, sagt Tobias. In dieser Zeit zählt er Einnahmen, verschickt Rechnungen, ordnet Reservierungen und nimmt Bestellungen für einen Weckruf von den Gästen entgegen. Der nächtliche Rundgang durchs Hotel ist für Tobias der unangenehmste Teil der Arbeit: „Das kann DURST 2/12

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echt unheimlich sein, vor allem im Keller! Dabei muss ich immer an den Film ‚Shining’ denken“. Die restliche Zeit verbringt er mit Lesen, Filmschauen und Internetsurfen. Sein Arbeitsplatz ist schlicht und aufgeräumt: Ein Monitor, ein Laptop, ein Roman und eine Kaffeetasse bilden einen Halbkreis. Es ist ruhig im Foyer. Gespenstisch still. Ganz leise dudelt Musik.

lernen während der arbeit Durch seinen großen Bruder, der ebenfalls als Nachtportier gearbeitet hat, ist er zu seinem Job gekommen. Qualifikationen benötigt der Beruf keine: „Die Augen sollte man offenhalten können und die paar Handgriffe sind schnell erlernt“, sagt Tobias augenzwinkernd. Ein wenig verdutzt reagiert er auf die Frage, warum er ausgerechnet als Nachtportier arbeitet: „Warum nicht? Das ist ein super Job. Die Arbeit ist nicht kräftezehrend und die restliche Zeit kann ich frei gestalten. Nicht selten lerne ich für die Uni. Andere Studentenjobs könnten mir das nicht bieten“.

mit pauken und trompeten Wenn Tobias an den Wochenenden Dienst hat, sieht er gelegentlich liebestrunkene Paare und von Wein beduselte Geschäftsmänner in die Lobby torkeln. Während die einen die ungestörte Zweisamkeit im Hotelzimmer aufsuchen, leeren die anderen die restlichen Flaschen, die hinter der Bar stehen. „Manche Businessmänner können recht unangenehm werden, wenn sie mich mit herablassendem Blick nach mehr Wein fragen. Sie glauben bestimmt, ich hätte es nicht zu mehr gebracht. Aber das lässt mich eigentlich kalt“, sagt Tobias. Die restlichen Wochentage passiere wenig. Eigentlich nichts. Sogar gar nichts. Gibt es keine Extrawünsche von Gästen? Nein. Keine spontanen Partys von Jugendlichen? Nope. Beschweren sich nie irgendwelche Gäste über andere? Doch! Einmal sei das passiert. Da hätten 26 chinesische Kinder, die einem Orchester angehören, mitten in der Nacht in ihre Tuba, Trompeten und Klarinetten geblasen. „Sie konnten kein Englisch und ich kein Chinesisch. Pantomimisch habe ich auf die Nachtruhe verwiesen“, sagt Tobias und lächelt verlegen. Aha. Klingt nicht nach einem spannenden Plot für eine Komödie. Eher nach einem französischen Schwarzweißfilm mit Untertiteln. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen und auch die Hektik der Großstadt macht sich langsam bemerkbar. Während Tobias zu Hause die Vorhänge zuzieht und sich schlafen legt, beginnt für andere erst der Tag. Gute Nacht!

manche businessmänner können recht unangenehm werden, wenn sie mich mit herablassendem blick nach mehr wein fragen. Hotel im FIlm

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ilme, die in Hotels bei Nacht spielen, gibt es einige. Und auch der österreichische Film muss sich hier mit Jessica Hausners „Hotel“ (2004) nicht verstecken. In einem abgeschnittenen Berghotel verschwinden Rezeptionistinnen auf unerklärliche Weise. Als einer der wichtigsten internationalen Filme gilt hier natürlich „The Shining“ (1980): Jack Nickolson als Hausmeister im „Overlook Hotel“ und Mörder im Wahn hat sich tief in das Gedächtnis der Filmgeschichte eingebrannt. In „Identity“ (2003) finden gleich zehn Motelgäste in der Wüste von Nevada ihr Ende. Der Mörder ist hier ein kleiner Junge – der wiederum lebt nur in der Vorstellung eines Serienmörders. Oder doch nicht? „The Million Dollar Hotel“ (2000) spielt fast nur im Hotel. Wim Wenders lässt Mel Gibson nach einem Mörder suchen, den es nicht gibt. Bewegende Kamerafahrten über die Skyline von L.A., unterlegt mit Musik von U2. „Lost in Translation“ (2003) lässt zwischen Bob (Bill Murray) und Charlotte (Scarlett Johansson) eine tiefe, aber kurze Freundschaft in einem Hotel in Tokio entstehen. Der wichtigste Mord der Filmgeschichte in einem Hotel schließlich passiert natürlich in Hitchcocks „Psycho” (1960) unter der Dusche.

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In die Notschlafstelle away kommen Jugendliche zwischen 14 und 18, um endlich einmal Ruhe zu finden

zu Freunden, manche zurück nach Hause. Sie gehen überall dort hin, wo sie das nicht finden, was sie hier bei away suchen. „Bei uns ist immer um halb zwölf Bettruhe”, sagt Andrea. Viele lägen aber schon viel früher in ihrem Bett. „Ich glaube, was die Jugendlichen bei uns suchen, ist in erster Linie Ruhe”, sagt Andrea. Die finden sie hier zumindest für ein paar Nächte – auch wenn alle paar Minuten die Wände wackeln.

Jusstudentin Andrea Walch, 33, wacht nachts über den Schlaf von Jugendlichen, die in der Notschlafstelle away am Wiener Westbahnhof Unterschlupf suchen. Zum Lernen kommt sie dabei kaum. Von Georg Eckelsberger

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enn die Züge über die nahen Gleise rattern, wackeln in der Notschlafstelle away die Wände. In der Felberstraße, direkt an den Bahnsteigen des Wiener Westbahnhofs, ist die Caritas-Einrichtung untergebracht, die Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren einen Unterschlupf bietet. Es ist halb acht Uhr abends, für Andrea beginnt gerade der Nachtdienst. Seit sieben Jahren arbeitet die 33-jährige Jusstudentin hier, damals gründet eine Gruppe von Sozialarbeitern die Notschlafstelle. Zehn Betten stellen sie hier Nacht für Nacht Jugendlichen zur Verfügung. „Die Kette hänge ich eigentlich immer vor”, sagt Andrea und lässt die Sicherheitskette an der Glastür einschnappen. Die „Schleuse“ nennen die Mitarbeiter den kleinen Vorraum, durch den Neuankömmlinge die Einrichtung betreten. Hier müssen sie sämtliche eigene Kleidung, bis auf die Unterwäsche ablegen, um weiterzudürfen. Sie bekommen stattdessen T-Shirts und Trainingsanzüge der Notschlafstelle. Man will kein unnötiges Risiko eingehen. Es sind Kinder aus zerrütteten Familien, die es in ihren Pflegefamilien nicht mehr aushalten, Jugendliche aus den Bundesländern, die in der

großen Stadt ihr Glück suchen oder Backpacker aus ganz Europa, die hier in Wien ohne einen Cent in der Tasche stranden und dann einen Unterschlupf suchen. Es sind aber vor allem junge Menschen, die Probleme haben – fast immer mit Geld, oft mit Drogen. Ein schmaler Gang führt von der Schleuse weg durch das Gebäude, rechts ein Spritzencontainer, links ein Spiegel mit allen möglichen Kosmetikartikeln. „Wir haben auch ein Haarglätteisen, das brauchen die Mädls und die Burschen”, sagt Andrea und lacht. Probleme hin oder her, es sind immer noch Jugendliche, die hierher kommen. Andrea hat selbst eine Tochter, vier Jahre alt, wenn sie zweimal die Woche hier Nachtdienst schiebt, passt ihr Papa auf sie auf.

Ein platz, um sich auszuruhen Vor sechs Jahren hat die diplomierte Sozialarbeiterin neben der Arbeit ihr Jusstudium begonnen. Es geht nicht so schnell vorwärts, wie Andrea es sich wünschen würde: Die Babykarenz, die Nachtdienste – Andrea hat sich das Nebenbei-Studium leichter vorgestellt. „Ich lese in den Nächten viel, aber meistens keine rechtswissenschaftlichen Bücher”,

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sagt Andrea. Die Konzentrationsfähigkeit lasse zu später Stunde eben doch zu wünschen übrig. Außerdem hat sie, auch wenn die Jugendlichen in ihren Stockbetten liegen und schlafen, Dinge zu erledigen. Neben der Versorgung der Neuankömmlinge – die Türen von away sind die ganze Nacht geöffnet – muss Andrea Verwaltungsaufgaben erledigen, die tagsüber liegen geblieben sind und nebenbei noch die Lebensfunktionen der Nachtgäste überprüfen. Mit ihrer Taschenlampe geht sie in die zwei Schlafräume, einer für Burschen, der andere für Mädchen, und sieht nach, ob sich ihre Brustkörbe noch heben und senken. Junge Drogenabhängige seien noch gefährdeter als ältere, sagt Andrea. Sie wüssten oft noch nicht über die richtige Dosis Bescheid, hätten weniger Routine. Da kann es schnell zum „Goldenen Schuss“ kommen. Hat jemand schon vor dem Schlafengehen glasige Augen, sieht Andrea alle 30 bis 40 Minuten nach, ob er noch atmet. Zur Sicherheit. Morgens um halb neun schließt die Notschlafstelle wieder, bis dahin müssen die Gäste gehen. Maximal fünf Nächte pro Monat stehen jedem Jugendlichen, in Ausnahmefällen jungen Menschen bis 21, zu. Gibt es Aussichten auf eine positive Entwicklung ihrer Situation, eine betreute WG, eine eigene Wohnung, eine Rückkehr zur Familie, dürfen sie bis zu 28 Nächte bleiben. Untertags verteilen sie sich wieder auf die Stadt – jene mit Drogenproblemen gehen zu den bekannten Umschlagplätzen, die anderen in Einkaufszentren,

Obdachlosigkeit

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ach Definition der Bundesarbeitsgesellschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) gilt als obdachlos, wer auf der Straße oder in Notunterkünften lebt. Genaue Zahlen, wie viele Menschen das hierzulande sind, gibt es aber nicht – dieser Umstand ist ein häufiger Kritikpunkt an der Situation in Österreich. Es gibt lediglich Anhaltspunkte: 2006 zählte die BAWO über 37.000 Menschen, die Hilfsangebote wie ambulante Versorgung oder Notschlafstellen in Anspruch nahmen – nicht alle davon sind obdachlos, viele dürften doppelt gezählt worden sein. Wer obdachlos wird, zeigt die Statistik aber deutlich: Meist sind es Männer im mittleren Alter, die auf der Straße landen. Obdachlose Jugendliche sind in Österreich die Minderheit. Trotzdem, oder gerade deswegen, haben Sozialarbeiter mit away diese Nische besetzt: Minderjährigen sollte ein Rückzugsort abseits der bestehenden, oft überlaufenen Notquartiere für Erwachsene bekommen. Zehn Betten und zwei Notbetten stehen seit 2005 zur Verfügung. Drogenabhängigkeit ist ausdrücklich kein Ausschlussgrund ein Bett zu bekommen – im Quartier herrscht allerdings Nulltoleranz, was Konsum angeht. In jedem der zwei Schlafräume gibt es einen Platz für ein mitgebrachtes Haustier. Nach fünf Nächten ist allerdings in der Regel Schluss: Bis dahin soll zum Beispiel ein Platz in einer betreuten WG gefunden werden. Wenn es länger dauert, dürfen die Jugendlichen aber bis zu 28 Tagen bleiben.

FOTOS: Georg Eckelsberger, Valentin Ladstätter

Die schlafwache

Die „Schleuse“ nennen die Mitarbeiter den kleinen Vorraum, durch den neuankömmlinge die einrichtung betreten.

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Sem muss darauf achten, dass auch nachts im Fitnesscenter alles in geordneten Bahnen verläuft

Bis auf ein paar Leute ist nachts nichts los. Komplett leer ist das Studio aber auch nie.

700 euro im monat

der Nachtkraftwerker Sem Katusic, 23, studiert an der BOKU und arbeitet nachts in einem Fitnesscenter im 10. Bezirk. Nicht als Trainer, sondern als Nachtwächter. Ist das lustig? Von Valentin Ladstätter

S

Uhr bis sechs Uhr früh. Tagsüber ist er Student an der BOKU. Das Studio von McFit sieht aus wie eine riesige Lagerhalle, in der unzählige Geräte von Neonröhren beleuchtet und von KroneHit beschallt werden.

Zu viele stereoide Das Einzige, was ihn stört, sind die Manieren einiger Klienten. Das sei der Haken an den Preisen. Knappe zwanzig Euro pro Monat kostet die Mitgliedschaft. „Darum ist das Publikum ab und zu ein bisschen gewöhnungsbedürftig“, sagt Sem. Außerdem nimmt der Missbrauch von Stereoiden zu. Laut Sem

legales doping

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ahrungsergänzungsmittel für Sportler beinhalten u.a. Antioxidantien, BCAA (branched-chainamino-acids), Koffein oder Kreatin. Laut deutschem Institut für Sporternährung sind sie bei ausgewogener Ernährung überflüssig. Zwar schützen Antioxidantien den Organismus, aber ein Sportler braucht alle antioxidativen Nährstoffe, nicht nur einen einzelnen. Mit natürlichen Milchprodukten lassen sich auch relevante BCAA-Mengen auf natürlichem Wege aufnehmen.

FOTOS: Georg Eckelsberger, Valentin Ladstätter

chlägerei am Quellenplatz. Vielleicht war es keine gute Idee, Sem am Samstag um zwei Uhr früh besuchen zu gehen, wenn die Stimmung explodiert. Sem arbeitet als Nachtwächter in einem Fitnessstudio im 10. Bezirk von 22

Sem mag die Ruhe. Die Zeit verbringt er mit Lesen, Lernen oder Trainieren. Zwischendurch räumt er auf oder hilft bei Fragen. „Genau so einen Job hab‘ ich gesucht,“ sagt er. Wenn das Studium stressig wird, kann er mit Kollegen Dienste tauschen. Für das Thema Fitness interessiert er sich seit Jahren. „Bei der Bewerbung war es wichtig, dass man sich im Fitnessbereich auskennt, und weniger, ob man selbst trainiert ist.“ Seit einem guten Jahr arbeitet er nun schon 20 Stunden pro Woche bei McFit. Er hat diese Filiale mit aufgebaut. „Das war hier am Anfang noch eine Baustelle. Wir haben geputzt, wir haben gebaut. Das hat viel Spaß gemacht“, sagt Sem. Von den 700 Euro, die er im Monat verdient, kann er den Großteil seines Studiums finanzieren. Ein wenig zusätzliche Unterstützung bekommt er von seinen Eltern.

erkennt man solche Kunden leicht: „Denen kocht das Testosteron aus den Poren. Dadurch sind sie viel aggressiver.“ Was das Arbeitsklima manchmal etwas kompliziert macht. Aber Sem bleibt cool. Nicht alle Kunden sind Testosteronboliden. Außerdem könne er sie auch verstehen. „Wenn du fünf Mal die Woche trainierst und so gut wie keine Erfolge siehst, während einer neben dir viel schneller vorwärts kommt, das deprimiert schon.“ Er selbst wurde von den hohen Kosten und den Nebenwirkungen abgeschreckt. Wenn die Stere oide aufgebraucht sind, wachsen einem Brüste, weil der Körper die Östrogenproduktion hochfährt. Tief in der Nacht verabschiede ich mich. Am Quellenplatz ist die Schlägerei vorbei. Um halb vier schläft auch der 10. Bezirk. Außer bei McFit.

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Nachts lernt man am meisten: Dann wird die administrative Routine von echten Notfällen abgelöst

Akutfällen geprägt. „Als Turnusarzt übernimmt man in der Nacht große Verantwortung, weil man der zuständige Arzt ist, der den Patienten als Erster zu versorgen hat“, sagt Alexander. Ein Turnusarzt arbeitet an der Front des Geschehens im Emergency Room und muss die Nerven behalten. Ein Fach- oder Oberarzt steht aber immer beratend zur Seite. Alexander begann sein Medizinstudium an der Universität Wien. Während des Studiums war er im AKH wissenschaftlich tätig und verbrachte als Famulant (Medizinstudent im Praktikum) einige Monate in Australien. Nach dem Abschluss und einer Lehrpraxis für Allgemeinmedizin folgte dann die Turnusausbildung.

die nachtschicht entscheidet

Der Turnusarzt Alexander Vojcsik wollte schon als Kind Arzt werden und beendete vor knapp einem Jahr seine Turnusausbildung – eine anstrengende Zeit mit vielen Nachtdiensten im Krankenhaus. Von Sandra Schieder

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eder, der Arzt werden will, muss nach seinem Studium als Turnusarzt hackeln. Die Kernarbeitszeit dauert von 8 bis 13 Uhr, dazu kommen 25-Stunden-Dienste. Übermüdung zählt nicht. „Die Aufgabe eines Mediziners ist es, rund um die

Uhr für den Menschen da zu sein“, erklärt der 35-jährige Alexander Vojcsik, mittlerweile in Ausbildung zum Facharzt für Unfallchirurgie. Gerade die Nacht ist für den Lernprozess eines Arztes in Ausbildung entscheidend, denn sie ist von

Sein Rückblick fällt durchwachsen aus: „Wir Turnusärzte verbringen tagsüber sehr viel Zeit mit Routinearbeiten: Blut abnehmen, Infusionen anhängen, Röntgeneingaben und administrative Tätigkeiten – da lernt man nicht wirklich die ärztliche Praxis.“ Deshalb ist die Nachtschicht so wichtig, da wird die Routine von den Notfällen abgelöst. Da kann man zeigen, was man gelernt hat. Und muss es auch zeigen. Es geht um Menschenleben, nicht um Administration. „Wir helfen Menschen in höchster Not und geben ihnen das Gefühl, nicht alleine zu sein.“ Natürlich ist man als Arzt mit Leid und manchmal schrecklichen Schicksalen konfrontiert. Und das

nach über zwanzig Stunden Dienst ohne Schlaf. Man müsse in jedem Fall Distanz wahren, auch wenn das manchmal schwer fällt: „Wenn man zu sehr in schicksalhafte Erlebnisse hineinkippt, läuft man Gefahr, Privates und Berufliches nicht mehr trennen zu können.“

Ärzte-Fussballweltmeisterschaft Manchmal kann es aber auch gut sein, Privates und Berufliches zu verknüpfen. Alexander spielt seit 2006 im österreichischen ÄrzteFußballnationalteam. Neben der Ärzte-Fußballweltmeisterschaft, die einmal im Jahr ausgetragen wird, findet einmal im Monat ein karitatives Match statt. Die Erlöse gehen an das SOS-Kinderdorf oder das St. Anna Kinderspital.

Was ist ein Turnusarzt?

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n Österreich gibt es eine Ärzte-Ausbildungsordnung: Um Facharzt zu werden, muss eine sechsjährige Ausbildung – Turnus – an einer der Lehrstätten (z.B.: Uniklinik) abgeschlossen werden. Danach kann eine FacharztPrüfung, eine Mischung aus MultipleChoice-Fragen und Fallbeispielen, abgelegt werden. Dass man einem Chirurgen das Skalpell reichen darf, geht schneller: Operationsgehilfe ist man schon nach einem Kurs, der durchschnittlich 135 Stunden dauert.

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Tag der offenen Tür

16. März 2013

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Nachts in der U-Bahn

0.40 Uhr, Spittelau: Das wahrscheinlich scheußlichste Outfit dieser Nacht

1.55 Uhr, Karlsplatz: Das nächtliche Wiener Einsermenü

2.00 Uhr, Karlsplatz: Da ist wohl eine längere Nacht geplant

0.40 Uhr: Nachts U-Bahnfahren ist nichts für ältere Semester

0.45 Uhr, Schwedenplatz: Lustig samma

2.00 Uhr, Karlsplatz: Zuerst Gesangseinlage, dann Pseudo-Fights. Lustig samma immer noch

0.47 Uhr, Schwedenplatz: Keiner will diesen schönen Hut

2.20 Uhr, Längenfeldgasse: Heiß, heißer, Längenfeldgasse

Der Auftrag: Allein mit der U-Bahn durch eine lange Wiener Nacht. Aufschreiben und fotografieren, was einem dabei wiederfährt. Auch wenn nix passiert. Ein nächtlicher Report von Zusammenstößen, Annäherungen und Ausbrüchen.

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ussis und Tusseriche in der U6, kaputte Typen in der U4. Gleich zu Beginn entdecke ich in der Station Spittelau das hässlichste Kleidungsstück des Abends: Dalmatinerleggins. Habe ich schon wieder einen Trend verpasst? Schwedenplatz, Knotenpunkt des nächtlichen Geschehens. Nirgends finde ich so viele kreischende junge Leute. Nirgends ist die Geruchsbelästigung größer und die Dichte an Betrunkenen höher. Aber die Stimmung ist super, auch wenn geschrien wird und um Kopfbedeckungen gerauft. McDoof und Döner werden als kulinarisches Highlight von Glutamat-Nudeln abgelöst – jetzt auch im Plastiksackerl.

25 Minuten Wartezeit? So war das eigentlich nicht gedacht; findet auch ein angeheiterter Halbstarker und macht sich am Stromverteiler zu schaffen. „Hey, du“, donnert es von der anderen Seite des Bahnsteigs, und die Stationsaufsicht, zwei Helden in gelben Warnwesten, eilt herbei und verhindert, dass die U4 dank einer Grillerei vorzeitig Betriebsschluss hat. Vom Schwedenplatz aus wage ich eine Expedition nach Leopoldau, überzeugt davon, dass die Bewohner der Gemeindebau-Ungetüme am Stadtrand stimmungsmäßig genauso viel drauf haben wie die Söhne und Töchter in der City. Weit gefehlt: Die Leopoldau rockt so gar nicht, ich

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glaube, hier sagen sich nicht einmal Fuchs und Hase gute Nacht. Vermutlich sind sie alle am Schwedenplatz. Auf der Rückfahrt in die Stadt bin ich alleine mit meinem Fahrer.

Philippinische lebensfreude Auch der Praterstern ist ruhiger, als ich mir das vorgestellt hatte, aber vermutlich haben sich alle Partypeople im Labyrinth am Praterstern einfach nur verlaufen. Aber da, ich höre Gekreische und spurte die letzte Rolltreppe hoch. Eine Gruppe junger Philippininnen steht vor dem Bankomaten und … ja, keine Ahnung, was da eigentlich abgeht. Sie schreien sich

an, in der nächsten Sekunde lachen sie und schließlich rennt eine von ihnen zum obligatorischen StationsAsiaten und schwingt sich auf einen dekorativen Mini-Elefanten. In der U1 hat sich einer häuslich eingerichtet. Seine Jacke hat er auf einen Haltegriff gehängt, seine Schuhe ausgezogen und sich vom sanften Hin und Her des U-BahnWaggons in den Schlaf wiegen lassen. Auf den Karlsplatz ist immer Verlass. Auch wenn er nicht mehr ist, was er einmal war, gruselt er mich jetzt auf eine ganz andere Art. Wo früher spastische Zuckungen und blaue Lippen an der Tagesordnung waren, hängen jetzt Kabel von der DURST 2/12

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FOTOS: Sandra Eigner

Von Sandra Eigner (Text & Fotos)


0.50 Uhr, Schwedenplatz: 25 Minuten warten? Da fahr ich lieber in die andere Richtung

FOTOS: Sandra Eigner

3.10 Uhr, Handelskai: Bock auf einen Snack?

Stationsdecke und kühles Neonlicht soll wohl für ein hippes Ambiente sorgen. Klappt aber nicht. Beim Versuch, in Richtung Resselpark noch ein paar Junkies zu finden, stoße ich auf einen Haufen geleerter Bierdosen und Verpackungsreste. „Das Buffet ist geschlossen, die Action hat sich verlagert“, denke ich, just als neben mir drei Skateboarder in die Station einfahren – einer von ihnen liegt wenige Sekunden später am blank polierten Steinboden. Und dann bietet der Karlsplatz auch noch die schönste Gesangseinlage des Abends: Eine Gruppe von acht jungen Burschen kommt grölend die Rolltreppe herunter und beglückt uns mit einem kakofonen Medley aus Andreas Gabalier, DJ Ötzi, Fürstenfeld und dem Fliegerlied. Die Landstraße ist dagegen eine riesige Enttäuschung, noch totere Hose geht gar nicht. Gerade wundere ich mich über die These einer Gruppe junger Männer – „Die Schweizer saufen nur Eristoff. Haben so viel Geld und saufen nur DURST 2/12

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0.50 Uhr, Schwedenplatz: Gleich geht‘s lo-os

0.51 Uhr, Schwedenplatz: Vom Monster Gebratene Nudelnzur im Sackerl Traumfrau. Luzides Träumen kann bei der Bewältigung von Alpträumen helfen, oder einfach nur schön sein.

1.17 Uhr, Leopoldau: Der Bär steppt woanders. Nix wie weg hier!

2.30 Uhr, Westbahnhof: Alle wollen irgendwo hin, keiner bleibt. Aber ein Blick hätte sich schon gelohnt

Eristoff “ – da steht plötzlich der heißeste Typ des Abends vor mir, ayayay. Doch dann macht er seinen Mund auf und der Sekundenzauber ist verflogen: Er labert nur Scheiß und das mit sich selbst. Als ich so meinen Fantasien nachhänge, fällt mir auf, dass ich noch niemanden schmusen gesehen habe! Kann das denn sein? Trauen sich die Leute nach dem Sex-Video aus der U1 nicht mehr öffentlich zungenküssen? Gute Chancen auf Zungenküsse haben die Mädels, auf die ich in der Längenfeldgasse treffe. Prädikat: kürzeste Röcke des Abends! Da geht’s wohl noch weiter ins U4. Für mich hingegen geht’s weiter mit der U6 zu einem kurzen Zwischenstopp am Westbahnhof. Anders als am Schwedenplatz, stehen die Leute hier nicht gemütlich zusammen, quatschen und essen, sondern sind nur auf dem Weg von A nach B. Manche schneller, manche eher langsamer: Bei den ersten Mädels offenbart sich die Problematik der hohen Hacken. Totaaaal errrrotisch wie der

ganze Trip bisher … Aber endlich, da halten sich zwei im Arm und stupsen ihre Näschen aneinander. Irgendwie süß. Wobei die U6 gen Floridsdorf so gesteckt voll ist, dass es unweigerlich zu Körperkontakt kommt. Saumäßig dreckig ist es hier, es stinkt und es ist laut – endlich! Zwei Mädels in Schnürstiefeln und etwas zu schwarzem AugenMake-up ziehen eine Show für den ganzen Wagen ab, indem sie sich lautstark nicht darauf einigen können, ob sie nun Alser Straße oder Alsergrund aussteigen wollen und ob das denn auch die richtige Richtung ist. Ich traue mich noch einmal nach Transdanubien. Doch auch die U6, die mir ab der Station Jägerstraße als Dealer-­Paradies beschrieben wurde, enttäuscht. Nicht nur mich: Im Wagen hinter mir schlafen zwei Männer selig nebeneinander … die werden wohl noch eine Extrarunde drehen. Beim zweiten Gastspiel in Spittelau zeigen sich dann die ersten Ermüdungserscheinungen.

3.20 Uhr, U4: Matte Gesichter, aber die U-Bahn ist noch voll

Mädels wie Burschen sitzen am kalten Beton, Dosenbier trinken sie aber immer noch …

die is ka 10, oida Wieder in der U4 lerne ich ein neues Bewertungssystem für die Qualität von Damen kennen. „So schoaf is de Laura ned, die is ka 10, Oida!“, erklärt ein beflaschter Typ seinem Freund. Auf meiner Fahrt zum Schottenring offenbart sich ein immer gleichmäßigeres Bild: schlafende Menschen. Sie schlafen in der U-Bahn, auf den Bänken am Bahnsteig und stehend gegen Säulen und Schaukästen gelehnt. Am Schottenring ein Rettungseinsatz, das Flex gibt den Menschen halt was sie wollen und manchmal auch zu viel davon. Ich steige in die U2 und fahre noch einmal zum Schottentor. Da erwartet mich nur ein herrenloser Schuh. Die Nacht hat ihren Zenit überschritten. Zeit, nach Hause zu fahren … dafür nehm’ ich jetzt aber den Bus.

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Nächtliche Fundstücke

Fundstück ist gelogen, diesen giftgrünen Hingucker habe ich für einen Euro erstanden – Diebstahl eigentlich. Kaum eingetragen, musste ihn ein armer Junggeselle auf Abschied, nachdem er in einer heißen Wiener Sommernacht vermutlich sämtliche Damen, die nichts ahnend über den Schwedenplatz flaniert waren, halb um den Verstand gebracht hatte, das gute Stück auf Höhe Badeschiff schon wieder billig verscherbeln. Glück muss man haben! ge Stabiles dunkelbraunes Leder. Grobmaschig verarbeitet und mittlerweile verstaubt. So liegt er seit Monaten in meinem Bücherregal. Oder schon über ein Jahr? Ein Maulkorb. Ich kann mich nicht erinnern und auch einfach keine Narben von Reißzähnen eines Hundes an meinem Körper entdecken. Ich stelle mir einfach vor, ich bin in Manier von Sven Regeners Herr Lehmann auf der Straße einem Hund begegnet und im Austausch für einen Schluck Whiskey hat er mir den Beißschutz überlassen. Wo zum Teufel habe ich nur diesen Maulkorb her? mk

Dieses stilsichere Leoparden-Halstuch habe ich auf einem nächtlichen Spaziergang (klassisch die Nightline verpasst und zu knausrig für ein Taxi) am Gürtel auf Höhe des AKHs gefunden und mich sogleich damit geschmückt. Als ich den Fund am nächsten Tag rekonstruiert hatte, brachte ich es nicht über‘s Herz, das abscheuliche Ding wegzuwerfen. Die nächste Bad-TasteParty kommt bestimmt. se

Ein Relikt meiner Jugend fand ich diesen Sommer im Mund eines Freundes. Als Parties noch „Festln“ hießen und in Scheunen statt in Saunen stattfanden, standen Teenager am Rande der Tanzfläche, darauf hoffend, mit dem Knicklicht eine Mundhöhle zu erhellen. Wer sich über die Bässe von Gigi D´Agostino zulächelte und den Schein von grünem Licht hinter den Zähnen erspähte, konnte sich seiner Sache relativ sicher sein. Irgendwann wurden Gespräche aber doch wichtiger als schlechte Küsse. ms Lane war ziemlich dick. Zuerst dachte ich ja, dass er meine Freundin anbaggert, nachdem ich mich in der kleinen Bar an der Lower Eastside Manhattans nur kurz umgedreht hatte, um mein Bier abzustellen. Aber Lane, der Kunsthändler aus Brooklyn, hatte sie nur angesprochen, weil sie so französisch aussah. Er gab uns seine Visitenkarte und lud uns zu einer Schwulenparty ein. vl

Exklusiv bei:

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Freund D. lacht sich heute noch einen ab, wenn er die Geschichte vom bemalten Stierschädel erzählt, den er mit einem Freund eines Nachts „gefunden“ hatte – und, naja, der heute wahrscheinlich in Amsterdam ist. Zuvor durfte er in jener Nacht mit den drei betrunkenen Freunden aber noch U-Bahn fahren und Passanten erschrecken. Schlechtes Gewissen? Aber wo, sagt D. Irgendwo hat der Stierkopf ja selbst zum Diebstahl aufgefordert. Schließlich steht auf seiner Stirn groß „COURAGE“. sl

Fotos: privat

Meine Schreibtischschublade ist voll von Karten, die mir nette Menschen zum Abschied in die Hand gedrückt haben. Manche sind Freunde geworden, andere habe ich vergessen. Ihre Karten sind geblieben. Aber sie waren alle mal wichtig in einer langen Nacht, beim Fluchtachterl, in Wien, Berlin, Zürich, Barcelona, Graz, in einer Bar, beim Heurigen, in fremden oder vertrauten Wohnungen. Hey, war nett! Meld dich mal! Ich ruf an! tav

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