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ÜBER DEN TELLERRAND

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VOX FEMINA

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Eiskalte Leidenschaft

Iceman statt Ironman. Auf der Suche nach dem ultimativen Kick schließen sich immer mehr Mutige dem Trend des Eisschwimmens an. Ewige Jugend und ein starkes Immunsystem soll es bringen, vor allem aber ist es eine mentale Herausforderung.

Autor: Lisa Grüner

Kommt man aus dem eiskalten Wasser heraus, wird man von einem Hochgefühl durchflutet, der ganze Körper prickelt und die Beine sind taub“, erzählt Susanne Wegscheider, Co-Gründerin der PR-Agentur com_unit. „Kalt ist einem nicht, man fühlt sich wach und erfrischt, eigentlich ganz anders, als man erwarten würde.“ Vor zwei Jahren begann Wegscheider mit dem Eisschwimmen, also lang bevor die Pandemie mit ihren Lockdowns alles verboten hat, was einen Kick bringt. Jetzt tummeln sich immer mehr Menschen im Badeoutfit an Flüssen, Seen und anderen Badestellen. Und bei den meisten bleibt es nicht bei einem einmaligen Erlebnis. „Am besten ist es, wenn man nach dem Sommer gar nicht mit dem Schwimmen aufhört, aber auch mit kalten Duschen kann man sich abhärten“, rät die passionierte Eisschwimmerin zur Vorbereitung. „Manche gehen aber auch spontan ins Wasser und das klappt auch.“ Das Eisschwimmen an sich braucht allerdings eine gewisse Vorbereitung. „Die erste Grundregel ist, dass immer jemand mit dabei sein muss, der im Notfall eingreifen kann“, so Wegscheider. „Beim Hinkommen darf einen nicht frösteln, man soll sich gut fühlen und sich eine Stelle suchen, die schön ist und das Wasser möglichst wenig bis keine Strömung hat.“

Eiskaltes Glück

Die Badebekleidung hat man besten bereits an. „Die Kleidung sollte man so wählen, dass man sie einfach, schnell und mit klammen Fingern anziehen kann“, rät Extremsportler und Eisschwimmer Josef Köberl. „Auch die Schuhe.“ Jedenfalls soll man sich warm anziehen und lieber etwas mehr mitnehmen als zu wenig. Empfohlen werden auch eine Haube, Handschuhe, Tee und zwei Handtücher, eines zum Abtrocknen und eines zum Draufstellen. Wer untertauchen möchte, sollte auch Badehaube, Schwimmbrille und Schwimmboje mithaben, Neoprenschuhe sollen auch sehr angenehm sein.

7minds, Susanne Wegscheider, Peter Sitte, Lisa Grüner Fotos:

„Beim Eisschwimmen verschwindet der Alltag, der Stress fällt ab und man ist voll konzentriert auf das Element Wasser.“

Susanne Wegscheider, Com_unit

„Wer es bis ans Ufer geschafft hat, der geht auch rein“, lacht Köberl, dem die Kälte nichts ausmacht. „Die mentale Fokussierung ist dann schon so stark, dass man es durchzieht.“ Und dann geht es los. Zuerst wird in den Bauch geatmet. „Es ist wichtig, nicht in die Brust zu atmen, je langsamer und bewusster umso besser. Wenn man ins kalte Wasser kommt, nicht in Schnappatmung verfallen, sondern weiter langsam in den Bauch.“ Ins Wasser springt man nicht etwa hinein, sondern geht langsam Schritt für Schritt. „Das ist wichtig, da sich die etwa 36 bis 37 Grad warme Haut ja an das kalte Wasser anpassen muss.“ Die Haut kühlt sich ab und signalisiert dem Kopf, dass Gefahr droht. Wer nicht weiterkommt, geht wieder ein Stück raus und wieder hinein. Dann einfach stehen bleiben, weiter atmen und wer will, taucht unter. „Gerade am Anfang kann man eine Haube im Wasser tragen, damit man nicht zu sehr abkühlt“, rät Köberl. „Die meisten sind verwundert, dass es so gut geht und der Körper das zulässt.“ Dann geht man raus, trocknet sich ab und zieht sich langsam warm an. Das Hochgefühl stellt sich ein. Köberl empfiehlt, den Körper warm zittern und damit seine Temperatur selbst regeln zu lassen. Jetzt kann man auch warmen Tee oder Suppe trinken. „Am besten nicht zu warm einfüllen, damit man sich nicht verbrüht beim Zittern“, so der Profi. „Und vor allem den Moment genießen, in dem man Bäume ausreißen könnte.“

Positive Effekte

„Alltag, Ärger und Stress verschwinden, sobald man am Ufer steht“, schwärmt Wegscheider. „Man beruhigt den Atem und ist voll konzentriert auf das Element Wasser. Für mich ist es der beste Weg, den Kopf frei zu bekommen.“ Die positiven Effekte von Kaltwasser-Therapien und Kneipp-Kuren sind schon lange bekannt, daher überrascht es nicht, dass auch dem Eisbaden nur Gutes nachgesagt wird. „Es macht sowohl körperlich als auch psychisch robuster und widerstandsfähiger und stärkt das Immunsystem“, so Wegscheider weiter. „Allein der Effekt sich zu überwinden und das zu erleben macht stark.“ Wer sich regelmäßig sein Eisbad gönnt, bei dem sollen Erkältungskrankheiten der Vergangenheit angehören. Auch Durchblutung, Kreislauf und Libido sollen gestärkt werden, Entzündungen vermindert und Alterungsprozesse verlangsamt werden. Profi-Sportler nutzen diese Methode auch, um ihre Regenerationszeit nach extremen Einsätzen zu verkürzen. Der Kälteschub setzt definitiv Adrenalin und Endorphine im Körper frei. Diese sorgen für mehrere Stunden für Glücksgefühle, erhöhte Konzentration und Leistungsfähigkeit.

Köberl empfiehlt vorab eine ärztliche Abklärung mit einem EKG. Wer Herz- oder Gefäßprobleme, hohen Blutdruck oder mit dem Kreislauf zu tun hat, für den ist Eisbaden

Factbox

Josef Köberl kann für Eisschwimm-Seminare und Coachings gebucht werden: www.7minds.at

Bezugsquelle für Schwimmbojen, Neoprenschuhe und anderes Zubehör: www.dive-company.eu

tabu. „Auch wir Eisschwimmer lassen uns jedes halbe Jahr durchchecken“, erklärt Köberl. „Sicherheit geht vor.“ Auf alle Fälle sollte man gesund sein, wenn man sich dem Abenteuer hingibt. Auch soll man sich nach dem Eisbaden nicht zu schnell aufwärmen. „Eine warme Dusche sollte man erst nach zwei, drei Stunden genießen“, so Köberl. „Besser ist es, eine Runde spazieren zu gehen.“

Selbstversuch

Bereits bei der Recherche fing es an, mich zu jucken, das doch auch einmal auszuprobieren. Schon des Öfteren war ich beim Spazierengehen an Eisschwimmern vorbeigegangen und fassungslos vor Staunen stehen geblieben. Nach den Interviews mit Susanne Wegscheider und Josef Köberl war mir klar, ich musste das versuchen. Und so packte ich am Nachmittag meine Sachen und traf mich mit einem Freund, der dem Eisbaden schon länger verfallen war. Mit jedem Schritt Richtung Wasser wurde ich wagemutiger, wild entschlossen stieg ich in das eisige Wasser und als ich wieder herauskam, konnte ich es kaum glauben, dass ich es tatsächlich gemacht hatte. Ja, das Wasser war kalt, doch kaum angezogen, war mir so wohlig warm, wie selten zuvor. Mit stolz geschwellter Brust und voller Glücksgefühle zog ich wieder von dannen. Und ja, das nächste Mal ist schon in Planung.

„Anschließend sorgen Adrenalin und Endorphine für mehrere Stunden Glücksgefühle.“

Josef Köberl, 7minds

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