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Gastronomen, Händler und Dienstleister in Krisenzeiten
Gastronomen, Händler und Dienstleister in Krisenzeiten
Sindelfinger Unternehmer setzen in der Corona-Krise auf die Sindelfi ngerinnen und Sindelfi nger
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Seit dem 18. März hatten die Gastronomiebetriebe aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geschlossen. Genau zwei Monate später ist die lange Leidenszeit der Gastronomie endlich zu Ende. Kai Hammami Mitinhaber des Wiesengartens im Sommerhofenpark und des Corners am Wettbachplatz sowie kaufmännisch Verantwortlicher im Parkrestaurant an der Stadthalle, kann erstmals etwas aufatmen. „Ich bin froh, dass wir nun endlich wieder loslegen können. Die letzten Wochen waren für uns und für unsere Kollegen natürlich der absolute Worst Case.“ Als wir uns mit Kai Hammami treff en, bestehen sechs Tage vor der Wiedereröff nung noch viele Unklarheiten bzgl. der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Lediglich die Verordnung vom Ministerium haben die Gastronomen bekommen, in welcher laut Hammami vieles noch im Unklaren bleibt. Mit etwa 30 % Umsatz rechnet der Gastwirt in der Phase nach Corona. Zurück führt Kai Hammami das zum einen auf mögliche Beschränkungen bzgl. der Tischanzahl und zum anderen darauf, dass viele Menschen vorsichtig sein werden. Kai Hammami: „Wir gehen Stand heute davon aus, dass wir unsere Kapazitäten nicht voll auslasten dürfen. Ich kann aber jedem, der zu uns kommen möchte, sagen, dass wir die Vorgaben bzgl. Abstand und Hygiene sehr genau einhalten werden und sich keiner Sorgen machen braucht.“ Auch in Hinblick auf die Öff nungsdauer tappen die Gastronomen derzeit noch im Dunklen. „Wir mussten ja bereits vor dem kompletten Shutdown um 18 Uhr schließen, was für einen Betrieb, der vom Abendgeschäft lebt, wie das Corners, fast gleichbedeutend mit einer kompletten Schließung ist.“Schon jetzt steht für Kai Hammami fest, dass er seine Bar „Cast away“ in Böblingen weiter geschlossen text & fotos: felix rapp
Seit Anfang April hätte der Betrieb im Sommerhofenpark laufen sollen. Knapp 7 Wochen später geht es endlich los.adt „Simsalon“ statt.
halten muss, da bislang nur Speisewirtschaften wieder öff nen dürfen.
Finanziell ist die derzeitige Situation für die Gastronomen ein Desaster. Laut Kai Hammami hat die Soforthilfe des Landes über die ersten Klippen hinweg geholfen. Dennoch sieht er noch einige Unwegbarkeiten auf die Gastronomen zukommen. „Die Krise nach der Krise ist für uns die große Herausforderung. Wenn alle Fixkosten wieder normal bezahlt werden müssen, der Umsatz aber bei 30 % liegt, werden viele Probleme bekommen,“ blickt der Gastroprofi in die Zukunft. Kai Hammami fordert daher, dass die Verpächter sich mit den Pächtern an einen Tisch setzen und neue Pachtverträge vereinbaren. Dabei geht es Kai Hammami nicht darum, dass die Pächter nichts mehr bezahlen, sondern darum, dass die Verträge an die derzeitige Situation angepasst werden. Bei allen Schwierigkeiten richtet Kai Hammami den Blick nach vorne: „Wir haben für unsere Betriebe zum Teil neue Konzepte entwickelt. Wir haben im Corners den Innenbereich renoviert, die Terrasse neu möbliert und neu gestaltet.“ Und auch an die anderen Unternehmer in Sindelfingen denkt der Maichinger. So hat er bereits eine konkrete Idee zur Stärkung des stationären Handels und der Gastronomie in Sindelfingen. Großen Dank zollt Kai Hammami seinen Mitarbeiter: „Ich erinnere mich dieser Tage immer an den Leitspruch des Holiday In, als ich dort tätig war, der lautete „together we care“. Denn trotz Kurzarbeit für die 14 Beschäftigten in den beiden Betrieben, konnte ich jederzeit auf mein Team setzen. Teilweise haben die Ihre Freizeit geopfert und mit angepackt, den Laden wieder zum Laufen zu bekommen, das ist wirklich toll.“ Aber auch bei den Behörden, Ämtern und Lieferanten wie Stadt, Arbeitsamt, Stadtwerke oder die Brauereien möchte sich der Gastwirt bedanken: „Wir haben von vielen Seiten tolle Unterstützung erhalten.“, so Kai Hammami abschließend.
„Wir setzen voll auf unsere Kunden“
„Dankbar, dass wir überhaupt wieder aufmachen dürfen“, zeigt sich Innenstadthändlerin Carola Klein rund drei Wochen nach der Wiedereröff nung Ihres Ladengeschäfts für Damen und Herrenmode in der Planie. „Es ist schön, wieder für unsere Kunden da zu
sein, wobei wir ja nie wirklich weg wa- ren“. Vier Wochen musste Carola Klein ihr Geschäft aufgrund der Corona-Pan- demie geschlossen halten. In der Zeit hat sie Ihren Kunden einen Abhol- und Lieferservice angeboten. „Das war für die Kundenbindung sehr wichtig, konnte aber natürlich unseren Umsatz- verlust nicht verhindern“. Nachdem am 20. April die Läden wieder öffnen durften, hatte Carola Klein einen guten Start hingelegt. „Man hat gemerkt, dass die Leute froh waren, mal wieder raus zukommen,“ so die Unternehmerin. Lei- der war dieser erste Effekt wenig nach- haltig. Die Umsatzverluste sind nach wie vor da. „Man merkt, dass die Leute sehr vorsichtig geworden sind und sich dann doch nicht in die Läden trauen,“ gibt die Sindelfinger Unternehmerin Einblick in die aktuelle Lage. Dabei hat auch Carola Klein alles Notwendige unternommen, um den Kunden best- mögliche Sicherheit zu gewährleisten. „Wir mussten einiges in Schutzein- richtungen, Desinfektionsspender und weitere Maßnahmen investieren. Was gerade im Hinblick dessen schwierig war, dass wir erst zwei Tage vor Eröff- nung die offizielle Verordnung erhalten hatten“, so die Innenstadthändlerin. Unterstützung gab es für die örtlichen Händler auch von der Wirtschaftsför- derung und vom Citymarketing. Auf Facebook wurde über deren Kanäle ordentlich Werbung für den Handel gemacht und auch die neue Internet- plattform „Sindelfingen bringts“ (siehe Artikel auf Seite 10, Anm. d. Redaktion) hat ihren Teil dazu beigetragen. Bei al- len Problemen, die die Pandemie mit sich gebracht hat bzw. noch mit sich bringt, blickt auch Carola Klein positiv in die Zukunft: „Wir setzen voll auf un- sere Kunden, dass diese uns die Treue halten. An unserem Vorteil gegenüber dem Online-Handel, nämlich beste Beratung und bester Service, hat sich nichts geändert.“ Es ist vor allem die große Ungewiss- heit, die die Betreiber von Fitnessstu- dios derzeit umtreibt. Marvin Fräßdorf von den Fitness Express Clubs findet klare Worte an die Politik: „Für uns ist die Situation unerträglich. Acht Wo- Innenstadthändlerin Carola Klein hat trotz Krise das Lächeln nicht verloren.
chen nachdem wir unsere Clubs schlie- ßen mussten, wissen wir nicht, wann es weiter gehen wird.“ Lediglich der Hin- weis, dass die Fitnessstudios voraus- sichtlich „nach Pfingsten“ wieder öffnen dürfen wurde vor einigen Tagen von der Landesregierung verlautbart. „Wir haben natürlich unsere Mitglieder, die wissen wollen, wie es weiter geht. Auch im Hin- blick dessen, dass die bestehenden Ver- träge weiter laufen. Wir können immer nur antworten, dass wir es selber nicht wissen,“ so Marvin Fräßdorf. Noch unver- ständlicher macht die Situation für Mar- vin Fräßdorf, dass andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, die ähnlich stark von den Infektionen betroffen sind wie Baden-Württemberg, seit Mitte Mai die Studios wieder öffnen dürfen. „Wie sollen wir das unseren Mitgliedern er- klären? Nach meinem Dafürhalten geht es hier um Wählerstimmen und nicht um die Sache an sich,“ so Marvin Fräßdorf.
„Für uns ist die Situation unerträglich. Acht Wochen nachdem wir unsere Clubs schließen mussten, wissen wir nicht, wann es weiter gehen wird.“
Damit die Mitglieder dem Fitness Express Clubs die Treue halten, wurde vonseiten des Betreibers einiges unternommen. So wurde den Mitgliedern als finanzieller Ausgleich angeboten, die Zeit der Schlie- ßung entweder kostenfrei an die Ver- tragszeit anzuhängen oder den Wert des Ausfalls in 1,5-facher Höhe als Verzehr- gutschein zu erhalten. Marvin Fräßdorf: „Wir sind froh, dass uns die meisten unse- rer Mitglieder die Stange halten und uns Mut für die Zukunft machen. Wir haben vielen von ihnen persönlich angerufen und viele aufmunternde Rückmeldungen erhalten. Aber natürlich haben wir in den letzten Wochen auch mehr Kündigun- gen erhalten als sonst und können nicht mit Neumitgliederwerbung dagegen hal- ten, das ist für uns extrem bitter.“ Damit die Fitness Express Mitglieder trotz Schließzeit fit bleiben, bieten die Trainer Online-Kurse an und jedes Mit- glied hat einen kostenfreien Zugang zu MyHomeFITNESS erhalten. Darüber hi- naus wurden die Clubs auf Vordermann gebracht. So wurde die bereits vor der Krise geplante Digitalisierung der Clubs und weitere Verschönerungsmaßnah- men umgesetzt. „Wir hoffen sehr, dass wir unsere Kunden demnächst wieder persönlich bei uns begrüßen dürfen und diese sich davon selber überzeugen kön- nen“, so Marvin Fräßdorf am Ende des Gesprächs.