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Der Künstler als Schamane – Gregor Hiltner
Adolfo Schlosser, Ausstellungs-Installation, Galerie Buades Madrid
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Alchimisten, zum Hexer, zu einem, der, um das Unsichtbare ans Licht zu ziehen und die inneren Qualitäten der Dinge herauszustellen, bis zum Äußersten geht. Schlosser, schreibt Francisco Calvo Serralier, ist ein Bezirzer von Tieren, Schlangenbeschwörer der Kobra, die zum Klang seiner Flöte tanzt, denn er will zeigen, welcher Bewegungen und Bewegungsabläufe sie fähig ist, um zur lebenden Spirale zu werden, einer seiner bevorzugten Formen sowohl in den plastischen wie in den fotografischen Arbeiten. Es verwundert nicht, dass Schlosser sich schon früh in seinem Leben als Autodidakt mit Musik beschäftigte, selbst Instrumente entwickelte und baute und Musikstücke intuitiv komponierte. Denn Musik bewegt die Luft, die Instrumente und vor allem die Menschen, die sich zu ihren Klängen bewegen und tanzen.
„Beide, der Alchimist und der Chemiker, sind Experten für Säfte”, schreibt Francisco Calvo Serralier in seinem Einführungstext des Katalogs zur Ausstellung im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia 2006, „Experten für Drogen, für Kombinationen von Substanzen, deren Destillation unerwartete Eigenschaften der Natur ans Licht fördert. Es sind die Chemiker, die meist die therapeutischen, die heilenden Eigenschaften finden. Der große Unterschied jedoch zwischen Alchimisten und Chemikern ist die Ungeduld des ersten, der sich nicht mit dem schrittweisen Vorgehen bei der Arbeit zufrieden gibt und der, obwohl er sein ganzes Leben damit zubringen mag, die Formel für das große Ganze sucht, das Absolute, den Stein der Weisen, die Quelle des Goldes als Quelle des Lichts, die letztendliche Erleuchtung. Göttliche Ungeduld! Irrer Durst nach dem Absoluten! Geschlängelter, spiraliger Maßstab, um an die göttliche Formel zu gelangen, den geheimen Schlüssel, das letzte Geheimnis der Natur als Destillat! […] Was den Alchimisten und den Chemiker verbindet, ist die Leidenschaft, das experimentelle Pathos, doch während Letzterer Geduld und Ausdauer zum Gesetz erhebt, glüht im anderen die Leidenschaft der Maßlosigkeit. Damit meine ich nicht Raserei, sondern den Kampf gegen die Grenzen des Maßvollen. Letztendlich war es die Alchimie, die die Chemie gebar und damit die Kunst. Adolfo Schlosser befindet sich an dieser Gabelung des Wegs, wo Alchimie und Kunst sich scheiden, denn genau das ist der letzte Zufluchtsort des Glaubens an das Okkulte, und an das, was nicht zu enträtseln ist.”2
An dem Punkt, an dieser Gabelung wird Adolfo Schlosser zum Magier.
Herbert Genzmer Bogen und Pfeile, 1995, Verschiedene Hölzer, Kordel und Metall, 175 x 19 x 5 cm
Don Genaro, 1995, Faseragave, Stein und Stahlkabel, 115 x 330 x 190 cm Sammlung Helga de Alvear Projekt für die spanische Natur, 1987 Graphit auf Papier, 29,7 x 20,5 cm Sammlung des Künstlers
Hokuspokus – Künstler und Künstlerinnen als Schamanen
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen Mehr als die Tiefgelehrten wissen
Wenn sich die Welt ins freie Leben und in die Welt wird zurückbegeben
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit werden gatten
Wenn man in Märchen und Gedichten Erkennt die wahren Weltgeschichten
Dann flieht vor einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort
Novalis
Ich staune.
Staunen ist der ursprünglichste und erfreulichste Zustand als Folge einer Überraschung. Besonders gern staune ich über Künstlerinnen und Künstler und das, was sie schaffen.
Manchmal fühle ich mich wie ein Kind in einer Zaubershow. Allen Einwänden des gesunden Menschenverstandes zum Trotz will ich glauben, dass der Magier ein Kaninchen aus seinem Hut gezaubert hat, oder dass das Taschentuch, das er aus seiner Hosentasche zieht, endlos lang ist: Ich will glauben, was sich sehe.
Auch Gregor Hiltner ist ein Magier, wenn auch kein Illusionist, im Gegenteil: An der Leinwand taucht er selbst ein in eine magische Welt, die auch ihn verzaubert. Vielleicht überrascht ihn nach einigen Pinselstrichen ein LeinwandKaninchen, das für einen unbestimmten Zeitraum die Szene beherrschen wird, sich dann aber wandelt oder bestehen bleibt. Jedes noch so unscheinbare Zeichen hat das Potential, eine Hauptrolle in der Komposition zu spielen, die sich erst während des Spiels oder Malvorgangs entfaltet.
Die Themen, die Gregor Hiltner schon sehr früh interessieren, haben mit Magie zu tun. Der Glaube an Einflüsse übernatürlicher Kräfte, die Ansicht, man könnte die Außenwelt durch Wörter, Formeln, Sprüche oder bloße Gedanken beeinflussen, die Vorstellung, dass die Zukunft vorhersehbar ist und dass bestimmte Gegenstände eine heil oder schadenbringende Wirkung haben, schließlich die Überzeugung, dass bestimmte Menschen übernatürliche Kräfte haben oder Wesen mit solchen Kräften in ihren Dienst zwingen können, alle diese Eigenschaften des magischen Denkens haben nie aufgehört, in allen Religionen auch der fortschrittlichsten Gesellschaften eine große Rolle zu spielen. Mag auch der moderne rationale Homo Sapiens immer wieder versuchen, das magische Denken als kindliche Vorstufe rationalen Denkens oder als Charakteristikum atavistischer Stammeskulturen zu entmachten, seine Spuren finden sich immer und überall:
Seien Sie ehrlich: Haben Sie nicht irgendwo einen Talisman versteckt? Vermeiden Sie es, unter Leitern durchzugehen?
Gregor Hiltner hat sich auf die Suche nach den Spuren dieses Denkens begeben und sie vor allem in der Bilderwelt und den Ritualen der Religionen gefunden – in seiner eigenen monotheistisch geprägten Herkunftskultur wie in den synkretistischen Religionen, die er auf seinen Reisen nach Poly und Mikronesien, Brasilien und Kuba kennengelernt hat. Die kubanische VOODOOGottheit „Xango” ist auf einem der ausgestellten Fahnen in dieser Ausstellung zu sehen.
Diese Suchbewegung führte ihn aber zunehmend auch nach innen und zu den Quellen seines kreativen Schaffens. Sowohl seine eigenen Werke als auch die von ihm für diese Ausstellung ausgewählten Arbeiten anderer Künstler sind mit dieser Suche verbunden – die besonderen Praktiken und Motive dieser Künstler und Künstlerinnen führen direkt zum Thema dieser Ausstellung.
Die Herkunft des Wortes Schamane ist nicht eindeutig. Leitet man es aus dem Pali (Indien) her, so bedeutet „Schamane” Bettelmönch oder Asket, abgeleitet aus den tungusischen Sprachen Sibiriens bezeichnet es jemanden, der erregt, bewegt oder erhoben ist. Unabhängig davon dient die Bezeichnung im weiteren, häufig verwendeten Sinne als Sammelbegriff für ganz unterschiedliche spirituelle, religiöse, Heilern verwandte oder rituelle Spezialisten, die bei verschiedensten Ethnien weltweit als Vermittler zur Geisterwelt fungieren und denen entsprechende magische Fähigkeiten zugesprochen werden. Schamanen können mit der unsichtbaren Welt korrespondieren und dadurch – auch als Mittel der Heilung – eine Versöhnung mit den Ahnen herbeiführen oder die Zukunft voraussagen. Schamanen haben eine ausgezeichnete Verbindung zur belebten und unbelebten Welt, können Gegenstände daraus auswählen, sie aus ihrem Gebrauchskontext herauslösen, bearbeiten und mit einem besonderen Zauber befrachten.
Ob durch Überlieferung oder durch besondere Eigenschaften bzw. Talente, Schamanen genießen in jedem Fall eine Sonderstellung innerhalb einer Gemeinschaft. In Personalunion waren sie Heiler, Priester und Wahrer des kulturellen Erbes, als solche auch Zeremonienmeister und (Unterhaltungs) Künstler.
Ohne eine fest verankerte Funktion innerhalb einer Stammesgemeinschaft sind Schamanen heute eigentlich arbeitslos. Die Anwendung ihrer Fähigkeiten ist nur in einem Kontext legitimiert, in dem die Verbindung mit der Stammeskultur und religion lebendig ist. Bei heutigen Schamanen ist das nur bei wenigen der Fall.
Egal, ob als Scharlatane oder Spinner diffamiert oder als Seher oder Guru verehrt: Schamanen in der westlichen Welt sind auf jeden Fall Schamanen in der Krise.
Der Schamane des Übergangs – Joseph Beuys
Auch wenn Beuys sich selber nicht als Schamane bezeichnet hat, wies er diese Zuschreibung jedoch auch nie von sich. Sie erschien ihm in vielerlei Hinsicht sicher passender als die Bezeichnung Künstler, jedenfalls bevor er selber den Kunstbegriff erweitert hat. Der Künstler hat keine geringere Aufgabe als die Gestaltung der Zukunft, dies ist der Impuls, den der Mensch und Künstler Joseph Beuys mit seiner Kunst bei Betrachtern anregen will. In einem sehr lesenswerten Interview, das Heiner Bastian und Jeannot Simmen mit Joseph Beuys führten1, finden sich einige Stellungnahmen Beuys‘ im Zusammenhang mit der Bedeutung des Schamanismus.
Auf die Frage nach der gegenwärtigen Aktualität des Schamanischen antwortet Beuys, es komme ihm darauf an, die verlorengegangenen Kräfte des Schamanismus wieder in den heutigen Bewusstseinszusammenhang zu bringen.2 Gerade hier zeigt sich eine paradoxe Situation: Schamanen der alten Zeit konnten Bilder erzeugen, die ihnen die Götter als Schöpfer der Zukunft eingaben. Der heutige Mensch, der sich aus dieser spirituellen Abhängigkeit gelöst hat, ist darauf angewiesen, eigene Bilder für die Zukunft zu erschaffen. Da er aber, so Beuys, in einer Zeit lebt, in der das Wissen um die lebendigen Kräfte weitestgehend aus dem Kulturbewusstsein eliminiert wurde, muss es ihm gelingen, diese Kräfte wieder zu aktivieren. Die Bilder stammen also aus der Vergangenheit, sind überliefert in mythologischen Geschichten und alten Bräuchen, aus einer Zeit, in der die Wahrnehmung und Erfahrung dieser lebendigen Kräfte
Joseph Beuys © bpk/Angelika Platen, © VG-Bildkunst, Bonn 2021
1 Joseph Beuys, Zeichnungen, Tekeningen, Drawings, Ausstellungskatalog der Nationalgalerie Berlin 1979, hrsg von Heiner Bastian und Jeannot Simmen, Prestel Verlag, München 1980 2 Joseph Beuys im Interview, a.a.O., S. 36
noch im Bewusstsein war, in der der Mensch mit der Natur noch kommunizieren konnte und nicht das klassifizierende Denken und die Vorstellung seiner Überlegenheit ihm diese Kontaktmöglichkeit verschlossen hat. In diesem Sinne setzt Beuys archaische und ursprüngliche Zeichen und Praktiken ein, um die Situation der Gegenwart transparent zu machen. Dies tut er z. B. als archaischer Hirte, der imstande ist, eine besondere Verbindung mit anderen Naturwesen aufzunehmen.
In der spektakulären Aktion „I like America und America likes Me” ließ Beuys sich ganz in Filz eingewickelt 1974 vom New Yorker Flughafen in einem Krankenwagen zur Galerie René Block bringen. In einem separaten Raum wurde er zusammen mit einem amerikanischen Kojoten namens „Little John” für die Dauer von 3 Tagen und 3 Nächten eingeschlossen. In diesem Raum ordnete er täglich die neueste Ausgabe des Wall Street Journal und stapelte Filzbahnen. Außerdem war er ausgestattet mit Handschuhen, einem Spazierstock und einerTriangel, die er von Zeit zu Zeit spielte. Zu Beginn war der Kojote aggressiv und verunsichert. Aber durch die Zeit, die er mit dem Künstler verbrachte, fasste er immer mehr Zutrauen zu dem Menschen, und die Beziehung wurde inniger. Beuys legte sich auf das Strohlager, das eigentlich für den Kojoten vorgesehen war, und das Tier dagegen schlief auf den Ausgaben des Wall Street Journal. Als er sich verabschieden musste, drückte er den Kojoten an sich und verstreute anschließend das Stroh im ganzen Raum. Zum Abschluss der Aktion ließ er sich, wie bereits zu Beginn, wieder in Filz einwickeln und im Krankenwagen zum Flughafen bringen.
Eine ähnlich spektakuläre Aktion fand 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela statt. Zu Beginn der Aktion versperrte Beuys die Tür von innen. Die Besucher konnten den Vorgang nur durch die Fenster beobachten. Seinen Kopf vollständig mit Blattgold, Goldstaub und Honig bedeckt, begann er, einem toten Hasen die Bilder zu erklären: Mit dem Tier auf dem Arm, und offenbar im Zwiegespräch mit ihm, ging er von Objekt zu Objekt durch die Ausstellung. Erst nach drei Stunden wurde dem Publikum der Zutritt in die Räume gewährt. Beuys saß dabei, den Hasen auf dem Arm, mit dem Rücken zum Publikum auf einem Hocker im Eingangsbereich. Abgesehen davon, dass Beuys hier zeitkritisch den Kunstbetrieb und die Technik des Kunsterklärens persifliert, erscheinen die Akteure der Performance, der mit Honig und Gold beklebte Kunsterklärer (Priester) und der tote Hase, wie Relikte aus einer anderen Zeit. Universales Symbol der Fruchtbarkeit in Mythologie und Religion ist der Hase Die Aktion Joseph Beuys „Wie man dem für Beuys auch Symbol der toten Hasen die Bilder erklärt“ in der Inkarnation. Der Hase kann Alten Galerie Schmela, © bpk/Walter Vogel, nur dann zum Leben erweckt © VG-Bildkunst, Bonn 2021 werden, wenn der Schamane sich eines besonderen Mediums bedient – so mag der
Honig auf seinem Kopf, ein nicht vom Menschen gemachtes
Naturprodukt, als Katalysator für die Lebendigkeit des Vortrags den Hasen beleben, ohne dieses Medium aber mögen die intellektuellen (und oft durchaus tödlich langweiligen)
Erläuterungen des Kunsterklärers wirkungslos sein.
Die Arbeit von Beuys, die wir als Teil dieser Ausstellung zeigen, ist eine Farboffsetlithographie aus dem Jahre 2002 mit dem Titel „Auguren”. Sie zeigt ein kleines Stillleben mit einer Hasenfigur auf einer Fensterbank vor einer Lampe und einer Kabelsteckdose. Auguren waren angesehene Mitglieder des altrömischen Priesterkollegiums, die aus verschiedenen Zeichen wie Vogelschreien, Blitzen, Donner und anderen Naturereignissen den Willen der Götter erkundeten. Auch bei Beuys ist der Hase die zentrale Gestalt, umringt nicht von Naturgewalten, sondern von den Errungenschaften des technischen Fortschritts: Strom und Lichtquelle. Dieses seltsame Trio ist sicher nicht imstande, die Zukunft vorauszusagen, kann aber die Betrachter irritieren und zum Nachdenken anregen. Aus dem natürlichen Kontext herausgelöst, und als Standfigur verniedlicht, wird jedoch deutlich, dieser Hase ist tot, d. h., er ist seiner ursprünglichen symbolischen Wirkung und archaischen Kraft beraubt. Diese Leerstelle lässt den Verlust vielleicht umso deutlicher hervortreten.
Was Beuys mit den Schamanen der alten Zeit verbindet, sind nicht nur archaische Rituale, sondern auch im Stillen ausgeführte Praktiken, die wiederum die Grundlage für die großen Auftritte und die „Ingredienzien” seiner Kunst sind.
Sammeln
Das Sammeln unscheinbarer Dinge, die nicht wegen ihres Gebrauchswerts, sondern wegen ihrer besonderen magischen Anziehungskraft ausgewählt werden, das Herausgreifen eines einzelnen Objekts unabhängig von seiner Bedeutung, das in einer ganz eigenen Rangfolge der Brauchbarkeit seinen Platz findet, das sind Tätigkeiten, wie man sie bei Kindern beobachten kann. Zweige, Steine, Äste, Schalen, kleine Tiere, vor allem in der Natur findet diese Sammelleidenschaft Nahrung, und diese Erfahrung und Einstellung des Kindes Joseph Beuys findet im Künstler ihre Fortsetzung und Erweiterung.3 Das Gesammelte bestand vorzugsweise aus Dingen, deren Eigenschaften sich durch ihre Gestalt und Materialität einer sofortigen Kategorisierung widersetzten und die auf diese Weise eine archaische und zauberhafte Magie entfalten konnten, eine einzigartige Wirkung, abgelenkt weder von symbolischen noch verallgemeinernden Bedeutungen.
Diese unsichtbare, aber nicht verlorene Welt ist die Quelle des künstlerischen Schaffens von Joseph Beuys, sie ist Auslöser seines selbstgewählten Auftrags, ist Vermächtnis und Gestaltungsauftrag der Zukunft. Damit aber steht er vor der unlösbaren Aufgabe, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen – „die zur unsichtbaren Welt gehörenden Kraftzusammenhänge, Formzusammenhänge und Energieabläufe”4 sind vielleicht erfahrbar, aber nicht wahrnehmbar, jedenfalls nicht für den klassifizierenden Verstand.
In der Aktion Vakuum ↔ Masse, Simultan = Eisenkiste, halbiertes Kreuz, Inhalt: 20 kg Fett, 100 Luftpumpen, die Beuys 1968 in Köln durchgeführt hat, füllte er eine große Eisenkiste in Form eines Halbkreu
„Auguren”, 1982, kolorierter Farboffset auf gestrichenem Papier, 51 x 35 cm (61 x 43 cm) betitelt und signiert Edition Staeck, Heidelberg 1982 © VG-Bildkunst, Bonn 2021 zes mit 100 von ihm zerbrochenen Luftpumpen und 20 Kilogramm Fett. Als die Kiste voll war, wurde sie mit einem Deckel zugeschweißt. Wie der Titel der Aktion Vakuum ↔ Masse nahelegt, demonstriert Beuys hier die Beziehung zwischen gegensätzlichen Stadien von Leere und Fülle: „Das Fett verkörpert Masse, das positive Prinzip, und die Luftpumpen stellen ein Vakuum dar, ein negatives Prinzip.”, beschrieb Beuys diesen Kontrast. Auch die Eisenkiste durchläuft diesen transitorischen Prozess, in dem sie zunächst leer und am Ende gefüllt ist. Die Form der Kiste als Halbkreuz erinnert an Beuys’ Aktion MANRESA von 1966, in der ebenfalls ein unvollständiges Kreuz vorkam, das Beuys im Verlauf der Aktion durch eine Kreidezeichnung ergänzte, um dessen spirituelle Gehalt wiederherzustellen. Insofern lässt sich auch die Halbkreuzform der Eisenkiste als Aufforderung an den Betrachter verstehen, dessen unvollständige Form – gedanklich – zu komplettieren, um die mit dem Kreuz verbundenen geistigen Energien zu reaktivieren.5
Joseph Beuys, © bpk/Angelika Platen, © VG-Bildkunst, Bonn 2021
Provokateur und rebellisches Orakel – Joseph Beuys
Ohne einen vorauszusetzenden Sinnzusammenhang wird der (Künstler) Schamane, vom Kundschafter zum Provokateur. Etwas zeigen kann er nur, indem er den Verlust erfahrbar macht, z. B., indem er etwas auslässt und dadurch sichtbar macht, dass etwas fehlt. Ihm gelingt das auch, indem er durch paradoxe Assemblagen Analogien
3 Heiner Bastian, Die Zeichen sind Sinne, a.a.O., S. 12 4 Joseph Beuys im Interview, a.a.O., S.29 5 https://pinakothek-beuys-multiples.de/product/vakuum-masse/?lang=de, 13.08.21.