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1.3 Sicherheitslage

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5.4 Förderung

5.4 Förderung

WASSER IST DIE maßgebliche Lebensgrundlage für Mensch und Natur sowie essentieller Standortfaktor für Siedlungs-, Wirtschafts- und Entwicklungsprozesse. Die öffentliche Trinkwasserversorgung gehört zur sogenannten Kritischen Infrastruktur (KRITIS). Ein Ausfall würde zu nachhaltig wirkenden Versorgungsengpässen führen und könnte eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit hervorrufen.

Die öffentliche Wasserversorgung in Deutschland erfolgt auf einem hohen, allseits anerkannten und streng kontrollierten Qualitätsniveau. Die Basis dafür bilden gesetzliche Vorgaben, einheitliche und normierte Standards sowie ein etabliertes Überwachungs- und Kontrollsystem.

Dennoch unterliegen auch im Regelfall als verlässlich geltende Systeme bestimmten Risiken, die die Sicherheit und Prozesskontinuität gefährden können. Dies haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre deutlich werden lassen, wenn beispielsweise aufgrund extremer Dürre oder bei Hochwasserereignissen die öffentliche Trinkwasserversorgung nur durch vorausschauendes Engagement und teilweise enorme Anstrengungen der Verantwortlichen gesichert werden konnte. Der Katalog möglicher Gefahren und Gefährdungsszenarien ist vielfältig und kann je nach regionaler naturräumlicher oder infrastruktureller Spezifik unterschiedliche Risiken beinhalten. Die Veränderung der Gefährdungs- und Sicherheitslage begründet sich nicht nur in natürlichen Initialen wie (klimawandelbedingten) Naturereignissen, sondern ist unmittelbar auch von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Prozessen außerhalb des eigentlichen Wassersektors beeinflusst z. B. durch die zunehmende Digitalisierung, anthropogene Faktoren, Veränderung der Terror- oder Kriegsszenenarien. Gefährdungen können aufgrund sich wandelnder Prozesse oder Technologien mittel-/ langfristig und allmählich wirken (z. B. Klimawandel, Stoffeinträge, Eintragspfade). Sie können aber auch kurzfristig (plötzlich) und in außergewöhnlichem (extremen) Ausmaß wirksam werden z. B. extreme Dürre, Hochwasser, Stromausfall, Unfall-/Sabotageakte. Dieser Umstand erfordert eine kontinuierliche Fortschreibung von Gefährdungsabschätzungen und Risikobetrachtungen.

Im Allgemeinen werden Gefahren und Ursachen im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Sicherheit der Wasserversorgung in den Bereichen Gewinnung natürlicher Grund- und Oberflächenwasserressourcen, Aufbereitung und Verteilung von Roh- und Reinwasser klassifiziert in: natürlich bedingte Gefahren/Naturereignisse (z. B. Extremwetterereignisse), technisches und menschliches Versagen, terroristische, kriegerische Handlungen oder Sabotageakte.

Die Wasserversorgung erfolgt über weite Strecken in geschlossenen Systemen. Die dazugehörigen Anlagen wie z. B. Wasserfassungen, Förder- und Aufbereitungsanlagen, Reservoirs sowie Verteilungs- und Versorgungsleitungen sind je nach Größe des Versorgungsgebiets zentral oder dezentral strukturiert. In Abhängigkeit von technisch-infrastrukturellen Voraussetzungen wie redundanter Rohwasserquellen, Aufbereitungs- und Speicherkapazitäten und topografischer Verhältnisse ist ein Wasserversorgungssystem in unterschiedlichem Maße gefährdet.

Schäden, die aus potenziellen Gefahren resultieren können, reichen von der Verknappung der Wasserressourcen, der Beeinträchtigung der Qualität des Roh- bzw. Trinkwassers, der eingeschränkten Verteilung und verteilbaren Menge bis hin zur Beeinträchtigung von Betriebsabläufen oder dem teilweisen oder vollständigen Ausfall der Anlagen. Eine Verwundbarkeit durch Extremereignisse besteht sowohl für einzelne Komponenten als auch für das gesamte Anlagensystem.

In nahezu allen Teilbereichen ist die Funktionstüchtigkeit der Wasserversorgung von einer intakten Stromversorgung abhängig, da der Strom für Pumpen, Druckerhöhungsanlagen sowie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR-Technik) benötigt wird. Gerade deshalb stellt ein langanhaltender Stromausfall ein sehr risikoreiches Szenario dar. Auch Cyberattacken auf die elektrische Steuerung von Wasserinfrastrukturkomponenten stehen mit zunehmender Digitalisierung der Prozesse im Fokus. Ein längerer Ausfall der öffentlichen Wasserversorgung ist kein in sich geschlossener Systemkreis, sondern kann darüber hinaus zu Dominoeffekten wie z. B. dem Ausfall der öffentlichen Abwasserentsorgung, Einschränkung bei der Produktion lebenswichtiger Güter, Zunahme massiver Gefährdungspotenziale im Gesundheitswesen (Hygieneanforderungen, Seuchenschutz, Krankenhausbetrieb) führen.

Der Sicherung der Wasserversorgung dienen gesetzliche Vorschriften mit unterschiedlichen Regelungshorizonten, begleitet von Regelwerken, Fachpublikationen und Empfehlungen. Aufgrund der multifunktionalen Einsatzbereiche von Wasser, der komplexen „Produktionskette“ von Gewinnung bis Verteilung sowie der Schlüsselstellung als Kritische Infrastruktur sind die Regelungen vielschichtig und die Übergänge zu Themenbereichen wie dem Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, der Datensicherheit, der Ernährungssicherstellung oder der Brauchwasserversorgung fließend. Dies führt zu einer Diversifizierung von Rechtsgrundlagen sowie zu Zuständigkeiten verschiedener Fachressorts und zur Teilung von Vollzugsaufgaben zwischen Fach- und Verwaltungsbehörden auf allen Verwaltungsebenen.

Bei der Vielzahl regelnder Vorschriften und erläuternder Fachliteratur zeigt die Praxis, dass Unsicherheiten hinsichtlich der Zuständigkeit bis hin zu Regelungs- und Maßnahmenlücken vor allem an den Schnittstellen von Fachressorts bzw. Verantwortlichkeiten auftreten. Gleichzeitig ist die kontinuierliche Umsetzung der teilweise komplexen Sicherheitsanforderungen sowie die Weiterbildung personeller Kompetenzen auch ein kosten- und zeitintensiver Prozess, der besonders kleine kommunale Aufgabenträger vor Herausforderungen stellt.

Um die Sicherheitslage und den Handlungsbedarf beurteilen zu können, sind u. a. folgende Fragen richtungsweisend:

1) Welche Gefahren sind relevant für das vorhandene technische und infrastrukturelle Wasserversorgungssystem und wirken die

Gefahren kurz-, mittel- oder langfristig? 2) Welche Anlagenteile sind besonders systemrelevant und welches

Schadensausmaß kann durch eine (kurz-/mittel-/langfristige)

Störung derselben eintreten? 3) Welche Aufgaben zur Prüfung und Optimierung der Sicherheit der Wasserversorgung obliegen den Kommunen bzw. den Wasserversorgungsunternehmen als kommunale Erfüllungshelfer sowie den Behörden? 4) Welche Handlungsoptionen sind effizient (wirksam und wirtschaftlich) und durch wen sind die Maßnahmen umzusetzen und zu finanzieren?

Ausgangsbasis zur Beantwortung dieser Fragen und für alle weiteren Schritte der Maßnahmenplanung und -bewertung ist die Benennung, Einschätzung, Bewertung und Priorisierung von Risiken. Eine Risikoanalyse ist unverzichtbarer Bestandteil des Sicherheitsmanagements und ist sowohl auf Teilbereiche der öffentlichen Wasserversorgung (z. B. risikobasierte Probennahmeplanung) als auch auf das gesamte Anlagen- und Prozesssystem anwendbar.

Auf Grundlage des von der WHO im Jahr 2004 vorgelegten Water-Safety-Plan-Konzeptes wurde im einschlägigen DVGW-Regelwerk der Rahmen für ein risikobasiertes und prozessorientiertes Management zur kontinuierlichen, innerbetrieblichen Überprüfung und Optimierung der Versorgungssicherheit im Normalbetrieb dargestellt. Während im WSP-Konzept der Schwerpunkt auf der Einhaltung gesundheitlicher Ziele liegt, werden im DVGW-Regelwerk ergänzend auch versorgungstechnische Ziele betrachtet. Mit der DIN EN 15975-1 „Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Leitlinien für das Risiko und Krisenmanagement – Teil 1: Krisenmanagement“ (2016) und der DIN EN 15975-2 Teil 2: Risikomanagement (2013) sind die Hinweise W 1001 und W 1002 des DVGW inhaltlich konsistent als deutsche Normen adaptiert worden.

Neben dem genannten Regelwerk werden in der vorliegenden Grundsatzkonzeption unter Kapitel 4.4.2 weitergehende Erläuterungen gegeben.

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