ÖFG 2024

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Der Österreichische Wissenschaftstag 2024 DAS MAGAZIN DER ÖSTERREICHISCHEN

DER MENSCH UND SEINE KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER!

Als neuer Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft freue ich mich gemeinsam mit unserem Beiratsvorsitzenden, Sie mit der 11. Ausgabe des ÖFG-Magazins über unsere Initiativen und Aktivitäten im Jahr 2024 zu informieren.

In dieser Ausgabe erwarten Sie u. a. Einblicke in das Scha en zweier unserer Arbeitsgemeinschaften und Berichterstattung über unsere bildungs- und hochschulpolitischen Initiativen: den ÖFG-Workshop „Von der Schule zur Hochschule – von Schnittstelle zu Nahtstelle“ (ab Seite 10) und das Symposium „Forschungsförderung in Österreich“ (Seite 16). Darüber hinaus befragten wir Vertreter:innen aller Bundesländer zu ihren aktuellen Schwerpunkten im Bildungs-, Wissenschaftsund Forschungsbereich (ab Seite 20).

In der Rubrik „4 aus 300“ stellen wir Ihnen vier Projekte vor, die mit Hilfe unseres Förderprogramms „Internationale Kommunikation“ verwirklicht werden konnten. Und wir präsentieren die Preisträger:innen der ÖFG-Preise für Wissenschaftsjournalismus, die im Juni d. J. zum zweiten Mal verliehen wurden. Wir gratulieren allen Preisträger:innen herzlich!

Die sich laufend weiterentwickelnden Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) und deren vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im Alltag wie in der Wissenschaft machen zunehmend die Mächtigkeit von KI für

Emil Brix

Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

Harald Kainz

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der ÖFG

Medieninhaber und Verleger: Österreichische Forschungsgemeinschaft, Berggasse 25/21, 1092 Wien

T: +43/1/319 57 70

E: oefg@oefg.at Druck: Wograndl Druck GmbH, 7210 Mattersburg

die Gesellschaft sichtbar. Durch den Einsatz der KI entstehen vielschichtige ethische und rechtliche Fragen, ebenso wie Fragen nach der Verantwortung für die damit verbundenen Handlungen und Produkte. Der diesjährige Wissenschaftstag „Der Mensch und seine Künstliche Intelligenz“ hat sich den Herausforderungen, Chancen und Potenzialen von KI gewidmet und sich mit den Auswirkungen auf unsere Gesellschaft beschäftigt. Ab Seite 24 nden Sie eine Nachbearbeitung der vielfältigen Beiträge des Wissenschaftstags.

Unter dem QR-Code nden Sie unser Positionspapier „für wichtige Inhalte eines zukünftigen Regierungsprogrammes im Bereich Wissenschaft, Forschung und Innovation“ für die neue Bundesregierung.

Leider müssen wir auch vom Ableben unseres Beiratsmitglieds Hans Tuppy berichten. Die ÖFG verlor mit ihm einen herausragenden Wissenschaftler und geschätzten Menschen, der sich mit seiner Expertise sowie seinem unermüdlichen Engagement vierzig Jahre lang für die Anliegen und Ziele der ÖFG eingesetzt hat. Die ÖFG wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren (Seite 4).

IHR

EMIL BRIX

IHR

HARALD KAINZ

PEFC/06-39-364/16

Fotos: Hans Ringhofer, Lunghammer/TU Graz

DER WISSENSCHAFTLICHE BEIRAT DER ÖFG

Martin Gerzabek, Univ.-Prof. für Ökotoxikologie und Isotopenanwendung, BOKU Wien

Peter Parycek, Univ.-Prof. für E-Governance, Universität für Weiterbildung Krems

Christiane Spiel, Univ.-Prof. für Bildungspsychologie und Evaluation, Universität Wien

Reinhard Heinisch, Univ.-Prof. für Politikwissenschaften, Universität Salzburg

Magdalena Pöschl, Univ.Prof. für Rechtswissenschaften, Universität Wien

Barbara StelzlMarx, Univ.-Prof. für Geschichte, Universität Graz

NACHRUF AUF HANS TUPPY

Eine historische Persönlichkeit 4–5

FÖRDERUNG FÜR DEN NACHWUCHS

Vier von 300 Jungforscher:innen, die die ÖFG heuer unterstützte 6–7

AUSZEICHNUNGEN

für Wissenschaftsjournalist:innen 8–9

BILDUNGSPOLITISCHE

TAGUNG

Von der Schule zur Hochschule 10–15

Bernhard Jakoby, Univ.-Prof. für Mikroelektronik, Universität Linz

Eva-Maria Remberger, Univ.-Prof. für Romanistik, Universität Wien

Friederike Wall, Univ.-Prof. für Unternehmensführung, Universität Klagenfurt

Harald Kainz, Univ.-Prof. für Siedlungswasserwirtschaft, TU Graz, Beiratsvorsitzender

Kurt Scharr, Univ.-Prof. für Geschichte, Universität Innsbruck

Viktoria Weber, Univ.-Prof. für Biochemie, Universität für Weiterbildung Krems

Wolfgang Kautek, Univ.-Prof. für Physikalische Chemie, Universität Wien

Eva Schernhammer, Univ.-Prof. für Epidemiologie, Medizinische Universität Wien

Susanne WeigelinSchwiedrzik, Univ.-Prof. für Sinologie, Universität Wien

Oswald Panagl, Univ.-Prof. em. für Sprachwissenschaft, Universität Salzburg

Heinrich Schmidinger, Univ.-Prof. Philosophie/Theologie, Universität Salzburg

FORSCHUNGSFÖRDERUNG

Die ÖFG fordert mehr davon 16–17

ARGE DER ÖFG

„Künstliche Intelligenz und Menschenrechte“ und „Digital Society Transition: Rethinking & Innovating Humanism“ 18–19

WISSENSCHAFTSFÖRDERUNG IN DEN BUNDESLÄNDERN

Ziele und Schwerpunkte der Wissenschaftspolitik 20–23

DER MENSCH UND SEINE KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Beiträge zum Österreichischen Wissenschaftstag 2024

Neue Forschung mit KI

Technologie muss reguliert werden

Digital, aber sozial verträglich

Pfusch bei unserer Entwicklung?

als Wirtschaftsmotor

Sein Geist bleibt wach

Die Österreichische Forschungsgemeinschaft trauert um ihr Mitglied, den großen Österreicher HANS TUPPY

M it dem Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker Hans Tuppy ist ein großer Österreicher gestorben. Wir sind überzeugt, dass es sein bleibendes Vermächtnis sein wird, dass die Wissenschaften das Leben von Menschen und Gesellschaften verbessern können und sollen. Dafür hat er sich in seinen führenden Funktionen in der heimischen Forschungslandschaft mit Kenntnis, Leidenschaft und Energie eingesetzt.

Das Präsidium und der Wissenschaftliche Beirat der Österreichischen Forschungsgemeinschaft trauern um ein Mitglied ihrer Gründergeneration, das fast ein halbes Jahrhundert ein ständiger Ideengeber und Motor bei den Aktivitäten der ÖFG für eine Modernisierung und Stärkung der österreichischen Forschungspolitik und Forschungsorganisation war. Bis kurz vor seinem Tod hat er im Wissenschaftlichen Beirat die Themenstellungen und Aktivitäten von den „Österreichischen Wissenschaftstagen“ bis zu den Förderprogrammen für Nachwuchswissenschaftler:innen mitgestaltet und mit der ihm eigenen Begeisterung für exzellente Forschung junge

TUPPY WAR STÄNDIGER IDEENGEBER UND MOTOR BEI DEN AKTIVITÄTEN DER ÖFG

Wissenschaftler:innen in den Förderprogrammen der ÖFG unterstützt.

Er hat sein Leben nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, neben seiner herausragenden Karriere als Biochemiker, der Wissenschaftspolitik in Österreich gewidmet, wohl auch, damit die Gesellschaft nie mehr den Irrationalismen der Zeit davor zum Opfer fällt. Wir durften ihm 2002 für sein Lebenswerk den „Ludwig­Wittgenstein­Preis der ÖFG“ verleihen und mit einem Symposium würdigen. Ein Vortrag dieses Symposiums trug den sein Lebensmotto zusammenfassenden Titel „Löscht den Geist nicht aus!“.

Hans Tuppy hat in beeindruckender Weise das Talent und die harte seriöse Arbeit wissenschaftlicher Exzellenz mit gesellschaftspolitischem Engagement für eine erfolgreiche, offene Gesellschaft verbunden. Dieses Vermächtnis gilt es weiterzutragen. Österreich wird es weiterhin benötigen.

Hans Tuppy (1924–2024): Stationen seines Lebens

1924 – Am 22. Juli wird Hans Tuppy in Wien geboren.

1945 – Im Krieg kommt Tuppy zum Arbeitsdienst, wo er schwer verletzt wird und nicht mehr kriegsdienstfähig ist. So kann er früh in Wien Chemie studieren und hat bis 1945 bereits das Vordiplom gemacht.

1949 – Der Chemiker und spätere Nobelpreisträger Max Perutz vermittelt dem erst 25­jährigen Tuppy eine Stelle bei Frederick Sanger in Cambridge. Gemeinsam arbeiten sie dort an der Insulinsynthese.

1951 – Nach Cambridge geht Tuppy nach Dänemark ans Karlsberg­Laboratorium und kehrt 1951 nach Wien zurück.

1956 – Tuppy habilitiert sich am II. Chemischen Institut der Universität Wien.

1958 – Frederick Sanger erhält den Nobelpreis für seine Forschung am Insulinmolekül. Tuppy ist als sein Mitarbeiter mit 26 Jahren in Wissenschaftskreisen weltbekannt geworden und gilt später als „Fast­Nobelpreisträger“. Im gleichen Jahr wird Tuppy auch außerordentlicher Professor am Institut für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Fünf Jahre später wird er Ordinarius.

1970 – Tuppy wird Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Wien.

1974 – Tuppy wird Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Er behält das Amt bis 1982.

1975 – Tuppy erhält das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.

1981 – In diesem Jahr wird das Forschungsförderungsgesetz formuliert, Tuppy ist an der Ausarbeitung beteiligt. Damals wird erstmals in Österreich eine reelle Möglichkeit geschaffen, Forschungsgelder durch korrekte Begutachtung, nicht über Beziehungen und politische Kanäle bewilligt zu bekommen.

1983 – Tuppy wird Rektor der Universität Wien.

1985 – Die ÖAW macht Tuppy zu ihrem Präsidenten. Das bleibt er bis 1987.

1987 – In diesem Jahr wird Tuppy Bundesminister für Wissenschaft und Forschung in der Regierung Vranitzky. Er hat das Amt zwei Jahre inne.

2002 – Für sein Lebenswerk wird Tuppy mit dem Ludwig-Wittgenstein-Preis der ÖFG ausgezeichnet.

Hans Tuppy der vielfach ausgezeichnete Biochemiker und Wissenschaftspolitker

2003 – Von 2003 bis ins Jahr 2008 ist Hans Tuppy der Vorsitzende des Universitätsrates der Universität für Bodenkultur Wien.

2022 – In diesem Jahr ist Tuppy Vorsitzender der Findungskommission für die Präsidentschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

2024 – Am 24. April dieses Jahres verstirbt Hans Tuppy im Alter von 99 Jahren in seiner Heimatstadt Wien. Er wird am Grinzinger Friedhof bestattet.

Wissenschaftliche Exzellenz ohne Grenzen

Die ÖFG unterstützt herausragende NACHWUCHSFORSCHER:INNEN dabei, sich international und interdisziplinär zu vernetzen

USCHI SORZ

I nternationale Konferenzen, Symposien, Studienaufenthalte und Veröffentlichungen setzen wissenschaftliche Kooperationen in Gang und spielen dem Fortschritt in die Hände. Das Förderprogramm „Internationale Kommunikation“ der ÖFG trägt dazu bei: Es gewährt Zuschüsse zu Reisemitteln für überstaatliche Forschungsaktivitäten. Von den jährlich rund 300 ausgewählten ÖFGStipendiat:innen stellen wir hier vier vor.

Jan Martini, Institut für Ökologie, Universität Innsbruck Einst war die Eintagsfliege (Ephemeroptera) Prosopisotma pennigerum weit verbreitet. Heute gibt es nur noch entlang der Vjosa eine stabile Population. Dieser Wildfluss, der von den Bergen Griechenlands bis zur Adriaküste Albaniens fließt, zählt zu den letzten frei fließenden Flussnetzwerken in Europa, erklärt Jan Martini. „Die Vjosa ist ein bedeutendes Schutzgebiet ohne Staudämme oder andere große menschliche Eingriffe und gilt darum als europäisches Referenzsystem für Flüsse.“ Inmitten der dort erhaltenen Artenvielfalt erforscht er in Albanien das Leben der Köcher-, Stein- und Eintagsfliegen und die Veränderung der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften im Flussverlauf. „Diese hat mit lokalen Umweltbedingungen, räumlichen Gegebenheiten, aber auch den Interaktionen der Arten untereinander zu tun.“

Institut für Ökologie, Universität Innsbruck

Selina Vavrik-Kirchsteiger

Labor für Bauphysik, TU Graz

SCHALLSCHUTZ DANK MODERNSTER TECHNIK UND AKTUELLER FORSCHUNGEN

Die Forschungsergebnisse des Südtirolers deuten darauf hin, dass P. pennigerum eine spezifische Flussnische benötigt und ihre Ausbreitungsstrategie und ihr Lebenszyklus stark an die Dynamik frei fließender Flüsse gebunden sind. Die ÖFG unterstützte seine Reise zur Konferenz „International Joint Meeting on Ephemeroptera and Plecoptera (IJMEP)“ in Turin, wo er seine Forschungsarbeit vorstellte. „Die Teilnahme war sicherlich ein Höhepunkt meiner Universitätszeit“, unterstreicht der 32-Jährige. „Ich konnte mich mit den weltweit besten Experten für Stein- und Eintagsfliegen austauschen.“ Für seinen Vortrag erhielt

er den „Best oral communication award on Ephemeroptera“.

Martini hat an der Universität Wien Biologie und Ökologie studiert, zurzeit ist er Doktorand und externer Lektor an der Universität Innsbruck. „Im Zuge der Doktorarbeit habe ich gemerkt, welchen Einfluss Menschen auf die Flussökosysteme haben und wie wichtig regionale Perspektiven im Naturschutz sind. Ein Fluss prägt eine ganze Landschaft.“

Selina Vavrik-Kirchsteiger, Labor für Bauphysik, TU Graz

„Mit der Verdichtung der Städte wird Lärm zum Problem, auch in gesundheitlicher Hinsicht“, sagt Selina Vavrik-Kirchsteiger. „Schalltechnisch gute Konstruktionen sind deshalb wichtig.“ Die 33-Jährige ist Projektleiterin und -mitarbeiterin am Labor für Bauphysik der TU Graz, dessen Fokus auf mess- und simulationstechnischen Analysen von akustischer Bauphysik, dynamischer Belastung und Schallschutz liegt. „Schwingungen und Vibrationen sind überall. Sie können auch stören, etwa wenn wir das Gefühl haben, eine Wärmepumpe dröhnt, ein Klassenzimmer hallt oder die Nachbarn ,trampeln‘ uns auf dem Kopf herum.“

Expert:innen wie Vavrik-Kirchsteiger sorgen dafür, „dass unsere Umwelt ein Stück leiser wird“. Und zwar so, dass trotz effektiven Schallschutzes ein ökonomischer Umgang mit dem Material möglich ist und die CO2-Bilanz einzelner Bauteile sowie die Transportkosten gesenkt werden.

Die Enkelin eines pensionierten Baupoliers hat schon als Kind gern Dinge aus Holzresten konstruiert, im Gymnasium zeigte sich ihr Talent für Mathematik und Physik. Die Entscheidung für die HTBLVA Ortweinschule Graz für Bautechnik und später das Studium in Bauingenieurwissenschaften sei naheliegend gewesen, meint sie. Im Bachelor lag die Ausrichtung des Studiums auf Umwelt und Wirtschaft, im Master auf konstruktivem Ingenieurbau. „Ich mag es, wie ein Detektiv Störquellen aufzuspüren und Lösungen zu erarbeiten.“

Jüngst hat sie ein neues Messverfahren für Resonanzfrequenzen mehrschaliger Bauteile wie etwa Deckenkonstruktionen mit Fußbodenaufbau mitentwickelt. Für deren Schall-

Jan Martini
Fotos: Franziska Walther, TU Graz/LFB, Aleksandar Djordjevic, Uni Graz/Pichler

schutzperformance sind diese Frequenzen wesentlich. Mit ÖFG-Förderung reiste sie im Sommer zur „Internoise 2024“-Konferenz in Nantes, um das Verfahren zu präsentieren.

„Ich habe viele Anregungen mit nach Hause genommen, die nun in künftige Projekten einfließen können.“

Petra Kolb, Zentrum für

Lehrer:innenbildung, Universität Wien

„In meinem Verständnis besteht eine Demokratie nicht nur aus Wahlen und Parteien, sondern auch aus der Zivilgesellschaft, die ihre Anliegen artikuliert“, sagt Petra Kolb. Sie ist Doktorandin am Arbeitsbereich Didaktik der Politischen Bildung, das am Zentrum für Lehrer:innenbildung der Universität Wien angesiedelt ist, und erforscht Protestbewegungen aus demokratietheoretischer Sicht. „Dabei gehe ich davon aus, dass beispielsweise Demonstrationen, aber auch Formen des zivilen Ungehorsams ein essenzieller Bestandteil lebendiger Demokratie sind und als politische Selbstbildungsprozesse wahrgenommen werden können.“

Ihr Interesse an diesem Thema hat sich während ihres Masterstudiums in Politikwissenschaft an der Universität Wien herauskristallisiert. „Auf gesellschaftspolitischer Ebene gewinnt es zunehmend an Bedeutung.“ Beson-

BILDKOMPETENZ

Petra Kolb Zentrum für

Lehrer:innenbildung, Universität Wien

Julian Blunk

Institut für Kunst- und Musikwissenschaft, Universität Graz

UND DIE GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG VON KUNST VERMITTELN

ders interessiere sie das Verhältnis von Protesten und Demokratiebildung: „Das für mich Spannende sind das Auftauchen und die Formation von Protesten sowie das Beobachten, wie viele verschiedene Anliegen und Forderungen in eine gemeinsame Signifikantenkette im Sinne Laclau/Mouffe gebracht werden können.“

Ein Fokus von Kolbs Arbeit liegt auf Klimaprotesten. Zu diesen erhebt sie Daten, die sie mit der Methode der hegemonietheoretischen Diskursanalyse der Essex-School analysieren möchte. Diese Methode wandte sie bereits in ihrer Masterarbeit an und konnte ihre Kenntnisse darin nun mit Unterstützung der ÖFG bei einem zweimonatigen Forschungsaufenthalt an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki vertiefen, betreut von Professor Yannis

Stavrakakis, einem führenden Experten auf dem Gebiet. Die 28-jährige Wienerin skizziert die Benefits des Aufenthalts: „Zusätzlich habe ich Uni-Kurse besucht und zeitgleich dort stattfindende Proteste gegen die Privatisierung von Universitäten untersucht“,

Julian Blunk, Institut für Kunst- und Musikwissenschaft, Universität Graz Welche visuellen und akustischen Muster der Vermittlung und Interpretation architektonischer Strukturen hat der Film entwickelt? Welche strukturellen Entsprechungen von Architektur, Film- und Tonkunst wurden theoretisiert und kultiviert? Um Fragen wie diese kreiste im Mai die internationale und interdisziplinäre Konferenz „Architektur –Film – Klang“ an der Universität Graz, die die ÖFG gefördert hat. Julian Blunk hat sie mit einer deutschen Kollegin organisiert. Der Kunsthistoriker lehrt am Institut für Kunstund Musikwissenschaft, sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Kunst des Historismus und der klassischen Moderne. „Ich befasse mich aber auch mit der Malerei und Skulptur der Renaissance und des Barocks, außerdem mit den Schnittstellen von Film und den klassischen Kunstgattungen Architektur, Malerei und Skulptur“, erzählt der Universitätsprofessor. Seinen Studierenden versuche er ein Gefühl für die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst zu vermitteln. „Sie war immer ein Schlachtfeld konkurrierender Weltanschauungen, einmal deren Symptom, einmal deren Werkzeug, einmal auch deren Ursache – jeder Zuwachs an Bildkompetenz ist deshalb zu begrüßen.“

Zur Konferenz lud er hochkarätige Referent:innen aus dem In- und Ausland. „Unsere Wahrnehmung räumlicher Strukturen bedarf immer der Zeit. Als zeitbasierte Medien sind der Film und seine Tonspur anschauliche Studienobjekte in Bezug auf entsprechende Phänomene – aber auch auf die Möglichkeiten konkreter Steuerung unserer Raum- und Architekturwahrnehmung, die weit über den Film hinaus wirksam bleiben können“, schildert er den Kern der Diskurse. „Da viele Einzelbeiträge weiterführende Fragen stellen und somit weitere Forschungsperspektiven aufzeigen konnten, war die Tagung aus Sicht aller Beteiligten ein voller Erfolg.“

Ausgezeichnet vorgestellt

Fünf österreichische Wissenschaftsjournalist:innen erhielten den Preis der ÖFG für WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS 2024

Die Third Mission der Universitäten, also die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, ist auch der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ein großes Anliegen.

In der Corona-Pandemie ist die Bedeutung dieser Vermittlungsarbeit erstmals von vielen Menschen wahrgenommen worden. Sie machte klar, dass Forschung weder abgehoben agiert noch nur einem Selbstzweck dient. Was als sogenannte Grundlagenforschung begonnen hatte, war Voraussetzung dafür, in höchster Not die richtigen Maßnahmen, bzw. Produkte entwickeln zu können. Trotzdem erschließt sich die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse, vor allem der Grundlagenforschung, den Menschen ohne entsprechende Fachkenntnisse nur sehr schwer. Deshalb ist die journalistische Übersetzungsleistung so wichtig. Guter Wissenschaftsjournalismus leistet einen entscheidenden Beitrag zu Akzeptanz von Forschung und für das Vertrauen in die Wissenschaft.

Dies würdigt die ÖFG durch die Vergabe des Preises der Österreichischen Forschungsgemeinschaft für Wissenschafts-

WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS ZEIGT: FORSCHUNG PRÄGT UNSER ALLER LEBEN

journalismus 2024 zum zweiten Mal. Die Preisträger:innen wurden in fünf Kategorien für herausragende Beiträge ausgezeichnet und erhielten je 3.000 Euro.

Die Preisträger:innen: In der Kategorie „Rundfunk“ erhielt Sabrina Adlbrecht den Preis für ihren Ö1-Beitrag „Gesundheitsrisiko Beziehung: Gewalt in Partnerschaften“. Die in Kärnten geborene Sabrina Adlbrecht studierte Germanistik und Publizistik in Wien. Sie begann 1997 als freie Mitarbeiterin bei Radio Österreich International, seit 2005 arbeitet sie in der Wissenschaftsabteilung von Ö1 für Sendungen wie „Dimensionen“, „Radiokolleg“, „Salzburger Nachtstudio“ oder „Betrifft: Geschichte“. Sie hat mehrere Fernsehdokumentationen für BR-alpha und 3sat gestaltet und in der Zeitschrift „Die Furche“ veröffentlicht. Ihr

Interessensschwerpunkt umfasst kultur-, sozial- und medizinhistorische Themen. Sie ist Redakteurin bei Ö1.

In der Kategorie „Tageszeitung“ konnte Reinhard Kleindl vom „Standard“ die Jury mit seiner Geschichte „Das Rätsel um die Entstehung der Wabenmuster in Salzwüsten ist gelöst“ überzeugen. Der 43-jährige Reinhard Kleindl, in Graz geboren, studierte Physik, arbeitete als Klettertrainer, Industriekletterer, Softwareentwickler und war bis 2016 Profi bei Slackline und Highline. 2024 erschien sein erster Kriminalroman „Gezeichnet“ bei Haymon, zwei weitere Bände folgten. 2018 kam sein Thriller „Stein“ bei Goldmann, 2019 „Die Klamm“ und 2021 „Die Gottesmaschine“ heraus. Als Wissenschaftsredakteur bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ zeigt er sich „überzeugt, dass die unterhaltsame Aufbereitung von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine der wichtigsten Aufgaben für die Gesellschaft ist, sei es im Hinblick auf ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, kritischen Umgang mit aktueller Informationstechnologie oder effektive Strategien gegen den Klimawandel.“

In der Kategorie „Fernsehen und Video“ erschien der Jury Georg Ransmayrs ORFBeitrag „Weg mit der Quatschbude! – Die Ausschaltung des Parlaments 1933“, als preiswürdig. Georg Ransmayr, geb. 1969, studierte Geschichte und Handelswissenschaften in Wien und Straßburg und absolvierte ein Postgraduate-Studium für internationalen Journalismus in London. Er ist seit 1996 als ORF-Journalist tätig. Für die ORF-Sendung „kreuz und quer“ drehte er die Dokumentation „Der Massenmörder und der Trillionär“. Bei Styria ist sein Buch „Der arme Trillionär –Aufstieg und Untergang des Inflationskönigs Sigmund Bosel“ erschienen. 2013 erhielt er den „Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis“.

In der Kategorie „Artikel- und Dokumentationsreihe“ schaffte es Alwin Schönberger mit seinem Magazinartikel „Kalt erwischt“ im „profil“ zum Preis. Alwin Schönberger, 1968 in Wien geboren, spielt als Gitarrist Blues, schreibt Bücher und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. Er begann 1989 für

verschiedene Magazine in Österreich und Deutschland zu schreiben, darunter auch für das Magazin „Basta“. Neben der Publikation mehrerer Sachbücher gestaltete er auch Fernsehdokumentationen. In seinem Buch „Grenzgänger: österreichische Pioniere zwischen Triumph und Tragik“ ist auch Hans Tuppy ein Beitrag gewidmet (siehe Nachruf auf Seite 4). Gemeinsam mit Christian Köberl veröffentlichte er 2018 „Achtung Steinschlag! Asteroiden und Meteoriten: Tödliche Gefahr und Wiege des Lebens.“ Er leitet das Wissenschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“ in Wien.

In der Kategorie „Magazine“ wurde die Journalistin Eva Stanzl für ihre Geschichte „Eine Impfung gegen Krebs“ auf wz.at (der Onlineversion der ehemaligen „Wiener Zeitung“) ausgezeichnet. Eva Stanzl, geboren 1969, studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien Kulturmanagement

Ehrung der Preisträger:innen Harald Kainz, Alwin Schönberger, Georg Ransmayr, Sabina Adlbrecht, Eva Stanzl, Reinhard Kleindl, Christiane Spiel, Reinhold Mitterlehner (v. l. n. r.)

und arbeitete als Journalistin für Wissenschaft und Forschung bei den Tageszeitungen „Wiener Zeitung“ sowie „Der Standard“. Als Vorstandsvorsitzende des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen Österreichs konnte sie ihren Berufsstand der Wissenschaftsjournalistik als ein Kriterium für Medienförderung im entsprechenden Gesetz verankern. 2022 erhielt sie den Anerkennungspreis des Staatspreises für Wissenschaftsjournalismus. Sie arbeitet als Redakteurin bei wz.at („Wiener Zeitung“). Zusammen mit Wilfried Feichtinger veröffentlichte sie „Die Unfruchtbarkeitsfalle“ sowie „Kinderwunsch und Lebensplan“ (jetzt bei Kremayr & Scheriau).

Die Österreichische Forschungsgemeinschaft dankt den Wissenschaftsjournalist:innen für ihre Arbeit und gratuliert den Preisträger:innen noch einmal sehr herzlich!

Von der Schnittstelle zur Nahtstelle

Die diesjährige BILDUNGSPOLITISCHE

TAGUNG DER ÖFG widmete sich den Herausforderungen beim Übergang von der Schule zur tertiären Bildung

WERNER STURMBERGER

Der neue

niversitäten beklagen, dass Studienanfänger:innen teilweise in nicht ausreichendem Maß über Vorwissen und Kompetenzen für einzelne Studienrichtungen verfügen“, erklärt Christiane Spiel, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und Initiatorin der Tagung, die diesjährige Themensetzung. „Das Bildungsministerium kritisiert wiederum die Studiendauer, geringe Studienaktivität und hohe Drop­out­Raten. Natürlich sind auch die Studierenden nicht mit dieser Situation zufrieden. Dabei ist insbesondere Hochschulbildung ein zentraler Schlüssel zur Lösung der komplexen Probleme, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen. Egal aus welcher Perspektive man es betrachtet: So wie sich diese Situation aktuell darstellt, ist es höchst unbefriedigend.“

Die Tagung vom 12. bis 13. April wurde von Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie, sowie Reinhold Mitterlehner, dem damaligen Präsidenten der ÖFG, eröffnet. Christiane Spiel führte die Teilnehmenden in das Thema ein, bevor die Vortragenden den Status quo in den Fokus rückten.

Annabell Daniel (LMU München) stellte mit Blick auf Deutschland aktuelle For­

DER ÜBERGANG VON DER SCHULE ZUR HOCHSCHULE IST ZU OPTIMIEREN

Der scheidende Präsident der ÖFG bei der Eröffnung

schungsergebnisse vor. Michael Bruneforth (IQS) widmete sich der Situation österreichischer Schüler:innen, während Anna Dibiasi (im Interview auf den folgenden Seiten) und Martin Unger (beide IHS) relevante Statistiken zum Studienbeginn präsentierten. Johannes Mure vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation in Bern, beleuchtete die Situation in der Schweiz und ging der Frage nach, welche Lehren man hierzulande daraus ziehen könne.

Fortsetzung nächste Seite

Illustration: Georg Feierfeil, Fotos: Alek Kava
Reinhold Mitterlehner

Fortsetzung von Seite 11

Der Samstagvormittag wurde dazu genutzt, jene Bildungseinrichtungen zu Wort kommen zu lassen, die dieser Übergang direkt betrifft: Andreas Breitegger (BORG Deutsch-Wagram) erörterte Good-PracticeBeispiele aus Perspektive der Schule. Für die Universitäten stellten Doris Damyanovic (Boku Wien), Christa Schnabl (Universität Wien), Oliver Vitouch (Universität Klagenfurt) und Stefan Vorbach (TU Graz) erfolgreiche Ansätze zur Gestaltung dieses Übergangs vor.

Die abschließende Podiumsdiskussion, moderiert von Christiane Spiel, versammelte so diverse wie relevante Stakeholder:innen: Xaver Eicher (Bundesschülervertretung), Bernhard Fügenschuh (Forum Lehre), Elmar Pichl und Doris Wagner (BMBWF) sowie Isabella Zins (ÖDV – siehe Interview auf den folgenden Seiten). In einer sachlichen Diskussion konnten noch einmal die Perspektiven der jeweiligen Stakeholder:innen und die damit einhergehenden spezifischen Herausforderungen herausgearbeitet werden.

Das Positionspapier der ÖFG Basierend auf den Positionen am Podium und angeregten Diskussionen mit dem Publikum, formulierte die ÖFG auch in diesem Jahr ein Positionspapier zum Thema des Workshops. Im Zentrum steht der Aufruf, einen systematischen Austausch etwa im Rahmen gemeinsamer Weiterbildungsangebote oder Projektkooperationen zwischen Schulen und Hochschulen zu etablieren, um das wechselseitige Verständnis zu fördern. Es gelte gemeinsam zu reflektieren, welche Kompetenzen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz künftig erworben werden und wie Curricula gestaltet werden müssen.

Bildungspolitik und Bildungsverwaltung seien aufgerufen einen Rahmen zu schaffen, in dem dieser Übergang entsprechend reflektiert werden kann. Sie sollen auch Maßnahmen zur Unterstützung dieses Prozesses setzen. Das könne etwa bedeuten, Forschung zum Übergang von der Schule zur Hochschule gezielt zu fördern und finanzieren. Immer mit Blick auf die Positionen und Rollen der Studieninteressierten, Bildungseinrichtungen und der Bildungspolitik.

Im Bereich der Schulen ist die flächendeckende Umsetzung hochqualitativer Beratungsangebote zur Berufs- und Bildungsorientierung nötig. Beginnend mit der Sekundarstufe, um die Interessen der Schüler:innen im Dialog mit den Eltern professionell begleiten zu können. So sollen die

Christiane Spiel moderierte die sachlich geführte Podiumsdiskussion

Selbstständigkeit und die Verantwortung der Schüler:innen für ihre Bildungskarriere und damit für Lernen und den Erwerb studienrelevanter Kompetenzen gestärkt werden. Voraussetzung für diese Aktivitäten sind entsprechende Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen. Von den Hochschulen wird mehr Unterstützung bei der Entscheidungsfindung für Studieninteressierte erwartet. Etwa SelfAssessments als Ergänzung zu etablierten Studienberatungsangeboten sowie ein Ausbau der Unterstützungsangebote während der Einführungsphase. Mit Blick auf die Ungleichheiten des Bildungssystems gelte es auch die soziale Dimension sowie die Thematik der „First Generation Students“ systematisch aufzugreifen und geeignete Maßnahmen zu setzen. Nicht zuletzt sollten die Hochschulen ihre Kompetenzen dazu nutzen, den Übergang von Schule zur Hochschule als Forschungsthema aufzugreifen (siehe QR-Code).

Andreas Breitegger Direktor am BORG

Deutsch Wagram, erörterte Good-PracticeBeispiele aus Schulperspektive

GUT FÜR DIE DEMOKRATIE

Faktoren für die Wahl eines Hochschulstudiums bei jungen Menschen und deren Abwägungen dabei erklärt Anna Dibiasi, Hochschulforscherin am IHS

Frau Dibiasi, Bildung werde vererbt, heißt es oft in Analysen zum österreichischen Bildungssystem. Stimmt das?

* Mehr Info:

Anna Dibiasi: Berechnungen im Rahmen der Studierenden-Sozialerhebung zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, für Personen mit Eltern, die entweder selbst maturiert oder studiert haben, rund 2,5-mal so hoch ist wie für jene, deren Eltern keine Matura haben. Dieser Aussage kann man daher zustimmen. Auch Studierende mit Migrationshintergrund sind deutlich unterrepräsentiert. Gleiches kann auch für Studierende mit einer Behinderung angenommen werden. Die Population der Studierenden unterscheidet sich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aber nicht nur anhand sozialer Merkmale. Es zeigen sich auch regionale Unterschiede beim Hochschulzugang in Österreich. So nehmen Menschen in Vorarlberg oder Tirol verglichen zur gleichaltrigen Bevölkerung seltener ein Studium auf als jene in Wien und dem Burgenland.

Was sind zentrale Faktoren bei der Bildungsentscheidung? Talent, Tradition oder Kosten-Nutzen-Abwägungen?

Fotos: Alek Kava, Kunstladen Mistelbach

Dibiasi: Bildungsentscheidungen sind keine singulären Ereignisse von Kosten und Nutzen bei unterschiedlichen Erfolgs- und Ertragsaussichten: Es wird jene Option gewählt, die unter Berücksichtigung von Kosten und Nutzen die höchste Erfolgsaussicht verspricht. Eine zentrale Rolle bei Bildungsentscheidungen spielt auch das soziale Umfeld wie Eltern, Peers oder Lehrkräfte. Das Statuserhaltmotiv legt den Fokus auf den Erhalt des elterlichen Berufs- und Bildungsstatus. Es gibt aber auch Ansätze, die den Fokus darauf lenken, dass etwa Eltern mit Migrationshintergrund höhere Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben. Gekennzeichnet durch das Paradoxon, dass die Realisierungschancen hier geringer sind. Bildungsentscheidungen sind immer auch kontextgebunden: ob, wann und unter welchen Rahmenbedingungen Bildungsentscheidungen zu treffen sind. Daher spielt die frühe Verzweigung des österreichischen Bildungssystems eine zentrale Rolle. Diese trägt deutlich zu den bereits beschriebenen sozialen Ungleichheiten bei. Bereits im Kindesalter von zehn Jahren wird im Wesentlichen die Weiche gestellt, wie sich der weitere Bildungsweg gestalten wird. Ungleichheiten ziehen sich bis zum höchsten Bildungsgrad in Österreich, dem Doktorat, durch und verstärken sich an den unterschiedlichen Schwellen des Bildungssystems.

Was erschwert die Studienentscheidung junger Menschen, und wie passgenau ist diese?

Dibiasi: Wie wir aus der Maturierendenbefragung wissen, fühlen sich viele junge Menschen über ihre Möglichkeiten nach der Matura häufig nicht ausreichend informiert. Die Unklarheit über die eigenen Interessen, über die eigenen Fähigkeiten oder darüber, was man konkret nach einem Studium machen kann, stellt viele vor Herausforderungen. Natürlich spielen dabei auch finanzielle Aspekte, also die Sorge, wie ein Leben als Student:in finanziert werden kann, eine Rolle. Ein Hebel, um Menschen frühzeitig bei dieser Entscheidung zu unterstützen, wäre sicher eine flächendeckende und qualitätsvolle Beratung an Schulen, die über reine Information hinausgeht, bei Bedarf auch Einzel- oder Gruppenberatung, die möglichst früh ansetzt. Da das Studienangebot sehr breit gestreut ist, stehen hier auch die Hochschulen in der Verantwortung. Es gibt immer mehr Studienrichtungen, und es ist für Studieninteressierte häufig schwierig zu erkennen, was nun die Unterschiede zwischen

einzelnen oft ähnlichen Studien an unterschiedlichen Hochschulen sind. Eine weitere Herausforderung, wie wir aus qualitativen Gesprächen mit Maturierenden oder auch Hochschulvertreter:innen wissen, ist die mancherorts bestehende Fehlpaarung zwischen den an der Schule erworbenen und an der Hochschule „erforderlichen“ Kenntnissen und Kompetenzen. Etwa bei Mathematik: Studienanfänger:innen sind häufig davon überrascht, dass an der Hochschule bereits ab Studienbeginn ganz andere Mathematikkenntnisse erforderlich sind. Das irritiert, da die Matura ja zum Studium berechtigt.

Ist ein egalitärer Zugang zu tertiärer Bildung notwendig bzw. wünschenswert?

Dibiasi: Alle Menschen sollen die gleichen Chancen haben, tertiäre Bildungsabschlüsse zu erwerben. Unabhängig von sozialer Herkunft oder individuellen Merkmalen abseits ihrer Befähigung. Durch diese Diversität ergeben sich viele Vorteile für eine Gesellschaft, so unter anderem die Stärkung des sozialen Zusammenhalts, der, mitunter auch sozialen, Innovationskraft einer Gesellschaft oder, politisch betrachtet, der Demokratie. Zugleich müssen aber auch andere Bildungswege aufgewertet werden, etwa die Lehre generell oder die Möglichkeit der Lehre mit Matura. Eine gute Möglichkeit in Österreich sind auch Kollegs, die entweder in Vollzeit oder berufsbegleitend besucht werden können und eine berufliche Erstausbildung für AHS-Maturant:innen oder berufliche Weiterbildung bieten. Viele dieser Bildungswege sind zu wenig bekannt und benötigen ein Reframing, um ihr Image zu verbessern.

ENGERE VERNETZUNG

ZWISCHEN BILDUNGSEINRICHTUNGEN

Warum es Kooperation über eine Nahtstelle hinweg braucht, damit diese optimal funktioniert, erklärt Isabella Zins, Sprecherin der AHS ­Direktor:innen Österreichs

Frau Zins, etwa neun von zehn Maturant:innen an den AHS beginnen in Folge eine tertiäre Ausbildung. Sind die AHS das Sprungbrett zum Studium?

Isabella Zins: Die österreichischen Gymnasien in Lang- und Kurzform erfüllen genau diese Aufgabe: Allgemeinbildung als Studienvoraussetzung für Universitäten und Fachhochschulen zu vermitteln. Ein hoch-

Fortsetzung nächste Seite

Anna Dibiasi Hochschulforscherin am IHS Wien

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gestecktes Ziel, doch aus meiner Sicht gelingt es den AHS-Maturant:innen größtenteils gut, ein Studium erfolgreich zu absolvieren. Vorausgesetzt, sie haben Leistungswillen und Motivation und entscheiden nach Talent und Begabung. Um diese herauszufinden, braucht es den allgemeinen Fächerkanon mit seinen regelmäßig aktualisierten Lehrplänen. Nur wer in Fächer tiefer eintaucht, kann erkennen, ob hier seine Interessen liegen. Von vielen Maturatreffen weiß ich: Aus ein und derselben Abschlussklasse eines Gymnasiums entscheidet sich meist jeder und jede für eine ganz andere weitere Ausbildung. Das zeigt, dass es den Lehrkräften vielfach gelingt, Schüler:innen neugierig zu machen und für so spezielle wie unterschiedliche Gebiete zu begeistern.

Wie können AHS-Schüler:innen besser über mögliche Berufs- und Studienmöglichkeiten informiert werden?

Zins: Meiner Wahrnehmung nach liefert der Unterricht viele Anregungen. In jeder Unterrichtsstunde, bei jeder Exkursion und jedem Projekt wird der Horizont erweitert, es werden Möglichkeiten für spätere Berufe sichtbar. Vermutlich meist unbewusst, da könnte mehr Bewusstseinsbildung helfen. Zusätzlich durchlaufen die Schüler:innen in der Maturaklasse das spezielle Programm „18+“. Organisiert wird es von der Bildungsberaterin, die auch auf weitere Möglichkeiten wie etwa „Studieren probieren“ hinweist. Auch ein Besuch der Studien- und Berufsinformationsmesse steht jährlich fix auf dem Programm.

Welche Erwartungen der Hochschulen und Studierenden sind in puncto Vorbereitung auf ein Studium gerechtfertigt?

Zins: Ohne Zusammenarbeit an den Nahtstellen im Bildungssystem können Übergänge nicht optimal funktionieren. Das beginnt ab dem Übergang vom Kindergarten in die Volksschule und setzt sich mit zehn und 14 Jahren fort. Bei den Entwicklungen rund um die zentrale Reifeprüfung habe ich das Interesse der Universitäten vermisst. So ist bei uns das Gefühl entstanden, dass Universitätsprofessor:innen „auf dem hohen Ross“ sitzen und sich nicht dafür interessieren, was an den Gymnasien unterrichtet wird. Mein Appell: Pädagog:innen aller Bildungseinrichtungen müssen sich vernetzen und über Gelingensbedingungen sprechen, statt einander Vorwürfe zu machen. Sie müssen gemeinsam einen realistischen Blick darauf werfen, was die jeweilige Bil-

Isabella Zins Direktorin am BORG Mistelbach, ÖDV-Vorsitzende und Sprecherin der AHS-Direktor:innen Österreichs

dungseinrichtung schaffen kann. Ich nehme hier schön langsam einen Wandel wahr, nicht zuletzt durch die Initiativen der ÖFG. Die nächste Chance auf Zusammenarbeit an der Nahtstelle AHS und Uni/FH bestünde bei der Entwicklung der neuen Lehrpläne für die AHS-Oberstufe, die im Herbst beginnt.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Akademisierung von Kindern aus bildungsferneren Haushalten mit Blick auf den weiteren Studienerfolg gezielt zu unterstützen?

Zins: Gerade das Oberstufenrealgymnasium ist das beste Beispiel für die Durchlässigkeit von der Mittelschule bis zur Hochschule, gerade für Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten. Studien zeigen, dass Chancengerechtigkeit hauptsächlich durch frühes Fördern gesteigert werden kann. Das beginnt beim Vorlesen im Kleinkindalter und dabei, dass ich bei der Spazierfahrt mit dem Kinderwagen meinem Kind die Welt erkläre und meine Aufmerksamkeit nicht nur dem eigenen Handy zuwende. Die Bedeutung der Frühförderung bewusst zu machen, bedarf nationaler Anstrengungen, auch der Mithilfe der Medien. Eltern wissen oft viel zu wenig darüber, wie sich ihre Nicht-/Erziehung und Nicht-/ Förderung auf das spätere Leben ihrer Kinder auswirkt und dass bereits im Kleinkindalter Weichen gestellt werden.

Wie können die AHS, wie in der Strategie für soziale Dimension festgehalten, im Rahmen des österreichischen Bildungssystems sozial durchlässiger werden?

Zins: Ich sehe die Durchlässigkeit im differenzierten österreichischen Bildungssystem und damit auch an den AHS gegeben. Sie könnte noch verbessert werden, wenn bei der Entscheidung fürs Gymnasium nicht hauptsächlich die Einschätzung der Eltern zählt, sondern die Talente und Begabungen der Kinder sowie ihre Leistungsfähigkeit und Motivation. Damit meine ich ausdrücklich keine punktuellen Tests, sondern eine gute Begleitung, unterstützt von Bausteinen wie dem Lesescreening oder informellen Kompetenzchecks in Mathematik und Deutsch. An der Nahtstelle mit 14 könnte auch eine Art mittlere Reife dazu beitragen, dass Kinder in die Oberstufen eintreten, deren Eltern dieses Potenzial ihre Kinder gar nicht gesehen hätten. Wir müssen das Bildungsbewusstsein heben und davon wegkommen, Kinder durchs System zu schleusen, ohne ihnen ehrlich Rückmeldung zu geben und sie speziell zu fördern.

VON DER SCHULE ZUR HOCHSCHULE. WORKSHOP IN DER DIPLOMATISCHEN AKADEMIE

Vom 12. bis 13. April 2024 wurde im Rahmen eines hochschulpolitischen Workshops der Übergang von der Schule zur Hochschule erörtert

Stagnation ist undenkbar

Die ÖFG fordert von der neuen Bundesregierung deutlich mehr FORSCHUNGSFÖRDERUNG, um Österreich vorwärtszubringen

WERNER STURMBERGER

In Kooperation mit der Industriellenvereinigung fand am 18. Juni das Symposium „Forschungsförderung in Österreich“ statt. Martin Gerzabek, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats und Initiator der Tagung, erklärt welche Herausforderungen die nächste Bundesregierung erwarten und wie sich die ÖFG zu diesen positioniert.

Herr Gerzabek, wie sehen Sie die bisherigen Aktivitäten im Bereich der Forschungsförderung?

Martin Gerzabek

Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats und Initiator des Symposiums „Forschungsförderung in Österreich“

AUSREICHENDE FÖRDERUNG IST FÜR GROSSE INNOVATIONEN UNABDINGBAR

Martin Gerzabek: Der Grundstein für die Nobelpreise von Anton Zeilinger und Ferenc Kraus ist vor Jahrzehnten gelegt worden. In beiden Fällen haben ein gutes Forschungsumfeld und die Förderinstrumente, wie vor allem der FWF, einen wesentlichen Beitrag geliefert. Die Instrumente im Bereich der Forschungsexzellenz, wie die „Cluster of Excellence“, „Emerging Fields“, aber auch die etablierten Instrumente wie z. B. die Christian Doppler Labors sowie die LudwigBoltzmann-Institute sind für Topwissenschaft und zukünftige große Innovationsschritte unabdingbar. International herrscht ein starker Wettbewerb um die besten Köpfe, daher ist es wichtig, dass wir die besten Rahmenbedingungen bieten. Wollen wir an diese großen Erfolge anschließen, ist eine Stagnation in der Forschungsförderung undenkbar. Österreich hat schon bisher als „Innovation Follower“ eine wichtige Rolle im Europäischen Forschungsraum gespielt. Wenn wir aber zur Gruppe der „Innovation Leader“ aufschließen wollen, dann ist eine Erhöhung der Forschungsquote auf vier Prozent des BIP unabdingbar.

Was bedeutet ein zukünftig wahrscheinliches Sparpaket für die Ziele und die Umsetzung der Forschungsförderung?

Gerzabek: Das österreichische Forschungsförderungswesen ist bereits mit den Krisen der vergangenen Jahre zunehmend unter Druck geraten. Während es gelungen ist, die Inflationskosten in den Universitätsbudgets

2024 zumindest teilweise zu kompensieren, ist dies bei den Forschungsförderungsagenturen und Forschungsinstitutionen im Forschungsfinanzierungsgesetz weniger oder nicht der Fall gewesen. Damit sinken die real zur Verfügung stehenden Mittel deutlich. In Zeiten der Krise ist eine langfristig stabile und finanziell abgesicherte Forschungsförderung aber von größter Bedeutung, wollen wir weiterhin die technologische Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen sowohl kurz- als auch langfristig sicherstellen und den Wirtschaftsstandort Österreich weiterentwickeln. Ein wesentlicher Punkt ist die konsequente Umsetzung der Ziele der FTI-Strategie 2030 vor allem durch ein signifikantes budgetäres Wachstum mit dem dritten FTI-Pakt für den Zeitraum 2027 bis 2029. Gleichzeitig muss die langfristige Planungssicherheit für die Forschung und Wissenschaft auch in einer aktualisierten „Österreichischen Sicherheitsstrategie“ berücksichtigt werden. Unmittelbar stehen auch die Verstetigung und Erhöhung des 2025 auslaufenden Fonds Zukunft Österreich auf zumindest 200 Millionen Euro jährlich an. Zudem braucht es eine Verstetigung der Transformationsoffensive, der Exzellenzinitiative, die Inflationsanpassung sowie die weitere Steigerung der Budgets der Forschungsförderungsinstitutionen.

Müssen Grundlagen- und angewandte Forschung dabei stärker als bisher zusammengedacht werden?

Gerzabek: Ich halte die strikte Trennung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung für überholt. In vielen Themenbereichen wie in der Molekularbiologie, in der Medizin, aber auch im IKT-Bereich sind Grundlagenforschung und Anwendung sehr nahegerückt. Der Erfolg der Christian Doppler Labors, die sich auf anwendungsorientierte Grundlagenforschung auf Basis einer intensiven Zusammenarbeit von akademischen Institutionen und der Wirtschaft fokussieren, ist ein gutes Beispiel für eine funktionierende integrierte Innovationskette. Nachholbedarf hat Österreich immer noch beim wichtigen Schritt von wissenschaftlichen Innovationen zur wirtschaftlichen Umsetzung. Spin-offs von Universitäten

Fotos: Alek Kava, Adobe Firefly/Daniel Greco

sind verstärkt zu fördern und die Lücken, die Österreich ohne Zweifel bei Venture Capital hat, zu schließen.

Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt. Wie kann man daher Menschen für Wissenschaft und Forschung auch als berufliche Option gewinnen?

Gerzabek: Um das Bild von Wissenschaft und Forschung in der Öffentlichkeit positiver zu gestalten und der verbreiteten Wissenschaftsskepsis zu begegnen, sollten wir Forschungsprozesse und nicht nur deren Ergebnisse in den Mittelpunkt rücken. Wir müssen die Menschen für die Problemlösungskompetenz der Wissenschaft begeis­

Für ein positives Bild von Forschung müssen auch Prozesse, nicht nur die Ergebnisse gezeigt werden

Mehr Informationen zum Event zur Forschungsförderung finden Sie hier:

tern. Die Beschäftigung mit Wissenschaft und Forschung muss bereits in den Schulen ansetzen. Daher sind vor allem auch institutionenübergreifende Projekte weiterhin zu forcieren. Zudem sind die Potenziale von Frauen in vielen Themenbereichen der Wissenschaft und Forschung noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Wir müssen hier weiter an den Rahmenbedingungen sowie Unterstützungs­ und Förderprogrammen für Frauen arbeiten. Ganz allgemein gilt, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen finanzielle Planungssicherheit brauchen, um attraktive Karrierewege bieten und so in Konkurrenz zu anderen beruflichen Optionen treten zu können.

Mehr Rechtssicherheit bei KI

Iris Eisenberger, Leiterin der ARGE KI UND MENSCHENRECHTE, über Ziele und erste Erfolge

WERNER STURMBERGER

Es gibt kaum noch Lebensbereiche, die ohne KI-Anwendungen auskommen: vom Gesundheitswesen über Verkehr, Wirtschaft und Arbeitsmarkt bis zur Kriminalitätsbekämpfung. „Die jüngsten Entwicklungen ermöglichen es, Texte, Bilder und Videos künstlich zu generieren bzw. zu bearbeiten. Generative KI wird Wissensarbeit und damit auch die Wissenschaft fundamental verändern. Die damit verbundenen Chancen, aber auch Risiken für Staat, Gesellschaft und Menschen sind enorm. Unser Ziel ist zu mehr Rechtssicherheit und einem gegenstandsadäquaten Regulierungsrahmen, der den Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz Rechnung trägt, beizutragen“, so Iris Eisenberger.

Nach dem ersten Jahr der ARGE kann man bereits auf erfolgreiche Tagungen und Workshops zurückblicken, die ersten Tagungsbände sind bereits in Druck. Die Themen reichten dabei von menschenrechtlichen Grundlagen und Grenzen von KI über deren Regulierung im Dialog zwischen der EU und China bis hin zur exekutiven Rechtssetzung, Standardisierung und Zertifizierung sowie GrundrechteFolgenabschätzungen.

Im kommenden Jahr soll die Perspektive von Gefahren der KI für die Menschenrechte

Iris Eisenberger

Leiterin der ARGE

Künstliche Intelligenz und Menschenrechte

auf deren Potenzial zum Schutz derselben gerichtet werden: „Technologie wird zwar keinesfalls die Lösung aller menschenrechtlichen Probleme sein, aber es ist auch nicht so, dass Technologie nichts beitragen kann“, sagt Eisenberger. Eine weitere Kernaufgabe der ARGE liegt in der Vernetzung von Forscher:innen über die Landesgrenzen hinaus.

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Nachwuchswissenschaftler:innen, um diese für künftige Herausforderungen der KI vorzubereiten: „Mit der ‚Young Section‘ wollen wir durch die Anbindung an die Aktivitäten der ARGE die interdisziplinäre und internationale Vernetzung sowie eine gemeinsame Publikations- und Forschungstätigkeit der nächsten Forscher:innengeneration unterstützen. Ich erwarte mir insbesondere von der ‚Young Section‘ weiterführende Impulse und innovative Beiträge zur rechtswissenschaftlichen KI-Debatte“, erklärt Iris Eisenberger.

Bislang wird die ‚Young Section‘ diesen Erwartungshaltungen mehr als gerecht: „Lesekreise, Vernetzungstreffen, eine Gastherausgeberschaft in der Zeitschrift ,juridikum‘ 2/2024 sowie ausgearbeitete Case Studies zu den Vorteilen interdisziplinären Arbeitens in der KI-Forschung zeugen vom großen Engagement der Nachwuchsforscher:innen.“

Ein neuer Humanismus

Peter Parycek leitet die neue ARGE DIGITAL SOCIETY TRANSITION: RETHINKING & INNOVATING HUMANISM und stellt sie hier vor

WERNER STURMBERGER

I

n einer Zeit, in der Digitalisierung jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst, sehen wir die Notwendigkeit, den Humanismus im digitalen Zeitalter neu zu denken“, erklärt Peter Parycek, Vizerektor für Wissenschaftliche Lehre an der Universität Krems und Leiter der ARGE. „Unsere Arbeitsgemeinschaft wurde gegründet, um den dringenden Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen. Wir möchten innovative Ansätze entwickeln, die sicherstellen, dass technologische Fortschritte im Einklang mit menschlichen Werten stehen.“

Um Lösungen für die komplexen Fragen des digitalen Zeitalters interdisziplinär bearbeiten zu können, vereint die Arbeitsgruppe

Peter Parycek

Vizerektor für Wissenschaftliche Lehre an der Universität Krems und Leiter der ARGE

DIE ARGE VEREINT VIELFÄLTIGE EXPERTISEN DER HEIMISCHEN SCIENCE-COMMUNITY

Expert:innen aus Informatik, Wirtschafts­, Sozial­ und Rechtswissenschaften. Diese Zusammensetzung schafft die Möglichkeit, die vielfältige Expertise der heimischen Scientific Community zu bündeln. Fragen der digitalen Transformation und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft können so auf dem aktuellen Stand der Forschung bearbeitet werden.

„Die ÖFG versteht sich als interdisziplinäre Plattform für gesellschaftlich relevante Themen. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaften und deren humanistische Grundlagen sollen damit nun stärker in den Fokus gerückt sowie der Dialog mit der Zivilgesellschaft und der Wissensaustausch innerhalb der österreichischen Forschungslandschaft gefördert werden.“

Auf institutioneller Ebene soll dies durch die Zusammenarbeit singulärer Forschungsinitiativen und auf personeller durch die Vernetzung von PhD­Studierenden erreicht werden. Formate wie Konferenzen, Workshops, Seminare, Summer und Winter Schools dienen der Stärkung interdisziplinärer Kooperationen und Initiierung neuer Forschungsprojekte. Debattenbeiträge wie Stellungnahmen und Publikationen sollen einen breiten Dialog über die digitale Transformation anstoßen und die Zivilgesellschaft in den wissenschaftlichen Diskurs einbinden.

„Indem wir Wissenschaft und Praxis vernetzen und den Dialog mit Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft suchen, tragen wir dazu bei, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Damit unterstützen wir die Ziele der ÖFG, den wissenschaftlichen Diskurs zu fördern und Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu entwickeln“, sagt Parycek.

Wissenschaftsförderung der Länder

Die österreichischen BUNDESLÄNDER präsentierten ihre Fördermaßnahmen für Wissenschaft und Forschung

Wien: Den Forschungsstandort Wien weiter ausbauen

Polykrisen und ein Erstarken autoritärer und antiaufklärerischer Politiken machen ambitionierte Wissenschaftspolitik und wissenschaftliches Denken bei der Analyse großer gesellschaftlicher Herausforderungen wichtiger denn je. Daher bekennt sich die Fortschrittskoalition der Stadt Wien klar zu Forschung und Entwicklung und untermauert das Bekenntnis mit zahlreichen Initiativen.

So hat die Stadt Wien auch 2024 wichtige Impulse für die Wissenschaftscommunity in Wien gesetzt. Neben der Stärkung außeruniversitärer Forschungsinstitute wie des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), des Complexity Science Hub (CSH) oder der Dokumentationsarchive des Österreichischen Widerstands (dessen Stiftungszuwendungen in den letzten zwei Jahren knapp verdoppelt wurden) gab es wieder gezielte Schwerpunktsetzungen. Unter anderem wurde der finanzielle Grundstein für ein neues Ludwig­Boltzmann­Institut für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge (LBI­SOAP) gelegt. Die Stadt Wien fungiert in diesem künftig als Partnerorganisation.

Einen Forschungsschwerpunkt in Wien bildet seit 2019 der Digitale Humanismus. Ziel ist, den Menschen wieder ins Zentrum zu rücken und Handlungssouveränität im digitalen Raum zu erlangen. Durch die Unterstützung der Stadt Wien können seit September 2024 24 Doktorand:innen im Rahmen eines vom WWTF organisierten Doktorats­Kollegs multidisziplinär zu den großen Fragen und Problemstellungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, forschen.

Zudem fasste Ende 2024 der Wiener Gemeinderat den Beschluss, durch Förderzusagen eine große, internationale Konferenz zum Digitalen Humanismus 2025 zu ermöglichen. Diese soll den Austausch von Spitzenwissenschaftler:innen, internationaler Politik und Unternehmen fördern, um so an Entwürfen für eine digitale Wirtschaft zu arbeiten, in der der Mensch im Mittelpunkt der Entwicklungsüberlegungen steht.

In der Wissenschaftsvermittlung, einem

Veronica Kaup-Hasler

für Kultur und Wissenschaft in Wien

weiteren kontinuierlichem Fokus der Wiener Wissenschaftspolitik, wurden 2024 die letzten Projekte des Calls „Vom Wissen der Vielen“ abgeschlossen. Das aus dem Call geborene Projekt des Science­Center­Netzwerks „Und mittendrin, die Wissenschaft“ erhielt den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung 2024. Der in diesem Jahr ausgeschriebene Vermittlungs­Call „Zeitgemäße Formen des Erinnerns im Gedenken an Heidemarie Uhl“ mit einem Volumen von 800.000 Euro lädt Wissenschaftler:innen dazu ein, Projekte zur zeitgemäßen Geschichtsvermittlung zu beginnen, die im Republikjubiläumsjahr 2025 neue Zugänge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert ermöglichen sollen.

Burgenland: Mit Speicherstrategie zu Energieunabhängigkeit Forschung & Entwicklung sind Basis und Motor für den Wirtschaftsstandort Burgenland. Sie voranzutreiben, ist ein zentraler Punkt im Regierungsprogramm des Landes. Die Bandbreite der Maßnahmen und Aktivitäten reicht von der Forschung und Entwicklung innovativer technischer Anwendungen über die Erforschung des reichen kulturellen Erbes bis zu Entwicklung und Erschließung der Künste. 2024 zählten dazu etwa das Symposium „Dunkle Zeiten. Personen und ihre Handlungsspielräume während der NS­Zeit“ oder die „Science Village Talks“, in deren Rahmen Top­Wissenschaftler:innen dem Publikum wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse präsentieren. Rund 2.300 Gäste bei sechzig Veranstaltungen in 31 Gemeinden zeigen die anhaltende Beliebtheit dieser 2021 gestarteten Veranstaltungsreihe. Bei den „Tagen der Kreisgrabenanlage“ in Rechnitz wurde im Juni der Startschuss für eines der Leuchtturmprojekte des Masterplanes Archäologie des Landes Burgenland gegeben. In Rechnitz soll eine moderne archäologische Besucheranlage entstehen, die das Leben von Menschen in der Jungsteinzeit vermittelt. „Wissenschaftler vor den Vorhang“ hieß es auch im heurigen Jahr wieder in der Synagoge Kobersdorf, wo der „Fred Sinowatz Wissenschaftspreis“, der

Hans Peter Doskozil
Fotos: Katarina Soskic, Manfred Weis

„Simon Goldberger Preis“ und der „Young Science Wissenschaftspreis“ an etablierte und aufstrebende Forscher:innen verliehen wurden.

Für die Umsetzung von wirtschaftsnahen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprojekten ist die Wirtschaftsagentur Burgenland Forschungs- und Innovations GmbH (FIB) verantwortlich. Themen- und Kompetenzschwerpunkte sind die zukünftige Energieversorgung, erneuerbare Energien und vor allem der Bereich Energiespeicher. Hier ist das Burgenland bestrebt, seine Vorreiterrolle weiter auszubauen: Auch dank der gemeinsam mit der Burgenland Energie AG entwickelten Speicherstrategie will das Land bis 2030 bilanziell klimaneutral und energieunabhängig sein.

Das Burgenland setzt alles daran, Wissenschaft, Forschung & Entwicklung beste Rahmenbedingungen zu bieten. Forschung sichert Wohlstand, daher ist es uns auch ein wichtiges Anliegen, dies im öffentlichen Bewusstsein noch stärker zu verankern.

Niederösterreich: Das Land hat sich als attraktives Wissenschaftsland etabliert Wissenschaft, Forschung und Technologie sind unverzichtbar für die Entwicklung unseres Landes und den Erhalt unseres Wohlstandes. Denn dort, wo geforscht wird, entstehen neue Impulse und zukunftsweisende Arbeitsplätze. Dass Niederösterreich im Bundesländervergleich bei Kaufkraft, Beschäftigung und Unternehmensgründungen seit vielen Jahren so gut abschneidet, ist auch auf unsere Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zurückzuführen.

In den letzten Jahrzehnten hat es Niederösterreich geschafft, mit Fachhochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen eine starke Wissenschaftsachse aufzubauen, die von Wieselburg, St. Pölten, Krems, Tulln und Klosterneuburg bis Wiener Neustadt reicht. Niederösterreich ist mittlerweile eine gefragte Anlaufstelle für Studierende und Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt. Heute forschen, arbeiten und studieren über 3.700 Wissenschaftler:innen sowie rund 30.000

Studierende an den Wissenschaftsstandorten im gesamten Land. Vor allem durch die Arbeiten in den Bereichen Biotechnologie, Weltraumforschung, Allergieforschung, Krebsforschung oder der Materialtechnik haben niederösterreichische Forschungseinrichtungen und Unternehmen internationales Gewicht bekommen. Beste Beispiele dafür sind das Institute of Science and Technologie Austria (ISTA) in Klosterneuburg und das Krebsforschungszentrum MedAustron in Wiener Neustadt. Das Ergebnis dieser positiven Entwicklung ist eine Bilanz, die sich nicht nur in Ziffern und Zahlen zeigt, sondern auch in einer Stabilität und wirtschaftlichen Stärke, von der alle Menschen in Niederösterreich profitieren.

Uns ist es dabei besonders wichtig, unseren hochkarätigen Wissenschaftler:innen jene Rahmenbedingungen und Möglichkeiten in die Hand zu geben, die nicht nur in der Welt von heute, sondern vor allem in der von morgen gefragt sind. Jeder Euro, der in diesen Bereich investiert wird, ist eine Investition in die Zukunft unseres Landes, die sich mit Sicherheit mehrfach verzinst. Unsere Forschungs-, Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen sollen weiterentwickelt werden, damit die großen Humanressourcen unseres Landes genutzt werden.

EIN HOCHENTWICKELTER WISSENSCHAFTSSTANDORT BRINGT WIRTSCHAFTLICHE STÄRKE

Oberösterreich: Zukunftsfähig dank Wasserstoff-Offensive

Oberösterreich treibt mit der WasserstoffOffensive 2030 die Transformation des Energiesystems intensiv voran, um den CO2-intensiven Industriestandort noch zukunftsfähiger zu machen. Durch länder- und sektorübergreifende Kooperationen, Innovationen und neue Technologien soll Oberösterreich ein Vorreiter der Energiewende und ein internationales Vorbild für klimafreundliche Industrieproduktion werden.

Daher hat das Land gemeinsam mit der Fortsetzung nächste Seite

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Steiermark und Kärnten ein WasserstoffValley initiiert, das sich EU-weit gegen zahlreiche Bewerber durchgesetzt hat: Eine Startförderung von zwanzig Millionen Euro soll ab Anfang 2025 Investitionen von 578 Millionen Euro in die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff ermöglichen. Bis 2028 sollen 17 Projekte in 48 Unternehmen umgesetzt werden. Das WasserstoffValley ist in dreifacher Hinsicht einzigartig: Es konzentriert sich auf Industrieanwendungen wie grünen Stahl, Chemie, Zement und Kalk, es zeigt, wie eine Binnenlandregion ohne Offshore-Wind wettbewerbsfähigen Wasserstoff bereitstellen kann, und es besticht durch die Zusammenarbeit von drei Bundesländern.

OBERÖSTERREICH ALS VORREITER FÜR KLIMAFREUNDLICHE INDUSTRIE

Neben dieser zentralen Initiative konzentriert sich die Wasserstoff-Offensive zudem auf die starke Vernetzung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, den Ausbau eines Wasserstoff-Forschungszentrums sowie auf zukunftsweisende Forschungsprojekte, die durch Landesförderungen unterstützt werden. Ziel ist es, den Industriestandort durch die effiziente Nutzung von Wasserstoff weiter zu stärken und einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten.

Steiermark: wissenschaftlicher Nachwuchs und Grundlagenforschung

Die Steiermark ist eine forschungsstarke, innovative Region, die international einen exzellenten Ruf als Wissenschaftsstandort genießt. Mit einer F&E-Quote von über fünf Prozent sind wir seit Jahren Österreichs Forschungsland Nummer eins. Unser Erfolg basiert auf dem gut funktionierenden FTI-Ökosystem, in dem die Wissenschaftler:innen gemeinsam mit Unternehmenspartnern Forschung auf höchstem Niveau betreiben.

Unsere Wissenschafts- und Forschungsstrategie 2030 setzt insbesondere Schwerpunkte in fünf Zukunftsfeldern: Digitalisierung und Mikroelektronik, Gesellschaft und Wandel, neue Mobilität, grüne Transformation sowie Gesundheit und Life Sciences. In diesen Disziplinen verfügen wir über anerkannte Forschungskompetenzen, die wir weiterentwickeln wollen.

Daneben setzen wir uns zwei Ziele: Wir wollen den wissenschaftlichen Nachwuchs

Barbara

Eibinger-Miedl

Landesrätin für Wissenschaft und Forschung in der Steiermark

Gaby Schaunig

Landeshauptmannstellvertreterin und Technologiereferentin in Kärnten

sowie die Grundlagenforschung noch stärker in den Fokus rücken. Es geht darum, mit dieser Strategie die Spitzenposition als Forschungsland weiter auszubauen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Salzburg: Sich als führender Wissenschaftsstandort in Österreich etablieren Das Land Salzburg hat in den letzten Jahren umfassende Maßnahmen ergriffen, um Wissenschaft gezielt zu fördern. Im Rahmen des Koalitionsabkommens der Salzburger Landesregierung wird der Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung des Standorts gelegt. Besonders die neue Fakultät für digitale und analytische Wissenschaften an der Universität Salzburg bildet einen Eckpfeiler dieser Strategie. Sie soll durch Synergien mit bestehenden Forschungsbereichen wie Cybersicherheit eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung des Standorts spielen.

Das Land strebt außerdem eine verstärkte Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen und der regionalen Wirtschaft an, um Innovations- und Technologietransfer zu fördern. Besonders in zukunftsweisenden Branchen wie Informationstechnologie, Umweltforschung und Biotechnologie sollen Forschungsaktivitäten intensiviert und Start-ups unterstützt werden.

Salzburg sieht Wissenschaft als wesentlichen Motor für wirtschaftlichen Fortschritt, gesellschaftliche Resilienz und die Lösung globaler Herausforderungen. Daher stehen Investitionen in Forschungseinrichtungen, die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz und attraktive Karriereperspektiven für junge Wissenschaftler:innen im Vordergrund. Dies soll Salzburg langfristig als führenden Wissenschaftsstandort in Österreich etablieren und eine Basis für Wohlstand und Innovation schaffen. Durch gezielte Maßnahmen, die sowohl universitäre als auch außeruniversitäre Forschung stärken, soll Salzburg seine internationale Wettbewerbsfähigkeit steigern und zu einem Vorreiter für innovative Forschung und Technologien werden. Zusammenwirken, um die Lebensqualität zu verbessern und eine nachhaltige Zukunft zu sichern.

Kärnten: Zeitenwende auch im Wissenschafts- und Forschungsbereich

Das Jahr 2025 markiert eine Zeitenwende für Südösterreich: Mit der Inbetriebnahme der Koralmbahn entsteht ein neuer österreichischer Zentralraum mit 1,1 Millionen

Fotos: Leopold, Teresa Rothwangl, Rauchenwald
Wilfried Haslauer Landeshauptmann von Salzburg

Einwohner:innen und einem Anschluss an die Baltisch-Adriatische Achse. Seit Jahren laufen die Vorarbeiten, um bestmöglich die Chancen dieser neuen Verkehrsachse zu nutzen. Auf Wissenschaft und Forschung wird dabei ein besonderes Augenmerk gelegt. In St. Paul im Lavanttal wird mit dem Innovationsquartier ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aufgebaut, in dem es um zukunftsweisende Themen wie Smart Materials und Kreislaufwirtschaft gehen wird. Kärnten wird sich um Beteiligungen an diesen im Hinblick auf den Klimawandel österreich- und EU-weit bedeutenden Forschungsthemen bemühen. Gegründet wurde auch die angewandte Forschungseinrichtung MOBIREG, in der sich die BABEG gemeinsam mit der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und weiteren Stakeholdern mit Fragen der Mobilität im ländlichen Raum beschäftigt.

Weiterhin intensiv verfolgt wird der Ausbau von Hochschulkooperation sowie außeruniversitären Forschungszentren und die Etablierung eines geförderten COMET-Zentrums, um den Kompetenzaufbau der Wissenschaft mit der Wirtschaft zu koppeln. Mit einem jährlichen Investitionsvolumen von rund zwanzig Millionen Euro konnte sich Kärnten in den vergangenen Jahren als eine der Top-Forschungs- und -Entwicklungsregionen in Europa etablieren und wird diese Position mit weiteren Investitionen und Kooperationen weiterhin stärken.

Tirol: Unternehmensförderung

u. a. mit „Innovationsassistent:innen“ Von Förderungen junger Nachwuchsforscher:innen über wissenschaftlichwirtschaftliche Kooperationen bis hin zum Ausbau der Spitzenforschung – um den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Tirol weiterzuentwickeln, werden im Rahmen der Tiroler Wirtschafts- und Innovationsstrategie zahlreiche Maßnahmen seitens des Landes Tirol umgesetzt.

Ziel ist, Tirol bis 2030 noch stärker als attraktiven Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort für Industrie, Gewerbe und Tourismus mit weltweit führenden Unternehmen, moderner Infrastruktur und anerkannten Bildungs- und Forschungseinrichtungen zu positionieren. Dabei sollen unter anderem Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, Tiroler Unternehmen und Hochschulen noch intensiver zusammenarbeiten.

Mit Initiativen wie dem neuen Dissertationsprogramm für Tiroler Hochschulen fördern wir Kooperationen zwischen F&E-

Cornelia Hagele

Landesrätin für Wissenschaft, Forschung, Gesundheit, Pflege und Bildung in Tirol

Barbara Schöbi-Fink

Landesrätin für Wissenschaft, Vorarlberg

Einrichtungen und Tiroler Unternehmen. Dabei können Nachwuchsforscher:innen praxisnahen Fragestellungen nachgehen und ihre wirtschaftsnahen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten stärken. Neben Förderungen für Tiroler Hochschulen ist es ebenso ein großes Anliegen, betriebliche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu unterstützen. Mit Initiativen wie den „Innovationsassistent:innen“ fördert das Land Tirol Betriebe und Tourismusverbände beispielsweise in der Umsetzung von Automatisierungs- und Robotikprojekten. Damit wird die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit weiter gestärkt sowie ein nachhaltiges Wachstum der Tiroler Wirtschaft erreicht.

Vorarlberg: Die neue Wissenschafts- und Forschungsstrategie 2030+ Vorarlberg ist ein leistungsstarker und erfolgreicher Wirtschaftsstandort. Die neue Wissenschafts- und Forschungsstrategie 2030+ soll diese Position weiter stärken. In einer globalisierten Welt, in der technologische Innovationen und wissenschaftliche Fortschritte immer schneller voranschreiten, ist die Fähigkeit von entscheidender Bedeutung, sich laufend an neue Entwicklungen anzupassen und diese aktiv mitzugestalten. Deshalb zielt die Strategie darauf ab, die Forschungsinfrastruktur im Lande auszubauen, digitale und technische Kompetenzen zu fördern und die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung weiter zu intensivieren. Mit gezielten Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass Vorarlberg weiterhin ein attraktiver Boden für Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler:innen ebenso wie für Unternehmen und Fachkräfte bleibt. Vorarlberg hat das Potenzial zu einem führenden Forschungs- und Wissenschaftsstandort in Europa.

Marco Tittler

Landesrat für Wirtschaft, Vorarlberg

Insbesondere hat sich die Fachhochschule Vorarlberg (FHV) zu einem zentralen Knotenpunkt für F&E-Anstrengungen entwickelt. Zudem wurden Kooperationen mit namhaften Forschungseinrichtungen wie dem Austrian Institute of Technology oder der Universität St. Gallen abgeschlossen. Auch die strategischen Rahmenbedingungen auf europäischer und nationaler Ebene bieten wichtige Orientierungspunkte.

Die Wissenschafts- und Forschungsstrategie 2030+ ist die Grundlage, um die Herausforderungen der Zeit nicht nur zu bewältigen, sondern an der Spitze mitzugestalten.

Der Mensch und seine Künstliche Intelligenz

ÖSTERREICHISCHER WISSENSCHAFTSTAG 2024

ILLUSTRATIONEN: GEORG FEIERFEIL

Neue Forschung mit KI

Die Wissenschaftsforscherin HELGA NOWOTNY, Professorin emerita für Science and Technology Studies an der ETH Zürich, freut sich über die KI

NATHALIE JASMIN KOCH

Frau Nowotny, das Thema KI wird viel und durchaus kritisch diskutiert. Was stimmt Sie in Bezug auf die Anwendungsmöglichkeiten von KI in den Wissenschaften positiv?

Helga Nowotny: Für mich ist das Wichtigste, dass KI aus der Wissenschaft kommt, siehe die Nobelpreise 2024, und stetig von Wissenschaftler:innen für die Wissenschaften weiterentwickelt wird. In deren Händen fühle ich mich besser aufgehoben, auch mit KI, als bei den großen Konzernen, denn Wissenschaft ist organisierter Skeptizismus. Wissenschaftler:innen sind angehalten und gewohnt, ständig ihre Arbeit und die ihrer Kolleg:innen zu überprüfen. In der Wissenschaft sind enorm viele Kontrollmechanismen eingebaut, die sonst nicht üblich sind. Ganz anders war es beispielsweise im Falle von ChatGPT. Da wurden wir alle Teilnehmende eines großen Experiments. Der Vorteil war, dass so viele Menschen das erste Mal mit KI in Berührung gekommen sind. Andererseits fand hier ein Experiment ohne unsere Zustimmung statt. Natürlich wollen wir, dass wissenschaftliche Entwicklungen auch in der Gesellschaft ankommen. Aber wir müssen aufpassen, dass das, was von der Gesellschaft aufgegriffen wird, nicht gegen das Gemeinwohl verwendet wird. Hier gilt es auch eine Lücke in der Finanzierung der Forschung zu schließen. Im KI-Bereich stammen nur zehn Prozent des Gesamtfinanzierungsvolumens, das für Forschung ausgegeben wird, aus öffentlicher Hand, neunzig Prozent aus der Privatwirtschaft. Das zeigt großes Ungleichgewicht und eine starke Konzentration ökonomischer Macht. Die Weiterentwicklung der KI muss auch an Universitäten, nicht nur in großen Konzernen möglich sein.

Helga Nowotny

Professorin emerita für Science and Technology Studies

Wissenschaftsbereiche ist. Auch in den Sozialwissenschaften stehen große Veränderungen etwa in Bezug auf die Möglichkeiten der Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung bevor. Genauso erschließen sich neue Methoden für die Geisteswissenschaften oder in der Archäologie. Kürzlich wurde ein Stück verbrannter Papyrus mithilfe von KI entziffert. Arbeitsweisen werden sich meiner Ansicht nach in verschiedenen Disziplinen verändern. Es wird interdisziplinärer und in größeren Teams gearbeitet werden.

Viele KI-Anwendungen funktionieren als BlackBox-Modelle. Für Anwender:innen ist nicht ersichtlich, wie die KI zu Schlussfolgerungen kommt. Lässt sich mit solchen Modellen noch wissenschaftliche Transparenz gewährleisten?

Nowotny: Die wissenschaftliche Integrität verlangt, dass angegeben werden muss, ob und wie KI verwendet wurde. Transparenz wird gewährleistet, indem nachvollziehbar gemacht wird, welche Prozesse KI-unterstützt ablaufen. Auch wenn die Vorgehensweise der KI nicht Schritt für Schritt ersichtlich ist, bleiben Ergebnisse überprüfbar und müssen mithilfe anderer Forschungsmethoden bestätigt werden. Hier kommt wieder der Skeptizismus der Wissenschaft ins Spiel.

Werden ethische Bedenken bezüglich der Anwendung von KI ausreichend diskutiert?

DURCH KI WERDEN SICH ARBEITSWEISEN IN VERSCHIEDENEN DISZIPLINEN ÄNDERN

Welche Forschungsfelder profitieren derzeit besonders von KI-Anwendungen?

Nowotny: Die Nobelpreise dieses Jahres in Physik sowie Medizin und Physiologie zeigen, wie wichtig das Thema KI für alle

Nowotny: Ethik ist keine Checkliste. Viele wünschen sich, dass KI einen Wert wie etwa Fairness berücksichtigt. Die Frage ist aber: Wie definieren wir solche Werte? Ein Algorithmus oder ein Programm braucht klare Anweisungen, eine ethische Dimension einzugliedern ist schwer. Das Beste, was wir tun können, ist, sogenannte Intervention Points zu identifizieren: kritische Stellen in einer komplexen Systemarchitektur, an denen gezielt angesetzt werden kann, um die Funktionsweise des Systems zu ändern oder nachzujustieren. Sie sind im Vorhinein schwer zu identifizieren, daher müssen KI-Systeme kontinuierlich überarbeitet und angepasst werden, um unseren ethischen Vorstellungen gerecht zu werden. Wir haben eine große Aufgabe vor uns, die sich nicht mit einer ethischen Vorschriftentabelle lösen lassen wird.

Foto:

Gibt es Entwicklungen oder Innovationen im Bereich KI, auf die Sie sich besonders freuen?

Nowotny: Durch sie tauchen viele neue und interessante Forschungsfragen auf. Ein Freund von mir, ein Mathematiker, hat ChatGPT verwendet, um ein mathematisches Problem zu lösen, und war sehr angetan. Die Maschine hat zwar kleine Fehler gemacht, aber auch guten Mathematiker:innen passiert das. Interessant war die Art, wie die Maschine das Problem gelöst hat: anders als nach den üblichen mathematischen Methoden. Das eröffnet eine spannende Forschungsfrage: Ist es unser Gehirn, das anders

Helga Nowotny:

„Durch KI tauchen viele neue und interessante Forschungsfragen auf“

arbeitet als die Maschine, oder unterscheiden wir uns schlicht in den mathematischen Vorgehensweisen, die sich ja historisch entwickelt haben? Was wäre heute anders, hätten wir eine andere Mathematik? Ähnliche Fragen können wir etwa auch in Hinblick auf die Entwicklung der Sprache stellen. Wird es zu einer Art von Meta-Sprache kommen, die aus unserer Interaktion mit der KI entsteht? Wie wird sich unsere Vorstellung, was spezifisch ‚menschlich‘ ist, weiterentwickeln? Worauf ich mich also besonders freue, sind interessante neue Forschungsfragen, die uns KI aufzeigen wird.

Technologie muss reguliert werden

Die Rolle der Politik dabei und wer noch mitreden sollte, erforscht

IRIS EISENBERGER am Institut für Digitalisierung und Innovation im Recht

Mich interessieren in erster Linie Machtfragen, insbesondere staatliche Macht“, sagt Iris Eisenberger, Professorin für Innovation und öffentliches Recht an der Universität Wien. Staatliche Macht müsse kanalisiert und beschränkt werden. Hier komme ihr Schwerpunkt im Bereich der Grund- und Menschenrechte zum Tragen. Ihr zweiter Schwerpunkt liege seit mehr als zwanzig Jahren beim Technologierecht. „Dabei schaue ich mir an, wie staatliche Macht explizit oder implizit auf technologische Systeme übertragen wird. Etwa wenn ein Algorithmus im Ergebnis feststellt, ob Arbeitssuchende einen Job finden können und daran staatliche Leistungen geknüpft werden. Staatliche Aufgaben werden zunehmend technologischen Systemen überlassen, wenn auch staatlich initiiert.“

Ein Beispiel auf EU-Ebene betreffe das Grenzmanagement. Künftig solle dieses überwiegend durch ein System aus Robotern, Drohnen, Sensoren und großen Datenbanken erfolgen. In der Forschung wird auch mit Avataren experimentiert, die möglicherweise Grenzbeamt:innen ersetzen sollen. Rechtliche Vorschriften werden auf diese Weise zunehmend durch technologische Infrastruktur ersetzt, rechtliche Normierung werde durch technologische Effektuierung substituiert.

Dabei könnten viele Menschen auf der Strecke bleiben. Diese Beobachtung treibe

weniger Wochen haben diese in der Regel mehrere Millionen Nutzer:innen, darunter auch Kinder. Externe Qualitätskontrollen vor der Markteinführung waren bislang selten. Ein Würstelstand müsse derzeit zum Beispiel noch weit mehr Auflagen erfüllen als die meisten KI-Systeme, beobachtet Eisenberger. „Bei digitalen Technologien sind wir sehr zurückhaltend. Forderungen nach Regulierung gelten als technikfeindlich. Regulierung ist aber wichtig, denn wenn Technologien einmal in unserer Gesellschaft etabliert sind, dann sind sie kaum noch zu verändern.“

Antworten auf den Bedarf an Regulierung digitaler Technologien lieferte die EU in den letzten Jahren mit mehr als hundert Rechtsakten auf mehreren Tausend Seiten, darunter das KI-Gesetz. Weniger wäre in dem Fall vermutlich mehr, denn Eisenberger sieht teilweise Überregulierung. Das schade vor allem europäischen KMUs und Start-ups, denn große Unternehmen können in der Regel auch die große Anzahl an neuen Qualitätsanforderungen erfüllen. Doch es gebe auch Unterregulierung, beispielsweise im Bereich KI-basierter militärischer Technologien, die vom Anwendungsbereich des KIGesetzes ausgenommen sind.

„FORDERUNGEN NACH REGULIERUNGEN GELTEN OFT ALS TECHNIKFEINDLICH“

Eisenberger an: Eines ihrer Forschungsanliegen am Institut für Digitalisierung und Innovation im Recht zielt darauf ab, technologische Macht offenzulegen und zu untersuchen, wie man diese Macht rechtlich einhegen kann. Alles mit dem Ziel, Macht zu kanalisieren, zu verteilen und zu kontrollieren, letztlich um Machtmissbrauch zu verhindern.

Interessant sei das Phänomen, wie wenig die Gesellschaft digitale Technologien regulieren wolle. Plakativ zeigt das die Einführung von Large-Language-Modellen. Binnen

„Aus demokratischer Sicht sollte die Gesellschaft mitdiskutieren: Welche Technologien wollen wir und welche nicht? In welchen Bereichen wollen wir investieren und in welchen nicht?“, sagt Eisenberger. „Die Gesellschaft sollte zuerst reflektieren können: Wo ist unser Nutzen und was sind unsere Kosten?“

In diesem Zusammenhang sei in erster Linie die Politik gefordert, allerdings könne diese sich häufig über eine rechtliche Bewertung neuer Technologien nicht einigen. Viele Entscheidungen landen so bei den Gerichten, wie man beim Thema Genschere sehen konnte: Letztendlich entschied der EuGH und nicht die Politik, wie die Genschere rechtlich zu beurteilen war. Das Gericht entschied auch, welche Qualitätsanforderungen beim Einsatz dieser Technologie künftig zu erfüllen sind.

Dies sieht Eisenberger kritisch: „Die politischen Entscheidungsträger:innen müssten letztlich bestimmen, ob sie eine Technologie

Iris

regulieren oder freigeben wollen.“ Bei diesen Entscheidungen sollten die Wissenschaft und Forschung eine ganz zentrale Rolle spielen. Als dritten Part brauche es eine engagierte Zivilgesellschaft – hier gebe es erfreulicherweise bereits etliche vielversprechende Initiativen.

Die Bereiche Recht und Innovation unterliegen einer wechselseitigen Beeinflussung: Recht steuert einerseits technologische Innovationen und technologische Innovationen führen andererseits zu rechtlichen Innovationen. So haben beispielsweise die Entwicklungen im FinTech-Bereich zu rechtlichen Experimentierräumen geführt. Das sind Räume, in denen technologische Innovationen zeitlich und räumlich be-

Mitbestimmung

Aus demokratischer Sicht sollte die Gesellschaft über Regulierung und Förderung von Technologien mitentscheiden

grenzt unter behördlicher Anleitung getestet werden können.

Dieser Mechanismus erlaubt der Wirtschaft, ihre Innovationen kontinuierlich an den Rechtsrahmen anzupassen. Gleichzeitig erlaubt es umgekehrt dem Staat, Regulierungswissen zu generieren. Dazu folgert Eisenberger: „Wenn jedoch die Wirtschaft mit der Gesellschaft experimentiert, dann soll auch die Gesellschaft mit der Wirtschaft experimentieren können, etwa in Form neuer Regelungen, mögen sie in einem ersten Zugriff mitunter überschießend und nicht treffsicher sein. Insoweit ist auch die quantitativ und mitunter qualitativ überbordende Regulierung der KI nichtsdestoweniger sehr zu begrüßen.“

Sozial verträglich und menschenwürdig

Für die digitale Transformation fordert der Sozialethiker THOMAS GREMSL interdisziplinären Diskurs und den Blick auf die Ränder

Die Sozialethik stellt die Frage, wie gesellschaftliche Strukturen, Institutionen und soziale Ordnungen gestaltet werden sollen, damit sie gerecht sind, jeder Mensch sich frei entfalten und zum Gemeinwohl beitragen kann“, erklärt Thomas Gremsl. Er leitet das Institut für Ethik und Gesellschaftslehre und ist Vize- sowie Forschungsdekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz. „Diese Frage stelle ich in meinem Schwerpunkt digitale Transformation insbesondere im Hinblick auf KI und soziale Medien.“ Das menschliche Leben vollziehe sich nicht linear, sondern sei geprägt von Gelingen und Scheitern. Traditionell denke die Sozialethik daher stark von den Rändern her, um bei der Frage nach der gerechten Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen auch Bedürfnisse vulnerabler Gruppen im Blick zu haben. Weil immer mehr digitale Tools unseren Alltag prägen, sei es wichtig, digitale Kompetenzen allen Menschen zu vermitteln. Auch jenen, die sich nicht mehr in einer Ausbildung wie Schule, Hochschule oder Universität befinden.

digt, Atomstrom aus Mini-AKWs beziehen zu wollen. Ebenso müssen KI-Systeme trainiert werden, etwa um eine Katze auf Bildern zu erkennen. Das machen meist Menschen in Billiglohnländern, was den Blick wieder auf die Ränder und vulnerable Gruppen richtet. Aktuell werden technologische Innovationen mit starken kapitalistischen und technischen Logiken betrachtet. Gremsl plädiert für interdisziplinäre Ansätze: „Neben technischen und ökonomischen Perspektiven spielen die Geisteswissenschaften, etwa mit Ethiker:innen, Sprachwissenschaftler:innen oder Historiker:innen, eine besondere Rolle. Es geht um den gesamten Lebenszyklus der KI: von Innovation über Design bis zu Verkauf und Einsatz.“

Zentral ist dabei der Nachhaltigkeitsaspekt. Dieser werde aber, gesellschaftlich gesehen, oft auf Ökologie reduziert, beobachtet Gremsl. „Das Prinzip Nachhaltigkeit bedeutet, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte auszubalancieren. Wir leben nun einmal in einer marktwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft und Innovationen sind sehr wichtig für Europa. Es gilt also, Innovation zu fördern, gleichzeitig aber zu schauen, wo die roten Linien sind.“

TECHNIK HAT UNS DAHIN GEBRACHT, WO WIR HEUTE SIND

Die digitale Transformation ist mit spezifischen Interessen und Werten menschengemacht. „Dabei haben wir oft das Gefühl von Ohnmacht und passen uns in Folge an neue Produkte an, aber das ist der falsche Ansatz. Sozialethik zu betreiben bedeutet, die Realität ernst zu nehmen, interdisziplinär zu denken und die Ermöglichungsbedingungen für alle Menschen zu verbessen“, sagt Gremsl, der seit 2022 auch Vorsitzender der Ethikkommission der TU Graz ist.

KI biete viele Chancen, etwa angesichts der überalternden Bevölkerung, für die zu sorgen ist. Dabei seien Risiken adäquat zu berücksichtigen, denn letztlich gehe es um die Frage nach dem rechten Maß der Dinge. Risiken sind oft nicht gleich absehbar, so nutzen Millionen Menschen ChatGPT und Suchmaschinen, denken dabei jedoch nicht über den Energiebedarf der Rechner nach. Die Big-Tech-Firmen haben kürzlich angekün-

Technische Innovationen habe es immer schon gegeben, weil der Mensch sein Leben erleichtern möchte. Begonnen hat es in der Steinzeit mit dem Faustkeil. „Man darf die Technik nicht verteufeln, sie hat uns ja zweifelsfrei weitergebracht. Früher war sie jedoch auf einen Zweck reduziert: Mit einem Rasenmäher kann ich Rasen mähen, aber nicht Kuchen backen. Die Technik war im Fall des Mähens besser als der Mensch. Mit KI kommen wir erstmals in die Situation, wo sich Technik der Vielfalt des Menschen als Generalist annähert. Das ist die Herausforderung.“

Herausforderungen durch die KI sollten global angegangen werden. So habe der Sozialethiker Peter G. Kirschschläger von der Universität Luzern ein Konzept für eine internationale Agentur zur Regulierung von KI erarbeitet, ähnlich der Internationalen Atomenergiebehörde. Diesen Ansatz unterstützt Gremsl und ergänzt: „Top-Down haben der Staat bzw. ein Zusammenschluss von Staaten die Verantwortung, einen Rahmen für verantwortliches Handeln zu schaffen.

Aber auch wir Konsument:innen tragen im Rahmen unserer Möglichkeiten Verantwortung. Wir handeln autonom und fordern immer wieder Rechte ein, doch dabei vergessen wir oft, dass wir auch Pflichten haben.“

Eine Pflicht könnte sein, eine digitale Fortbildung zu besuchen: So würde das Bewusstsein geweckt, was es bedeutet, auf Facebook einen klar ersichtlichen FakeNews-Beitrag zu teilen. Aufgabe des Staates sei es, Strukturen zu schaffen, die solche Bewusstseinsbildungsprozesse fördern, und das passiere bereits an Universitäten oder in Schulen, wo Kinder ihr Wissen auch nach Hause tragen und so weitergeben. Offen sei aber die Frage, wie man die Mehrheit der

Chancen

Künstliche Intelligenz bietet angesichts der überalternden Gesellschaft zahlreiche Möglichkeiten zur Unterstützung

Menschen erreichen kann, die nicht in einer Ausbildungsstruktur sind. „Damit beschäftige ich mich gerade. Ich will Beiträge leisten, damit die digitale Transformation sozial verträglich und menschenwürdig gestaltet wird, das treibt mich an. Hier sehe ich auch die Verbindung zum Recht, um aus Sicht der Ethik angesichts der rasanten technologischen Entwicklung Impulse zu liefern. Beide sind im Zusammenspiel wichtig.“

Das Recht sage laut Gremsl: „Bis hierhin und nicht weiter, das sind die roten Linien. Und die Ethik sagt, wie es im besten Fall sein sollte. Sie liefert wertvolle normative Orientierung in unübersichtlichen und herausfordernden Zeiten.“

Verpfuschen wir unsere Entwicklung?

Der Komplexitätsforscher STEFAN THURNER über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Österreichs Medizin

BRUNO JASCHKE

Herr Thurner, Sie verwenden KI schon lange und in verschiedenen Bereichen. Welche Fortschritte eröffnet sie der Diagnose?

Stefan Thurner: Man kann die Diagnose verbessern, indem man die Menschen clustert: Haben sie heute diese Krankheit, haben sie in fünf Jahren jene. Man sieht, wie Menschen von einem Cluster zum anderen springen, bis sie zu jenem kommen, wo ihr Leben in Gefahr ist. Zu verhindern, dass sie in diese Cluster kommen ist die wichtigste Aufgabe der Medizin.

Sie haben, KI-unterstützt, intensiv die Wirkung, auch die Nebenwirkungen von Medikamenten erforscht. Was ist dabei zu beachten?

Thurner: Man kann sich ansehen, wie die Medikamente in der wirklichen Welt und nicht nur in klinischen Studien wirken. Häufig nehmen Menschen ja mehrere Medikamente. Jene, an denen in der klinischen Studie getestet wird, dürfen aber viele Medikamente nicht nehmen, denn sonst könnte man die Wirkung des zu testenden Medikaments nicht eindeutig nachweisen.

Bei der Untersuchung von Nebenwirkungen von Medikamenten konnten Sie einige bemerkenswerte Erfolge erzielen. Auf welchen sind Sie besonders stolz?

Thurner: Dass es uns gelungen ist, die Nebenwirkungen von Statinen aufzuzeigen.

Viel wird über die Effizienz des österreichischen Gesundheitssystems diskutiert. Auch Sie haben es untersucht. Welche Aussagen können Sie treffen? Thurner: Wir können zum Beispiel zeigen, wie hoch der Versorgungsgrad in verschiedenen Regionen ist: Was würde passieren, wenn wir in Salzburg einen Augenarzt weniger hätten? Um wie viel mehr muss länger gefahren und CO2 ausgestoßen werden, um zum nächsten Augenarzt zu gelangen? Auf diese Weise kann man sichtbar machen, wie effizient ein Gesundheitssystem ist und wie man es mit minimalem Aufwand stark verbessern kann. Man kann aus Trends, wie der Mix der Krankheiten in der Bevölkerung sich ändert, und aus der Mobilität der Ärzte neue Erkenntnisse gewinnen, wie man das Gesundheitssystem aufsetzen muss, um demografischen Trends, migrantischen Bewegungen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Lässt sich grundsätzlich benennen, was es braucht, um durch KI medizinischen Fortschritt zu erzielen?

WIR ZEIGEN DEN MEDIZINISCHEN VERSORGUNGSGRAD IN VERSCHIEDENEN REGIONEN

Statine, Blutfettsenker, sind die meistverschriebene Medikamentengruppe in Europa. Man ist früher davon ausgegangen, dass sie wenige Nebenwirkungen haben. Wir haben Menschen mit ähnlichen Symptomen, von denen die einen Statine genommen haben und die anderen nicht, verglichen. Da hat sich gezeigt, dass Menschen, die Statine nehmen, deutlich eher Osteoporose kriegen, je höher die Dosis, desto mehr. Es hat sich aber auch gezeigt, dass Statine eine vorbeugende Wirkung gegen verschiedene Typen von Krebs haben. Das haben wir anhand von Versicherungsdaten entdeckt.

Thurner: Man müsste ein Large Language Model, die avancierteste Form der künstlichen Intelligenz, mit Daten trainieren, die für Forschungszwecke vor ungefähr zwanzig Jahren erhoben worden sind. Wenn die Krankheitspfade der Menschen da hineingefüttert werden, können Vorhersagen getroffen werden. Man kann Krankheitswahrscheinlichkeiten prognostizieren, man kann die Ausbildung berücksichtigen, Risikofaktoren wie Rauchen einrechnen. Das alles kann ich selbst der Maschine mitteilen und darauf bestehen, dass das anonym bleibt. In Dänemark macht man das ganz selbstverständlich! Wir in Österreich sperren uns dagegen. Wir sind drauf und dran, unsere Entwicklung zu verpfuschen!

Das liegt woran?

Thurner: Es ist ja nicht so, dass in diesem Land in den letzten dreißig Jahren niemand probiert hätte, Daten nutzbar zu machen. Aber man hat verhindert, dass Patient:innenpfade durchgängig aufscheinen. Die Motive sind manchmal offensichtlich, manchmal rätselhaft. Aber jeder Mensch kann sich ausmalen, was das heißt,

dass wir bei dieser Entwicklung eben nicht mitmachen.

Liegt es an einem notorisch österreichischen Problem, dem Unter-Verschluss-Halten von Daten?

Thurner: Ja, Daten werden unter dem Vorwand des Datenschutzes nicht zur Verfügung gestellt. Wenn wir die passende Technologie wie LLM zur Verfügung haben, nicht aber die Daten, bringt das gar nichts. Das ist wirklich ein selbstverschuldetes Elend. Und es bedeutet, dass Österreich von der digitalen Zukunft abgeschnitten wird. Bekannte und häufig benutzte Schlagwörter wie „Personalized Medicine“ und „Digitalisierung“ sind reiner Theaterdonner.

Gesundheitsdaten

Die EU hat in diesem Jahr die Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) beschlossen

Es gibt aber einen Hoffnungsstrahl?

Thurner: Er kommt, wie meist, aus Europa und braucht seine Zeit. Die EU hat die Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) beschlossen. Damit erhalten EU-Bürger:innen ein Grundrecht, ihre Gesundheitsdaten selbst einsehen zu können. Sofern keine ethischen Bedenken bestehen, erhält die Forschung Zugriff auf gesundheitsrelevante Daten in einem anonymisierten oder pseudonymisierten Format. Dazu müssen national neue Institutionen aufgebaut oder bestehende angepasst werden, um die Daten zu sammeln, qualitätszusichern und zugänglich zu machen. Damit wird uns der EHDS aufzwingen, wogegen sich bei uns Player im Gesundheitssystem sperren.

KI als Wirtschaftsmotor

KI eröffnet Betrieben Chancen, sagt der Präsident des Österreichischen Gewerbevereins PETER LIEBER, wenn sie sinnvoll eingesetzt wird

BRUNO JASCHKE

I n der Vergangenheit erschienen viele Anforderungen der Wirtschaft an die Technik kaum erfüllbar. Heute ist die Technologie oft schon weiter, als man es in der Wirtschaft weiß, und sie eröffnet neue Chancen. Alles, was technisch vorstellbar ist, lässt sich machen, sogar Reisen zum Mars. Ein Unternehmen der Lieber Group arbeitet derzeit daran, neue Technologie für die effizientere Entwicklung von neuen Raumfahrzeugen bereitzustellen.

Forschung ist der Schlüssel zur Innovation und damit letztlich auch zum wirtschaftlichen Erfolg. In Österreich gibt es einen einzigartigen Indikator für Forschungserfolge, die weit über den akademischen Bereich hinausreichen und in die Wirtschaft ausstrahlen. Seit 1921 verleiht der Österreichische Gewerbeverein die Wilhelm-ExnerMedaille an Forschende, Entdecker:innen und Entwickler:innen, deren Leistungen die Wirtschaft und den Alltag bereichern. Die Auszeichnung, benannt nach Wilhelm Exner, dem Mitgründer des Technischen Museums, Leiter des TÜV und Rektor der Universität für Bodenkultur Wien, wird seit dem Jahr 2021 von einer Stiftung verwaltet. Sie bildet die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und

geworden ist. Große Sprachmodelle wie ChatGPT kombinieren das Wissen und die Intelligenz, die im Web 2.0 existieren, so, dass deren Antworten meist unseren Erwartungen entsprechen.

Allerdings entstehen dabei auch Echokammern, da die Systeme aufgrund unserer Fragestellungen Antworten auf Basis statistischer Wahrscheinlichkeiten liefern. Diese Bestätigungsmechanismen können eine verengte Sicht erzeugen, es sei denn, man sucht aktiv nach abweichenden Meinungen. Ein Punkt, den man immer im Kopf behalten sollte.

Österreichs Wirtschaft steht auf den Schultern von Klein- und Kleinstunternehmen sowie Ein-Personen-Unternehmen. So arbeiten etwa 75 Prozent der Unternehmensberater:innen allein. Diese kleinteilige Struktur bringt Herausforderungen mit sich: Zahlreiche Betriebe erleben eine Zeit, in der mehrere Mitarbeitende gleichzeitig in den Ruhestand treten, oft ohne rechtzeitig für Nachfolge gesorgt zu haben. Das trifft besonders das klassische Handwerk wie Tischlereien oder Installationsbetriebe. Sie haben zunehmend Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden, da die Lehre in diesen Berufen heute weniger attraktiv erscheint.

TECHNOLOGIE ERÖFFNET VOR ALLEM IN DER WIRTSCHAFT VÖLLIG NEUE CHANCEN

Wirtschaft. Insgesamt 25 mit der WilhelmExner-Medaille Ausgezeichnete erhielten auch den Nobelpreis.

Auch „Künstliche Intelligenz“ ist ein Produkt der Forschung. Was wir so bezeichnen, ist allerdings eher eine vermeintliche Intelligenz: Maschinen können nicht kreativ lernen und handeln nur im Rahmen der Vorgaben, die wir ihnen geben. Sie können auch keine ethischen Entscheidungen treffen.

Die vermeintliche „Künstliche Intelligenz“ spiegelt die Fähigkeit von Menschen wider, große Datenmengen so zu kombinieren, dass Ergebnisse entstehen, die als intelligent wahrgenommen werden können. Ein Beispiel ist die Onlineenzyklopädie Wikipedia, die durch das Engagement vieler Menschen zu einer wertvollen Wissensquelle

Künstliche Intelligenz kann gerade in kleineren Betrieben viel bewirken, wenn sie gezielt eingesetzt wird. So kann bei der Erstellung von Stellenanzeigen, der Formulierung von Angeboten oder Social-MediaBeiträgen KI unterstützen. Unternehmen können sich damit im Wettbewerb abheben, vorausgesetzt, sie setzen KI aktiv und klug ein.

Viele Jobausschreibungen sind heute nur noch standardisierte Kopien, aber viele Bewerber:innen erwarten eine direkte Ansprache. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, die Werte und Bedürfnisse eines Unternehmens ansprechend zu formulieren. Eine gut formulierte Jobausschreibung spart Kosten, da sie passgenauere Bewerbungen anzieht. Für Bewerber:innen ist es etwa sehr wichtig zu lernen, wie man sich für einen (Traum-)Job bewirbt. Also sich in einer Bewerbung darauf fokussieren, was sie in Zukunft machen wollen, und weniger darauf,

Peter

was sie in der Vergangenheit gelernt oder gemacht haben.

In einem zeitgemäßen Tischlereibetrieb sollte der Maschinenpark nicht nur aus Altbestand bestehen, sondern durch KI unterstützt werden, um Prozesse zu automatisieren und die Planung zu erleichtern. Berechnungen lassen sich digitalisieren, aufwendige manuelle Planungen entfallen.

KI kann zeitaufwendige Routineaufgaben optimieren, Prozesse effizienter gestalten und damit Kreativität und Produktivität steigern. Sie ermöglicht datenbasierte Entscheidungen und ist eine wertvolle Unterstützung bei komplexen Aufgaben. Die wenigsten von uns wissen etwa, wie sie erfolgreich einen Versicherungsschaden geltend machen

Künstliche Intelligenz ist ein Produkt der Forschung. Ethische Entscheidungen kann sie nicht treffen

können. KI kann hier unterstützen und durch passgenaue Formulierungen die Erfolgsaussichten erhöhen.

Bei den Möglichkeiten dieser Technologie ist es allerdings ungemein wichtig, die ethische Verantwortung nicht aus dem Fokus zu verlieren. Immer wieder ist zu fragen: Nutze ich etwas, weil ich es kann, oder weil es Sinn für die Gesellschaft macht? Einem Anhänger des Digitalen Humanismus, der hundert Jahre nach Sigmund Freud in Wien an der Technischen Universität entstanden ist, geht es nicht allein um Problemlösungen. Digitaler Humanismus richtet den Fokus auf bewusste Nutzung. Einer gesellschaftlich relevanten, nicht ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachten Nutzung.

In Bildern sprechen

Der Robotikfachmann WOLFRAM BURGARD von der TU Nürnberg über die Entwicklung der Künstlichen

Intelligenz in der Robotik

Künstliche Intelligenz ermöglicht es Robotern, sich in der Welt besser zurechtzufinden. Kombiniert man Sprach- und Bildebene, kann etwa gezielt nach vermissten Personen gesucht werden. Beispiele sind „Rhino“, 1997 in Deutschland in Dienst gestellt, und „Minerva“, ein Jahr später in den USA. Rhino war der erste interaktive mobile Tour-Guide im Deutschen Museum Bonn, Minerva dessen Pendant im Smithsonian Museum of American History in Washington DC.

Bei der Entwicklung dabei: Wolfram Burgard und sein Team. Derzeit ist er Vorsitzender des Departments Engineering sowie Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik an der Technischen Universität Nürnberg. Bis 2022 war er Professor für Autonome Intelligente Systeme an der Universität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf autonomen Systemen, etwa selbstfahrenden Autos und Robotern. Spannend an Rhino oder Minerva ist, dass sie beide Themen in sich vereinen.

Was ist ein Museumsroboter? „Es handelt sich um eine Plattform mit Fahrwerk, die Museumsgäste zu den Ausstellungsstücken bringt und dabei Texte und Bilder abspielen

Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik an der Technischen Universität Nürnberg

und Stelle bleiben, so bewegen sich doch die Personen im Museum. Auch auf der Straße kann sich die Umgebung jederzeit verändern, etwa durch Baustellen. „Das ändert die Geometrie, und dann muss man neue Kartenabschnitte generieren. Das ist ein teures Unterfangen“, sagt Burgard. Hier kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel, um eine, erklärt Burgard, „robuste Navigation“ mittels eines Fahrassistenzsystems zu ermöglichen. Dafür werden Softwaremodule entwickelt, die robuste multimodale Kartierung und Lokalisierung (SLAM), umgebungsadaptive Datenfusion sowie semantische Interpretation der Sensordaten ermöglichen. KI sei mehr als eine einzelne Anwendung wie etwa ChatGPT.

Hat Künstliche Intelligenz generell einen schlechten Ruf? „In Europa schon“, sagt Burgard. Die Befürchtungen gehen dahin, dass viele Anwendungen auch in einem negativen Kontext gebraucht werden könnten. Betrugsversuche durch Fake-Mails hätten etwa durch KI neuen Auftrieb erhalten. Hier müssten entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es sei jedoch schwer, ethische Grundsätze umzusetzen.

IN EUROPA HAT KÜNSTLICHE INTELLIGENZ GRUNDSÄTZLICH EINEN SCHLECHTEN RUF

kann“, erklärt Burgard. Eine Schwierigkeit liege darin, dass der Roboter auf seinem programmierten Weg zu den Exponaten keine anderen Kunstwerke beschädigen darf. Hier kommt eine Technik ins Spiel, die auch beim autonomen Fahren angewandt wird. Analog zu freiem Gelände werden im Museum alle Ecken und Winkel genau vermessen. Dann wird eine Karte erstellt, auf der sich der Museumsroboter mithilfe seines OnboardSensorsystems zurechtfinden kann. Minerva hat auf diese Weise in zwei Wochen mehr als 44 Kilometer zurückgelegt, dabei Geschwindigkeiten von bis zu 163 Zentimeter pro Sekunde erreicht und mit einigen Tausend Menschen interagiert.

Besonders herausfordernd sind Veränderungen: Auch wenn die Kunstwerke an Ort

Schnell stelle sich die Frage „Was ist Gerechtigkeit?“. Kommt ein intelligentes autonomes System in eine Dilemmasituation, muss es in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung fällen. „Dass solche Entscheidungen den Normen entsprechend getroffen werden, ist ein nach wie vor ungelöstes Problem“, sagt Burgard.

Theoretisch gelten die von ScienceFiction-Autor Isaac Asimov in den 1940erJahren aufgestellten Robotergesetze nach wie vor. Erstens: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen wissentlich verletzen oder durch Untätigkeit wissentlich zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. Zweitens: Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen. Es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren. Drittens: Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.

KI ist nicht ganz neu. 1955 tauchte der Begriff „Artificial Intelligence“ erstmals auf, im Rahmen eines Workshops an der Universität

Wolfram Burgard

Dartmouth. Auch gab es die „Schachmaschine“ oder den berühmten „Turing-Test“, der die Fähigkeit von Maschinen zu menschenähnlicher Intelligenz bewertet. Wie hat die KI die Robotik verändert? „Roboter können durch KI mittlerweile deutlich besser mit der Welt umgehen“, sagt Burgard. „Sie wissen, wie eine Türklinke funktioniert und wie man einen Kühlschrank öffnet“. Dies sei eine wichtige Voraussetzung, um mehr Roboter einsetzen zu können.

Roboter sind nicht die einzige Anwendung für Künstliche Intelligenz in der Robotik. Es gibt zahlreiche weitere. Ein aktuelles

Wolfram Burgard: „Roboter können durch KI mittlerweile deutlich besser mit der Welt umgehen“

Projekt von Burgard befasst sich mit dem Einsatz von Drohnen zum Auffinden von verschütteten bzw. vermissten Personen in Katastrophengebieten mittels generativer KI. Darunter versteht man neuronale Netzwerke, die zu multimodalen Kombinationen fähig sind, etwa einer Sprach-Bild-Kombination. „Man kann der KI den Auftrag geben: Schick mir ein Bild von einer Person in einem roten Pullover!“ Früher sei so etwas nur mit großem Aufwand zu programmieren gewesen, entweder auf der Sprach- oder auf der Bildebene. Dank Künstlicher Intelligenz ist nun beides möglich.

Wissensfragen sind Wertefragen

Personalisierte Dienstleistungen sowie Fortschritte in Medizin und Klimaforschung

erwarten STEFAN WOLTRAN (TU Wien) und ELISABETH LEX (TU Graz)

SOPHIE HANAK

Künstliche Intelligenz bietet Potenzial bei der Personalisierung im medizinischen Bereich. Mit ihrer Hilfe können enorm viele Daten verarbeitet werden, für deren Analyse Menschen ungleich länger benötigen würden – oder mit den riesigen Datenmengen schlicht nicht zurechtkommen würden. So analysiert Künstliche Intelligenz medizinische Bilddaten oder Spektren, die für Menschen nicht zugänglich sind.

„Auch in der Ausbildung, insbesondere bei Lernschwächen, kann Künstliche Intelligenz unterstützen oder auch um Personen in neue Tätigkeiten schneller einzuarbeiten“, sagt Stefan Woltran von der TU Wien. Er weist darauf hin, dass damit auch Risiken verbunden sind: „Was passiert mit Mitarbeiter:innen, die über einen großen Erfahrungsschatz verfügen und durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden? Welche versicherungstechnischen Auswirkungen hat KI im medizinischen Bereich? Diese Fragen müssen ernst genommen werden.“

Elisabeth Lex beschäftigt sich mit KI und maschinellem Lernen. Sie ist außerordentliche Dozentin an der TU Graz

Ethik spiele in der KI­Entwicklung eine zentrale Rolle. „Die großen Sprachmodelle werden mit Daten aus der ganzen Welt gefüttert. Hier braucht es eine Regulierung, damit Daten nicht einfach frei zur Verfügung gestellt werden.“ Woltran will damit nicht sagen, dass die Regulierung die Entwicklung der KI einschränken sollte. „Die Straßenverkehrsordnung schränkt auch nicht die Weiterentwicklung von Motoren ein.“

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft das Urheberrecht an KI­generierten Inhalten. „Wer besitzt die Rechte an KI­generierten Inhalten? Das wird sicherlich zu Debatten führen, denn grundsätzlich bleibt das Urheberrecht bei der Person, die das Werk erstellt hat. Oft wird das jedoch ignoriert“, sagt Elisabeth Lex von der TU Graz. Sie nennt als Beispiel die Klage der „New York Times“ gegen OpenAI und Microsoft. Die „New York Times“ wirft beiden Unternehmen vor, ChatGPT mit Wissen aus Millionen von Artikeln der Zeitung versorgt zu haben.

Künstliche Intelligenz kann beispielsweise behilflich sein, um Inklusion zu verstärken, Sprachbarrieren zu überwinden oder Texte in einfache Sprache zu übersetzen. Andererseits könnte es auch so weit gehen, dass KI dazu genutzt wird, Nachrichten zu personalisieren und an die politische Auffassung von Konsument:innen anzupassen. „Dann fehlt im gesellschaftlichen Diskurs eine gemeinsame öffentliche Basis: Es wird zwar über denselben Artikel diskutiert, der allerdings jeweils unterschiedlich formuliert wurde.“

Stefan Woltran

KI-Forscher, Professor an der TU Wien

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ KANN ETWA BEI LERNSCHWÄCHEN UNTERSTÜTZEN

Wir benötigen ein stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein über die Ziele von Künstlicher Intelligenz. Es muss schon früh angesetzt werden und bereits in den Schulen vermittelt werden, was KI ist und wie sie sinnvoll genutzt werden kann. „Wir müssen uns frühzeitig darüber Gedanken machen, was diese Technologie mit der Gesellschaft macht. Das haben wir bei Social Media verschlafen“, sagt Woltran.

Die Herausforderungen im Bereich KI sind vielfältig. „Eine zentrale Schwierigkeit besteht darin, die internen Abläufe von KIModellen nachvollziehbar zu gestalten und qualitativ hochwertige Daten zu erhalten, die wir auch verwenden dürfen“, erklärt Lex. Der Bias in den Daten stellt eine besondere Herausforderung dar und könne zu einseitigen Ergebnissen führen. Auch basieren viele Methoden auf komplexen Algorithmen, über deren genaue Funktionsweise nur wenig klar ist. Sie werden nicht umsonst als „Black Boxes“ bezeichnet. Dies führt zur Diskussion über „Trustworthy AI“, also vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz.

„Auch in der Arbeitswelt gibt es viele Bedenken gegen KI“, sagt Elisabeth Lex. „Etwa, dass Arbeitsplätze verloren gehen, was sicherlich möglich ist. Aber gleichzeitig werden auch neue Berufe entstehen, die wir jetzt noch nicht kennen.“

Ein weiteres Thema seien Antworten von KI­Anwendungen wie ChatGPT. Sie klängen oft sehr zuversichtlich, selbst wenn sie fehlerhaft sind. „Es gibt bereits Ansätze, die dafür sorgen, dass diese Modelle weniger Fehler machen, wie beispielsweise Retrieval­Augmented Generation. Dabei greift die KI auf relevante Dokumente mit korrekten

Informationen zu, um so die Genauigkeit der Antworten zu erhöhen.“

Die Geschwindigkeit der wissenschaftlichen Fortschritte steht im Kontrast zur langsamen politischen Regulierungsfähigkeit. „In der Wissenschaft geht alles sehr schnell, während die Politik tendenziell hinterherhinkt. Es ist wichtig, dass Politik und Wissenschaft enger zusammenarbeiten“, betont Lex. Der EU-AI-Act werde als grundsätzlich positiv angesehen, doch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit bleibe bestehen.

Lex erwartet die schnellsten Fortschritte in der Zukunft in den Bereichen Medizin, Nachhaltigkeit und Klimaforschung. „Es ist entscheidend, wo investiert wird. Die Verleihung der Nobelpreise gibt Hinweise darauf,

Die Frage des Urheberrechts:

Wer besitzt die Rechte an KI-generierten Inhalten?

wohin die Entwicklungen gehen könnten.“ Gerade in Bereichen wie Physik und Chemie hat KI revolutionsartige Neuerungen hervorgebracht, auch wenn nicht immer eindeutig klar ist, wo dies letztlich hinführt. Missverständnisse im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz seien weit verbreitet. „KI wird sicher nicht alle unsere Probleme lösen. Auch wird sie uns nicht vollständig ersetzen. Es handelt sich letztlich um statistische Modelle, die Wahrscheinlichkeiten berechnen. Das ist noch lange keine Intelligenz im menschlichen Sinne.“ Laut Elisabeth Lex sind Menschen der KI noch deutlich überlegen. „Unser Gehirn arbeitet immerhin sehr effizient und benötigt dafür nur zwanzig Watt.“

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Foto: Shutterstock, Montage: D. Greco

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