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GLASHÜTTE/OSTERZGEBIRGE
ZEITREISE
Hier werden Armbanduhren von Weltruf hergestellt und Wintersportler trainieren für Medaillen und Bestzeiten. Manchmal hat man aber auch den Eindruck, hier sei die Zeit stehen geblieben. Die Stadt Glashütte und das Osterzgebirge ist ein lohnendes Ziel für neugierige, naturverbundene Zeitreisende.
TEXT: Martin Häußermann FOTOS: Martin Häußermann / Hersteller
ZEIT NEHMEN Wer sich für die Zeit interessiert, braucht Zeit. Im Museum und im Shop von Nomos kann man viele Stunden verbringen. Dagegen ist die Chronometerprüfstelle in der alten Sternwarte nicht auf Besuch eingestellt.
Zwei schwarze gekreuzte Hämmer, darunter das Zifferblatt einer Uhr zieren das Stadtwappen von Glashütte. Kompakter kann man den wirtschaftlichen Werdegang des beschaulichen Städtchens im Müglitztal kaum darstellen. Zur Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung von Glashütte Mitte des 15. Jahrhunderts lebten die Menschen hier vom Bergbau. Unter den Erhebungen des Ergebirges fanden sich erhebliche Kupfer- und Silbervorkommen, die Glashütte prosperieren ließen, weshalb man auch 1506 das Stadtrecht zugesprochen bekam. Doch die Vorkommen waren endlich, schon Mitte des 19. Jahrhunderts ernährte der Bergbau die Bevölkerung nicht mehr ausreichend. Schließlich wurde die Silberförderung 1875 mangels Rentabilität endgültig eingestellt.
Eine neue Zeit
Doch da waren die Weichen schon gestellt – buchstäblich für eine neue Zeit. Denn bereits 1845 installierte der Dresdner Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange (1815-1875) die erste Uhrenfabrikation in Glashütte und begründete damit eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Lange begann mit der Ausbildung von ungelernten Hilfsarbeitern, und Metallfacharbeitern. Bei seinen Reisen in die Schweiz hatte Lange das sogenannte Verlagssystem kennengelernt, in dem die Uhr eben nicht von A bis Z von einem Menschen gebaut wurde, sondern einzelne Spezialisten die verschiedenen Komponenten fertigten. Dieses Spezialistentum sollte einerseits zu höherer Qualität, andererseits zu günstigeren Preisen führen. Weshalb Lange plante, zunächst 15 Lehrlinge in verschiedenen Gewerken auszubilden, die diese später selbständig ausüben könnten. Ursprünglich wollte Lange dies in Dresden tun, wo der Schwiegersohn des Hofuhrmachers Johann Friedrich Gutkaes (1775-1845), gemeinsam mit seinem Schwager Bernhard Gutkaes, dessen Geschäft und Werkstatt betrieb. Doch suchte die sächsische Regierung händeringend nach Möglichkeiten, die notleidende Bevölkerung im Osterzgebirge wieder in Lohn und Brot setzen zu können. Die Ansiedlung einer neuen und zukunftsträchtigen Branche in Glashütte schien den Politikern und Verwaltungsbeamten eine geeignete Lösung, weshalb man nach mehrjährigen Verhandlungen staatliche Zuschüsse in Höhe von 6700 Talern versprach. Um die Größenordnung ungefähr einschätzen zu können: Für den
Kauf des Gebäudes, in dem Lange mit dem Uhrenbau in Glashütte begann, musste er allein 600 Taler bezahlen. Was zu dieser Zeit in Sachsen passierte, würde in heutigem Beamtendeutsch als Strukturförderungsmaßnahme bezeichnet. Am 7. Dezember 1845 wurde die neue Ausbildungsstätte feierlich eröffnet, schon einen Tag später starteten Lange und sein Mitarbeiter Adolf Schneider mit der Ausbildung der Schüler. Somit gilt der Tag nicht nur als Gründungsdatum der neuen Firma Lange & Cie, sondern auch als Start der Uhrmacherei in Glashütte und damit nichts weniger als der Beginn einer bis heute anhaltenden Tradition.
Reise in die Vergangenheit
Die Entwicklung dieser Tradition lässt sich nicht nur nachlesen, sondern auch erleben. Der passende Ort dafür ist das Uhrenmuseum Glashütte im Zentrum der Kleinstadt. Ursprünglich dient der markante und alleinstehende Bau nach 1881 als Domizil der Uhrmacherschule. Und weil sich Glashütter Uhren zu weltweit gefragten Luxusgütern entwickeln, wird später nochmals groß angebaut. Glücklicherweise bleibt das Gebäude im Zweiten Weltkrieg von Zerstörung verschont, sodass es danach bald wieder genutzt werden konnte, dann aber als Ingenieursschule für Feinwerktechnik. Luxus hatte keinen Platz im real existierenden Sozialismus. Wohl aber nach der Wende. Da besannen sich die Glashütter ihrer Fähigkeiten im Uhrenbau. Unternehmer und Investoren sahen im Bau feiner Uhren große Chancen. Manufakturen und damit auch der alte Mythos Glashütte wurden zu neuem Leben erweckt. Diese Entwicklung zeigt das Museum auf zwei Stockwerken und 1.000 Quadratme als 500 einmalige Exponate: Glashütter Taschen-, Pendel- und Armbanduhren verschiedener Epochen, Marine-Chronometer, historische Urkunden, Szene gesetzt und multimedial erlebbar gemacht. Wer auf eigene Faust und im eigenen Tempo durchs Museum ziehen will, wählt den Audioguide. Wer etwas tiefer ins Thema einsteigen will, ist mit einer individuell buchbaren Führung gut beraten.
DIE UHRENMEILE Vom Balkon der Manufaktur Moritz Grossmann sehen wir die Stammsitze von Nomos (rechts vorne), A. Lange & Söhne (dahinter), Glashütte Original (Mitte) und Tutima (bei den roten Bussen).
Stadt der Zeitmesser
Eine solche wird auch für einen Gang durch die Uhrenstadt angeboten, in der Uhrenmarken von Weltrang buchstäblich Tür an Tür residieren. So steht das Stammhaus von A. Lange & Söhne – das in den Neunzigerjahren die Renaissance des Luxusuhrenbaus maßgeblich initiierte – direkt neben dem großen Gebäude, in dem Uhren der Marke Glashütte Original entstehen. Gegenüber, im ehemaligen Bahnhof, arbeiten die Uhrmacher der unabhängigen Marke Nomos Glashütte. Wandert man weiter der Müglitz entlang die Altenberger Straße hoch, entdeckt man weitere Betriebsstätten von A. Lange & Söhne sowie jene der familiengeführten Marken Tutima und Mühle Glashütte. Weiter oben, an den Berg geschmiegt, entdeckt der Betrachter das extravagante Gebäude der Manufaktur Moritz Grossmann. Ganz oben auf dem Ochsenkopf thront die einstige Sternwarte „Urania“, in der heute der Juwelier Wempe seine Uhren bauen lässt. Außer-
dem beherbergt die Sternwarte auch noch die Deutsche Chronometerprüfstelle. Vor Corona boten viele dieser Betriebe bei Werksführungen bereitwillig Einblicke in den Bau feiner Uhren. Es bleibt zu hoffen, dass dies nach Ende der Pandemie wieder möglich ist. Denn was die Menschen hier mit ihrer Hände Arbeit herstellen und wie sie es tun, ist wirklich faszinierend zu sehen. Zwischenzeitlich lohnt sich eine Einkehr im „SMAC’s Café und Restaurant“. Nicht nur der leckeren Speisen wegen. Mit etwas Glück trifft man hier, wenn er nicht gerade Uhren für Nomos konstruiert, den Uhrmacher Mirko Heyne, der das Restaurant gegenüber des Museums gemeinsam mit seiner Frau Sarah betreibt. Damit haben sich die beiden einen lang gehegten Traum erfüllt.
ESSENSZEIT Nomos-Konstrukteur Mirko Heyne betreibt mit seiner Frau im Zentrum Glashüttes ein kleines Restaurant.
Zeit für Freizeit
Das haben auch Marcel Gundel und Lea Wojzischke getan, indem sie 2019 den „Camping Galgenteich“ in Glashüttes Nachbargemeinde Altenberg übernommen haben. Dabei bringt das junge Paar viel Erfahrung aus eigenen Reisen mit: „Auf unseren Abenteuern vor der Übernahme des Naherholungszentrums „Kleiner Galgenteich“ haben wir unzählbare Male festgestellt, wie wichtig gute Gastfreundschaft ist“, erzählen sie. Ein Satz, der nicht nur so
ERHOLUNG IM GRÜNEN Stellplatz und unser Spacecamper harmonieren nicht nur farblich, sie garantieren beide Entspannung. Zum Abkühlen springen wir in den Galgenteich.
dahingesagt ist, sondern gelebt wird. Das erfahren wir während unseres dreitägigen Aufenthaltes an vielen Stellen. Es beginnt bei der persönlichen Ansprache und hört bei der Hilfe beim Einrichten des Stellplatzes nicht auf. Weil wir mit einem kompakten Campingbus von Spacecamper unterwegs sind, bekommen wir einen Platz nahe dem Hauptgebäude, in dem Rezeption und Sanitäranlagen untergebracht sind. Das ist zwar alles nicht mehr neu, met den Charme ländlicher Gastlichkeit. Die Campinggäste sind hier auch keineswegs ausschließlich unter sich. Immerhin führt ein Rad- und Wanderweg durch den Platz, der zusammen mit dem benachbarten Naturbad „Kleiner Galgenteich“, das im Sommer zum Schwimmen einlädt, ein kleines, feines Naherholungsgebiet bildet. Ein perfektes Basislager für Naturfreunde, die spazieren, wandern, radeln oder – im Winter – langlaufen wollen.
Auf die Sättel
Wir schwingen uns aufs E-Bike und machen uns auf zum Kahlenberg. Mit 905 Metern ist er die höchste Erhebung der Urlaubsregion Altenberg. So müssen wir gerade mal 100 Höhenmeter überwinden, um den Gipfel zu erreichen, von dem aus sich eine traumhafte Aussicht bietet. Wir blicken auf den Galgenteich und den benachbarten Trinkwasserspeicher. Bei besonders guten Verhältnissen sieht man bis ins Dresdner Elbtal, das Elbsandsteingebir-
ALLE TASSEN IM SCHRANK Nahe am Campingplatz steht das „Bunte Häusel“, das nicht nur über eine riesige Porzellansammlung verfügt, sondern diese auch erstklassig mit Kaffee und Kuchen bestückt.
MIT DER DAMPFLOCK Die Weißeritztalbahn ist die dienstälteste öffentlich betriebene Schmalspurbahn Deutschlands.
ge oder auch in das böhmische Mittelgebirge. Der nahe der alten Bergstadt und ließe sich vom Campingplatz auch bequem zu Fuß erreichen. Doch Thilo Mühle, Chef von Mühle Glashütte und ambitionierter Radsportler, hat uns eine kleine Radrunde empfohlen, auf der wir weitere Sehenswürdigkeiten der Region entdecken können.
Die Zeit läuft – rückwärts und vorwärts
Zurück in die Zeit des geruhsamen Reisens führt uns der Besuch des Bahnhofs des Kurorts Kipsdorf. talbahn, der dienstältesten öffentlich betriebenen Schmalspurbahn Deutschlands. Seit 1882 ist die Bahn in Betrieb, seit 1883 auch der Bahnhof Kipsdorf, von dem aus Züge durch das Tal der Roten Weißeritz nach Freital-Hainsberg bei Dresden fahren. Für die 26 Kilometer lange Strecke, die in jede Richtung zweimal täglich bedient wird, braucht der historische Dampfzug rund eine Stunde und 20
SCHLITTEN FAHREN In dieser Region ist der Bobsport zuhause. Besucher können die Bahn, auf der gestandene Olympiasieger trainieren, selbst ausprobieren. Im Sommer stehen die Bobs auf Rädern.
Minuten. Das nennt man Entschleunigung. Das ist der Ort, an dem viele der deutschen Bob- und Rodelsportler trainieren, die jüngst bei den Olympischen Spielen in Peking Medaillen in allen Farben einfuhren. So ist Altenberg die Heimbahn des Rekordweltmeisters und Olympiasiegers Francesco Friedrich. Die Bahn ist auch im Sommer in Betrieb, allerdings Bobs. Die Wintersportgeräte sind dann auf Rädern unterwegs. Auch Gäste haben die Gelegenheit, diesen schnellen Sport mal auszuprobieren. In originalen Vierer-Bobs mit Rädern stürzen byrinth der Altenberger Bahn. 1.413 Meter und alle 18 Kurven bewältigen drei Gäste hinter einem erfahrenen Piloten. 50 Euro sollten einem eine solche spektakuläre Fahrt schon wert sein. Wenn unten die Stoppuhr stehen bleibt, fühlt man sich dann auch ein bisschen wie ein Olympiasieger.
REISEINFOS
CAMPING- UND STELLPLÄTZE:
Campingplatz am Galgenteich-Altenberg Marcel Gundel Galgenteich 3 01773 Altenberg Telefon: 035056/31995 post@camping-galgenteich.de www.camping-galgenteich.de
ATTRAKTIONEN:
MUSEUM:
Stiftung „Deutsches Uhrenmuseum Glashütte – Nicolas G. Hayek“ Schillerstraße 3a 01768 Glashütte/Sachsen Telefon: 035053 4612102 info@uhrenmuseum-glashuette.com www.uhrenmuseum-glashuette.com Geöffnet von Mittwoch bis Sonntag, jeweils 10:00 – 17:00 Uhr (auch an Feiertagen); Eintrittspreise: 7 Euro, ermäßigt 4,50 Euro. Führungen nach vorheriger Vereinbarung. SCHMALSPURBAHN:
SDG Souvenirshop Bahnhofstraße 7 09484 Kurort Oberwiesenthal - Deutschland Tel.: +49 (0) 37348 151-0 E-Mail: souvenirshop@sdg-bahn.de www.sdg-bahn.de EISKANAL:
Wintersport Altenberg (Osterzgebirge) GmbH Neuer Kohlgrundweg 1 01773 Altenberg Telefon: 035056 35120 info@wia-altenberg.de wia-altenberg.de
RESTAURANTEMPFEHLUNGEN:
SMAC’s Restaurant und Café Schillerstraße 1 01768 Glashütte Tel.: 035053 325486 E-Mail: info@smacs-glashuette.de www.smacs-glashuette.de Café und Eisdiele Buntes Häusel Dresdner Str. 14A 01773 Altenberg Telefon: 035056 236823
Restaurant und Pension Zum Erzgebirge Zinnwalder Straße 1 01773 Kurort Altenberg Telefon: 035056 32254
TOURISMUSBÜROS:
Tourist-Info-Büro Altenberg Am Bahnhof 1 01773 Altenberg Telefon: 035056 23993 infoaltenberg@t-online.de www.altenberg.de Fremdenverkehrsamt Glashütte Hauptstraße 42 01768 Glashütte Telefon: 035053 45-0 stadtverwaltung.glashuette@kin-sachsen.de www.glashuette-sachs.de