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Lernangebote gestalten - gemeinsam gelingt's besser von Virginia Nolan

Magdalena Mathys, Anja Blechschmidt und Ursina Frauchiger (v.r.) sorgten dafür, dass unterschiedliche Perspektiven ins Förderkonzept Eingang fanden.

Lernangebote gestalten - gemeinsam gelingt's besser

Oft wird Förderung nur aus sonderpädagogischer Perspektive betrachtet. Nicht im Basler Schulhaus Bläsi: Gemeinsam mit der PH FHNW hat die Primarschule ein Förderkonzept entwickelt, das alle mit einbezieht, die Lernangebote gestalten – von der Lehrperson bis zu Mitarbeitenden am Mittagstisch.

Von Virginia Nolan (Text) und Dominique Zahnd (Foto)

Rund 350 Primarschul- und 120 Kindergartenkinder aus 36 Nationen besuchen die Kleinbasler Quartierschule Bläsi. Etwa 70 Prozent von ihnen sprechen zu Hause kein Deutsch. Mit der Frage, wie Lernarrangements ausgestaltet sein müssen, damit Kinder mit unterschiedlichen Ausgangslagen und Bedürfnissen davon profitieren, beschäftigt sich das Kollegium seit Jahren – und hat im Laufe dieser Zeit eine Vielzahl an inner- und ausserschulischen Angeboten entwickelt. «Im Zentrum steht immer die Idee, Vielfalt als Ressource zu nutzen, sagt Schulleiterin Magdalena Mathys.»

Praxistaugliche Orientierungshilfe

Auf diesem Ansatz beruht auch das Förderkonzept, das die Quartierschule gemeinsam mit dem Institut für Spezielle Pädagogik und Psychologie an der Pädagogischen Hochschule FHNW entwickelt hat. «Lehren und Lernen findet überall statt: im Klassenzimmer, auf dem Pausenhof, am Mittagstisch in der Tagesstruktur», sagt Mathys. «Entsprechend gestaltet sich Förderung als vielfältiger Prozess, an dem unterschiedliche Akteure mitwirken. Wir wünschten uns ein Instrument, das deren Arbeit sichtbar macht, die unterschiedlichen Lehr- und Lernformen an unserer Schule dokumen-

tiert sowie Massnahmen und Abläufe im Hinblick auf Förderung schrittweise darstellt.» Das Förderkonzept sollte aber kein Papiertiger werden, sagt Mathys, sondern eine praxistaugliche Orientierungshilfe, gerade auch für neue Fachpersonen an der Schule: «Das war mein wichtigstes Anliegen.»

Bestand hat, was viele mittragen: So hat die Quartierschule ihr Förderkonzept unter Leitung einer multidisziplinären Projektgruppe entwickelt, die das ganze Kollegium miteinbezog. Anja Blechschmidt, Dozentin und Leiterin der Professur für Kommunikationspartizipation und Sprachtherapie an der PH FHNW, begleitete das Projekt aus der wissenschaftlichen Perspektive. «Schulische Förderkonzepte haben üblicherweise vor allem Kinder mit erhöhtem Unterstützungsbedarf und somit die sonderpädagogische Arbeit im Blick», weiss sie. «Uns war diese Perspektive zu einseitig. Schliesslich haben alle, die an der Schule Lernangebote gestalten, einen gemeinsamen Auftrag: Dass sämtliche Kinder ihre Fähigkeiten entfalten können». Daraus resultiere ein umfassenderer, ganzheitlicher Förderbegriff, der «das gemeinsame Lernen in den Vordergrund rücke – das nicht nur im Unterricht stattfindet», betont Blechschmidt. «An der Schule ist jedes Kind von verschiedenen Menschen umgeben, die es täglich fördern, erziehen und begleiten. Da sind Klassen- und Fachlehrpersonen, Sonderpädagogen, Psychomotorik-Therapeutinnen, Sozialmitarbeitende oder die Betreuungspersonen der Tagesstrukturen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das Förderkonzept hat zum Ziel, all diese Personen zu vernetzen und so die verschiedenen Lernwelten eines Kindes miteinander zu verbinden.»

Lernwelten der Kinder verbinden

Entsprechend besuchten auch sämtliche an der Schule vertretenen Berufsgruppen die vier Weiterbildungen an der PH FHNW, zu dem die Projektgruppe im Rahmen der Konzeptentwicklung einlud. Dort bearbeitete das Kollegium unterschiedliche, im Hinblick auf Förderung relevante Themen wie vielfältige Aufgabengestaltung im Unterricht und anderen Lernumgebungen, differenzierte Beurteilung von Lernprozessen oder, damit verbunden, die Feedback-Kultur gegenüber Schüler*innen. «Dieser gemeinsame Austausch hat einiges bewegt. Viele Diskussionen wurden danach in den Klassen- und Fachteams an unserer Schule wieder aufgegriffen», sagt Ursina Frauchiger, schulische Heilpädagogin und Mitglied der Projektgruppe am Bläsi-Schulhaus, sowie langjährige Dozierende und Referierende an der PH FHNW. In allen Workshops habe jemand aus der Projektgruppe die Rückmeldungen aus dem Kollegium dokumentiert und dafür gesorgt, dass die unterschiedlichen Perspektiven später auch Eingang ins Förderkonzept fanden. «Den Beteiligten wurde damit deutlich, dass das Förderkonzept ein Instrument für alle ist, das unsere Vielfalt abbildet und wertschätzt», sagt Frauchiger Diese Erkenntnis habe etwas ausgelöst, das nachwirke: «Wir pflegen einen intensiveren Austausch, sei es über Begriffsdiskussionen oder Lernprozesse, sei es im Fachteam oder bereichsübergreifend. Dadurch ergibt sich, was die Grundidee hinter dem Förderungskonzept ist: eine Schulkultur, die nicht nur auf Papier gedruckt, sondern gelebt wird.»

Virginia Nolan ist freie Journalistin.

PRAXISTAUGLICHER LEITFADEN Das Förderkonzept an der Basler Primarschule Bläsi wurde von 2017 bis 2019 gemeinsam von einem multidisziplinären Team aus dem Kollegium verfasst, das von Anja Blechschmidt, Dozentin und Professorin am Institut für Spezielle Pädagogik und Psychologie an der Pädagogischen Hochschule FHNW, begleitet wurde. Es basiert auf den vielfältigen Förderungs- und Integrationsbemühungen, die die Schule bereits leistet. Das Förderkonzept hat einerseits zum Ziel, diese Oberflächenstrukturen so zu dokumentieren, dass ein praxistauglicher Leitfaden für alle involvierten Fach- und Betreuungspersonen entsteht. Andererseits sollen dadurch diese Akteure – von der Lehrperson bis zu den Mitarbeitenden am Mittagstisch – vernetzt und die verschiedenen Lernwelten des Kindes miteinander verbunden werden. Das Förderkonzept berücksichtigt die Vorgaben des Lehrplans 21. Es wurde im abgelaufenen Schuljahr erstmals implementiert, derzeit läuft die Planung der Evaluation. Seine Tiefenstrukturen – also die Implementierung im Unterricht und damit verbundene Lehr- und Lernprozesse – erforscht ab Herbst 2020 ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes wissenschaftliches Projekt (vgl. Seite 29).

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