Erziehungswissenschaftliche Fakultät Staatsexamen Lehramt an Grundschulen, 3. Semester Gutachterin: Fr. Heike Rauhut
Leistungsnachweis – Essay Modul 05 – GSD – SACH 02 Thema:
„Ästhetisches Lernen – Wie gemacht für unser Gehirn!“
Namen: Christin Mühle Sarah Weißflog
Leipzig, den 14.03.2016
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
S. 2
1. Was ist ästhetische Wahrnehmung?
S. 3
2. Wie lernt unser Gehirn?
S. 4
3. Wie kann ästhetisches Lernen den kindlichen Lernprozess unterstützen?
S. 5
3.1 Lernen
S. 6
3.2 Wie gemacht für unser Gehirn!
S. 7
4. Zusammenführung und Schlusswort
S. 11
5. Literaturverzeichnis
S. 13
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Einleitung Der Begriff des „Ästhetischen Lernens“ rückt in der Lehrerbildung zentral, nahezu unausweichlich in den Blickpunkt, in das öffentliche Interesse und schließt sich an die, im vergangenen Jahrzehnt an Bedeutung gewonnene Diskussion innerhalb Deutschlands, an. 1 Andererseits muss man feststellen, dass das Wissen über die konkrete Wirkung des Bildungsbereiches nur gering, als auch nicht ausreichend erforscht ist.2 Die These lautet „Ästhetisches Lernen – Wie gemacht für unser Gehirn!“ und bedarf einer Untermauerung. Wir möchten uns mit der Art und Weise, wie sich unser Gehirn neue Informationen aneignet, wie es lernt, beschäftigen, um schließlich herauszufinden, inwieweit sich das ästhetische Lernen als „Königsweg“ innerhalb des Lernprozesses präsentieren kann. Wie lerne ich sinnvoll und nachhaltig? Wie kann ästhetisches Lernen an dieser Stelle unterstützend wirken? Warum ist emotional-ganzheitliches Lernen „wie gemacht“ für unser Gehirn? Wir möchten uns diesen Fragen stellen, anhand einschlägiger Literatur begründend argumentieren und der Aufforderung, sich selbst als Pädagoge innerhalb der Bildungslandschaften mit diesem Themengebiet zu konfrontieren, diskursiv damit umzugehen und letztlich Stellung zu beziehen, nachgehen.
1 Vgl. Liebau, 2013, S. 28 2 Vgl. ebd., S. 27
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1. Was ist ästhetische Wahrnehmung? Bis zum 19. Jahrhundert wurde unter Ästhetik vor allem die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit und der Harmonie sowie Gesetzmäßigkeiten in Kunst und Natur verstanden. Auch im Alltag verbinden wir mit dem Adjektiv ästhetisch all das, was in unseren Augen schön, geschmackvoll und ansprechend ist. Doch der Begriff der Ästhetik geht über die Schönheit hinaus. Ästhetik beschreibt das ganzheitliche, sinnliche Wahrnehmen sowie das sinnliche Empfinden von Wirklichkeiten. Wobei Wahrnehmen als „breit angelegter, innerer Verarbeitungsprozeß, an dem die Sinnesorgane, der Körper, Gefühle, Denken und Erinnerung beteiligt sind […]“ verstanden wird. 3 Alexander Gottlieb Baumgarten, der die Ästhetik als eigenständige philosophische Disziplin in Deutschland begründete, definiert Ästhetik als „die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“ 4. Hierbei wird deutlich, dass nicht nur das Schöne oder Erhabene, sondern auch das Hässliche, Tragische und Komische als Grundkategorien sinnlicher Erfahrung, im engeren Sinne der Wissenschaft Ästhetik, behandelt werden.5 Wenn man sich nun näher mit dem Bildungsbegriff beschäftigt, ist festzustellen, dass jeder etwas anderes mit Bildung assoziiert, so beispielsweise Intelligenz, Wissen, Kultiviertheit, Intellektualität. Wilhelm von Humboldt definiert Bildung als „die Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt, die das Individuum in wechselhafter Ver- und Beschränkung harmonisch-proportionierlich entfaltet und zu einer sich selbstbestimmenden Individualität führt.“6 In Anlehnung an die Begriffe Ästhetik und Bildung wird unter dem Ausdruck der „Ästhetischen Bildung“ ein ganzheitliches Konzept der Bildung zum Ästhetischen und durch ästhetische Mittel bezeichnet. 7 Ferner bedeutet dies, dass Bildungsprozesse dann ausgelöst werden, „wenn eine solche ästhetische Erfahrung den einzelnen in seinem ureigenem Selbstverständnis treffen und ein neues Sehen von Welt und Verstehen von bislang unreflektierten Zusammenhängen eröffnen, die zu einem neuen Sichselbstverstehen führen.“8 Kinder leben nicht in einer Welt wie sie ist, sondern wie sie sie sinnlich wahrnehmen. Jedes Kind hat somit seine individuelle Welt.9 Ästhetische Bildung spielt bei dem Erreichen einer differenzierten Wahrnehmung der Kinder eine bedeutende Rolle, da sie als allumfassender Prozess 3 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 9, 22.11.2015 (Schäfer, 1999) 4 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 1, Folie 21, 09.10.2015 (Baumgarten, 1750, zit. nach Duderstadt 2007) 5 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 1, Folie 18, 09.10.2015 (Vgl. (c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2001) 6 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 5, 22.11.2015 (Zitat nach Humboldt) 7 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 26, 22.01.2015 (Vgl. Kraemer/Spinner, 2002, S.9) 8 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 6, 22.01.2015 (Velthaus, 2002) 9 Vgl. Liebau, 2013, S. 31
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zu verstehen ist, „der nicht auf das Ergebnis allein ausgerichtet sein kann, sondern auf die Tätigkeit an sich“. Eine Kombination von künstlerischer und praktischer Gestaltungsmöglichkeit führt zu individuellen Erkenntnisformen.10 2. Wie lernt unser Gehirn? Um herauszufinden, warum ästhetische Wahrnehmung und das damit verbundene ästhetische Lernen wie „gemacht“ ist für unser Gehirn, lohnt es sich, einen Blick in die Hirnforschung der letzten Jahre als auch speziell in die Vorgänge unseres Gehirns während des Lernprozesses zu blicken. Wie Schomaker berichtet, bestätigte das Max-Planck-Institut anhand kürzlicher Forschungen, dass innerhalb des Lernprozesses nicht die lineare Informationsanlagerung im Vordergrund steht, sondern vor allem die Bildung systematischer Strukturen der Gestaltwahrnehmung. 11 Es geht hierbei um die konkrete Verarbeitung von Erfahrungen, welche mit „Änderungen menschlicher Verhaltensdispositionen“ zusammenhängt12. Im Gegensatz dazu, handelt Erziehung vornehmlich im Sinne der Verbesserung. Demnach bildet das Gehirn beim Lernen komplexe Netze und nutzt die nahezu „unendlichen Kopplungsmöglichkeiten“. Zudem speichert es stets den Kontext der Information: „wo, wann und unter welchen Umständen“ hat das Ereignis stattgefunden? Insbesondere verzeichnet das Gehirn emotionale Umstände, welche die Gedächtnisleistung ungemein fördern. Demnach stellen sich die „neuronalen Netze“ als unbedingte Voraussetzung für „kognitive Leistungen und Verhaltenssteuerungen“ dar.13 In der Hirnforschung verzeichnet man den Begriff des „qualitativen Sprunges“, wenn das Gehirn aus sich selbst heraus Gelerntes verknüpft und so zur Wissenserkenntnis gelangt. Dies lässt sich als gelungenen Lernprozess beschreiben.14 Das gesamte Gedächtnis- und Bewertungssystem hängt zusammen, wenn wir Informationen verarbeiten. Somit zieht eine neue Information, aufgrund unserer vorherigen Erfahrungen, bewertet nach Intensität, Qualität, Modalität o.ä. in das Gedächtnis ein. 15 Ein zentrales System der Informationsverarbeitung ist das limbische System, welches Erlebnisse als auch Denkprozesse emotional kodiert. Es ist also nicht nur bewiesen, dass unser Gehirn Informationen mit internen 10 11 12 13 14 15
Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007, S. 81 Vgl. Schomaker, 2003, S. 1 Gudjons, 2012, S. 220 Vgl. ebd., S. 226f. Vgl. ebd., S. 228 Vgl. ebd., S. 227
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Kodierungen versieht, sondern das diese auch Einfluss auf die Art und Weise, wie wir uns etwas merken können, haben. „Vor allem wenn die Informationen in einen Sinnzusammenhang eingefügt worden sind, der vom Lerner selbst hergestellt wurde, ist die Gedächtnisbildung erheblich verbessert.“16 Demnach sind emotionale Erfahrungen, kategorisierte oder geclusterte Informationen, als auch „nach Bedeutung kodiertes Wissen praktisch dauerhaft“. 17 Neues Wissen muss in das bisherige einsortiert werden, einen gemeinsamen Sinninhalt erzeugen, sich an den bereits gegebenen neuronalen Mustern orientieren und diese erweitern.18 Dieser stets stattfindende Prozess gelingt am Besten durch die Eigenaktivität des Lernenden. Hierbei sollte Gelerntes bearbeitet, sortiert, erprobt und gebraucht werden. Mechanisches Lernen verfehlt an dieser Stelle den Aufbau kognitiver Strukturen und die tiefe Verankerung des Wissens, um ins Langzeitgedächtnis überzugehen. Aus Sicht der Forschung, geht es nicht nur um Wissenserwerb, sondern vielmehr um den „Aufbau von Handlungskompetenz, Handeln, Denken, Lernen“.19 Lernen ist demnach ein unglaublich individueller Prozess. Jeder Mensch besetzt Erlebnisse mit anderen Emotionen, diese wiederum werden verschieden verarbeitet und jede Vorkenntnis unterscheidet sich von der anderen, in welche das neue Wissen eingearbeitet werden soll. 20 Lernergebnisse von Lernenden sind also schwer vorausbestimmbar. 21 Lerngegenstand eines Jeden kann somit nur nach subjektiver Bedeutung entschieden und Bereitschaft für den nächsten Lernschritt nur individuell festgelegt werden.22 3. Wie kann ästhetisches Lernen den kindlichen Lernprozess unterstützen? Die Betrachtung unserer Lernprozesse innerhalb des Gehirns führt uns unweigerlich auf die Fährte des ästhetischen Lernens, wie es im Unterpunkt 1 beschrieben wurde. Lernen und Unterricht müssen individuell gestaltet sein. Um sich an die ästhetische Bildung anzunähern, ist die Wechselwirkung zwischen Sinnes- und Leiberfahrung, d.h. der Zusammenhang von körperlichen Prozessen und Lernen von Bedeutung.23
16 17 18 19 20 21 22 23
Gudjons, 2012, S. 229 Ebd. S. 233 Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007, S. 81 Gudjons, 2012, S. 235 Vgl. ebd., S. 236 f. Vgl. Klein; Vogt, 2002 Vgl. ebd. Vgl. Liebau, 2013, S. 27
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Daher wird im folgenden beschrieben, wie dieses Lernen im Sinne der ästhetischen Bildung aussieht, diskutiert, warum dieses der Weg ist, welchen jeder Lehrer verinnerlichen sollte und welche Schwierigkeiten wir erkennen können, wenn es in die Umsetzung dieser Idee mündet. 3.1 Lernen Die Entwicklungspsychologie lehrt uns: „Nur das Kind selbst kann lernen.“ und jeder ist „Akteur seiner Selbst“.24 Im Schulkontext bedeutet es, dass jedes Kind Produzent als auch „Hauptfigur seiner oder ihrer eigenen Entwicklung“ ist. 25 Unser Gehirn ist darauf angelegt, neuronale Netze zu knüpfen, doch komplexe Fähigkeiten wie „Wahrnehmen und Fühlen, Denken, soziales Verhalten und Sprechen, Phantasie und Kreativität“ erwarten unmittelbare Anregung ihrer Umwelt. 26 Herausforderungen und Anregungen sind der Ursprung vernetzter Denkstrukturen, was wir als erfolgreiches Lernen beschreiben27 und führen anhand der Verarbeitungsprozesse dazu, dass sich das Gehirn weiterentwickelt.28 „Ungefähr bis zum Alter von sieben Jahren ist das Gehirn vorwiegend eine Verarbeitungsmaschine sinnlicher Wahrnehmungen.“29 Demnach stellt sich die Frage, inwieweit Lernen an dieser Stelle durch Lehren steuerbar ist, wo es doch ein hochgradig entwicklungsoffener, sich selbstentwickelnder Vorgang eines Individuums ist. Es findet sich keine Möglichkeit der Substitution. 30 Die Wechselwirkung, welche der Ko-Konstruktivismus beschreibt, zwischen Ich - Bildung und Welt - Bildung zieht sich durch ein ganzes Leben, in allen Aufgaben, Erfahrungen und Welten, die sich einem Menschen eröffnen.31 Ein Mensch ist erst im vollen Besitz seiner Sinne, wenn er die ganze Breite dieser zur Entfaltung gebracht hat. Dieser Verweis deutet auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung entsprechender Auffassungsorgane und der individuell gestalteten Umwelt bzw. zwischen Wahrnehmung und Produktion. „Erst durch Beschäftigung mit den Werken des objektivierten Geistes, [… ] werden die Sinne zu Organen einer differenzierten Auffassung.“32 Somit liegt die Anregung ästhetischer Lernprozesse in der intensiven, kognitiven Verarbeitung durch die Prinzipien: Staunen, Aufmerksamkeit und Imagination.33 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007, S. 16 Honig; Lange; Leu, 1999, S. 9 Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007, S. 22 Vgl. ebd., S. 22, zitiert Singer, 2003 Vgl. ebd., S. 103 Ebd., S. 81 Vgl. Liebau, 2013, S. 29f. Vgl. ebd., S. 30 Ebd., S. 31 Vgl. Schomaker, 2003, S. 2, zitiert nach Kraemer/Spinner, 2002, S. 12
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3.2. Wie gemacht für unser Gehirn! Wenn man die Fakten betrachtet, führt kein Weg im kindlichen (als auch erwachsenen) Lernprozess am ästhetischen Lernen vorbei. So werden vor allem Transfereffekte, die „Nebenwirkungen“ von Bildungsaktivitäten, als weiterer positiver Faktor in Verbindung mit ästhetischem Lernen gebracht. Dabei wird erforscht, ob ästhetische Bildung von konkretem Nutzen für nicht-ästhetische Lernbereiche sein kann. Man spricht beispielsweise von Prävention gegen Drogen, Gewalt, einer besseren Gesundheit oder bessere Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, welche sich fächerübergreifend bemerkbar machen. Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Verwalter, Ökonomen, als auch Schulleiter fragen nach den Wirkungen von Musik, Tanz, Theater, bildenden Künsten, Literatur und deren mögliche Effekte auf soziale Kompetenzen wie Kreativität, Empathie oder Kommunikationsfähigkeit. Eltern glauben den Fachzeitschriften und spielen ihren Kleinkindern Mozart vor.34 Auch die Bastian-Studie bestätigt die begünstigenden, unterstützenden Wirkungen der Transfereffekte auf schulische Hauptfächer wie Mathematik. 35 Ebenso positive Nebeneffekte der ästhetischen Bildung sind der Beitrag zur Ich-Kompetenz, Sachkompetenz und Sozialkompetenz.36 Jedoch ist zu beachten, dass die bloße quantitative Erweiterung der künstlerischen Bildungsangebote nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen führt. Beispielsweise sind naturwissenschaftliche Fächer, Mathematik und Sprachen ergebnisorientiert an den hier zu erwerbenden fachlichen Kompetenzen. Es fragt keiner nach den Transfereffekten für soziale oder kulturelle Fähigkeiten. Dies hat zur Folge, dass zur Begründung ästhetischer Bildung keinesfalls nur auf die Transferargumente eingegangen werden darf.37 Martin Hänze, als auch Luc Ciompi betonen eine Wechselwirkung von Emotion und Kognition, sprich eine Einheit von Denken und Fühlen beim Vollbringen von psychischen Leistungen. 38 Hierbei soll eine emotionale Anbindung von Lerninhalten erfolgen, um die Anwendung des Gelernten im Alltag oder speziellen Situationen zu gewährleisten, was eben durch das ästhetische Lernen erzielt werden kann. Aufgabe der Lehrkräfte ist es, dabei die unterschiedlichen Gefühlslagen zu kennen und mit ihnen entsprechend individuell umzugehen. Ein nächster Punkt welcher für eine ästhetische Bildung spricht, ist die Einführung von Bildungsstandards zur Sicherung der Unterrichtsqualität, aufgrund des PISA-Schocks 2013, sowie der Paradigmenwechsel in der Bildung. Aus einer ehemaligen Inputorientierung, wobei staatliche 34 Vgl. Liebau, 2013, S. 28 35 Vgl. ebd., S. 28, vgl. nach Bastian et al., 2001 36 Vgl. ebd., S. 28 37 Vgl. ebd., S. 28f. 38 Vgl. Schomaker, 2005, S.1, zitiert nach Hänze, 1998, S. 130; Ciompi, 1997, S. 13
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Vorlagen, in Form des Lehrplans, vorschrieben, welche Inhalte und Gegenstände im Unterricht zu behandeln sind, wurde eine Outputorientierung. Hierbei werden nicht konkrete Inhalte und Gegenstände festgelegt, sondern die an ihnen zu erwerbenden Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bereitschaften und Kompetenzen, welche insbesondere durch Einbezug ästhetischer Bildung gefördert werden können. Doch wo speziell findet sich ästhetische Bildung in unserem bisherigen leistungsorientierten und weniger lernorientierten Schulunterricht wieder?39 Wie gut ist ästhetische Bildung schon umgesetzt? Die Vordenker unserer Bildungslandschaften versuchen Ästhetische Bildung vermehrt in die pädagogischen Angelegenheiten zu streuen, verankern diese in Bildungsplänen der Kindergärten, impfen zukünftige Lehrer mit den Vorteilen dieser Variante und es etablieren sich Weiterbildungen dieser Fachrichtung. Bekannt ist der Begriff der Ästhetik meist unter „Zugang zu Künsten eröffnen“, wobei das nur wenig mit dem zentralen Punkt, nämlich dem Bedarf unseres Gehirns (siehe Unterpunkt 2), zu tun hat. Blickt man einmal auf den Erziehungs- und Bildungsanspruch eines Kindes, so stehen Identitätsentwicklung, Ich-Stärkung, Selbstbestimmung, Autonomie, kreatives Denken sowie die Entwicklung von Interesse und Motivation im Vordergrund. Zu den Entwicklungsaufgaben im Kindesalter zählen auch die emotionale Basis, worunter Stabilität, Stimmungen und wiederum die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes verstanden werden, eine sensorische Integration, weiterhin Motorik, sprich Ausprägung des Gleichgewichtssinnes, der Koordination, Kraft und Ausdauer. Darüber hinaus spielen auch Lautbildung, Begriffsbildung, sowie Bedeutungssysteme in Bezug auf die Sprache und schlussendlich auch die kognitive Steuerung eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Kindes. Schaut man nun auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag, zum Beispiel im Fach Sachunterricht, so werden hier in erster Linie Fach- und Sachkompetenz, Lern- und Methodenkompetenz, Handlungskompetenz oder Begriffs- und Konzeptbildung verlangt. Kompetenzen werden dabei als „die bei den Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen […]“, definiert.40 Vergleicht man nun den Bildungs- und Erziehungsauftrag des Faches Sachunterricht mit dem Erziehungs- und Bildungsanspruch des Kindes, sind fast keine Parallelen zu sehen. Damit lässt sich auch auf einen unzureichenden Einbezug ästhetischer Bildung im Sachunterricht schließen, denn auch im Perspektivrahmen sucht man vergeblich nach der ausgesprochenen Forderung nach ästhetischer Bildung. 41 Die Thematisierung der Wahrnehmung an sich, findet man jedoch in den Hinweisen zu den 39 Vgl. Klein; Vogt, 2002 40 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 14, 22.01.2015 (Weinert, 2001, S. 27f.) 41 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 20, 22.01.2015 (Vgl. GDSU, 2013)
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Kompetenzbereichen im Perspektivrahmen, in den Punkten Umsetzen/Handeln, dem Gestalten von Präsentationen und der gemeinsamen Kommunikation, der Zusammenarbeit mit anderen, wieder. 42 Auch der Sächsische Lehrplan greift auf ein „Lernen mit allen Sinnen“, wie es Claudia Schomaker in ihrem Text „Sinn-volle Bildung im Sachunterricht“ fordert 43, einem Lernen ausgehend von einer Orientierung an der Lebenswelt der Kinder, zurück: „Im Vordergrund stehen jedoch authentische Begegnungen, damit der Schüler sich selbst ein Bild von der Welt machen kann. Die Begegnung mit dem Original, das gezielte Untersuchungen und Experimentieren, Befragung und Exkursion ermöglichen die klärende Auseinandersetzung mit der Sache. Dabei sind der subjektive Zugang und der sachliche Bezug in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.“44 Weiterhin steht in Bezug auf die allgemeinen Aufgaben der Grundschule geschrieben: „In Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur bilden die Schüler ihr ästhetisches Empfinden aus und entwickeln ihre individuelle Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit.“45 Hier fällt zum ersten Mal das Wort ästhetisch, aber nur im Zusammenhang mit Künsten und Kultur. Wogegen zugleich der Sächsische Bildungsplan spricht: „Ästhetische Bildung darf nicht reduziert werden als ´Kunst´, die ´schöne´ Gegenstände, Bewegungen, Töne, usw. produziert, als eine ´Zutat´, durch die etwas hergestellt wird, was von Erwachsenen als ´gut´ oder ´schön´ bewertet wird.“ 46 In der Rezeption und Produktion des Ästhetischen ist ein erhöhter Bildungswert sichtbar. Zur Ausschöpfung dieses gegebenen Potentials, bedarf es jedoch einer über die Vorgaben des Rahmenplanes hinaus gehenden, fächerübergreifenden Öffnung des Unterrichts für ästhetische Zugangsweisen zu den verschiedenen Lerninhalten, auch wenn diese vorerst keine direkte Verbindung zu den Künsten aufweisen.47 „Der Vorgang des Lernens selbst soll ästhetisiert werden […]“. 48 „Ästhetische Bildung möchte die Welt durch spielerische, emotional-ganzheitliche und körperlich-sinnliche Zugänge und Erfahrungen erschließen.“49 In vielen Lernbereichen des Lehrplans wie dem „Mitgestalten der Lerngemeinschaft und der -umgebung“ (Kl. 1/2 Lernbereich 1) oder „Einblick gewinnen in die Farbphänomene der Natur“ (Kl. 1/2 Wahlpflicht 5, Farben der Natur) wird das Augenmerk auf eine ästhetische Wahrnehmung gelegt. Doch auf eine tiefergehende Verarbeitung dieser Wahrnehmungen, im Sinne des ästhetischen 42 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 20, 22.01.2015 (Vgl. GDSU, 2013, S. 20f.) 43 Vgl. Schomaker, 2005, S. 2 44 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 29, 22.01.2015 (Staatsministerium für Kultus, 2009) 45 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 30, 22.01.2015 (Staatsministerium für Kultus, 2009, Ⅶ) 46 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 25, 22.01.2015 (Sächsischer Bildungsplan) 47 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 26, 22.01.2015 (Vgl. Kraemer/Spinner, 2002, S. 9) 48 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 27, 22.01.2015 (Kahlert/Lieber, S. 13) 49 Seminarpräsentation H. Rauhut, Sitzung 6, Folie 27, 22.01.2015 (Kraemer/Spinner, 2002, S.10)
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Lernens, wird nicht eingegangen. Immer wieder wird uns durch unterschiedliche Studien, Fachtexte und Forschungen aufgezeigt wie „gemacht“ ästhetisches Lernen für unser Gehirn ist, aber zugleich wird uns auch gezeigt, wie unzureichend ästhetisches Lernen bis heute im Unterricht umgesetzt wird. Und nicht einmal die unzureichende Umsetzung des ästhetischen Lernens ist das Schlimmste, wir bemerken gar nicht wie Schule die natürlichen, angeborenen Fähigkeiten unserer Kinder unbeabsichtigt, aber systematisch zerstört, wie es im Dokumentarfilm „Alphabet“ von Erwin Wagenhofer dargestellt wird.50 Wir sehen stillschweigend zu und akzeptieren die vorgegebenen Vorstellungen. Unser Bildungsziel ist Erfolg, nicht Freude, Kreativität und Neugier am eigenständigen Entdecken und Erforschen. Leistungsdruck und Konkurrenzdenken prägen unsere Gesellschaft. Eine durchgeführte Langzeitstudie für unkonventionelles Denken im Film zeigt, dass alle Menschen mit natürlichen Fähigkeiten geboren werden. Nachdem sie in der Schule unterrichtet wurden, sank das Fähigkeitspotential, von 98% der Beteiligten, auf 32%. Im Alter von 25+ betrug das erreichte Niveau nur noch 2%. Dies ist der Beweis, dass sich in unseren Bildungssystemen etwas ändern muss. Wo bleibt also die pädagogische Revolution, wo bleibt der Aufstand der Hirnforscher angesichts einschlagender neurologischer Erkenntnisse?
50 Alphabet, Wagenhofer, 2013
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4. Zusammenführung und Schlusswort Anhand der gewonnen Erkenntnisse über das Thema „Ästhetisches Lernen“ beziehungsweise „Ästhetische Bildung“ lässt sich feststellen, dass der Hauptteil unserer Argumentation für die These „Ästhetisches Lernen – Wie gemacht für unser Gehirn!“ steht. Angefangen mit der Auseinandersetzung über den stattfindenden Prozess während des Lernens in unserem Gehirn, ließ sich feststellen, dass sinnvolles Lernen nicht auf eine reine lineare Informationsanlagerung, sondern viel mehr auf die Verarbeitung persönlicher Erfahrungen und auf die Kontexte der Wissensaneignung abzielt. Vor allem emotionale Umstände werden vom Gedächtnis verzeichnet und fördern die Gedächtnisleistung besonders.51 Auch die Einheit von Denken und Fühlen beim Vollbringen von psychischen Leistungen soll gefördert werden. 52 Da Emotionen und Vorerfahrungen bei jedem Kind verschieden stattfinden, muss Lernen und Unterricht individuell gestaltet werden. Um sich mit diesem Vorwissen der Ästhetischen Bildung zu nähern, sollte beim Lernen die Wechselwirkung zwischen Sinnes- und Leiberfahrung eine bedeutende Rolle spielen.53 Das heißt, dass komplexe Fähigkeiten, wie Wahrnehmen, Fühlen, Kreativität, Phantasie, etc. durch die Umwelt angeregt werden müssen, um komplexe neuronale Netze knüpfen zu können54, welche uns zum erfolgreichen Lernen führen. Weiterhin sind die Transfereffekte des Ästhetischen Lernens von großer Bedeutung. Es ist bewiesen, dass diese Art von Lernen, darunter inbegriffen auch künstlerische Bildung positiv auf unsere Leistungen in nicht-ästhetischen Bereichen, seien es die Hauptfächer des Unterrichts, soziale Kompetenzen und die eigene Persönlichkeitsentwicklung, einwirkt. 55 Die Einführung von Bildungsstandards,
der
Paradigmenwechsel
in
der
Bildung,
als
auch
Humboldts
Bildungsverständnis sind weitere Punkte, welche uns immer wieder auf das Ästhetische Lernen zurückgreifen lassen. Unsere Bildung ist nicht frei von Ästhetik, die Ästhetik wird nur nicht zur Entfaltung gebracht. Sie wird reduziert auf „Kunst“, „Musik“ und „Sport“, wobei sie in den anderen Fachbereichen nicht zum Ausdruck kommt. Auch Lehrpläne, Bildungsstandards, Erziehungsansprüche „weigern“ sich beinahe den Begriff der Ästhetischen Bildung aufzunehmen. Es wird vom Wahrnehmen, aber nicht vom Produktiv-Sein gesprochen. Die verkürzte Sichtweise ästhetischen Lernens in Bildungsplänen verdeutlicht, dass die Berücksichtigung subjektiver und affektiver Anteile im Unterricht den Zielen 51 Vgl. Gudjons, 2012, S. 226 52 Vgl. Schomaker, 2005, S.1, zitiert nach Ciompi, 1997, S. 13 53 Vgl. Liebau, 2013, S. 27 54 Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Soziales, 2007, S.22 55 Vgl. Liebau, 2013, S. 27
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einer ästhetisch orientierten Bildung nicht gerecht wird. 56 Mit zunehmender Umsetzung des Ästhetischen Lernens im Unterricht, würde sich auch eine neue Rolle für den Lehrer ergeben. Als „kompetenter Fachmann für Unterricht“, hat die Lehrkraft nicht mehr allumfassenden Einfluss, ist jedoch kompetent in seinen Dingen, individuell, flexibel, lernorganisierend und hat klare (Lern-) Ziele.57 Angesichts des „boomenden“ Begriffs der Ästhetik auch in Deutschland 58, als auch des allgemein hohen Stellenwerts des Ästhetischen in der Gesellschaft, so beispielsweise in Bezug auf die Kunstszene,
der
Gestaltung
des
öffentlichen
Raumes,
Medien,
Produktdesign,
Kommunikationsgestaltung sowie bei der Ästhetisierung des Individuums, wäre es an der Zeit der Ästhetik in einem nie endenden Prozess, nämlich dem Lernen, insbesondere in der Schule, Einlass zu gewähren und damit unsere Kinder wieder zum Staunen zu bringen.
56 Vgl. Schomaker, 2005, S.3 57 Vgl. Gudjons, 2012, S. 264 58 Vgl. Schomaker, 2005, S. 1
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5. Literaturverzeichnis GUDJONS, Herbert (2012): Pädagogisches Grundwissen. 11. Auflage. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt HONIG, Michael-Sebastian; LANGE, Andreas; LEU, Hans-Rudolf (Herausgeber) (1999): Aus der Perspektive von Kindern? Zur Methodologie der Kindheitsforschung. Weinheim und München: Juventa Verlag LIEBAU, Eckart (2013): Ästhetische Bildung: Eine systematische Annäherung. Wiesbaden: Springer Verlag SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR SOZIALES (2007): Der Sächsische Bildungsplan: Ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte in Krippen, Kindergarten Horten sowie für Kindertagespflege. Dresden: SV Saxonia SCHOMAKER, Claudia (2005): Sinn-volle Bildung im Sachunterricht. In: Widerstreit-Sachunterricht, Ausgabe 5/Oktober 2005,1-4 (ISSN 1612-3034) SEMINARPRÄSENTATION Modul 05 – GSD – SACH 02, Heike Rauhut, WiSe 15/16 Internetquellen: VOGT, Herbert; KLEIN, Lothar: balance pädagogik & management; http://www.balancepaedagogik.de (2000) Aus: TPS-Sammelband "Kinder, Lernen, Bildung" (2002): Das Abenteuer des entdeckenden Lernens. Kinder lernen am besten auf eigenen Wegen. Kallmeyer-Verlag
Filmquellen: WAGENHOFER, Erwin (Regie) (2013): Alphabet. Österreich: Prisma Film, 2013, Film
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