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BELFAST – DIE GETEILTE STADT

Dieses an ein Schiff erinnernde futuristische Bauwerk beherbergt das Titanic-Museum.

Noch immer prägt die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Republikanern und Royalisten, das Leben in der nordirischen Metropole. Darüber kann auch die pulsierende City mit ihrer Vielfalt an Geschäften und Kneipen nicht hinwegtäuschen

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Hoffnung, Zorn, Verzweiflung, Arroganz und Gleichgültigkeit – wer als Fremder mit offenen Augen und Ohren durch Belfasts Straßen geht, erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Noch immer prägt die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Arm und Reich, das Bild von Nordirlands Hauptstadt.

In der pulsierenden City rund um das imposante Rathaus begegnen sich zwar alle; doch nur ein paar hundert Meter weiter östlich erhebt sich eine 40 Meter hohe Mauer aus Stahl und Plastik. „Peace Wall“ heißt die Sperrwand. Sie trennt katholische und protestantische Wohnviertel voneinander. Während die Häuser der Katholiken in der Falls Road unmittelbar an die Mauer heran-

reichen, halten jene auf der anderen Seite an der Shankill Road Abstand. Es könnte ja ein Molotow-Cocktail von drüben herübergeschleudert werden.

Nicht weit entfernt von diesem hässlichen Bauwerk trifft man auf eine weitere Einrichtung der permanenten Abtrennung. Zwei Eisentore verschließen abends die Straße hinauf zu den Wohnungen der Royalisten. Sie sind einst aus Schottland und England zugewandert. Ihren Status wollen sie um jeden Preis erhalten. Nordirland gehört für sie zum Vereinigten Königreich. Und damit basta. Warum die massiven Tore? Die Begründung sagt viel über die unveränderte Stimmungslage aus. Es könnten abends ja katholische Jugendliche die Nachtruhe stören.

Auf einem Platz zwischen den beiden Toren fällt der Blick auf ein kleines Zelt. An dem Pfosten, an dem es sich festhält, hängt ein kleines Schild. „Prayer Tent“ steht darauf. Es lädt dazu ein, jeden Don

RECHTS // Dieses Bild erinnert an einen Mann aus Belfast, der im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten gekämpft hat.

UNTEN // Die lange Reihe der typischen Wandbilder thematisiert nicht nur nordirische Probleme, sondern Ereignisse weltweit. Wer beten möchte – für was auch immer – findet hier einen Ort. Jeden Donnerstag für zwei Stunden. Zwischen den Eisentoren.

OBEN// Die Trennwand als Gedenkstätte – ein mahnender Stachel im Fleisch der Erinnerung. Hier empfindet man die Geschichte als sehr gegenwärtig.

MITTE// Eine Ikone des Widerstands: Robert George „Bobby“ Sands war Mitglied der IRA, Hungerstreikender, Abgeordneter im britischen Unterhaus – und ein Poet. Er starb am 5. Mai 1981 nach 66 Tagen an den Folgen seines Hungerstreiks im Gefängniskrankenhaus.

RECHTS // Die „Titanic People“ – eine Skulpturengruppe als Denkmal für die selbstbewussten Arbeiter, die einst das Flaggschiff der Belfaster Werft gebaut haben. nerstag zwischen ein und drei Uhr nachmittags die Gelegenheit für ein Gebet zwischen den beiden trennenden Toren zu nützen. Ein rührendes Angebot angesichts der immer noch verhärteten Fronten. An denen hat auch das zwischen den Regierungen in London, Dublin und den nordirischen Parteien ausgehandelte „Karfreitagsabkommen“ von 1998 nichts geändert.

DER „GRÜNE“ POLITIKPROFESSOR JOHN BARRY FÜRCHTET, DIE ALTEN KONFLIKTLINIEN KÖNNTEN DURCH DEN „BREXIT“ WIEDER AUFGERISSEN WERDEN

Immerhin bedeutet der modus vivendi, dass Protestanten und Katholiken, Unionisten und Republikaner nicht mehr aufeinander schießen.

Auf einer großen Demonstration gegen den Brexit vor dem Rathaus in Belfast hat der bekennende „grüne“ Politikprofessor Dr. John Barry im Herbst 2018 ein flammendes Plädoyer für Europa gehalten. Ganz

unkonventionell in rotem T-Shirt, mit gelber Warnweste und schwarzen Shorts. Sein und Schein sind bei ihm deckungsgleich. Im Gespräch sagt er voraus, dass sich der Brexit negativ auf die Verhältnisse in Nordirland auswirken werde. „Brexshit“ kommt’s ihm über die Lippen. Er fürchtet, die alten

S

Seinen wohl bekanntesten Niederschlag in der Pop- und Rockgeschichte hat der Nordirlandkonflikt in dem 1989 veröffentlichten Song „Belfast Child“ der Band „Simple Minds“ mit seinem speziellen „irischen“ Sound gefunden.

Konfliktlinien könnten wieder aufgerissen werden.

Konflikte, wie sie die zahlreichen politischen Wandzeichnungen (murals) in der Stadt erzählen. Überwiegend im Westen der Katholiken, doch auch bei den Royalisten sieht man sie. Einige der „murals“ dokumentieren über die Grenzen des Landes hinaus wichtige Ereignisse weltweit. Ihren wohl besten Kenner kann man im Pub „The Fountain“ treffen. Dort macht er einmal in der Woche mit einigen Kumpels Musik. Die meisten Gäste warten, bis eine der beiden Frauen in der Runde zu singen beginnt. Was für eine elektrisierende Stimme! Ein Paar beginnt zu tanzen. Am nächsten Tag führt der Bilderspezialist zu einigen der Objekte. Er „outet“ sich dabei als emeritierter Professor.

Wer Belfast besucht, kommt an der „Titanic“ nicht vorbei, die hier vom Stapel gelaufen ist. In einem großen, futuristisch anmutenden Museum erfahren die Besucher alles rund um den von der Werft Harland & Wolff gebauten Superdampfer. Das Schiff kollidierte noch auf seiner Jungfernfahrt am 14. April 1918 mit einem Eisberg und sank innerhalb von zwei Stunden und 40 Minuten. 1514 der über 2200 Menschen

OBEN // „Road closed“ steht auf einem Schild an einem der Eisentore, die nachts die Zufahrt zum protestantischen Stadtteil verschließen.

UNTEN // Demonstration für Europa in Belfast.

an Bord fanden den Tod. 100 Jahre später hat die Werft ebenfalls die Schotten dicht gemacht. Das Unternehmen, das schon lange keine Schiffe mehr gebaut hat, ist von einer Firma in London gekauft worden. Kein Problem für die Protestanten; den katholischen Arbeitern dürfte es jedoch einen Stich in eine ohnehin nur oberflächlich verheilte Wunde versetzt haben. -uss

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