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TISCHER
GEWACHSEN Das aktuelle Tischer-Werk in Kreuzwertheim. GRÜNDER Josef Tischer und Sohn Peter.
Leben in der BOX
Der Pick-up ist eine ur-amerikanische Erfindung. Mit einer Wohnkabine wird er zum flexiblen Reisemobil. Einer der Pioniere dieser ganz besonderen Art des mobilen Reisens ist die Firma Tischer Freizeitfahrzeuge aus Kreuzwertheim. Mittlerweile ist sie seit mehr als vier Jahrzehnten im Geschäft.
TEXT: Claus-Detlev Bues FOTOS: Tischer / Archiv Mobil Total / Claus-Detlev Bues
Seit den 1920er Jahren wird die Fahrzeuggattung Pick-up in den USA für nahezu alle Zwecke eingesetzt. Die Idee, den nützlichen Transporter als Basis für ein Reisemobil zu verwenden, wurde ebenfalls in den USA geboren. Perfektion und Qualität hingegen schaffen die Europäer. Wie etwa die Firma Tischer, die seit über 40 Jahre Wohnkabinen für die Pick-up-Transporter baut. 1973 Erster Eigenbau einer Wohnkabine auf einem VW-Pritschenwagen
1978 Einzug in neues Betriebsgebäude in Wiebelbach
Wie alles anfing
Die Firma wirbt seinerzeit mit dem Versprechen „Wohnkabinen minutenschnell auf- und abzusetzen“ für ihr so genanntes Huckepack-System. Auf- und abgesetzt werden die Kabinen vor allem auf Fahrzeuge von Volkswagen, und zwar auf die Pritschenversion des VW T2 und T3 oder die Pick-Up Variante zuvor gut ein Jahrzehnt in der Branche gearbeitet hatte. Der Senior hat ein gewisses Faible für amerikanische Fahrzeuge – möglicherweise rührt daher auch die Vorliebe für Pick-Ups, die auf Deutsch erheblich schlichter als „Pritschenwagen“ bezeichnet werden. Die Besonderheit der Tischer-Mobile besteht darin, dass die abgesetzten Kabinen getrennt vom Basisfahrzeug bewohnt werden können. Die Fahrzeuge werden ohne weit eingreifende Änderungen für den Transport der Reisemobilkabinen umgerüstet und sind somit doppelt einsetzbar. Bis 1986 werden nahezu ausschließlich VW-Pritschenwagen als Basisfahrzeuge genutzt. 1980 Marken wie Ford, Mercedes, Mitsubishi und Toyota erweitern das Angebot an Basisfahrzeugen
Kombination
Wohnkabinen für Pick-Ups nehmen unter den Freizeitfahrzeugen eine Sonderrolle ein. Sie sind weder Wohnwagen noch Reisemobil, verbinden jedoch die Vorteile der beiden Fahrzeugkategorien. Bei Tischer hat man das recht früh erkannt, und setzt auf die Vorteile dieser Kombinationen: Bei abgestellter Wohnkabine kann der Urlauber mit dem Pick-Up-Fahrzeug die Flexibilität eines PKW nutzen. Das ist ideal bei längeren Aufenthalten an einem Urlaubsort und üblicherweise eher ein Vorteil, den Caravans bieten. Bei aufgesetzter Wohnkabine genießen die Reisenden kompakte Abmessungen und die Autarkie wie in einem Reisemobil, 1982 Gründung der Tischer GmbH Freizeitfahrzeuge mit Josef Tischer und Sohn Peter als Gesellschafter
1983 Einführung der Camp2-Kabine, die erste Wohnkabine für den VW Caddy
die Kombination ist ohne Einschränkungen für Urlaubsreisen nutzbar. Tischer ist eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das diese Vorteile erkennt – und in der Produktpalette konsequent auf Absetzkabinen setzt. In den ersten Firmenjahren kommt für die Absetzkabinen vor allem der VW T2 in der Version als Pritschenwagen als Unterbau für die rollenden Behausungen zum Einsatz. Im Auge hat man in Kreuzwertheim auch selbständige Handwerker, die das Fahrzeug außerhalb der Urlaubszeit für ihren Betrieb nutzen wollen. Für die Ferienreise wird die Kabine „aufgehuckelt“ und es kann los gehen. Da das Auf- und Absetzen der Wohnkabine relativ rasch über die Bühne geht, kann der Aufsatz auch mal eben für einen schnellen Wochenend-Trip montiert werden. 1984 Legendärer Tischer Caddy Winter-Test am Nordkap
1986 Der Nissan Pick-up wird zum wichtigsten Basisfahrzeug
Die Wette
Es ist Freitag, der 10. Februar 1984, zwei Uhr am Morgen. Zwei frontgetriebene VW Caddy mit Tischer Absetzkabinen und ein dritter Caddy, versehen mit Hardtop, stehen windumtost hoch über dem Eismeer auf einem kleinen Felsplateau. Sechs junge Männer können durch das Schneetreiben die Straßenlaternen von Hammerfest, der nördlichsten Stadt Europas, nur erahnen. Die Temperatur liegt bei rund 20 Grad minus. Ein ganz besonderer Anlass hat die Männer hierhergeführt. Peter Tischer, der Hersteller der Huckepack-Aufbauten, hat mit seinem schwedischen Generalimporteur gewettet: Auch unter den extremen Bedingungen einer Polarnacht in Nord-Skandinavien sind seine Camper wintertauglich. Die Wette wird gewonnen, auch wenn die Fahrt kurz vor dem Nordkap endet.
DIE WINTER-WETTE Mit dem Caddy unterwegs in Richtung Nordkap.
1988 Die teilintegrierten Festaufbauten Tischer XN und XL 65 werden vorgestellt
Kleiner Bruder
Der Caddy wird Anfang der 80er-Jahre der kleine Bruder der VW T3 Pritsche. Schon 1983, der in Sarajevo gefertigte Caddy ist in Deutschland noch nicht einmal auf dem Markt eingeführt, konstruiert man bei Tischer einen Wohnaufsatz und ein Hardtop für den kleinen Pritschenwagen. Damit ist Tischer dem Wettbewerb eine gute Nasenlänge voraus und bietet als Option für rund 1.800 DM ein Zelt1990 Peter Tischer übernimmt die Geschäftsführung
1990 Die Modellreihe Trail wird mit dem VW T4 eingeführt
EXOTISCH Festaufbau aus dem Jahr 1989 auf Mitsubishi L 300. 2001 Die Modellreihe Box ergänzt die Produktpalette
FEINER ZUG Tischers mächtiger Auflieger Trail-Liner.
Hubdach an. Im Stand bringt es Stehhöhe, während der Fahrt einen niedrigeren Aufbau und Schwerpunkt. Zu Beginn des Jahres 1985 steht eine Camp 2 Kabine in Grundausstattung für den Caddy mit knapp 11.000 DM in der Preisliste. Dafür gibt es ein Bett von 195 x 160 Zentimeter, Küchenblock mit Spüle, Kühlschrank und Kocher, Gasanlage, Schränke und Tisch. Im Jahre 1986 kommt die Camp 3-Kabine für den Caddy, deutlich überarbeitet und mit neuem Grundriss versehen. 2004 Einführung der Tischer Trail Kabine 280 S auf dem Caravan Salon
Auf allen Vieren: Allradgetriebene Pick-Ups als Basisfahrzeuge
Im Jahre 1985 beleben neue Varianten des VW T3, wie der allradgetriebene Transporter syncro mit Viskokupplung, zusätzlich das Geschäft. Der AllradTransporter bleibt nicht ohne Wettbewerb. Mitte der achtziger Jahre mischen Nissan mit dem King Cab und Mitsubishi mit dem L 200 den Markt der PickUps in Deutschland mit allradgetrieben Fahrzeugen auf. Tischer ist vorne mit dabei, mit dem Typ 120. Eine Kabine, ausgestattet mit L-förmiger Sitzbank, Küchenblock und kleinem Sanitärabteil. Eine kurze Gedenkminute für den Preis: Der liegt 1988 für die komplette Kombination aus King Cab und TischerKabine bei 46.000 DM. Davon entfallen rund 18.000 DM auf die Kabine. Im Jahr 1987 bringt Tischer mit der Enduro eine kleine, preiswerte Kabine für den VW T3 auf den Markt. 2007 Präsentation des Tischer 5th-Wheeler Trail-Liner
Im Doppelpack
Außerdem im Angebot: Die Modelle XN und XL 65, schicke rierte auf Basis des T3. Grundlage ist jeweils ein Fahrgestell mit Fahrerhaus, beim XL mit verlängertem Radstand. Lediglich die Fahrerkabine erinnert noch an das Ursprungsfahrzeug. Festaufbauten hat man in Kreuzwertheim immer wieder im Programm. Alkovenmodelle entstehen unter anderem auf dem seinerzeit beliebten Frontlenker, dem Mitsubishi L 300 und auch auf verschiedenen Mercedes Basisfahrzeugen. Im Sommer 1990 präsentiert Volkswagen in Hannover den Transporter T4, die vierte Generation des Transporters. Und Tischer bleibt dem Wolfsburger Nutzfahrzeug weiter treu. Die Kreuz wertheimer präsentieren noch im gleichen Jahr den Trail 300 auf VW T4.
PLATZ DA Der Wohn-Sattelzug bietet jede Menge Lebensraum.
2013
Jubiläum -Tischer Freizeitfahrzeuge besteht 40 Jahre
2013 Der Neu- und Umbau der Unternehmenszentrale in Kreuzwertheim wird fertiggestellt
Neu: Sandwich-Bauweise
Bei Tischer nutzt man die Umstellung bei VW und stellt die klassische, konventionelle Bauweise der Kabinen ein. Die bisher gefertigten Pick-up-Kabinen waren mit einem Hubdach mit isolierten Seiten-, Front- und Heckteilen ausgestattet. Die Zukunft gehört ab Modelljahr 1991 den neuen Trail-Kabinen in der neuen Sandwich-Bauweise mit winZUR JAHRTAUSENDWENDE terfester Isolierung, das Hubdach ist Fest aufgebautes Alkovenmobil auf Basis des Mercedes-Benz Sprinter. Vergangenheit: Außen Alu, in der Mitte die Isolierschicht, innen beschichtetes Sperrholz, die hinteren Dachecken und die Alkovennase werden aus GfK gefertigt. Ohne die GfK-Verkleidungen der Trail Kabinen hören die etwas schlichteren Wohnaufsätze ab 2001 auf den Namen Tischer Box. Sie sind preiswerter und leichter. Schon damals – und über die Jahre – galt, was bei Tischer bis heute Bestand hat: Spannbolzen befesti Up, vier Kurbelstützen halten die Kabine im Stand – zum Absetzen muss lediglich per Stecker die Elektrik vom Basisfahrzeug getrennt werden. In einer guten Viertelstunde geht die Trennung des Wohnaufbaus vom Pick-Up-Untersatz über die Bühne – mit etwas Übung auch schneller. 2014 Die 4.000. Tischer-Kabine wird gefertigt
2015 Mittlerweile werden jährlich 178 Tischer-Kabinen produziert
2016 Award-Gewinn für Tischer - Das Modell 260S wird vom Magazin Reisemobilist als „Das perfekte Reisemobil 2016“ ausgezeichnet
Immer wieder, immer noch: Tischer auf VW
Zum Caravan Salon 2004 präsentieren die Franken den Tischer Trail 280 S. Zum Einsatz kommt der VW Transporter Pritschenwagen als Doppelkabiner. Tischers Aufsetz-Wohnkabine passt hervorragend dazu. Zum Aufsetzen demontiert gibt es einen praktischen Durchstieg zwischen Wohnkabine und Fahrerhaus. Die Ausstattung des mobilen Domizils lässt mit Sitzgruppe, großem Alkovenbett, Küche, Sanitärraum und kompletter, autarker Bordtechnik – sprich Heizung und Elektrik – keine Wünsche offen. Der Trail bietet familientaugliche fünf Sitzplätze und ist auch für alle allradgetriebenen japanischen Pick-Ups der Ein-Tonnen-Klasse geeignet. Acht verschiedene Größen stehen zur Auswahl, vom Modell 200 bis zum Typ 320 S, jeweils in den Versionen Trail und Box. 2017 Eine weitere Auszeichnung für Tischer: Die Modelle Trail und Box erhalten das „Kabinengütesiegel 2017“ für robuste Aufbaukonstruktion
American Way of Drive - made in Germany
dem Caravan Salon 2007. Aus dem Kundenkreis kamen immer wieder Anfragen nach großzügigem Wohnkomfort am Urlaubsort und der von einem Pick-Up-Reisemobil bekannten Unabhängigkeit. Mit mehr als drei 2019 Tischer erweitert die Produktions Vormontage und Fahrzeugumrüstungen
JAHRESWAGEN Die aktuellen Tischer-Kabinen können ganzjährig genutzt werden.
Jahrzehnten Erfahrung im Rücken machte sich das Tischer-Team ans Werk, sich sehen lassen: Die Länge des luxuriös ausgestatteten zweiachsigen Aufbaus liegt bei stattlichen sieben Meter Gesamtlänge. 2021 Zum Caravan Salon ziert ein neuer Alkoven mit kantigerem Design die Front der Trail-Kabinen
2022 Peter Tischer übergibt die Geschäftsführung an seinen Stiefsohn Patrick Sauer (im Bild rechts), Thomas Hoffmann übernimmt die kaufmännische Leitung
Produktionsfläche erweitert
Die gute Auftragslage lässt Tischer weiterwachsen: Eine neue, 370 Quadratmeter große Halle entsteht 2019 auf dem Werksgelände des Traditionsunternehmens. Die neue Werkshalle bietet vor allem Raum für Erstmontagen der Kabinen auf den Basisfahrzeugen sowie für nötige Fahrzeugumrüstungen. Auch die
Betrieb bleibt in der Familie
Nach beinahe 40 Jahren an der Unternehmensspitze übergibt Geschäftsführer Peter Tischer ab dem 1. Januar 2022 den Staffelstab an seinen Stiefsohn Patrick Sauer. Der 30-jährige Diplom-Ingenieur ist sozusagen mit der Firma groß geworden und schon länger im Betrieb. Zugleich übernimmt Thomas Hoffman, ehemals Assistenz der Geschäftsleitung, ab Januar 2022 die kaufmännische Leitung bei Tischer. Heute arbeiten über 40 Mitarbeiter bei Tischer und produzieren etwa 200 Wohnkabinen im Jahr.