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VOR DEM GROSSEN UMBRUCH

Der Launch von ChatGPT hat aufgerüttelt – die künstliche Intelligenz könnte die Welt der Arbeit schon bald komplett verändern. Wie weit Südtirols High-Tech-Vorreiter in Punkto KI sind – ein Überblick.

Die jüngsten Entwicklungen in der generativen KI gelten als Meilenstein. Entsprechend fragen sich immer mehr Beschäftigte: Bedroht die künstliche Intelligenz meinen Arbeitsplatz?

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Wie einsteigen in ein ema, das seit Monaten die ö entliche Diskussion beherrscht? Fragen wir doch den Protagonisten selbst um Unterstützung. „Schreibe mir eine spannende Einleitung für einen Branchenreport zu künstliche Intelligenz und ChatGPT, der sich vor allem auf Prognosen zu Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Südtirol fokussiert“, so die Eingabezeile in chat.openai.com. Hier das – gekürzte – Ergebnis: Willkommen zu unserem Branchenreport über die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz (KI) und dem Chat-GPT-Modell auf den Arbeitsmarkt in Südtirol. In dieser Analyse konzentrieren wir uns auf die Prognosen und potenziellen Veränderungen, die diese fortschrittlichen Technologien in der Region mit sich bringen könnten. Von den Auswirkungen auf bestehende Arbeitsplätze bis hin zu neuen Beschä igungsmöglichkeiten werden wir einen sachlichen Blick auf die möglichen Entwicklungen werfen …

Ok, es mag noch Lu nach oben geben. Dennoch haben die Fähigkeiten des gehypten Chatbots ChatGPT in den letzten Monaten auch jenseits des Journalismus viele Menschen erstmals ernstha mit der Frage konfrontiert, wie lange ihre eigenen beru ichen Kompetenzen noch der Konkurrenz von Maschinen standhalten werden. Vorbei die Zeiten, in denen nur geringquali zierte Arbeitskräfte befürchten mussten, wegautomatisiert zu werden. Bis zu einem Viertel unserer aktuellen Arbeit könnte durch generative KI, also Computerprogramme, ersetzt werden, die selbstständig neue Inhalte und Lösungen erstellen können: Das prognostiziert eine viel zitierte Studie der Investmentbank Goldman Sachs, laut der zwei Drittel der aktuellen Arbeitsplätze zumindest einem gewissen Grad an KI-Automatisierung ausgesetzt sein werden. „Rechnet man unsere Schätzungen auf die ganze Welt hoch, so könnte generative KI das Äquivalent von 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen der Automatisierung aussetzen“, wurde die Forschungsabteilung der Investmentbank zitiert. Zu den Berufsbildern, die als besonders gefährdet eingestu werden, zählen viele, die einst als besonders sicher galten

„WAS NUN AUF UNS ZUKOMMT, ist die wirkliche vierte industrielle Revolution“, sagt selbst einer der Südtiroler Vorreiter im Bereich künstliche Intelligenz. Microtec-Gründer Federico Giudiceandrea hatte bereits Anfang der Neunziger in seinem Unternehmen erste Erfahrungen damit gemacht, Maschinen mittels neuronaler Netzwerke eine menschliche Fähigkeit wie das Sehen und Erkennen und Zuordnen von Bildern zu lernen. Und obwohl der ehemalige Unternehmerverbandspräsident seitdem immer wieder gestaunt habe, was dank technologischer Sprünge möglich wurde, übersteigt das, was sich nun anbahnt, alle bisherigen Erfahrungen: „Wir werden noch einen gewaltigen Umbruch erleben, und das relativ schnell. Das, was wir bisher kennen, wird schnell Schnee von gestern sein“, meint Giudiceandrea. Ganz auf seiner Linie ist Dominik Matt, Direktor von Fraunhofer Italia und Professor der Freien Universität Bozen: „Für mich sind die Prognosen von Trendforschungsinstituten, dass KI unsere Wirtscha bereits innerhalb 2030 komplett neugestalten wird, absolut plausibel. Viele Jobpro le werden sich drastisch ändern, und bis zu einem Drittel der Jobs, die in den kommenden zehn Jahren angetreten werden, sind heute noch nicht einmal erfunden.“

GRUND ZUR PANIK? Keineswegs. Prognosen über eine dystopische Zukun , in der Maschinen den Menschen ersetzen werden, sind keineswegs neu. In einer Periode des akuten Arbeitskrä emangels büßen sie außerdem an Schrecken ein. Dennoch gilt es sich mit der Tatsache zu konfrontieren, dass auf Unternehmen wie Arbeitnehmende Veränderungen in bisher unbekanntem Ausmaß zukommen. Wie diese aussehen? Daran tastet man sich selbst in den Forschungsinstitutionen des Landes erst heran. „Ob der aktuelle Quantensprung im Bereich natürliche Sprachverarbeitung zu Systemen führen wird, die Menschen ebenbürtig oder gar überlegen sind, weiß niemand“, erklärte Universitätsprofessor Diego Calvanese von der Freien Universität Bozen – er zählt zu Südtirols pro liertesten KI-Kennern – Ende März bei den ff-Talks zum ema künstliche Intelligenz.

Welche Tätigkeiten sollen weiterhin von Menschen, welche von Maschinen ausgeführt werden? Diese delikate Frage beschäftigt auch GKN Sinter Metals.

Klar scheint: Für alle komplexeren Aufgaben wird es auch weiterhin menschliches Expertenwissen brauchen.

S Dtirol N Hert Sich An

Auch beim Wifo der Handelskammer Bozen besteht kein Zweifel, dass das ema KI auch für Südtirols Wirtscha von höchster Relevanz ist. Und es wird in den kommenden Jahren zu vielen neuen Entwicklungen führen. „Allerdings sind wir gerade selbst erst dabei, uns diesem ema anzunähern“, antwortet Direktor Georg Lun.

Ähnlich klingt Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts AFI. „Es ist klar, dass ein großer Weiterbildungs- und Umschulungsbedarf entsteht. Was konkret in welchen Bereichen zu lernen sein wird, können auch wir noch nicht abschätzen“, sagt er. Navigieren wir in Sachen KI und Arbeitsmarkt also im dichten Nebel? In vielerlei Hinsicht tatsächlich. Dennoch geben einige Südtiroler Vorreiter im Bereich KI Orientierung.

PERSONALMANGEL WIRD ZUM KI-TURBO

Der aktuelle Schub in Sachen künstliche Intelligenz tritt in einer Phase auf, in der Südtirol wohl wie nie zuvor unter akutestem Personalmangel leidet. Und das bei einem absoluten Beschä igungshöchststand.

Mit im Jahresschnitt von mehr als 221.000 lohnabhängigen Beschä igten waren 2022 in Südtirol so viele Menschen angestellt wie nie zuvor. Gleichzeitig suchen Betriebe verzweifelter als je zuvor nach Arbeitskrä en. Immer spürbarer ist auch der Rückgang an nachrückenden Arbeitskrä en infolge des demogra schen Wandels. „Ich stelle mir bereits seit 15 Jahren die Frage, was schneller sein wird: die demogra sche Entwicklung oder der technische Fortschritt?“, sagt AFI-Direktor Stefano Perini. Aktuell ist die Technologie o ensichtlich nicht so weit, dass die fehlenden Fachkrä e ersetzt werden können. Doch gerade der immer akutere Personalmangel wird in den kommenden Jahren vor allem in Hochlohnländern einen zusätzlichen Turbo für eine Technologieo ensive darstellen, ist Perini überzeugt.

Sind Südtirols Betriebe bereit dafür? Tatsächlich wird künstliche Intelligenz in vielen Branchen bereits genutzt; o nicht einmal bewusst, etwa in Cloudlösungen, Übersetzungsprogrammen oder Applikationen für Marketingzwecke. Konsequent und in großem Stil eingesetzt wird sie vor allem von industriellen Vorzeigebetrieben. Deren teils schon jahrzehntelange Erfahrungen können im aktuellen Nebel zumindest als Kompass dienen.

DIE ROBOTISIERUNG BEI GKN

Als Elmar Auer, Verantwortlicher für Manufacturing Engineering und Nachhaltigkeit für die weltweit agierende GKN Powder Metallurgy-Gruppe, vor 26 Jahren beim Brunecker Automotive-Zulieferer zu arbeiten begann, zählte das Pustertaler Werk 120 Leute. Seit damals hat der Produzent von Präzisionsbauteilen aus Metallpulver unau örlich Produktionsprozesse automatisiert – und seine Belegscha auf 850 erhöht. „Als die ersten Roboter eingesetzt wurden, gab es in unserem Team noch große Sorgen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Heute kommen die Mitarbeiter selbst mit weiteren Automatisierungsvorschlägen auf uns zu. Denn sie haben die Erfahrung gemacht, dass sich ihre Arbeitsqualität mit dem Wegfall monotoner Arbeiten verbessert und langfristig sogar Arbeitsplätze im Werk gescha en und gesichert werden“, sagt Auer.

MENSCH UND KI HAND IN HAND

Künstliche und menschliche Intelligenz im Team sind eine unschlagbare Kombination, um die Produktivität und Qualität zu steigern – so jedenfalls lautet das Credo in vielen Südtiroler High-Tech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen. „Mensch und KI müssen Hand in Hand gehen und jeder muss seine Stärken ausspielen“, formuliert es Dominik Matt von Fraunhofer Italia. Die Maschine als Co-Pilot, die dank immer faszinierenderer Rechenleistungen und Lernmöglichkeiten viele einfache und repetitive Aufgaben schneller und e zienter erledigt. Pilot bleibt aber laut Dominik Matt immer noch der Mensch, der mit seinem Verstand die richtigen Fragen stellt, Strategien entwickelt, Ergebnisse kontrolliert und überall dort einschreitet, wo es kni iger wird und keine Standardlösungen möglich sind.

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