real surreal hyperreal - Neues aus den Ateliers für surrealistische Forschung

Page 1

real

surreal

hyperreal

Galerie KREMERS Berlin


Der Surrealismus lebt – Neues aus den Ateliers für surrealistische Forschung Christine Kremers, Berlin Surrealismus – ist das nicht eine Kunstrichtung aus den 20-er und 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ins Leben gerufen von einigen selbsternannten revolutionären Literaten in Paris, denen sich eben auch einige Maler anschlossen? War das nicht eine wenig einheitliche Bewegung, die sich vor allem dem Geist des Widerstandes verschrieben hatte gegen die bestehende Weltanschauung und all das, was dafür verantwortlich gemacht wurde? War das nicht eine Gruppe von Wirrköpfen, die wie Hegel, Marx und Freud mit dem Anspruch auftraten, die Wirklichkeit als Totalität zu erfahren, allerdings in völlig unsystematischer und widersprüchlicher Art und Weise?

Thom Rauchfuss, Püppchen, 2004, 77x95 cm, Öl auf Leinwand

Diese Frage kann man getrost mit „Ja“ beantworten. So leicht aber lässt sich der Surrealismus nicht in einer Schublade der Kunstgeschichte begraben. Die revolutionäre Energie und Radikalität der Frage nach dem Wesen der Realität lassen den Surrealismus als sehr aktuelle und lebendige Bewegung erscheinen, die an Faszination nichts eingebüßt hat. Zudem sind die Surrealisten mit ihrer Technik radikalen Hinterfragens durchaus nicht immer unsystematisch vorgegangen, sondern haben Methoden entwickelt, neue Erfahrungsebenen zu erschließen. Dass der Surrealismus als Haltung und Methode überlebt hat und auch in der heutigen Malerei deutliche Spuren trägt, zeigt diese Ausstellung.


Die surrealistische Einstellung – Der Surrealismus ist keine Kunstform, sondern eine Erfahrung. Das wahre Gesicht der Dinge ist das surrealistische. „Sie geben, Mann für Mann, ihr Mienenspiel im Tausch gegen das Zifferblatt eines Weckers, der jede Minute 60 Sekunden lang anschlägt.“ (Walter Benjamin) In seinem Surrealistischen Manifest definiert André Breton den Surrealismus als reinen psychischen Automatismus, durch welchen der wirkliche Ablauf des Denkens, ohne Vernunftkontrolle und außerhalb aller ästhetischen oder ethischen Fragestellung zum Ausdruck kommt. (André Breton: Manifest des Surrealismus, 1924). Aus diesen Zeilen lässt sich ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber der Vernunft als Interpretin der Wirklichkeit genauso herauslesen, wie die Bereitschaft, sich stattdessen auf die Wirklichkeit, so wie sie als seelische Realität erscheint, „pur“ und durch bedeutungsgebende Instanzen ungefiltert, einzulassen. Daran gebunden ist eine fundamentale Kritik an jeder Kunst, die in den Worten Walter Benjamins „die Niederschläge einer Existenzform dem Publikum präsentiert, die Existenzform aber selber vorenthält“, also etwas als wirklich ausgibt, ohne dessen Wirklichkeitscharakter bezeugen zu können (Walter Benjamin: Der Sürrealismus, 1929). Auch in der gegenwärtigen Diskussion um die Bedeutung von Kunst spielt das Misstrauen gegenüber dem autonomen Kunstwerk eine große Rolle. Die Persönlichkeit des Künstlers ist bei der Entstehung der Bedeutung seiner Kunst genauso (mit)-entscheidend wie der Betrachter und die Situation, in der das Kunstwerk präsentiert wird. Oft genug ist diese Kunst selbstreferentiell, d.h. sie repräsentiert nichts anderes als ich selbst. Oder sie ist performativ, d.h. sie entfaltet wie eine Handlung ihre Wirkung in der Situation. Dies gilt nicht nur für sogenannte Performances, auch wenn sich der Erfolg dieser Kunstrichtung ein Stück weit damit erklären lässt. Die Kunstbetrachtung ist ein Event mit nicht vorhersehbarer Wirkung. Künstler und Kunstbetrachter sind auf der Suche nach neuen Kommunikationsformen. Auch der moderne Künstler misstraut seiner aus langer Tradition geschulten und gelenkten Wirklichkeitsdeutung und macht den Zufall

zum Kollaborateur: z.B. in der Gestalt eines in freier Geste gesetzten Pinselstrichs oder eines zufällig verlaufenden Farbflusses oder mit Hilfe von spielerisch eingesetzten Algorithmen. 1 Die Surrealisten der ersten Stunde suchten die Quelle der Wirklichkeits-erkenntnis im Traum oder im Un- bzw. im Unterbewussten, heute sind Computer nicht nur Werkzeuge, sondern oft Mitgestalter, deren selbst erzeugte Muster wiederum Bestandteile von Kunst werden. Zudem haben die Segnungen der Digitalisierung die Möglichkeiten der Verfremdung und Manipulation von Kunst ins Uferlose gesteigert und es wird immer schwerer, die Quelle eines Kunstwerks aufzufinden. Doch welchen Zugang zur Wirklichkeit können wir beschreiten, wenn wir Messinstrumenten, Wegweisern und oft betretenen Pfaden misstrauen? Wege zur surrealistischen Erfahrung, gestern und heute Haben Sie manchmal das Bedürfnis, ein Stück von der Tapete abzukratzen, um herauszufinden, was sich dahinter verbergen könnte? Laufen Sie manchmal durch die Straße und haben auf einmal, wenn Sie zufällig aus dem Alltagstrott herausfallen, die Empfindung, dass Ihre Umgebung nicht ganz wirklich ist, vielmehr die Kulisse für ein Schauspiel, das woanders stattfindet? Vielleicht sind Sie Surrealist? Die Surrealisten hatten verschiedene Methoden, um das wahre, surrealistische Gesicht der Dinge zu erkennen, um sich Zugang zur surrealistischen Erfahrung zu verschaffen und dies nicht etwa durch den Konsum von Drogen. Wo war also der Eingang zu einer Welt, in der die herrschenden Ideen und Moralvorstellungen, in der die Geschichtsschreibung einen Spalt offengelassen hatten, durch den man zur „Jetztzeit“ durchringen konnte?

1 http://www.sueddeutsche.de/digital/ausstellung-ueber-algorithmen-computer-macht-kunst-1.2722477


1. Tür: Die eigene Psyche - auch der Traum und das Un- und Unterbewusstsein erschließen die Wirklichkeit. Die Seele erzählt Geschichte(n).

Die Surrealisten waren davon überzeugt, dass die Welt der Phantasie von der gleichen Augenfälligkeit wie die der Außenwelt, das Irrationale von der gleichen Klarheit der Vorstellung wie das Rationale sei. Ist es ein Engel, der da gerade zur Boden fällt und droht, im Gulli zu verschwinden? In Thom. Rauchfuss` Bild „Püppchen“ ist die zentrale Figur ein Engel oder eine Puppe. Sie hatte einen Unfall, vielleicht ist sie aus dem Fenster gestürzt, auf jeden Fall misslingen ihre Flugversuche und sie ist im Absturz begriffen. Den Mann, der das beobachtet, lässt dies kalt. Er ist in seiner Bürouniform vielleicht auf dem Weg zur

Thom Rauchfuss, Feierabend, 2010, 140 x 200 cm, Öl auf Leinwand

Arbeit und abstürzende Engel haben mit seiner Lebenswirklichkeit wahrscheinlich überhaupt nichts (mehr) zu tun hat, so dass der Szene etwas Tragikomisches anhaftet. Doch vielleicht erinnert er sich dann doch noch daran, dass es Zeiten gab, in den ihn dieses Schauspiel etwas angegangen hätte, in denen er mit Schrecken darauf reagiert hätte? Ob es irgendwo in den Tiefen seines Unterbewusstseins einen Speicher gibt, in dem die Erinnerung an Engel oder andere Wesen aufbewahrt sind? Mag er auf der Fähre in den Feierabend darüber nachsinnen.


Jude Griebels Skulpturen sind auf eine so alarmierende Art und Weise lebendig wie es nur Dinge und Lebewesen sein können, die der Phantasie entspringen. Lebendig sind sie aber vor allem dadurch, dass sie mit ihrer Umgebung verschmolzen sind, in Prozesse eingebunden, in denen sie wachsen, fressen oder gefressen werden. Für Walter Benjamin bestand eine Methode, die Wirklichkeit erfahrbar zu machen, darin, den „historischen Blick gegen den politischen einzutauschen“ (Walter Benjamin: Der Sürrealismus), in seiner Geschichtsauffassung zerfällt die Geschichte nicht in Geschichten, sondern in Bilder. Jude Griebel findet Bilder für das Verhältnis zwischen natürlich Gewachsenem und von Menschen Gemachtem, er schafft Metamorphosen, Sinnbilder z.B. für Gier und was sie bewirkt.

Jude Griebel, Stinking Hungry, 2015, 22,5 x 8,25 x 34,5 cm, Harz, Holz, Ölfarbe


2. Tür: Das Geheimnisvolle und Rätselhafte – wo ist die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt?

„Und kein Gesicht ist in dem Grade surrealistisch wie das wahre Gesicht einer Stadt.“ (Walter Benjamin, der Sürrealismus) Manchmal, wenn wir bestimmte Phänomene im Realen, die Spiegelungen und Schattenwürfe der Dinge, die Art wie sich das Licht in Glas oder im Eis bricht und das sich daraus entwickelnde Farbenspiel genau beobachten, erscheinen unsere Wahrnehmungen so unheimlich und so rätselhaft, dass der Glaube an den Wirklichkeitscharakter der Außenwelt zutiefst erschüttert werden kann. Dies ist ein Thema in Jürgen Durners Malerei. Ihm gelingt die Paradoxie: in seinen Bildern stellt er bestimmte, den Gesetzen der Wahrnehmung geschuldete Unschärfen so exakt und hyperreal dar, dass er die Irritation auf die Spitze treibt. In seinen Stadtlandschaften gewinnen die Dinge ein magisches Eigenleben, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes fragwürdig geworden. Sie verlieren ihre Neutralität und rufen eine seelische Reaktion, eine Stimmung hervor, die gleichzeitig Urheberin dieser Wahrnehmungssituation zu sein scheint.

Jürgen Durner, All Saints, 2015, 80 x 110cm Öl auf Leinwand


Ein sehr genauer Beobachter der Stadt und ihrer Bewohner ist auch Timur Celik. Seine höchst profanen Alltagsgegenstände werden von ihm mit allen Farbnuancen, mit Spuren von Materialverschleiß, die über ihre Nutzung Zeugnis ablegen, so hyperrealistisch dargestellt, dass sie eine eigene, ausgeprägte Persönlichkeit zu haben scheinen. Das Schäbige erscheint auf eine würdevolle Art und Weise schön. Die Dinge sind „auf ihrer Bühne“, ein für Celiks Bilder charakteristisches, sehr urbanes und melancholisches Hintergrunds-Grau, so in Szene gesetzt, dass ihnen eine tiefere, wenn auch unbekannte Bedeutung zuzukommen scheint. Sie sind in eine Geschichte verstrickt, geben diese aber nicht preis.

Tumur Celik, Conveyor Belt, 2012, 100 x 80 cm, Öl auf Leinwand

Timur Celik, 2015, Alarm Clock, 55 x 45 cm, Öl auf Leinwand


Paul Schwietzke, Schwerin II, 2016, 90 x 170 cm Acryl auf Leinwand

3. Tür: Die (Industrie)-Ruine - die Aktualität des Vergangenen – das Geheimnis ist dort versteckt, wo es in Vergessenheit geraten ist Es zeigt sich, dass die Surrealisten den Zugang zu Wirklichkeit an Orten fanden, die im Schatten der herrschenden Aufmerksamkeit standen; Orte, die, unbewacht von gängigen und eingefahrenen Deutungsmustern, im Rücken der großen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse, ein Eigenleben entwickeln konnten. Solche Orte findet der Düsseldorfer Maler Paul Schwietzke zum Beispiel dort, wo die technischen Errungenschaften als Industrieruinen unbewacht sind. Hier entdeckt er revolutionäre Energien, die zur Entfaltung drängen. In dem Bild „Schwerin II“ ist ein alter, rostender Bahnhof von einem seltsamen Licht überzogen. Die Züge, Gleise und Leitungen scheinen zu vibrieren und wir werden in die gespannte aber diffuse Erwartung versetzt, dass gleich unvorhersehbare Ereignisse stattfinden werden. Auf den

zweiten Blick erkennen wir auf den Gleisen rostfarbene menschenförmige Wesen, die sich aus der liegenden Haltung in die aufrechte Lage emporarbeiten und wir erkennen, dass wir hier tatsächlich Zeuge einer Geburt werden, die Materie wird lebendig, die Lokomotive entlässt ihre Kinder. Nun gibt es auch Industrieruinen, die verfallen, bevor sie je genutzt wurden. Dies zeigt Schwietzke am Beispiel des Berliner Flughafens BER. Wir sehen nicht reale Flugzeuge abheben und landen, sondern die aus dem Gebäude geborenen Betonwesen besinnen sich auf ihren Bestimmungszweck und lassen Papierflieger steigen. In dieser Menschenleere breitet sich eine luftig heitere Atmosphäre aus; auch eine Strategie, mit dem Scheitern umzugehen.

Paul Schwietzke Frischer Wind, 2016, 90 x 170cm Acryl auf Leinwand


4.Tür: das Profane und Alltägliche - Das Wunder in der Küche und die profane Erleuchtung Gespannt und in Erwartung eines bevorstehenden Ereignisses, das etwas mit der Apparatur zu tun zu haben scheint, die der Mann offenbar in seiner Küche selbst gebaut hat, schaut er nach oben. Angesichts der Umgebung und des Zustandes, im dem sich das befindet, was vielleicht ein Raumschiff sein soll, erscheint die Erwartungshaltung des Mannes der Situation völlig unangemessen, dennoch lässt sich der Betrachter paradoxerweise davon anstecken, es ist gerade die Enge der Küche und die Einfachheit der Mittel, die die Umsetzung des Plans dringlicher, aber auch realistischer erscheinen lassen. Wenn Segelschiffe fliegen können, warum nicht auch selbst gebaute Raumschiffe? Vitaly Medvedovskys Gestalten sind Suchende, sie wollen ausbrechen aus der Enge oder aufbrechen in unzulänglichen Verkehrsmitteln,

sie schauen zurück, nach oben oder nach unten, nie den Betrachter an. Auf dieser Suche kommt es vor, dass sie etwas entdecken wie auf dem Bild „Sunrise“. Wie ein großer Prometheus trägt der Protagonist zu seinem eigenen Erstaunen Licht in der Hand, wider Erwarten belebt er die, wie eine Puppenstube unter ihm aufgebaute, Stadt. „Die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung aber liegt nun wahrhaftig nicht bei den Rauschgiften. Sie liegt in einer profanen Erleuchtung, einer materialistischen, anthropologischen Inspiration, zu der Haschisch, Opium und was immer sonst, die Vorschule abgeben können“(Walter Benjamin: Der Sürrealismus).

Vitaly Medvedovsky Plan, 2016, 180 x 250 cm, Öl auf Leinwand


5.Tür: Die Phantasie Kunst und Wissenschaft haben eine erotisch-esoterische, mystische oder magische Fundierung Die Wissenschaft nimmt in der Phantasie, im freien assoziativen Denken ihren Ausgang, nicht in der Zucht des akademischen Denkens. Dieser Überzeugung waren die Surrealisten und diese Überzeugung scheint auch Uwe Bremer zu teilen. In seinen kosmologischen Stillleben finden wir, altmeisterlich gemalt, Möbiusschleifen neben astrologischen Symbolen, Schatten von Tesserakten neben galaktischen Zeugungen und Explosionen aller Art. In diesen Stillleben geht aller höheren Mathematik und kompositorischen Strenge zum Trotz wahrlich die Post ab.

Uwe Bremer, Stillebenmoduli 2, 2006, 108 x 108cm, Öl auf Holz

Die Surrealisten wollten methodisch die gesellschaftliche Realität in ihrer Ganzheit begreifen. Die surrealistische Haltung erwies sich dabei als die alles verbindende integrative Kraft, die mit revolutionärer Energie die Subsumtionskraft der Ideen und philosophischen Systeme ersetzen sollte. Alle menschlichen Errungenschaften und Erfahrungen konnten so Teil einer großen poetischen Erfahrung werden.


Ein Mittel gegen diese ideologische Vereinnahmung

6.Tür: das Böse und das Grausame

-der Surrealismus ist transmoralisch

In seiner Kritik an der linksbürgerliche Position bescheinigt Walter Benjamin ihr eine „unheilbare Verkuppelung von idealistischer Moral mit politischer Praxis“ Die Moral verstelle den klaren Blick auf die Dinge. Der Surrealismus wende sich gegen diese ideologische Vereinnahmung der Wirklichkeit. „Nur im Kontrast gegen die hilflosen Kompromisse der Gesinnung sind gewisse Kernstücke des Surrealismus, ja der surrealistischen Tradition, zu verstehen“ (Walter Benjamin: Der Sürrealismus).

sei der Kult des Bösen, der wie z.B. Dostojewski oder Bulgakow zeigen, als Desinfektionsapparat gegen die Restauration und gegen den moralisierenden Dilettantismus diene. Uwe Bremers drastische bildhafte Erzählung von folternden und meuchelnden Wiedertäufern in seinem Radierzyklus „Die Wiedertäufer“ ist frei von moralischen Konnotation, ganz im Gegenteil scheinen Peiniger wie Gepeinigte in ein lustvolles Spiel verstrickt, ohne dass wir entscheiden könnten, welche Partei dabei mehr Vergnügen empfindet. In seinem Zyklus „Schwarze Kunst“ sind die hier stattfindenden Zaubertricks, Amputationen und Transplantationen Teil eines raffinierten und ausgeklügelten Spiels, der Zauberer oder Spielleiter bleibt unsichtbar und damit moralisch unbescholten.

Uwe Bremer, Radierung aus dem Zyklus Schwarze Kunst, 1979, 55x72 cm, 10 aus10


Fiona Ackerman, The Player, 2013, 80 x 300 cm, Öl und Acryl auf Leinwand

7. Tür: Die Begegnung mit dem Fremdartigen

- Treffen sich eine Schere und eine Spielkarte und entdecken den Bildraum

Eine weitere Technik zur Vermittlung surrealistischer Erfahrung ist die „Entheimatung“ (Bréton) der Dinge. Gegenstände werden mit Gegenständen aus anderen Gebrauchszusammenhängen kombiniert und in Umgebungen verpflanzt, die entweder mit ihrer eigentlichen Bestimmung nichts zu tun haben oder nicht als eigene Räume wiedererkannt werden können. „Die zufällige Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch ist…ein Beispiel für das von den Surrealisten entdeckte Phänomen, das die Annäherung von zwei …scheinbar wesensfremden Elementen auf einem ihnen wesensfremden Plan die stärksten poetischen Zündungen provoziert.“ (Max Ernst)

Fiona Ackerman, A Vocation by the Sea, 2011, 171.5 x 228.5 cm, Öl und Acryl auf Leinwand


Fiona Ackerman, 2012, La Modèle Rouge,160 x 140 cm,Öl auf Leinwand,

Mit diesen Verfremdungstechniken arbeitet auch Fiona Ackerman. Dass diese Technik nicht nur auf Gegenstände angewendet werden kann, sondern auch auf die diese bezeichnenden Symbole zeigte schon Magritte in seinem berühmten Pfeifengemälde „Ceci n´est pas une pipe“. Fiona Ackerman erweitert das Vokabular, indem sie auch Elemente wie sehr einfache, piktogrammhaft Zeichnungen neben in hyperrealistischer Manier ausgeführten Gegenständen platziert. In ihrem meisterlich gemalten Bild „Vocation by the sea“ erweitert sie mit einer Technik, die in der Psychologie Reframing genannt wird, die Perspektive kontinuierlich, und so nimmt sie immer neue Elemente in ihre Komposition auf. Dadurch wächst die Zahl der Akteure auf dem Bild, doch am Ende landen wir vielleicht wieder im Kopf des Protagonisten des Ausgangsgemäldes, eines Bankangestellten, der sich nach dem Meer sehnt?

8. Der scharf gestellte Blick und der Einbruch des Hyperrealen – der ironische Blick „Die Aufmerksamkeit ließe sich eher die Handgelenke brechen, als sich auch nur eine Sekunde dem zuzuwenden, womit die Begierde des Betreffenden nichts zu schaffen hat.“ (André Breton)

Roland Delcol, O.T., 80 x 60 cm, Öl auf Leinwand


Als ein Zeichen für eine unverfälschte Wirklichkeitswahrnehmung erkannte Walter Benjamin die Fähigkeit, auf jede äußere Begebenheit unmittelbar authentisch zu reagieren, wodurch das innere Erleben sofort in einer äußeren Reaktion zum Ausdruck kommt. Dies sei zugleich der höchst mögliche Grad von Freiheit. (Walter Benjamin, Der Sürrealismus) In Roland Delcols Bildwelt erscheint eine schöne nackte Frau, die sich in verschiedensten Szenarien mit Größen der Malerei, des Films und der Literatur wiederfindet. Er zitiert berühmte Gemälde wie Manets „Frühstück auf dem Balkon“ und Rembrandts „die Anatomie des Dr. Tulp“ neben Filmszenen aus „Dick und Doof“ und „Casablanca“. Die nackte Frau, vielleicht ein Alter Ego des Malers1, agiert unabhängig 1. Axel Hinrich Murken: Hyperrealistische Malerei. Der weibliche Körper als

Allegorie und Metapher, S.13

Roland Delcol, O.T., 80 x 60 cm, Öl auf Leinwand

davon, wem sie begegnet, mit der ihr eigenen Natürlichkeit und Frische. Ihre Nacktheit, ihre Mimik und ihre Gestik sind Ausdruck ihrer Authentizität. Die erotische Atmosphäre, in die die Frau ihre Umgebung taucht, lässt die Szene noch realistischer, aus dem Leben gegriffen, erscheinen. Ob sie dabei die Coolness eines Humphrey Bogart durch den Kakao zieht oder die abschreckende Inszenierung einer Anatomiestunde zu Rembrandts Zeiten, ihre Präsenz lässt die Lächerlichkeit und Künstlichkeit von Mode und Habitus deutlich an den Tag treten. Durch welche Tür Sie auch treten mögen, sie werden immer auf Künstler stoßen, die den Schein entlarven und die Wirklichkeit surreal erscheinen lassen.


Roland Delcol Roland Delcol gilt als einer der eigenwilligsten Vertreter zwischen Hyperrealismus und dem heutigen postmodernen Pluralismus… In den vergangenen fünf Jahrzehnten schuf der 1942 in Brüssel geborenen Künstler eine eigenständige, in sich geschlossene Bildwelt. Sie sollte nach einer kurzen Periode in der Tradition des belgischen Surrealismus zu einer hyperrealistischen Malerei führen, in der anfangs noch

Anregungen des Magischen Realismus und der Pop Art zu finden sind. …..in der folgenden Periode von 1980.2010 bewegen sich seine „female nudes“ unbefangen und selbstverständlich in Stadt-, Gartenund Strandlandschaften. Dabei verknüpft er seine nackten Modelle gerne mit Figuren der Kunstgeschichte und des Films (Dr. Axel Hinrich Murken).

Kurzbiographie: Roland Delcol 1942 geboren in Brüssel, lebt und arbeitet in Waterloo (Belgien) 1965-1971 Studium der Malerei an der Académie des Beaux- Arts St. Gilles, Brüssel Verschiedene Preise und Auszeichnungen in Belgien und den USA 1965 bis heute: Zahlreiche Einzelausstelllungen in Museen und Galerien in Brüssel, Mailand, Paris, New York, Mailand, Florenz, Wiesbaden, Düsseldorf, Tallin und Moskau

Roland Delcol, O.T. 80 x 60 cm, Öl auf Leinwand


Thom Rauchfuss Thom Rauchfuss (1952) Ölgemälde sind Werke voller Hintersinn und Ironie. Mit durchaus erkennbarem Bezug zur Portraitkunst der alten Meister malt er seine Figuren wie deplatziert in irritierende Kontexte und Situationen hineinversetzt. Ob Anzug-tragende Geschäftsleute oder mit Kappen oder Masken versehene, schräge Figuren wie von der Theaterbühne, verhaltensauffällig sind viele von ihnen in dem Moment, in dem sie von Thom. Rauchfuss beobachtet und auf

die Leinwand gebannt wurden. In seinen Floßbildern sehen wir die Momentaufnahme einer Gruppe von Gestalten, die sich unbeobachtet fühlen, und einer teils profanen, teils subversiven, teils surrealen Tätigkeit nachgehen. Die Figuren sind verrückt oder normal, dümmlich dreinschauend oder philosophierend – eine Auswahl, wie aus dem (Berliner) Stadt-Leben gegriffen.

Kurzbiographie: Thom Rauchfuss 1952 im Erzgebirge geboren, lebt und arbeitet in Berlin 1973-1979 Studium der Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg 1976-1977 Studienaufenthalt in Paris 1979-1981 Studium der Kunstgeschichte an der Freien Universität, Berlin Seit 1979 Atelier in Berlin, Kreuzberg Einzelausstellungen in Remagen und Berlin, Sammlungen in Frankreich, Italien, Luxemburg, USA, Australien und Deutschland

Thom Rauchfuss - Schrott, 2010, 140 x 200 cm, Öl auf Leinwand


Timur Celik Timur Celik ist vor allem bekannt für seine großformatigen Porträts, deren Stil sich als ‚hyperrealistisch‘ charakterisieren lässt – was ebenso für seine kleineren Formate gilt. Porträts und urbane Landschaften reflektieren gleichermaßen einen aufscheinenden Eindruck von Melancholie oder Einsamkeit… Der Bildhintergrund mit seinem matten Grau erscheint bei Celik fast wie ein Protagonist, der den anderen ‚Charakteren‘, seien es menschliche Figuren, herum-

liegende Objekte oder menschenleere Stadtansichten, den Vortritt lässt: „Celiks Obsession sind die ‚Fragmente der Stadt‘, in Form von Personen, Landschaften oder Objekten. Sie zu ‚rahmen‘ wird zu einem Werkzeug des Wissens und verlangt nach einer tieferen Bedeutung des Fragments. Dennoch verspricht Celiks Werk nie, diese Bedeutung zu erfüllen.“ (Ovul O. Durmusoglu) (Christoph Tannert)

Kurzbiographie: Timur Celik 1960 geboren in der Türkei, lebt und arbeitet in Berlin 1980-1984 Marmara-Universität, A.E.F Malerei, Istanbul Zahlreiche Einzelausstellungen in Istanbul, Ankara, Düsseldorf und Berlin

Timur Celik, Shower, 55 x 45 cm 2015, Öl auf Leinwand Timur Celik, Mirror, 55 x 45 cm, 2015, Öl auf Leinwand.

Washbasin, 100 x 80 cm, 2014, Öl auf Leinwand


Jude Griebel Der kanadische Künstler Jude Griebel (1978) versteht sich auf Metamorphosen. Er erschafft hybride Körper, Kompositionen von Organischem und Anorganischem. Es sind mit ihrer Umgebung verschmolzene Wesen, die sowohl als Ergebnisse chemischer und biologischer Stoffwechselprozesse als auch als psychologische Reflexe auf diese Prozesse und Ausge-

burten der Phantasie gedeutet werden können. Wie lebendig gewordene Erzeugnisse unserer Überflussund Wegwerfgesellschaft sind sie mit einer teils bedrohlichen, teils Mitleid heischenden grotesken Anatomie und Mimik ausgestattet. Sie sind wie Gespenster unserer verdrängten Ängste. Jude Griebel lebt und arbeitet in Edmonton, Kanada.

Kurzbiographie: Jude Griebel 1978 geb. in Ottawa 2014 Master of Fine Arts, Concordia University, Kanada 2012 MFA International Exchange, University of Lapland, Finnland 2003 Bachelor of Fine Arts, Emily Carr University of Art and Design, Kanada Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen in Kanada, Finnland, Deutschland, Italien, Japan, Thailand, Südkorea und den USA

Jude Griebel. Stinking Hungry (detail), 2015, 22,5 x 8.25 x 34.5, Harz, Holz, Ölfarbe


Fiona Ackerman Die kanadische Künstlerin Fiona Ackerman lebt und arbeitet in Vancouver. Die Bandbreite ihrer Arbeiten reicht von rein abstrakten Kompositionen, in denen sie sehr klar umgrenzte Formen mit wilden Gesten mischt, hin zu teilweise hyperrealistischer gegenständlicher Malerei. Fiona Ackermans Bilder sind Ausdruck der Art und Weise, wie sie die Welt sieht und reflektiert. Mit den Mitteln der Malerei experimentiert sie mit den Veränderungen, die durch unter-

schiedliche Sichtweisen und Einstellungen entstehen. Dabei arrangiert sie auf ausgesprochen spielerische und raffinierte Weise und mit viel Sinn für Humor die Vokabeln ihrer Bildsprache in Kompositionen von großer Ausdruckskraft. Ihr gelingt es, Geschichten mit einem überraschenden Ausgang zu erzählen.

Kurzbiographie: Fiona Ackerman 1978 geb. in Ottawa 1998-2000 Studium Visual Arts, Concordia University, Montréal 2000-2002 BFA Emily Carr University of Art and Design, Vancouver Zahlreiche Einzelausstellungen in Vancouver, Toronto, Calgary (Kanada), Nürnberg, Düsseldorf und Berlin, Messebeteiligungen in Toronto, Budapest, Karlsruhe

Fiona Ackerman, This Is Not A Problem, 2012, 140 x 90 cm, Öl und Acryl auf Leinwand


Uwe Bremer Uwe Bremer (1940) blickt auf eine lange Schaffensperiode zurück, die ungebrochen anhält. Davon zeugen seine teilweise sehr großformatigen Holzschnitte und Radierzyklen ebenso wie seine altmeisterlich gemalten Ölbilder, auf denen er in einer Serie von Stillleben seine Kosmologie ausbreitet. Ob Stillleben-

strings, Zeitreisen und Paralleluniversen, oder, wie in seinem Druckwerk, die Machenschaften von Androiden oder Zauberern, in Uwe Bremers Universum finden immer Prozesse voller Energie und Wandel statt.

Kurzbiographie: Uwe Bremer 1940 geboren in Bischleben bei Erfurt, lebt und arbeitet in Gümse-Dannenberg. 1957-1960 Kunstschule Alsterdamm, Hamburg 1963 freiberufliche Tätigkeit in Berlin Seit 1963 Mitglied der Berliner Künstlergruppe „Die Rixdorfer“ , deren Werkstatt 1971 nach Gümse zog, seit 2017 wieder in Berlin Zahlreiche Einzelausstellungen in Galerien und Museen in Berlin, Düsseldorf, München, Karlsruhe, Stuttgart, Münster, Dortmund, Berlin, Dänemark, Wien, Moskau, New York Zahlreiche Mappenwerke und Publikationen

Uwe Bremer, Parallel-Passage, 1998, 120 x 100 cm, Öl auf Holz”


Vitaly Medvedovsky Vitaly Medvedovsky (1981) begibt sich mit seinen Werken auf Spurensuche. Mittels biographischer, zeitgeschichtlicher und mythologischer Elemente erzählt er Geschichten, die sich aus verschiedenen Erinnerungsschichten und Wissensbeständen speisen. Der Protagonist seiner Geschichte ist eine Abenteurer,

der teilweise wie eine Gestalt aus der Mythologie machtvoll oder auch wie ein Flüchtling schutzsuchend in Szene gesetzt wird. So beschreibt er auch den Malprozess in Analogie zu Erinnerungsprozessen: Er entfaltet sich nicht planvoll und linear, sondern stückweise und in verschiedene Schichten.

Kurzbiographie: Vitaly Medvedovsky, lebt und arbeitet in Berlin 1981 geboren in Kharkov, Ukraine 1998 Umzug nach Kanada 2004 Bachelor of Fine Arts, with Honours, (Drawing & Painting), Ontario College of Art & Design, Toronto 2006 Willem DeKooning Academy, Rotterdam, the Netherlands 2009-2010 MFA Painting Studio, Concordia University, Montreal, QC Zahlreiche Auszeichnungen und Einzelausstellungen und in Berlin, Montreal, Toronto, Calgary und Vancouver

Vitaly Medvedovsky, Sailing, 2016, 180 x 140 cm Öl auf Leinwand


Paul Schwietzke Der 1952 in Düsseldorf geborene Künstler Paul Schwietzke studierte Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Konrad Klapheck und K.O. Götz, dessen Meisterschüler er neben Sigmar Polke, Gerhard Richter und Gotthard Graubner war. Seine Bilder sind im ursprünglichen Sinne surrealistisch. Sie zeigen das Magische, Traumhafte der Dinge in großer malerischer Brillianz. Die auf den ersten Blick

verlassenen Kulissen für das surreale Geschehen sind magische Orte, an denen Stoffliches Gestalt annimmt und lebendig wird. Seine Landschaften bezeugen den Umschlagpunkt einer Veränderung. Ob man dieses Geschehen für bare Münze nimmt oder nicht, die Bilder laden ein zum Meditieren über Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, aber auch über das, was bleibt.

Kurzbiographie: Paul Schwietzke 1952 geboren in Düsseldorf 1973-1979 Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei K.O. Götz und Konrad Klappheck 1978 Meisterschüler bei K.O. Götz Zahlreiche Einzelausstellungen in Düsseldorf, Köln, Essen, Stuttgart, Bremen und Berlin

Paul Schwietzke, Titanic, 2000, 140 x 200 cm, Acryl auf Leinwand


Jürgen Durner Jürgen Durner (1964) beschäftigt sich in seiner Malerei mit Spiegelungen und Reflexionen. Schauplatz dieser Spiegelungen sind Stadtlandschaften, die Innenräume von Cafés und Läden, deren meist große Ladenscheiben eine großartige Reflexionsfläche abgeben. Spiegelungen des Interieurs und das Geschehen außerhalb des Raumes, Jürgen Durner malt sie, ohne den Blick zu fokussieren, wie gleichwertige

Bestandteile einer Landschaft, so dass wir uns oft auf Anhieb nicht entscheiden können, ob wir uns innerhalb oder außerhalb des Raumes befinden. Straßenansichten, Häuserfassaden, Bäume oder Einrichtungsgegenstände - obwohl sehr realistisch gemalt, erscheinen sie eher wie Akteure einer Traumoder Seelenlandschaft , die dem Dargestellten eine tiefere Bedeutung verleihen.

Kurzbiographie: Jürgen Durner 1964, geboren in Nürnberg, lebt und arbeitet in Berlin 1984-1992 Studium der freien Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg 1991 Studium an der École des Beaux-Arts in Paris Seit 1992 Atelier in Berlin Zahlreiche Einzelausstellungen in Nürnberg, Düsseldorf, München, Frankfurt, Berlin Verschiedene Preise und Auszeichnungen, u.a. Deutscher Kunstpreis, Frankfurt, Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten, Nürnberg,

Jürgen Durner, Eislöcher, 2017, 70 x 85 cm, Öl auf Leinwand


Vitaly Medvedovsky, Sunrise, 2016, 110 x 90 cm, Ă–l auf Leinwand

Galerie Kremers Schmiedehof 17, 10965 Berlin galerie-kremers.com


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.