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DIE GOETHE-UNI IST EINE TOMATE“
Herr Schleiff, wie lautet ihr Zwischenfazit nach etwas mehr als fünf Monaten als Präsident? Zugegeben, ich hätte mir den Start etwas lockerer gewünscht. Die letzten Monate waren nicht einfach, vor allem wegen Corona. Dabei stand immer im Vordergrund, dass wir diese Krise vor allem für die Studierenden gut meistern müssen. Darüber hinaus sollte auch die Forschung nicht zum Stillstand kommen. Da haben sich alle Uni-Angehörigen unglaublich flexibel und handlungsbereit gezeigt und alle Maßnahmen mitgetragen. Wir haben in dieser Zeit trotzdem einiges umgesetzt: nämlich viele unserer Strukturen auf den Prüfstand gestellt und – Stichwort Service – neue Ressortzuschnitte und Prozesse in der Verwaltung verwirklicht, unser Forschungsprofil weiterentwickelt und über 20 Millionen Euro an Landesförderung für den erfolgreichen Start in die Bewerbungsphase der neuen Exzellenzprojekte eingeworben.
Wie sieht Ihre Agenda für die kommenden sechs Jahre aus? Ganz oben steht: Wir müssen innovativ, kreativ und attraktiv in der Lehre sein. Denn wir bilden die Verantwortungsträger der Zukunft aus. Dafür
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Enrico Schleiff ist ihr neuer Präsident
Biologe Enrico Schleiff ist seit Januar neuer Präsident der Goethe-Universität. Für sechs Jahre leitet er nun Hessens größte Hochschule Hochschule. UniFRIZZ hat ihn gefragt, welche Pläne er hat, wie er mit den Studierenden zusammenarbeiten will und wann endlich wieder Campusleben
möglich sein wird. ›› Text: Daniela Halder-Ballasch
brauchen wir die richtigen Konzepte. Um attraktiv zu sein für Studierende, müssen wir uns fragen: Wie vermittele ich Wissen, und welches Wissen vermittele ich? Das ist nicht nur eine Frage der Lehre, sondern auch der Forschung. Um interessant zu sein, brauchen wir auch Spitzenforschung. Und dafür brauchen wir die richtigen Köpfe, auch internationale. Das bereichert Lehre und Forschung. Wir wollen auch gerade junge Lehrende gewinnen, denn das sind die „Wilden“ mit dem kreativen Potenzial, die Bestehendes hinterfragen. Außerdem brauchen wir mehr Serviceorientierung und mehr Internationalität. Und last but not least: Partnerschaften. Wir wollen noch enger mit Partnern wie den Max-PlanckInstituten oder Senckenberg arbeiten und mit den Universitäten in Darmstadt und Mainz mit dem Ziel, die Rhein-Main-Region noch mehr zum Wissens- und Innovationsmotor in Deutschland zu machen. Wie stellen Sie sich Ihr Verhältnis zu den Studierenden vor? Es braucht ein wechselseitiges Für- und Miteinander, wenn man eine zukunftsorientierte Lernatmosphäre schaffen möchte. Das gelingt, wenn Studierende sie aktiv mitgestalten. Ich hoffe also auf ein produktives Wechselspiel zwischen Studierenden, Lehrenden und Uni-Präsidium. Damit meine ich natürlich auch den AStA. Es ist normal, dass Präsidium und AStA zum Teil unterschiedliche Sichtweisen haben. Trotzdem tauschen wir uns beim AStA-Jour fixe kollegial aus und bringen – Stichworte: nachhaltige Campusentwicklung, studentisches Wohnen – auch gemeinsam Projekte voran, um die Uni weiterzuentwickeln.
Sie haben an Unis in Prag, Basel, Montreal, München, Kiel und Mainz studiert, promoviert und habilitiert. Wo haben Sie sich am wohlsten gefühlt? Ich kann mich da gar nicht entscheiden. Prag war der Anfang meines Studiums. Es ist eine traumhafte Stadt voll von Kultur, da habe ich mich sehr wohl gefühlt. In Mainz auch. Da habe ich als jemand, der in Ostdeutschland vor der Wiedervereinigung geboren ist, die Bundesrepublik so richtig kennengelernt und tolle Freunde gefunden, die ich heute noch habe. In Basel habe ich zum ersten Mal in meiner Diplomarbeit richtig an der Wissenschaft geschnuppert. Das hat geknistert. Montreal hat mich mit seiner multikulturellen Vielfalt beeindruckt. Mit Kiel verbinde ich privates Glück, denn da bin ich mit meiner Frau zusammengezogen und unsere Tochter kam zur Welt. München war herauszufordernd, die Zeit der ersten wissenschaftlichen Unabhängigkeit, und auch da habe ich viele Freunde gefunden. Und dann kam ich nach Frankfurt – eine wunderbare Stadt, in der so viel Potenzial steckt.
Wagen wir einen Ausblick: Corona-bedingt findet die Lehre noch immer im Wesentlichen am heimischen Computer statt. Wann kehrt das Unileben an den Campus zurück? Wir planen für das kommende Wintersemester in Präsenz. Unsere Studierenden brauchen ein positives Signal. Sie haben drei Semester hinter sich, in denen normales Campusleben nicht möglich war. Es gab zwar einige Aktivitäten wie Praktika oder Exkursionen in Präsenz. Aber es war trotzdem nicht wie ein reales Studium. Und das war für alle nicht einfach. Im Juli legen wir die Marschroute zurück zur Präsenz endgültig fest. Dann haben alle Planungssicherheit – auch Studierende, die in Frankfurt eine Bleibe suchen. Ich bin zuversichtlich, denn das Impf-Tempo ist gerade sehr hoch.
Sie sind Physiker und Biologe. Wenn die Goethe-Uni eine Pflanze wäre – welche wäre das? Eine Tomate, weil ich an Tomaten forsche. Und weil es eine Pflanze ist, die sehr stressresistent sein kann, aber auch nicht unendlich. Man muss manchmal Geduld mit ihr haben, denn ihre Früchte wachsen langsam, aber sie wächst kontinuierlich und ist schön anzusehen. Oder ein Kaktus: Der hat wunderschöne Blüten, eine sehr robuste Natur, aber auch viele Stacheln, die – im übertragenden Sinn – dazu anregen, sich mit Dingen kritisch auseinanderzusetzen. Oder eine Kletterpflanze, die unten anfängt und es bis nach ganz oben schafft.
Als Naturwissenschaftler sind Sie eigentlich am Campus Riedberg zu Hause, als Präsident am Campus Westend. Welchen Campus mögen Sie lieber und warum? Ich habe fünf Campi, die ich sehr mag. Im Westend haben wir viel Dynamik, hier bieten wir der Stadt et-
Zur Person
Enrico Schleiff studierte in den 90er Jahren Physik und kam über Umwege in der biophysikalischen Chemie schließlich zu den Feldern Zellbiologie und Botanik, wo er 2003 habilitierte. Seine Karriere an der Goethe-Uni begann 2007 als Professor für Molekulare Zellbiologie der Pflanzen. Von 2012 bis 2018 war er Vizepräsident für wissenschaftlichen Nachwuchs, Gleichstellung und akademische Infrastrukturen. Danach kehrte er zurück an seinen Fachbereich, wo als Direktor des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) fungierte. Im Juli 2020 wurde der 49-Jährige zum Präsidenten der Goethe-Uni gewählt.
was, auch architektonisch. Der Sportcampus in Ginnheim ist toll, weil er ein sehr aktiver ist. Am medizinischen Campus in Niederrad ist gerade in Corona-Zeiten viel passiert und es wurden Lösungen mitgestaltet, um diese Krise zu meistern. Am Riedberg haben wir mit den MaxPlanck-Instituten zusammen einen Forschungscampus geschaffen, der zu den zehn stärkten Standorten der Natur- und Lebenswissenschaften in Deutschland zählt. Hier werden wichtige Fragen von Raum, Zeit und Materie erforscht. Und wir haben unseren traditionellen Campus Bockenheim mit der Zentralbibliothek und unserem Partner Senckenberg. Sie sind in einem 200-Seelen-Dorf groß geworden. Was gefällt Ihnen besonders an einer Metropole wie Frankfurt? Und womit können Sie sich hier nicht anfreunden? Ich brauche die Nähe zur Natur und zum Ländlichen, um Ruhe zu finden. Deswegen wohne ich gern am Rand der Stadt. Was ich an Frankfurt liebe, ist die Kompaktheit. Ich setzte mich in die U3 und bin in 20 Minuten in der Innenstadt, wo ich die verschiedensten Kulturen treffe, viel Kultur habe, wo der Sport zuhause ist. Die Menschen hier sind herzlich, die Grüne Soße ist toll, den Apfelwein trinkt der, dem es schmeckt. Ich trinke dann doch lieber Wein.
Die Goethe-Uni
Mit 46.119 Studierenden ist sie Hessens größte Hochschule und die drittgrößte in Deutschland. 1914 wurde sie als Stiftungsuniversität gegründet, zu der sie 2008 wieder wurde. Ihre 16 Fachbereiche verteilen sich auf fünf Standorte: den Campus Westend, die „Science City Riedberg“, den Campus Niederrad mit dem Universitätsklinikum, den Sportcampus Ginnheim und den Gründungscampus Bockenheim, der in den nächsten Jahren aufgegeben wird. Die Goethe-Uni hat einige prominente Absolventen hervorgebracht: den Schwimmer Michael Gross, den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, Alt-Kanzler Helmut Kohl und Fußballtrainer Jürgen Klopp.