Fachkräftemangel und Instrumente der Personalgewinnung

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F R A U N H O F E R - I N S T I T U T F Ü R A r b eits w irts c haft un d O r g anisation I A O

Kathri n Schnal zer, Al exander Schl etz, Ber nd Bi enzei sl er, Anne- Kathri n Ra upa ch

Fachkräftemangel und Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft Lösungsansätze und personalwirtschaftliche Instrumente

Die IT-Wirtschaft stellt eine Schlüsselbranche dar, die für die Innnovations- und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt von elementarer Bedeutung ist. Die hohe Innovationsdynamik und die kurze Halbwertzeit des Wissens stellen die Branche jedoch vor große Herausforderungen. Dabei wird die Gewinnung und das Binden von Fachkräften zunehmend ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen Unternehmen verstärkt Maßnahmen ergreifen, um ihre zentralen Ressourcen – Wissen und Kompetenzen – zu erhalten. Die damit verbundenen Herausforderungen und Lösungsansätze untersucht das Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem Branchenverband BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) in dieser Studie. Herausgearbeitet wurde, welche technischen, organisatorischen und mitarbeiterbezogene Konzepte, Ansätze und Instrumente die Unternehmen heute und morgen nutzen, um dem zunehmenden Wissens- und Fachkräfteabfluss entgegenzuwirken. Viele Studienergebnisse aus der IT-Wirtschaft lassen sich auch auf andere wissensintensive Branchen übertragen.

ISBN 978-3-8396-0382-6

9 783839 603826

Fraunhofer Verlag


FACHKRÄFTEMANGEL UND KNOW-HOW-SICHERUNG IN DER IT-WIRTSCHAFT Lösungsansätze und personalwirtschaftliche Instrumente Kathrin Schnalzer Alexander Schletz Bernd Bienzeisler Anne-Kathrin Raupach Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart.


Impressum Autoren Kathrin Schnalzer Alexander Schletz Bernd Bienzeisler Anne-Kathrin Raupach Kontaktadresse Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Nobelstraße 12 70569 Stuttgart Telefon: +49 711 970 2184; Telefax: +49 711 970 2130 E-Mail: alexander.schletz@iao.fraunhofer.de; Web-Adresse: www.iao.fraunhofer.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-8396-0382-6 Titelbild © Richard Bauer – Fotolia.com Verlag und Druck Fraunhofer Verlag, Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB Postfach 800469, 70504 Stuttgart Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart Telefon: +49 711 970-2500 Telefax: +49 711 970-2508 E-Mail: verlag@fraunhofer.de Web-Adresse: http://verlag.fraunhofer.de Für den Druck des Buches wurde chlor- und säurefreies Papier verwendet. Copyright Fraunhofer IAO, 2012 Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Speicherung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Bezeichnungen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und deshalb von jedermann benutzt werden dürften. Soweit in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN; VDI) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden ist, kann der Verlag keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. 4

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Inhalt 1

Vorwort ................................................................................................. 5

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Management Summary ........................................................................ 7

3 3.1 3.2 3.3

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation ............................... 11 Einführung und Zielsetzung ..................................................................... 11 Marktsituation der IT-Wirtschaft ............................................................... 13 Beschäftigungsstrukturen in der IT-Wirtschaft .......................................... 17

4

Design und empirische Basis der Studie ............................................. 21

5 5.1 5.2

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung ...................... 25 Ursachen für Wissens- und Kompetenzverlust .......................................... 26 Auswirkungen des Wissens- und Kompetenzverlustes .............................. 29

6 6.1 6.2 6.3 6.4

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung ................. 33 Mitarbeiterbezogene Maßnahmen und Instrumente ................................. 34 Strategische und organisatorische Instrumente ......................................... 38 Technische Instrumente ........................................................................... 42 Zusammenfassung ................................................................................... 44

7

Beispiel einer erfolgreichen Projektes zur Erfahrungssicherung bei der DATEV eG .................................................................................. 46

8

Referenzen ............................................................................................ 47

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1 Vorwort

Vorwort

Die erfreuliche Entwicklung der deutschen Wirtschaft und die international hervorragende Wettbewerbsposition der deutschen Industrie sind nicht zuletzt das Verdienst der deutschen IT-Wirtschaft. Denn Informationstechnik steckt heute in nahezu allen Produkten und auch Dienstleistungen werden immer stärker durch informationstechnische Lösungen unterstützt. Die IT-Wirtschaft ist deshalb seit Jahren Garant für Wachstum, Innovation und Beschäftigung – in der eigenen Branche, aber auch darüber hinaus. Als Markenzeichen der hiesigen IT-Wirtschaft kann ihre Spezialisierung auf industrielle bzw. unternehmensbezogene Anwendungsfelder gesehen werden. Zwar verfügt Deutschland auch über Unternehmen, die sich auf ConsumerProdukte fokussiert haben (z.B. im Umfeld von Computerspielen). Die Mehrzahl der Firmen arbeitet jedoch an hochspezialisierten IT-Produkten und Lösungen, die von anderen Branchen und Industrien benötigt und genutzt werden. Insofern scheint es nicht zu weit gegriffen zu behaupten, dass die IT-Wirtschaft einen maßgeblichen Anteil am Erfolg des deutschen Innovationsmodells hat, welches sich in der Vergangenheit auf die intelligente Verknüpfung von hochwertigen Industriegütern mit innovativen Dienstleistungsprozessen konzentriert hat und damit bislang gut gefahren ist. Das sind gute Nachrichten, aber wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Einen dunklen Schatten der deutschen IT-Wirtschaft markiert ein sich beschleunigender Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften und ein damit verbundener Abfluss von kritischem Wissen und Know-how, was die Gefahr birgt, dass Unternehmen und ganze Branchen in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ausgebremst werden. Aber die Debatte um den Mangel an qualifiziertem Personal schärft auch das Bewusstsein dafür, dass Wissen, Kompetenz und Know-how die zentralen Ressourcen für Innovation, Wachstum und Beschäftigung sind. Die vorliegende Studie will sich nicht auf Kassandrarufe beschränken. Sicher, es ist wichtig Probleme zu benennen und auf Herausforderungen hinzuweisen, die mit einem drohenden Verlust von Wissen und Know-how verbunden sind. Im Fokus der Untersuchung stehen aber Lösungsansätze und Instrumente, die Unternehmen heute und in Zukunft nutzen, um ihre zentralen Ressourcen »Wissen und Know-how« besser zu sichern. Auf diese Weise wollen wir den Unternehmen Handlungshilfen und Orientierung geben, um im Wettbewerb um Wissen und Know-how besser gerüstet zu sein. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) haben die Thematik des Fachkräftemangels seit längerer Zeit im Blick – wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Deshalb freut es uns,

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Vorwort

dass wir mit dieser Studie die eigenen Perspektiven, aber auch das eigene Wissen und Know-how bündeln können. Durch einen engen Austausch zwischen Fraunhofer IAO und BITKOM wurden Teile der Befragung gemeinsam konzipiert, wenngleich die Durchführung der Befragung und die Analyse der Ergebnisse in der Verantwortung von Fraunhofer IAO lagen. Allein die hohe Beteiligung von Unternehmen an der Befragung zeugt davon, dass wir mit dieser Studie eine Thematik aufgreifen, die für die deutsche ITWirtschaft von großer Bedeutung ist. Wir hoffen, dass die Ergebnisse auf eine ähnlich positive Resonanz stoßen.

Stuttgart, im März 2012 Prof. Dr.-Ing. Dieter Spath (Fraunhofer IAO) und Prof. Dieter Kempf (Präsident BITKOM)

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2 Management Summary

Management Summary

Die vorliegende Studie zielt darauf ab, das Bewusstsein für Herausforderungen im Umgang mit Wissen zu schärfen und personalwirtschaftliche Lösungsansätze aufzuzeigen, wie Unternehmen heute und in Zukunft dem Wissens- und Fachkräftemangel entgegen wirken. Dabei unterstützen die Studienergebnisse die These, dass der Mangel bzw. der Verlust von qualifizierten Fachkräften am Wissens- und Know-how-Fundament von IT-Unternehmen nagt, was letztlich die ökonomische Basis der Betriebe bedroht. Aktuell jedoch ist die wirtschaftliche Lage der befragten IT-Unternehmen sehr gut. So geben über 70 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sich die Erlössituation im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 verbessert hat. Dies spielgelt sich auch in einer höheren Beschäftigung wider. In über 76 Prozent der Unternehmen arbeiten heute mehr Menschen als im Jahr 2008. Zudem zeigt sich, dass die IT-Unternehmen auf ihrem Weg zur Internationalisierung weit fortgeschritten sind. Bedenkt man, dass die Mehrzahl der IT-Unternehmen dem Bereich von klein- und mittelständischen Betrieben zugerechnet werden muss, überrascht die Aussage, dass nahezu 60 Prozent der befragten Unternehmen angeben, außerhalb des deutschen Marktes tätig zu sein. Die gute wirtschaftliche Lage der Unternehmen korrespondiert mit einem hohen Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Gesucht werden vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Lage sind, technische Probleme analytisch zu durchdringen und die zugleich in kundenspezifischen Problemlösungen denken und handeln. Besonders in den Bereichen IT-Support, der Administration komplexer IT-Systeme und der Software-Beratung wird händeringend nach qualifiziertem Personal gesucht. Auch Vertriebsspezialisten für IT-Komponenten und Softwaresysteme sind stark gefragt. Eine Einflussgröße für das Problem des Fachkräftemangels und die Sicherung des strategischen Erfahrungswissens stellt die Unternehmensgröße dar. Während Großkonzerne vor allem Schwierigkeiten haben, Top-Schlüsselfunktionen zu besetzen, sind die eigentlichen Leidtragenden des Fachkräftemangels mittelständisch geprägte Unternehmen, die weder die Sicherheiten von Großunternehmen, noch den Flair von hochinnovativen Start-up-Unternehmen verbreiten können. Es sind aber diese Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen ITWirtschaft bilden.

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Management Summary

Neben einem Mangel an Hochschulabsolventen gefährdet auch der demografische Wandel mittelfristig die Wissenssubstanz der Unternehmen. Eine sich verändernde Altersstruktur zeigt sich auch bei den befragten Unternehmen. Während der Altersdurchschnitt der Belegschaften heute bei 36-40 Jahren liegt, erwarten die Unternehmen, dass das Durchschnittsalter in zehn Jahren auf 41-45 Jahre steigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil älterer Beschäftigter überproportional steigen wird. Ursachen für den Wissens- und Kompetenzverlust sind aber nicht allein im demografischen Wandel zu suchen. Vielmehr zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass die Unternehmen massiv unter Know-how-Abflüssen leiden, die durch ein vorzeitiges und vielfach ungeplantes Ausscheiden der Mitarbeiter ausgelöst werden. So erwarten 64 Prozent der Unternehmen, dass Wissen und Kompetenzen künftig verloren gehen, weil Mitarbeiter aus Karrieregründen den Arbeitsplatz wechseln bzw. das Unternehmen verlassen. Einen stärkeren altersbedingten Abfluss relevanten Wissens erwarten 42 Prozent der Befragten. Noch wichtiger als der Erhalt bestehenden Wissens wird der Aufbau neuen Wissens in den Unternehmen bewertet. 77 Prozent der Unternehmen geben an, dass der Handlungsdruck zum Kompetenz- und Wissensaufbau hoch oder sehr hoch ist. Darin spiegeln sich die schnellen Innovationszyklen der ITWirtschaft wider, welche die Unternehmen zwingen, innerhalb kürzester Zeit Qualifikationen und Kompetenzen für die Beherrschung neuer Technologien verfügbar zu machen. Fast schon Besorgnis erregend ist, wie die befragten Unternehmen die Auswirkungen des Wissens- und Kompetenzverlustes bewerten. So geben 45 Prozent der Befragten an, dass fehlendes Wissen bzw. fehlende Fachkräfte schon heute zu einer Überlastung des bestehenden Personals führen. Für die künftige Einschätzung steigen diese Werte noch einmal an. Zudem bestätigen 26 Prozent der Unternehmen, dass Aufträge heute nicht angenommen werden können, weil die notwendige Fachexpertise im Haus nicht verfügbar ist. Für die Zukunft erwarten dies sogar 36 Prozent der Befragten. Im Durchschnitt verlieren die Unternehmen 8,5 Prozent ihres Umsatzes, weil sie aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal Aufträge nicht realisieren können, wobei die Varianz beim Antwortverhalten erheblich ist. Einige Unternehmen geben an, bis zu 30 Prozent und mehr Umsatz einzubüßen, weil Aufträge nicht angenommen werden können. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der deutschen IT-Wirtschaft um einen Markt handelt, der im Jahr 2011 ca. 145 Milliarden Euro umgesetzt hat, wird deutlich, dass es sich nicht nur um ein betriebswirtschaftliches, sondern auch um ein volkswirtschaftliches Problem handelt.

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Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, in welcher Weise die Unternehmen bereits heute dem Wissens- und Kompetenzverlust entgegen wirken können und welche Instrumente und Maßnahmen sie zukünftig benötigen werden. Dabei zeigt sich, dass erst in knapp jedem zweiten Unternehmen heute schon Maßnahmen zum Kompetenzerhalt eingesetzt werden. Damit ist die IT-Branche aktuell noch nicht umfassend auf die sich abzeichnenden Veränderungen der Altersstruktur und die Folgen im Hinblick auf Wissens- und Kompetenzverlust vorbereitet.

Management Summary

Betrachtet man die Maßnahmen genauer, die heute schon genutzt werden, ist zu erkennen, dass dem informellen Wissensaustausch und der Schaffung einer förderlichen Unternehmenskultur heute und zukünftig das größte Potenzial beim Erhalt von Wissen und Kompetenzen zugeschrieben wird. Bei den Maßnahmen, denen eine mittlere Wichtigkeit zugesprochen wird, sind insbesondere umfassende strategische Maßnahmen wie Kompetenz- und TalentManagement interessant, die für die Zukunft hohe Wachstumsraten verzeichnen. Im Gegensatz zu den informellen Instrumenten bedarf die Einführung und Nutzung solcher strategischer Ansätze eine fundierte Planung und Umsetzung innerhalb der Unternehmen, für die sicherlich ein großer Unterstützungsbedarf entstehen wird. Sehr selten werden bislang systematische Altersstrukturanalysen in den Unternehmen genutzt. Da dieses Instrument auch für die Zukunft keine große Bedeutung für die Unternehmen zu haben scheint, stellt sich gleichwohl die Frage, woher die Unternehmen transparente und verlässliche Daten für die Planung weiterer Maßnahmen bekommen werden. Insgesamt erwarten die befragten Unternehmen allerdings einen deutlichen Zuwachs an der Nutzung von Instrumenten und Maßnahmen. Daher scheinen, trotz einer ungenauen Datenlage, den Unternehmen prinzipiell die Herausforderungen klar zu sein. Dies entspricht auch den aktuellen Planungen zur Einführung von neuen Instrumenten: 36 Prozent der befragten Unternehmen planen bereits heute weitere Maßnahmen zum Wissens- und Kompetenzerhalt. Zwei Drittel der geplanten Maßnahmen zielen auf die Einführung technischer Instrumente, wie z. B. neue Wissensdatenbanken oder Wikis, Sharepoint Lösungen oder Web 2.0 Lösungen. Auch strategische und organisatorische Maßnahmen sind von den Unternehmen in Planung, wie z. B. die Einführung von Talentmanagement und neuen Nachfolgeplanungen oder die Schaffung von neuen altersgemischten Arbeitsstrukturen. Bei mitarbeiterbezogene Maßnahmen sind in den Unternehmen z. B. Maßnahmen zur Schaffung einer offenen Wissenskultur geplant, verbesserte Personalentwicklungskonzepte und die Einführung von Methoden zur individuellen Förderung bei der Weitergabe von Wissen. Das Bewusstsein für den Handlungsbedarf bei der Sicherung von Wissen und Kompetenzen schlägt sich auch in einer bemerkenswerten Budget-Planung der Unternehmen nieder: Insgesamt 87 Prozent geben an, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre ihr Budget für Wissens- und Kompetenzsicherung um bis zu fünf Prozent oder sogar mehr erhöhen wollen. Lediglich ein Prozent der befragten Unternehmen will das Budget zurückschrauben.

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Management Summary

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Die Ergebnisse dieser Studie beschreiben große Herausforderungen der ITWirtschaft bei der Sicherung von Wissen und Kompetenzen in den Unternehmen. Die Problemlage ist offensichtlich erkannt, jedoch setzen aktuell noch zu wenige Unternehmen geeignete Ansätze, Maßnahmen und Instrumente ein , um die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Für die nächsten Jahre planen jedoch viele Unternehmen den weiteren Ausbau von Maßnahmen und werden dafür sowohl finanzielle wie auch personelle Ressourcen für die Auswahl, Einführung und Umsetzung neuer Maßnahmen einsetzen müssen.

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3 Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation 3.1

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Einführung und Zielsetzung

Es spricht viel dafür, dass das Thema »Fachkräftemangel« künftig eine erweiterte Bedeutung erfahren wird. Denn im Vergleich zur Fachkräftedebatte, wie sie sich vor der Wirtschaftskrise 2008 darstellte, sind entscheidende Unterschiede festzustellen, die sich in folgender These zusammenfassen lassen: Es geht beim Thema Fachkräftemangel nicht mehr allein um die Gewinnung von »High Potentials« für ausgewählte Schlüsselfunktionen, sondern der Mangel bzw. der Verlust von qualifizierten Kräften nagt am gesamten Wissens- und Know-how-Fundament der Unternehmen und bedroht damit mittelfristig deren ökonomische Basis. Unternehmen sind mehr als die Summe ihrer Teile. Sie sind Gebilde, in denen sich das Wissen und die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter in Strukturen und Prozessen manifestieren. Das ist das Bild der klassischen Organisationslehre. Inzwischen hat dieses Bild Risse bekommen, denn unter Bedingungen hoher Flexibilität und komplexer Leistungsangebote ist immer mehr Wissen an Personen gebunden und kann nur noch schwer in Prozesse und Strukturen überführt werden. Die Fachwelt konstatiert in diesem Zusammenhang eine wachsende Bedeutung von »implizitem Erfahrungswissen«. Die Problematik des Fachkräftemangels beschränkt sich deshalb nicht auf die Personalgewinnung oder die Bindung von Mitarbeitern; vielmehr steht immer häufiger der Umgang mit Wissen und Kompetenzen im Unternehmen im Vordergrund. Insofern knüpft das Thema Fachkräftemangel in bestimmten Punkten am »Wissensmanagement« an – eine Thematik, die in den 1990er Jahren Aufmerksamkeit erlangte. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass Fragestellungen des Wissensmanagements heute nicht mehr allein auf den Einsatz technischer Systeme zur »Wissensaufbewahrung« zielen, sondern auf das ganzheitliche Verbessern bzw. Innovieren von wissensintensiven Wertschöpfungsprozessen (vgl. Hacker 2011). Der Umgang mit Wissen im Unternehmen und die Optimierung wissensintensiver Prozesse sind daher Herausforderungen, denen sich alle Unternehmen stellen müssen, deren Kerngeschäft kaum standardisiert und automatisiert werden kann. Ein Wirtschaftszweig, für den diese Charakteristika besonders zutreffen, ist die deutsche IT-Wirtschaft. Zum einen handelt es sich bei der Informationstechnik um eine Branche, deren Innovationen einen Multiplikationseffekt auf andere Branchen und Industrien haben, da praktisch sämtliche Produkte und Leistungen von IT durchdrungen sind. Zum anderen sind die Innovationszyklen der ITWirtschaft sehr kurz, was Standardisierungen erschwert und zu einer starken Dynamik innerhalb der Branche führt, z. B. im Hinblick auf Wettbewerb oder

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Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Mitarbeiter-Fluktuation. Zudem gibt es kaum eine andere Branche, in denen Wissen und Qualifikationen vergleichbar geringen Halbwertszeiten unterliegen. In Bezug auf den Umgang mit Wissen stellt die IT-Wirtschaft gleichsam eine Speerspitze dar, wobei sich die Probleme, aber auch die Lösungsansätze der Branche durchaus auf andere wissensintensive Bereiche und Unternehmen übertragen lassen. Zielsetzung der vorliegenden Studie ist es, das Bewusstsein für personalwirtschaftliche Herausforderungen zu schärfen und Lösungsansätze im Umgang mit Wissen in Unternehmen aufzuzeigen. Im Rahmen einer empirischen Analyse der deutschen IT-Industrie wird nachfolgend dargestellt, welche Konzepte, Ansätze und Instrumente Unternehmen heute und in Zukunft nutzen, um dem Wissens- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken, unter dem die Firmen schon heute leiden bzw. auf den sie im Rahmen ökonomischer und demografischer Entwicklungen zusteuern.

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3.2

Marktsituation der IT-Wirtschaft

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Kaum ein anderer Weltmarkt verzeichnet ein solch solides Wachstum wie der Markt für Informations- und Telekommunikationstechnologie (ITK). Das weltweite ITK-Marktvolumen liegt gemäß der aktuellen EITO-Statistik (2010) bei rund 2,5 Billionen Dollar (vgl. BITKOM 2010a). Insgesamt befindet sich Deutschland mit einem Anteil von rund fünf Prozent am globalen ITK-Markt auf dem vierten Platz der Weltmarktführer, hinter den USA, Japan und China (vgl. Abbildung 1). Deutschland

EU 25 (ohne Deutschland)

USA

Japan

China

Rest der Welt

5% 29%

20%

Abbildung 1: Weltmarktanteile des ITKMarktes 2010 (ohne Consumer Electronics) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BITKOM 2010a; Basis: EITO.

8% 29% 9%

Geringer, aber immer noch beachtlich, fällt der Weltmarkt für IT-Leistungen im engeren Sinne aus. Dieser beinhaltet Ausgaben für Computer und IT-Hardware, Software sowie IT-Dienstleistungen. Der Markt für IT-Leistungen stieg im Jahr 2011 gemäß des European Information Technology Observatory (EITO) um 4,3 Prozent an und erreichte ein weltweites Marktvolumen von 963,4 Milliarden Euro. Für 2012 nimmt EITO ein weiteres Wachstum um 5,4 Prozent und das Durchbrechen der Umsatzgrenze von einer Billion Euro an (vgl. BITKOM 2011a). Wachstumsbeschleuniger sind vor allem die aufstrebenden Volkswirtschaften und Schwellenländer wie China, Brasilien, Indien und Russland, die verstärkt Investitionen in neue Technologien tätigen und teils Wachstumsraten im zweistelligen Bereich erzielen (vgl. Abbildung 2). Aufgrund von zum Teil hohen Staatsverschuldungen in den EU-Ländern ist das europäische Wachstum von ITK-Investitionen mit 2,9 Prozent und 314,6 Milliarden Euro im globalen Vergleich eher gering. Deutschland liegt jedoch mit einem Wachstum von 4,3 Prozent im Jahr 2011 merklich über dem europäischen Durchschnitt (vgl. BITKOM 2011a). Für den deutschen ITK-Markt erwartet der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) durch die starke Nachfrage nach Consumer Electronics, Smartphones, mobilen Computern und Setup-Boxen, mobilen Datendiensten und IT-Lösungen für professionelle Nutzer im Jahr 2012 ein Wachstum von 2,2 Prozent auf rund 151 Milliarden Euro (vgl. BITKOM 2010b; BITKOM 2011d).

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Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation Abbildung 2: Weltmarkt für IT-Investitionen. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BITKOM 2011a.

USA

346,8

EU

314,6

Japan

80,4

China

54,8

Brasilien

23,4

Indien

15,1 0

+ 3,9%

+ 2,9%

- 2%

+ 11,3%

+ 8,7%

Markt für Informationstechnologie (Computer-Hardware, Software, IT-Services – Prognose) Umsatz 2011 in Mrd. Euro

+ 14,5%

50

100

150

200

250

300

350

400

Die gute Positionierung der deutschen IT-Industrie lässt sich auch daran ablesen, dass immer mehr Unternehmen internationale Märkte bedienen. Zwar verfügt Deutschland, von SAP abgesehen, kaum über weltbekannte ITUnternehmen. Jedoch lassen die Erkenntnisse dieser Studie darauf schließen, dass die Internationalisierung der deutschen IT-Wirtschaft relativ weit fortgeschritten ist. So geben nahezu 60 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie jenseits des deutschen Marktes agieren, 35 Prozent sind sogar global tätig (vgl. Abbildung 3). Dies ist schon deswegen bemerkenswert, weil die Branche traditionell klein- und mittelständisch geprägt ist. Letzteres zeigt sich z. B. daran, dass von den 72.208 deutschen Unternehmen die Software und IT-Services anbieten, allein 56.315 Unternehmen (ca. 78 Prozent) einen Jahresumsatz von weniger als 250.000 Euro erzielt haben (Zahlen für 2009, vgl. BITKOM 2011b).

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gerundete Werte; n = 203

… weltweit 35%

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation Abbildung 3: Marktpräsenz deutscher ITUnternehmen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

… in Deutschland 41%

… in Europa 24%

Neben dem proaktiven Aufbau des Auslandsgeschäfts ist ein weiterer Punkt dafür ausschlaggebend, dass die deutschen IT-Unternehmen vermehrt international agieren: Die Unternehmen folgen nämlich ihren Kunden ins Ausland und die Kunden sind häufig in den exportstarken Güterindustrien wie Automobilbau, Anlagenbau oder Medizintechnik angesiedelt. Zu beobachten ist generell eine wachsenden Verknüpfung zwischen IT- bzw. Software-Industrie mit herkömmlichen Industrien (vgl. Zukünftige Technologien Consulting 2011: 49f.). Kaum ein Automobil, kaum ein Medizinprodukt und schon gar keine Industrieanlage kommen ohne komplexe Steuerungssoftware aus. Diese Entwicklung führt zu einer starken Verzahnung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK)-Branche mit anderen Industrien, was sich in der Präsenz von IT-Unternehmen auf den weltweiten Absatzmärkten dieser Industrien widerspiegelt. gerundete Werte; n = 197

73

höher als 2008

18

ähnlich wie 2008

unter 2008

0%

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Abbildung 4: Entwicklung des Unternehmensgewinns deutscher ITUnternehmen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

10

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft

60 %

70 %

80 %

15


Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

16

Vor dem Hintergrund, dass die Mehrzahl der deutschen IT-Unternehmen Business-to-Business-Leistungen für andere Branchen und Industrien erbringt, ist es nicht verwunderlich, dass sich die wirtschaftliche Lage der IT-Unternehmen ähnlich gut darstellt wie in den exportstarken Industriebranchen. So geben über 70 Prozent der im Rahmen dieser Studie befragten Unternehmen an, dass sich die Erlössituation im Vergleich zum Jahr 2008 verbessert hat (vgl. Abbildung 4). Mit dem Jahr 2008 wurde dabei bewusst ein Vergleichszeitpunkt vor dem wirtschaftlichen Einbruch in 2009 gewählt, so dass man die Aussage treffen kann, dass die Ertragssituation einen strukturellen Aufwärtstrend zeigt.

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3.3

Beschäftigungsstrukturen in der IT-Wirtschaft

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Die im Schnitt gute bis sehr gute Auftragslage spiegelt sich in einer wachsenden Zahl von Beschäftigten wider. Bereits im Jahr 2010 beschäftigte die deutsche IT-Industrie rund 843.000 Mitarbeiter, womit die Branche ähnlich viele Arbeitsplätze bereitstellt wie der Maschinen- und Anlagenbau – mit steigender Tendenz. Noch schneller als die Zahl der Arbeitsplätze stieg die Anzahl der offenen Stellen. Im Jahr 2011 galten rund 38.000 Stellen als nicht besetzt, das sind ca. 10.000 mehr als im Jahr 2010 (vgl. Schulte 2011: 72f.). Berücksichtigt man, dass die IT-Unternehmen in 2010 ihre Belegschaften nur um gut 1.000 Mitarbeiter aufstocken konnten, wird deutlich, dass die Anzahl offener Stellen das Angebot an qualifizierten Bewerbern nahezu um das 38fache übersteigt. Selbst wenn viele offene Stellen über brancheninterne Arbeitsplatzwechsel besetzt werden, wird doch erkennbar, wie stark die Unternehmen auf der Suche nach qualifiziertem Personal sind. Auch die von uns befragten Unternehmen geben mehrheitlich an, dass sich die Anzahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 positiv entwickelt hat (vgl. Abbildung 5). In über 76 Prozent der befragten Unternehmen arbeiten heute mehr Mitarbeiter als in 2008. Lediglich knapp 9 Prozent geben an, dass sie ihre Belegschaft verringert haben. Weil diese Zahlen stark mit der Entwicklung des Unternehmensgewinns korrespondieren (vgl. Abbildung 4), kann man davon ausgehen, dass lediglich 10 Prozent der Unternehmen mit strukturellen Ertragsproblemen kämpfen, die sich in einem Abbau von Beschäftigung niederschlagen. Hier muss jedoch die klein- und mittelständische Struktur der Unternehmen berücksichtigt werden. So kann für ein Kleinunternehmen der Verlust eines einzigen Auftrages eine nachhaltige Beeinträchtigung der Erlösstrukturen bewirken. Und nicht selten werden Aufträge verloren, weil nicht genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht.

gerundete Werte; n = 203

76

höher als 2008

15

ähnlich wie 2008

unter 2008

0%

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Abbildung 5: Entwicklung der Mitarbeiterzahl in Unternehmen der deutschen IT-Industrie. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

9

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft

60 %

70 %

80 %

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Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Abbildung 6: Fachkräftemangel nach Arbeitsbereichen bei ITAnwendern. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BITKOM 2010c, S. 5.

Auch andere empirische Untersuchungen bestätigen die Klagen der ITWirtschaft über einen sich ausweitenden Mangel an qualifizierten Fachkräften, der von der Finanz- und Wirtschaftskrise und dem damit verbundenen Auftragsrückgang nur vorübergehend abgefedert wurde. 59 Prozent der befragten Unternehmen der ITK-Branche geben an, dass es ihnen an Fachkräften mangelt und sehen ihre Geschäftsentwicklung durch den Expertenmangel gebremst (vgl. BITKOM 2011c). Besonders gefragt sind Funktionen, die sich auf den ITSupport, die Administration komplexer IT-Systeme sowie auf die Beratung rund um Software-Programme beziehen (vgl. Abbildung 6:). Auch Vertriebsspezialisten für IT-Lösungen und Software-Entwickler werden stark gesucht. Interner IT-Support und Administra on

51

IT-Beratung, insb. ERP/SAP

38

So ware-Entwicklung

13

Marke ng und Vertrieb von IT-Lösungen

12

Hardware-Entwicklung

9

0%

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

Insgesamt werden vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht, die in der Lage sind, technische Probleme analytisch zu durchdringen und die diese Probleme in unternehmensspezifische Lösungen überführen können. Dies verlangt einen neuen Typus von Fachkräften: Die Beschäftigten müssen sowohl das technische Verständnis für die Problemanalyse mitbringen, sie müssen aber auch in der Lage sein, in Kundenprozessen zu denken, sie müssen komplexe ITProjekte managen und sie müssen sich gegen interne Widerstände in der eigenen Organisation durchsetzen. In der Regel sind dies Kompetenzen, die eine akademische Ausbildung voraussetzen, was den Markt verfügbarer Kandidaten abermals einschränkt. Noch beschäftigt die IT-Industrie allerdings viele Mitarbeiter, die ihre Qualifikationen über das duale Ausbildungswesen bzw. über entsprechende Fachqualifikationen jenseits des akademischen Sektors erworben haben (z. B. Fachinformatiker). Aufgrund der komplexer werdenden Anforderungsprofile ist nicht davon auszugehen, dass das Problem des Fachkräftemangels kurz- oder mittelfristig durch vermehrte Umschulungsmaßnahmen oder eine zunehmende Rekrutierung branchenfremder Personen bewältigt werden kann. Um einen unserer Interviewpartner zu zitieren: »Nicht jeder, der Schuhe verkauft hat, kann danach auch SAP«. Tendenziell gilt daher: Der Anteil an Mitarbeitern mit akademischer Ausbildung steigt, der Anteil an Mitarbeitern mit dualer Berufsausbil-

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dung bleibt in etwa konstant und der Anteil der Quereinsteiger ohne fachspezifische Ausbildung sinkt. Im akademischen Sektor jedoch verlassen seit Jahren zu wenig Absolventen die Hochschulen, was nicht zuletzt daran liegt, dass dem Informatikstudenten immer noch das Bild des technikverliebten »Nerds« anhaftet, wenngleich die Aufgaben in den Unternehmen nur noch in den seltensten Fällen mit dieser Vorstellung korrespondieren. Auch zeigen alle Versuche, mehr Frauen zu einem Informatikstudium zu bewegen, bislang wenig Erfolg.

Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

Wenn es also zu wenig Studien-Absolventen gibt und das Angebot offener Stellen die Nachfrage übersteigt, rückt die Frage ins Zentrum, wo die umworbenen Bewerber ihre Tätigkeit aufnehmen. Hier zeichnet sich ein interessantes Bild ab. Denn fragt man Studierende, wo sie am liebsten arbeiten würden, werden schnell die großen Namen der bekannten IT-Unternehmen wie Google, IBM oder SAP gehandelt (vgl. Abbildung 7). Ein differenziertes Bild zeichnet sich ab, wenn man mit Personalverantwortlichen aus den IT-Unternehmen spricht. Hier haben gerade Großunternehmen Schwierigkeiten, Top-Talente zu gewinnen und zu binden, weil sich die High Potentials ungern in das arbeitsorganisatorische Korsett von Konzernen einfügen und lieber bei innovativen Start-ups anheuern, nicht zuletzt, weil damit – z. B. im Fall eines Börsenganges – höhere Verdienstmöglichkeiten winken.

Google

Abbildung 7: Beliebteste Arbeitgeber für Informatik-Studierende. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an tendence Institut 2010.

20,7

IBM

13,8

SAP

12,6

Microsoft

8,7

Fraunhofer-Gesellschaft

8,5

Apple

8,3

Blizard Entertainment

7,9

Siemens

7,6

Audi

6,8

BMW Group

6,8

Bundesnachrichtendienst

5,3 Anteil der Studierenden

0%

Fraunhofer IAO

5%

10 %

15 %

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft

20 %

25 %

19


Einführung, Zielsetzung und Ausgangssituation

20

Anders stellt sich die Lage für mittelständisch geprägte Unternehmen dar, die eine gewisse Größe erreicht haben, die jedoch weit davon entfernt sind, mit den Sicherheiten und Vergünstigungen eines Großkonzerns werben zu können. Diese Unternehmen beklagen, dass die eigenen Mitarbeiter häufig zu Großkonzernen wechseln, insbesondere, wenn sie ein Lebensalter erreicht haben, in dem finanzielle Absicherung und ein sicherer Arbeitsplatz mehr wiegen als die kurzen Entscheidungswege mittelständischer Betriebe. Vieles deutet deshalb drauf hin, dass die eigentlichen Leidtragenden des Fachkräftemangels die Mehrzahl der mittelständisch geprägten IT-Unternehmen sind, die weder den Flair von Start-ups noch die Sicherheit eines Konzerns offerieren können. Es sind aber genau diese Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen ITWirtschaft bilden. Vor allem diese Unternehmen stehen im Fokus der nachfolgenden Ausführungen.

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4 Design und empirische Basis der Studie

Design und empirische Basis der Studie

Ziel der vorliegenden Studie ist es, das Bewusstsein für personalwirtschaftliche Herausforderungen und potenzielle Lösungsansätze im Umgang mit Wissen in Unternehmen zu schärfen. Im Rahmen einer empirischen Analyse der deutschen IT-Industrie wird aufgezeigt, welche Konzepte, Ansätze und Instrumente Unternehmen heute und in Zukunft nutzen, um einem potenziellen Wissensund Fachkräftemangel entgegenzuwirken, unter dem die Unternehmen schon heute leiden bzw. auf den sie im Rahmen ökonomischer und demografischer Entwicklungen zusteuern. Um dies zu erreichen, wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt. In einem ersten Schritt wurden Expertengespräche mit Vertretern von Unternehmen der IT-Wirtschaft geführt, die sich mit diesen Fragestellungen bereits intensiv beschäftigen. Auf Basis dieser Gespräche wurde ein standardisierter Fragebogen konzipiert, der an 1.900 Unternehmen der IT-Wirtschaft in ganz Deutschland versendet wurde. In die Datenauswertung konnten 203 ausgefüllte Fragebögen einfließen, was einer Rücklaufquote von 11 Prozent entspricht und im Vergleich zu ähnlichen Befragungen als eine gute Rücklaufquote gewertet werden kann. Darin spiegelt sich sicherlich das Interesse der Befragten an dem Thema wider, was auch an einer hohen persönlichen Nachfrage der befragten Personen an den Auswertungen der Studie abgelesen werden kann. Die Aussagekraft und die Qualität des Datenmaterials hängt bei Befragungen maßgeblich davon ab, wer den Fragebogen beantwortet. Im Fall dieser Untersuchung zeigt sich, dass die überwiegende Mehrzahl der Fragebögen (84 Prozent) direkt von der Geschäftsleitung oder der Leitung Personal beantwortet wurden, wobei die Leitung Personal insbesondere bei größeren Unternehmen als der kompetenteste Ansprechpartner für das Thema Fachkräftemangel einzustufen ist (vgl. Abbildung 8).

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21


gerundete Werte; n = 202

Design und empirische Basis der Studie

Geschäftsführung

Abbildung 8: Position der befragten Personen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

50

Leitung Personal

34

Sonstige

8

Personalentwicklung

5

Assistenz der Geschäftsführung

4 0%

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

87 Prozent der befragten Unternehmen beschäftigen weniger als 500 Mitarbeiter. Damit repräsentiert die Stichprobe die mittelständische Branchenstruktur der IT-Wirtschaft. Lediglich acht Prozent der Unternehmen beschäftigen mehr als 1.000 Mitarbeiter (vgl. Abbildung 9).

Abbildung 9: Anzahl der Mitarbeiter in den befragten Unternehmen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

gerundete Werte; n = 203

> 1000

8

501-1000

5

251-500

12

101-250

25

51-100

35

< 50

15 0%

5%

10 %

15 %

20 %

25 %

30 %

35 %

40 %

Die IT-Wirtschaft differenziert sich in verschiedene Schwerpunkte und Kernkompetenzen der Unternehmen. Der Schwerpunkt IT-Beratung wird in 61 Prozent der befragten Unternehmen als Kernkompetenz angegeben. Bemerkenswert ist es, dass gerade bei Anwendern 38 Prozent der Unternehmen ITSpezialisten in diesem Arbeitsbereich suchen (BITKOM 2010c: 5). Weitere Schwerpunkte der befragten Unternehmen der vorliegenden Studie liegen im IT-Projektmanagement, der Software-Entwicklung sowie dem Vertrieb von ITLösungen (vgl. Abbildung 10). Unter Hinzuziehung einer BITKOM-Studie wird deutlich, dass gerade im Arbeitsbereich der IT-Anbieter 81 Prozent der Unternehmen Software-Entwickler suchen. Die Unternehmen, die in der vorliegen-

22

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Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft


den Studie befragt wurden, bilden also insbesondere den Teil der IT-Wirtschaft ab, der einen hohen Fachkräftebedarf zu verzeichnen hat (vgl. Kapitel 3.3).

70 %

Abbildung 10: Schwerpunkte und Kernkompetenzen der befragten Unternehmen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

gerundete Werte; n = 203 Mehrfachnennungen möglich

61

60 %

49

50 %

41 35

40 % 30 %

22

20 %

19 10

10 %

Design und empirische Basis der Studie

15 6 Sonstige

Marketing von ITLösungen

ntwicklung/Herstellun gvon IT-Geräten/Systemen

IT-Administration

IT-Management

Vertrieb von ITLösungen

Software-Entwicklung

T-Projektmanagement

IT-Beratung

0%

Der demografische Wandel in Deutschland lässt bereits jetzt Veränderungen der Altersstruktur erkennen, und diese Altersverschiebung wird auch in der ITBranche nicht unbemerkt bleiben. Das junge New-Economy-Zeitalter in der ITWirtschaft verschiebt sich langsam aber sicher aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch aufgrund des Fachkräftemangels und fehlender Hochschulabsolventen in Richtung eines immer höheren Durchschnittsalters der Belegschaft. Auch in den befragten Unternehmen zeigt sich diese Altersverschiebung deutlich: während der Median der Beschäftigten heute bei 36-40 Jahren liegt, wird er in zehn Jahren bei 41-45 Jahren liegen (vgl. Abbildung 11). Die Veränderungen in der Altersstruktur lassen sich zwar nicht aufhalten, aber es lässt sich erlernen, damit umzugehen: So muss der Fokus auf die Personalentwicklung insbesondere auf jene Mitarbeiter gelegt werden, die das 40. Lebensjahr überschritten haben.

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Design und empirische Basis der Studie Abbildung 11: Durchschnittsalter der ITFachkräfte heute und in 10 Jahren. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

heute

gerundete Werte; n= 201

in 10 Jahren

45 %

40

40 %

38 36

Dominierende Altersgruppe (Median) heute: 36–40 Jahre in 10 Jahren: 41–45 Jahre

33

35 % 30 % 25 %

18

20 %

16 15 % 10 %

7

6 5%

4

2

0%

< 30

3 0

31-35

36-40

41-45

46-50

< 51

Laut den Aussagen der befragten Unternehmen gibt es bereits ein wachsendes Bewusstsein für diese Problematik. Für die nächsten fünf Jahre erwarten 87 Prozent der Unternehmen daher einen deutlichen Anstieg der Investitionen in Wissens- und Kompetenzsicherung, der mindestens fünf Prozent der heutigen Ausgaben beträgt (vgl. Kapitel 6.4).

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5 Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Wie bereits in den einleitenden Passagen deutlich wurde, handelt es sich bei der IT-Wirtschaft um einen wissensorientierten und wissensgetriebenen Bereich, der durch beschleunigte Innovationszyklen charakterisiert ist. Nicht umsonst heißt es, dass ein Jahr in der IT-Industrie sieben Jahren in anderen Branchen entspricht. Wenngleich diese Aussage durch die zunehmende Diffusion von IT-Technologie an Trennschärfe verloren hat, kann doch festgehalten werden, dass die Notwendigkeit zum permanenten Aufbau neuen Wissens und neuer Kompetenzen in der IT-Wirtschaft besonders ausgeprägt ist. Insofern gibt es wenige Branchen, in denen das Wissen und die Kompetenz der Mitarbeiter einen vergleichbar hohen Wert für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen darstellen. Unterstützt wird dies durch einen rapiden Preisverfall im Hardware-Bereich. Wenn jedoch immer weniger Kapital und Wertschöpfung in physischen Komponenten gebunden ist, muss dies durch höhere Wertschöpfung und eine höhere Kapitalbindung im Umfeld von Wissen um IT-Prozesse, Infrastrukturen und kundenindividuelle Lösungen kompensiert werden. So führt der Trend »weg vom Blech« – wie dies ein IT-Manager im Rahmen eines Pilot-Interviews formulierte – nicht nur zu anderen Wertschöpfungs-, sondern auch zu anderen Akquise-Strategien. Da mit Hardware und Standardsoftware in Deutschland und Westeuropa kaum noch Geld zu verdienen ist, sind IT-Unternehmen im Akquisitionsprozess zunehmend gefordert, das spezifische Wissen und die Kompetenz ihrer Beschäftigten in den Vordergrund zu rücken. Die Kunst liegt darin, Leistungen zu offerieren, bei denen für den Kunden deutlich wird, dass im Hintergrund hochqualifizierte Beschäftigte am Werk sind, die einen kundenspezifischen Mehrwert erbringen. Insofern gilt einmal mehr, dass Wissen und Kompetenzen für die ITUnternehmen nicht nur notwendige Ressourcen sind, sondern Wissen und Kompetenzen sind vermehrt selbst Produkte, die im Zentrum der Leistungserstellung stehen. Vor diesem Hintergrund ist der Verlust von Wissen und Kompetenzen nicht nur als Herausforderung, sondern in vielen Fällen als wirtschaftliche Bedrohung für die Unternehmen zu interpretieren. Die nachfolgend präsentierten Ergebnisse unterstreichen diese These und lassen erkennen, worin Ursachen für einen beschleunigten Wissens- und Kompetenzverlust zu suchen sind.

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Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

5.1

Ursachen für Wissens- und Kompetenzverlust

Wir wollten von den befragten Unternehmen zunächst wissen, wo die Gründe für den Verlust von Wissen und Kompetenzen zu suchen sind. Um eine stärkere Differenzierung und Trendanalyse zu ermöglichen, wurde gefragt, worin die Unternehmen heute Ursachen und Gründe für den Wissensverlust sehen und wie sie die künftige Entwicklung einschätzen. Dabei wurde der Zeitraum für die zukünftige Betrachtung nicht weiter spezifiziert. Im Vergleich mit anderen Branchen zeigt sich jedoch, dass Geschäftsführer und Personalmanager von ITUnternehmen relativ geringe Planungshorizonte haben, die sich auf 2 bis maximal 5 Jahre beschränken. Abbildung 12 zeigt, wo die Unternehmen künftig die größten Ursachen für den Verlust von Know-how und fachspezifischem Wissen ausmachen. Weil zu erwartende Ereignisse und Entwicklungen noch Spielräume für Handlungsoptionen im Hier und Jetzt belassen, sind diese Aussagen von besonderem Interesse. Bei der Ergebnisbetrachtung fällt auf, dass weit über die Hälfte der Unternehmen (64 Prozent) erwarten, dass Wissen und Kompetenzen künftig verloren gehen, weil die Beschäftigten häufiger das Unternehmen aus Karrieregründen verlassen. Besonders betroffen sind klein- und mittelständische Unternehmen, die oftmals nicht die Gehälter von Großunternehmen zahlen und auch nicht mit den entsprechenden Sicherheiten aufwiegen können. Unterstützt wird der Ausstieg von Mitarbeitern aus Karrieregründen durch ein gezieltes Abwerben von IT-Fachkräften durch andere, vorzugsweise Großunternehmen. Und dies trifft nicht erst in der Zukunft, sondern schon heute zu. So geben 52 Prozent der befragten Unternehmen an, dass bereits heute Wissens- und Kompetenzverlust durch den Ausstieg von Mitarbeitern aus Karrieregründen erfolgt.

Abbildung 12: Gründe für den künftigen Verlust von Wissen und Kompetenzen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

kumulierte Werte für die Angaben „trifft zu“ und „trifft voll zu“; gerundete Werte; n = 205

64

Ausstieg aus Karrieregründen

42

Altersbedingtes Ausscheiden

35

Elternzeit/Familienphase

18

Pflegebedürftigkeit Angehöriger

16

Erkrankung der Mitarbeiter

Interne Wechsel 0%

26

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11 10 %

20 %

30 %

40 %

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft

50 %

60 %

70 %


Andere Ursachen, die den künftigen Wissens- und Kompetenzverlust bedingen, werden von den Unternehmen zurückhaltender bewertet, sind jedoch gleichwohl als ernstzunehmende Einflussfaktoren zu betrachten. So sagen 42 Prozent der Befragten, dass das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitern künftig ein wichtiger Grund für den Wissensverlust darstellt. Hier ist zu bedenken, dass die IT-Wirtschaft nach wie vor ein vergleichsweises geringes Durchschnittsalter der Beschäftigten aufweist. Es ist deshalb naheliegend, dass es vor allem personengebundenes Spezialwissen ist, welches mit dem Ruhestand einzelner Personen verloren zu gehen droht. So gibt es zum Beispiel Unternehmen, die nur noch über wenige ältere Beschäftigte verfügen, die sich mit der Programmierung von Großrechner-Systemen auskennen, während jüngere Mitarbeiter hier nur rudimentäre Kenntnisse aufweisen, weil die Technologien in der Vergangenheit an Bedeutung verloren hat. Gleichwohl aber ist dieses Wissen für den Betrieb nach wie vor erforderlich. Ein altersbedingtes Ausscheiden der entsprechenden Mitarbeiter würde zu unwiederbringlichen Wissensverlusten führen.

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Ursachen, die vor allem im persönlichen Umfeld der Beschäftigten zu verorten sind, wie z. B. die Wahrnehmung von Eltern- und Erziehungsurlaub oder die Pflege von Angehörigen, werden zwar zurückhaltender bewertet, jedoch muss man die Steigerungsraten zwischen der gegenwärtigen und der künftigen Erwartungshaltung berücksichtigen. So geben heute 84 Prozent der Befragten an, dass die Pflege von Angehörigen heute kein wesentlicher Grund für Wissens- und Kompetenzabfluss im Unternehmen ist. Dass dies auch künftig kein Problem darstellt, erwarten hingegen nur 57 Prozent der Befragten. Dass künftig vermehrt Wissen und Kompetenz verlorengehen, weil Mitarbeiter erkranken, erwarten 16 Prozent der Befragten; wobei in Anbetracht des demografischen Wandels überraschenderweise kaum Veränderungen zwischen der heutigen und der künftigen Einschätzung auszumachen sind. Gleiches gilt für die Ursache »Interne Wechsel«, die lediglich Zustimmungsraten in Höhe von gut 10 Prozent erreicht. Neben den Ursachen für einen Verlust von Wissen und Kompetenz im Unternehmen war für die vorliegende Studie der aktuelle Handlungsbedarf zum Umgang mit strategisch relevantem Erfahrungswissen in den Unternehmen von Interesse. Dabei ist hervorzuheben, dass die Unternehmen den Handlungsbedarf für den Aufbau neuen Wissens deutlich höher einschätzen (77 Prozent Zustimmung), als den Umgang mit dem Verlust bestehenden Wissens (53 Prozent Zustimmung) (vgl. Abbildung 13:).

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kumulierte Werte der Angaben „eher hoch“ und „hoch“; gerundete Werte; n = 205

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung Abbildung 13: Handlungsbedarf zur Sicherung von Wissen und Kompetenzen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

77

Wissensaufbau

68

Wissensaustausch

62

Wissensdokumentation

53

Wissens- und Kompetenzverlust

0%

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

70 %

80 %

90 %

Auch die Kategorie »Stärkung des Wissensaustausches« (67 Prozent Zustimmung) sowie der Aspekt der systematischen Dokumentation bestehenden Wissens (62 Prozent) erhalten höhere Zustimmungswerte. Diese Ergebnisse unterstreichen die Innovationsgeschwindigkeit in der IT-Wirtschaft und den damit verbundenen Druck, kontinuierlich Know-how und Kompetenz für neue Technologien aufzubauen und dieses Wissen im Unternehmen diffundieren zu lassen.

28

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5.2

Auswirkungen des Wissens- und Kompetenzverlustes

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Nachdem in Kapitel 5.1 die Ursachen eines drohenden Wissens- und Kompetenzverlustes erörtert wurden, interessieren im folgenden Abschnitt die Auswirkungen, die damit einhergehen. Abbildung 14 zeigt, wie Unternehmen heute und künftig die Auswirkungen des Wissens- und Know-how-Verlustes bewerten. Bereits heute sagen 45 Prozent der Befragten, dass fehlendes Wissen bzw. fehlende Fachkräfte zu einer Überlastung des bestehenden Personals führen. Für die Zukunft steigt dieser Zustimmungswert auf 52 Prozent. Bemerkenswert ist, dass heute annähernd 26 Prozent angeben, Aufträge könnten nicht angenommen werden, weil das Unternehmen nicht über ausreichend Fachexpertise verfüge; für die Zukunft steigt dieser Wert sogar auf 36 Prozent. Diese Zahlen geben Anlass zur Besorgnis. Sie bergen einerseits das Risiko einer Überbelastung des bestehenden Personals. Damit laufen die Unternehmen Gefahr in eine Art Teufelskreis zu geraten: Eine zu geringe Anzahl an Fachkräften führt zu einer Überlastung vorhandener Fachkräfte, was wiederum zu Unzufriedenheit oder krankheitsbedingten Ausfällen führen kann, was das Fachkräfte-Problem abermals verstärkt. Zugleich bleibt die IT-Wirtschaft unter ihren Möglichkeiten, wenn über ein Viertel der Unternehmen angeben, dass Aufträge abgelehnt werden müssen, weil man nicht über ausreichend qualifiziertes Personal verfügt.

zukünftig

heute

kumulierte Werte der Angaben „trifft zu“ und „trifft voll zu“; gerundete Werte; n = 205

52

Mitarbeiterüberlastung

45

Abbildung 14: Auswirkungen von Wissensund Kompetenzverlust. Quelle: Fraunhofer IAO 2011

36

Aufträge nicht annehmen

26 17

Projekte nicht zu Ende führen

9 16

Kundenabwanderung

8 0%

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

In Abbildung 15 werfen wir einen genaueren Blick auf das Problem der Mitarbeiterüberlastung. Dazu haben wir das Durchschnittsalter der Belegschaft in den befragten Unternehmen in Verbindung mit der Einschätzung zur Mitarbeiterüberlastung gesetzt. Dabei zeigt sich, dass das Durchschnittsalter einen Einfluss auf das Antwortverhalten ausübt. Unternehmen, deren Durchschnittsalter bereits heute über 40 Jahre liegt, schätzen das Problem der Mitarbeiterüberlastung geringer ein als Unternehmen mit einem jüngeren Altersdurchschnitt. Die Ursache hierfür könnte mit der Unternehmensgröße zusammenhängen, da das

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Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Durchschnittsalter in größeren Unternehmen in der Regel höher ist als in kleineren Betrieben. Möglicherweise puffern große Unternehmen mit hierarchischen Strukturen ihre Beschäftigten besser gegen Überlastungen ab.

Abbildung 15: Mitarbeiterüberlastung nach Durchschnittsalter. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

kumulierte Werte der Angaben „eher hoch“ und „hoch“; gerundete Werte; n = 201

zukünftig

heute 60

bis 35 Jahre

46

56 36-40 Jahre

56

37 über 40 Jahre

30 0%

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

70 %

Die bisherigen Aussagen lassen darauf schließen, dass Engpässe bei den weichen Faktoren »Wissen« und »Know-how« zu harten betriebswirtschaftlichen Auswirkungen führen. Abbildung 16 gibt Aufschluss darüber, wie hoch die Unternehmen den Umsatzverlust schätzen, der schon heute durch den Wissens- und Know-how-Mangel verursacht wird. Im Schnitt beläuft sich dies auf 8,5 Prozent, wobei die Varianz der Antworten erheblich ist. So finden sich einzelne Unternehmen, die angeben, mehr als 30 Prozent Umsatzverlust zu erleiden, weil sie aufgrund des Fachkräftemangels nicht alle Aufträge realisieren können.

Abbildung 16: Geschätzter Umsatzverlust durch Wissens- und Kompetenzverlust. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

gerundete Werte; n = 164

1% 6%

geschätzter Umsatzverlust durch Wissens- und Kompetenzverlust 2010

14%

17%

0-1% 1,1-5% 5,1-10% 10,1-20% 20,1-30%

24%

30

Fraunhofer IAO

38%

>30%

Mittelwert:

8,54%

Maximum:

40%

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft


Mit den bisherigen Ergebnissen konnte herausgearbeitet werden, dass die ökonomischen und personalwirtschaftlichen Auswirkungen des Wissens- und Kompetenzverlustes für die Unternehmen der IT-Wirtschaft gravierend sind und sich sogar – sofern nichts geschieht – zu einer Wachstums- und Innovationsbremse entwickeln können. Bevor wir im nächsten Kapitel der Frage nachgehen, welche Instrumente und Maßnahmen die Unternehmen nutzen, um dem Wissens- und Know-how-Verlust vorzubeugen, werfen wir noch einen Blick auf unterschiedliche Strategien im Umgang mit Wissen. Solche Strategien interessieren deshalb, weil es verschiedene Möglichkeiten gibt, Fachwissen im Unternehmen verfügbar zu machen bzw. wissensbasierte Herausforderungen anzugehen.

Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

So kann ein Ansatz darin bestehen, das verfügbare Wissen zu hegen und zu pflegen und es weiterzuentwickeln, was an dieser Stelle als »Nachhaltigkeitsstrategie« bezeichnet wird. Eine andere Stoßrichtung kann darin bestehen, das Wissen und die Kompetenz über Rekrutierung gezielt in das Unternehmen hineinzuholen, was hier als »Rekrutierungsstrategie« bezeichnet wird. Eine weitere Möglichkeit, Wissens- und Kompetenzherausforderungen anzugehen, kann in einem verstärkten Outsourcing von Teilleistungen bestehen, was bis in die wissensintensiven Kernprozesse der Organisation reichen kann. In diesem Fall wird das fehlende Wissen auf dem Markt hinzugekauft, was in der vorliegenden Studie die Bezeichnung »Make-or-Buy«-Strategie erhält. Und schließlich kann eine »Up-or-Out«-Strategie gefahren werden, die sich dadurch auszeichnet, dass Unternehmen Mitarbeiter aktiv unterstützen, alternative Jobangebote anzunehmen, wenn die Möglichkeit zum Aufstieg in der eigenen Unternehmenshierarchie begrenzt ist. Dieses Modell wird erfahrungsgemäß von Beratungsgesellschaften praktiziert, die sich oft ein Netzwerk schaffen, welches für spätere Akquise-Aktivitäten genutzt werden kann.

Mittelwerte auf einer fünfstufigen Skala von 1 = „stimme nicht zu“ bis 5 = „stimme voll zu“; n = 202

Nachhaltigkeit

4,0

Rekrutierung

3,3

Make-or-Buy

2,3

Up-or-Out

1,9

1

Fraunhofer IAO

Abbildung 17: Strategien im Umgang mit Wissens- und Kompetenzerhalt im Unternehmen. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

2

3

Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft

4

5

31


Wissens- und Kompetenzverlust als Herausforderung

Die Befragungsergebnisse (vgl. Abbildung 17) zeigen, dass sich die überwiegende Mehrheit der Unternehmen mit einer Nachhaltigkeitsstrategie identifiziert (Mittelwert 4,0). Offenbar haben die Unternehmen bereits eine hohe Sensibilität für die Wertschätzung und Pflege der Ressource »Wissen« entwickelt. Man ist grundsätzlich bestrebt, qualifizierte Mitarbeiter zu halten und diese weiterzuentwickeln. Dem entspricht, dass eine »Up-or-Out«-Strategie von den wenigsten Unternehmen praktiziert wird. Hier haben nur sieben Prozent der befragten Unternehmen »stimme eher zu« oder »stimme zu« angegeben. Der Mittelwert fällt mit 1,9 entsprechend gering aus. Ein differenziertes Bild zeigen die Ergebnisse im Hinblick auf das Praktizieren einer »Rekrutierungsstrategie« und einer »Make-or-Buy«-Strategie. Während viele Unternehmen angeben, Wissen über das gezielte Anwerben entsprechenden Personals zuzukaufen (Mittelwert 3,3), erzielt die Zustimmung zur Praktizierung einer »Make-or-Buy« Strategie deutlich geringere Werte (Mittelwert 2,3). In einem weiteren Schritt wurde geprüft, ob die unterschiedlich praktizierten Strategien – die natürlich in der Praxis bis zu einem gewissen Grad auch parallel angewandt werden – in Verbindung mit dem Unternehmenserfolg stehen. Als erfolgreich werden Unternehmen gewertet, deren Gewinn im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 gesteigert werden konnte. Dabei ergeben sich jedoch nur in Bezug auf die Nachhaltigkeitsstrategie größere Zusammenhänge (vgl. Abbildung 18).

Abbildung 18: Anwendung der Nachhaltigkeitsstrategie nach Unternehmenserfolg. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

kumulierte Werte der Angaben „hohe Zustimmung“ und „sehr hohe Zustimmung“; n = 196

42% 58%

erfolgreiche Unternehmen

weniger erfolgreiche Unternehmen

So wird die Nachhaltigkeitsstrategie überwiegend von den erfolgreichen Unternehmen praktiziert (58 Prozent im Vergleich zu 42 Prozent der weniger erfolgreichen Unternehmen).

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6 Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

Vor dem Hintergrund eines strukturell bedingten Fachkräftemangels in der ITKBranche, der sich zukünftig durch die Folgen des demografischen Wandels weiter zuspitzen wird, steuern viele Unternehmen einer unsicheren Personalsituation entgegen. Von ihrem Selbstverständnis her »junge« Belegschaften der ITK-Unternehmen altern, altersbedingte Abgänge lassen sich nicht mehr nur durch Nachwuchskräfte kompensieren. Besonders schwierig wird es für diejenigen Unternehmen, die noch keine demografiegerechten Personalentwicklungsstrategien entwickelt haben (vgl. Schnalzer, Schletz, Buck 2011). In der ITK-Branche sind traditionell die Innovationsstrategien und Veränderungsprojekte auf jüngere Mitarbeiter ausgerichtet, da das Durchschnittsalter der Mitarbeiter über die gesamte Branche hinweg deutlich unter dem anderer Branchen liegt. Dabei geraten die Unternehmen in die Gefahr, dass die bei älteren IT-Fachkräften vorhandenen Erfahrungen und Kompetenzen nicht oder nur teilweise eingebracht werden und dass ohne systematische Sicherung der Verlust dieser Erfahrungen und des Wissens erfahrener Mitarbeiter droht. Zukünftig werden, neben anderen Handlungsfeldern einer demografiefesten Personalpolitik, verstärkt Maßnahmen zur Sicherung strategischen Wissens erfahrener Berufspraktiker eingesetzt werden müssen, um die Basis für Unternehmenserfolg und Innovationen zu erhalten. Angesichts dieser strukturellen Rahmenbedingungen, denen die gesamte Branche ausgesetzt ist, müssen sich das Selbstverständnis, die verfolgten Strategien und die eingesetzten Methoden und Werkzeuge der Personal- und Organisationsentwicklung in den Unternehmen der ITK-Branche weiterentwickeln. Nur wenn die Unternehmen sich diesen veränderten Entwicklungen mit für ihre spezifischen Markt- und Mitarbeiterstrukturen angemessenen Konzepten und Instrumenten stellen, haben sie eine Chance, auch langfristig den Folgen des demografischen Wandels begegnen und sich am Markt behaupten zu können. Im demografischen Wandel müssen Unternehmen also mehrfache Herausforderungen meistern: x x x

Die Rekrutierung von knapper werdendem qualifiziertem Nachwuchs. Die Weiterentwicklung der personellen und organisatorischen Leistungsfähigkeit bei einem steigenden Anteil älterer Mitarbeiter/innen. Die Sicherung strategischen Wissens trotz des verrentungsbedingten Ausscheidens größerer Gruppen.

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Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

6.1

Mitarbeiterbezogene Maßnahmen und Instrumente

Wenn langjährige Mitarbeiter sich beruflich neu orientieren oder in Ruhestand gehen, verliert das Unternehmen wertvolles Know-how. Für die Bearbeitung wichtiger Aufgaben fehlt dann oft das notwendige Hintergrundwissen, Kontakte zu Kunden verwaisen und vorhandene Dokumentationen können von niemandem so recht entschlüsselt werden. Solche Wissenslücken sind nachträglich nur mit hohem Aufwand wieder zu schließen. Zur Sicherung von Erfahrungswissen können Methoden eingesetzt werden, die kontinuierlich im Arbeitsprozess genutzt werden und eine gute Transparenz über vorhandene Erfahrungen bieten; sie können punktuell beim Ausscheiden von Mitarbeitern genutzt werden oder, wenn nötig, auch nach dem Ausscheiden von Mitarbeitern quasi rückwirkend eingesetzt werden. Allerdings müssen auch die Grenzen der Sicherung von Erfahrungen berücksichtigt werden. Wissen ist immer personengebunden. Für die Vermittlung von Erfahrungen eignen sich daher vor allem Methoden, die die direkte Kommunikation zwischen Individuen betonen. Die Expertise, die Mitarbeiter sich über lange Jahre angeeignet haben, lässt sich nicht in einem technokratischen Sinne transferieren. Dokumentationen, sofern sie denn überhaupt angefertigt worden sind, können zwar an die Nachfolge übergeben werden. Ohne einen gemeinsam geteilten Erfahrungshintergrund (der sich zum Beispiel in identischen Ablagesystemen oder einer gemeinsamen Nomenklatur äußert) ist der Inhalt einer Dokumentation aber oft nur schwer nachvollziehbar. Eine »geistige Enteignung von Experten« ist weder machbar noch gewollt. Der Versuch, Erfahrungswissen den Nachfolgern zugänglich zu machen, entspringt nicht nur der Absicht, dem Unternehmen Know-how zu erhalten, sondern er ist auch ein Zeichen der persönlichen Wertschätzung: Der Expertenstatus eines Mitarbeiters wird dadurch betont und gewürdigt (vgl. Fraunhofer-Gesellschaft 2007).

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Einen Überblick über alle abgefragten mitarbeiterbezogenen Instrumente zum Wissens- und Kompetenzerhalt innerhalb der vorliegenden Studie bietet folgende Darstellung:

zukünftig

heute

kumulierte Werte der Angaben „eher hoch“ und „hoch“; gerundete Werte; n = 177

84

Stärkung des informellen Wissensaustauschs

63

49 73

Systematische Übergabeinstrumente

38 71

Lebensphasenorientierung

0%

Abbildung 19: Bedeutung von mitarbeiterbezogenen Instrumenten heute und zukünftig. Quelle: Fraunhofer IAO 2011

72

Tandemmodelle

Erfahrungsdialoge

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

34 51 23 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 %

Ein kontinuierliches Instrument zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen in den Unternehmen ist die Stärkung des informellen Wissensaustauschs. Dies kann im Unternehmen durch die Förderung einer offenen Wissenskultur, z. B. einer gemeinsamen Pausengestaltung (Kaffeeecken, Mittagessen) aber auch durch die Anerkennung und Wertschätzung von effektivem Wissenstransfer durch materielle und immaterielle Anreize erreicht werden. Mit diesem Thema haben sich bereits sehr viele Unternehmen auseinandergesetzt und Maßnahmen in diesem Themenfeld werden, verglichen mit allen abgefragten Instrumenten, bislang am häufigsten von Unternehmen genutzt (63 Prozent der befragten Unternehmen). Damit gehören Maßnahmen und Instrumente zur Stärkung des informellen Informationsaustauschs zu den am häufigsten eingesetzten Instrumenten zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen in Unternehmen. Auch für die Zukunft sehen die Unternehmen dafür ein weiteres Potenzial und erwarten, dass hier auch weiter investiert wird und Maßnahmen in 84 Prozent der Unternehmen umgesetzt werden. Damit setzen die Unternehmen mit der Stärkung des informellen Informationsaustauschs auch weiterhin auf diese Maßnahmen als wichtigstes Instrumentarium zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen für die Zukunft. Gegenüber den kontinuierlichen Maßnahmen zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen gibt es auch punktuelle Maßnahmen, die einmalig zur Wissensübergabe eingesetzt werden: Ein punktuelles Instrument zur Sicherung von Erfahrungswissen beim Ausscheiden von Mitarbeitern sind Tandem-Modelle, bei denen Wissensgeber oder ausscheidender Mitarbeiter und Wissensnehmer oder Nachfolger zeitlich begrenzt zusammenarbeiten, um Kompetenzen zu

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Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

transferieren und kritisches Erfahrungswissen zu sichern. Tandem-Modelle werden bereits von der Hälfte der befragten Unternehmen eingesetzt und sind damit das zweitwichtigste aktuelle Instrument, das in den befragten Unternehmen eingesetzt wird. Insbesondere erfolgreiche Unternehmen, d.h. Unternehmen, die ihren Gewinn nach dem Vorkrisenjahr 2008 noch einmal steigern konnten, nutzen zu elf Prozent mehr Tandem-Modelle, als weniger erfolgreiche Unternehmen. Zukünftig wird erwartet, dass der Einsatz noch zunimmt und Tandem-Modelle zu einem wichtigen Standardinstrument beim Ausscheiden von Mitarbeitern werden. Kontinuierliche, im Arbeitsprozess verankerte Instrumente der Erfahrungssicherung sind auch systematische Übergabeinstrumente für Erfahrungswissen, wie z. B. Experten Debriefing oder Story Telling. Mit Hilfe dieser Instrumente wird relevantes Erfahrungswissen aus abgeschlossenen Projekten oder zu erfolgskritischen Kernaufgaben kontinuierlich im Arbeitsprozess von den Experten reflektiert und in regelmäßigen Workshops an Mitarbeiter weitergegeben. Nahezu alle Unternehmen, die innerhalb der vorliegenden Studie befragt wurden, kennen kontinuierliche, systematische Übergabeinstrumente. Allerdings ist ihre Bedeutung nur in 38 Prozent der Unternehmen bislang hoch. Zukünftig sehen die Unternehmen jedoch einen starken Zuwachs der Bedeutung auf 73 Prozent, damit scheint diesen Instrumenten in Zukunft ein großes Potenzial zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen zuzukommen. Sie stehen bei den mitarbeiterbezogenen Instrumenten für die zukünftige Bewältigung der Sicherung von Erfahrungswissen an zweiter Stelle. Eine zukünftige Herausforderung liegt dabei darin, klar strukturierte und auf die Unternehmen zugeschnittene Instrumente in den Unternehmen zu entwickeln und die Mitarbeiter in dem regelmäßigen Einsatz dieser Instrumente zu schulen und zu unterstützen. Ein weiteres kontinuierliches Instrument zum optimalen Einsatz von Erfahrungen und Kompetenzen im Unternehmen ist eine lebensphasenorientierte Aufgaben-, Kompetenz- und Karriereplanung von Mitarbeitern. Die optimale Berücksichtigung von Bedürfnissen der Mitarbeiter kann z. B. in Karrieremodellen liegen, die sich einer individuellen Erwerbsbiografie anpassen. Fachkarrieren mit Expertenstatus während einer Familienphase oder Fachkarrieren mit Coaching- und Beratungsschwerpunkt während einer Seniorenphase ermöglichen, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen (z. B. zeitliche Flexibilität), die langfristige Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu sichern und dabei das Expertenwissen für das Unternehmen voll auszuschöpfen. Eine demografiefeste Personalpolitik wird sich mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen müssen, auch vor dem Hintergrund, dass in diesem Themenfeld manche Antworten noch Forschungsgegenstand sind. Entsprechend werden bislang solche Planungsinstrumente nur von 34 Prozent der befragten Unternehmen eingesetzt, was im Vergleich zu den anderen Instrumenten dem vorletzten Platz entspricht. Allerdings wird für diese Planungsinstrumente der größtmöglich Zuwachs für die Zukunft erwartet: 70 Prozent

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der Unternehmen erwarten einen Einsatz dieser Strategien in ihrem Unternehmen für die Zukunft. Dies impliziert eine Herausforderung an Forschung und Entwicklung, diese strategischen Fragestellungen einer demografiefesten Personalpolitik in den Fokus zu rücken und handhabbare Instrumente und Qualifikationen für Unternehmen zu entwickeln.

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

Eine weitere punktuelle Maßnahme beim Ausscheiden von Experten sind generationenübergreifende Erfahrungsdialoge. Sie ermöglichen Unternehmen ebenfalls die Sicherung von Erfahrungswissen, insbesondere bei kurzfristigem Ausscheiden von erfahrenen Wissensträgern. Nur eine entsprechende Kommunikation mit ausscheidenden Mitarbeitern ermöglicht dann noch eine Teilhabe an ihrem Erfahrungsschatz. Das betroffene Unternehmen erhält damit einen Überblick über das Spektrum an Wissen, welches diese Personen auszeichnet. So erreicht man Kontinuität in der Bearbeitung der Aufgabenfelder durch die Nachfolger und erhält Informationen zu wichtigen Kunden, Kooperations- und Ansprechpartnern. Wichtige Netzwerke können so bewahrt werden. Generationenübergreifende Erfahrungsdialoge können zur Unterstützung der Teilnehmer auch von unabhängigen Personen moderiert und damit in ihrer Effizienz zur Erschließung dieser wichtigen Wissensressourcen erhöht werden. Bei den befragten Unternehmen nutzen bislang nur 23 Prozent der Unternehmen solche Erfahrungsdialoge beim Ausscheiden von Mitarbeitern. Dies spiegelt sich auch in der generellen Bekanntheit dieses Instruments wider: Obwohl das Instrument 87 Prozent der Unternehmen ein Begriff ist, ist es im Rahmen dieser Untersuchung das am wenigsten bekannte mitarbeiterbezogene Instrument. Für die Zukunft wird von Seiten der Unternehmen erwartet, dass der Einsatz von Erfahrungsdialogen stark ansteigen wird und in jedem zweiten Unternehmen zum Einsatz kommen wird. Gerade weil Erfahrungsdialoge bislang wenig genutzt werden und nicht so umfassend bekannt sind, bedarf es hier einer guten Einarbeitung der Mitarbeiter und auch beratenden Einheiten im Unternehmen, wie Personalentwicklung oder Personalabteilungen, die den Einsatz und die Moderation von Erfahrungsdialogen unterstützen können.

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Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

6.2

Strategische und organisatorische Instrumente

Das implizit und explizit in einem Unternehmen vorhandene Wissen und die Kompetenzen sind weitgehend an die dort arbeitenden Menschen gebunden. Daher bedarf es, zum Erhalt des im Unternehmen verfügbaren Wissens und der Kompetenzen, dem Wissensaustausch und der Wissensgenerierung, organisatorischer Rahmenbedingungen, die eine Kommunikation der Wissensträger im Unternehmen stimulieren und fördern (vgl. Joisten, Voigt, 2005). In diesem Zusammenhang spielt die Wahl der Organisationsform für den Erhalt von Wissen und Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Aber auch die informellen Strukturen einer Organisation sind für den Wissens- und Kompetenzerhalt entscheidend: Die Art der internen Vernetzung, die in jedem Unternehmen mehr oder weniger stark besteht und vor allem durch informelle Wissensflüsse getragen wird, ist oftmals entscheidend dafür, dass auftretende Probleme effizient gelöst werden oder nicht planbare Abstimmungsprozesse durch die Eigeninitiative der betreffenden Mitarbeiter gedeckt werden können. Innovative Formen der Zusammenarbeit oder die Wahl einer geeigneten Organisationsform ermöglichen das Aufspüren von Wissen und Kompetenzen durch formellen oder informellen Kontakt in unterschiedlichen Abteilungen oder Projektgruppen und führen zu einer Vernetzung vormals separierter Wissensinseln im Unternehmen. Informelle Strukturen wie persönliche Netzwerke und Communities spielen daher eine entscheidende Rolle in einem Unternehmen (vgl. ebd.). Einen Überblick über die heutige und zukünftige Bedeutung von Maßnahmen und Instrumenten, die in Unternehmen genutzt werden, gibt die folgende Abbildung:

Abbildung 20: Bedeutung von strategischen und organisatorischen Instrumenten heute und zukünftig. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

zukünftig

heute

kumulierte Werte der Angaben „eher hoch“ und „hoch“; gerundete Werte; n = 179

79

Vernetzung in Fach-Communities

45 83

Talent-Management

43

Geschäftsprozessorientiertes Wissensmanagement

65 41 60

Dynamische Nachfolgeplanung

30 41

Altersstrukturanalyse

17 31

Alumni-Netzwerke

10 0%

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10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

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60 %

70 %

80 %

90 %


Eine organisatorische Maßnahme zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen ist die verstärkte Vernetzung von Mitarbeitern in FachCommunities. Dazu gehören Aktivitäten zur Förderung des gezielten, regelmäßigen und themenbezogenen Austauschs (z. B. durch Communities of Practice) sowie vor allem auch des abteilungsübergreifenden Austauschs. Die befragten Unternehmen bewerten diese Maßnahme als die heute wichtigste organisatorische Maßnahme zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen (45 Prozent) und sehen auch für die Zukunft ein großes Potenzial (79 Prozent) für die Einführung und den Aufbau von Maßnahmen zur Vernetzung der Mitarbeiter. Deutlich wird bei der Analyse der Ergebnisse auch, dass erfolgreiche Unternehmen diese Maßnahmen bereits deutlich häufiger nutzen (in 45 Prozent der Unternehmen) als weniger erfolgreiche Unternehmen (36 Prozent). Offensichtlich gelingt es den Unternehmen mit Wissensaustausch in fachlichen Communities besser, gute Anreize zur Weitergabe und zum weiteren Aufbau von wissensintensiven Inhalten zu erzielen.

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

Strategische personalpolitische Maßnahmen zur Sicherstellung der Besetzung kritischer Rollen und Funktionen und zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen sind auch Talent-Management oder KompetenzManagement. Zum einen liegt der Schwerpunkt der Ansätze in der Personalgewinnung und -bindung aber auch insbesondere auf der langfristigen systematischen Entwicklung von Mitarbeitern. Dieses langfristige und strategische Instrument ist für die befragten Unternehmen das entscheidende Instrument zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen für die Zukunft. Es wird von 83 Prozent der Unternehmen als wirkungsvoll eingeschätzt. Auch aktuell beschäftigt sich knapp die Hälfte der Unternehmen mit diesem Thema, insbesondere die Unternehmen, die sich schon erfolgreich auf dem Markt platzieren konnten und gute Geschäftsentwicklungen in den letzten Jahren verzeichnen. Ein solch starker Anstieg der Einführung von Ansätzen des Talent- und Kompetenzmanagements bedarf einer guten Unterstützung und fundierten Beratung bei der Auswahl und Gestaltung von Maßnahmen, die eine große Herausforderung für die Unternehmen in Zukunft darstellen. Unter geschäftsprozessorientiertem Wissensmanagement versteht man die systematische Verknüpfung von Wissensaktivitäten mit wertschöpfenden Aufgaben. Für die Verbesserung des Umgangs mit Wissen in den betrieblichen Abläufen wird zunächst ein Bereich ausgewählt, erfolgskritisches Wissen im Prozess bestimmt, der aktuelle Umgang mit Wissen im Prozess analysiert und dann Lösungsvorschläge zur Gestaltung des Umgangs mit Wissen, zur Integration in den Arbeitsablauf und zur Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen abgeleitet (Heisig 2009). Diese systematische Vorgehensweise kennen nicht alle befragten Unternehmen im Detail; deutlich weniger, als die anderen strategisch-organisatorischen Maßnahmen zum Kompetenzerhalt. Unternehmen, die in den letzten Jahren erfolgreich waren, planen aber deutlich häufiger (10 Prozent mehr) einen künftigen Einsatz dieser Maßnahmen als weniger erfolgreiche Unternehmen. Insgesamt wird auch für diese Maßnahme ein deutlicher Anstieg von heute 41 Prozent auf künftig 65 Prozent erwartet. Auch hier zeigt sich für

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die Unternehmen ein Handlungsfeld, das in den nächsten Jahren bei der Umsetzung Ressourcen binden wird. Eine weitere Maßnahme zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen ist eine systematische und auch dynamische Nachfolgeplanung innerhalb der Unternehmen. Dabei werden mit Hilfe von transparenten Analysen der zukünftigen Altersstruktur frühzeitig größere Organisationseinheiten betrachtet, um optimale Nachfolgeszenarien zu entwickeln. In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, ganze Versetzungsketten zu planen, wenn kritische Funktionen im Unternehmen in absehbarer Zeit, z. B. durch Verrentung, ausscheiden und eine Sicherstellung der optimalen Besetzung gewährleistet werden muss. Heute wird eine dynamische Nachfolgeplanung erst von ca. einem Drittel der Unternehmen geleistet, für die Zukunft erwarten sie eine Verdopplung des Einsatzes. Erkennbar ist, dass die Unternehmen, die in den letzten Jahren erfolgreich operierten, deutlich häufiger (14 Prozent mehr) langfristig und systematisch Nachfolgeplanung betrieben. Ein wesentliches Instrument, um systematische Daten über die zukünftige Altersstruktur der Beschäftigten im eigenen Unternehmen zu erhalten, ist die Altersstrukturanalyse. Meist mit Hilfe von Softwareunterstützung wird die erwartete Zusammensetzung der Belegschaft für die nächsten Jahre ermittelt unter Berücksichtigung von Faktoren wie erwartete Ausstiege, Verrentung, erwartete Neuzugänge, Verbleibe im Unternehmen usw. Dabei ermöglicht ein ausgereiftes Tool eine hohe Transparenz im Zusammenhang mit einem guten Frühwarnsystem für kommende Entwicklungen. Die Zahl der Unternehmen, die solche strategischen Analysen betreiben, ist unerwartet niedrig, es sind nur 17 Prozent. Damit ist zu erwarten, dass den Unternehmen aktuell die transparenten Daten über die zukünftige demografische Entwicklung ihrer Belegschaften fehlen und daher nicht in jedem Fall die adäquaten Entscheidungen für notwendige Maßnahmen getroffen werden können. Eventuell könnte dies die zumindest bislang bestehende relativ junge Altersstruktur der IT-Branche erklären. Da aber von den Unternehmen erwartet wird, dass das heutige Durchschnittsalter der Beschäftigten von 36-40 Jahren in zehn Jahren bei 41-45 Jahren liegen wird (vgl. Abbildung 11), entsteht hier sicherlich der Bedarf nach sicheren Prognosen und stichhaltigen Zahlen für die weitere Entwicklung. Mit nur 41 Prozent der Unternehmen, die zukünftig eine Nutzung von Altersstrukturanalysen für bedeutsam halten, ist jedoch diese Transparenz in den überwiegenden Unternehmen auch zukünftig nicht zu erwarten. Ein ursprünglich aus dem Hochschulbereich stammendes Instrument zur Vernetzung von ehemaligen Studenten sind Alumni-Netzwerke. Diese werden immer mehr auch von Organisationen und Unternehmen zum Wissens- und Kompetenzerhalt genutzt. Ziel der Netzwerke ist es, ehemalige Kollegen oder Mitarbeiter, die sich in anderen Organisationen weiterbilden und weitere Kompetenzen aufbauen, auch nach deren Austritt aus dem eigenen Unternehmen zu vernetzen. Damit soll gewährleistet werden, dass eventuell auch zukünftig auf das Wissen dieser Personen zugegriffen werden kann oder dass wichtige Impulse von diesen Personen ins eigene Unternehmen gegeben werden kön-

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nen. Bislang werden solche Netzwerke nur von zehn Prozent der befragten Unternehmen genutzt. Dazu kommt, dass Alumni-Netzwerke den bislang geringsten Bekanntheitsgrad (82 Prozent) bei Unternehmen haben, verglichen mit anderen strategisch-organisatorischen Instrumenten und Maßnahmen. Für die Zukunft planen 36 Prozent der erfolgreichen Unternehmen Alumni-Netzwerke zu nutzen, aber nur 17 Prozent der weniger erfolgreichen. Insgesamt stellen diese Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen damit anscheinend kein zentrales Element im Maßnahmenportfolio zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen dar.

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Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

6.3

Technische Instrumente

Der erfolgreiche Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen ist eine Herausforderung, die durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (Plattformen, Software & Hardware) als technische Instrumente eines flexiblen Umgangs mit Wissen und Kompetenzen unterstützt werden kann. Der Bedarf nach einer IT-Unterstützung zur Lösung von mitarbeiterbezogenen Fragestellungen, strategischen und organisatorischen Maßnahmen ist dabei hoch. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die heutige und zukünftige Bedeutung von technischen Maßnahmen und Instrumenten zum Wissens- und Kompetenzerhalt. Abbildung 21: Bedeutung von technischen Instrumenten heute und zukünftig. Quelle: Fraunhofer IAO 2011

zukünftig

heute

kumulierte Werte der Angaben „eher hoch“ und „hoch“; gerundete Werte; n = 189

78

Wissensdatenbanken

49 82

Standardisierte Dokumentation

48 73

Web 2.0 - Instrumente

43 58

Expertensysteme

39 61

Neue Lernformen

0%

22 10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

70 %

80 %

90 %

Erfahrungs- oder Wissensdatenbanken dienen der Dokumentation, Speicherung und dem Management von Erfahrungen, d. h. praxiserprobtem Wissen. Dazu gehören auch Systeme zum Management von »Lessons Learned«. Erfahrungs- oder Wissensdatenbanken haben von allen technischen Instrumenten heute die größte Bedeutung in den befragten Unternehmen (49 Prozent). Insbesondere erfolgreiche Unternehmen setzen zu 53 Prozent auf Wissens- und Erfahrungsdatenbanken zum Wissens- und Kompetenzerhalt, während weniger erfolgreiche Unternehmen dies nur zu 41 Prozent tun. Auch für die Zukunft wird Erfahrungs- oder Wissensdatenbanken ein hohes Potenzial zugeschrieben und die Unternehmen setzen zu 78 Prozent bei dem Erhalt von Wissen und Kompetenzen im Unternehmen auf dieses Instrument.

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Standardisierte Dokumentation, wie z.B. Wissenslandkarten/ -bäume, Projekt- und Kundenberichte: Mit 48 Prozent messen die befragten Unternehmen für ihre heutige Situation einer standardisierten Dokumentation eine hohe Bedeutung beim Erhalt von Wissen und Kompetenzen mit Hilfe von technischen Maßnahmen bei. 82 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass in Zukunft die technischen Abbildungen von Erfahrungen und Wissen eine wichtige Rolle beim Erhalt von Wissen und Kompetenzen haben.

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

Web 2.0 Instrumente, wie z. B. Blogs, Wikis, Semantic Tools, Social Software oder Social Media: Während bei einer Untersuchung von 2005 (Fraunhofer-Wissensmanagement Community 2005) Web 2.0 Instrumente noch weitgehend unbekannt waren und in den Unternehmen nur selten zum Einsatz kamen, nutzen 2011 bereits 43 Prozent der IT-Unternehmen diese Instrumente zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen. Dieser Siegeszug scheint sich weiterhin auszubreiten, da für die Zukunft von den Unternehmen ein weiteres Wachstum auf 73 Prozent erwartet wird. Der informelle Charakter und die starke Vermischung von Arbeits- und Lebenswelten in dieser Instrumentenkategorie scheinen ein großes Potenzial für die Unterstützung von Wissensund Kompetenzerhalt im Unternehmen zu bieten. Experten-Systeme: Experten-Systeme, wie z. B. Helpdesk-Systeme oder Diagnose-Systeme, geben Unterstützung bei der Lösung von Problemen, basierend auf unterschiedlich formalisiertem Expertenwissen. Dabei kommen Verfahren aus der künstlichen Intelligenz wie Case-Based Reasoning oder regelbasierte Schließmechanismen zur Anwendung. Von 39 Prozent der befragten Unternehmen werden Experten-Systeme bislang genutzt; damit liegen diese Instrumente im Mittelfeld der genutzten Instrumente. Der erwartete Zuwachs für die Zukunft fällt nicht ganz so hoch aus, wie bei den anderen Instrumenten. Diese Einschätzung entspricht auch früheren Bewertungen (vgl. FraunhoferWissensmanagement Community 2005), die Experten-Systemen einen relativ geringen Marktanteil attestierten. Neue Lernformen, wie z. B. Digital Game-based Learning oder ELearning: Anwendungen des E-Learnings, wie z. B. Computer Based Trainings (CBT) oder Web Based Trainings (WBT) sind integrativer Bestandteil von Wissensmanagement-Systemen, da sie die Akquise und die Entwicklung von Wissen unterstützen. Darüber hinaus passen sie sich strategisch in das Personalmanagement zur Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer ein. Neue Lernformen haben bislang in den hier befragten Unternehmen die geringste Bedeutung (22 Prozent). Allerdings wird diesen das höchste Wachstumspotenzial für die Zukunft zugeschrieben – zukünftig werden sich dreimal so viele Mitarbeiter mit neuen Lernformen weiterbilden: 61 Prozent der Unternehmen erwarten, dass künftig der Wissens- und Kompetenzerhalt durch neue Lernformen gesichert werden kann. Eine Herausforderung besteht dabei sicherlich darin, neue Lernformen speziell auch an die Lernstile und Lerngewohnheiten älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzupassen.

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Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung

6.4

Zusammenfassung

Der Einsatz von Instrumenten und Maßnahmen zum Erhalt von Wissen und Kompetenzen stellt sich aus Sicht der befragten Unternehmen folgendermaßen dar: Erst in knapp jedem zweiten Unternehmen werden heute Maßnahmen zum Kompetenzerhalt eingesetzt. Damit ist die IT-Branche aktuell noch nicht umfassend auf die sich abzeichnenden Veränderungen der Altersstruktur und die Folgen im Hinblick auf Wissens- und Kompetenzverlust vorbereitet. Betrachtet man die Maßnahmen genauer, die heute schon genutzt werden, zeigt sich, dass dem informellen Wissensaustausch und der Schaffung einer förderlichen Unternehmenskultur heute und zukünftig das größte Potenzial beim Erhalt von Wissen und Kompetenzen zugetraut wird. Bei den Maßnahmen, die im Mittelfeld liegen, sind insbesondere umfassende, strategische Maßnahmen wie Kompetenz- und Talent-Management interessant, die für die Zukunft hohe Wachstumsraten verzeichnen. Im Gegensatz zu den informellen Instrumenten bedarf die Einführung und Nutzung solcher strategischer Ansätze eine fundierte Planung und Umsetzung innerhalb der Unternehmen, für die sicherlich ein großer Unterstützungsbedarf entstehen wird. Sehr selten werden bislang systematische Altersstrukturanalysen in den Unternehmen genutzt. Da dieses Instrument auch für die Zukunft keine große Bedeutung für die Unternehmen zu haben scheint, stellt sich hier die Frage, woher die Unternehmen transparente und verlässliche Daten für die Planung weiterer Maßnahmen bekommen werden. Diese Entwicklung scheint hier eher problematisch. Insgesamt erwarten die befragten Unternehmen allerdings einen deutlichen Zuwachs an der Nutzung von Instrumenten und Maßnahmen. Daher scheinen, trotz einer ungenauen Datenlage, den Unternehmen prinzipiell die Herausforderungen klar zu sein. Dies entspricht auch den aktuellen Planungen zur Einführung von neuen Instrumenten: 36 Prozent der befragten Unternehmen planen bereits heute weitere Maßnahmen zum Wissens- und Kompetenzerhalt. Zwei Drittel der geplanten Maßnahmen zielen auf die Einführung technischer Instrumente, wie z. B. neue Wissensdatenbanken oder Wikis, Sharepoint Lösungen oder Web 2.0 Lösungen. Auch strategische und organisatorische Maßnahmen sind von den Unternehmen in Planung, wie z. B. die Einführung von Talentmanagement und neuen Nachfolgeplanungen oder die Schaffung von neuen altersgemischten Arbeitsstrukturen. Bei mitarbeiterbezogenen Maßnahmen sind in den Unternehmen z. B. Maßnahmen zur Schaffung einer offenen Wissenskultur geplant, verbesserte Personalentwicklungskonzepte und die Einführung von Methoden zur individuellen Förderung bei der Weitergabe von Wissen.

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Anstieg über 5%

Anstieg bis 5%

Budget bleibt gleich

1%

Minderung

gerundete Werte;“ n = 195

12%

25%

Maßnahmen und Instrumente zur Know-how-Sicherung Abbildung 22: Geplante Entwicklung des Budgets für die Sicherung von Wissen und Kompetenzen in den nächsten fünf Jahren. Quelle: Fraunhofer IAO 2011.

62%

Das Bewusstsein für den Handlungsbedarf bei der Sicherung von Wissen und Kompetenzen schlägt sich auch in der Budget-Planung der Unternehmen nieder. Diese ist in den befragten Unternehmen sehr hoch: Insgesamt 87 Prozent geben an, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre ihr Budget für Wissensund Kompetenzsicherung um bis zu fünf Prozent oder sogar mehr erhöhen wollen. Lediglich ein Prozent der befragten Unternehmen will das Budget zurückschrauben (vgl. Abbildung 22). Neben der Bereitstellung von finanziellen Ressourcen in Form von Geld wird aber vor allem die sinnvolle Verknüpfung und die unternehmensspezifische Anpassung von Instrumenten und Maßnahmen zur Know-how-Sicherung ein erfolgskritischer Faktor werden.

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Beispiel einer erfolgreichen Projektes zur Erfahrungssicherung bei der DATEV eG

7 Beispiel einer erfolgreichen Projektes zur Erfahrungssicherung bei der DATEV eG Im vorherigen Kapitel wurden die Ergebnisse zur Verbreitung von Instrumenten der Sicherung von Erfahrungswissen über alle an unserer Studie beteiligten Unternehmen hinweg dargestellt. Eine kurze Darstellung eines Projektes, das im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfond (ESF) geförderten Initiative »IT-50plus« durch das Fraunhofer IAO bei der DATEV eG in Nürnberg durchgeführt wurde, zeigt exemplarisch den Einsatz hier dargestellter Methoden. Als wissensintensives Dienstleistungsunternehmen trägt der systematische Umgang mit strategischem Erfahrungswissen der Beschäftigten bei der DATEV eG maßgeblich zum Unternehmenserfolg bei. Mit der von der FraunhoferGesellschaft entwickelten und vielfach erprobten Methode »Moderierter Erfahrungstransfer« gelang es bei der DATEV eG, dass beim Ausscheiden von hochqualifizierten Fachexperten mit einmaligen Erfahrungsbeständen der Transfer dieses Wissens auf die Nachfolger sichergestellt wurde. Die FraunhoferExperten identifizierten zunächst auf Basis von Leitfäden und Mindmaps in halbtägigen Workshops das zu transferierende implizite und schon dokumentierte Wissen und legten dann Maßnahmen zur Wissensexplizierung und -weitergabe fest. Durch einen »Moderierten Erfahrungstransfer« innerhalb eines altersgemischten Teams konnten zudem unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen offengelegt, entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen vereinbart und so ein homogenes Wissensniveau im Team erreicht werden. Insgesamt zeigte sich, dass die gemeinsam erarbeiteten und geplanten Maßnahmen in den Pilotbereichen eine hohe Verbindlichkeit erzielen. Generell wurde deutlich, dass eine systematische und langfristige Planung von Übergabephasen und kontinuierliche Wissenstransfermaßnahmen im Arbeitsprozess eine effektive Lösung eines drohenden Wissensverlusts beim Ausscheiden von Mitarbeitern darstellen.

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8 Referenzen

Referenzen

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F R A U N H O F E R - I N S T I T U T F Ü R A r b eits w irts c haft un d O r g anisation I A O

Kathri n Schnal zer, Al exander Schl etz, Ber nd Bi enzei sl er, Anne- Kathri n Ra upa ch

Fachkräftemangel und Know-how-Sicherung in der IT-Wirtschaft Lösungsansätze und personalwirtschaftliche Instrumente

Die IT-Wirtschaft stellt eine Schlüsselbranche dar, die für die Innnovations- und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt von elementarer Bedeutung ist. Die hohe Innovationsdynamik und die kurze Halbwertzeit des Wissens stellen die Branche jedoch vor große Herausforderungen. Dabei wird die Gewinnung und das Binden von Fachkräften zunehmend ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen Unternehmen verstärkt Maßnahmen ergreifen, um ihre zentralen Ressourcen – Wissen und Kompetenzen – zu erhalten. Die damit verbundenen Herausforderungen und Lösungsansätze untersucht das Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem Branchenverband BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) in dieser Studie. Herausgearbeitet wurde, welche technischen, organisatorischen und mitarbeiterbezogene Konzepte, Ansätze und Instrumente die Unternehmen heute und morgen nutzen, um dem zunehmenden Wissens- und Fachkräfteabfluss entgegenzuwirken. Viele Studienergebnisse aus der IT-Wirtschaft lassen sich auch auf andere wissensintensive Branchen übertragen.

ISBN 978-3-8396-0382-6

9 783839 603826

Fraunhofer Verlag


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