7 minute read
ÜBER DEN TELLERRAND
NFTs: Die Blase innerhalb der Blase?
Non Fungible Token. Für die einen sind sie gefährliche Spekulationsobjekte, für die anderen eröffnen sie neue Wege der Teilhabe an Kunst im digitalen Zeitalter.
Autor: Patrick Baldia
Schon mal von Mike Winkelmann gehört? Der US-Digitalkünstler, der auch als „Beeple“ bekannt ist, wurde im Vorjahr mit einem Schlag zu einem der reichsten lebenden Künstler der Welt, als seine Collage „Everydays: The First 5.000 Days“ bei einer Christie’s-Auktion für sage und schreibe 69 Millionen US-Dollar versteigert wurde. Zwischen dem 1. Mai 2007 und dem 7. Jänner 2021 hatte er täglich ein digitales Bild auf Tumblr veröffentlicht, und alle Bilder zusammen schließlich zu einer großen Collage zusammengefügt. So weit so spektakulär. In die Geschichtsbücher wird Beeple aus einem weiteren Grund eingehen: Sein Kunstwerk wurde als erster „Non Fungible Token“ (NFT) über die EthereumBlockchain versteigert.
Ein NFT ist nichts anderes als ein digitales Echtheitszertifikat oder Eigentumsnachweis für ein bestimmtes Objekt wie ein digitales oder analoges Kunstwerk. Erzeugt wird er mittels eines Smart Contracts um in weiterer Folge als Token auf einer Blockchain gespeichert zu werden. Dadurch wird garantiert, dass der betreffende Gegenstand wirklich einmalig ist. Verkauf und Kauf werden online auf einschlägigen Plattformen wie Opensea, Binance, Nifty Gateway oder Rarible abgewickelt, ohne, dass theoretisch eine Galerie oder ein Auktionshaus benötigt wird. Künstler können zudem am Weiterverkauf verdienen, indem in die jeweilige Blockchain Tantiemen beziehungsweise Lizenzgebühren einprogrammiert werden.
Auktionshäuser springen auf den NFT-Zug auf
„Vor allem für den Kunstmarkt sind NFTs eine bedeutende Entwicklung“, so Manuel Schleifer, Finanzmarktstratege bei Raiffeisen Research. Schließlich sei damit erstmalig ein funktionierender Markt für digitale Kunstgegenstände geschaffen worden. Der Vorteil für Künstler: Sie können ihre Werke ohne Galeristen oder Auktionshäuser unters Volk bringen. Dass Letztere durch NFTs abgelöst werden, glaubt Schleifer allerdings nicht. Darauf deutet auch, dass Auktionshäuser verstärkt auf den NFT-Zug aufspringen. Zu lukrativ ist auch das Geschäft: Allein Sotheby’s hat laut dem „NFT Market Report 2021“ von NonFungible.com im Vorjahr NFTs im Wert von 100 Millionen USDollar verkauft. Wenig verwunderlich, zeigt man sich auch bei Christie’s begeistert von der digitalen Transformation des Kunstmarktes. „Ich fühle mich geehrt, die ganzen neuen Kunden zu begrüßen, und zwar nicht nur die Bieter unter ihnen, sondern auch jene, die mit ihren brillanten Ideen helfen, die Krypto-KunstBewegung voranzubringen“, so Noah Davis, Head of Digital Art bei Christie’s in New York.
NFTs gibt es zwar schon eine ganze Weile, die Ersten tauchten um 2012 auf, ein wirklicher Hype entstand aber erst nach dem Verkauf von „Everydays: The First 5.000 Days“ im Februar 2021. In Zahlen: Gegenüber 2020 stieg die Marktkapitalisierung um fast 4.500 Prozent (!) auf 16,9 Milliarden US-Dollar. „Wir beobachten signifikante Anstiege sowohl des Gesamtwerts der Überweisungen als auch der Größe der Transaktionen, was darauf
hindeutet, dass NFTs neue User anziehen und als Anlageklasse an Wert gewinnen“, heißt es in der Studie „The Chainalysis 2021 NFT Market Report“ des Blockchain-Daten-Anbieters Chainalysis. Auch in Österreich sind sie im Übrigen längst angekommen: Im Februar hat das Wiener Belvedere 10.000 NFTs von Gustav Klimts „Kuss“ zum Preis von rund 1.850 Euro pro Stück erfolgreich verkauft. „Die für den Weltmarkt sehr kleine Zahl der Anteile und die Tatsache, dass jeder Teil unverwechselbar ist, macht diese Tokens so kostbar“, meint dazu Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer des Belvedere.
Ethereum, Solana, Cardano und Polkadot
Die mit Abstand meisten NFTs am Markt basieren auf der Ethereum-Blockchain, deren Marktanteil bei rund 80 Prozent liegt. Das bedeutet, dass für jede Transaktion die dazugehörige Kryptowährung Ether benötigt wird. Weitere beliebte Blockchains – mit zunehmender Bedeutung – sind unter anderem Solana, Cardano und Polkadot. „Die Nachfrage nach Anwendungen wie NFTs erhöht also auch die Nachfrage nach den zugrundeliegenden Coins“, bringt es Manuel Schleifer auf den Punkt. Um Transaktionen zu tätigen, benötigt man im Übrigen noch eine Wallet, in der die NFTs sicher gespeichert werden können.
So viel Aufsehen Beeple auch erregt haben mag, Tatsache ist, dass Kunst im NFT-Universum eine untergeordnete Rolle spielt. Laut dem Analysehaus NonFungible.com, das ausschließlich die Ethereum-Blockchain beobachtet, zeichnet Kunst aktuell für rund 15 Prozent des Gesamtumsatzes am NFT-Markt verantwortlich. Das ist genauso viel wie bei NFTs, die in Computerspielen genutzt werden – unter anderem, um Spielcharaktere mit besonderen Fähigkeiten auszustatten. Anwendungen für das Metaverse haben einen Umsatzanteil von fünf Prozent, während „Collectibles“, also Sammelgüter diverser Art, wie etwa Sportkarten, mit mehr als 50 Prozent auf den Löwenanteil kommen. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich mitunter die Geister scheiden, wenn es um den Unterschied zwischen NFT-Kunst und „Collectibles“ geht. Nur ein Beispiel: die „Cryptopunks“. Dabei handelt es sich um eine NFTSammlung von rund 10.000 Charakteren, die sich alle voneinander unterscheiden, aber aus nicht mehr als sechs Pixeln bestehen und ein dementsprechend einfaches Erscheinungsbild aufweisen. Umso erstaunlicher ist es, dass der bisher Teuerste – wenig glamourös „#7523“ genannt – im vergangenen Sommer bei Sotheby’s um fast zwölf Millionen Dollar den Besitzer wechselte.
Im „NFT Market Report 2021“ versucht Michael Bouhanna, Co-Head of Digital Art Sales bei Sotheby’s, zu erklären, wieso das Auktionshaus die Cryptopunks als „reines Kunstwerk“ einschätzt: „Sobald mit einer Arbeit ein historisches Element verbunden ist, handelt es sich dabei um Kunst.“ Das betreffe nicht nur Cryptopunks, sondern auch „Bored Apes“, und damit eine NFT-Sammlung, die aus 10.000 Profilbil-
Der Kuss
Für das Belvedere war es ein Erfolg: der „Drop“, also die offizielle Ausgabe, von 10.000 NFTs von Gustav Klimts „Kuss“. Allein am 14. Februar, dem Tag, an dem der Verkauf zum Stückpreis von 1.850 Euro startete, wurden 3,2 Millionen Euro eingenommen. Davor mussten sich die Kaufwilligen anmelden und erhielten Anfang Februar die Berechtigung, Ausschnitte des digitalen Kusses zu erwerben. Die einzelnen NFTs wurden wiederum nach dem Zufallsprinzip vergeben. Die 10.000 unverwechselbaren Einzelteile entstanden, indem eine hochaufgelöste digitale Kopie des wohl berühmtesten Gemäldes von Gustav Klimt in ein 100 x 100-Raster aufgeteilt wurde. „Die für den Weltmarkt sehr kleine Zahl der Anteile und die Tatsache, dass jeder Teil unverwechselbar ist, machen diese Tokens so kostbar“, so Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer des Belvedere. Etwas Besonderes ließ sich das Kunstmuseum anlässlich des Tags des Verkaufsstarts, dem Valentinstag, noch einfallen: Alle Käufer konnten auf ihrem NFT eine Liebeserklärung eintragen lassen - eine digitale natürlich.
dern von Cartoon-Affen besteht. Von den gelangweilten Affen gibt es ebenfalls jeweils nur ein Exemplar, und der bislang Teuerste wurde 2021 um zwei Millionen Euro verkauft. Geht es nach Bouhanna beziehungsweise Sotheby’s, so handelt es sich wohl auch beim ersten Tweet von Twitter- und Square-CEO Jack Dorsey um Kunst, der im vergangenen März als NFT verkauft wurde. „just setting up my twttr“ war dem Käufer 2,9 Millionen US-Dollar wert.
Exzessive Spekulationsblase
So absurd diese Summen auch scheinen mögen, auch in der Welt der NFTs gilt: Nachfrage und Angebot bestimmen den Preis. „Der Wert eines NFT ergibt sich rein aus dem Umstand, dass jemand den Besitz eines digitalen Gutes auf der Blockchain für sich beanspruchen kann“, erklärt Schleifer. Und ähnlich wie bei Marktplätzen wie willhaben.at oder eBay könne letztlich der Verkäufer den Fixpreis bestimmen. Was sich vor allem im Vorjahr am NFT-Markt für Kunst oder „Collectibles“ abgespielt hat, bezeichnet der Raiffeisen-ResearchAnalyst als „exzessive Spekulationsblase“. Unter den Verkäufern hätten sich nur wenige ernsthafte Künstler befunden. In der Regel wären tausende Euro für nur wenige Pixel verlangt worden. „Ähnliches gilt für einfache GIFs.“ Sehr wohl bringen aber auch „seriöse“ Künstler NFTs raus. Nur zwei Beispiele sind Damien Hirst und Takashi Murakami.
Der durchschnittliche Verkaufspreis konnte nach einer längeren Schwächephase nun wieder deutlich anstiegen und liegt derzeit zwischen 4.000 und 5.000 US-Dollar. Die Anzahl der Käufer und Verkäufer, die täglich aktiv sind, ging seit Februar jedoch deutlich zurück und stagniert seitdem. Dass weniger Menschen tagtäglich am NFT-Markt unterwegs sind, könne laut Schleifer ein Zeichen für eine Abkühlung beziehungsweise einen abnehmenden Hype sein. Müsse es aber nicht. „Denn es ist nicht auszuschließen, dass viele NFT-Enthusiasten ihre digitalen Kunstwerke mittlerweile einfach langfristig halten und auf Wertsteigerungen hoffen“, stellt er in den Raum. Vielfältige praktische realwirtschaftliche Anwendungen wären nicht zu leugnen, so etwa unter anderem im Anlagebereich bei Aktien oder Immobilien beziehungsweise überall dort, wo es um die Übertragung von Rechten geht.
Ob jedoch mehrere Tausend Dollar für simple JPEGs gerechtfertigt sind, bleibt jedem selbst überlassen. „Wenn so mancher Kritiker Bitcoin & Co. als Blase bezeichnet, dann wäre der Handel mit den kleinen Bildchen wohl die Blase innerhalb der Blase“, so Schleifer. Weitere Risiken liegen – abgesehen von im Durchschnitt überschaubaren Ertragsaussichten – auf der Hand: der Markt ist nicht reguliert, die Liquidität übersichtlich. Dazu kommt eine nicht zu unterschätzende Anfälligkeit für Betrug. Unter anderen berichtet Chainalysis von Geldwäsche und „Wash-Trading“ (Preise werden durch Eigenkäufe künstlich in die Höhe getrieben, Anm.). Unterm Strich bleibt wohl eine prä-digitale Weisheit bestehen: Kunst liegt im Auge des Betrachters.
Quelle: nonfungible.com, RBI/Raiffeisen Research
Quelle: nonfungible.com, RBI/Raiffeisen Research