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INTERVIEW

Ausstellungsansicht Forrest Bess im Fridericianum Direktor Moritz Wesseler
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AUFTRITT KASSEL
Seit rund 16 Monaten leitet Moritz Wesseler als Direktor das Fridericianum in Kassel. Der 39-jährige Kunsthistoriker und Kurator war zuvor Direktor des Kölnischen Kunstvereins, wo er Präsentationen mit Künstler*innen wie Alex Da Corte, Leidy Churchman, Petrit Halilaj, Avery Singer oder Andra Ursuta realisierte. Schon mit seinen Auftaktausstellungen in Kassel von Lucas Arruda und Ron Nagle sowie der Schau von Rachel Rose sorgte er für internationale Aufmerksamkeit. Vor wenigen Tagen eröffneten sein Team und er Forrest Bess: die erste Ausstellung in Deutschland zu Leben und Werk des Künstlers seit mehr als drei Jahrzehnten. Grund genug für uns, den charismatischen Kurator zum Interview einzuladen und mit ihm über die aktuelle Ausstellung, internationalen Erfolg und die Zukunft zu sprechen.
Was ist das Besondere an der aktuellen Ausstellung des US-amerikanischen Künstlers Forrest Bess? Moritz Wesseler: Forrest Bess ist eine bemerkenswerte und ungewöhnliche Position der US-amerikanischen Nachkriegskunst und hat eine große Relevanz für den zeitgenössischen Diskurs. Anhand von mehr als 70 Werken aus institutionellen und privaten Sammlungen zeigt die Ausstellung den künstlerischen Wandel von seinen konventionel
März 2020 leren, gegenständlichen Formulierungen hin zu den sogenannten „visionären“ Malereien, die das Hauptwerk bilden. Dabei handelt es sich um ungemein anziehende, kleinformatige, abstrakte Bilder, die auf Eingebungen basieren, welche Bess an der Schwelle zwischen Wachzustand und Schlaf hatte. Neben diesen Arbeiten präsentieren wir auch ausgewählte Schriftwechsel und Dokumente, um die Biografie des Künstlers behutsam nachzuzeichnen und Hintergrundinformationen zu seinen theoretischen Ansätzen, dem Umgang mit seiner Homosexualität oder seinen Theorien zum Hermaphroditismus zu liefern. Erstmals seit 1989 stellen wir so Bess einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland vor und aktualisieren die Rezeption seines Werkes
Uns wurde berichtet: Wenn das KuratorenTeam des New Yorker MoMAs eine künstlerische Position für die nächste Ausstellung festlegt, können noch gute drei Jahre vergehen, bevor die Ausstellung eröffnet. Wann haben Sie mit der Planung für Forrest Bess begonnen? Wie entsteht eine solche Ausstellung? Moritz Wesseler: Vor etwa zehn Jahren bin ich – auch über die Rezeption seines Schaffens durch Künstler*innen wie Robert Gober, Richard Hawkins oder Amy Sillman – auf Bess aufmerksam geworden. Seither hatte ich den Wunsch, eine Ausstellung zu seinem Leben und Werk umzusetzen. Gedanklich erfolgte die Konzeption insofern schon seit längerer Zeit. Intensiv hat sich das Team des Fridericianum seit circa einem Jahr mit der Realisierung beschäftigt. So habe ich beispielsweise mit meiner Kollegin Julia Schleis über 2.000 Briefe und Unterlagen von Bess in den Archives of American Art in Washington gesichtet. Das war eine aufwändige und aufschlussreiche Arbeit, anhand derer sich zeigte, wie wichtig die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Künstlerpersönlichkeit für ein Ausstellungsprojekt sein kann. Ein weiterer zentraler Bestandteil der Vorarbeit lag in der Anfrage und Sicherung von Leihgaben sowie in der Bestimmung der Präsentationsform im Haus. Zu guter Letzt erfolgte die konkrete Umsetzung der Ausstellung inklusive der logistischen Planung, des Aufbaus, der Pressearbeit sowie der Durchführung der Begleit- und Vermittlungsveranstaltungen.
Die Ausstellung präsentiert sich mit einem umfangreichen Begleitprogramm. Worauf sind Sie besonders stolz? Moritz Wesseler: Meine Kolleg*innen und ich haben Vermittlungsangebote entwickelt, auf deren Vielfalt ich besonders stolz bin, da wir ein großes Spektrum an Alters- und Zielgruppen ansprechen können. Einerseits gibt es die Studiowerkstatt, in der jeden Samstag kleine und große Besucher*innen kostenlos verschiedene künst-
lerische Techniken erproben können, andererseits bieten wir unterschiedliche Themenführungen und buchbare Workshops für Schulklassen sowie für Erwachsene an. Darüber hinaus präsentieren wir Fachvorträge von internationalen Expert*innen, in deren Rahmen verschiedene Aspekte des Schaffens von Bess diskutiert werden, um Impulse für die kunsthistorische Forschung zu geben.
Die Ausstellung wurde durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert. Was bedeutet das? Was für Freiheiten ermöglicht das Ihnen und Ihrem Team? Finanziell unterstützt durch die Stiftung ist das wirklich frei? Moritz Wesseler: Durch die Förderung der Kulturstiftung des Bundes ist es uns möglich, das ambitionierte Vorhaben in einem Umfang zu realisieren, der neue Anstöße für die Rezeption des Künstlers setzt, dem Projekt eine noch stärkere Nachhaltigkeit verleiht und zur internationalen Sichtbarkeit der Schau sowie des Fridericianum beiträgt. Insofern sind wir der Kulturstiftung des Bundes für ihr Vertrauen ausgesprochen dankbar. Inhaltlich nimmt sie selbstverständlich keinen Einfluss auf unsere Arbeit.
Der Monopol gegenüber haben Sie gesagt, dass ein Augenmerk Ihrer Arbeit auf die weitere Einbindung der Institution in die Stadt und in die Region gelegt werden soll? Was wurde bis her realisiert? Was planen Sie für die Zukunft? Moritz Wesseler: Im Rahmen der ausstellungsunabhängigen Veranstaltungsreihe FF – Live im Fridericianum laden wir im monatlichen Turnus in

Foto von Forrest Bess, 1956
ternationale Künstler*innen zu Performances, Konzerten, Screenings und Vorträgen ein, um so weitere Facetten der aktuellen Kunstproduktion in Kassel erfahrbar zu machen. In diesem Zusammenhang besteht ein enger Austausch mit einigen Klassen der hiesigen Kunsthochschule, in denen unsere Gäste ergänzende Präsentationen und Gespräche anbieten. Zudem haben wir unsere Kommunikationsmaßnahmen erweitert und werben verstärkt in Kassel wie auch in der Region, wobei wir dezidiert die allgemeine Öffentlichkeit und nicht nur das Kunstpublikum ansprechen.
Die viel beachtete Schau der New Yorker Künstlerin Rachel Rose wird ab 13. März 2020 in der Lafayette Anticipations in Paris zu sehen sein – einem der renommiertesten Ausstellungshäuser Frankreichs. Auch für Forrest Bess hat eine europäische Metropole Interesse bekundet. Was bedeutet Ihnen das persönlich? Moritz Wesseler: Die Anfragen aus Paris und London haben mich natürlich sehr glücklich gemacht! Sie sind Ausdruck der Wertschätzung für unsere Ausstellungsprojekte und damit einhergehend für das Fridericianum. Zugleich freue ich mich über die Werbewirkung für Kassel und Hessen.
Gestatten Sie uns noch ein paar persönliche Fragen. Welche Person aus der Gegenwart würden Sie gerne treffen? Moritz Wesseler: Es gibt eine ganze Reihe von Künstler*innen, deren Praxis mich stark fasziniert und die ich insofern gerne kennenlernen würde. Je nach Persönlichkeit kann es Sinn machen, die Initiative zu ergreifen und Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Gelegentlich ist es jedoch besser, einfach abzuwarten, da Fortuna eine Leidenschaft für die schönen Künste zu haben scheint. So habe ich es schon mehrfach erleben dürfen, dass sich Wege zufällig kreuzten und sich wunderbare wie auch produktive Dialoge ergaben.
Eine Zeitkapsel beamt Sie in jede beliebige Zeitepoche. Für welche Epoche würden Sie sich entscheiden? Moritz Wesseler: Eigentlich lebe ich ganz gerne im Hier und Jetzt, wobei ich mich als (Kunst-)historiker natürlich immer auch mit der Vergangenheit befasse, die bekanntermaßen die Gegenwart prägt. Dennoch wäre es eigentlich nicht mein zentrales Anliegen, in eine andere Epoche zu reisen. Mir wäre es wichtiger, zeitsparend und klimaneutral unseren Planeten und die vielfältigen Kulturen kennenzulernen.
Haben Sie einen Lieblingsplatz in der Region? Moritz Wesseler: In Kassel habe ich eine ganze Reihe von schönen Orten entdecken können. So genieße ich regelmäßig die Anlage der Karlsaue sowie den Bergpark mit dem beeindruckenden Schloss Wilhelmshöhe. Zudem schätze ich den Vorderen Westen mit seinen zahlreichen Cafés, Restaurants und kleinen Geschäften.
Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit, wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg und freuen uns weitere Ausstellungen mit internationaler Strahlkraft.
›› www.fridericianum.org
© Kirk Hopper
