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Roger Ballen. Call of the Void

Bis 29.10.2023 die Menschen, die in seinen Fotografien eine Rolle spielen, wohnen. In derartigen Hütten entstanden die in der Ausstellung gezeigten Fotoserien, Asylum of the Birds und die Serie der Ratten, aufgenommen an Orten, an denen Ballen teilweise jahrelang arbeitete und mit den Bewohner:innen ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufbaute. Er gestaltete mit ihnen die Räume, in denen er dann die Fotos machte. Es waren und sind lange Prozesse, die schliesslich mit viel Geduld und Ausdauer zu den Bildern führen.

Ein Staubsauger, der seine beste Zeit wohl vor fünfzig Jahren hatte, liegt auf dem Boden, hinter ihm ist eine Puppe auf einer Holzkiste platziert. Das Rohr des Staubsaugers führt in ihren Kopf, der in der Mitte aufgerissen ist. Aus ihrem Bauch quellen Drähte, rot und schwarz, die in eine an der Wand befestigte Vase führen.

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Über einem Paravent hängen Unterwäscheteile, die von einer eleganten Frau getragen wurden. Der Paravent ist mit Blumen bemalt – ein Fundstück. Das Fenster ist mit einem Vorhang verschlossen, der Durchblick ist nur durch einen kleinen Spalt möglich. Eine Lampe mit einem textilen Schirm hängt von der Decke.

Ein Mann steht auf einer Kettenleiter und blickt durch ein Loch in der Decke. Die Figur wirkt – wie alles hier – leblos. Die Szenerie wirkt verloren, trotz der Präsenz der Figur eigenartig menschenleer, verlassen, aufgegeben. Es ist dunkel, das bisschen Licht der

Lampe mag den Raum nicht erhellen – und das Gemüt schon gar nicht.

Der Boden, die Wände und die Decke der Hütte, in der wir uns befinden, sind schmutzig und geflickt. Die Oberflächen sind bedeckt mit Zeichnungen und Malereien, Kreide, Kohle, mit dem Stift aufgetragen, oft verwischt, die Spuren der malenden Hände und Finger sind sichtbar. Die Zeichnungen zeigen Gesichter, frontal, Köpfe mit Punktaugen, Linienzopffrisuren, Figuren mit Strichfingern und Strichkörpern. Sie starren, mit halboffenem zahnbewehrtem Mund. Man könnte fast ein wenig Angst bekommen.

Die Holzplatten der Wand sind über- und untereinander geschichtet, es ist eine sehr gebastelte Konstruktion, eine Behausung, die in keiner Weise Wohnlichkeit oder Geborgenheit ausstrahlt. Es ist eine Konstruktion, wie sie Roger Ballen während seiner Arbeit als Fotograf in Südafrika immer wieder antrifft: einfache, ja schäbige Behausungen, in denen

Die Karriere von Roger Ballen, der 1950 in New York City geboren wurde, und der seit 1982 in Johannesburg, Südafrika lebt, hat ihre Anfänge in Porträts des weissen Prekariats des südafrikanischen Hinterlandes. Schon bei diesen ersten Arbeiten, die in den späten 1980ern und den 1990erJahren entstanden waren, war es nicht das Schöne, Ausgeglichene, das ihn interessierte, sondern das Verstörende, das Nonkonforme. Waren es damals die Lebensgeschichten, die in diesen Gesichtern und Körpern eingeschrieben sind, so sind es bei den späteren Bildern die Beziehungen zwischen den Objekten, die eine sehr eigene Stimmung schaffen, die der Fotograf heute mit dem Begriff des Ballenesquen umschreibt.

Erst vor ein paar Jahren hat sich der Fotograf einen Ort geschaffen, der ihm als Studio dient, in dem er die Stimmung und die Szenerien schaffen kann, die für seine Bilder so wichtig sind. Immer noch arbeitet er mit Menschen, die in benachbarten Hüttensiedlungen in Johannesburg leben und die nicht nur regelmässig nach seinen Tieren schauen und ihm und seiner künstlerischen Direktorin Marguerite Rossouw beim Fotografieren assistieren, sondern deren Hände, Füsse und Körper immer wieder in den Bildern erscheinen. Die Stimmung in der Hütte, die wir im beschaulichen Basel wohl eher furchterregend oder unheimlich bezeichnen würden, erscheint ihnen wohl eher vertraut und wohlbekannt. Es ist die Stimmung ihres Daheims … ◀

Andres Pardey ist Vize-Direktor des Museum Tinguely und Kurator der Ausstellung

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