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Wettstreit des Für und Wider Oder: Vom Schlechten des Guten
from Denkraum 7
WETT-BEWERB
Für und Wider des scheinbar naturgegebenen Rechts des Stärkeren. Schnelleren. Schlaueren.
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von Anja Rössel
Befinden wir uns nicht laufend in irgendeinem Wettbewerb, Wettstreit oder Wettkampf? Wollen wir nicht immer auf der Siegerseite sein? Und müssen wir uns nicht gleichzeitig ständig davor hüten, dass andere unsere Position einnehmen können?
Mal ehrlich: Macht dieser Leistungsanreiz, dieses Vergleichen und Werten nicht auch Spaß? Ist eine Topposition im Ranking nicht auch eine enorme Bestätigung des eigenen Engagements und Könnens? So ein Wettbewerb im Team, im Duell zu zweit, aber auch im Kampf mit sich selbst, schafft doch Befriedigung – selbst wenn es nicht aufs Siegertreppchen gereicht hat, der Endorphinausstoß ist garantiert. Würden uns alle Erfolge und Genüsse mühelos zufliegen so wie die gebratenen Tauben im Schlaraffenland, dann wäre das doch bald ziemlich langweilig.
Besteht nicht das ganze Leben aus Wettbewerb, beruflich wie privat, bei Sport und Spiel ebenso wie bei Ausbildung und Karriere?
Ja selbst in der Natur ist doch ein ständiges Ringen und Übertrumpfen zu beobachten, man denke nur an Charles Darwins „Survival of the Fittest“. Wobei dieses Survival allerdings hier ganz wörtlich zu nehmen ist: Der Unterlegene wird gefressen, damit der Sieger überleben kann – und möglicherweise selber wieder in der nächsten Runde den Futter-Preis darstellen muss. So weit geht es im persönlichen Wettbewerb hoffentlich nie. Schlimm nur, dass ausgerechnet die viel berufene Krone der Schöpfung am erfolgreichsten an deren Zerstörung arbeitet.
Wettbewerb, das bedeutet in der Wirtschaft durchaus die Chance für gerechte Preise. Denn das eigene Angebot muss gegen eine vergleichbare Konkurrenz bestehen können. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Ganze Berufsgruppen leben davon, diese Angebote und ihr Preis-Leistungs-Verhältnis so schmackhaft wie möglich zu gestalten. Denn der Käufer hat die Wahl. Meistens – denn Monopole und Kartelle, aber auch Schutzzölle können dieses Regulativ aushebeln, und der Kunde muss zahlen, was der Anbieter verlangt, oder verzichten. Nicht immer bestimmt der Innovativste die Richtung.
Damit kommen wir aber zu den Schattenseiten des sogenannten freien Wettbewerbs: Was, wenn einer der Marktteilnehmer falschspielt? Wenn die viel berufenen Sachzwänge – oder schlicht Gier und Machtwahn – zu unlauteren Mitteln greifen lassen? Wenn falsche Versprechen oder unhaltbare Versprechungen zur Schieflage von Angebot und Nachfrage führen? Man muss nicht gleich an den erschreckenden Diesel-Skandal denken, bei dem der Automobilabsatz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gefördert werden sollte – was ja auch jahrelang gelungen ist.
Es gibt solche Wettbewerbsverfälschungen in nahezu allen Branchen, wenn auch einige wohl besonders anfällig sind. Übrigens gibt es solche Missstände nicht nur von Anbieterseite. Erinnert sei nur an den legendären Immobilientycoon und Finanzjongleur Jürgen Schneider, der für entsprechende Millionendarlehen schon mal ein paar Tausend Quadratmeter Grundfläche oder einige zusätzliche Stockwerke seiner Bauten als sichere Sicherheiten erfand – und das Geld tatsächlich ohne weitere Nachprüfung erhielt! Frechheit siegt, die Dimension muss wohl nur groß genug sein, um jeden Wettbewerb auszuhebeln. Wobei da durchaus eine klammheimliche Freude der Nichtbetroffenen spürbar wird, auf gut bairisch ausgedrückt: „A Hund is a scho!“
So ein Hund war natürlich auch der berühmte Igel im Wettstreit mit dem Hasen. Und welcher spätere Wettbewerbshüter hätte wohl als Kind nicht zu diesem genialen stacheligen Regelbrecher gehalten und mit ihm gefiebert? Corriger la fortune nennt man elegant solche kleinen Eingriffe in den Lauf des Schicksals, und es ist doch auch erfreulich, wenn mal der arme Underdog gegen den strahlenden Sieger auftrumpfen kann. Wobei Wettkämpfe jeder Art offenbar seit jeher ein beliebtes Sujet von Märchen, Fabeln und Sagen sind. Das berühmte Paradoxon des antiken Zenon, dass der pfeilschnelle Läufer Achill nie die Schildkröte einholen könne, mag vielleicht an Hase und Igel erinnern, aber es gibt für unsere Betrachtung noch lehrreichere Beispiele. Eines der eindrucksvollsten aus der griechischen Mythologie dürfte das Urteil des Paris sein, offenbart es doch hochaktuelle Abgründe – und schreckliche Folgen: Bekanntlich soll der unschuldige Sterbliche Paris den Streit der Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite entscheiden, wer denn die Schönste von ihnen sei. Mit einer beachtlichen „Bestechungssumme“, nämlich der schönen Helena als Preis, gelingt es Aphrodite, Paris und den Apfel für sich einzunehmen. Und das hat fürchterliche Folgen, nämlich den Trojanischen Krieg, den Tod zahlloser Hel den Erfinde eine bessere Mausefalle, und ein anderer erfindet eine bessere Maus.
und die
Irrfahr ten des Odysseus.
Aus heutiger Sicht, wo das Wettrüsten der
Atommächte unser Dasein in unvorstellbarer Weise bedroht, scheint das allerdings ein eher harmloser Wettstreit. Doch wenn es um Rekorde und Superlative geht, ist scheinbar jedes Mittel recht. Man denke nur an Schneewittchen und ihre böse Stiefmutter, die, um die Schönste im ganzen Land zu werden, selbst vor perfiden Mordanschlägen nicht zurückschreckt. Doch umsonst, das unbestechliche Spieglein, Spieglein an der Wand antwortet immer noch nicht nach Wunsch.
Bis zu einem gewissen Grad lässt sich der Neid und die Wut der bösen Stiefmutter soAn der Spitze ist noch zu weit hinten!
gar nachvollziehen. Denn Schneewittchen hat einfach alles – und sie selbst keine Chance. Es ist diese Situation, die jeden Wettkampf verzerrt, Regeln hin oder her. In der Soziologie wird diese wachsende Anhäufung von Glück, Er folg, Siegen auch als Matthäus-Effekt bezeichnet. Oder mit den Worten von ABBA: „The winner takes it all!“ Hat es da überhaupt noch einen Sinn, von Wettbewerb zu sprechen? Muss man da nicht zu unlauteren Mitteln greifen? Wo bleibt sonst die Gerechtigkeit?
Ja, der Wettbewerb zeigt ein wahres Janusgesicht. Er kann vorteilhaft und gewinnbringend sein – und das nicht nur für den Sieger. Aber ebenso kann er schädlich, sogar zerstörerisch wirken, und auch das nicht nur für den Verlierer. Kein Zweifel, Wettbewerb herrscht überall in unserem Leben, und wir müssen darauf schauen, dass er uns nicht beherrscht. //
Um die Wette... Brautrennen in Bangkok, Thailand. Insgesamt 300 Paare nahmen 2018 teil, in der Hoffnung, ein Hochzeitspaket im Wert von etwa 55.000 € zu gewinnen. (S. 8) Das Red Bull Seifenkistenrennen zu London, ein Eldorado für die Furchtlosen, für Spaßvögel und Narren in selbstgebauten Vehikeln. (S. 9 und S. 10 oben) Dragon boat race, Shau Kei Wan, Hong Kong. Die prächtig gestalteten Paddelboote haben eine Jahrtausende alte Tradition. Mittlerweile gibt es sogar in Deutschland große Drachenbootregatten. (S. 10 Mitte) Er gilt als eines der härtesten Pferderennen der Welt: Der Palio di Siena. 17 Stadtviertel treten zweimal jährlich gegeneinander an. Das erste Pferd im Ziel gewinnt – mit oder ohne Reiter. (S. 10 unten) 45. Berlin Marathon – Erfrischung am Laufkilometer 23 in einem Meer von Plastikbechern. (S. 11)