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Edward Hopper – Künstler der Stunde?

Edward Hopper, Cape Cod Morning, 1950

Fondation Beyeler

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bis 26.07.2020

Was hätte Edward Hopper wohl dazu gesagt, dass seine Bilder für mehrere Wochen wegen einer Pandemie nicht zu sehen waren ? Selbstverständlich war auch er wie alle Künstler daran interessiert, dass seine Gemälde von anderen Leuten gesehen werden. Aber eine Auswahl seiner Werke in einem Museum zu wissen, ohne dass sie wirklich sichtbar sind, die Idee einer Ausstellung, die es zwar wirklich gibt, aber nur im Kopf zu besichtigen ist, hätte ihm wahrscheinlich sogar gefallen.

Er war ja davon überzeugt, dass seine Bilder vor allem mit ihm selbst zu tun haben. «I’m after me», es geht um mich, war seine berühmte, entnervte Antwort auf die Frage nach seinem künstlerischen Antrieb. Er hatte allerdings kein Interesse daran, zu erklären, was das wirklich bedeutete, weil er genau wusste, dass die Beschäftigung mit seinen Gemälden, wie wahrscheinlich auch mit allen anderen Werken der bildenden oder darstellenden Kunst und der Musik, ein sehr individueller Vorgang ist, den wir, als Betrachtende oder Zuhörende, zunächst einmal selbst mit uns ganz alleine erleben. So gesehen wäre es für ihn bestimmt interessant gewesen, die Ausstellung dieser sehr persönlichen Werke sich nur vorstellen zu können.

Kannte Hopper (der gut deutsch sprach) das berühmte Gedicht «Im Nebel», das Hermann Hesse 1905 niederschrieb? Dessen letzte Strophe lautet: Seltsam im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern. Jeder ist allein.

Hätte der notorische Schweiger und Eigenbrötler Hopper gedichtet, hätte seine Botschaft vielleicht so ähnlich geklungen. Denn das Thema seiner Bilder ist zu einem grossen Teil die Einsamkeit des Selbst, dieses in sich selbst isoliert sein, das, unabhängig von der jetzigen Situation, allen Menschen eigen ist. Normalerweise gleichen wir die in unserer individuellen Existenz angelegte Einsamkeit durch soziale Interaktion aus, die uns jetzt in vieler Hinsicht verwehrt ist. Die uns aufgezwungene Selbstisolation macht uns das besonders bewusst.

Edward Hopper, Lighthouse Hill, 1927

Ja, Edward Hopper scheint wahrlich der Künstler der Stunde zu sein, wie jetzt häufig zu lesen ist. Die Frau auf dem Bild Cape Cod Morning, die da in ihrem Haus wie gefangen zu sein scheint und aus dem Fenster sieht: Blickt sie wirklich auf ein Ereignis ausserhalb des Bildes, das wir nicht sehen können, weil es nicht dargestellt ist? Wenn man die Architektur des Hauses ansieht, kann sie gar nicht wirklich nach draussen schauen, denn dort, wohin sie blickt, müsste eigentlich eine Mauer sein, die Stirnseite des Erkers, in dem sie sich befindet. Blickt sie nicht eigentlich in ihrer Einsamkeit vor allem auf sich?

Oder die leere Landstrasse auf dem Bild Route 6 at Eastham: Eigentlich wären die Voraussetzungen für Kommunikation vorhanden, die Telegrafenmasten sind da, wenn nur die sie verbindenden Telegrafenleitungen zu sehen wären. Auch dies eine Verbildlichung von Einsamkeit. Oder, noch viel bestürzender, die beiden Häuser auf dem Gemälde Two Puritans: Nachbarlich miteinander verbunden, so denkt man zunächst; aber leider sind beide Gebäude nicht zugänglich, die Türen sind verschlossen. Wer in diesen Häusern lebt, kann nicht heraus, aber es gibt auch keinen Weg hinein, weil ja Türen in die Vorgärten gar nicht existieren. Der Pfad im Vordergrund führt an den Häusern vorbei.

Bei so viel gemalter «social distance» könnte man ja wirklich depressiv werden! Litt Hopper selbst an Depressionen? Nein, das wohl nicht. Bestimmt kannte er depressive Stimmungen; seine Schwierigkeiten, ein Motiv zu finden und seine Malblockade sind bekannt, haben aber mehr mit Melancholie als mit Depression zu tun. Beides sollte nicht verwechselt werden: Depression ist eine Krankheit, Melancholie, dieses grüblerische Nachdenken, das von Albrecht Dürer in einem berühmten Stich dargestellt worden ist, steht oft am Anfang kreativer Tätigkeit. Sie ist Teil der Selbstfindung und immer wieder neuen Selbsterfindung der Menschen.

So gesehen vermitteln die Werke von Hopper Hoffnung: Denn zwingt die totale Entschleunigung, die seine Gemälde vermitteln, ebenso wie der reale «Lockdown», der uns im Griff hat, nicht zum Nachdenken und zum Entwickeln von etwas Neuem? Es ist ja beispielsweise sehr ermutigend, dass jetzt aus dem «social distancing» mithilfe digitaler Medien immer mehr ein «distant socialising» wird. So sehr Hoppers Bilder Isolation und Schweigen zeigen, haben sie paradoxerweise doch auch etwas höchst Kommunikatives. Vielleicht wollen deswegen auch so viele Leute Hoppers Kunst sehen. Wir haben das schon vor der Krise so empfunden: Es gibt wenig Ausstellungen, in denen so viel über die Werke gespro-

Edward Hopper, Second Story Sunlight, 1960

chen wurde wie in dieser, und zwar unabhängig davon, ob sich Kunstexperten unterhielten oder Leute, die nur selten ins Museum gehen. Wir freuen uns, dass wir die schweigsame Kunst von Edward Hopper, die so gut zu unserer Situation jetzt passt und zu so viel Überlegungen herausfordert, nun wieder unserem Publikum zugänglich machen können.

Edward Hopper (1882–1967) gilt als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. In Europa vor allem für die Ölgemälde mit Szenen des städtischen Lebens bekannt, die er in den 1920er- bis 1960er-Jahren schuf und von denen einzelne Werke ausserordentlich populär wurden, ist es verwunderlich, dass seine Landschaftsbilder bisher weniger beachtet wurden. Überraschenderweise gab es bisher noch keine Ausstellung, die sich umfassend mit Hoppers Blick auf die amerikanische Landschaft auseinandergesetzt hat. Vom 26.1. bis ursprünglich 17.5.2020 geplant, aber wegen der Corona Pandemie bis 26.7.2020 verlängert, präsentiert die Fondation Beyeler eine umfangreiche Ausstellung mit ikonischen Landschaftsgemälden in Öl sowie einer Auswahl an Aquarellen und Zeichnungen. Erstmals werden zudem Hoppers Werke in einer Ausstellung in der deutschsprachigen Schweiz gezeigt.

Die Ausstellung umfasst 65 Werke des Künstlers aus den Jahren 1909 bis 1965 und wird organisiert von der Fondation Beyeler in Kooperation mit dem Whitney Museum of American Art, New York, in dessen Beständen sich die weltweit grösste Hopper-Sammlung befindet. ◀

Der Autor, Ulf Küster, ist Kurator der aktuellen Ausstellung in der Fondation Beyeler, die Edward Hopper gewidmet ist.

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