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Es geht nicht von heute auf morgen» - Livia Leu über ihre

«Es geht nicht von heute auf morgen»

Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der PH FHNW hat Livia Leu untersucht, ob ein Förderprogramm im heilpädagogischen Setting helfen kann, die exekutiven Funktionen von Kindern zu verbessern.

Aufgezeichnet von Virginia Nolan

«Bei der Sache bleiben, zuhören, selbständig arbeiten: Die Schule verlangt von Kindern ein hohes Mass an Selbststeuerung. Diese ist eine der wichtigsten sogenannten exekutiven Funktionen – geistige Fähigkeiten, die das Denken und Handeln steuern. Exekutive Funktionen helfen uns, zu organisieren und zu planen, Impulsen nicht gleich nachzugeben, an einer Aufgabe dran zu bleiben und Herausforderungen zu meistern. Forscher sind sich einig, dass sie eine zentrale Rolle spielen: So legen Studien nahe, dass schulischer Erfolg vor allem mit der Fähigkeit zur Selbststeuerung zusammenhängt – viel mehr als mit Intelligenz.

Bis vor den Sommerferien habe ich an einer Heilpädagogischen Schule unterrichtet. Meine fünf Schüler*innen im Alter von neun bis elf Jahren hatten eine intellektuelle Beeinträchtigung, verbunden mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Inwiefern könnte ein in den Unterricht integriertes Förderprogramm helfen, ihre exekutiven Funktionen zu stärken? Und wie müssten entsprechende Fördermaterialien angepasst werden, um dem heilpädagogischen Setting gerecht zu werden? Diesen Fragen ging meine Masterarbeit an der PH FHNW auf den Grund.

Ich stellte ein Förderprogramm aus Spielen und Übungen zusammen, die Expert*innen zur Förderung der Exekutivfunktionen entwickelt hatten. Während 14 Wochen führte ich abwechselnd mit der zweiten Klassenlehrperson zweimal wöchentlich eine halbstündige Fördersequenz durch. Messinstrument für die Untersuchung war das Verhaltensinventar zur Beurteilung exekutiver Funktionen (BRIEF), eine klinische Skala zur Erfassung exekutiver Beeinträchtigungen, die auf der Einschätzung des Alltagsverhaltens beruht. Die Daten dafür liefern Fragebögen, die in unserem Fall Eltern und Lehrpersonen ausfüllten.

Die erste Erhebung zum Programmstart machte deutlich, dass alle Klassenmitglieder über auffällig schwach ausgeprägte Exekutivfunktionen verfügten. Wenn kognitive Voraussetzungen und Sprachentwicklung

Livia Leu. zvg.

variieren, ist es von Vorteil, Exekutivfunktionen auf spielerische Art zu fördern, damit alle Kinder daran teilnehmen können. Dieser Anforderung wurden die gewählten Fördermittel gerecht. Am Anfang bereite es der Klasse oft Mühe, sich die Spielregeln einzuprägen. Dann half es, visuelle Hilfen wie Piktogramme oder Kärtchen miteinzubeziehen und Abläufe vorzuzeigen. Zum Programmende machten wir eine zweite Erhebung. Sie zeigte, dass zwei Kinder im Bereich der Impulskontrolle und der geistigen Flexibilität deutlich verbesserte, wenngleich immer noch auffällige Werte hatten. Derweil erzielten drei Kinder punkto Arbeitsgedächtnis, Initiative und Planen bessere Resultate als vormals. Die Gesamtwerte für den Klassendurchschnitt waren jedoch zum Zeitpunkt beider Erhebungen ähnlich. Das erstaunt wenig: Autistische Kinder benötigen viel Zeit, um Fortschritte zu erzielen. Die Forschung von US-Neuropsychologen zeigt beispielsweise, dass bei ihnen keine genaue Arbeitsteilung der beiden Hirnhälften erfolgt. Dieser Mangel an Spezialisierung könnte sich darin äussern, dass viele Autisten gut darin sind, Details zu erkennen, aber damit Probleme haben, Informationen zusammenhängend zu betrachten. Aus dieser Perspektive überrascht nicht, dass meine Klasse gerade im Hinblick auf das Arbeitsgedächtnis auffällig schwache Werte hatte – auch nach drei Monaten Förderprogramm. Meine Untersuchung legt aber auch nahe, dass diese Kinder durchaus in der Lage sind, ihre Exekutivfunktionen zu verbessern. Jedoch braucht es Zeit und Geduld, bis signifikante Unterschiede sichtbar werden. Es geht nicht von heute auf morgen.»

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