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EDE BRUNS

Meine Heimat sind das Meer und der Hafen

Wir treffen Eduard „Ede“ Bruns an einem Samstagmorgen - zufällig, bei einem Fototermin. Der 72-Jährige engagiert sich ehrenamtlich als Fahrer bei einer Norderneyer Initiative zur Lebensmittelrettung. Ede weckt sofort unsere Aufmerksamkeit, weil er für uns als naive Landratten dem Archetyp eines alten Seebären von der Küste entspricht. Wir kommen ins Gespräch und erfahren von einem bewegten Leben mit Höhen und Tiefen. Der Norderneyer war Seemann und später mehr als 20 Jahre Hafenmeister. Auf der Insel kennt er alle und jeden. Irgendwann bekam er ein Alkoholproblem und ist jetzt seit über zehn Jahren trocken. Ede spricht offen über diese Zeit und wie es dazu kommen konnte. Inzwischen hat er sein Leben längst wieder im Griff - und kann ein Vorbild für andere sein.

Gespräche mit älteren Norderneyern und Norderneyerinnen lassen für uns das Inselleben vergangener Zeiten lebendig werden. Als Ede in den 60er Jahren seine Lehre als Maschinenbauer bei der Reederei Norden-Frisia beginnt, sind die Schiffe zum größten Teil noch reine Personenfähren. „Und immer montags kam das Schlachtvieh mit der Fähre - und wurde dann durch den Ort zum Schlachthof getrieben, den wir hier damals noch hatten“, erinnert sich der Norderneyer. Als der Autoverkehr langsam zunimmt, heißt es improvisieren. „Da wurden die Bänke abgeschraubt und mit Kränen vier, fünf Autos oben an Deck gesetzt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ An Bord arbeitet Ede unter Deck an teils mannshohen Maschinenanlagen. „Und in der Werkstatt auf der Insel haben wir Waggons für die Juister Inselbahn gebaut - die Bleche drangesetzt und alles vernietet.“ Mit dem Maschinisten-Patent in der Tasche entschließt er sich am Ende, einen lang gehegten Traum zu verwirklichen - und auf Großer Fahrt die Welt zu sehen. „Aber das lief alles ein bisschen anders, als ich es mir vorgestellt habe.“

Im Herbst 1972 heuert Ede auf einem Öltanker der ESSO Tankschiffreederei an und startet sein vermeintliches großes Abenteuer. „Es wurde immer viel von Seefahrerromantik geredet - und wir sind tatsächlich von Skandinavien bis zum Persischen Golf gefahren“, erzählt der Norderneyer. „Aber da hast Du immer nur ein paar Stunden in den Häfen gelegen. Von Land und Leuten habe ich kaum etwas gesehen.“ Nach ein paar Monaten zieht Ede die Reißleine, kehrt zurück auf die Inselund findet eine Anstellung als Maschinist bei der Forschungsstelle für Insel- und Küstenschutz. 22 Jahre lebt er dort den Traum von der großen Seefahrt im Kleinen. „Wir haben die Küste vermessen - von der Ems bis zur Elbe. Denn die Landschaft im Wattenmeer verändert sich ständig.“ An Bord der verschiedenen Arbeits- und Vermessungsschiffe kümmert Ede sich nicht nur um die Kontrolle der Maschinen. „Ich war quasi Steuermann, Decksmann und habe auch gekocht für die Mannschaft. Ich war flexibel.“ Eigentlich ein guter Job, aber man ist nur selten zu Hause. Als seine erste Ehe zerbricht, weiß Ede, es ist Zeit für Veränderung.

„Warum bist Du nicht schon eher gekommendas haben die mir gesagt, als ich im Hafenamt meine Bewerbung abgegeben habe.“ Ende der 90er Jahre tritt Ede seinen neuen Job als Norderneyer Hafenmeister an. „Die hatten wohl einen gesucht, der von der Insel war - auch wegen der ständigen Erreichbarkeit.“ Fortan bleibt er ein Vierteljahrhundert lang die gute Seele im Hafen. Der Typ, der alles regelt. Eine Autorität. Denn Ede kann gut mit Leuten - das merkt man sofort, wenn man mit ihm spricht. „Ich wollte Ruhe und Frieden, dass alles geklärt wird, ohne Streit und ohne Zwist.“ Bei Konflikten geht es fast immer um die Liegeplätze. Denn man muss wissen, in so einem Hafen gibt es Sahnestücke. „Die Zuweisung der Plätze ist wahrscheinlich immer der Kern meines Jobs gewesen.“ Klare Kante, aber eben freundlich und um Verständigung bemüht. „Mein Chef sagte immer, Ede, eins musst du wissen: Die Kommandos kommen von der Brücke - und die Brücke bist in diesem Fall du. Und so lief das auch. Es lief.“ Bis die Krankheit kam.

Das Problem mit dem Alkohol entwickelt sich schleichend. „Ich habe das gar nicht selbst so empfunden, habe gedacht, ich trinke doch nicht mehr als andere auch - aber es hat immer weiter zugenommen“, gesteht Ede. Gelegenheit zu trinken gibt es für den geselligen Menschen reichlich - ob nach Feierabend mit Kollegen oder am Wochenende mit den Freunden vom Motorradklub. Anfang der 10er Jahre läuft alles aus dem Ruder. „Ich konnte gar nicht mehr ohne. Wenn ich morgens zur Schiffsmeldestelle kam, war ich oft so am Zittern, dass ich nicht schreiben konnte. Ich habe dann erstmal ein Bier getrunken früh um sieben.“ Auch sein Umfeld macht sich Sorgen. Alle versuchen zu helfen, aber Ede blockt ab. „Ich hatte eine liebe Frau, viele gute Freunde, man hat finanziell keine Sorgen gehabt, durch die Wochenwechselschicht konnten wir viel wegfahren - eigentlich ideal. Darum hat meine Frau immer wieder gefragt, Ede, warum? Und ich sage nur, tut mir leid, ich weiß auch nicht.“ Es ist eine Krankheit. Ein Thema, das jeden betreffen kann - und für das sich niemand schämen muss. „An meinem 62. Geburtstag habe ich mir von meinem Hausarzt eine Einweisung zur Entgiftung geholt.“ Insgesamt 13 harte Wochen dauert die Entwöhnung. In der Klink erlebt Ede, wie sehr sich das Problem durch alle Schichten zieht und wie viele junge Menschen bereits betroffen sind. „Ich sage immer, es ist spät gewesen, aber nicht zu spät.“ Zurück auf Norderney schließt er sich der damals neu gegründeten Ortsgruppe der Anonymen Alkoholiker an. „Wir treffen uns jeden Mittwoch. Wer dazukommen möchte, ist herzlich Willkommen.“

Seit Frühjahr 2016 ist Ede im Ruhestand. In seinem Wohnhaus unterhalb vom Kap leben überwiegend Gleichaltrige. Man kennt sich, man hilft sich. „Man hat mit jedem Kontakt. Es ist ein harmonisches Miteinander.“ Nebenbei arbeitet er noch stundenweise ehrenamtlich als Fahrer bei der AWO, bringt Senioren mit dem Wagen von A nach B. „Ich mag wohl mit Menschen zusammen sein. Ich bin nicht verschlossen - ich gehe auf die Leute zu.“ Auch nach dem kürzlichen Tod seiner zweiten Frau steckt er den Kopf nicht in den Sand. Im Gegenteil. „Seit der Zeit mit dem Alkohol weiß ich das Leben noch mehr zu schätzen. Ich ernähre mich gesünder, bin viel mit dem Fahrrad unterwegs.“ Wenn er nach einer großen Runde mit dem Mountainbike ausgepowered nach Hause kommt, fühlt er sich wohl. Seine Heimat bleibt das Meer und der Hafen. „Ich bin zufrieden.“

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