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Value-Investments

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Die große Rotation

Value-Aktien bildeten jahrelang größtenteils das Schlusslicht, verbuchten gegenüber Wachstumswerten jedoch mit den Hoffnungen auf gleich mehrere wirksame Corona-Impfstoffe ihren stärksten Handelstag aller Zeiten.

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WOLFGANG REGNER

An den weltweiten Börsen haben die Impfstoff-Hoffnungen vor allem am 9. und 10. November zu billionenschweren Handelsumsätzen geführt. Einer Analyse von Reuters zufolge belief sich das Handelsvolumen auf fast zwei Billionen Dollar, doppelt so hoch wie üblich. In den besonders stark unter der Pandemie leidenden Sektoren Reise/Tourismus und Banken schossen die Kurse nach oben. Denn nun wird sukzessive eine stärker als erwartete Konjunkturerholung 2021 eingepreist. Zahlreiche Fondsmanager erwischte dieser Trend auf dem falschen Fuß. Wachstumsstarke Aktien, die wegen ihrer Corona-

ACATIS Aktien Global

Der Aktienfonds wird überwiegend in Unternehmen investiert, die aufgrund der traditionellen Aktienanalyse (fundamentale Bottom-up-Analyse) ausgewählt wurden. Dabei erfolgt die Selektion der Titel nach den klassischen Shareholder-Value-Aspekten. Es wird in Unternehmen investiert, die mindestens nach einem der folgenden Kriterien unterbewertet sind: Unterbewertete Unternehmenssubstanz, hohe Ertragskraft (die sich nicht im Börsenkurs widerspie-

Hendrik Leber, Geschäftsführer von Acatis Investment gelt), überdurchschnittlich hohe Ausschüttungen, vernachlässigte Branchen oder Länder, überschätzte Krisen. Wesentlich sind auch die Transparenz des Rechnungswesens und die Corporate Governance des Unternehmens.

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2015 2016 2017 2018 2019 2020

DE0009781740 Volumen 426 Mio.€ Rendite 1 Jahr 13,6 % Ausgabeaufschlag 5,00 % Rendite 3 J. p.a. 9,8 % Total Expense Ratio 1,52 % Rendite 5 J. p.a. 7,9 % Resistenz bevorzugt worden waren, wurden erbarmungslos aus den Portfolien gekippt. Denn den Value-Strategen, also den wertorientierten Investoren, kommt es vor allem auf eine unterbewertete Unternehmenssubstanz, aber auch auf solide und kontinuierliche Umsatz- und Gewinnsteigerungen an. Anleger, die Wachstumsaktien bevorzugen, setzen hingegen auf weit überproportionales Gewinnwachstum.

Bewertungsmodell falsch?

Selbst Value-Experten weisen darauf hin, dass das traditionelle Bewertungsmodell von Fama und French fehlerhaft und allein nicht mehr brauchbar sei. Es setzt nämlich in erster Linie auf ein günstiges Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Zusätzlich seien weitere Indikatoren zur Aktienauswahl erforderlich. Nämlich das Ebitda/EV (operativer Gewinn in Prozent des Unternehmenswerts), das Kurs-Cash Flow-Verhältnis sowie die Netto-Dividendenrendite. Diese drei Kennzahlen beruhen nicht auf Bilanzinformationen und sind somit weniger leicht zu manipulieren. Vor allem bei Unternehmen mit hohen immateriellen Werten (z.B. Patente, selbstentwickelte Software, Markenprodukte, Humankapital) wie Facebook oder Alphabet bringt dieser Ansatz verlässlichere Bewertungen mit sich. Damit bleibt die Frage offen, ob es sich bei den Kursgewinnen des Value-Sektors nur um eine kurzfristige Korrektur völlig vernachlässigter Titel, oder um eine große Rotation, eine strukturelle Rally handelt. Diese ist nur dann zu erwarten, wenn sich die Weltkonjunktur rasanter erholt als erwartet. Und: Nur zyklische Qualitätsunternehmen, die hohe Eigenkapitalrenditen, Wettbewerbsvorteile und strukturelle Wachstums-

chancen aufweisen, werden zu den Gewinnern zählen. So bleibt Stefan Riße, Kapitalmarktstratege bei Acatis, für qualitativ hochwertige Technologietitel positiv gestimmt. „Wer glaubt, dass der Bewertungsabschlag klassischer Value-Aktien wie vor 20 Jahren komplett aufgeholt wird, der irrt. Damals basierten die Bewertungen der Tech-Aktien fast ausschließlich auf Zukunftsphantasien. Diesmal stehen Milliardengewinne dahinter, hohe Wachstumsraten und starke Gewinnmargen“, meint Riße. „Als Value-Investoren haben wir auch in Technologietitel wie Microsoft, Alphabet oder Nvidia investiert und konnten uns so der Value-Schwäche entziehen. Wir nennen das Buffett 2.0. Bereits 1992 schrieb US-Superinvestor Warren Buffett im Geschäftsbericht seiner Investmentholding Berkshire Hathaway: Auch eine Aktie mit einem hohen KGV, einem hohen KBV und einer niedrigen Dividendenrendite kann ein Value Investment sein.“ Marcus Poppe agiert daher als Fondsmanager beim DWS Global Value pragmatisch. Er hält klassische Value-Titel, deren Gewinne bei einer wirtschaftlichen Erholung wieder stark zulegen können. Zugleich setzt er auf höher bewertete Firmen, deren Gewinne stabiler wachsen.

Pragmatischer Ansatz

„Wichtig ist, dass ein Unternehmen auf mittlere Sicht wieder ein solides Gewinnwachstum erzielen kann und eine starke Marktstellung hat“, erklärt Poppe. Aus seiner Sicht ist der Bewertungsabschlag vieler Value-Aktien im Vergleich zu Wachstumstiteln gerechtfertigt. Denn bei den Value-Aktien seien die Gewinne einfach nicht stark genug gestiegen. Das würde sich erst ändern, wenn die Wirtschaft wieder dynamisch wachse und auch die Zinsen zulegen, so Poppe. Dann könnten Aktien aus zyklischen ValueBranchen wie Finanzen, Industrie und Rohstoffe wieder besser laufen. Dass dies ein realistisches Szenario ist, denkt Manfred Schlumberger, Investmentstratege bei BB StarCapital. „Gelingt es im ersten Halbjahr 2021 einen erheblichen Teil der Weltbevölkerung zu impfen, stehen wir ab Mitte 2021 vor einem gewaltigen Wirtschaftsboom. In den USA verdoppelten sich die privaten Ersparnisse um 3.500 Milliarden Dollar. Das entspricht 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieses Geld fließt zurück in die Realwirtschaft, sobald die Pandemie beherrschbar erscheint. Dazu kommen Konjunkturpakete. Auch die niedrigen Rohstoff-/Ölpreise geben der wirtschaftlichen Erholung Rückenwind. In erster Linie werden zyklische Unternehmen aus dem Industrie- und Chemiesektor davon profitieren, dazu die Energiewerte.“ Allerdings: „Wenn aus den Bewertungen der Technologietitel etwas Luft entweicht, könnten sie wieder zu attraktiven Investments werden.“

Ulrich Kaffarnik, Investmentstratege bei DJE Kapital . INTERVIEW

„Längerfristig ist ein Bewertungsabschlag für Unternehmen mit geringem oder gar keinem Wachstum im Vergleich zum Gesamtmarkt rational .“

Wie beurteilen Sie die gewaltige Sektorrotation seit Mitte November?

Die Veränderungen, die in diesen Tagen stattgefunden haben – Growth raus, Value rein – sind mit Blick auf die Risikomodelle im Grunde eigentlich nicht möglich. Insofern war es schon historisch, was da passiert ist. Wie kam es dazu? Die Bewegung kann nur durch institutionelle Anleger ausgelöst worden sein. Wir haben es hier vor allem mit „Short Covering“ zu tun. Die Anleger hatten Short-Positionen aufgebaut bei diversen Titeln, z.B. aus der Reisebranche. Mit der Nachricht, dass ein Impfstoff bald verfügbar sei, kam dann ein rascher Umschwung, verbunden mit der Erwartung einer nun doch relativ schnellen Stabilisierung der Konjunkturerwartungen. Sofern sich über diesen „Impfungseffekt“ die Konjunktur stabilisieren sollte, ist davon auszugehen, dass es eine Phase der Outperformance von Value im Vergleich zu Growth geben kann.

Was spricht für einen breit angelegten Umschwung?

Insbesondere bessere Konjunkturerwartungen. Fraglich ist dabei aber, ob Value in der ganzen Breite outperformen wird. Dazu zählen ja ganz unterschiedliche Sektoren, wie Öl, Banken, Versicherungen oder Versorger. Es ist wahrscheinlich, dass nicht alle Value-Sektoren eine gute Wertentwicklung erzielen werden. Vorsichtig sollte man beim Bankensektor sein, denn die Zinsen werden kaum stark steigen, solange Zentralbanken gegensteuern. Ein konjunkturbedingt durchaus plausibler Anstieg der Kapitalmarktzinsen dürfte nicht so groß ausfallen, dass die Diskontierungsmodelle die Bewertungen aller Growth-Aktien unattraktiv werden lassen. Wahrscheinlicher ist eine Entwicklung, bei der einzelne Growth-Werte unter Druck kommen und einzelne Value-Sektoren gut performen werden.

Ist Value ohne Growth zu Recht tief bewertet?

Längerfristig gesehen ist diese Aussage richtig, auf kurze Sicht gesehen nicht unbedingt. Es können die Bewertungsunterschiede so eklatant groß sein, dass Phasen möglich sind, die realökonomisch für ValueUnternehmen nicht positiv sind (z.B. was die Gewinnentwicklung anbelangt) – aber trotzdem ein Kursanstieg stattfindet. Einfach weil der Preis für die Firmen als zu niedrig erkannt wird.

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