kult! 60er · 70er · 80er
www.goodtimes-kult.de
D: 6,50
Österreich 7,50 Luxemburg 7,50 Schweiz CHF 12,70 Ausgabe 2/2019 (Nr. 20)
20.
Ausgabe
mit
Poster
50 Jahre
Pierre Brice · John Carpenter · Michel aus Lönneberga · BMX · Woodstock · Don Camillo · Nummer 6
GRAPHIC NOVEL COLLECTION
T TZ ! JE U NE
BATMAN
AUSGABE 1 NUR €3.99!
AUS DER TV-WERBUNG
TM & © 2019 DC Comics. All Rights Reserved. (s19)
Diese neue Serie von Graphic Novels im Hardcoverformat ergibt zusammen ein episches Sammelwerk, das Batmans Lebensgeschichte von Anfang bis Ende erzählt.
WEITERE INFORMATIONEN UNTER:
BATMAN-COLLECTION.DE
Impressum Anschrift:
kult!
20.
Ausgabe
NikMa Verlag Fabian Leibfried Eberdinger Straße 37 71665 Vaihingen/Enz Tel.: 07042/37660-160 Fax: 07042/37660-188 E-Mail: goodtimes@nikma.de www.goodtimes-kult.de www.facebook.com/goodtimeskult
Herausgeber und Chefredakteur:
mit
Fabian Leibfried
Poster
Mitarbeiter: Norbert Arndt, Matthias Auer, Matthias Bergert, Jens-Uwe Berndt, Horst Berner, Kathrin Bonacker, Lothar Brandt, Susanne Buck, Petra Czerny, Marco Frömter, Michael Fuchs-Gamböck, Hans-Jürgen Günther, Thorsten Hanisch, Christian Hentschel, Michael Klein, Andreas Kötter, Madita Leibfried, Niklas Leibfried, N icolas von Lettow-Vorbeck, Kati Naumann, Hans-Joachim Neupert, Markus Nöth, Helmut Ölschlegel, Jörg Palitzsch, Manfred Prescher, Thorsten Pöttger, Sven Rachner, Malte Ristau, Philipp Roser, Roland Schäfli, Thorsten Schatz, Ulrich Schwartz, Christian Simon, Daniel Stroscher, Alan Tepper, Claudia Tupeit, Uli Twelker, Thomas Wachter, Jürgen Wolff
Abonnements, Shop, Social Media: Andrea Leibfried – goodtimes@nikma.de
Grafische Gestaltung: Andrea Zagmester – kult@nikma.de Kathleen Müller – grafik@nikma.de
Anzeigenverkauf: Petra Czerny – anzeigen@nikma.de
Vertrieb: IPS Pressevertrieb GmbH Postfach 1211 53334 Meckenheim Tel: 0 22 25/88 01-0
Druckerei: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG Frankfurter Str. 168 34121 Kassel
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Ausgabe April 2019 2/2019 (Nr. 20)
Editorial
Es ist wieder Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen! Gehörten Sie einst auch zu den Fans von Beat und Glam Rock, die zwar für Ilja Richters Disco" den Fernseher einschalteten, aber " nur heimlich – zumindest nach außen hin, den Freunden gegenüber – am Samstagabend im Pyjama auf der heimischen Couch saßen und die ZDF Hitparade" verfolgten, die jetzt " 50. Geburtstag feiert? Oder zu denen, die sich zum Kauf eines eigentlich nicht unbedingt nötigen Objekts verleiten ließen, weil der Lieblingsschauspieler oder die Bildschirm-Favoritin dafür Werbung machte? Auf Flohmärkten dürften sich wohl auch viele von Ihnen herumgetrieben haben in der Hoffnung auf ein kultiges Schnäppchen, oder? Für Möchtegern-Piraten lieferten Filme, Comics und Bücher Inspiration, während die Comic-Stars Fix und Foxi oder Batman für bunte Unterhaltung sorgten, zu der man an der Coca-Cola-Flasche nuckelte. Und wer hat sich nicht an den oft leicht schrägen Krimi- und Action-Serien erfreut, die im Vereinigten Königreich entstanden und so anders waren als die hier in Deutschland gedrehten? Und so manchen dürften die Eltern zu nachtschlafender Zeit vor die seinerzeit noch schwarz-weiße Glotze gelassen haben, als Neil Armstrong vor einem halben Jahrhundert als erster Mensch den Mond betrat. Ja, es war viel los vor 50 Jahren, beispielsweise auch im allerdings weit entfernten Woodstock. Nehmen Sie sich die Zeit, um in der mittlerweile 20. Ausgabe von kult! zu schmökern!
siehe Seite 75
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100 Kult-Fußballer
Titelfoto:
Bundesliga ‘63 – ‘89
Alexandra: INTERFOTO / Felicitas
Zu bestellen im Shop Seite 21
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kult! Nr. 21 erscheint am 25. Oktober 2019 GoodTimes
2/2019
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Seite
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Inhaltsverzeichnis
ZDF-Hitparade | S. 36
Michel aus Lönneberga | S. 40
Rubriken
24 | Gondel-Magazin
3 Editorial | Impressum
26 | Mercedes C111
4 Inhaltsverzeichnis
6 Top 5 | TV-Krimi-Serien Mitarbeiter & Prominenz
8 News from the past | Altes neu ausgepackt
Die vielen Leben der Dinge Eine schrecklich nette Familie
32 | Profit mit Promis
6 4 Kultbücher | Geschätzt, geliebt, gelobt
Filmstars in der Werbung
36 | 50 Jahre ZDF-Hitparade" " Hochamt des Schlagers
75 kult!-Abo-Bestellschein 106 kult!-Preisrätsel
40 | Michel aus Lönneberga
12 | Alltags-Kult
Damals in der Drogerie
Ein Blondschopf bringt die Welt in Ordnung
42 | BMX
1 4 | Hella Brice
Winnetous Erbe
Heißer Ofen" vieler Kids "
44 | Perry Rhodan
16 | 50 Jahre Mondlandung
· Das größte Abenteuer in der Menschheitsgeschichte! · Attraktive Astronomie mit Apollo 11
Der Erbe des Universums
46 | Flash Gordon
22 | Kult-Mode
28 | Faszination Flohmarkt
51 kult!-Riesenposter Freddie Mercury & Chris Roberts
Das grellorange Stromlinienbaby
30 | Sitcoms der 80er Jahre – Serie (Teil 1)
21 kult!-Shop
Girls und Glamour am Rande des Verbotenen
Flash – Aahhh-haaaaaaa!
48 | John Carpenter
Hemden aus dem Olymp
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GoodTimes
König der Finsternis 2/2019
kult!
Britische Krimi-Serien der 70er Jahre | S. 66
Alexandra | S. 102
50 | Werbe-Ikonen – Serie (Teil 7) Brauner Bär 59 | TV-Charaktere – Serie (Teil 8)
90 | Kino-Bösewichte – Serie (Teil 8)
92 | MAD" – Das vernünftigste "Magazin der Welt
Tarzan
60 | Fortuna Düsseldorf – 40 Jahre nach den Pokalerfolgen
Als die Fortuna zum Establishment gehörte
62 | H.G. Wells Jenseits von Zeit und Raum 66 | Britische Krimi-Serien der 70er Jahre
94 | 50 Jahre Woodstock
96 | Brescello
Don Camillos Zuhause
72 | 80 Jahre Batman
100 | Sehnsuchtsort Videothek
76 | Das Jahr 1979
102 | Alexandra
80 | Fix und Foxi – Super Tip Top Monats-Band
104 | Der Krampf der Sterne
Die Philosophie hält Einzug ins Serien-TV Der dunkle Ritter
Grüner Wind, Revolution & Tod des Punk Die sagenhafte Auswahlreihe mit den besten Bildstorys unserer Zeit
Von der Medizin zum Kult-Getränk Bitte zurückspulen!
Die ökologische Stimme der Sehnsucht! The Star Wars Holiday Special
82 | Piraten
Tollkühne Abenteuer auf allen Meeren
86 | Jack London
Reiten auf dem Rücken des Glücks GoodTimes
MAD
· Das Musical – The Story · Interview mit den Woodstock-Legenden Bobbi und Nick Ercoline
98 | Coca-Cola
Koteletten, Charme und smarte Typen
MAD" hinterlässt mehr als " eine Zahnlücke
70 | The Prisoner – Nummer 6
Jack Elam
2/2019
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Seite
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Krimi-Serien
Bestenliste | Top 5
Petra Czerny
Michael Klein
Nicolas von Lettow-Vorbeck
1. Der Kommissar 2. Derrick 3. Die Profis 4. Starsky & Hutch 5. Columbo
1. Miami Vice 2. Petrocelli 3. Derrick 4. Die Straßen von San Francisco 5. Mit Schirm, Charme und Melone
1. Der Kommissar 2. Columbo 3. Mit Schirm, Charme und Melone 4. Derrick 5. Sherlock Holmes (Jeremy Brett)
1. Magnum 2. Das A-Team 3. Miami Vice 4. Mord ist ihr Hobby 5. MacGyver
Matthias Bergert 1. Columbo 2. Knight Rider 3. Mit Schirm, Charme und Melone 4. Kobra, übernehmen Sie 5. Hart, aber herzlich
Foto: © Miau Musikverlag GmbH
Fabian Leibfried
Hans-Joachim Neupert 1. Mit Schirm, Charme und Melone 2. Detektiv Rockford – Anruf genügt 3. Kobra, übernehmen Sie 4. Magnum 5. Graf Yoster gibt sich die Ehre
Stefan Waggershausen Horst Berner 1. Mit Schirm, Charme und Melone 2. Die 2 3. Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger 4. Graf Yoster gibt sich die Ehre 5. Nick Knatterton
1. Geheimauftrag für John Drake 2. Mit Schirm, Charme und Melone 3. 77 Sunset Strip 4. Nummer 6 5. Die 2
Markus Nöth 1. Ein Fall für zwei 2. Der Alte 3. Derrick 4. Das A-Team 5. Kommissar Rex
Kathrin Bonacker
Michael Fuchs-Gamböck
Andreas Kötter
Jörg Palitzsch
1. Magnum 2. Petrocelli 3. Columbo 4. Detektiv Rockford – Anruf genügt 5. Derrick
1. Soko 5113 2. Der Kommissar 3. Magnum 4. Kojak – Einsatz in Manhattan 5. Drei Engel für Charlie
1. Auf der Flucht 2. 77 Sunset Strip 3. Die Unbestechlichen 4. Percy Stuart 5. Der Chef
1. Der Kommissar 2. Graf Yoster gibt sich die Ehre 3. Die 2 4. Die Straßen von San Francisco 5. Eurocops
Susanne Buck
Thorsten Hanisch
Andrea Leibfried
Manfred Prescher
1. Columbo 2. Quincy 3. Die 2 4. Kojak – Einsatz in Manhattan 5. Drei Engel für Charlie
1. Die 2 2. Columbo 3. Sledge Hammer 4. Sherlock Holmes (Jeremy Brett) 5. Allein gegen die Mafia
1. Miami Vice 2. Ein Colt für alle Fälle 3. Hart, aber herzlich 4. Liebling Kreuzberg 5. Die Straßen von San Francisco
1. Kojak – Einsatz in Manhattan 2. Mit Schirm, Charme und Melone 3. Starsky & Hutch 4. Die 2 5. Mannix
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GoodTimes
2/2019
kult!
Mitarbeiter & Prominenz
Sven Rachner
Christian Simon
1. Columbo 2. Ein Fall für zwei 3. Die Straßen von San Francisco 4. Hart, aber herzlich 5. Miami Vice
1. Der Kommissar 2. Derrick 3. Stahlnetz 4. Isar 12 5. 77 Sunset Strip
Philipp Roser
Daniel Stroscher
1. Die 2 2. Ein Colt für alle Fälle 3. Hart, aber herzlich 4. Graf Yoster gibt sich die Ehre 5. Das A-Team
1. Der Kommissar 2. Derrick 3. Sonderdezernat K1 4. Die Krimistunde 5. Dem Täter auf der Spur
Roland Schäfli
Alan Tepper
1. Magnum 2. Die Straßen von San Francisco 3. Detektiv Rockford – Anruf genügt 4. Die Profis 5. Die 2
1. Magnum 2. Drei Engel für Charlie 3. Simon Templar 4. Der Kommissar 5. Die Straßen von San Francisco
Thorsten Schatz
Thomas Wachter
1. Miami Vice 2. Die 2 3. Die Profis 4. Polizeirevier Hill Street 5. Magnum
1. Detektiv Rockford – Anruf genügt 2. Die 2 3. Mannix 4. Starsky & Hutch 5. Cannon
Ulrich Schwartz
Andrea Zagmester
1. Columbo 2. Die Straßen von San Francisco 3. Petrocelli 4. Der Fahnder 5. Die Profis
1. Remington Steele 2. Simon & Simon 3. Petrocelli 4. Kobra, übernehmen Sie 5. Magnum
News
from the past
Bücher & Comics GESCHICHTE WIRD GEMACHT
DEUTSCHER UNDERGROUND IN DEN ACHTZIGERN Von ar/gee gleim 2019, Heyne Hardcore ISBN 978-3-45327-211-8 248 Seiten; 30,00 €
Düsseldorf, Wuppertal oder gar Hagen sind gemeinhin nicht der Nabel der Welt. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre aber blühte gerade hier eine Szene, deren Bedeutung bis heute nachwirkt. Punk und (die) New Wave waren von London herübergeschwappt und infizierten einen kleinen, aber feinen Zirkel mit ihrem Virus. Fixpunkt der Szene war der Ratinger Hof in der Düsseldorfer Altstadt, gelegen in unmittelbarer Nähe zur Kunstakademie. Ob DAF oder Fehlfarben, ob Die Toten Hosen oder Die Krupps – hier nahm vieles seinen Anfang. Der Fotograf ar/gee gleim (bürgerlich Richard Gleim) hat dort, aber auch an anderen Orten der Republik auf unzähligen SW-Fotos Akteure, „Gäste“ (z.B. Plasmatics) und Nachtmenschen festgehalten. „Geschichte wird gemacht – Deutscher Underground in den Achtzigern“ zeigt rund 200 dieser Fotos und erinnert so an eine Hoch-Zeit deutscher Subkultur. Essays von Zeitzeugen – etwa von Xao Seffcheque, Mitherausgeber des Bandes und Gründungsmitglied von Family 5, oder des späteren „Erfinders“ von 1Live, Jochen Rausch –, liefern den philosophischen, eine beiliegende CD den musikalischen Kontext.
KINDERSPIEL – GLÜCKSSPIEL – KRIEGSSPIEL Von André Postert
2018, dtv ISBN 978-3-42328-980-1 382 Seiten; 26,80 €
Mit diesem akribisch recherchierten Hardcover-Band dokumentiert André Postert die deutsche Spielzeuggeschichte zwischen den Jahren 1900 und 1945. Da dieser Zeitraum zwei Weltkriege umfasst, belegt er den zeitgeschichtlichen Einfluss auf die Produzenten, die vor den beiden Weltkriegen deutlich militaris tisch ausgerichtet waren und zum Beispiel Soldatenfiguren im Programm hatten und sogar Käthe-Kruse-Puppen in Uniform oder Brettspiele mit Hakenkreuz-Aufdruck. Doch auch Themen wie Spiel und Spielzeug der Sexualität (kaum zu glauben, was es da alles gab), Baukästen, Modelleisenbahnen oder Trümmerspiele (nach 1945) werden nachvollziehbar und sorgsam aufbereitet. Zwar wurde der Bildteil
als Querschnitt gut konzipiert, doch an manchen Stellen hätte man sich mehr Abbildungen gewünscht.
EINE KURZE GESCHICHTE DER TRUNKENHEIT Von Mark Forsyth
2019, Klett-Cotta ISBN 978-3-60896-407-3 272 Seiten; 20,00 €
Mit dem Untertitel Der Homo alcoholicus von " der Steinzeit bis heute" wird das Konzept des britischen Autors Mark Forsyth verdeutlicht, denn bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Verherrlichung der Droge Alkohol, sondern um eine his torische Dokumentation des " Saufens" mit einem humorvollen Unterton. Nach einer Einleitung, bei der auch der Alkoholkonsum von Tieren thematisiert wird, geht es ins alte Ägypten, gefolgt vom Besuch eines griechischen Symposiums über die Zeit der Wikinger und Azteken bis hin zum Wildwest-Saloon und der Prohibition. Dabei werden Trinkrituale erläutert, die Herstellung diverser Alkoholika, Verbote sowie das Unterlaufen von Gesetzen und skurrile Gewohnheiten. Ein amüsantes und zugleich wissensreiches Buch, das sich einem oft – und das berechtigt – dämonisierten Thema mit der Leichtigkeit eines Schwipses nähert.
VESPA
PETTICOAT, DAUERWELLE, SCHULTERPOLSTER MIT FREUNDIN AUF ZEITREISE 2018, Prestel ISBN 978-3-79138-501-3 256 Seiten; 30,00 €
Auf 200 farbigen Abbildungen zeigt sich die Frauenzeitschrift Freundin" als Chronistin " des Zeitgeistes. Das großformatige Buch ist eine bildstarke Retrospektive, die durch das Leben des deutschen Frauenlebens führt, ein Buch zum Schmökern, Erinnern – und Wundern. Die Leserin und der Leser können die Änderungen der Mode nachvollziehen, vom präzis geschnittenen Kostüm bis zum lässigen Look mit Jeans und Sportswear. Amüsant und heute immer noch interessant sind die Schminktipps für die 7-Tage-Woche: Alkohol und Zigaretten waren für die Damenwelt verboten, erwünscht waren Tee, Milch und Obstsäfte. Man begegnet den Styles der Alternativen, der Yuppies und der Edel-Punks. Man lernt Frauen kennen, die – ehrlich – am Computer arbeiten, und im Kapitel „Die Vermessung der Liebe“ erfährt man, dass 64 Prozent der Menschen den Kopf beim Küssen nach rechts neigen. Dieses Buch führt einen auf höchst unterhaltsame Weise in eine Zeit zurück, die nicht wirklich besser war und sich auch kaum von der heutigen unterscheidet.
AUTO. MODELL. GESCHICHTE
Von Eric Dregni
Von Jörg Walz
2019, Motorbuch-Verlag ISBN 978-3-61304-180-6 238 Seiten; 29,90 €
2019, Delius Klasing ISBN 978-3-66711-568-3 240 Seiten; 29,90 €
Der Stuttgarter Motorbuch-Verlag besetzt eine Ausnahmeposition im Segment der technischen Dokumentationen aller nur erdenklichen Beförderungsmittel und gilt als das Verlagshaus, bei dem keine Frage unbeantwortet bleibt. Darüber hinaus erscheinen zahlreiche Bücher, die den Reiz der fahrbaren Untersätze verdeutlichen sowie deren kulturelle Relevanz. In dem mit sorgfältig ausgewählten Fotos geschmückten Band von Eric Dregni werden die Geschichte und die Symbolik der Vespa dargestellt. Er setzt bei der Produktion des Scooters ein, doch die ganz große Ära begann im Italien der Nachkriegsjahre, gefolgt von einem Boom im Zusammenhang mit dem Phänomen der Mods in Großbritannien, welches ausführlich beschrieben wird. Besonders das gelungene Zusammenspiel des kurzen, aber inhaltlich dichten Texts und der kultigen Fotos (Priester auf einer Vespa, Models mit einer Vespa) bringt der Leserschaft die Geschichte des Rollers nahe. Erstklassig.
Man muss schon zweimal hinschauen, bevor man erkennt, dass die rund 400 Autobilder in diesem Buch Modelle sind, die, tiefengeschärft, in einer natürlichen Umgebung von Jörg Walz fotografiert wurden. Egal ob vor einer Moschee in Maskat, auf dem Times Square in New York, am Nürburgring oder auf den Philippinen – Walz hat immer eine Auswahl interessanter Fahrzeug-Modelle bei sich. Dabei reichen diese in diesem sehenswerten Buch von einem Automobil, das Leonardo da Vinci 1495 erdacht hat, bis hin zu einem Tesla Model S, der Marke des Visionärs und ehemaligen PayPalGründers Elon Musk. Dazwischen finden sich unzählige Storys, die in kompakter Form Automobilgeschichte erzählen. Nicht vergessen werden die Klassiker wie etwa der Porsche 911 oder ein Dodge Monaco, denen die volkstümlichen Autos gegenüberstehen: Käfer, Ente, BMW Isetta. Exoten wie NSU Wankel Spider und Nash Airflyte runden das Bild ab. Das Automobil mag in jüngster Zeit etwas in Verruf geraten sein, dieses Buch indes ist eine einzige Liebeserklärung.
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GoodTimes
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LEBE LANG ... UND WAS ICH AUF MEINEM WEG LERNTE
MONDWÄRTS
STEVE McQUEEN
Von William Shatner
Von Eugen Reich/Dietmar Röttler
2019, Hannibal ISBN 978-3-85445-664-3 200 Seiten; 20,00 €
2019, Motorbuch-Verlag ISBN 978-3-61304-196-7 224 Seiten; 29,90 €
2019, Motorbuch-Verlag ISBN 978-3-61304-143-1 240 Seiten; 29,90 €
In Deutschland ist William Shatner immer noch Captain Kirk. Wer hat nicht gebannt vor der Flimmerkiste gesessen und ihn zusammen mit Mr. Spock, Pille und Lieutenant Uhura in Raumschiff Enterprise" " erlebt? Doch der mittlerweile 88-Jährige ist immer noch aktiv und trat aktuell in der letzten Staffel der Kult-Serie The Big Bang Theory" auf. In " seiner Autobiografie berichtet Shatner von zentralen Ereignissen seines Lebens und den daraus gewonnenen Einsichten. Ob er nun mit einem Bike durch die Wüste raste (und einen Alien sah – oder auch nicht), den Unfalltod seiner Frau überstehen musste oder Freundschaften im Rotlichtmilieu schloss – hier spricht ein Mann mit einer ungeheuren Lebenserfahrung, die er nicht absolut setzt, aber humorvoll mitteilt. Ein Buch, das nicht nur informiert und unterhält, sondern auch zur Selbstreflexion anregt.
Die Mondlandung 1969 war ein Ereignis, das die Menschheitsgeschichte in gewisser Weise definierte und auch heute noch aufgrund des ungeheuren Risikos ehrfurchtsvoll bedacht wird. Eugen Reich und Dietmar Röttler erzählen die Geschichte des ehrgeizigen Projekts der Russen und der Amerikaner anhand zentraler Ereignisse. Sie beginnen mit den V1- und V2-Raketen, beschreiben die ersten Orbitalflüge, stellen Cape Canaveral vor, die aus heutiger Perspektive unvorstellbar zahlreichen Versuche, ins All zu gelangen, und natürlich das ApolloProgramm bis hin zum A p o l l o - S o j u s -Te s t Projekt. Neben den knappen, aber aussagekräftigen Texten dient eine Vielzahl von Fotos zur Erklärung, nicht zu vergessen technische Zeichnungen der Raketen und der diversen Gerätschaften. Bislang das empfehlenswerteste Buch zu dem spannenden Thema.
TV TIPP:
27.04.19
DER WETTLAUF INS ALL
Von Dwight Jon Zimmerman
Wer jemals die zehnminütige Verfolgungsjagd von Steve McQueen in einem Mustang Fastback in dem Thriller Bullitt" gesehen hat, " wird diese rasante Fahrt nie wieder vergessen. Es war eine Rolle wie maßgeschneidert für McQueen, da der Mann schnelle Autos und Motorräder liebte. In dem als Biografie konzipierten Buch wird die Karriere des Schauspielers anhand seiner Filme dokumentiert. Das reicht von dem zum Schmunzeln anregenden Science-Fiction-Klamauk The Blob – Schrecken ohne Namen" über " Kult-Western ( Die glorreichen Sieben") und " Thomas Crown ist nicht zu fassen" bis hin zu " Ein Feind des Volkes". Darüber hinaus wird " seine Leidenschaft für die motorisiere Welt mit vielen Fotos und kürzeren Textpassagen dargestellt, nicht zu vergessen eine kurze generelle Charakterisierung des viel zu früh verstorbenen Leinwandhelden. Ein ansprechender Band in einer Hardcover-Ausgabe.
ZUM HÖREN UND LESEN DIE ORIGINALE ZUR TV SHOW
20:15 Uhr ZDF
AB 26.04.19 ERHÄLTLICH Als 3Vinyl-Box, 1CD, 3CD + digital verfügbar 3CD Premium Edition
in Zusammenarbeit mit 3LP-Box + Buch
1CD
GoodTimes
2/2019
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from the past
EIN LEBEN FÜR DIE ANDERE WAHRHEIT Von George Vincent Therras & Helen Therras 2018, Nova MD Verlag ISBN 978-3-96111-914-1 308 Seiten; 22,90 €
Hinter diesem wohlklingenden Titel verbirgt sich eine spannende Abenteuergeschichte, die Mitte des 19. Jahrhunderts an der französischen Westküste ihren Lauf nimmt. Das Autorenteam George Vincent Therras und Helen Therras hat sich von den TV-Weihnachts-Vierteilern der 60er und 70er Jahre inspirieren lassen und einen wunderbaren Roman geschaffen, der an diese Kult-Sendungen anknüpft. Getrieben von Abenteuerlust verlassen zwei junge Freunde – Pierre und Malo – ihren Heimatort in der Bretagne, um auf einem Schiff anzuheuern. Beide sind Außenseiter aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die in der Ferne nach Anerkennung und Verwirklichung ihrer jugendlichen Träume suchen. Dabei erleben sie oft hautnah die Höhen und Tiefen des Lebens und kommen so mit den unterschiedlichsten Menschen in Berührung – zu Land und auf See. Auf ihrer ereignisreichen Reise lernen sie echte Freundschaft und die Liebe kennen, aber auch große Enttäuschung und Todesangst. Ihr Entschluss, nach Jahren ins heimatliche Dorf zurückzukehren, lässt sich dann nicht ohne Hindernisse verwirklichen. George Vincent und Helen Therras gelingt es, den Leser auf Pierres und Malos Reisen mitzunehmen und bis zum Ende des Romans nicht mehr loszulassen. Das Buch ist sehr hochwertig verarbeitet: Jede einzelne Seite ist auf marmoriertem dickem Glanzpapier gedruckt. Zahlreiche Illustrationen ergänzen die tolle Aufmachung. Diese entstammen der Feder von Marc Di Napoli, der jedem ein Begriff ist, der damals die Weihnachtsvierteiler
Gewinner
kult!
Unsere Gewinner der Verlosung aus kult! Nr. 19 – 1/2019 Lösung: California Clan Blu-ray Theo": " Jochen Biermann, Nürnberg Sammy Ochs, Hildesheim J. Stiemer, München Blu-ray Star Trek": " Klaus Leonhard, Sasbach Peter Henhekes, Verden
Herzlichen Glückwunsch!
im Fernseher verfolgt hat. Er wurde im Abenteuer-Vierteiler Tom Sawyer & Huckleberry " Finn" als Huck bekannt und hatte sechs Jahre später ebenfalls eine Hauptrolle in Zwei Jahre " Ferien". Ergänzt wird die Hardcover-Ausgabe durch eine CD mit dem Elvis-Song "Impossible Dream". Hier jedoch von Autor George Vincent Therras eingesungen und zwar so perfekt, dass es vom Original kaum zu unterscheiden ist. Wer hätte gedacht, dass der Autor hier nicht nur einen gelungenen Abenteuerroman präsentiert, sondern auch beste Qualitäten als Elvis-Double unter Beweis stellt!
DAS KROKODIL IM FLUGZEUG Von Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck
DVDs + Blu-rays
2019, Edenbooks ISBN 978-3-95910-191-2 208 Seiten; 9,95 €
Der in vielen Haushalten notgedrungen schon zum Kult gewordene Urlaub auf " Balkonien" stellt sich bei der Lektüre dieses Buches als die deutlich sicherere Variante heraus, Ferien nicht nur zu genießen, sondern auch zu überleben. Dass Reisen nicht nur bilden, sondern auch lebensgefährlich sein können, schildert der Autor anhand von über 90 äußerst skurrilen Todesfällen, die sich tatsächlich so ereignet haben. Trotz der Tragik dieser Ereignisse überwiegt dennoch der Humor beim Lesen. Auf welche Weise Touristen ihr Leben verlieren, lässt am gesunden Menschenverstand zweifeln. Es ist nur so erklärbar, dass sich viele in euphorischer Urlaubslaune überschätzen. Dabei geht definitiv jede Vorsicht verloren, und es wird – anfangs noch munter – etwa in haiverseuchten Gewässern geschnorchelt. Und dass Krokodile als Souvenir ungeeignet sind und im Flieger nichts im Handgepäck verloren haben, müsste eigentlich ebenfalls jedem klar sein. Verhängnisvoll können auch fehlende Kenntnisse der Landessprache oder missverstandene Kommandos beim Bungee-Jumping werden. Damit der Urlaub nicht so endet, hat der Autor zu jedem Malheur" hilfreiche Überlebenstipps " parat. Schöne kurzweilige Lektüre!
LUCKY LUKE HOMMAGE 3 LUCKY LUKE SATTELT UM Von Mawil
Die dritte Hommage aus dem Hause Egmont lässt den legendären Cowboy wieder in einem völlig neuen Licht erscheinen. Nicht sein treues Pferd Jolly Jumper trägt ihn darin durch die weite Prärie, sondern ein schlichter Drahtesel. Dass er in diesem Sattel gleich auch noch den nordamerikanischen Kontinent durchqueren muss, ist schon ein Abenteuer für sich alleine. Jolly Jumper, dessen Sattel nun verwaist ist, passt das
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GoodTimes
HALLOWEEN Halloween" ist die Mutter aller Slasher-Filme, " der Name Michael Myers ein Synonym für ein Grauen, dem man kein Ende bereiten kann. Regisseur John Carpenters Klassiker aus dem Jahre 1978, jetzt in Ultra-HD-Qualität mit Booklet, treibt einem heute noch den Schauer über den Rücken. Ein eiskaltes Gefühl, das sich trotz aller Weiterverfilmungen nur im ersten Teil einstellt. Carpenter schafft es mit den einfachsten Mitteln, eine Geschichte um Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) zu stricken, in der kaum Blut fließt und sich Gewaltszenen in Grenzen halten. Halloween" treibt " einen mit langen ruhigen Kamerafahrten und einer simpel geklimperten Pianomelodie im 5/4-Takt in den Wahnsinn, den man nie wieder vergisst. Der Streifen ist ein Diamant im Horrorfilmgenre, nie wieder konnte ein Film diese bedrohliche Stimmung erzeugen. Und das Grauen bleibt: Myers wird am Ende von Psychiater Dr. Sam Loomis (Donald Pleasence) niedergeschossen und stürzt über die Balkonbrüstung in den Garten. Als Loomis nachschaut, ist das Monster verschwunden. Die aktuelle Version hat zum Teil unveröffentlichtes Bonusmaterial wie Interviews, Audiokommentare und Aufnahmen der Originalschauplätze zu bieten.
FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE
2019, Egmont Comic Collection ISBN 978-3-77044-060-3 64 Seiten; 15,00 €
Seite
allerdings gar nicht in den Kram ... Als erster deutscher Comic-Zeichner hatte Markus Ma" wil" Witzel die Ehre, diese Hommage auf Lucky Luke zu gestalten, was ihm wirklich sehr gut gelungen ist. Jeder Fan des schnellsten Westernhelden aller Zeiten wird von diesem Band begeistert sein, der neben dem Hardcover auch als Softcover bei Egmont Ehapa Media für 7,99 € erscheint (www.egmont.de). Die Comic-Premiere findet übrigens am 2. Mai um 19 Uhr in Zum Haus am See in Berlin statt. Dort gibt es für die ersten zehn Fans im LuckyLuke-Style ein signiertes Album gratis! © Lucky Comics, 2019. All Rights Reserved – by Mawil
News
2/2019
Der Horrorfilm Friedhof der Kuscheltiere" ba" siert auf einem Roman von Stephen King, der auch das Drehbuch für den Film aus dem Jahre 1989 lieferte. Universal hat den Streifen neu bearbeitet, und es gibt eine ganze Reihe von Extras. Unter anderem Kommentare von Regisseurin Mary Lambert, Galerien und einen Besuch auf dem Friedhof, einer alten Weihestätte der Indianer, die alles andere als ewige Ruhe verspricht. Vergräbt man dort seine Liebsten, kommen sie –
wenn auch stark verändert – wieder zurück. Louis Creed vergräbt erst seine tote Katze, die als Mons ter zurückkehrt, und dann seinen Sohn Gage, der von einem Lastwagen überfahren wird, in dem Musik von den Ramones läuft. Zwar wird Creed noch gewarnt, den Sohn nicht wie die Katze zu vergraben, der leidende Vater kann sich aber nicht zurückhalten. Die Folgen sind typisch Stephen King: grauenvoll für alle Beteiligte. Die Effekte von Friedhof der Kuscheltiere" mögen " heute, 30 Jahre später, nicht mehr so gruselig sein, die Story ist jedoch nach wie vor unschlagbar.
TERENCE-HILL-BOX
BLAUE AUGEN, FLINKE FÄUSTE Drei Filme, 280 Minuten beste Laune sowie Unterhaltung – und alles ohne Bud Spencer. Die Box mit den Filmen Lucky Luke", Django und die " " Bande der Gehenkten" (in einer Nebenrolle ist
der deutsche Schauspieler Horst Frank zu sehen) und Der Supercop" ist eine gelungene Hom" mage auf Blu-ray an den italienischen Schauspieler Terence Hill. Die himmelblauen Augen sind sein Markenzeichen, dazu kommen locker flockige Sprüche, und atemberaubend schnell ist der Hauptdarsteller auch mit dem Colt. Die drei Filme zeigen ihn in drei ganz unterschiedlichen Rollen, die er gekonnt ausspielt. Hill ist der Superpolizist mit den übersinnlichen Kräften. Hill ist Django, der, nachdem seine Frau im Kugelhagel von Banditen stirbt, fürchterliche Rache nimmt. Und Hill haucht der Comic-Legende Lucky Luke in Daisy " Town" gewaltig Leben ein und wird damit selbst zu einer Legende. Supercop" und Django" sind " " mit Extras wie Bildergalerien und Trailer ausgestattet, Django" glänzt mit einer 15-minütigen " Super-8-Filmfassung in deutscher Sprache.
THe Story
Das Rock-Musical!
CDs JAMES LAST
THE ALBUM COLLECTION James Last, 2015 in Florida verstorben, ist nach wie vor der ungekrönte Party-König. Der 1929 in Bremen geborene Bandleader ist vielen Menschen in erster Linie als Orchestervorsteher bekannt, der seiner Band mit lockerer Hand Schlager und Evergreens bis hin zu Klassik und Volksmusik vordirigierte. Stimmung im selbst gebauten Partykeller kam nur mit James Last auf, dann wurde zwischen der selbstgebauten Bar und den hölzernen Kuschelecken zum wechselnden Licht auch getanzt. Bei INSTRUMENTALS FOREVER und KÄPT'N JAMES BITTET ZUM TANZ kamen sich die Paare näher, James Last lieferte die musikalische Kulisse für einen schönen Abend. Mit dieser Masche war das Musik-Genie, dem generationenbedingt irgendwie immer die 1960er Jahre in den Kleidern hingen, äußerst erfolgreich. Er erhielt 17 Platin und 208 Goldene Schallplatten. In seiner Karriere absolvierte er über 2000 Live-Auftritte in der ganzen Welt, von seinen rund 190 Plattenproduktionen wurden über 80 Millionen Tonträger verkauft. Er konnte in seiner langen Laufbahn nicht weniger als 110 Alben in der Hitliste der offiziellen deutschen Charts platzieren, 46 davon erreichten die Top 10. Spitzenwerte, von denen Musiker heute nur träumen können. Der swingende Happy Sound" von James Last war bei " den Chinesen genauso beliebt wie bei den Südafrikanern und Holländern. Rund 90 Mal trat er in der Londoner Royal Albert Hall auf. Anlässlich seines 90. Geburtstages, den er am 17. April 2019
hätte feiern können, ist jetzt eine komplett digital remasterte Box mit insgesamt 25 James-LastCDs erschienen, die sein musikalisches Schaffen von 1965 bis 1991 abdecken. In dieser üppigen Sammlung sind auch zwei echte Raritäten enthalten, die japanischen Alben SEKAI WA FUTARI NO TAMENI (1965) und PAINTINGS (1979). Die CDs ermöglichen nicht nur eine musikalische Zeitreise, sondern zeigen auch, wie sich James Last den aktuellen Strömungen seiner Zeit mit seinem Orchester anpassen konnte. Er spielte großartigen Funk-Sound, konnte wie Santana eine ekstatische VOODOO-PARTY anstimmen und interpretierte das Beat-Musical Hair" " mit viel Energie. Im Rahmen seines Orchester-Sounds versammelte sich alles: die Songs der Beatles bis Bob Marley, unterschiedliche Stile und Trends, die er einfing und für ein großes Publikum aufarbeitete und attraktiv machte. Der CDSammlung liegt ein 68-seitiges Booklet bei, das persönliche Zeilen der Familie Last enthält. Dazu kommen ausführliche Liner Notes, geschrieben von Last-Biograf Thomas Macho. Er erzählt Details aus dem Leben von Hans Last, den die Plattenfirma Polydor schnell in James" um" taufte. Udo Lindenberg nannte James Last mal den Godfather der guten Laune". Tatsächlich " vermittelt seine Musik eine lockere Unbekümmertheit, die zum größten Teil verloren gegangen ist. So ist die CD-Box eine gute Gelegenheit, tiefer in den James-Last-Kosmos einzutauchen und einen Musiker kennenzulernen, der sich nach seinen ersten Aufritten in den Bremer GI-Bars 1945 aufmachte, die ganze Welt zu erobern.
ANNIVERSARY tour MIT LIVE-BAND UND DEN SONGS VON JOE COCKER · THE WHO · JANIS JOPLIN JEFFERSON AIRPLANE · SANTANA CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG RICHIE HAVENS · JIMI HENDRIX SLY & THE FAMILY STONE UND VIELEN MEHR!
01.06.2019 06.07.2019 16.08.2019 17.08.2019 18.08.2019 22.10.2019 23.10.2019 25.10.2019 26.10.2019 27.10.2019 29.10.2019 30.10.2019 31.10.2019 01.11.2019 02.11.2019 03.11.2019 05.11.2019 06.11.2019 07.11.2019 08.11.2019 09.11.2019 10.11.2019
Heimborn / Westerwald Bernau Heilbronn Heilbronn Nürnberg AT-Amstetten CH-Zürich Osterode Bonn Papenburg Paderborn Beverungen Leipzig Gotha Bamberg Regensburg-Obertraubling AT-Wien AT-Linz Ravensburg Mühldorf a. Inn Fulda Osnabrück
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Alltags-Kult
Von Daniel Stroscher
Damals in der Drogerie
Die schöne Verheißung „ von „Delial bräunt ideal !
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rogeriemarktketten, wie wir sie heute kennen, waren zu Beginn der 70er Jahre noch weitgehend unbekannt. Benötigen wir heute ein Shampoo oder einen Deo-Roller, so führt uns der Weg durch die selbst öffnende Automatiktür meist direkt auf eine große Verkaufsfläche mit einer unüberschaubaren Anzahl von Artikeln. Was würden wir uns wundern, wenn wir mit Hilfe einer Zeitmaschine noch einmal den Drogerie-Alltag der Vergangenheit erlebbar machen könnten. Wie sah es damals aus? Statt der heutigen Discounter fand man in den Städten und kleineren Ortschaften individuell geführte Einzelhandels-Drogeriefachgeschäfte. Beim Öffnen der Tür ertönte meist ein Gong oder ein Glöckchen, das dem Ladenbesitzer signalisierte: Kundschaft! Gleichzeitig war man beim Betreten des Ladens umhüllt von einem einzigartigen Duft, welchen die Produkte verströmten, die in ihrer Gesamtheit für den damals typischen „Drogeriegeruch" sorgten und so zu einer Atmosphäre beitrugen, die man heute vermisst. Charakteristisch für diese „Tante-Emma-Läden" für Körperpflege-Artikel war eine individuelle, persönliche Beratung durch den Inhaber oder, sofern überhaupt vorhanden, die fast ausschließlich weiblichen Angestellten. Eine besondere Ladenatmosphäre entstand durch die zeittypische Gestaltung des Verkaufsraumes. Bunte Wasserbälle bekannter Hersteller hingen als Dekoration von der Decke, und farbenfrohe Werbe-Aufsteller machten auf die Produkte aufmerksam. Diese waren damals noch keine Massenware, und die mengenmäßig wohldosierte Platzierung der Artikel in den Verkaufsregalen verstärkte das Gefühl von deren Wertigkeit. Das Sortiment unterschied sich wesentlich von dem Überangebot, das wir heute gewohnt sind. Süßigkeiten, Knabbereien und Kaffee hatten in den damaligen Läden keinen Platz. Meterlange Regale mit einer Auswahl von mehreren Dutzend verschiedenen Duschgelen? Fehlanzeige. Für die tägliche Körperreinigung benutzte man meistens schlichtweg Seife – beliebte Sorten waren die blaue Atlantik-Seife oder FA – mit der wilden Frische von Limonen. Seite
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Haarshampoo mit Apfelduft, aber auch Sorten wie Bier, Ei oder Kräuter waren angesagt. Erst später kamen dann Duschgele und Schaumbäder auf den Markt. Die traditionelle Nivea Creme bekam moderne Konkurrenz – Creme 21 im zeitgemäßen, leuchtenden orangefarbenen Look sollte vor allem die junge Zielgruppe ansprechen. Gefürchtet waren damals große, nasse Schweißflecken unter den Achseln als Folge des Tragens von synthetischen Textilien – DeoSprays wie Irischer Frühling, BAC oder 8x4 versprachen Abhilfe. Fettiges Haar wurde wieder locker und duftig mit Frottee-Trockenshampoo, und mit der nach leckeren Himbeeren schmeckenden Zahncreme Blendi schafften es die Mütter spielend leicht, ihre Kinder zum Zähneputzen zu überreden. „Delial bräunt ideal", „Banner bannt Körpergeruch" oder „Shamptu Shampoo bringt Spannkraft ins Haar" – jeder erinnert sich noch heute an den einen oder anderen bekannten Werbespruch, obwohl das entsprechende Produkt längst nicht mehr existiert. Ebenfalls aus dem Sortiment nicht wegzudenken waren Badekappen aus Gummi in schrillen Farben mit Noppen und großen Blumen, welche man auf den Köpfen der weiblichen Badegäste im Schwimmbad bewundern konnte. So, wie das klassische Einzelhandels-Drogeriegeschäft aus unserem Stadtbild, sind auch viele traditionelle Produkte aus unserem Alltag verschwunden. Zahlreiche Körperpflege-Artikel und Marken, die von damaligen Generationen über Jahrzehnte benutzt wurden, gibt es heute nicht mehr. So manch ein Duft einer bestimmten Seife, eines Schaumbades oder eines Deodorants aus der Vergangenheit lässt Erinnerungen an eine besondere Zeit wach werden – die Zeit, als beim Betreten eines familiären Drogeriefachgeschäfts ein vertrautes Geräusch ertönte – das Glöckchen über der Tür, das auf sympathische Weise verlauten ließ: Kundschaft!
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Foto: © NikMa Verlag
Hella Brice
Winnetous Erbe Von Christian Simon
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hn kennen Millionen, den Kult-Winnetou für Generationen – Pierre Brice. Ich sah ihn das erste Mal im Dezember 1962 … natürlich auf der Leinwand. „Der Schatz im Silbersee" war der Start der von Horst Wendlandt produzierten Karl-May-Filmwelle, neben den EdgarWallace-Filmen die Hella Brice erfolgreichste deutsche Kinoserie von Romanverfilmungen. Bis heute hat man die Bilder des „Wilden Westens" in den kargen kroatischen Landschaften rund um die Plitvicer Seen vor Augen und die unvergängliche Filmmusik von Martin Böttcher in den Ohren. Ich traf Pierre Brice dann in den 70er Jahren zum Interview bei Radio Luxemburg – ein überaus freundlicher und sehr höflicher „Winnetou" ohne Starallüren. Kurz nach unserer Begegnung lernte er 1976 auf dem Münchner Filmball die Dolmetscherin und Fotografin Hella Krekel kennen, die Liebe seines Lebens. Er heiratete sie 1981. In ihr fand der sympathische Franzose seine Erfüllung und eine engagierte Mitstreiterin, wenn es darum ging, „seinen" Winnetou mit den Botschaften für Liebe und Frieden lebendig zu erhalten. Pierre Brice Seite
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starb am 6. Juni 2015 an den Folgen einer Lungenentzündung in einem Krankenhaus bei Paris. Nach seinem Tod tritt nun Hella Brice sein Erbe an und lässt ihn in Wort und Bild unvergesslich bleiben. 2018 erschien ihr Buch „… und über Nacht war ich Winnetou" mit vielen bisher unveröffentlichten Fotos von den Dreharbeiten der KarlMay-Filme aus dem Privatarchiv des Schauspielers. Dazu gibt es eine Menge Dokumentationen wie Verträge, Postkarten oder persönliche Briefe – ein wahrer Schatz für alle Filmfans ( K ar l-Ma y-Ve r lag , 224 Seiten, ISBN 978-3-78023-101-7, 39,– €). Ich hatte die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Hella Brice, exklusiv für kult! . Beginnen wir mal ganz aktuell. Wie geht es Ihnen, und wie gestaltet sich Ihr heutiges Leben? Danke, sehr gut. Ich bearbeite und sortiere gerade das Archiv meines Mannes. Es war der Wunsch von Pierre, seine Freunde, so nannte er immer seine Fans, an dem Erbe, das er hinterließ, teilhaben zu lassen. Deswegen bereite ich im Moment eine Auktion vor, die vom Berliner Auktionshaus Historia im Rahmen einer MemorabiliaVersteigerung durchgeführt wird (fand bereits Ende Januar 2019 statt; Anm. d. Autors). Es werden zahlreiche hochinteressante Dinge angebo-
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ten, unter anderem Filmverträge, Drehbücher der Karl-May-Festspiele oder private Briefe. Man kann sogar unter www.historia.de mitbieten. So hat jeder die Möglichkeit, den individuellen Jugoslawien 1968 Wert in einen persönlichen Wert umzusetzen. Jeder hat die Chance, das Gewünschte im Rahmen seiner Möglichkeiten zu erwerben … die Fans sollen ein Stück von ihm ihr Eigen nennen dürfen. Auf diese Weise kann ich vielen Menschen eine kleine Freude bereiten. Und ich mache das nicht zum ersten Mal. Wer diesmal kein Glück hat – bestimmt klappt’s bei der nächsten Auktion. Was geschieht mit den Einnahmen der Versteigerung? Ein Großteil des Geldes führe ich als Spende Organisationen zu, für die Pierre und ich uns immer eingesetzt und stark gemacht haben.
seiner Seite sein. Er lehrte mich, in Liebe zu leben, Liebe zu schenken und dankbar zu sein. Die wahre Liebe leben zu dürfen ist ein großes Geschenk Gottes. Jede Erinnerung an diese Momente ist für mich überaus wertvoll, und darüber bin ich sehr glücklich. Wie waren die ersten Reaktionen auf das Buch nach der Veröffentlichung? Sehr positiv. In vielen Briefen werde ich schon nach dem nächsten Band gefragt. Das Buch heißt … und über Nacht war ich " Winnetou" – und Sie wurden sozusagen über Nacht die Frau von Winnetou. Wie fühlte sich das damals vor über 40 Jahren an? Es war ein wundervolles Gefühl, als Pierre mich fragte, ob ich seine Frau werden möchte. Er verkörperte als Winnetou den Menschen mit den Werten, über die ich bereits gesprochen habe und die für ihn auch
Welchen Platz nimmt der Mann Rom Pierre Brice, mit dem Sie 35 Jahre verheiratet waren, heute ein, und welche Rolle spielt dabei Winnetou"? " Pierre wird immer die wichtigs te und erste Stelle in meinem Leben einnehmen! Winnetou kommt sozusagen sofort nach ihm, denn durch die Figur des Indianerhäuptlings konnte er die ihm so wichtigen Werte, die er immer vertrat und hin-
Jugoslawien 1963
ter denen er stand, weitergeben – Friede, Freundschaft, Toleranz und Menschenrechte. Er war ein großes Vorbild, besonders für die Jugend.
Fotos: © Privat-Archiv Hella Brice
Wie kamen Sie auf die Idee, den aktuellen Fotoband zu veröffentlichen? Ich war in seinem Büro und stieß auf unzählige Fotos, zum Teil sogar auf unentwickelte Filmrollen aus seiner Kamera, die er in den 60er Jahren immer
im täglichen Leben so wichtig waren. Ich durfte an der Seite dieses Mannes leben, diese Werte kennenlernen, sie erfahren, sie weitergeben und lernen, wie man andere Menschen glücklich machen kann. Dafür danke ich Pierre von ganzem Herzen. Gibt es eine Lebenseinstellung, eine Botschaft von Pierre, die Sie sozusagen in seinem Namen weitertragen? Ja – das Wichtigste im Leben ist zu wissen, dass wir alle gleich sind und Respekt haben müssen vor dieser Erde, auf der wir leben. Wir sind hier nur zu Gast und können ohne sie nicht existieren. Nur zusammen sind wir stark! Stört es Sie, dass Sie meist nur auf Winnetou" angesprochen werden? " Kann dieses Erbe auch mal eine Last sein? Niemals! Wie kann etwas zu einer Last werden, wenn es nur positiv besetzt ist? Sie haben zusammen mit Pierre neben Winnetou" " andere gemeinsame Interessen gehabt. Welche waren das, und können Sie diese Vorlieben auch heute noch ohne ihn erleben? Wir liebten die Musik, das Reiten, die Tiere, das Lesen und unsere Zweisamkeit. Im Moment erlebe ich noch einmal unsere ganze gemeinsame Vergangenheit. Das ist wunderbar! Alles, was ich von Pierre gelernt habe, wird mir so richtig bewusst. Ich erkenne den Sinn der Dinge! Das reicht mir im Moment, um glücklich zu sein. Pierre ist immer neben mir – ich bin nie allein.
dabei hatte. Plötzlich erinnerte ich mich daran, was Pierre mir bis kurz vor seinem Tod mehrmals gesagt hatte: „Teile die Dinge mit meinen Freunden und behalte sie nicht in den Schubladen." Da habe ich mich entschieden, aus diesen Schätzen Bildbände und Bücher zu machen. Es werden noch weitere Bände herauskommen, denn ich will seinem Wunsch gerecht werden und das ganze Material mit seinen Fans, seinen Freunden, teilen.
Haben Sie noch Kontakt zu früheren Kollegen von Pierre? Ja – zu Mario Adorf und Marie Versini.
Bestimmt kamen bei der Arbeit zum Buch auch wieder viele Erinnerungen hoch. Welche Gefühle hat das bei Ihnen ausgelöst? Wunderschöne Erinnerungen! Mein Leben war wie ein Traum, Pierre war mein Lehrmeister. Ich durfte fast 40 Jahre an
Was wünschen Sie sich von der Zukunft? Liebe und Frieden! Möchten Sie den kult!-Lesern noch etwas sagen? Zusammen sind wir stark! GoodTimes
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Von Hans-Joachim Neupert
50 JAHRE MOND(F)LÜGE Das größte Abenteuer in der Menschheitsgeschichte!
Am 4. Oktober 1957 war es der Sowjetunion gelungen, den ersten künstlichen Erdsatelliten in eine Umlaufbahn zu schicken. Die piepsenden Signale des Sputnik konnten überall auf der Welt empfangen werden. Der Westen war geschockt, der Osten triumphierte. Amerika geriet in Panik und befürchtete einen atomaren Raketenangriff. 1958 wurde die Nasa gegründet. Am 25. Mai 1961 trat US-Präsident John F. Kennedy vor die Mikrofone und gab die entscheidende Parole aus. Noch vor Ablauf der nächsten zehn Jahre solle ein US-Amerikaner den Mond betreten und gesund wieder auf die Erde zurückkehren. Es ist an der Zeit, dass diese " Nation eine klare Führungsrolle im Weltraum einnimmt", sagte Kennedy. Unter der Leitung von Wernher von Braun startete das Gemini-Projekt, mit dem die Flüge der ApolloMissionen vorbereitet werden sollten.
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Frank Borman, James Lovell und William Anders. Die erste Stufe der Mondrakete Saturn V brachte sich und die beiden anderen Stufen auf eine Geschwindigkeit von etwa 10.000 km/h, und zwar innerhalb von 2,5 Minuten. Dabei wurden 794.000 Liter Brennstoff und 1.138.000 Liter flüssiger Sauerstoff verbraucht. Nachdem diese Menge an Treibstoff verbrannt war, wurde die zweite Stufe gezündet. Sie brachte die Rakete in eine Umlaufbahn um die Erde. Mit einer Geschwindigkeit von 25.000 km/h flogen die Astronauten um die Erde. Durch die dritte Stufe verließ die Rakete nun mit einer Geschwindigkeit von 40.000 km/h die Anziehungskraft der Erde und wurde auf die Mondflugbahn gebracht. Nach 69 Stunden und 7 Minuten Flugzeit verschwand die Apollo-Raumkapsel hinter dem Mond, umlief ihn in einer Kreisbahn und tauchte wieder auf. Immer wieder wurde der Mond umrundet. Am 27. Dezember 1968, nach 147 Stunden und 11 Minuten Flugzeit, setzte Apollo 8 am vorgesehenen Landepunkt im Pazifischen Ozean auf. Der Flug zum Mond war geglückt.
ei der Auswahl der Astronauten wurden Am Morgen des 16. Juli 1969 hatten sich rund strengste Maßstäbe angelegt. Sie durften eine Million Menschen in Brevard County nicht älter als 40 Jahre sein, nicht gröversammelt. Innerhalb und außerhalb von Kap ßer als 1,80 Meter und mussten absolut gesund Kennedy, dem Zentrum der amerikanischen sein. Erforderliche Vorbildung: Absolvent einer Raumfahrt, herrschte eine spannungsgeladene, Testpilotenschule, Besitzer eines Flugscheines erwartungsvolle Stimmung. Alle Blicke waren für Düsenflugzeuge mit mindestens 1500 auf die Saturn-V-Rakete gerichtet, die in fünf Stunden Flugpraxis, Abschlussprüfung auf Kilometern Entfernung flog, wie ein Finger wissenschaftlichem oder technischem Gebiet. in den Himmel wies und die drei Astronauten Alle ausgewählten Kandidaten mussten sich Collins, Aldrin und Armstrong an Bord hatte. einer wahren Tortur unterziehen. Man wirAuf die Sekunde genau zur vorausberechneten belte sie in einer Schleuderzentrifuge herum, Startzeit leuchtete ein riesiger Blitz zwischen Fallrammen trainierten die Körper auf Stoß dem Betonsockel der Startrampe und den und Schlag, Hitze- und Kältekammern brachAustrittsdüsen der Rakete auf. Langsam, ganz ten die Kandidaten bis an den Rand ihrer langsam kroch die Saturn V am Startturm Leistungsfähigkeit. Fallschirmabsprünge wechempor und stieg in die Höhe. Wie von einer selten mit Überlebensausbildungsprogrammen gigantischen Faust gehoben, gewann die in abgelegenen Wüstengebieten, wo die v.l.: William Anders, James Lovell, Rakete danach immer mehr an Höhe. Bald Kandidaten lernten, mit wenig Wasser und Frank Borman war nur noch ein leuchtender Punkt am Horizont zu erkennen. 40, Nahrung tagelang auszukommen, um im Ernstfall zu überleben. 50, 60 Kilometer waren schnell erreicht. Dann ein neuer Blitz, die erste Stufe hatte sich gelöst, während die Rakete mit unverminderter 384.405 Kilometer trennen Erde und Mond voneinander. Um diese Geschwindigkeit in den Weltraum hinausschoss. Entfernung zurückzulegen, baute man eine 111 Meter hohe Rakete, bestehend aus drei Stufen und dem eigentlichen Raumfahrzeug. Mit Am Sonntag, den 20. Juli 1969, gegen sechs Uhr weckte ein Signal Apollo 8 wurde am 21. Dezember 1968 der erste Versuch unternommen, aus Houston die drei Astronauten. Kommandoteil und Mondfähre den Erdtrabanten zu erreichen, mit an Bord waren die Astronauten Seite
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wurden getrennt. Auf sich allein gestellt umkreiste Collins den Mond. Armstrong und Aldrin zündeten das Triebwerk der Mondfähre Eagle (Adler) und sanken in ihr zur Mondoberfläche hinab. Fieberhaft jagten die Signale zwischen Fähre und Erdstation hin und her. Alarmsignale ertönten. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein. Der Computer, überfüttert von den vielen Zahlen, die er zu verarbeiten hatte, schien zu streiken. Dann aber hörte man im Kontrollzentrum Armstrongs Stimme näselnd aus dem Lautsprecher. „Kontaktlicht – okay, Triebwerk steht! Der Adler ist gelandet!" Armstrong öffnete die Luke der Mondfähre und kletterte auf die Plattform hinaus. Vorsichtig begann er den Abstieg über die Sprossenleiter, gefilmt von seinem Begleiter Aldrin. Mit dem linken Fuß tastete der Astronaut den Mondboden ab und wagte schließlich den entscheidenden Schritt. „Dies ist ein kleiner Schritt für einen Mann, aber ein großer Sprung vorwärts für die Menschheit!", hörte man ihn sagen. Der Mensch betrat zum ersten Mal den Mond. Eine Gedenktafel, Seismometer und ein Laserreflektor wurden aufgestellt und Proben von Mondgestein eingesammelt. Nach 2 Stunden und 37 Minuten Aufenthalt auf dem Mond starteten Armstrong und Aldrin zurück zur Kommandokapsel. Am 24. Juli 1969, 11 Uhr und 50 Minuten zentralamerikanischer Sommerzeit, landete die Kapsel im Pazifischen Ozean. Das größte und kostspieligste Abenteuer in der Geschichte der Menschheit, die Landung auf dem Mond, war beendet. Acht Tage, drei Stunden, 18 Minuten und 35 Sekunden dauerte die Apollo-11-Mission. 23,9 Milliarden Dollar kostete das Apollo Programm. Sechs bemannte Mondlandungen sind bisher gelungen. Zwölf Astronauten betraten den Mond, alle US-Amerikaner. Zuletzt im Jahre 1972.
Konnten die Astronauten überhaupt auf einer unbekannten und unvorbereiteten Oberfläche mit einer mangelhaft getesteten Mondlandefähre landen? Den Umgang mit dem Lunar Module trainierten die Astronauten nicht etwa in der Praxis, sondern auf der Erde in einem Simulator, und dann ist bei der Apollo-11-Landung auch noch das Computerprogramm für die automatische Landung ausgefallen! Immer wieder hatten Test-Landefähren auf der Erde schon wenige Sekunden nach dem Start erhebliche Gleichgewichtsprobleme. Betrachtet man hochauflösende Bilder vom Landemodul, so entdeckt man in der Vergrößerung auf einem Landefuß von Apollo 15 zwei Fotos. Das eine Bild zeigt eine Mondlandschaft, das andere einen Soldaten auf einem Flugzeugträger. Auf einigen Aufnahmen, die die Nasa veröffentlicht hat, ist auch die Sonne zu sehen, nur ist sie auf den Mondfotos viel größer als auf Fotos von der Sonne, die auf der Erde entstanden sind. Lupeneffekte durch die Atmosphäre kann es auf dem Mond nicht geben. Und dann sind da noch das Strahlungsproblem, der fehlende Staub auf den Landetellern und das Wunder der unglaublich genauen Landungen nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Sind also Zweifel angebracht?
Warum sollten die USA diese Mondlandungen aber überhaupt inszeniert haben? Diese Frage lässt sich zum einen technisch und zum anderen politisch/psychologisch recht einleuchtend begrünAber sind die Amerikaner tatsächlich auf dem Mond gelandet, den! Ende der 60er Jahre oder wurde die Menschheit nur getäuscht? Verschwörungs v.l.: Michael Collins, Neil Armstrong, waren die Mondmissionen theorien über die Mondlandungen gibt es bereits seit den frühen Buzz Aldrin technisch einfach nicht machbar, und das sind sie vielleicht auch 70er Jahren. Namhafte Wissenschaftler, Techniker und sogar ehemalige heute noch nicht. Das Risiko, dass die Astronauten dabei ums Leben Nasa-Mitarbeiter gehen davon aus, dass die Mondlandungen gar nicht gekommen, dass sie zerstrahlt worden oder auf dem Mond havastattgefunden haben und alles nur auf der Erde in einem Filmstudio riert wären, wäre so gewaltig bzw. in der Area 51 nachgegewesen, dass man dies der stellt wurde. Welche Beweise Menschheit keinesfalls gerne hat uns die Nasa vorgelegt? mit Livebildern vorgeführt Es gibt einige tausend Fotos, hätte. 1969 lag außerdem ein Videos, Sprechfunkverkehr katastrophales Jahrzehnt hinund Mondgestein. Das ter den Vereinigten Staaten Originalfilmmaterial allerdings von Amerika, ihre globale ist spurlos verschwunden! Das Führungsrolle war in Gefahr. Mondgestein kann ebenso gut Das Jahrzehnt war geprägt von auch von Meteoriten stamRassenunruhen, von Morden men. Viele Astronauten waren an einem Präsidenten und Mitglieder einer Freimaurerloge einem Präsidentschaftsanwärter und somit bestens versowie einem berühmten traut mit dem Bewahren von Bürger rechtler. Dann war da Geheimnissen. Und dann sind auch noch der verheerende da noch die vielen ungeklärten Vietnam-Krieg, der Angriff einer Supermacht auf ein kleines Volk Unfälle. Im Jahre 1967 kamen drei Astronauten bei einem Feuer von Reisbauern. Am Ende des Jahrzehnts hätten die USA ohne die ums Leben. Wollte einer von ihnen vielleicht mit der Wahrheit an Glanzleistung der Mondlandung wie ein Schurkenstaat dagestandie Öffentlichkeit? Wenig später wurde der Nasa-Qualitätsmanager den. Die Mondlandung hat also zum einen das Überleben der Nasa Thomas Baron bei einem Zusammenstoß mit einer Eisenbahn getötet. ermöglicht und zum anderen die Führungsrolle der USA in der Welt Sein 500-Seiten-Bericht über Apollo-Sicherheitsmängel ist seitdem gewährleistet. verschwunden. GoodTimes
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Die Mondlandung in der Werbung
Attraktive Astronomie mit Apollo 11
Am 21. Juli 1969 um kurz vor 4 Uhr nachts war es endlich soweit: Der erste Mensch betrat den Mond! Die Aufregung bei der Nasa spiegelte sich in der Presse weltweit, und manches Fernsehgerät war extra angeschafft worden, um die ersten gesendeten Bilder zu Hause sehen zu können. Selbst diejenigen, die am Himmel allenfalls mal nach Sternschnuppen geguckt hatten, um sich etwas zu wünschen, fanden es spannend. Klar, dass auch die Werbe-Industrie sich des Themas bediente: Mond", Rakete", " mehr Schnelligkeit", Start" und Weltall" waren Begriffe, aus denen sich "jede Menge "oder weniger lustiger " " Zusammenhänge basteln ließen ... Von Kathrin Bonacker
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och bis in die 1950er Jahre war das Thema Weltraum für NichtPhysiker derart fantastisch, dass sich lediglich Mythen darum rankten. Nur wenige Menschen kannten sich mit Astrophysik aus und hatten eine Vorstellung von dem, was die Erde umgibt. Sternbilder am Himmel zu deuten war für die Übrigen in klaren Sommernächten vielleicht eine romantische Angelegenheit. Da wies der Arm nach oben auf Göttergestalten, auf Kassiopeia und Pegasus, aber das erschien dann doch nicht ganz so wichtig wie der Kuss danach. Nur sehr Interessierte hatten von Planeten und Kometen, ihren Größen und Umlaufbahnen konkretere Vorstellungen. Als die Kaffeerösterei Eduscho 1955 ein Bilderbuch mit dem Titel „Mümmelmann im Weltall" herausbrachte, wurde der titelgebende Hase von sehr bunten Männchen an Bord eines knubbeligen runden UFOs entführt und kam danach fröhlich von seiner Mars-Reise zurück, um Ostern mit der Hasenfamilie zu verbringen. Jedes Kind kannte Gerdt von Bassewitz' Märchen „Peterchens Mondfahrt" um Herrn „Sumsemann", den Maikäfer, oder den sprichwörtlichen Mann im Mond. Hier knüpfte, noch ganz traditionell, die DiolenSeite
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Schlafanzug-Reklame 1969 beim Anpreisen des „Silbermond"-Pyjamas an. Der träumerisch blickende Dunkelhaarige im gegürteten Zweiteiler ist allerdings ganz irdisch im Schlafzimmerambiente zu sehen, mit Buch und Schlummertrunk wohl eher nicht zur Raumfahrt gerüstet. Anders die Geschichte „Der kleine Prinz". Der heute immer noch populäre illustrierte Roman von Antoine de Saint-Exupéry war in den 1940er Jahren erschienen und erzählt eine minimalistische Geschichte aus dem Weltall, in dem der philosophische kleine Adelige von Planet zu Planet reist. Die Firma Philips wiederum, technisch auf modernstem Stand, pries 1956 konsequent ihre Fernsehgeräte mit einer Zukunftsvision von der ganz normalen „Wochenendfahrt zum Erdsatelliten" an, die für das Jahr 1965 neben dem „Elektronengehirn" und dem „Turbo-Auto" vorstellbar erschien. Mit dem ersten erdumrundenden Satelliten, dem sowjetischen „Sputnik", begann 1957 jedoch ein ganz realer internationaler Wettkampf um die Eroberung des Alls. Der Mond als solcher war bis zu dieser Zeit einfach nur Projektionsfläche. Er rückte durch die Raumforschungsprogramme in den 1960er Jahren plötzlich in so greifbare Nähe, dass Technikbegeis terung und Allmachtsfantasien kaum Grenzen kannten und beispielsweise der Chemiekonzern Bayer ein eiförmiges „Freizeithaus
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im Astronauten-Look" mit Bullaugen auf sein Werbebild zauberte (das sich dann, oh Wunder, doch irgendwie nicht durchsetzte). Es sei für heute konzipiert, verriet der Text, und nicht erst für das Jahr 2000, das noch in weiter Ferne lag. Das Haus nannte sich Futuro und stand, wie die Mondfähre, auf Stelzenbeinen. Und auch, wenn Bayers Science-Fiction-Gebäude nur als Appetithäppchen für Träumende entworfen worden war, zeigte es doch, was plötzlich für möglich gehalten wurde. Die metallischen Materialien, allen voran Aluminium, hatten zu dieser Zeit selbst dann einen fantastischen Beiklang, wenn sie nur ganz profan im Haushalt eingesetzt wurden. Je technisch-unverständlicher eine Bezeichnung klang, desto wirkmächtiger schien sie zu sein. Das galt eben nicht nur für die Raumfahrt-Befehlsbegriffe der ersten „Star Trek"-Folgen, die in den USA bereits in den 1960er Jahren im Fernsehen liefen und gerade wegen der Mondlandung ihre Fangemeinde eroberten. Alles musste sich vom Irdischen mit seinem organischen Dreck abheben: Glänzende Flächen und metallische Geräusche, ein sanftes Klicken und Gleiten, standen gegen die vom Staub von Generationen geprägte, von Rumpeln und Kreischen durchdrungene Umgebung der staunenden und sehnsüchtigen Normalsterblichen, die mit dem Rauschen und dem „Schnee" ihrer Fernsehgeräte kämpften. Problemlosigkeit und auf einfachen Knopfdruck funktionierende Dinge waren das Erträumte. Für das „raketenschnell" wirkende Putzmittel Blinker wurden daher „Neo-Akrylate" (von denen bis dato noch niemand gehört hatte) eingesetzt, um Glanz zu erzeugen. Das klang schon wirksam! Interessant ist hier allerdings vor allem der Putzanzug der Hausfrau, von dem wir uns zwar heute gut vorstellen können, dass er den scharfen Geruch des Reinigungsmittels abhielt und vielleicht sogar die Trägerin vor Verätzungen schützte, aber weder, dass sie darin für ihre Kinder die „Nietenhosen kaufen gehen", noch dass sie „Vatis Lieblingspudding machen" wollte, auch nicht „mit Obst und Schlagsahne" (obwohl sie doch dank Blinker jetzt die Zeit dafür gehabt hätte). Im BlinkerWerbekonzept gab es offenbar einen Weltraumfieberwahn, der das silbrig schimmernde Kostüm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion hervorgebracht hatte. In der Mode spiegelte sich das insofern wider, als Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre golden- und silberfarbene Lackschuhe, elegant klirrende, aus großen Kringeln zusammengefügte Aluminiumgürtel und „Energiegeladenheit" suggerierende, mit knisternden Lurexfäden durchwirkte Kleiderstoffe dem femininen Auftritt eine futuristische Note gaben. Schon eine irgendwie strukturierte Kugel vor blauem Hintergrund GoodTimes
(in einer Karina-Schokoladenreklame gekoppelt mit dem dynamischen Auftritt einer Frau, deren Cape sie umspielt, als sei sie gerade wie Superman herangeflogen) setzte Weltraum-Assoziationen frei, wenn auch vielleicht etwas unfreiwillig komisch. So konnten, richtig inszeniert, sogar ein paar um Waschmaschinen herum gruppierte uniformierte Models einen Eindruck von Sternzeit vermitteln. Kurzhaarschnitte, Skibrillen-ähnliche Objekte und Stiefel verwandelten sie in eine attraktive Armee, die die Bullaugen-bewehrten Maschinen beherrschten. Manche Hausfrau in bunter Baumwollschürze wünschte sich im Angesicht von Vatis Lieblingspudding vielleicht doch ebenfalls so eine Szenerie, wer weiß? Moderne Männer jedenfalls trugen Vistram-Jacken in „MetallicFarben", der glänzende Knautschlack hob sie sofort aus der Menge der grau- und braunwollenen Mäntel der Erdlinge heraus! Der Kosmetikkonzern Revlon warb in seiner Moon-DropsLippenstift-Re klame mit den Worten: „Transparent. Leuchtend. Feucht glänzend (...) Geschmeidiges Gleiten (...) Revlons Antwort auf das Mondzeitalter." Und der Konkurrenzbetrieb Helena Rubinsteins setzte zeitgleich auf die Formulierung „kosmische Farben" mit Orbital Glint und Orbital Glow. Die so verschönten, schimmernden Lippen durften glänzend an die Erdumlaufbahn gemahnen und mit himmlischer Glätte locken ... Die Präzision der technischen Leistung war ein weiteres Feld der Faszination: Der geglückte Raketenstart wurde immer wieder nachgespielt (nicht nur Fischertechnik bot in den folgenden Jahren Raketen als Kinderspielzeug an). Palmolive zählte ganz frech zum Rasieren runter: „6, 5, 4, 3, 2, 1." Der Sprühschaum sei in sechs Sekunden startklar, eben „raketenschnell", hier wie da wurde immer gehofft, dass es gut endete und jemand der „Ground Control" antworten konnte. Gerade Uhrenreklame knüpfte hier gerne an; hatte doch die Welt bei allen öffentlichen Starts der Nasa gebannt auf die Uhren gesehen. Allen war klar geworden, wie wesentlich der Zeitfaktor und Genauigkeit bei der Raumfahrt sind. Die in der Werbung gezeigte Uhr sei nicht nur bereits beim ersten „Weltraumspaziergang" dabei gewesen, nein, jetzt habe sie schon wieder Geschichte gemacht! „Am Handgelenk der ApolloAstronauten ist der Speedmaster Chronograph als offizielle Uhr auf dem Mond gelandet", konnte Omega prahlen: Die Uhr sei von der Nasa als „flight-qualified for all manned space missions" zertifiziert. Eine bessere Empfehlung war nicht vorstellbar, dennoch sprangen auch weitere Produzenten auf diesen Zug auf. Die einen priesen ihre Bulowa-Armbanduhr als „astronomisch genau unter extremsten Bedingungen" an. Andere, näm2/2019
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lich Universal aus Genf, eröffneten eine ganz neue Dimension mit den hochtrabenden Worten: „Wir träumen nur noch von der Venus! Denn der Mond liegt uns bereits zu Füßen!" Und dieser ganz neue Blick aus dem All, diese Aneignung des Mondes erhob die ja eigentlich nicht sehr hübschen Fotos von der grauen, rubbeligen Mondoberfläche, die mit ihren Blasen ein bisschen an nassen Sand bei Ebbe erinnert, zu Ikonen. Die bemannte Raummission „Apollo 8" hatte bereits im Dezember 1968 spektakuläre Bilder von der Mondrückseite geliefert, und die Foto-Firma Zeiss druckte in ihrem Werbetext dazu nur ein Wort groß und fett: „Präzision." Sie hob mit dem kleineren Text über den Ursprung des Bildes („Freigegeben von der Nasa") die eigene Technik einer Hasselblad-Kamera mit ZeissObjektiv auf das höchste vorstellbare Niveau. Der Mannesmann-Konzern dagegen plauderte ein bisschen von oben herab aus dem Nähkästchen, wenn er den magischen Blick auf unseren blauen Planeten vom Mond aus als Hingucker wählte: „Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie verdammt weit weg das wirklich ist." Die Strategie, sich mit den Astronauten auf eine Stufe zu stellen, weil „wir" als (westliche) Erdenbürger ja jetzt den Mond erobert hatten, zog sich durch einen großen Teil der Berichterstattung. So, wie bei der WM die deutschen Mannschaften von Menschen, die weder mit den Spielern verwandt oder bekannt sind noch je im Leben Fußball gespielt haben, durchweg „unsere Jungs" genannt werden, so titelte die „Bild"-Zeitung beim Start der „Apollo 11" am 16. Juli 1969: „Jungs, kommt heil wieder!" Die Identifikation und Anteilnahme war riesig. In den Berichten aus den USA war zu lesen, wie kompliziert die Vorbereitungen gewesen seien, wie riskant für die Raumpiloten, wie technisch ausgereift und in komplizierten Tests erprobt jedes erdenkliche Detail habe sein müssen. Trotzdem blieb genug Platz für Träume, vor allem von der Zukunft der bemannten Raumfahrt an sich. PanAm nannte im Zuge dieser Begeisterung seine Seite
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„747"-Maschine im doppeldeutigen Sinne ein „Raum"-Schiff, also ein Gefährt mit extra viel Platz, das aber Weltall-Fantasien bediente. Und ganz simpel, aber aus genau der gleichen Begeisterung heraus montierte die Firma Triumph-Adler ihre Schreibmaschine in ein Bild, das aus dem Fenster einer Mondfähre heraus aufgenommen sein sollte: „Liebesgrüße aus dem Weltall", so die Idee, könnten doch in Zukunft auf der Gabriele 5000 geschrieben werden, robust genug sei sie. Selbstverständlich spielte diese Reklameschlagzeile auf den „James Bond"-Film „Liebesgrüße aus Moskau" an, der 1964 sehr erfolgreich in den Kinos lief. Erst der 1979 veröffentlichte „007"-Streifen „Moonraker" erschloss dem Geheimagenten ihrer Majestät allerdings auch das Weltall. Wer im Juli 1969 vor dem Fernsehgerät die 28 Stunden lang live übertragene Landung auf dem Mond verfolgte, sah im Kölner WDRFernsehstudio Experten in grauen Anzügen sitzen, die vom Ausstrecken der „Landebeine" des „Mondbootes" sprachen, mit US-Korrespon denten in Houston telefonierten und immer hofften, dass die Übertragung der ganzen Aktion ungestört klappen würde. Die Raumfähre und die Anzüge der Astronauten waren für das deutsche Studio originalgetreu nachgebaut worden, um das Ganze vorstellbarer zu machen, und immer wieder wurden Daten wie Flughöhe und anvisierte Landezeit durchgegeben. Und endlich landete die „Eagle" wohlbehalten. Neil Armstrong kletterte eine Leiter herunter, und schließlich betrat der erste Mensch tatsächlich wie geplant den unwirtlichen Erdsatelliten, gefolgt von seinem Kollegen Buzz Aldrin. Wie bei anderen Großereignissen (wie dem Kriegsende 1945 oder dem Fall der Mauer 1989) wissen alle noch genau, wo sie damals waren. Die Mitfiebernden und Zuschauenden hatten in diesem Moment sicher keine Angst vor irgendwelchen Viren aus dem All, wie sie im ScienceFiction-Roman „Andromeda" von Michael Crichton beschrieben wurden, der etwa zeitgleich erschien. Vielmehr wollte jeder und jede A st ronomiebegeister te und jedes abenteuerlustige Kind einmal zum Mond fliegen. Die Post jedenfalls ließ sich da nicht lumpen und erfand flugs das AstronautenSparbuch. Vermutlich gebührenfrei für alle, die höflich ihre Handschuhe auszogen, während sie im Raumanzug am Postbank-Schalter standen.
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Kult-Mode
Von Jörg Palitzsch
Hemden aus dem Männer und Mode muss kein Widerspruch sein. Der schwäbische Hemdenhersteller Olymp bietet modisches Design und erstklassige Stoffe. Das Fundament für das erfolgreiche und stilprägende bereits 1951 gegründete Unternehmen wurde in den 1960er Jahren gelegt.
Farben und Formen in einem großen Umbruch, wovon nicht zuletzt der Hemdenhersteller Olymp durch markengerechte Produkte in einem erheblichen Maße profitierte. Die Hemden aus Bietigheim-Bissingen lieie Hemdenmode der 1960er Jahre konnte schrecklich sein. ßen ihre Träger strahlend ausSchrille Blumenmuster, wahlweise mit stilvollen Rüschen versehen, klassisch im Profil. Das ziert, dazu Schlaghosen, die bei Regenwetter einen feuchten Hemd Capitain war für Männer Dreckrand bekamen. Herrenhemden hatten zum Teil „Dackelohrkragen", gemacht, „die den Kurs bestimderen abgerundete Ecken fast bis zur Brustmitte reichten. Man(n) men". Eine Ausrichtung, die wollte sich durchaus gut anziehen und dabei eine Spur Lässigkeit sich Olymp in der Werbung demonstrieren. Und trotzdem: Männer und Mode klang wie ein innerer immer wieder zueigen gemacht Widerspruch – denn für die meisten Herren musste Kleidung vor allem hat. Die Hemden strahlten als zwei Kriterien erfüllen: Sie sollte praktisch sein, und sie durfte nicht Männlichkeitssymbol Eleganz allzu viel kosten. aus, hier und da spielte eine Das schwäbische Unternehmen Olymp aus Bietigheim-Bissingen melancholische Note mit. Sich ein machte sich bereits Anfang der 1960er Jahre auf den Weg, der Olymp-Hemd anzuziehen hieß, Hemdenmode für Herren neue Impulse zu geben. Gleichwohl wurde Olymp zunächst von einem schweEberhard Bezner sich gut anzuziehen, aber immer mit einer Spur von ren Schicksalsschlag getroffen. Im Lässigkeit. Januar 1960 starb Firmengründer Hinter diesem Erfolg Eugen Bezner völlig unerwartet stand Eberhard Bezner. an einem Herzinfarkt, er wurde Verbesserungen in der gerade einmal 59 Jahre alt. Die Produktion und Neuheiten Geschäftsführung übernahm sein an den Hemden, von Sohn Eberhard Bezner. Eine hohe denen einige den Verantwortung und eine Aufgabe, Gebrauchsmusterschutz der sich der 24-Jährige mit aller aufweisen, gehen auf langjähKraft widmete – und in der Hemdenmode gab es viel zu tun. rige Versuche und Erprobungen In der Herrenbekleidung kam es in diesen Jahren zu einem wahBezners zurück. Neben dem ren Farbenrausch. An die Stelle der immergleichen Standardfarben sogenannten Vollschnitt, wie wie Weiß, Blau und Grau traten Intensivfarben wie Pink, Flamme, die bequeme Passform früher Nilgrün, Canarygelb und Meerblau. Die Mode befand sich durch neue
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Werbemotiv aus den 50er Jahren
bezeichnet wurde, waren die Herrenhemden teilweise auch schon körperbetont. Um die notwendige Bewegungsfreiheit zu erlangen, aber auch um die Haltbarkeit zu erhöhen, wurden der Baumwolle dehnfähige Kunstfasern wie Polyester beigemengt. Ein besonderes Augenmerk lag schon seit den 1960er Jahren auf einer erstklassigen Qualität und Verarbeitung der Stoffe. Als Produktspezialist arbeitete Bezner ständig daran, die Eigenschaften der Hemden, wie Bügelfreiheit, Knitterarmut, Atmungsaktivität und Haltbarkeit, immer weiter zu verbessern. Mit einer rückläufigen Verbreitung der Weste unter dem Anzug kam in den 1960er Jahren als praktisches Ausstattungsteil bei Hemden die Brusttasche hinzu und wird seitdem in unterschiedlichen Größen und Formen verwendet. Das Bestreben des Firmengründers Eugen Bezner, ein herausragendes Herrenhemd zu fertigen, bewog ihn einst dazu, den einprägsamen Markennamen Olymp zu wählen, in Anlehnung an das gleichnamige Bergmassiv in Griechenland. Der Name sollte von Beginn an eine ähnliche Bedeutung im Hemdenmarkt signalisieren wie der Wohnsitz der Götter. Man wollte praktisch über allem stehen – und es funktionierte. Dieses andauernde Bestreben nach Qualität – die Produk tion der Hemden ist mit einem sehr hohen Grad an Handarbeit verbunden – schlug sich auch in der dynamischen Entwicklung des Unternehmens nieder. Während die Erlöse im Jahre 1960 noch bei umgerechnet 1,1 Millionen Euro bilanziert wurden, waren es 20 Jahre später 15,2 Millionen Euro. 2017 lag der Jahresumsatz bei 258 Millionen. Dieser Aufschwung hatte auch Auswirkungen bei der Auswahl der Produktionsstandorte. Schon Ende der 1960er Jahre begann Eberhard Bezner, die Hemdenproduktion ins Ausland zu verlagern. Dabei standen nicht die günstigen Fertigungskosten im Mittelpunkt, vielmehr hatte das Unternehmen angesichts einer überaus dynamischen Entwicklung Schwierigkeiten, überhaupt qualifizierte Kräfte für die Produktion der Konfektion im Inland zu finden. Nach und nach wurde die Fertigung deshalb ins osteuropäische und später ins asiatische Ausland verlagert. Das letzte eigene Olymp-Werk in Kißlegg im Allgäu wurde 1980 verkauft, das erste ausländische Produktionsland war Kroatien. Mit diesem Betrieb arbeitet Olymp immer noch zusammen, wobei in allen Produktionsstätten auf sozial- und umweltverträgliche Bedingungen großer Wert gelegt wird. Dies sichert man durch langjährige Partner, enge Kooperationen, durch den Direktimport der Bekleidungsstücke, lokale Präsenz in den Fertigungsbetrieben und eine transparente Lieferkette. Die Verlagerung war eine Antwort auf den hohen Auftragseingang, der bereits in den 1970er Jahren einsetzte. So zählten damals schon deutschlandweit mehrere hundert Fachgeschäfte und Fachabteilungen in Kaufhäusern zum festen Kundenstamm, dazu kamen Beschaffungsämter, etwa für die Polizei in den Ländern und Fluggesellschaften. Ein Plakat machte 1963 Werbung für ein Diensthemd, das an die Münchner GoodTimes
Stadtpolizei über die Bekleidungskammern ausgegeben wurde. Mit Dickstoffkragen und Dickstoffmanschetten in Zwirnpopeline oder Cottonova, einem Baumwollgewebe, kochfest und bügelfrei. Die OlympHerrenwäschefabrik E. Bezner hatte zu dieser Zeit zwei Stammhäuser, eines in Nördlingen in Bayern, eines im württembergischen Großingersheim. Produktion in den 60er Jahren Eine ähnlich große Werbewirkung wie die Ausstattung für die Polizei besaß auch die Ausstattung der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972. Ein Werbeclou, der die Nachfrage nach Olymp-Hemden weiter steigerte. Dabei wurde die zeitgemäße Ausrichtung der Hemdenkollektion zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt. Produktdesigner sorgten schon seit den 1960er Jahren bei Olymp dafür, Aktualität, Markenkonformität und eine individuelle Aussagekraft des Sortiments sicherzustellen. Seit den 1990er Jahren wurde die Arbeit der Designer durch den Einsatz von ComputerAided-Design-Programmen (CAD) erleichtert. Der Kollektionsabteilung bei Olymp ist es seither möglich, sowohl klassische als auch moderne Gewebemuster in allen Farben und Designs rechnergestützt am Bildschirm zu entwerfen. Daraus resultierte im Zuge des ständig wachsenden Kollektionsumfangs ein erheblicher Zeitvorteil. Im nächsten Schritt erhalten ausgesuchte Gewebelieferanten die Eigenmuster von Olymp mit allen technischen Details zur Materialkomposition, zur Garnstärke, der Färbung sowie zur gewünschten Systematik der Fadenverkreuzung mit der exakten Anzahl der sogenannten Kett- und Schlussfäden. Und dieser Dresscode für Männer kommt an, wobei es bei Olymp Maßanfertigung als Serienproduktion nicht gibt. Neben zahlreichen Farben, Formen und Mustern umfasst das Warenangebot unterschiedliche Schnittvarianten, fünf Ärmellängen sowie bis zu 17 Größen und Sondergrößen. Damit will man der Nachfrage auch ohne kundenindividuelle Einzelfertigung gerecht werden, obwohl man dem Maßhemd sehr nahe kommt. So wird bei der Premiumlinie Signature jede einzelne Größe nach individuellen Maßen gesondert geschnitten. Dies bedeutet, dass jede einzelne Kragenweite über ein individuelles Rumpfteil mit abgestimmten Hemdenmaßen verfügt – mit dem Ziel, Passgenauigkeit und Tragegefühl zu verbessern. So gewährleistet Olymp seine Premiumstrategie.
Inzwischen hat Mark Bezner, der Sohn von Eberhard Bezner, die Firma mit dem stilisierten O zur Nummer eins und zum Marktführer in der Mode für Herrenhemden gemacht. Und er geht ungewöhnliche Wege. So ist der 47-jährige Schauspieler Gerard Butler heute das neue Kampagnengesicht von Olymp. Für den Juristen, der früher als Trainee in einer Kanzlei tätig war, zählen scharf geschnittene Hemden zu den vielen Facetten seines Charakters. Sein Foto hat sich inzwischen nicht nur bei Männern festgesetzt – und wird mit der Marke Olymp verknüpft. Heutzutage kennen den Namen Olymp inzwischen selbst jene, die nur T-Shirts tragen. Ein starkes Stück Mode aus dem Schwabenland eben. 2/2019
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Girls und Glamour am Rande des Verbotenen Von Hans-Joachim Neupert Männermagazine gibt es bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts, und die in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg produzierten Hefte waren mondän, ungewöhnlich und in Inhalt und Aufmachung unverkennbar deutsch. Die zwischen 1925 und 1933 veröffentlichten Magazine zählen heute zusammen mit den französischen zu den schönsten dieser Periode. Der Zweite Weltkrieg brachte dann große Veränderungen: Als nach 1945 wieder Zeitschriften verlegt wurden, waren aber natürlich auch die nachgefragten Männermagazine wieder da. Es gab zahlreiche Nudistenhefte und Zeitschriften mit künstlerischen Aktfotos. Diese konzentrierten sich jedoch ausschließlich auf den Gesundheits- und Schönheitsaspekt. Und dann gab es da noch das Gondel"-Magazin. " m Februar 1949 erschien mit dem Serientitel „Gong" (ab Heft 2 in „Gondel" umbenannt) ein neues Magazin, das, wie im Impressum zu lesen war, „für jeden etwas zu bieten hat und den Versuch wagt, in Inhalt und Stil den goldenen Mittelweg zwischen den vielfältigen Schichten und Ansprüchen der Leser zu finden und zu beschreiten". Dieser Anspruch war nicht gering. Und das Heft kostete immerhin 1,50 DM. Das war damals sehr viel Geld. Ein Facharbeiter verdiente in den frühen 50er Jahren ungefähr 300 DM netto im Monat, und ein Romanheft kostete nur 40 Pfennige – und auch das konnte sich nicht jeder leisten.
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Das „Gondel"-Heft war zumindest in den frühen Jahren aber kein reines Männermagazin, sondern seine Redaktion legte immer Wert darauf, dass die „Gondel" auch von Damen gelesen werden sollte, weshalb es einiges an Texten und Bildern für Frauen im Heft gab. Trotzdem wurde das Magazin de facto fast ausschließlich unter dem Ladentisch gehandelt und oft auch Seite
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getarnt in einem braunen Briefumschlag dem wissenden (männlichen) Kunden überreicht. Das „Gondel"-Magazin konnte in denfrühen Jahren mit wunderbaren Coverillustrationen beeindrucken, und im Heft fand man eine ansprechende Mischung aus Fotos europäischer und amerikanischer Filmstars mit unverfänglichen Artikeln – durchsetzt eben mit Aktstudien. Die wunderschönen Titelbilder der Hefte 1 bis 51 wurden vom Redaktionsmit arbeiter und Werbegrafiker Heinz Fehling (1912–1989) verantwortet. Zwischen 1950 und 1960 erreichte sein künstlerisches Schaffen den Höhepunkt. Fehling schuf generell Plakatkunst in höchster künstlerischer Vollendung. Der begnadete Künstler verstand es auf geniale Weise, die sehnlichsten Wünsche der Menschen in den Nachkriegsjahren zu befriedigen. Eindrucksvoll und international verbreitet war etwa auch seine Kalenderwerbung für Sinalco. Etliche seiner Arbeiten werden heute in verschiedenen Museen, unter anderem im Deutschen Historischen Museum in Berlin aufbewahrt. Besonders die ersten Hefte der „Gondel" bis etwa zum Jahr 1953 waren noch deutlich freizügiger gestaltet als die späteren Ausgaben, denn es gab viele Aktfotos zu bestaunen. Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass eine Generation junger Männer, die zwölf Jahre Diktatur, Gleichschaltung und die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erlebt hatte, sich weder vom Staat noch von der Kirche bevormunden lassen wollte, wie erotisch ihre Lektüre sein durfte. Das Gefühl von Freiheit und die Lässigkeit gegenüber den Autoritäten verflüchtigten sich dann aber im Laufe der Zeit sehr schnell. Staat, Kirche und die Großunternehmen propagierten mittels Werbung eine neue Welt, eine „heile Welt". Und viele Menschen sehnten sich nach dieser Welt, liebten aber gleichzeitig auch die Angebote am Rande des Verbotenen. Ab Anfang der 50er Jahre nahm das Leben dann jedoch wieder mehr und mehr „normale Züge" an. Nacktfotos wurden daraufhin komplett aus den Heften verbannt und durch Bilder vom internationalen Markt ersetzt. Aus heutiger Sicht muten die Pinups mehr als harmlos an. Man darf aber nicht vergessen, dass in den GoodTimes
50er Jahren, als von Aufklärung noch nicht die Rede war, Mädchen im Bikini bereits als skandalös galten. Die gesellschaftliche Wirklichkeit von damals können wir uns heute, in unserer sexualisierten Welt, überhaupt nicht mehr vorstellen. Ab dem Jahr 1967 wurden die Männer magazine dann zunehmend pornografisch in einem eigentlichen Sinne. Und ab den frühen 70er Jahren begann auch die Gestaltung der „Gondel"Magazine, sich diesem Zeitgeist anzupassen. Die Sex-Welle hatte sich mit brachialer Gewalt allerorten breit gemacht: Kinogänger beispielsweise wurden mit Hausfrauen- und Schulmädchenreports geradezu belästigt. Plötzlich trugen also auch die Cover-Damen des „Gondel"-Magazins nichts mehr und präsentierten sich in ihrer ganzen Pracht … Das hatte mit den großen Inszenierungen der frühen „Gondel"-Hefte nichts mehr zu tun. Es waren jetzt teilweise textfreie, DIN A4 große Hefte aus schlechtem Papier, in denen gänzlich nackte junge Mädchen abgebildet waren. Die „Gondel" war nur noch ein billiges SexBlatt unter vielen. Der Siegeszug der Videokassette Anfang der 80er Jahre läutete nach fast 400 Ausgaben dann das Ende des einst so glamourösen Herrenmagazins ein. 2/2019
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Mercedes C111
Das grellorange Stromlinienbaby Ich erinnere mich recht gut. Es muss Ostern 1970 gewesen sein oder vielleicht auch 1971. Damals brachte mir der Osterhase ein ganz besonderes Ei. Ein Spielzeug-Gefährt, das auf mich wirkte, als wäre es aus einer fernen Zukunft auf dem grellen Lichtbogen eines Blitzes direkt in mein Osternest katapultiert worden. Ganz in schreiendem Orange und mit seinen futuristischen Flügeltüren eher an einen Raumgleiter denn an ein Auto erinnernd, erschien mir der Mercedes C111 beinahe wie von einem anderen Stern.
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er Spielzeugfabrikant Schuco, bis heute ein Garant für wunderbare, bis in die Tiefe kleinster Details modellierte Autos und andere Fahrzeuge, zeigte sich mit seinem Modell des skulpturalen C111 ganz auf der Höhe der Zeit. Schließlich hatte Mercedes die zu allerlei Testzwecken seit Ende 1967 entwickelte Kreation des späteren Chefdesigners Bruno Sacco doch selbst gerade erst auf die Räder gestellt und im September 1969 auf der IAA, der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt, der Öffent Seite
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lichkeit präsentiert. Ziel der Schwaben war es, sowohl mit einer leichten Kunststoffkarosserie und den an den legendären Mercedes 300 SL gemahnenden Flügeltüren wie auch mit den verschiedens ten Motorentechnologien, zunächst vor allem mit einem Wankelmotor, zu experimentieren. Die Entwicklung eines Supersportwagens, so wurde damals in der Fachpresse wiederholt gemutmaßt, soll dagegen wohl bereits von Beginn an nicht zwingend die Absicht des Unternehmens gewesen sein. Und spätestens im Laufe
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des Jahres 1971 war ohnehin klar, dass die bauartbedingten Nachteile der WankelTe c h n o l o g i e , St a n df e s t i g ke i t und hohe r Verbrauch, sowie die in Sachen Unfalls iche rheit kaum ausreichenden Eigenschaften einer Kunst stoffkarosserie eine Serienfertigung unmöglich machen würden. Eine bittere Erkenntnis nicht nur für die Ingenieure und Designer bei Mercedes, sondern gerade auch für die Kaufleute im Unternehmen. Denn mit dem C111 hätte man wohl viel Geld verdienen können. Das jedenfalls lassen die vielen Bestellungen vermuten, die damals in der Konzernzentrale in Stuttgart-Untertürkheim eingingen.
Abbildungen: © Daimler AG
Blankoschecks für ein Auto, das es nie geben sollte
So verrückt waren die Schönen und Reichen nach dem vermeintlichen Super-Mercedes, dass viele Besteller gleich noch unterschriebene Blankoschecks beigelegt hatten für ein Serienmodell, das nie kommen würde. Und hätte ich damals gewusst, was ein Blankoscheck ist, ich hätte wohl Verständnis aufgebracht für diesen Leichtsinn. Übrigens: Es heißt, dass diese Schecks bis heute in einem Tresor in Untertürkheim liegen sollen. Was ich damals ebenfalls noch nicht wusste, beziehungsweise auch gar nicht wissen konnte, war, dass „mein" C111 nur der erste unter gleichen sein sollte. Denn Mercedes experimentierte in den folgenden Jahren munter weiter, so dass auf den Typ Version I bald schon der Typ Version II, der Typ Version III und der Typ Version IV folgen sollten. Im kollektiven automobilen Gedächtnis Unter dem orangen geblieben sind aber Kunststoff-Kleid, da tat sich was vor allem der C111-I (dem das Schuco-Modell nachempfunden war) und der C111-II. Beide glänz(t)en im für die 70er Jahre so charakteris tischen grellen Creme 21-Orange (das tatsächlich aber auf den Namen „Weißherbstmetallic" getauft war) und wirk(t)en wie Autos, die kurz vor ihrer Serienreife hätten stehen können. Die späteren Versionen dagegen, der C111-III und der C111-IV, erscheinen zumindest aus heutiger Sicht mit ihrem grotesk anmutenden Flügelwerk und der Vollverkleidung, die gerade einmal noch die Vorderräder erkennen lässt, einerseits zwar stromlinienförmig, andererseits aber doch arg grobschlächtig und wie nicht zu Ende gedacht beziehungsweise gebracht. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass hier mit den Designern die Pferde durchgegangen waren im Bestreben, die Vision eines Sportwagens für die Zukunft zu zeichnen. Extrem leistungsstark und technisch ihrer Zeit weit voraus aber waren alle C111Versionen. So war der C111-II, der 1970 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Genf der Öffentlichkeit präsentiert wurde und im Vergleich zum Typ Version I nicht mehr über einen Dreischeiben-, sondern über einen vierrotorigen Wankelmotor verfügte, mit seinen 350 PS für eine nicht nur damals beeindruckende Spitzengeschwindigkeit von 290 km/h gut. Noch überzeugender aber waren die Leistungen, nachdem man sich – nicht zuletzt wegen der Ölkrise – von der wenig verbrauchsfreundlichen (und anfälligen) Wankel-Technologie verabschiedet hatte und stattdessen auf Diesel-Motoren setzte. GoodTimes
C111: Rekorde satt Getestet wurden die nun mit einem von den Strich-Achter-Diesel taxis abstammenden Fünf zylinder-Selbstzünder ausgestatteten Typen Version II und Version III auf der italienischen Hochgeschwindigkeitsteststrecke Pista di Nardò. Der kreisförmige Kurs von 12,6 Kilometer Länge genießt den Ruf als schnellster AutomobilRundkurs der Welt (Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h sollen möglich sein). Hier erwiesen sich der C111-II und der C111-III als echte Rekordbrecher. So konnten am 12. Juni 1976 mit einem C111-II, der über einen 190-PS-FünfzylinderDieselmotor verfügte, alle bisherigen Geschwindigkeits- und Beschleunigungsrekorde für Dieselautos pulverisiert werden. Sage und schreibe 16 neue Rekorde (13 für Diesel-, drei für Fahrzeuge aller Motorisierungen) wurden aufgestellt, darunter unter anderem auch der über eine 10.000-Meilen-Dauerfahrt, bei der eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp über 252 km/h erzielt wurde. Noch wilder trieb es zwei Jahre später der Typ Version III mit nun 230 Diesel-PS. Der brachte es 1978 nicht zuletzt dank eines Cw-Wertes von 0,183 während einer zwölfstündigen Dauerfahrt auf eine Höchstgeschwindigkeit von 320 beziehungsweise auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 316 km/h. Sauschnell, aber auch Und wiederum ein potthässlich: Jahr später konnte Der C111-IV der C111-IV selbst das noch toppen. Allerdings war nun kein Diesel-, sondern ein V8-Benzinmotor verbaut, der 500 PS leistete. Dieses Triebwerk, eingebettet in eine Karosserie, die eher an ein Raketenfahrzeug als an ein Auto gemahnte, machte es schließlich möglich, am 5. Mai 1979 digkeit von 403,978 km/h einen neuen mit einer Höchstgeschwin Rekord für Rundkurse aufzustellen. Dies war Höhe-, gleichzeitig aber auch Endpunkt der Rekordgeschichte(n) des sagenhaften Mercedes C111! Heute hütet man bei Mercedes die wenigen verbliebenen Originalmodelle ganz zu Recht wie einen Schatz. Andreas Kötter
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Die vielen Leben der Dinge A
Das Konzept, gebrauchte Waren für einen kurzen Zeitraum an öffentlichen Plätzen anzubieten, existiert nachweislich bereits seit Tausenden von Jahren – beispielsweise auf dem Gebiet des heutigen China, Bangladesch oder Indien. Jünger und wesentlich umstrittener sind die Ursprünge des Begriffs Flohmarkt. Einer Theorie zufolge geht der Flohmarkt auf den Fly Market im New York des 18. Jahrhunderts zurück. Er verweist auf das niederländische Wort vlaie" für Sumpf. Das Land, auf dem der Fly Market stattfand, " war ursprünglich ein Salzsumpf und lag in der Nähe des East River.
lternativ steht der Flohmarkt in Verbindung mit den spätmittelalterlichen Kleidergaben von Fürstenhäusern. Nachdem die wertvollen Gewänder einmal dem Volk überlassen worden waren, wechselten sie immer wieder den Besitzer – inklusive einer immer größeren Anzahl von Flöhen. Eine weitere Erklärung liefert Albert LaFarge in einer Ausgabe des Magazins „Today's Flea Market" aus dem Winter 1998: „Es gibt eine allgemeine Übereinstimmung, dass der Begriff Flohmarkt eine wörtliche Übersetzung des französischen marché aux puces ist, einem Freiluftbasar in Paris, Frankreich. Er wurde benannt nach jenen lästigen kleinen Parasiten der Ordnung der Siphonaptera, die in den Polstern der alten Möbel lebten, die auf dem Markt zum Verkauf angeboten wurden." Seite
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In der deutschen Sprache verwenden wir neben dem Wort Flohmarkt auch die Bezeichnung Trödelmarkt. Diesen Begriff für minderwertige Waren hören die meisten Verkäufer natürlich überhaupt nicht gern. Sie preisen – genau entgegengesetzt – die Qualität und die Seltenheit ihrer Produkte an. Die Käufer verfolgen gänzlich andere Ziele, aus strategischen Gründen mustern sie die dargebotenen Waren so geringschätzig wie möglich: „Ich gebe dir einen Euro, und das ist schon sehr großzügig!" Bald entspinnt sich ein leidenschaftliches Feilschen, gewürzt von kreativen Formulierungen wie „absoluter Freundschaftspreis" oder „fast geschenkt". Gerüchteweise kalkulieren die Händler dieses Herunterhandeln bereits vorher mit ein und setzen die
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Preise grundsätzlich 20 oder 30 Prozent höher an – der Käufer soll schließlich ein Erfolgserlebnis haben. Tatsächlich scheint das Feilschen viele Menschen glücklich zu machen. Vielleicht, weil wir im normalen Alltag – im Supermarkt oder Kaufhaus – nicht über die Preise diskutieren dürfen ... Weckt das Verhandeln um Rabatte womöglich angenehme Urlaubserinnerungen an exotische Basare in Marokko oder Tunesien? Feststeht, dass die Stunden auf dem Flohmarkt für viele Menschen so etwas wie ein Kurzurlaub sind. Schnöde Parkplätze oder Wiesen verwandelt der Markt für wenige Stunden in Theaterbühnen mit ganz eigenen Gesetzen. Hier treffen Paradiesvögel aufeinander, mit allen Wassern gewaschene Profitrödler stehen neben unbedarften Teenagern, die ihre alten Kinderspielsachen verkaufen. Bei so vielen Charakteren hat sich Humor als bestes Mittel bewährt, um das Eis zu brechen und Menschen zusammenzubringen. Alles auf dem Trödelmarkt ist ein wenig augenzwinkernd zu genießen, wer sich
einem Stand stehen, desto mehr neue Interessenten kommen hinzu. Vielleicht ist es auf dem Flohmarkt wie bei Restaurants: Wenn es allzu leer ist, mag man nicht gerne einkehren. Ist es hingegen voll ... Besonders auffällig am Trödelmarkt-Universum ist die betont lockere, oftmals familiäre Atmosphäre. Man ist grundsätzlich „per Du" und sagt sich frei Schnauze die Meinung. Und das ist keineswegs Schauspielerei, nicht wenige der Käufer und Verkäufer kennen sich tatsächlich schon seit Jahren oder Jahrzehnten. Neben kommerziellen Zielen befriedigen Flohmärkte auch soziale Bedürfnisse. Im hektischen, hyperoptimierten Einzelhandel des 21. Jahrhunderts bleibt kaum Raum für ein kleines Schwätzchen. Auf den Trödelmarkt hingegen nimmt man sich noch Zeit, der gemütliche Plausch ist ein integraler Bestandteil des Erlebnisses. Abgerundet wird das Ganze durch ein solides kulinarisches Angebot, jeder Markt verfügt über diverse Imbissstände. Kaffee, Kuchen, warme Würstchen; Cola oder eine Frikadelle machen das gemütliche Klönen noch ein wenig gemütlicher! Für Nostalgiker gleicht jeder Flohmarkt einem umfangreichen Freilichtmuseum mit kostenlosem Eintritt. Mühelos wird man hier zum Zeitreisenden und fliegt gedanklich aus den Fünfzigern in die Siebziger und landet schließlich in den Neunzigern. Überall locken Artefakte der unterschiedlichsten Epochen, und man denkt sich im Stillen: „Das hatte ich mal." Oder auch: „Daran erinnere ich mich noch ganz genau." Wenn die Gegenstände auf Trödelmärkten nur sprechen könnten ... Wann lag dieser Teddybär einst unter dem Weihnachtsbaum und brachte Kinderaugen zum Leuchten? Aus welchem Partykeller
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Auch die Präsentation der Waren ist äußerst vielfältig und spiegelt die unterschiedlichen Käufertypen wider. An einigen Ständen laden übervolle Pappkartons zum leidenschaftlichen Wühlen nach unentdeckten Schätzen ein, andere Verkäufer setzen auf eine übersichtliche Auslage, bei der man alles auf den ersten Blick sehen kann. Fakt ist: Je mehr Käufer bereits an
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hier selbst allzu ernst nimmt, wird kaum Kunden an seinen Stand locken. Flohmarktprofis behaupten steif und fest, dass Sympathie ein wesentlicher Verkaufsfaktor ist. Unbewusst sollen die potenziellen Kunden das Auftreten und das Äußere eines Verkäufers mit der Qualität seiner Waren verbinden. In der Tat ist der Kauf oft Vertrauenssache, bei technischen Geräten, Kunstwerken oder Antiquitäten muss der Käufer den Angaben des Verkäufers vertrauen. Im Gegensatz zum Kaufhaus gibt es weder mehrjährige Garantien noch ein zweiwöchiges Umtauschrecht.
stammt diese Discokugel, und wie viele ausgelassene Feiern hat sie erlebt? Auf welchen Stränden der Welt war diese alte Strandtasche schon zu Gast? In Form alter Postkarten oder Foto-Alben stößt man immer wieder auf datierbare und sehr konkrete Fragmente längst vergangener Jahre. Unwillkürlich fragt man sich: Wer waren diese Menschen, die einem von der gedeckten Kaffeetafel oder auf einer Piazza in Italien anlächeln? Nicht wenige Gegenstände auf Flohmärkten stammen aus Haushaltsauflösungen. Sie gehörten einmal Menschen – bedeuteten ihnen vielleicht sogar viel –, die heute nicht mehr am Leben sind. Diese Erkenntnis macht nachdenklich, Gegenstände sind oft langlebiger als ihre Besitzer, sie altern in anderen Zeitdimensionen. Gleichzeitig fasziniert das Zyklische des Warenkreislaufs auf Flohmärkten. Die Dinge wechseln hier immer wieder den Besitzer und erhalten so ein zweites, drittes, viertes, fünftes oder sechstes Leben – ein äußerst tröstlicher Gedanke. Nicolas von Lettow-Vorbeck 2/2019
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Sitcoms der 80er Jahre | Teil 1
Von Thorsten Hanisch
Eine schrecklich nette Familie I. Sitcoms – besser als ihr Ruf!
Jahre brachten eine Reihe bemerkenswerter Titel hervor, weswegen der Fokus hier auf diesem Jahrzehnt liegt.
Die situation comedys, besser bekannt als Sitcoms, genießen nicht zuletzt dank der oft durchwachsenen Eindeutschungen einen eher zweifelhaften Ruf. Formal simpel, inhaltlich statisch, Lacher aus der Konserve, böse Zungen sprechen von Zeitverschwendung, und der Fernsehsender Pro7 trug mit den jahrelangen Endlosausstrahlungen der immer gleichen Serien auch nicht gerade zu einer Verbesserung des Images bei.
Fotos: Bildarchiv Hallhuber
Dabei ist das Genre nicht ohne Reiz: Gerade weil die Serien in oftmals sehr artifiziell wirkenden Bühnenkulissen spielen und der Inhalt im Kern stets der Gleiche bleibt, benötigt es umso fähigere Akteure und Drehbuchautoren, um die Zuschauer dauerhaft an sich zu binden, und wer mal eine Sitcom in der Originalversion gesehen hat, wird bestätigen können, dass die echten Reaktionen des Publikums auf die live aufgezeichneten Folgen weitaus weniger nerven als in den deutschen Konservenvarianten; die Live-Atmosphäre kommt also, auch weil die Tonabmischung an sich schon meist viel räumlicher ist als in den Synchronfassungen, um einiges besser rüber. Ein weiterer Punkt ist die Übersetzung: Deutschland konnte und kann immer noch, im Gegensatz zum Beispiel zur USA, mit einer großen Anzahl an talentierten, prägnanten und durchaus populären Synchronsprechern auftrumpfen, allerdings hält die Qualität der Übersetzung meist nicht ganz mit – egal ob ungeschickte Anpassungen an den deutschen Markt, Sinnverfälschungen oder Zensur: Wer zum ersten Mal eine Sitcom so erlebt, wie sie gedacht war, staunt in vielen Fällen nicht schlecht. Und außerdem: Einige Sitcoms waren durchaus mehr als nur leichter, kurzweiliger Zeitvertreib. Es gab Serien, die die TV-Landschaft revolutionierten, vor allem die 1980er Seite
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Den Start macht eine Serie, die vor allem in den USA für einige Aufregung sorgte, in Deutschland ebenso wenig auf einhellige Begeisterung stieß, dafür aber eine immer größer werdende Schar an sehr leidenschaftlichen Fans um sich scharte – Vorhang auf für „Married With Children", hierzulande berühmt-berüchtigt als „Eine schrecklich nette Familie"!
II. Worum geht’s? Inhaltlich dreht sich alles um den stets schlecht gelaunten, chauvinistischen, sexistischen, erfolglosen Schuhverkäufer Al Bundy, der seinen Job hasst und unter seiner Ehefrau und seinen Kindern leidet. Die einzigen Highlights in seinem tristen Leben stellen die örtliche Nacktbar, seine LieblingsFernsehserie „Psycho Dad" und Erinnerungen an glanzvolle, aber längst vergangene Football-Tage auf der Polk Highschool dar: Ihm gelangen in einem Spiel vier Touchdowns – eine Heldentat, die sich seine Familie immer und immer wieder anhören muss. Ehefrau Peggy zeichnet sich vor allem durch pupillensprengende Klamotten aus, kennt Hausarbeit nur vom Hörensagen, sitzt den Tag über wie angeklebt auf der Couch und guckt Talkshows, weshalb ihr Gatte nach Feierabend meist selbst zusehen muss, wie er seinen Hunger stillt. Tochter Kelly ist der Inbegriff des blonden Dummchens und schleppt mit Vorliebe reihenweise meist ebenso intelligenzverschonte Rockertypen ab. Anders Sohn Bud: Er ist der einzig Schlaue der Familie, dafür aber in seinem Liebesleben notorisch erfolglos. Als Letzter im Familienbund findet sich noch Hund Buck, der sich über seine menschlichen Mitbewohner oft nur noch wundern
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kann. Die burschikose Emanze Marcy, die Nachbarin der Bundys, und ihre Ehemänner, anfänglich der spießige Banker Steve Rhoades, später Jefferson D’Arcy, der männliche Gegenpart zu Peggy, ergänzen das Figurenarsenal, das in 259 Folgen (elf Staffeln) für Humor der meist sehr derben, aber häufig durchaus treffenden Art sorgt.
III. Ein echter Skandal-Erfolg Die Serie wurde von den beiden Drehbuchautoren Ron Leavitt und Michael G. Moye entwickelt, die bereits einige Episoden für „Die Jeffersons" (1975–1985) zusammen verfassten und danach ihre Zusammenarbeit als Schöpfer von Serien wie „Silver Spoons" (1982– 1986) oder „It’s Your Move" (1984–1985), in der David Garrison, der etwas später als Nachbar Rhoades unter den Eskapaden der Bundys leiden sollte, bereits als Nachbar der Hauptfigur zu sehen ist. Ursprünglich waren der Stand-up-Komiker Sam Kinison und die heutzutage leider vorrangig durch schwachsinnige Twitter-Mitteilungen bekannte Roseanne Barr als Al und Peg Bundy vorgesehen, aber die Macher entschieden sich für Ed O’Neill und Katey Segal. Roseanne Barr startete eineinhalb Jahre später ihre eigene – nach ihr benannte – Sitcom, die ebenfalls von einer Arbeiterklasse-Familie handeln sollte, aber von etwas ernsthafteren Tönen durchmischt wurde (mehr dazu bald an dieser Stelle). Die Show feierte am 5.4.1987 Premiere auf dem neu gegründeten Sender Fox, sogar zur Primetime (Sonntagabend, 20 Uhr), wurde allerdings nie zum ganz großen Quotenrenner, was unter anderem daran lag, dass man nicht über die gleiche Reichweite wie die großen Sender verfügte und die Sendung somit in Teilen des Landes nur in minderwertiger Qualität oder gar nicht gesehen werden konnte. Außerdem musste die Sitcom zeitweise mit anderen längst etablierten Titeln wie „Mord war ihr Hobby" konkurrieren. Doch dass die Brachial-Comedy sich schlussendlich mehrfach auf Platz 8 der Fernsehcharts platzieren konnte und permanent zumindest so gute Quoten erzielte, dass die Macher elf Jahre lang in die Verlängerung gehen konnten, ist einer Frau aus Bloomfield Hills (einem Vorort von Detroit, Michigan) zu verdanken. Die Serie stieß, wie erwähnt, aufgrund ihres Inhalts von Anfang an nicht auf ungeteilte Freude, aber 1989 startete eine Frau namens Terry Rakolta einen regelrechten Kleinkrieg, denn sie empfand die Bundys als schädlich für die Zuschauer, vor allem für Familien. Sie schrieb alle Firmen an, die in den Werbepausen Anzeigen geschaltet hatten (worauf tatsächlich einige wenige für kurze Zeit ihre Spots zurückzogen) und machte ihrem Unmut in Talkshows Luft, erreichte allerdings natürlich den gegenteiligen Effekt – die Leute wurden neugierig, und die Quoten stiegen! Als Dankeschön schickten die Produzenten der unfreiwilligen Werbetreibenden jährlich zu Weihnachten einen Korb mit Früchten.
gegeben hatte und außerdem die „Bill Cosby Show" (1984–1992) zu diesem Zeitpunkt gerade ein Dauerbrenner war, lag der Gedanke eines Gegenentwurfs nahe, wenn man für Aufmerksamkeit sorgen wollte (der Arbeitstitel lautete ursprünglich denn auch „Not The Cosbys"). Das Projekt gelang schließlich so gut, dass sich – anders als in der Cosby-Show – kaum ein Promi zu einem Gastauftritt überreden lassen wollte, was die Macher mit vielen Playmates aus dem „Playboy" und anderen schönen Frauen (unter anderem Pornosternchen Traci Lords) auszugleichen versuchten. Egal, ob man’s nun mag oder nicht: Leavitts und Moyes ProvoProduktion hinterließ, allein schon dadurch, dass mit Erfolg das Leben einer Familie der Arbeiterklasse porträtiert wurde, tiefe Spuren in der TV-Geschichte. Man darf mit Fug und Recht fragen, ob es unter anderem „Roseanne", (1988–1997), „Alle unter einem Dach" (1989–1998) oder „King Of Queens" (1998–2007) in dieser Form gegeben hätte, wenn nicht vorher der Bundy-Clan die Sehgewohnheiten über den Haufen geworfen hätte.
IV. Immer noch gut! Kann man die Sendung heute noch schauen? Aber klar doch! Allerdings sollten Englischkundige zur Originalversion greifen, denn obwohl die deutsche Bearbeitung im Hinblick auf die Stimmen gut und passend ist, stören doch viele Details: Zum einen ist die Abmischung extrem flach, und die stumpfen Konservenlacher nerven mit zunehmender Folgenzahl. Zum anderen ist die Übersetzung eine Sache für sich: Es ist zwar einerseits gut gemeint, dass – was aber nur frühe Folgen betrifft – in den Dialogen erwähnte amerikanische Persönlichkeiten, Serien etc. durch deutsche Pendants ersetzt wurden, es wirkt andererseits aber eher irritierend als lustig, wenn in einer Produktion, die sich bereits im Vorspann glasklar in Chicago verortet, plötzlich von der „Schwarzwaldklinik" bzw. Klausjürgen Wussow die Rede ist. Des Weiteren gehen natürlich zahlreiche Wortspiele verloren. Zum Beispiel wird in einer Szene durch die direkte Übersetzung des Wortes „Munich", also „München", kaum deutlich, dass Peggy durch die harte Aussprache des „ch" angespuckt wird. Ebenso kann man sich über einige Änderungen streiten, so bezeichnet Al seine Tochter in der Synchronfassung als „Dumpfbacke", im Original allerdings als „Pumpkin", also in etwa „Schatz" oder „Liebes", was natürlich deutlich positiver konnotiert ist. Das gibt Al im Umgang mit seiner Tochter eine gewisse Ambivalenz – er erkennt ihre intellektuellen Defizite, begegnet ihr aber trotzdem mit einer gewissen väterlichen Zärtlichkeit.
Am 9.6.1997 lief die letzte Folge, allerdings waren keineswegs schlechte Quoten schuld, die Bundys waren sogar nach dieser beachtlich langen Laufzeit, trotz leichter Rückgänge, noch sehr beliebt; der Grund lag in den drastisch gestiegenen Kosten der Serie – Staffel 12 sollte mit 1,5 Millionen Dollar pro Episode zu Buche schlagen, ein Preis, den der Fernsehsender Fox nicht mehr bereit war zu zahlen.
Für welche Version man immer sich auch entscheidet: Ein deutliches Minus ist, dass „Eine schrecklich nette Familie" ab Staffel sechs merklich abbaut oder zumindest zu einem ganz schönen Wechselbad der Gefühle wird. Viele Episoden gleiten von brachialer, aber durchaus scharfzüngiger, sarkastischer, satirisch unterfütterter Comedy in reinen Slapstick ab, der nicht immer zündet. Zudem wissen die Macher immer weniger, was sie mit den Bundy-Kindern anfangen sollen, vor allem Tochter Kelly mutiert schnell von „schlicht gestrickt" zu „völlig verblödet" – ein Umstand, der mitunter sehr anstrengend wird.
Dass die Serie – für die damalige Zeit – ungewohnt derb ausfiel und dann auch noch zur besten Zeit gesendet wurde, hatte einen bestimmten Grund. Fox wurde 1986 als Konkurrent zu den drei großen Sendern NBC, ABC und CBS gegründet, war also neu auf dem Markt, musste sich also von den konservativen Mitbewerbern irgendwie abheben, und da es bis dato nur klinisch reine Vorzeigefamilien im TV
Allerdings lassen einen die exzellenten, auf den Punkt besetzten Darsteller der Erwachsenen selbst bei schwachen Episoden dranbleiben. Es ist kein Wunder, dass vor allem Ed O’Neill und Katey Segal nach der Serie Jahre brauchten, um sich von ihren Rollen zu befreien: Selten zuvor hat man Leute, denen man im echten Leben nun wirklich nicht unbedingt begegnen möchte, so schnell und so sehr ins Herz geschlossen ...
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Von Kathrin Bonacker
Profit mit Promis g n u b r e W r e d in s r ta s m il F Wer etwas verkaufen oder propagieren will, nutzt gerne Schönheit und Prominenz, am besten sogar gepaart. Beides findet sich oft im Bereich der Filmindustrie, und die wechselseitigen Beziehungen von Stars und Konsumwelt sind daher vielfältig: Die einen starten ihre Karriere auf dem Laufsteg oder im Werbestudio und werden dort in ihrer Fotogenität entdeckt. Die anderen geben ihren klangvollen Namen, wenn nur der Preis stimmt, und die dritten setzen sich mit all ihrer Bekanntheit für etwas Gutes ein. Und manchmal wird das Werbebild sogar zum Pin-up.
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er 1965 geborene Thomas Ohrner war noch ein Kind, als er zu modeln begann. Seine Mutter, selbst Schauspielerin, ermöglichte den Werbetreibenden von Rama-Margarine, den kleinen Strahlemann zu fotografieren, der später als der „Junge, der sein Lachen verkaufte" bekannt werden sollte. Ab 1969 stand er erst für Werbespots und dann auch bald für Fernseh- und Kinofilme vor der Kamera. Nach seinem Erfolg mit der Verfilmung des Jugendromans „Timm Thaler" von James Krüss 1979 war Ohrner ein echter Publikumsliebling. In dieser als ZDF-Serie zu Weihnachten produzierten Sendung verkörperte er einen Jungen, dessen Kapital ein unwiderstehliches, ansteckendes Lachen ist, das ihm von einem Bösewicht abgekauft wird. Das tat er extrem überzeugend: Alle Mädchen schwärmten von ihm, und im August 1980 zierte er das Cover der „Bravo". Tommi Ohrner moderiert bis heute in unterschiedlichen Formaten von Fernsehen und Radio und spielt auch immer wieder in Serien. Das Lächeln des kleinen Margarine-Models von 1969 ist nach wie vor gewinnend! Seite
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Eine ganz andere Kategorie von früher Karriere machte die ebenfalls 1965 geborene Jungschauspielerin Brooke Shields. 1980 modelte sie für Calvin Klein. Erst 15-jährig sorgte sie in einer Jeans-Kampagne für einen Skandal: Amerikanische Sender ließen den Spot verbieten, weil ihnen der Slogan zu freizügig war. Er lautete „You want to know what comes between me and my Calvins? Nothing" und besagte schlicht, dass sie keine Unterwäsche unter der Hose trug. Da Shields bereits 1978 als Darstellerin einer jugendlichen Prostituierten in Louis Malles Film „Pretty Baby" und 1980 sehr leicht bekleidet in „Die blaue Lagune" zu sehen war, ließ sich ihre Nacktheit in der Jeanswerbung gut assoziieren. Auch sie ist immer noch im Geschäft, hat allerdings dreimal die Auszeichnung Goldene Himbeere als schlechteste Schauspielerin beziehungsweise Nebendarstellerin hinnehmen müssen. Tom Selleck dagegen, hierzulande als attraktiver Schnurrbartträger Magnum aus der gleichnamigen US-Krimiserie bekannt, die von 1980 bis 1988 lief, hat in seinen College- und Ausbildungszeiten gemodelt. Während er versuchte, als Schauspieler Karriere zu machen, was ihm nach diversen Einzelauftritten in Serien wie „Die Straßen von San Francisco", „Drei Engel für Charlie" oder „Detektiv Rockford" dann ja auch gelang, bewarb er Seife (in einem Spot noch ohne Schnurrbart), Autos, Rasierwasser und Zigaretten. Eine Reyno-Anzeige erschien 1979 auch in Deutschland.
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In den 1960er Jahren waren es vor allem Knir ps-Schir me, Martini, JacobsKaffee und Lux-Seife, für die Prominente als Werbeträger genutzt wurden. Die vertrauene rweckende Kaffeet rinkerin verkörperten in freundlicher Fraulichkeit beispielsweise Sonja Ziemann, Luise Ullrich und Marianne Koch (1964). Lux-Seife bewarben bereits seit den 1950er Jahren die bekanntesten Schauspielerinnen der Welt, unter anderem Ava Gardner, Liz Taylor, Kim Novak, Hildegard Knef, Magda Schneider oder Lilly Palmer. Heidi Brühl, Bibi Johns, Liselotte Pulver, Karin Dor und Natalie Wood gehörten in den 1960ern zu dieser internationalen Starparade, später dann auch Christine Kaufmann (1971), Romy Schneider und Claudia Cardinale (1972), Senta Berger (1979) oder Ornella Muti (1987). Nichts lenkte dabei von dem mondänen Porträt der Schönen ab. Richtig weltmännisch wirkte auch Curd Jürgens 1978, wenn er Maxwell-Kaffee anpries. In Deutschland war er damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, weil er im neuesten James-Bond-Film „007 – Der Spion, der mich liebte" Superbösewicht Stromberg gespielt hatte. i nnen Deutsche Schauspieler und Schauspieler konnten das Publikum aber noch ganz anders erreichen. Sehr „privat" wurde zum Beispiel 1973 eine WerbeAnzeige für das Reinigungsmittel Dor mit Heidi Mahler (der Tochter von Heidi Kabel aus dem Ohnsorg-Theater) gestaltet, die über die herzliche Beziehung zu ihrer Haushälterin
chend, die sie mehr als ein Jahrzehnt spielte, die Expertin für Textil-Imprägnierung und präsentierte 1988 Scotchgard: „Ich habe mich selbst davon überzeugt", sagt sie und vermittelt mit intensivem, ernstem Blick nichts als Glaubwürdigkeit. Sonnyboy Peter Kraus dagegen, der ein paar Jahre vorher ein Lied mit dem Titel "Hokus Pokus Fidibus" aufgenommen hatte und ohnehin gerne als Entertainer mit Zylinder auftrat, zeigte sich als Gesicht von Verpoorten-Eierlikör im Zaubererkostüm. Er sollte dem Image des traditionellen Likörs vermutlich damit ein bisschen mehr Verspieltheit hinzufügen oder schlicht seine in die Jahre gekommenen Teenagerfans an den Schnaps heranführen ... Die Kommissare des deutschen Fernsehens wiederum können bewerben, was sie wollen, ihnen wird alles geglaubt: Siegfried Lowitz alias „Der Alte" zeigte 1978 „seine" Sanicryl-Badewanne, Horst Tappert („Derrick") pries 1983 die Vorzüge von Malteser. Manfred Krug (zu der Zeit vor allem als Anwalt Robert Liebling in „Liebling Kreuzberg" bekannt, später dann auch als Hamburger „Tatort"-Kommissar Paul Stoever zusammen mit Charles Brauer als Peter Brockmöller) erklärte 1989 einen Hochdruckreiniger. Sie alle fungieren als vertrauenswürdige Vermittler, die mitten im Leben stehen. Allerdings gilt dies wohl nur für die männlichen Polizisten: Maria Furtwängler, die seit 2002 als „Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm überzeugt, wurde ab 2008 als blonde Schönheit für L'Oréal gebucht, obwohl sie ebenso gut autofahren, schießen oder rennen kann wie ihre Kollegen. Aber auch Götz George musste lediglich in seiner Haudegenhaften Art sexy sein. So erschien die Anzeige für Pioneer-Jeans, in der er seine Brustbehaarung präsentierte, 1989 sogar in der „Playgirl" (der femininen Variante des „Playboy").
Frau Bergunde sprach und über ihren Küchentisch meinte, er glänze nach der Pflege doch „wie verrückt". Ganz ähnlich Heidi Brühl, die 1975 erklärte, dass sie sich bei Romanheftchen entspanne: Sie wurde dafür auf einem (womöglich ihrem eigenen?) plüschigen Wohn zimmersofa abgelichtet. Authent izität zu vermitteln war das Ziel dieser Kampagnen. Die aus dem Fernsehen bekannten Gesichter sollten quasi die Nachbarinnen von nebenan spielen. Witta Pohl mimte, ganz ihrer Rolle als kompetente Hausfrau und Mutter in „Diese Drombuschs" entspreGoodTimes
Sehr selbstbewusstwurde 1979 Reklame für Fuji-Filme gemacht: t reibenden setzten Die Werbe den ernst in die Kamera blickenden Yul Brunner, markant und bekannt unter anderem aus „Der König und ich", mit ihrem preiswürdigen Filmmater ial gleich und nutzten ihn als Hingucker („Eye-Catcher"). Die Hochwertigkeit des Kinostars, in Brunners Fall der eines echten Oscar-Preisträgers, wurde 2/2019
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auf das beworbene Produkt übertragen. Die Meister werke des Möbeld esigns, die Vitra in den späten Achtzigern mit Prominenten wie Dennis Hopper besetzte, wurden ebenfalls dadurch geadelt. Bekannt geworden bereits als Darsteller in „Denn sie wissen nicht, was sie tun" und „Easy Rider", spielte Hopper Ende der 1980er Jahre in Produktionen von Wim Wenders und David Lynch, eine der Hauptrollen unter anderem in dem Kultfilm „Blue Velvet". Der Schauspieler sitzt in der Schwarzweiß-Aufnahme von 1988 nachdenklich auf dem Vitra-Drehstuhl aus Leder und Chrom und der sehr sparsame Text am unteren Bildrand, das „Kleingedruckte" also, erläutert so nur für bereits Interessierte, um wen und was es sich handelt. Wer Sexappeal für seine Produkte brauchte, nutzte aber auch oft schlicht und ganz traditionell erotische Schönheit und war froh, wenn diese überdies einen bekannten Namen hatte. Cathérine Deneuve verkörperte die hinreißende Französin an sich (für Courvoisier 1979), Nastassja Kinski bezirzte 1987 die Betrachtenden für Ungaros Senso, Liz Taylors Konterfei bewarb 1988 ihr eigenes Parfum Passion. Allen drei Bildern ist neben dem intensiven Blick geschminkter Augen und dem geheimnisvollen Lächeln gemeinsam, dass sie viel Haut zeigen. Bei Deneuve ist der
große Ausschnitt ein mehr oder minder dezenter Hinweis auf die sexuelle Freizügigkeit, die damit den Französinnen zugeschrieben werden soll, bei Kinski und Taylor ist erst gar keine Kleidung im Einsatz. Hier werden mehrere Elemente kombiniert: Der Bildausschnitt verschleiert, auch durch die jeweilige Handhaltung, ob die Fotografierte tatsächlich ganz nackt ist, lässt aber all solchen Assoziationen gerne freien Raum. Der bei Kinski sparsame, bei Taylor höchst üppige Schmuck Seite
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leitet dazu die Gedanken in Richtung Kostbarkeiten und Luxusleben, und der intensive Blick erzeugt Intimität. Die Betrachtenden kommen also ihren Stars einerseits ganz nahe, können sich andererseits in intime, erotische Situationen träumen und bekommen dazu ein Produkt angeboten, das dieses Gefühl in ihren Alltag transportiert. Sie können immerhin genauso duften wie die Leinwandschönheit! Was aber macht eine Werbefirma, die eine kleine, flache Scheckkarte bewerben soll? Das ist doch so ziemlich das Unerotischste, was der Alltag zu bieten hat! Na klar, sie holt sich Stars als Werbeträger, denen kann sie jeden Text in den Mund legen. Aber damit nicht genug: Für die richtige Aufmerksamkeit darf auch mal eine namhafte Künstlerin als Fotografin gebucht werden, wenn der Werbe-Etat es hergibt. Annie Leibovitz, die bereits als Porträtistin in der Rock- und Popszene unter anderem mit Bildern von John Lennon und Yoko Ono oder dem Badewannenfoto von WhoopiGoldberg richtig Furore gemacht hatte, war dabei genau die Richtige. Als American Express ab 1987 Leibovitz für Prominentenfotos engagierte, porträtierte diese auch Marianne Sägebrecht neben Sonia Braga, Sophia Loren und vielen anderen internationalen Größen. Sägebrecht, bayerisches Original, Geburtsjahr 1945, und autodidaktische Schauspielerin, war damals als höchst unkonventionelle Jasmin Münchgstettner mit dem deutsch-amerikanischen Indepen dent-Film „Out Of Rosenheim" bekannt geworden. Die imposante Frau mit langem Haar auf einer Muschel in Szene zu setzen, war ein Geniestreich: In gleicher Haltung wie die fragile Schönheit im Mittelpunkt von Sandro Botticellis berühmtem Gemälde „Die Geburt der Venus" (aus dem 15. Jahrhundert stammend und eine der Hauptattraktionen der Uffizien in Florenz) beherrscht Sägebrecht das Bild. Sie steht leichtfüßig auf der Muschel im Vordergrund eines alpinen Sees. Durch die Kulisse und die Farbgebung ruft sie neben der Venus-Assoziation ebenfalls Erinnerungen an den Märchenkönig Ludwig wach. Neben so viel Theatralik wirkt der Slogan von American Express – „Bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen" – fast bescheiden. Die 1950 geborene Iris Berben dagegen erscheint in der etwa zeitgleich produzierten Serie der Modefirma Lucia geradezu unauffällig. Regelmäßig präsent in den deutschen Fernsehproduktionen (1987 bis 1990 beim ZDF zum Beispiel als Grafentochter Evelyn in „Das Erbe der Guldenburgs" oder in der Comedy-Show „Sketchup"
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Goldene-Kamera- und Bambi-Preisträgerin prostete beispielsweise 1992 wie viele ihrer Kollegen mit Malteser in die Kamera, präsentiert ihre Lachfältchen für L'Oréal mit dem Slogan „Das perfekte Alter ist jetzt!" und pries 2002 das Arosa-Kreuzfahrtschiff an. Sie spendet einen großen Teil ihrer Honorare, setzt sich damit für Frauenrechte, die Aids-Hilfe, Unicef und vor allem gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ein und ist schon vielfach für ihr politisches und soziales Engagement ausgezeichnet worden. So versteht sie „Gesicht zeigen"!
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Literatur: „kauf mich! Prominente als Message und Markenartikel", Hrsg. von Volker Albus und Michael Kriegeskorte, DuMont Verlag, Köln 1999.
Abb.: Archiv der Autorin www.kabinettstueckchen.de; © Titelfoto: Presse
mit Dieter Krebs) war sie bis zu ihrer erfolgreichen Darstellung der Kommissarin Rosa Roth nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt. Parallel zu einer Anzeige mit Uschi Glas wurde sie für das Label in ein aus heutiger Sicht typisches Ensemble von 1988 gekleidet und sollte so zwanglos wie möglich vermitteln, dass eine schöne Frau wie sie selbstverständlich Lucia-Bekleidung trug. Berben hat auch für „Playboy" und „Penthouse" gemodelt und seither sehr viel Unterschiedliches Die mehrfache beworben.
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50 ZDF HITPARADE
Fotos: © ZDF / Barbara Oloffs
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Von Philipp Roser
HOCHAMT DES SCHLAGERS och heute kann man sich die erste Ausgabe der Sendung auf DVD/Blu-ray zu Gemüte führen – die Ausgaben 2 bis 25 hingegen sind bis auf Zuschauermitschnitte und eine privat erstellte Radioversion (Internetradio Memory) auf ewig verloren, da sie der Sender aus Platzmangel im Archiv löschte: Die damaligen Zwei-Zoll-Bänder nahmen zu viel Platz in Anspruch. Binnen kürzester Zeit entwickelte sich die Sendung zum Mittelpunkt der deutschen Schlagerszene und genoss dort über drei Jahrzehnte Kult-Charakter. „Samstagabend, 19.30 Uhr: Hier ist Berlin, hier ist Ihre deutsche Hitparade!"
Foto:© Bildarchiv Hallhuber/Zill
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Am 18. Januar 1969 um 18.50 (!) Uhr war es soweit: Das verbale Maschinengewehr namens Dieter Thomas Heck begrüßte erstmals zur ZDF-Hitparade". Die hatte er gemeinsam mit Regisseur " Truck Branss und Produzent Eberhard Klein entwickelt, um dem schwächelnden, weil in den bewegten Spätsechzigern als altmodisch und verzopft geltenden Schlager zu neuer Geltung zu verhelfen. Und der beharrliche Heck hatte sich auch nicht davon entmutigen lassen, dass der zunächst sehr interessierte Saarländische Rundfunk sein Konzept abgelehnt hatte – dafür schlug in der nächsten Runde seiner Klinkenputztour das ZDF zu.
Nicht nur auf dem Foto: Stars und Moderator waren in der Hitparade wie eine große Familie. Seite
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Diese Begrüßungsformel verwendete Heck ab 1973, nachdem das ZDF seine Programmstruktur reformiert und die „Heute"-Nachrichten auf dem festen Sendeplatz um 19 Uhr installiert hatte. Schließlich wurde die Hitparade – bis auf wenige Ausnahmen – in den Berliner Union Film Ateliers (Bufa) in Berlin-Tempelhof produziert. Bis zu 27 Millionen Zuschauer saßen einmal im Monat vor den Bildschirmen, um ihre Lieblinge aus der Ferne zu beobachten, die meist live zu Halbplayback sangen. Anna-Lena, Roy Black, Graham Bonney, Jacqueline Boyer, Rex Gildo, Karel Gott, Bata Ilic, Renate Kern, Lisbeth List, Siw Malmkvist, Manuela,
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Lena Valaitis
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fragte Heck in RTL-Mikros. Peter Orloff, Erik Silvester und Altmeister Gerhard Wendland waren „Er hatte gehofft, dass man in der ersten Ausgabe zu sehen und hören, also durchaus weitgehend ihn zurückholt, wenn Victor die Crème de la Crème der damaligen deutschen Schlagerwelt. Zudem Worms keinen Erfolg hat, hatte kein Geringerer als James Last die schmissige und bis 1984 ausund er wieder alles purgestrahlte Titelmelodie der Sendung komponiert. deutsch und mit Livegesang Zahllose Karrieren wurden durch Heck und seine Show angeschoben machen kann", sagte Hübner und befördert, von Marianne Rosenberg, Christian Anders, Michael im kult! -Interview (Ausgabe Holm, Jürgen Marcus, Howard Carpendale oder Roland Kaiser, der sich tatsächlich zu so etwas wie dem „Kaiser der ZDF-Hitparade" 10). entwickelte: Seine 67 Auftritte in der Sendung übertraf kein anderer Doch nicht nur bei den Interpret. Ende der 70er Jahre wurde das Schlager-Spektrum jedoch Moderatoren gab es erweitert – auch Vertreter der Neuen Deutschen Welle konnten sich Veränderungen, auch die der Werbewirksamkeit der TV-Show nicht entziehen, von Trio, Nena Titelmelodie wurde dem ver- Michael Holm bis Hubert Kah oder Frl. Menke (und sogar Haindling) schafften es meintlichen Zeitgeschmack angepasst: 1985/86 ertönte "Connecting auf die vorderen Ränge und steigerten ihre Tonträgerverkaufszahlen. Flight" von Roland Romanelli, ab 1987 die Instrumentalversion von Und wer absagte, bekam von Heck noch eine Dieter Thomas Heck und Roy Black Europes "Final Countdown", und Ende 1988 sollte Breitseite verpasst: wie 1982 Extrabreit, als die Dieter Bohlen (vergebens) retten, was nicht mehr Hagener mit „Hurra, die Schule brennt" abgesagt zu retten war. Die Zuschauerquote sank und sank, hatten, weil sie negative Reaktionen ihrer Fans die Hitparade verlor immer mehr an Relevanz. fürchteten und zudem im Aufnahmestudio waren. Woran auch eine Autoverlosung nichts ändern Andersherum nutzten Trio die Livebedingungen, konnte, wechselnde Sendeplätze (ab 1978 monum Anspielungen auf den Präsentator in ihre tags, ab 1985 mittwochs) waren nicht unbedingt Performance einzubauen ... förderlich, so dass nach 368 Folgen nach der In den 70er Jahren erlebte die Show ihre Blütezeit, Ausgabe vom 16. Dezember 2000 (um 17.55 Uhr!) zu Beginn des Jahrzehnts tourte Heck sogar mit endgültig der Vorhang für die „ZDF-Hitparade" wechselnden Sangesakteuren durch die Lande. fiel. Mit dabei beim Showdown: G.G. Anderson, Auch diverse Regeländerungen hatten zu der Zeit Nicole (auch im Duett mit Roland Kaiser als keine (negativen) Auswirkungen: Zwischen fünf Finale), Michelle, Nino de Angelo, Hoi!, Rosanna und acht neue Titel wurden präsentiert, anschlieRocci & Michael Morgan und Olaf Henning. ßend fünf, später drei und schließlich ein Lied aus der vorangegangeUnd doch muss das Jubiläum beziehungsweise der 50. „Geburtstag" nen Sendung angestimmt, für das die meisten Leserzuschriften einnatürlich gefeiert werden (wenn auch mit Verspätung). Schließlich saßen gegangen waren. Und heute mit Sicherheit auch viele derer, die öffentlich und im Freundeskreis die Dieter Thomas Heck mit Regisseur Truck Branss im digitalen Zeitalter ist kaum Nase über die „Schlager-Heinis" rümpften, heimlich auf dem elterlimehr vorstellbar, wie schreibchen Sofa, wenn Dieter Thomas Heck in Berlin sein Studiopublikum fleißig die Deutschen damals und das draußen vor den Glotzen willkommen hieß. waren. Nicht nur ans ZDF Allerdings kommt die große Jubiläumsshow (27. April 2019) zum runwurden zahllose Postkarten den Fest des TV-Klassikers nicht aus der Bundeshauptstadt, sondern abgesandt, auch die Künstler wurde am 12. April in Offenburg aufgezeichnet. Moderieren wird erhielten säckeweise Post: dabei einer, der mit Schlager eigentlich wenig im Sinne hat, aber als Wurde bei ihrem Auftritt Allrounder beste Unterhaltung (und eine ansprechende Einschaltquote) doch eine Postanschrift für verspricht: Thomas Gottschalk. Laut Ankündigung wird er dann auf Autogrammwünsche eingeder Bühne zahlreiche Hitparaden-Lieblinge und -Weggefährten begrüblendet. Meist waren dies die ßen: Mit Howard Carpendale, Matthias Reim, Marianne Rosenberg, Plattenfirma oder ein Fanclub David Hasselhoff, Danyel Gérard, Heino, Nicole, Bernhard Brink, – aber gelegentlich auch tatsächlich eine Privatadresse, wie im Falle Michael Holm, Wencke Myhre, Bonnie Tyler, Purple Schulz, Mike von Michael Holm. Säckeweise brachte dann der Postbote die Krüger und Markus will er in Erinnerungen schwelgen, sie werden schriftlichen Wünsche, wie Holm kult! im vergangenen Jahr die beliebtesten Hits anstimmen, in Einspielfilmen zurückbli cken, über Mode-Torheiten und Pannen schmunzeln. Auch erzählte (Ausgabe 19). an die Sonderausgaben („Hitparade-Spitzenreiter", „Die Anfangs konnten die Zuschauer einfach per Postkarte Superhitparade", die „Hits des Jahres") wird erinnert. votieren. Doch als Manipulationen ruchbar wurden – Uwe Und eine Hommage an Moderatorenlegende Dieter laut Wikipedia gingen für Peter Orloffs Titel "Baby Hübner Thomas Heck soll es geben. Bleibt abzuwarten, ob die Dadamda" 11.037 Karten mit derselben Handschrift Schlagzeile, mit der die „Bild" 1969 vom Hitparadenund demselben Poststempel ein –, mussten beim Debüt berichtete, ebenfalls erwähnt ZDF eigens Stimmkarten angefordert werden, um wird: „Der Showmaster schrie, die mitmachen zu können. Ab 1982 schließlich Sänger flüsterten" titelte seinerzeit wurde über den Stimmautomaten TED das meinungsstarke Boulevardblatt, um gewählt. dann über „Tonkäse" zu sinnieren. Viktor Doch der Unterhaltungs- und Platten Viktor Worms und Uwe Hübner werden zu Wort komverkaufs-Dampfer „ZDF-Hitparade" verWorms men, desgleichen Regisseur Pit Weyrich und lor zusehends an Dampf. Der Sender Comedian Atze Schröder. Ausgestrahlt wird drehte an allerlei Stellrädchen, in der die Show dann am 27. April als „50 Jahre Regel ohne großen Erfolg. Dann muss ZDF-Hitparade". te Heck die Sendung abgeben, konnte Übrigens: Verschlafen hat das ZDF den seine stakkato-mäßige Abspannansage nicht eigentlichen „Geburtstag" nicht völlig, jubelmehr heraushämmern. Ab Januar 1985 modete jedoch nur verhalten. Allerdings lief die rierte Viktor Worms, der 1987 auch englischsprachige Titel zuließ, Wiederholung der beiden ZDF-Kult-Nächte ehe er wiederum 1990 an Uwe Hübner übergab, der wieder stärker „Das Beste aus der ‚Hitparade’ – Höhepunkte, in Richtung deutschsprachigen Schlagers unterwegs war. Und auch Hits & Heck" aus den Jahren 2004 und 2005 nur die Tatsache, dass sich die Moderatoren verbal und medial beharkten, im Spartenkanal ZDFneo. war der Sendung nicht unbedingt zuträglich. „Hübner – wer ist das?",
STATEMENTS Wir haben, glaube ich, nur eine Fernsehsendung gehabt mit "Skandal im Sperrbezirk", nachdem es wochenlang Nummer 1 war, aber nicht in der „ZDF-Hitparade" – da waren wir erst mit "Schickeria", "Wo bist Du" – da haben wir immer die vorderen Plätze belegt. Günther Sigl (Spider Murphy Gang), 30.8.1990 Ich habe in einer der ersten „Hitparaden" im April 1969 mitgemacht mit dem " Wassermann", der deutschen „Hair"Version von "Aquarius", ein Dreivierteljahr nachdem ich aus der DDR gekommen war. Ich bin aber nicht weitergekommen, denn das war zu strange. Das war ja reine Schlagermucke dort, und ich habe da meine Slow-Motion-„Hair"-Bewegungen gemacht wie auf der Bühne in München und hieß dann „der Turner von der Hitparade". Aber das war ganz spannend, da waren Ricky Shayne mit "Ich sprenge alle Ketten" und Peter Maffay mit "Du". Ricky Shayne konnte seinen Text nicht, fiel bei der Generalprobe um und wurde ohnmächtig, der Krankenwagen kam. Die Fotografen stürzten sich auf ihn, und ich fand das pietätlos! Da sagte einer: „Das ist alles getürkt, der ist umgefallen, weil er seinen Text nicht konnte." Das war eine Riesenshow, er kam ins Krankenhaus und ist hinten wieder raus (lacht). „Hitparade" habe ich natürlich auch immer geguckt, das war eine wunderbare Lästersendung: Man saß davor und hat dann gelästert. Reiner Schöne, 27.4.2013
„Disco" war immer live zu singen – wer verschnupft war, musste entweder aussetzen oder sich blamieren. Bei der „Hitparade" war das ähnlich. Sprich, wenn einer krank war, konnte er das nicht irgendwie durchziehen, sondern dann musste er halt ein andermal kommen oder ganz auf den Start bei der „Hitparade" verzichten ... Wir können uns die Medien ja nicht neu backen. Die haben zu viel Power. Früher gab es drei Fernsehprogramme, da hatte man mit der „Hitparade" 60, 70 Prozent der relevanten Bevölkerung am Abend da sitzen. Man wusste ziemlich schnell, wie es mit dem Titel, den man gerade angeboten hatte, weitergeht. Die Erreichbarkeit durch die „ZDF-Hitparade" war etwas ganz Neues. Da fand man auf einmal die Adressen von Leuten eingeblendet, die davor nur als Geheimtipp kursierten. Da saßen die Leute mit dem Bleistift vor dem Fernseher und haben mitgeschrieben. Michael Holm, 17.6.2018 Wir wollten nichts auslassen, auch Sachen, die gar nicht so richtig zu einem passen – zum Beispiel die „Hitparade", viele Fernsehsendungen. Mit Fernsehen ist es auch eine schwierige Sache, denn wir sind einfach eine Liveband, und man merkt uns Playbacks an. Katharina Franck (Rainbirds), 21.3.1989
Ich bin schon aufgeregt vor diesem Riesenauftritt heute Abend (lacht). Wenn ich behaupten würde, die ZDF-Hitparade sei unsere Lieblingssendung, würde ich ein wenig schwindeln. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass wir durchaus auch vom Plattenverkauf leben, und der wird durch die Sendung gefördert. Thomas Spitzer (Erste Allgemeine Verunsicherung), 5.9.1990 Ich war zweimal bei Dieter Thomas Hecks „Hitparaden-Tournee" dabei. Damals hatten wir (im Kollegenkreis) mehr miteinander zu tun als heute. Heute ist man sehr sachlich, man geht in die Fernsehshow, und dann geht man wieder nach Hause. Man sagt „guten Tag", „guten Weg". Bei den Tourneen war der Dieter (Thomas Heck) so ein bisschen der „Elder Statesman" von allen, hat sich um den Zusammenhalt bemüht. Das war teilweise sehr lustig und unterhaltsam. Das muss man sich so vorstellen, als wenn acht Kinder verreisen würden, speziell Bert von Cindy & Bert hatte immer irgendwelche lustigen Ideen, Kollegen auf die Schippe zu nehmen – war eine lustige Zeit. Roland Kaiser, 6.2.2016
Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich die „ZDF-Hitparade" liebend gerne gesehen habe und nach der Sendung mit der Zahnbürste im Kinderzimmer verschwunden bin – ich habe aber nicht gesungen, sondern moderiert. Ich habe dem ZDF immer gesagt: Ihr müsst wieder pur-deutsch werden, ihr müsst live werden, ihr müsst Leistung zeigen, weil die Menschen draußen eine Sendung erleben, in der man sehen kann, wer wirklich singen kann. Erst hat sich das ZDF ein bisschen quergestellt, aber ich habe mich dann doch durchsetzen dürfen. Das hat auch alles mehr Geld gekostet, es musste ein Probentag entwickelt werden. Ich hatte Dieter Bohlen in meiner ersten Sendung, und Dieter war gar nicht begeistert, dass wir es dann später umgestellt haben. Er hatte Angst um seine ihm damals wichtigste Plattform, dass er nicht mehr stattfindet. Er musste ja auch live singen, er musste sich auch mal anstrengen (lacht). Uwe Hübner, 3.4.2014 Mit "Arizona" waren wir zweimal in der „ZDFHitparade" in Berlin, mit dem Nachfolgetitel "Squaredance Darling" einmal, und so was hat natürlich eine gewisse Wirkung bei den Verkaufszahlen. Lucius Reichling (Truck Stop), Dezember 1991
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Mein Vater hatte gehofft, dass ich irgendwann seine Zahnarztpraxis übernehme, ich habe auch Zahnmedizin studiert. Inzwischen waren wir mit Truck Stop aber schon auf EuropaTour mit Fats Domino und Gilbert O’Sullivan, haben in London in der Royal Albert Hall und im Olympia, Paris, gespielt – da wollte ich nicht als Zahnklempner nach Lüchow-Dannenberg zurück. Vater war ein bisschen enttäuscht, aber als wir dann in der „ZDF-Hitparade" waren, hatte er in der Praxis Autogrammkarten liegen. Wolfgang „Teddy" Ibing (Truck Stop), 3.10.2018 2/2019
STATISTIK
produced by Michael Voss
Folgen:
Die erste Folge wurde am 18. Januar 1969 um 18.50 Uhr gesendet, die letzte am 16. Dezember 2000 um 17.55 Uhr. Insgesamt gab es 368 Folgen, die allmonatlich ausgestrahlt wurden. Zu Beginn wurden 14 Kandidaten präsentiert, aus denen die Zuschauer fünf auswählten, die beim nächsten Mal wieder auftreten durften. Sieger der ersten Sendung war Roy Black mit "Ich denk an dich". Am 20. März 1971 waren es dann nur noch acht Neuvorstellungen.
3 Moderatoren: Dieter Thomas Heck (1969–1984), Viktor Worms (1985–1989), Uwe Hübner (1990–2000)
HOLGGY BEGG AND THE PEARLS
3 Regisseure: Truck Branss, Pit Weyrich, Thomas Rogge. Sowohl Pit Weyrich als auch Thomas Rogge arbeiteten zunächst als Kameramann bei der „ZDF-Hitparade". Bei einzelnen Folgen in den 1980er Jahren führte auch Ewald Burike Regie.
3 Bühnenbildner:
Joachim Dzierzenga, Henrik Brandt, Peter
Nowack
Produktionsort:
Berliner Union Film Ateliers (Bufa) in BerlinTempelhof. Einige wenige Folgen wurden außerhalb der Bufa produziert: 1971 eine Folge anlässlich der 1. Internationalen Funkausstellung in Berlin aus der Messehalle 1; „Sommer-Hitparaden" aus Timmendorf und aus Mallorca (beide 1986), von der Bundesgartenschau in Düsseldorf und vom Wannsee in Berlin (beide 1987) sowie aus Binz/Insel Rügen (1996); das „Musical-Special" im Starlight Express-Theater in Bochum (1998).
Spezialfolgen: Neben den regulären Folgen gab es unter anderem folgende Sonderausgaben: eine „Kinder-Hitparade" (1984); eine „Stimmungs-Hitparade" (1997), vier „Weihnachts-Specials" (1995, 1997, 1998 und 1999), ein „Comedy-Special" (1998) und ein „Musical-Special" (1998).
bum l a o i d 9 u new stn 26 | 04 | 1 o EP oHoulgtgy Begg and the Pearls
Rekorde: Mit 67 Auftritten ist Roland Kaiser der Künstler, der am häufigsten an der „ZDF-Hitparade" teilgenommen hat. Mit 17 Nummer-1-Platzierungen hat Nicole am häufigsten gewonnen. Wolfgang Petry gelang es als einzigem Hitparaden-Künstler, dreimal hintereinander die „Hits des Jahres" zu gewinnen (1996, 1997 und 1998). Auszeichnungen: 1970 wählten die Leser der „Hörzu" die „ZDFHitparade" zur „besten Sendung für junge Leute". Eine spezielle „Team-Version" der Goldenen Kamera wurde am 13.1.1971 verliehen an Moderator Dieter Thomas Heck, Regisseur Truck Branss und Redakteur Dieter Weber. 1972 erhielt die „ZDF-Hitparade" von der Zeitschrift „Record World" den Achievement Award als beliebteste Liveshow Europas. 1973 wurde die „ZDF-Hitparade" mit der Goldenen Europa ausgezeichnet. Die gelöschten Folgen 2–25:
Aus Platzmangel im Archiv wurden die Folgen 2–25 gelöscht, da die alten 2-Zoll-Bänder sehr viel Platz in Anspruch nahmen und zudem durch die Wiederverwendung des 2-Zoll-Videomaterials Kosten eingespart wurden. Es gibt keine Kopien.
Interpreten: Mary Roos und Vicky Leandros waren in allen fünf Hitparaden-Jahrzehnten dabei. Sendeplatz:1969 bis 1977: Samstagabend. Zwischen 1978 und 1984: Montagabend. Ab 1985: Mittwochabend. Sprache:
Von 1969 bis 1985 galt die strenge Regel, dass live und deutsch gesungen werden musste. Dies änderte sich mit der Übernahme durch Viktor Worms. Kriterium für die Teilnahme war ein „Bezug zu Deutschland".
Das Ende: Viktor Worms wurde im Dezember 1998 Unterhaltungschef des ZDF und versetzte „seiner" Sendung Ende 2000 den Todesstoß.
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Michel aus Lönneberga
Von Markus Nöth
Er ist einer der Stars, die man einfach nicht vergisst. Bei Michel aus Lönneberga handelt es sich um den wohl bekanntesten Lausbub der Kinderliteratur. Der sympathische Blondschopf aus Schweden, der im Original übrigens Emil heißt, zeigte in den70er Jahren, was alles an Jungenstreichen so möglich war. Die Kreativität seiner "Taten" sind bis heute Kult!
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enau genommen wurde Michel aus der Not heraus geboren. Denn seine bekannte Schöpferin, die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren (1907–2002), hatte Anfang der 1960er Jahre wieder einmal genug von den Quengeleien ihres Enkelkindes und erfand zur Ablenkung für ihn die heutige KultFigur Michel aus Lönneberga. Der schelmische Blondschopf, der irgendwie immer so aussah, als hätte er sich schon bereits den nächsten Streich ausgedacht, hat insbesondere auch im Rahmen der Verfilmung der Bücher als Serie eine ganze Generation beim Aufwachsen begleitet. Die Jungs fanden ihn cool, und die Mädchen schwärmten (natürlich heimlich!) für ihn. Michels Streiche schafften bis heute eine Gesamtauflage von über 30 Millionen Büchern weltweit und wurden in 52 Sprachen übersetzt. Besonders groß war dabei schon immer seine deutsche Fangemeinde. Doch bevor seine Karriere hierzulande überhaupt starten konnte, musste 1963 erst einmal sein Ursprungsname „Emil" auf „Michel" umgetauft werden. Seite
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Man wollte Verwechslungen mit Erich Kästners „Emil und die Detektive" beziehungsweise „Emil und die drei Zwillinge" vermeiden. Michel Svensson, so sein vollständiger Name, lebte in den Romanen Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit seinen Eltern Alma und Anton, Schwester Klein-Ida, Knecht Alfred und der Magd Lina auf dem Katthult-Hof in einem beschaulichen Dörfchen namens Lönneberga. Von hier aus plante und organisierte der Fünfährige seine Unfugs-Taten und erwarb sich so schnell einen Ruf als ungezogener Junge. Und da Michel grundsätzlich immer, wenn er etwas angestellt hatte, in Papas Tischlerschuppen eingesperrt wurde, entstanden im Laufe der Zeit sagenhafte 369 selbst geschnitzte Holzmännchen von ihm. Es lässt sich dabei leicht ausrechnen, wie oft alleine dieser Schuppen später, im Rahmen der Verfilmungen, im TV zu sehen war. Man kannte ihn mit der Zeit quasi in- und auswendig.
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Und dabei waren viele seiner vermeintlichen Miss geschicke alles andere als böse gemeint. Sie wurden fälschlicherweise als hinterlistige Streiche ausgelegt. Gerade weil die Folgen mit einigen Unannehmlichkeiten für seine Familie und nicht selten auch für die ganze Dor fgemeinschaf t verbunden waren. So fällt Michel schon mal von seinen Stelzen direkt durch ein Fenster in eine Suppenschüssel oder stellt Mäuse fallen auf, in die dann zufällig und natürlich unbeabsichtigt sein Vater tritt. Und wer erinnert sich nicht an die Geburtstagsfeier, wo man unzählige Lampions und Feuerwerkskörper angebracht hatte und Michel nur einen einzigen anzünden wollte ... Doch plötzlich fliegen alle in die Luft, und man könnte meinen, das Weltende von Lönneberga naht. Unvergessen aber auch die Geschichte, wo Michel an den letzten Tropfen Suppe herankommen will und dabei mit seinem Kopf steckenbleibt. Seine Familie hat die Wahl: entweder die vier Kronen teure Schüssel zerstören oder für zwei Kronen den nächsten Dorfarzt aufsuchen. Die Svenssons sind eine arme Familie, und so fällt die Wahl auf die günstigere Alternative. Doch als sich Michel zur Begrüßung beim Doktor höflich verneigt, geht die Schüssel automatisch zu Bruch. Zu allem Überfluss verschluckt Michel dann auf dem Rückweg auch noch eine Münze, und die Familie kann sich erneut auf den Weg zum teuren Doktor machen. Doch Michel ist stets ein „guter Junge" – immer hilfsbereit und gutherzig. So versucht er, der Magd Lina auf vielfache Weise einen faulen Zahn zu ziehen, oder er lädt die Menschen aus dem Armenhaus an Weihnachten alle zu einem Festessen nach Hause ein. Besondere Anerkennung bekommt Michel aber auch, als er den schwerkranken Alfred bei Nacht und Nebel (und Schneesturm) im Alleingang mit dem Pferdeschlitten zum weiter entfernten Doktor bringt und ihn damit vor dem schlimmen Ausgang einer Blutvergiftung bewahrt. GoodTimes
Aber Michels Hilfs bereit schaft zahlt sich nicht immer aus. Denn irgendwann sammeln die Dorfbewohner für Michels Eltern Geld. Sie wollen dadurch doch tatsächlich erreichen, ihn nach Amerika zu schicken, weil er in ihren Augen zu viel Unfug anstellt. Doch Magd Lina argumentiert gegen ein solches Abschieben in die USA. Sie habe schließlich von einem großen Erdbeben drüben in Amerika gelesen, und beides zusammen – also Michel und die Naturkatastrophe – sei den Amerikanern auf keinen Fall zuzumuten. Astrid Lindgren wählte für die Darstellung der Michel-Geschichten übrigens die Perspektive einer sogenannten auktorialen Erzählerin. Die darin vorkommende Verdoppelung der Perspektive verschaffte ihr damit die Möglichkeit, zwischen einem Nacherzählen der Aufzeichnungen der Mutter und den Kommentaren der Erzählerin zu wechseln. Lindgren variierte auch bei den Charakteren der einzelnen Darsteller. Während die Handlungen der Magd Lina und des Vaters so ziemlich vorhersehbar und stereotyp geschildert wurden, war ihr besonders bei Michel als Hauptperson an einer individuellen und stets unberechenbaren Darstellung gelegen. Lindgren gab einmal in einem Interview an, in Michel die besondere Stimmung und Atmosphäre ihrer eigenen glücklichen Kindheit in der südschwedischen Provinz Kalmar län wiedergegeben zu haben. Doch was wurde eigentlich aus den Schauspielern, die bei vielen in ihrer Kindheit einen bleibenden Eindruck hinterließen? Michels Mutter Alma (Emy Storm) starb 2014 im Alter von 89 Jahren. Sie blieb der Schauspielerei immer treu und wurde darüber hinaus auch durch zahlreiche schwedische TV-Filme bekannt. Michels Vater Anton, der bekannte Theater- und Filmschauspieler Allan Edwall, starb bereits 1997 im Alter von 72 Jahren. Edwall spielte auch in weiteren Lindgren-Verfilmungen mit, die wohl bekannteste davon war „Die Brüder Löwenherz". Seine Liebe galt aber stets dem Theater – seinem Theater! Ab 1986 besaß er in Stockholm sein eigenes Haus, dort spielte er auf der Bühne und war zugleich auch der Ticketverkäufer und -abreißer in einer Person. Lena Wisborg, Michels kleine Schwester Ida, gab die Schauspielerei dagegen noch als Kinderstar auf. Sie lebt und arbeitet heute als Designerin in der Nähe von Göteborg. Kontakt zu ihrem Film-Bruder hat Lena mittlerweile keinen mehr. Björn Gustafson alias Knecht Alfred ist in Schweden nach wie vor ein gefeierter Star. Man kennt ihn als Dynamit-Harry (1981 bis 2000) aus der „Jönsson-Bande" oder auch als Psychiater Wallenius aus der TV-Soap „Andra Avenyn". Maud Hansson, die etwas tollpatschige Magd Lina, die stets „ihren" Alfred anhimmelte, war bereits in den 1950er Jahren als Charakterdarstellerin in „Das siebente Siegel" von Ingmar Bergman aktiv. Bis in die späten 1980er Jahre stand sie vor der Kamera, danach zog sie sich zurück. Genau wie Michel-Darsteller Jan Ohlsson, er lebt heute völlig zurückgezogen in Schweden. Ohlsson schaffte es letztlich nicht, sich von seiner Rolle als Michel zu lösen, daher hielt er es wohl für besser, seine Karriere zu beenden. Heute arbeitet der mittlerweile 56-jährige Vater zweier Kinder als Systemtechniker und lehnt jeden Kontakt mit der Presse ab. Schade eigentlich, aber bewahren wir ihn doch einfach so in unseren Erinnerungen, wie wir ihn kennen und verehren – als dieser Michel, der „die Welt in Ordnung bringt". 2/2019
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Von Marco Frömter
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Der australische Streifen BMX Bandits" brachte BMX "erstmals weltweit auf die Kinoleinwände.
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MX steht bekanntlich als Kürzel für „Bycicle Moto Cross". Diese Die ersten Rennen wurden auf kleinen Bahnen veranstaltet. Alles ohne Fahrräder wurden, wie es die Bezeichnung bereits aussagt, großen Wirbel und Kommerz. Meist wurden solche „Tracks" irgendwo für holpriges Gelände konstruiert. Anfänglich waren diese nur in Windeseile in der Pampa mit Schaufel und Spaten gebaut, um kleidafür bekannt, über kleine Hügel zu springen und lange R.L. Osborn war einer ne Meisterschaften ausrichten zu können. Bremsspuren zu ziehen. Doch mit der Zeit gewannen der absoluten SuperSchnell bekam die Fahrradindustrie allerdie kleinen Räder immer mehr die Herzen der Kinder stars im BMX-Sport. dings mit, was da vor sich ging. und Jugendlichen in Amerika. Leicht zu warten und nahezu unzerstörbar, haben sich die BMX-Fahrräder auf Die Nachfrage nach BMX-Rädern wurde dem Markt bewährt und sind ein fester Bestandteil im immer größer, und es schossen neue Radsport geworden. Firmen wie Pilze aus dem Boden. Namhafte Hersteller wie Redline, Kuwahara, GT, Die Geschichte des BMX-Rades lässt sich bis auf die Hutch, Schwinn und SE Racing überErfindung der legendären „Bonanza-Räder" zurückfühschwemmten den Markt mit Fahrrädern ren. Dokumentationen über BMX-Rennen lassen sich und Zubehör. sogar bis in das Jahr 1969 zurückverfolgen. Diese 20-Zoll-Räder hatten anfangs jedoch wirklich nicht viel Die sehr guten Fahrer durften auch in mit den heute erhältlichen BMX-Rädern gemeinsam. deren Factory Teams fahren. Teamfahrer bekamen ihre Ausrüstung direkt von den Eigentlich begann dieses Szene im Radsport eher unspekHerstellern – und zwar kostenlos. Die takulär: Das Geschehen spielte sich in den 70er Jahren Zeiten, in denen man in seiner alten Levi’smehr in den Hinterhöfen ab. Es wurden Hügel gebudJeans und einem betagten Sweatshirt über delt und Sprungrampen gezimmert. Die Helden der Hügel donnerte, waren vorüber. Von nun Nachbarschaft waren die „Wheelie Kings", die es schafften, immer weiter an steckten die Fahrer in ihren professionellen Jerseys und Race auf dem Hinterrad zu fahren. Langsam gesellten sich noch Tricks wie die Pants, die den Aufdruck ihres Sponsors trugen. BMX-Rennen wurden „Bunny Hops" hinzu. Und so entstand langsam ein reges Interesse an gut besucht und im amerikanischen Fernsehen fester Bestandteil des diesen kleinen Rädern – und das auch bei uns in Deutschland. Programms. Seite
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Auf den „Race Tracks" fanden die Fahrer immer neue Tricks heraus, die sich mit dem Multitalent BMX ausüben ließen. Die Jumps wurden immer weiter und höher, die Bahnen boten aber kaum noch Möglichkeiten, Tricks umzusetzen. So sollte es nicht lange dauern, bis sich BMX-Legende Bob Haro in einen Skatepark begab und die Pools und Pipelines der Skater „missbrauchte". Der Sport teilte sich von nun an in zwei Kategorien auf: Es gab Racer und Freestyler. Die Freestyle-Szene war im Süden Kaliforniens ansässig. San Diego und Los Angeles waren die Hochburgen der Freestyler, und alsbald sollte dieses Fieber die ganze Welt überschwemmen.
auch die Masse an aktiven Fahrern wurde bis heute nicht mehr übertroffen. Auch die Medien pushten damals BMX. Es wurden Kinofilme gedreht wie „RAD" oder „BMX Bandits" mit Nicole Kidman in ihrer ersten Rolle. Aber wie das Leben so spielt, gehen alle guten Zeiten einmal zu Ende. Viele Fahrer hatten ihre Jugend damit verbracht, BMX zu fahren, und standen nun davor, ins Berufsleben überzugehen oder hatten einfach keine Lust mehr darauf, sich die Knochen auf zwei Rädern zu brechen. Gerade zu dieser Zeit zogen sich auch viele Firmen komplett aus der Szene zurück oder verkleinerten ihr Programm auf ein Mindestmaß.
Selbst die Deutsche Freestyle Zu dieser Zeit war hierzulande noch wenig darüber zu vernehmen. Organisation (DFO) wurde 1996 außer Ab und zu fuhren die Kinder der in Deutschland stationierten GIs mit BMX-Rädern durch die Stadt – doch bald sollte das Fieber auch bei uns ausbrechen. Ende der 70er Jahre konnten nun endlich auch 20-ZollFahrräder bei unseren Fahrradhändlern ausprobiert werden. Und spätestens nach einem Kinobesuch von „E.T. – Der Außerirdische" war Mit einem Ski-Helm würde heute keiner es um die Fans geschemehr fahren. In den Achtzigern war das o.k. hen. Die BMX-Szene Dienst gestellt. Nur einige wenige hielmit E.T. auf der Flucht vor Regierungsbeamten schrieb Geschichte. ten den Sport noch am Leben. Neuigkeiten über den BMX-Sport waren bei uns eher rar. In einer Über die Jahre hinweg wurden die BMX-Bikes immer mehr verbessert, Zeit ohne Kabelfernsehen oder Videos war nur äußerst selten etwas um schließlich den Standard und die Qualität zu erlangen, die man im Fernsehen zu sehen. Ab und zu hatte man das Glück, beim heute gewohnt ist. Es war ein langer Weg bis zum BMX der „Neuzeit". Durchzappen unserer drei Fernsehkanäle Auf die letzten vier Jahrzehnte zurückblickend, hat sich in diesem etwas Brauchbares zu finden. Im „Aktuellen Sport viel getan und verändert. Sportstudio" des ZDF konnte schon einmal der eine oder andere Bericht dabei sein. Besonders die ersten Fahrer der 80er Jahre sind auch heute noch aktiv und fahren immer Seine Idole kannte man aus den amerikanoch, zum Teil aufwendig und teuer restaunischen BMX-Magazinen, die irgendwann riert, ihre BMX-Fahrräder bei sogenannten veraltet am Bahnhofskiosk erhältlich waren. Oldschool-Events. Immer mehr BMX’er schlieDaraus wurden auch sämtliche Tricks abgeßen sich diesem Kult an. Es werden alte schaut. Videos gab es überhaupt nicht; die Fahrräder aus längst vergangenen Zeiten kamen erst viel später nach Deutschland. nachgebaut oder alte verrostete Bikes vom Meist waren dies dann Tour-Videos vom Speicher wieder fahrtauglich gemacht. GT Factory Team oder Amateurvideos von den Veranstaltungen der AFA (American Oldschool-Treffen sind keine Seltenheit mehr Freestyle Association) oder NBL (National in Deutschland. Seit knapp 25 Jahren finBicycle League). det auf der BMX-Bahn in Weiterstadt jährlich Speed" – " deutsches BMX- der „Veteranen-Cup" statt. Dort liefern sich die Aber auch in West-Germany sollte es dann Magazin Ex-Renn-Asse auf ihren alten Mühlen und in klassiendlich ein eigenes BMX-Magazin geben. schen Outfits heiße Rennen, und die guten alten Zeiten werden wieder „Speed" war geboren, und es glich beinahe zum Leben erweckt. einer Revolution, eine derartige Publikation zu bekommen. Bei uns mussten die BMX-Fans Zusammenfassend hat sich der BMX-Sport fest etabliert und ist auch teilweise auch die halbe Bundesrepublik bereisen, um einen Blick auf die künftig nicht aus der Welt des Sports wegzudenken. BMX hat sich Shows der US-Teams werfen zu können ... in seiner Gesamtheit in viele kleine Sparten aufgeteilt, und man darf gespannt in die Zukunft der 20-Zoll-Bikes blicken. Nur eines ist sicher: Die 80er Jahre waren die unangefochtene Blütezeit des BMX. Der So bunt, schrill und hip, wie BMX in unserer Kindheit war, wird es nie Markt war schließlich in Deutschland ebenfalls mit einer Fülle an wieder werden. Fahrrädern, Zubehör und Anbauteilen unüberschaubar geworden, und GoodTimes
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Der Erbe des
Universums Von Hans-Joachim Neupert
Am 4. Oktober 1957 versetzte ein piepsendes Signal aus dem Weltraum die Welt in Aufregung. Der Sowjetunion war es als erster Nation gelungen, einen künstlichen Satelliten ins Weltall zu schießen. Mit Sputnik 1 (russisch für Weggefährte) begann das Zeitalter der Raumfahrt. Die Idee von der Erforschung unbekannter Sphären faszinierte die Menschen weltweit. Science-FictionFilme, -Bücher und -Comics hatten Hochkonjunktur. Ab Februar 1958 begeisterte die von Hansrudi Wäscher geschriebene und gezeichnete utopischfantastische Piccoloserie Nick der Weltraumfahrer" " die jugendlichen Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Bis September 1960 erschienen 139 Nick"-Piccolohefte. Dann kam Perry Rhodan" " " und revolutionierte die Science-Fiction-Szene.
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arl Herbert Scheer konzipierte 1960 zusammen mit Walter Ernsting die auflagenmäßig unerreichte SF-Serie „Perry Rhodan – Der Erbe des Universums". Die beiden Autoren hatten sich die Aufgabe gestellt, einen weitgespannten Romanzyklus über einen möglichen Weg der Menschheit in die Zukunft zu schaffen, mit einem hohen Spannungsgehalt, der sich jedoch nicht aus billigem Wildwest im Weltraum, sondern aus der Lösung der Probleme ergeben sollte, die die politische Gesamtsituation auf der Erde damals belastete. Schwerpunktmäßig wollte das Autorenteam die Völkerverständigung und die Toleranz zwischen verschiedenartigen Lebewesen, die Großzügigkeit kosmischen Denkens und vor allen Dingen den Frieden in den Mittelpunkt der neuen SF-Serie stellen. Seite
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Am 8. September 1961 kam vor dem Hintergrund einer von der Nasa geplanten Mondlandung die Heftromanserie „Perry Rhodan" in die Zeitschriftenläden. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Die Serie fiel auf fruchtbaren Boden. Die „Nick" Leser von einst, jetzt um drei Jahre gereift, waren fasziniert. Die eindrucksvollen Titelbilder von Johnny Bruck waren sicherlich mit ein wichtiger Kaufanreiz, aber es gab auch eine ungewöhnliche Besonderheit. Anders als die meisten anderen Heftromanreihen besteht „Perry Rhodan" nicht aus Einzelromanen, sondern ist von Anfang an als Serie mit einer durchgängigen, ständig komplexer werdenden Handlung angelegt. Ursprünglich allerdings nur als 49-bändige Heftserie. Die „Perry Rhodan"-Romane erzählen in Zyklen von 50 bis 100 Bänden eine großangelegte Geschichte, obwohl jeder Roman dennoch in sich abgeschlossen ist. Als „Perry Rhodan" Nr. 1 („Unter nehmen Stardust") im Jahre 1960 verfasst wurde, glaubte noch niemand so recht daran, dass je ein Mensch den Mond betreten würde. Die Autoren legten in Band 1 das Datum der ersten Mondlandung eines Menschen, eben jenes Major Perry Rhodan, mit gedämpftem Optimismus auf den 19. Juni 1971 fest. Auch
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SF-Autoren können sich in der Einschätzung künftiger Entwicklungen täuschen! Ein in Band 1 als Vision geschildertes Ereignis fand dann in ähnlicher Form tatsächlich bereits am 20. Juli 1969 statt. Der Erfolg der „Perry Rhodan"-Roman heftreihe war und ist so phänomenal, dass bis heute kein Ende abzusehen ist und im Februar dieses Jahres bereits Band 3000 erschien. Heute beträgt die wöchentliche Druckauflage der ersten Auflage immerhin noch 80.000 Hefte. Darüber hinaus gibt es etliche Neuauflagen in Heft- und Buchform sowie Übersetzungen in Japan, Brasilien, den USA, Holland, Italien und Frankreich. Bei dem Erfolg, den die „Perry Rhodan"-Serie weltweit erfährt, blieb es nicht aus, dass sich bald auch die Filmbranche für dieses Projekt interessierte. Gerade in den 60er Jahren waren Verfilmungen populärer Romanhefte sehr erfolgreich. Gerne erinnert man sich an die Krimiserien „Jerr y Cotton" und „Kommissar X". Wie aber sollte so ein Kinofilm aussehen? Die Handlung der PR-Romane war fortlaufend konzipiert, und bis dato waren bereits ca. 250 Bände erschienen, der Film aber sollte eine in sich abgeschlossene Geschichte bringen. Die Produzenten entschieden sich deshalb für den Inhalt des ersten PR-Romans „Unternehmen Stardust", allerdings fehlte ein befriedigender Schluss, am liebsten ein Happy End. Die Dreharbeiten begannen schließlich im September 1966 in Rom, die Uraufführung fand am 20. Oktober 1967 statt. Die Filmemacher fanden einen zugkräftigen Titel („SOS aus dem Weltraum"), der aber mit dem Film in keinerlei Zusammenhang steht. Der Spielfilm ist absolut nicht mit der hohen Qualität der Romane zu vergleichen, allerdings führte er der Serie viele neue Leser zu. Zurück ins Jahr 1962. In der „Perry Rhodan"-Serie tauchte in Band 50 („Der Einsame der Zeit", Autor Karl-Herbert Scheer) zum ersten Mal der Arkonide Atlan auf und wurde bald, neben Gucky, die schillerndste Figur der Reihe. Der Arkonide entwickelte sich überaus erfolgreich und erhielt 1969 eine eigene Serie. 19 Jahre lang, von Februar 1969 bis Januar 1988, haben 22 „Atlan"Autoren den Lesern 850 faszinierende Weltraumabenteuer geschildert. Mit einigen Unterbrechungen wurde die Serie in mehreren Auflagen als Heftroman herausgegeben. Später folgten Bücher, Taschenbücher, Taschenheft-Romane, Miniserien und natürlich auch Comics. Von 1964 bis 1998 gab es eine monatlich erscheinende Taschen buchreihe mit den sogenannten Planetenromanen, die jeweils abgeschlossene, im „Perry Rhodan"-Universum angesiedelte Geschichten GoodTimes
beinhaltete. Der Inhalt unterlag keinem vorgegebenen Exposé, sondern basierte auf Ideen der Autoren. Insgesamt erschienen 415 Taschenbücher. Seit 1978 gibt es auch viermal jährlich sogenannte Hardcover-Silberbände, in denen jeweils fünf bis elf Original-Heftromane in überarbeiteter Form herausgebracht werden. Jeder Band hat ein 3D-Titelbild in Linsenrastertechnik. Allein im Jahre 2018 stand viermal ein Silberband auf der Bestsellerliste der Fachzeitschrift „Buch report.express". Im September 2011 startete parallel zur alten „Perry Rhodan"-Serie eine Neufassung. In dieser landet der Held erst im Jahr 2036 auf dem Mond. Die Serie erscheint alle zwei Wochen als Taschenheft mit einem Umfang von 160 Seiten unter dem Titel „Perry Rhodan Neo". Von September 1967 bis Oktober 1968 gab es die erste „Perry Rhodan"Comicserie mit 27 Ausgaben. Den Hauptteil des Heftes bildete die Comic-Adaptation der ersten Romanhefte. Daneben gab es aber auch kurze „Gucky"und „Atlan"-Episoden mit einem Umfang von sechs bis sieben Seiten. Geschrieben bzw. skizziert wurden die Geschichten von dem beliebten PerryRhodan-Autor Hans Kneifel, der später auch die „Atlan"Zeitabenteuer für die „Perry Rhodan Planetenromane" verfasste. Die Comics wurden dann in Italien von Marco di Simone gezeichnet. Den Zeichnungen fügte man aber erst in Deutschland die Sprechblasen und Kastentexte hinzu. Im Oktober 1968 wurde die Serie „Perry Rhodan im Bild" umbe nannt in „Perry – unser Mann im All", und die kindlichen „Gucky"Geschichten ließ man ganz weg, ansonsten blieb alles beim Alten, erst mit Nummer 37 wurde das Heft vollkommen umgekrempelt und dem Zeitgeist angepasst. Pop-Art und nackte Frauenkörper dominierten nun das Heft. Viele jugendliche Leser waren schockiert, und nach rund 20 Ausgaben wurden die Bilder etwas entschärft. Im Juni 1974 wurden die „Perry"-Hefte in ein SF-Magazin umgewandelt. Neben dem „Perry"-Comic gab es nun auch Risszeichnungen, Reportagen und einen völlig neu konzipierten „Atlan"-ZeitabenteuerComic. Bis zur Einstellung der „Perry"-Serie mit Nummer 129 im Mai 1975 erschienen 24 „Atlan"-Abenteuer im BlauSchwarz-Druck, geschrieben von Perry-Autor Dirk Hess und gezeichnet von Massimo Belardinelli. Diese „Atlan"Comic-Abenteuer werden in Fach- und Fankreisen wegen ihrer dynamischen Grafik und gelungenen Erzähltechnik sehr geschätzt. Seit 2006 erscheinen in unregelmäßigen Abständen wieder „Perry Rhodan"-Comic-Hefte. Die Zeichnungen heben sich größtenteils damals wie heute durch einen sehr bunten und poppigen Stil ab. 2/2019
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FLASH – AAHHH – HAAAAAAA! Von Ulrich Schwartz
ALS DIE KINOBESUCHER 1980 DEN HYMNISCHEN KAMPFSCHREI VON FREDDIE MERCURY VON QUEEN BEI DER VORSTELLUNG VON FLASH GORDON" HÖRTEN, WUSSTEN NUR DIE WENIGS " TEN, DASS ES SICH BEI DINO DE LAURENTIIS’ ADAPTION UM EIN REMAKE HANDELTE. SCHON AB 1936 WAR DIE FASZINIERENDE GESCHICHTE IN MEHREREN TEILEN MIT SCHWIMMWELTMEISTER BUSTER CRABBE IN DER HAUPTROLLE IN DIE LICHTSPIELHÄUSER GEKOMMEN UND HATTE DAS PUBLIKUM IN SEINEN BANN GEZOGEN . DER WAHRE SCHÖPFER VON FLASH GORDON WAR ABER ... ALEX RAYMOND!
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lex Gillespie Raymond (1909–1956) begann 1931 seine Laufbahn als Comicstrip-Zeichner für das King-Features-Syndikat, das viele amerikanische Zeitungen mit den sogenannten Tages- und/oder -Sonntagsstrips belieferte. Es war nicht nur eine kreative und herausfordernde Ära für die Stift schwingende Zunft, sondern zugleich die Zeit, in der die moderne Science-Fiction begann. Natürlich hatten Mary Shelley, Jules Verne und besonders H.G. Wells schon die Grundpfeiler gesetzt, doch erst Hugo Gernsback und das von ihm im April 1926 ins Leben gerufene Magazin „Amazing Stories" sorgten für die zunehmende Popularisierung. Früher standen ALEX RAYMOND Abenteuerromane hoch im Kurs, doch nun lautete die Devise: „Nur der Himmel ist die Grenze!" – und diese Grenze musste überschritten werden. Die in „Amazing Stories" publizierten Kurzgeschichten waren in den ersten Heften Nachdrucke von Edgar Allan Poe oder Wells, doch schon nach wenigen Ausgaben konzentrierte sich der Herausgeber auf neue Storys. Für ihn stand nicht nur der unterhaltende Charakter im Vordergrund, sondern auch der didaktische Aspekt. Somit fokussierten sich die Kurzgeschichten zuerst auf wissenschaftlich plausible Extrapolationen, doch sie Seite
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entwickelten sich im Laufe der Jahre durch einen zunehmend fantastischen Anteil in den Erzählungen. Da die Magazine auf preisgünstigem Papier (pulp – Papierbrei) gedruckt und mit bunten, reißerischen Covern publiziert wurden, etablierte Gernsback unwissentlich ein neues Zeitschriftenformat: fiktionale Inhalte auf billigem Papier – „Pulp Fiction". In den folgenden Jahren tummelten sich etliche Mitbewerber auf dem hart umkämpften Zeitschriftenmarkt, die von Detektivgeschichten über Liebesromane bis hin zur Science-Fiction aus allen „Veröffentlichungsrohren" feuerten. Doch „Amazing Stories" – bis zum heutigen Tag mit BEI DER ARBEIT einigen Unterbrechungen aktiv – zählte zu den beliebtesten und wurde für zahlreiche Schriftsteller wie Ray Bradbury zu einer geschätzten Veröffentlichungsplattform. 1929 erschien dann im Magazin die Story von Buck Rogers, die den Verlauf der ComicGeschichte maßgeblich verändern sollte, da er zum neuen ScienceFiction-Helden avancierte. John F. Dille, Geschäftsführer des National Newspaper Service – eines Konkurrenten von King Features – war von der Story so angetan, dass er ab 1929 mit „Buck Rogers In The 25th Century" den ersten populären Science-Fiction-Comic initiierte. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wurde Buck Rogers trotz der eher schwächeren Zeichnungen ein Erfolg. Nun stand King Features unter Zugzwang, da man auch vom neuen Trend profitieren wollte. Die Geschäftsführung beauftragte den Zeichner Alex Raymond und den Autor Don Moore mit einer eigenen Serie. Am 7. Januar 1934 erschien der erste Sonntagsstrip von Flash Gordon zusammen mit der Tarzan-ähnlichen Story „Jungle Jim" auf einer Seite.
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Abbildungen: ©Hannibal/© 2018 King Features Syndicate/Distr. Bulls
Das Publikum reagierte mit einer wahren Schwemme an Leserbriefen, und so mussten Raymond und Moore jede Woche neues Material abliefern. Meist waren es sechs bis zehn Panels, die mit beeindruckender Liebe zum Detail und einer wunderschönen Kolorierung die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die beiden arbeiteten wie Besessene, meist nur mit einem sechswöchigen Vorlauf. Anfänglich musste jede Geschichte einzeln zu verstehen sein, aber auch einen Cliffhanger haben, der die Leser dem nächsten Sonntag entgegenfiebern ließ. Es war eine anspruchsvolle und kräftezehrende Tätigkeit, und wie sich herausstellte, gab es in der Comic-Geschichte nur wenige, die so eine Herausforderung mit Bravour meisterten. Die Geschichte handelte von Flash Gordon (einem weltbekannten Polospieler!), Dale Arden (später seine Geliebte) und dem
FLASH! TRASH? KULT !
„Prinz Eisenherz" die langlebigste ComicFigur erschuf. Da aber bei Raymond die Fantastik und die Science-Fiction überwogen – nicht zu vergessen der figürliche und plastische Stil –, wurde er zum Vorbild nachfolgender Generationen von Zeichnern. Als das sogenannte Golden Age 1938 mit der Erstausgabe von „Superman" begann, startete im Laufe der nächsten Jahre/Jahrzehnte die große Ära der Superhelden, wie Dr. Strange, die Fantastischen Vier oder Hulk, die bei ORNELLA MUTI ALS Marvel und DC ins Rennen geschickt wurden. FOTO DER ERSTVERFILMUNG AUS DEN DREISSIGERN Sie alle basieren stilistisch auf Raymonds VERFÜHRERISCHE AURA Vorgaben, wie auch die Werke der deutschen Zeichnerikone Hansrudi Wissenschaftsgenie Dr. Hans Zarkov, die auf Wäscher, der mit „Sigurd" und „Nick, der Weltraumfahrer" die dem Planeten Mongo „Raketenbruch" erleiden und sich dem diaboVorstellungskraft der Jugend in den Fünfzigern und Sechzigern lischen Herrscher Ming, dem Unbarmherzigen, stellen müssen. Ming anregte. Raymond betreute seine Serie bis 1944, wonach andere wird ihr Erzfeind und versucht, Flash Gordon und seine Freunde zu talentierte Kollegen wie Dan Barry sein Werk bis ins Jahr 2003 forttöten, doch diese können ihm immer wieder entkommen. Dabei machen führten. sie Bekanntschaft mit Löwenmenschen, Falkenmännern, gefährlichen Neben dem Einfluss auf die grafisch arbeitende Zunft zeigEidechsenmenschen oder werden in den Palast von Undina verschlagen, ten sich die wichtigsten Auswirkungen von Raymonds der Königin der Unterseemenschen, nicht zu vergessen Schöpfung nicht zuletzt in einem Filmklassiker, der das Reich von Azura, Königin der Magie. Begann der zu einem Massenphänomen wurde. Regisseur Handlungsstrang zuerst als Science-Fiction – George Lucas beabsichtigte Mitte der inspiriert von Edwin Balmers und Philip Wylies Siebziger eine Neuverfilmung von „Flash Roman „Wenn Welten zusammenstoßen" (1933) Gordon" und bat den Rechte-Inhaber –, tauchten schon nach kurzer Zeit Elemente King Features um Erlaubnis, den Stoff der Fantasy, der Fantastik und des Ritterromans zu verfilmen. Allerdings waren die auf, die den Reiz erhöhten. Auch das Waffenarsenal Auflagen so hoch, dass Lucas seine war nicht ohne, denn neben Strahlenpistolen und „flashigen" Träume dann mit „Star Lichtgewehren standen den Opponenten Atom-MGs Wars" (dt. „Krieg der Sterne") verwirkoder Auflösungsstrahlen zur Verfügung, die aus lichte. Ein Vergleich lohnt sich, da zahlreiheutiger Sicht herrlich naiv anmuten. che Figuren, Handlungsorte und Szenen die Raymonds Zeichenstil entwickelte sich so rasant enge Verwandtschaft erkennen lassen. wie die Story. Wirkten die ersten Seiten der nun Doch das war noch lange nicht das Ende von in einer bibliophilen Luxusedition erhältlichen FLASH IM KAMPF GEGEN MING Flash Gordon, denn wie der amerikanische Serie („Flash Gordon – Auf dem Planten Mongo: Filmkonzern 20th Century Fox verlauten ließ, ist eine Neuverfilmung Die Sonntagsseiten 1934–1937", Band 1) noch ein wenig steif, hauchdes Klassikers unter Leitung des Regisseurs Julius Avery geplant. te Raymond seinen Figuren schon nach wenigen Wochen ein für die Fazit: Alex Raymond hat mit seiner Kreation einen Helden ins Comic-Welt ungeahntes Leben ein. Bewegungsabläufe wurden plastisch Leben gerufen, der offensichtlich den Trends trotzen kann und im erlebbar, Gesichtszüge wiesen eine ungeahnte Lebendigkeit auf, und die Unterschied zu vielen anderen Protagonisten der Sunday-Strips eine fantastischen Welten regten die Vorstellungskraft des Lesers an. Auch erstaunliche Langlebigkeit beweist. der erotische Aspekt sollte nicht vergessen werden, denn Raymonds Frauen waren oftmals leicht A bekleidet und gewährten gewisse „Einblicke" – für die damalige Zeit ein echter Aufreger, der seinen Höhepunkt mit einer Steinzeitepisode erreichte, in der Dale Arden in einem „Fell"-Bikini zu sehen ist. Das rief natürlich die Sittenwächter auf den Plan, wovon sich King FLASH GORDON Band 1 – Features aber unbeeindruckt AUF DEM PLANETEN MONGO – . zeigte, denn die Verkaufszahlen . DIE SONNTAGSSEITEN 1934–1937 . sprachen für sich. . von Alex Raymond In den 30er Jahren des letz! . Bibliophile Edition auf hochwertigem ! ten Jahrhunderts gab es nur Papier, Hardcover einen Zeichner, der auf ähnlich ca. 25 x 28 cm, ca. 208 Seiten ! hohem Niveau wie Raymond ISBN 978-3-85445-659-9 ! 35,00 EUR, Hannibal Verlag arbeitete – Hal Foster, der mit US DER UNTERSEEWELT BEFREIT, DENKEN DIE DREI ERDLINGE ÜBER IHRE ZUKUNFT NACH...
WOHIN GEHT ES JETZT, FLASH?
LIEBLING, ICH HABE GENUG VON ABENTEUERN UND GEFAHR ... WARUM BLEIBEN WIR NICHT HIER?
ICH DACHTE, DASS IHR EIN VON MING ERBEUTETES RAKETENSCHIFF GEBRAUCHEN KÖNNT... UNDINA, ICH WERDE DIR DIE GROSSZÜGIGKEIT NIE VERGESSEN...
WEIL UNS DIESE INSEL SCHNELL LANGWEILIG WÜRDE...
UNDINA GIBT IHNEN EIN ABSCHIEDSGESCHENK...
ZU DEN ABSCHIEDSRUFEN VON UNDINA UND IHREN SOLDATEN SCHIESST DAS RAKETENSCHIFF GEN HIMMEL...
ICH HABE ALLES ÜBERPRÜFT ES IST IN PERFEKTEM ZUSTAND...
ICH SCHÄTZE, DASS ES GLEICH ZUM NÄCHSTEN KRIEG GEHT ICH HABE GENUG VOM KÄMPFEN
ICH AUCH, LIEBES ICH WÜRDE MICH FRIEDLICH NIEDERLASSEN, WENN MING DAS ZULIESSE ZARKOV, AUF ICH HOFFE, ICH ZU BARINS KANN DEN PATWALDKÖNIG- ROUILLEN MINGS REICH AUSWEICHEN
LEBE WOHL, UNDINA WIR VERGESSEN DICH NIE
WIR SEHEN UNS, TRITON !
NÄCHSTE WOCHE:
TOD ÜBER DEN WOLKEN
Von Jörg Palitzsch
John Carpenter Kaum ein Horrorfilm transportiert das Grauen so schnell in die Köpfe der Zuschauer wie Halloween" von John " Carpenter. Inzwischen hat er über 20 Grusel-Schocker gedreht, sein Einfluss auf das Genre ist enorm.
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ei John Carpenter kommt die Gefahr von überallher, und das Grauen hat viele Gesichter. In „Dark Star" (1974) ist es ein außerirdisches Wesen, das wie ein Gummiball aussieht und auf die Besatzung losgeht. In „Fog – Nebel des Grauens" (1980) kommen die Toten einer vor 100 Jahren gesunkenen Brigg namens „Elisabeth Dane" zurück, um an den Bewohnern des verschlafenen Örtchens Antonio Bay fürchterliche Rache zu nehmen. Und in „Das Ding aus einer anderen Welt" (1982) ist es ein Monster von einem fremden Stern, das in einer Forschungsstation in der Antarktis aus einem Eisblock befreit wird und sich anschließend zu einen Albtraum entwickelt. John Carpenter, 1948 in einem kleinen Dorf namens Carthage in Jefferson County, New York, geboren, hat den Horrorfilm der Neuzeit erfunden und sog schon sehr früh die Arbeiten der alten Meister in sich auf: etwa im Rahmen einer Retrospektive von John Ford, die vom Stummfilm bis zum letzten Tonfilm seines insgesamt aus 140 Streifen bestehenden Werkes reichte. Carpenter hat alle Filme von Orson Welles und Howard Hawks gesehen, der sich Genre-übergreifend als einer der wichtigsten Regisseure seiner Seite
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Generation in Amerika profilierte. Für den jungen Carpenter wurden Ford, Hawks und Welles in seiner Zeit an der University Of Southern California zu wahren Giganten, die seine eigene Filmarbeit tief prägten. Im Elternhaus der Carpenters wurde viel musiziert. Der Vater, ein promovierter Musiklehrer, und seine Mutter spielten mit Vorliebe Geige und Klavier. John jr. sollte deshalb an die klassische Musik herangeführt werden, bereits mit vier Jahren erhielt er auf beiden Instrumenten Unterricht. Damit ist auch die oft kolportierte Aussage widerlegt, Carpenter, der zu einem Großteil seiner Filme pochende Synthesizermusik beigesteuert hat, könne gar kein Instrument spielen. Ganz im Gegenteil: Er lernte auch noch Gitarre und gründete mit Nick Castle und Tommy Lee Wallace in den 1970er Jahren die Rockband The Coupe de Villes. Auch als Regisseur blieb Carpenter der Musik stets verbunden, und es war in vielen seiner Arbeiten nicht immer nur der typisch minimalistische und treibende Synthesizersound im Einsatz. Zu „Das Ding aus einer anderen Welt" schrieb Ennio Morricone, Komponist von „Spiel mir das Lied vom Tod", die Musik. Ein Soundtrack, der Carpenters Musik so sehr imitiert, dass Morricone fast völlig dahinter verschwindet. Im Film selbst hört
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man darüber hinaus in einer Szene "Superstition" von Stevie Wonder aus dem Radio. Passt genau, weil der Liedtext die negativen Folgen des Aberglaubens beschreibt. Im Film „Starman", mit dem sich Carpenter 1984 ein Stück weit von seinen Suspense- und Horrorfilmen absetzte, kreist die Voyager II. auf der Erdumlaufbahn und hat irdische Grüße in 55 Sprachen sowie eine ganze Reihe populärer Musikstücke an Bord, darunter "Satisfaction" von den Rolling Stones, die die interstellare Reise begleiten. In „Christine" lässt John Carpenter George Thorogoods "Bad To The Bone" spielen, als der Hauptdarsteller, ein feuerroter Plymouth Fury, vom Band läuft. „Now on the day I was born ..." heißt die erste Liedzeile. Selbst klassische Musik hat ihren Platz in Carpenter-Filmen. In „Das unsichtbare Auge", mit seinen Referenzen an Alfred Hitchcocks Meisterstück „Fenster zum Hof", ist Musik aus Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten" zu hören und in „Dark Star", in einer Szene in einem Aufzug, Musik aus Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla". Neben der Musik richtete John Carpenter schon an der Uni sein Handeln am Film aus. Die erste Arbeit, die ein durchschlagender Erfolg wurde, war der 23-minütige Kurzfilm „The Resurrection Of Broncho Billy". Ein Western, der 1970 entstand und zu dem Student Carpenter das Drehbuch sowie die Musik schrieb und das Filmmaterial schnitt. In dem Streifen geht es um den jungen Billy Dubrawski, der den Bezug zur Realität verliert und sich in die Welt der Cowboys flüchtet. Der Film wurde 1971 mit dem Oscar in der Kategorie „Bester Kurzfilm" ausgezeichnet. Ein Kurzfilm war zunächst auch die Science-FictionSatire „Dark Star". Die Version mit 20 Minuten aus dem Jahre 1972 sollte eine Parodie auf die Kubrick-Filme „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben" wie auch „2001 – Odyssee in Weltraum" sein. John Carpenter und sein Mitschüler Dan O'Bannon waren allerdings der Meinung, in „Dark Star" schlummere eine längere Fassung. Dafür musste jedoch Geld aufgetrieben werden. 10.000 Dollar kamen von Carpenter und O'Bannon, dazu insgesamt 60.000 Dollar von Jack H. Harris, der mit dem Porno-Kultfilm „Deep Throat" Millionär geworden war. Letztendlich spielte die Langfassung von „Dark Star" zehn Millionen Dollar ein. Nach einigen Amateurfilmen als Schüler, einem Drehbuch für John Wayne, den frühen Arbeiten „The Resurrection Of Broncho Billy", „Dark Star" und „Das Ende" (1976) kam 1978 dann „Halloween – Die Nacht des Grauens" in die Kinos. Der Filmprolog verströmt einen Schrecken, der sich bis heute gehalten hat: Hinter einer Maske wird beobachtet, wie sich ein junges Mädchen von seinem Freund verabschiedet. Dann greift eine Kinderhand zu einem Messer, während sich das Mädchen auszieht. Plötzlich bemerkt sie, dass jemand im Raum ist, und die 17-jährige Judith Myers stirbt durch das Messer ihres Bruders. Der Junge läuft hinaus, direkt in die Arme seiner Eltern, die dem Kind die Maske vom Gesicht ziehen. Mit dieser Szene ist das Böse in Gestalt von Michael Myers in der Welt, „Halloween" wird mit vielen Fortsetzungen zu einer ewigen Nacht des Grauens. Carpenter überrascht sein Publikum in seinen Filmen völlig unerwartet. Man erwartet ständig, dass etwas passiert, und bis es passiert, hat man GoodTimes
Angst davor. Bei Alfred Hitchcock, mit dem Carpenter immer wieder verglichen wird, ist es anders: Man weiß, dass sich unter dem Tisch im Wohnzimmer eine Bombe befindet, und leidet mit den Unwissenden im Zimmer mit. „Halloween" ist indes nicht nur der Ur-Film des Subgenres Psychopathen-Horror, an ihm orientierten sich in der Nachfolge auch viele Splatterfilme, darunter „Nightmare On Elm Street", „Freitag der 13.", „Blutiger Valentinstag" und „Scream". Mit einer kleinen, aber entscheidenden Einschränkung: Obwohl Carpenters Werk einer der gewalttätigsten Filme überhaupt ist, spritzt kaum Blut. Der durchaus ruhig erzählte Film hat lange Einstellungen, die das Gefühl einer ständig anhaltenden Bedrohung vermitteln. Die Straßen von Haddonfield, einem typischen amerikanischen Vorort mit kleinen Villen und großen Vorgärten ohne Zäune, werden in weiten Cinemascope-Aufnahmen eingefangen. So bekommt der Terror eine räumliche Dimension, und der Zuschauer wird in diese Welt des Schreckens hineingezogen.
„Halloween" zeigt mit seinen Figuren, seiner Konstruktion und seinen Stimmungsschwankungen alle Möglichkeiten des Horrorfilms auf. Der Zuschauer findet in ihm die Angstträume seiner Kindheit, es wird ein dunkles Weltbild heraufbeschworen, es gibt wohldosierten Schauer und den Beleg dafür, dass es den unsterblichen „Schwarzen Mann" wirklich gibt. John Carpenter knüpft damit an die wirklich großen Figuren der Horrorliteratur an. An Bram Stokers „Dracula" und an das Monster aus „Frankenstein" von Mary Shelley. Auch finanziell kann man „Halloween" als gelungenes Investment bezeichnen. Gedreht in nur 21 Tagen, hat der Film 325.000 Dollar gekos tet. Weltweit eingespielt hat er 70 Millionen Dollar. Hinzurechnen muss man noch die späteren Fortsetzungen. Eingeschlossen diejenige, die im Oktober 2018 in die Kinos kam und wieder mit der Schauspielerin Jamie Lee Curtis, der „Scream Queen", an die Version von 1978 anknüpft. Inklusive eines neuen Soundtracks, zu dem Carpenter das bekannte musikalische Thema im 5/4-Takt beisteuert. Ganz so, als ob es die anderen, rund zehn „Halloween"-Fortsetzungen nie gegeben hätte. Losgelöst von finanziellen Zwängen nahm sich John Carpenter – nach seiner Hochzeit mit Adrienne Barbeau und der Geburt des Sohnes John Jody – im Anschluss an „The Fog" die Zeit, „Die Klapperschlange" zu drehen. Vorausgegangen war ein Aufenthalt in New York, wo Carpenter die ständige Präsenz von Kriminalität emotional stark berührte. Schnell entschied er sich, für die Rolle des eiskalten Haudegens Snake Plissken den Schauspieler Kurt Russell mit ins Boot zu holen. In weiteren Rollen sind Ernest Borgnine als Taxifahrer Cabbie, Adrienne Barbeau als Maggie, Lee van Cleef, Isaac Hayes und der überragende Harry Dean Stanton zu sehen. Selbst Russells Ehefrau Season Hubley bekam eine Rolle als Mädchen im Restaurant. „Die Klapperschlange" festigte Carpenters Kult-Status. Nicht in Amerika, wo die Einspielergebnisse die Produktionskosten nicht deckten, aber in Europa, wo Millionen in die Kinos strömten. 2/2019
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Werbe-Ikonen | Teil 7
Von Andreas Kötter
Häuptling der Kamellen Capri – Split – Nogger. Auf diese Namen hörten von den 1950er bis in die 1980er Jahre einige der beliebtesten Eis-am-Stiel-Sorten von Langnese. Und dann war da natürlich auch noch Brauner Bär. Der Indianer im Häuptlingsornat machte mit Karamellkern auf ziemlich dicke Hose, war aber letztlich ein Anführer ohne Fußvolk.
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atürlich waren Motiv und Name clever gewählt von Langnese. Denn das Indianer- beziehungsweise Western-Thema, das ging marketingtechnisch immer in den Zeiten von Winnetou, Silberpfeil und Lederstrumpf. Und dennoch: Obwohl ich schon immer ein enger Freund der Indianer war, bedeutete mir dieser Häuptling herzlich wenig – was, zugegeben, vor allem damit zu tun hatte, dass ich Karamell gegenüber schon immer ein eher indifferentes Verhältnis gepflegt habe. So war ich alles andere als bestürzt, als der Häuptling, der 1974 auf der Bildfläche erschienen war, 1986 das letzte Mal in den Sonnenuntergang reiten musste. Mitte der 90er Jahre tauchte Brauner Bär zwar wieder auf, allerdings nur, um kurz darauf erneut zu verschwinden. Von 2001 bis 2008 erlebte er noch einmal eine etwas längere Renaissance. Aber auch die konnte mich nicht dazu bringen, dem vielgepriesenen Karamellkern doch noch zu verfallen. Nun gilt aber bekanntlich, und das mit gutem Recht, dass die Geschmäcker verschieden sind. Und tatsächlich gibt es wohl eine ganze Reihe von Forty- oder Fifty-Somethings, die nach wie vor verrückt sind nach Brauner Bär. Oder wie sonst ließe es sich erklären, dass 2009 auf Facebook eine Gruppe mit dem Namen „Wir wollen Brauner Bär zurück" gestartet wurde, die bis heute existiert – wobei das „wollen" 2017 durch ein „haben" ersetzt werden konnte. Denn in diesem Jahr hatte man bei Unilever, dem britisch-niederländischen Verbrauchsgüterkonzern, zu dem die Marke Langnese gehört, endlich ein Einsehen und schenkte dem Häuptling tatsächlich ein weiteres Leben. Dass seine Fans dennoch nicht ausschließlich in Verzückung gerieten, hatte und hat mehrere Gründe. Zunächst einmal wirkte die Kampagne, mit der Unilever Brauner Bär wieder in den Eistruhen der Republik etablieren wollte, geradezu skurril. Schon der Zeitpunkt der Wiedereinführung – Februar 2017 – verblüffte. Denn auch wenn sich Sitten und Gebräuche und sogar das Klima seit den 1970er Jahren drastisch geändert haben mögen, so ist der Februar auch im dritten Jahrtausend nicht unbedingt die klassische Zeit für ein Eis am Stiel. Noch grotesker aber mutete der Grund für die Wahl dieses Zeitpunkts an. So sollte der Häuptling als eine Art Botschafter des Friedens zwischen den zwei verfeindeten Karnevals Seite
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stämmen vom Rhein, den Düsseldorfern und den Kölnern, vermitteln, damit diese das Kriegsbeil endlich begraben würden. Selbstverständlich war das augenzwinkernd gemeint, was die Sache aber ebenso wenig besser machte wie der erste deutsche Comedy Roast, den man aus diesem Anlass veranstaltete. Promis von unterschiedlicher Halbwertzeit, wie Hella von Sinnen für Köln und Verena Pooth für Düsseldorf standen zum Wortgefecht bereit, „Berühmtheiten" wie Cathy Hummels, Sarah Knappik oder Pietro Lombardi gaben die geladenen Gäste bei diesem seltsamen Pow-Wow. Die aber genießen in Indianerkreisen bekanntlich besonderen Schutz, da musste man sich nicht einmal mehr über den vermeintlich politisch korrekten Überbau wundern, den die Marketingstrategen diesem Event verpasst hatten. So sprach man bei Unilever davon, dass der Braune Bär nun für eine inklusive und bunte Welt reiten würde. „In Zeiten, in denen so viel passiert wie heute, soll der Braune Bär zeigen, dass Unterschiede auch jede Menge Spaß machen können", schwadronierte eine Sprecherin des Konzerns damals, ohne dass es ihr die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Spätestens angesichts solch aberwitziger Phrasen dürfte den Meisten klargeworden sein, dass Marketing, Public Relations und Werbung Erfindungen sind, auf die manch einer wohl gerne verzichten würde. Längst steht nicht mehr die Qualität eines Produktes, sondern nur noch seine Verpackung im Mittelpunkt. Apropos Qualität und Verpackung. Der wiedergeborene Häuptling hat die „Ich gehe mal eben zum Büdchen an der Ecke und hole mir ein Langnese-Eis"-Nostalgie gleich in doppelter Hinsicht enttäuscht. Brauner Bär ist nur noch im Sechserpack und damit längst nicht mehr in besagtem Büdchen zu bekommen. Und auch mit der Qualität ist es nicht weit her, wenn man den Stimmen auf Facebook glauben darf. Denn die Rezeptur wurde der Zeit und den gesetzlichen Bestimmungen so angepasst, dass „Verschlimmbesserung" noch eines der harmloseren Urteile im Netz ist. Vielleicht sollte der Braune Bär also endgültig in seinen allerletzten Sonnenuntergang reiten.
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TV-Charaktere | Teil 8
Von Andreas Kötter
Tarzan
Helden. Freunde. Blutsbrüder. Aus diesen Spezies hatte ich mir Anfang der 70er Jahre die passenden Exemplare herausgesucht. Da war natürlich Winnetou, in der Verkörperung durch Pierre Brice ein edler, gar nicht mehr so wilder Wilder, der mehr Kultur hatte als alle weißen Schurken des weiten Westens zusammen. Oder Andy Cayoon, der Farmersohn, der mit seiner treuen Collie-Hündin Bessy allen Gefahren trotzte. Oder Little Joe, das heißspornige Nesthäkchen von der Ponderosa, der mir Bonanza" jeden Sonntagnachmittag " zum Großereignis machte. Und dann war da noch Tarzan, der unbestrittene König des Dschungels, der ganz ohne Frage ebenfalls zur obersten Kategorie der von mir besonders bewunderten Gutmenschen zählte.
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n Sachen Ehrenhaftigkeit, Gerechtigkeitssinn und Mut stand Tarzan meinen anderen Helden in nichts nach, da war ich mir ganz sicher. Und doch wurde mir die Identifikation mit diesem Prototypen des Naturmenschen nicht ganz leicht gemacht. Das allerdings hatte weniger mit Tarzan zu tun als mit den Konventionen einer Gesellschaft, in der etwa ein uneheliches Kind noch immer als eine Frucht des Teufels galt. Man kann sich also vorstellen, wie darauf reagiert wurde, wenn unsereins sich ausgerechnet einen Helden zum Vorbild nehmen wollte, der auch als „Sohn der Affen" bekannt war. Aber der Reihe nach. Konnte ich mir die nähere Umgebung meines Elternhauses mit ein wenig Fantasie problemlos zur weiten Prärie oder zur Western-Town à la Virginia City schöndenken, so stellte der geheimnisvolle afrikanische Dschungel mit all seinen wilden Kreaturen eine deutlich schwierigere Herausforderung dar. Ein noch größeres Problem aber war der spezielle Look des Dschungelkönigs. Den Cowboy oder den Indianer zu geben – in aller Regel unproblematisch. Welcher Junge hatte damals, je nach Lust und Laune, nicht jederzeit einen Stetson und einen Revolvergurt oder ein Stirnband mit ein paar Taubenfedern und einen Gummi-Tomahawk zur Hand?! Und wenn es doch mal an etwas mangelte, war Mutti mit der Nähmaschine zur Stelle, um kurzerhand zum Beispiel ein paar Fransen an ein altes, ausrangiertes Hemd zu nähen und so den Trapper-Look perfekt zu machen. Weniger bis gar kein Verständnis aber brachte dieselbe Mutti auf, als ich mich eines Tages entschloss, es dem Herrn des Dschungels gleichzutun und mit nichts als einem Lendenschurz bekleidet die Nachbarschaft in Aufruhr zu versetzen. Na ja, um ehrlich zu sein, schien – zumindest im Winter und zumal Schnee im Dschungel ja eher selten sein soll – auch mir selbst dieses Bekleidungsstück weniger passend als die Bärenfelljacke, zu der in dieser Jahreszeit wohl auch Old Shatterhand gegriffen hätte. Aber nicht nur die Frage des Outfits machte mir die so sehr gewünschte geradezu kafkaeske Verwandlung GoodTimes
nahezu unmöglich. Ähnlich schwierig gestaltete es sich auch, die Spielgefährten davon zu überzeugen, dass es eine ehrenvolle Aufgabe wäre, die Rolle von Cheetah zu übernehmen. Obwohl ich dieses Argument für durchaus tragfähig hielt – immerhin war der Schimpanse Tarzans bester Freund –, fand sich in aller Regel kein Freiwilliger. All diese Hindernisse änderten aber nichts daran, dass mir Tarzan am frühen Samstagabend ein ebenso gern gesehener Gast war wie die Cartwrights am späten Sonntagnachmittag. Ja, Samstag war Tarzan-Tag! Denn trotz großer Namen wie Elmo Lincoln, Buster Crabbe, Johnny Weissmüller, Lex Barker oder Gordon Scott – allesamt als Tarzan auf der großen Leinwand erfolgreich – lautete meine Devise in Sachen Tarzan (zumindest) damals: Es kann nur einen geben! Und der, das war nun mal Ron Ely, der „Fernseh-Tarzan". Mag schon sein, dass Ely nicht ganz so muskulös war wie Scott oder Olympiasieger Weissmüller. Dafür aber gab er einen Tarzan, der an der Liane von Baum zu Baum schwingend eine ebenso gute Figur machte wie auf gesellschaftlichem Parkett. Elys Tarzan beherrschte den legendären Tarzan-Schrei zwar ebenso gut wie seine Vorgänger. Während denen aber ansonsten (von der Regie) nicht viel mehr zugestanden wurde als radebrechendes Kauderwelsch, parlierte der TV-Tarzan in perfektem Diplomatenjargon, wenn das gefragt war. Etwa, wenn Tarzan sich bei den „weißen" Autoritäten für seine Freunde, die Tiere, stark machte. So überzeugend tat er das, dass diese Inkarnation des Dschungelkönigs wohl der beste Botschafter hätte sein können, den sich der WWF, der World Wildlife Fund (heute World Wide Fund For Nature), oder Greenpeace nur hätten wünschen können. Kurzum: Ron Ely war für mich Tarzan und umgekehrt. Und bis heute ist es Ely, den ich im Vileda-Fenstertuch-Lendenschurz vor mir sehe, wenn ich an Tarzan denke. 2/2019
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FORTUNA DÜSSELDORF
In den 1970er Jahren zählte Fortuna zum Establishment im deutschen Fußball. Die Düsseldorfer spielten damals mit großem Können und Fortune und begeisterten die Fans des feinen Offensivfußballs. Aber besonders ragte die Saison 1978/79 heraus: Erfolgreicher war man nie zuvor, und so erfolgreich würde man auch nie wieder sein. Mit Spielern wie Reiner Geye, Dieter Herzog, Wolfgang Seel, Gerd Zewe, Manfred Bockenfeld, Klaus und Thomas Allofs, Dieter Brei, Rudi Bommer und Heiner Baltes standen damals mehr deutsche Auswahlspieler (auch Jugendund U-Nationalmannschaften) im Kader, als die Fortuna je wieder würde aufweisen können.
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Als die Fortuna zum Establishment gehörte
ie Düsseldorfer, die sich nach einem einjährigen Intermezzo Mitte der 60er Jahre seit 1971 wieder erstklassig nennen durften, waren aber schon in der ersten Hälfte der 70er Jahre durchaus eine große Nummer. So erreichte man in den Spielzeiten 1972/73 und 1973/74 jeweils den dritten Platz, bis heute die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. Zwischen 1973 und 1976 stellten Dieter Herzog, Reiner Geye, der mit 485 Bundesliga-Spielen für die Fortuna und den 1. FC Kaiserslautern auf Rang 13 der Spieler mit den meisten Einsätzen steht, und Wolfgang Seel eine der besten Angriffsformationen der Bundesliga. Und im September 1974 bildete das Trio, wenn auch nur ein einziges Mal, sogar den Sturm der deutschen Nationalmannschaft: Beim 2:1-Sieg gegen die Schweiz in Basel gelang Geye damals der Siegtreffer. In der besagten Top-Saison 1978/79 waren es dann aber die AllofsBrüder, Klaus und Thomas, die gemeinsam mit Wolfgang Seel im Sturm der Fortuna für Furore sorgten. Das Team, das in dem für die WM 1974 erbauten Rheinstadion, damals eine der modernsten Arenen, sein Zuhause hatte, überzeugte unter Trainer Hans-Dieter Tippenhauer mit besonders attraktivem Angriffsfußball. So erzielten die Düsseldorfer in dieser Spielzeit 70 Treffer. Das waren nicht nur die drittmeisten hinter Meister Hamburger SV (78) und dem VfB Stuttgart (73), sondern es ist bis heute auch der beste Wert überhaupt in der Bundesliga-Geschichte des Klubs. Mit Klaus Allofs (22 Tore) konnte zudem ein Fortune zum ersten und bis heute einzigen Mal die Krone des Torschützenkönigs gewinnen. Sieben der 70 Tore gelangen ausgerechnet gegen den großen FC Bayern. Bis heute ist das der zweithöchste Bundesliga-Sieg der Düsseldorfer und die höchste Auswärtsniederlage der Bayern. Richtig rund aber wurde diese Saison erst, weil die Fortuna gleich zwei Endspiele erreichte. Zunächst wartete im Finale des Europapokals der Pokalsieger am 16. Mai 1979 im Basler St. Jakob-Stadion kein Geringerer als der FC Barcelona. Zwar hatte Fortuna im Vorjahr das DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Köln verloren. Da die Kölner gleichzeitig aber Meister geworden waren und damit im Europapokal der Landesmeister antreten konnten, war Düsseldorf als zweiter Finalist im Pokalsieger-Wettbewerb gesetzt. Auf dem Weg in dieses Finale hatte Seite
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man unter anderem den FC Aberdeen und Servette Genf ausgeschaltet, galt aber gegen die mit spanischen und internationalen Stars wie Migueli, Carlos Rexach sowie dem Niederländer Johan Neeskens und dem Österreicher Hans Krankl gespickte Mannschaft der Katalanen als krasser Außenseiter. Ein Außenseiter, der das wohl faszinierendste Spiel seiner Vereinsgeschichte machen sollte. Zwar führte Barca bereits nach fünf Minuten mit 1:0, aber nur drei Minuten später war es Thomas Allofs, der zurückschlagen konnte. Noch in der ersten Halbzeit gingen die Spanier aber erneut in Führung, und wieder gelang der Fortuna der rasche Ausgleich, noch vor dem Pausenpfiff durch Wolfgang Seel. Und 2:2 lautete der Spielstand auch nach 90 Minuten. Verlängerung! Hier aber schien Barca nun doch den längeren Atem zu haben. Erst erzielte Rexach in der 103. Minute das 3:2, dann traf der österreichische Superstar Hans Krankl zum 4:2. Das Spiel war entschieden. Oder doch nicht? Denn nur drei Minuten später konnte Seel auf 3:4 verkürzen. Fortuna drängte nun auf den erneuten Ausgleich, letztlich aber konnten die Katalanen den Sieg über die Zeit retten. Viel Zeit zum Trauern blieb den Düsseldorfern nicht. Denn wie schon im Vorjahr hatte man auch im DFB-Pokal das Finale erreicht. Und hier sollten die Fortunen triumphieren. Zwar musste man gegen Hertha BSC erneut in die Verlängerung, aber wieder war Wolfgang Seel zur Stelle. Sein Tor zum 1: 0-Endstand in der 116. Minute bescherte der Fortuna den ersten DFB-Pokalsieg und damit den ersten Vereinstitel seit Gründung der Bundesliga (1933 konnte Fortuna zum ersten und einzigen Mal die deutsche Meisterschaft gewinnen). Und im kommenden Jahr konnte man den „Pott" nach dem dritten Finaleinzug in Folge sogar verteidigen: In der Neuauflage des Finales von 1978 gelang gegen den rheinischen Erzrivalen, den 1. FC Köln, die Revanche. War man den Kölnern damals noch mit 0:2 unterlegen, so siegte man diesmal durch Tore von Rüdiger Wenzel und Thomas Allofs mit 2:1. Fortuna war erneut Pokalsieger! Bis heute der letzte Triumph der Fortunen.
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--- Tipp für Fußballfans: kult! -Edition Fußballer
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WOLFGANG SEEL Klaus Allofs zählte " für mich zur Weltspitze" Neun Jahre, von 1973 bis 1982, stürmte Wolfgang Seel für Fortuna Düsseldorf und erzielte in 274 Spielen 59 Treffer. Im Interview spricht Seel über das legendäre Europapokal-Finale gegen den FC Barcelona, über Fortunas Triumphe im DFB-Pokal und über sein wichtigstes Tor. Herr Seel, was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an den Abend des 16. Mai 1979 denken? Dass ich an diesem Abend das größte Fußballspiel meiner Karriere bestritten habe. Nicht mein bestes wahrscheinlich, aber eben doch das bedeutendste, für mich und für Fortuna. Fortuna galt im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen den FC Barcelona als krasser Außenseiter ... Keine Frage. Barca war haushoher Favorit. Die Teams auf dem Weg in dieses Finale dagegen, wie den FC Aberdeen oder Servette Genf, die musste man vielleicht nicht, die konnte man aber schlagen. Wir haben damals teilweise richtig gute Spiele gemacht, wie in Genf ... ... nach einem 0:0 im Hinspiel ... ... als alle gesagt haben: „Nur 0:0 zu Hause, das war's dann für Fortuna." Tatsächlich aber haben wir in Genf durch einen Treffer von Rudi Bommer 1:1 gespielt, und waren so wegen der Auswärtstorregel weiter – was einmal mehr gezeigt hat, dass ein 0:0 im Hinspiel für die Heimmannschaft beinahe ein besseres Ergebnis ist als für die Gäste. Man muss doch nur auf den FC Bayern schauen, dem kürzlich in der Champions League das 0:0 in Liverpool auch nichts genutzt hat. 0:0 im Hinspiel – das ist im Europapokal für den Gast ein ganz gefährliches Ergebnis! Barca gehört schon immer zu den ganz großen Klubs. Waren die Katalanen damals aber schon eine solche Übermannschaft, wie sie es heute sind? Nein. Barcelona war eine Spitzenmannschaft, keine Frage. Aber mit den Barca-Teams, die in den vergangenen Jahren Titel auf Titel geholt haben, konnte die Elf der späten 70er Jahre nicht mithalten. Im Gegenteil: In den gesamten Siebzigern konnte Barca nur einmal den spanischen Titel, zweimal den spanischen Pokal und eben den Europapokal der Pokalsieger gewinnen. Nicht sehr viel für einen solchen Klub. Was gab damals den Ausschlag, dass die Katalanen am Ende, wenn auch sehr knapp, die Nase vorn hatten? Unser großes Pech war, dass wir im Laufe des Spiels zwei unserer wichtigsten Spieler wegen Verletzungen ersetzen mussten. Dieter Brei verletzte sich früh, bereits in der 18. Minute, und Gerd Zimmermann, der Hans Krankl, den österreichischen Top-Stürmer, im Griff hatte, musste in der 84. Minute nach einem bösen Foul von Johan Neeskens vom Feld. Und dennoch konnten wir die Spanier noch in die Verlängerung zwingen und sind nach dem zwischenzeitlichen 2:4 sogar noch mal auf 3:4 herangekommen. Durch Ihren zweiten Treffer, nach dem Sie schon das 2:2 erzielt hatten ... Ja. Das war in der 114. Minute. Da hatten wir für einen kurzen Moment noch einmal Hoffnung. Letztlich aber gab es in den verbleibenden sechs Minuten keine Torchancen mehr für uns, weil Barca sehr clever verteidigt hat. Und trotzdem war es für uns alle ein traumhaftes Erlebnis, das keiner von uns missen möchte. Und die Entschädigung für diese Enttäuschung sollte ja nicht lange auf sich warten lassen ... Sie spielen an auf das Finale im DFB-Pokal gut fünf Wochen später. Dass GoodTimes
wir auch dieses Finale erreichen würden, konnten wir damals, am EuropapokalAbend, noch nicht wissen. Zu diesem Zeitpunkt standen wir gerade erst im Viertelfinale des DFB-Pokals, in dem wir genau eine Woche nach dem Barca-Spiel Leverkusen mit 2:1 schlagen konnten. Im Halbfinale trafen wir dann im Düsseldorfer Rheinstadion auf den 1. FC Nürnberg. Auch gegen den Club mussten wir in die Verlängerung, und erst als mir das 2:1 gelungen war, erlahmten die Kräfte der Nürnberger, so dass wir schließlich mit einem 4:1-Erfolg ins Finale gegen Hertha einzogen. Die Berliner hatten unter anderem den Titelverteidiger, den 1. FC Köln aus dem Wettbewerb geworfen, gegen den wir ein Jahr zuvor im Finale den Kürzeren gezogen hatten. Umso mehr wollten wir nun, nach der Erfahrung aus dem Vorjahr und der bitteren Niederlage gegen Barcelona, wenigstens dieses Finale gewinnen. In dem es erneut zur Verlängerung kommen sollte. Diesmal aber mit dem guten Ende für uns. Dank Ihnen ... Dieser Treffer in der 116. Minute war das wertvollste Tor, das ich je geschossen habe. Schließlich bedeutete dieser Pokalsieg den ersten Titel überhaupt für Fortuna in der Nachkriegszeit. Dass wir im Jahr darauf zum dritten Mal in Folge ins Finale kamen und den Pokal verteidigen konnten, war natürlich fantastisch. Wahrscheinlich waren diese beiden Jahre die besten, die Fortuna bis heute hatte. Ich entsinne mich, dass wir damals sogar die Bayern haushoch schlagen konnten, mit 7:1 (in der Saison 1978/79; Anm. d. Red.)! Zur Ehrenrettung der Münchner muss man sagen, dass sie in den 70er Jahren nicht so übermächtig waren, wie das heute seit Jahren der Fall ist. Damals warteten die Bayern bereits seit fünf Jahren auf einen Meistertitel. Trotzdem: 7:1 – das ist die höchste Auswärtsniederlage der Münchner und muss selbst gegen einen mittelmäßigen FC Bayern erst mal geschafft werden (lacht). Trotz der Pokalerfolge – Fortunas beste Bundesliga-Platzierungen datieren aus den frühen 70er Jahren. War diese Elf noch besser als die der späten 70er? In den frühen 70er Jahren hatten wir tatsächlich ebenfalls eine hervorragende Mannschaft, damals konnte Fortuna mit zwei dritten Plätzen die besten Bundesliga-Platzierungen der Vereinsgeschichte erreichen. Ob dieses Team das bessere war, in dem ich mit Reiner Geye und Dieter Herzog den Sturm bilden durfte, oder das der späten 70er Jahre, als wir mit Klaus Allofs einen Torjäger hatten, der Bundesliga-Torschützenkönig wurde und meiner Meinung nach zur Weltspitze zählte –, diese Frage ist nur schwer zu beantworten. Zählen nur Titel, war die Mannschaft von 1978 bis 1980 natürlich erfolgreicher. In der Rückschau würde ich beide Mannschaften aber ähnlich stark einschätzen. Und wie sah es bei Ihnen persönlich aus? Es lief gut bei mir in den späten Pokal-70ern, keine Frage. Und dennoch waren meine beiden Jahre in Kaiserslautern und die daran anschließend ersten zwei, drei Jahre in Düsseldorf wohl meine mit Abstand besten als Fußballer. So stark wie in dieser Zeit bin ich nie wieder gewesen, selbst in den Pokal-Jahren nicht. Trotz aller Erfolge und trotz der Tore lagen meine besten Jahre da schon hinter mir. 2/2019
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H.G. WELLS
Jenseits von Zeit und Raum
Von Michael Fuchs-Gamböck
Am 30.10.1938, dem Vorabend von Halloween, löste ein damals 23 Jahre junger Schauspieler und Regisseur namens Orson Welles mit der Ausstrahlung des Hörspiels Krieg " der Welten" eine Massenpanik in den östlichen Bundesstaaten der USA aus. Zehntausende Menschen vor allem in und um New York liefen in Panik auf die Straßen. Gleichzeitig brachen in der CBS-Sendezentrale, bei der Polizei und Feuerwehr die Telefonleitungen zusammen, dermaßen verschreckt waren viele Zivilisten, die per Anruf um Hilfe bitten wollten.
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dafür holte er sich bei einem Buch, das as war passiert? Das fiktiexakt vier Dekaden zuvor veröffentlicht ve Hörspiel behandelt auf worden war: „Der Krieg der Welten" eindringliche Art und Weise des britischen Autors H.G. Wells. In die Vision, dass Außerirdische auf die der Originalversion spielt sich die Erde kommen, um unseren Planeten Geschichte in der Gegend um London auf Grund seines Rohstoff- und ab. Das Szenario ist täuschend ähnlich. Wasserreichtums zu erobern. Es gibt Als „Krieg der Welten" 1898 in den keine Chance für das irdische Militär, Handel kam, war Herbert George Wells diese dreibeinigen Kampfmaschinen (so sein vollständiger Name) gerade mal in die Knie zu zwingen. Hilflos schauen Anfang 30. Als Autor war er trotz seines relativ Politiker, Regimenter und Normalbürger zu, jungen Alters bereits etabliert. Wells war tätig wie der „Blaue Planet" systematisch zerstört H.G. Wells (1866–1946) als Essayist für (damals) renommierte Magazine wie wird. Letztlich sind es dann die Bakterien der Erde, „The Pall Mall Gazette" oder „The Sunday Review", hatte welche die Marsianer durch deren nicht angepasstes das vielbeachtete Sachbuch „A Textbook Of Biology" veröffentlichen Immunsystem bezwingen. Keine sonderlich beruhigende Lösung für lassen, im Anschluss den Kurzgeschichten-Band „The Stolen Bacillus" den hilflosen Homo sapiens. sowie die Romane „The Time Machine" und „The Wonderful Visit". Es war der heute legendäre amerikanische Drehbuchautor Howard Vor allem „The Time Machine", auch auf Deutsch mit dem Titel Koch, der dem Kanal CBS das Skript für „Krieg der Welten" zukom„Die Zeitmaschine" ein Klassiker und mehrfach erfolgreich verfilmt, men ließ und damit nicht nur für Angst und Schrecken bei den machte aus dem Engländer einen Schriftsteller, dessen Werk für seine Zuhörern sorgte, sondern auch seine erstaunliche Karriere endgültig in Gang setzte (zur Erinnerung: Koch zeichnete federführend verantwortlich für das Drehbuch des Kult-Streifens „Casablanca" und erhielt dafür einen Oscar). Der dramaturgische Trick an dem Hörspiel war, dass es in das akustische Gewand einer LiveReportage verpackt war. Ein vermeintlicher Reporter berichtete direkt vom Ort des Geschehens, wird nach und nach hysterischer ... Howard Koch mag für diesen Schocker von 1938 verantwortlich sein. Doch die Idee Seite
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kraftvolle Epik und immensen Fantasiereichtum Im Anschluss etwa „The Sea bis heute bewundert wird. Lady" (1902), „In The Days In den Jahren danach wurden weitere Romane Of The Comer" (1906) oder publiziert, die einige Jahre später in viele „Tono-Bungay" (1909), die Sprachen übersetzt wurden, unter anderem ins man im weitesten Sinne als Deutsche: „Die Insel des Dr. Moreau" (1896), „Der utopische Romane bezeichUnsichtbare" (1897), ein Jahr später wie erwähnt nen kann, allerdings stets „Der Krieg der Welten" und 1901 „Die ersten mit realistischem, der Zeit Menschen auf dem Mond". H.G. Wells avancierte entsprechendem sozialkritidadurch zu einem der Pioniere des Genres, das schen Hintergrund. heute als Science Fiction ein Begriff ist. Ab 1911 mutierte Wells Dabei war Wells nur vorzum radikalen politidergründig Autor illusioschen Autor. In jenem Jahr närer, mit der Gegenwart erschien der Roman „The nicht kompatibler Literatur. New Machiavelli", in dem die Tatsächlich steckte in all Handlung der soziologischen seinen Büchern ein wissenund ideologischen Botschaft schaftlich fundierter Kern. untergeordnet wird. In Und seine Vita spricht dem Buch „Befreite Welt" eh dagegen, dass es sich nahm Wells fiktional die bei dem Charmeur und erschreckende Entwicklung Charismatiker um einen verträumten Utopisten der Atombombe vorweg. Er unterstützte den handeln könnte. Zu vielschichtig ist diese Ersten Weltkrieg, nannte diesen den „Krieg zur Biografie und zu eng mit den Umständen ihrer Zeit verbunden. Beendigung aller Kriege". Nach dessen Ende Wells wurde am 21.9.1866 im noblen Londoner Stadtteil Bromley verfasste er zwar weiterhin Romane, wandte als Sohn des Besitzers einer kleinen Eisenwarenhandlung (und eines sich jedoch mehr und mehr der Verbreitung seigrandiosen Cricketspielers) sowie einer Hauswirtschafterin geboren. ner politischen Ideen zu. Seine Hauptbotschaft Mit 15 versuchte er sich als Lehrling im Tuchhandel, lautete: Die Mensch scheiterte dabei heit müsse sich den aber. Ein Jahr spämateriellen Gewalten, ter wurde er zum die sie entfesselt Hilfslehrer berufen, habe, bedingungslos 1884 bekam er ein an passen, oder sie Stipendium an der gehe zwangsläufig Normal School Of unter. Ansonsten Science, für drei setzte sich der überJahre studierzeugte Sozialist te er dort Physik, für die Schaffung Die Zeitmaschine": legendäre Verfilmung 1960 mit Rod Taylor Chemie, Geologie, " eines „Weltstaats" Astronomie und Biologie. Letzteres übrigens bei dem legendären ein. „Nur dieser", schrieb er, „ist die einzige Alternative zu einem Biologen, vergleichenden Anatomen und überzeugten Darwinisten Rückfall in die Barbarei und damit der endgültigen Vernichtung der Thomas Henry Huxley, Großvater des Literaten Menschheit." Aldous Huxley („Schöne neue Welt"). Huxley Privat war H.G. Wells, der am 13. August 1946 war Wissenschaftler durch und durch, radikain London starb, ein glühender Verfechter der ler Befürworter der Evolutionstheorie, lehnte „freien Liebe" und ein echter Schwerenöter. jeglichen religiösen Glauben ab. Mit dieser Nachzulesen in der 2012 auch auf Deutsch Ansicht prägte er das spätere Werk von Wells erschienenen Biografie „Ein ganzer Mann" nachdrücklich. von David Lodge. Der Bestsellerautor mag Noch während seiner Studienzeit kam dieser nur zweimal verheiratet gewesen sein. Doch mit der Fabian Society in Kontakt und wurde zahlreiche Liebschaften pflasterten seinen Weg Mitglied dieser sozialistisch-intellektuellen und mehrere uneheliche Kinder. Für Wells war Gesellschaft, die sich auf die Fahnen geschrieSex laut eigener Aussage wie „Tennis oder ben hatte, eine reine und einfache Existenzweise Badminton" ein Spiel, das man zum gemeinvorzuleben. Und die sich massiv für Eugenik samen Lustgewinn betrieb, ohne sich danach einsetzte, also für eine „Wissenschaft, die sich weiter zu verpflichten. mit Einflüssen befasst, welche die angeborenen H.G. Wells: ein Freigeist durch und durch. Ein Eigenschaften einer Rasse verbessern", wie es Visionär. Ein Hansdampf in allen Gassen der der britische Anthropologe Francis Galton anno Moderne. Und vor allem ein Autor, dessen Werk 1869 definierte. Zusätzlich schloss Wells sich sich auch aufgrund seiner sprachlichen Schärfe bis der frisch gegründeten und politisch links orienheute zu lesen lohnt. Oder zu hören: Vor kurzem tierten Labour Party an. Nach Studienabschluss erschienen sind „Das wurde der „junge Wilde" Mitbegründer der Imperium der Royal College Of Science Association, ja sogar Ameisen" deren erster Präsident. sowie der Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Vielschreiber Wells dann komplette „Krieg der Welten" endgültig zum Erfolgsautor, wobei seine Werke zwischen Sachbuch in drei Teilen als Hörbuch. und Belletristik changierten. 1901 erschien die Essay-Sammlung Weitere Geschichten sollen „Anticipations", die sich mit soziologischen Problemen befasste. folgen. GoodTimes
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Kultbücher Von Alan Tepper
geschätzt . geliebt . gelobt
dium Tonträger verdrängt die Nutzung des Internets das D physische Produkt. Natürlich haben seriöse Online-Autoren er Buchmarkt steckt in der Krise. Ähnlich wie beim Me-
ihre Berechtigung. Doch wie lässt sich qualitativ Anspruchsvolles von Fake News unterscheiden? Wer statt vermeintlich schnellen Informationen handfeste Fakten sucht, wird beim Medium Buch zuverlässig bedient. Hier müssen Autoren und
Verlage noch mit ihrem Namen bürgen und können in Haftung genommen werden, was eine grundlegende Sorgfalt voraussetzt. Und die Belletristik? Mal ehrlich, ist es nicht ungleich schöner, sich mit einem Buch in ein stilles Kämmerlein zurückzuziehen und der Fantasie freien Lauf zu lassen, statt an irgendeinem Bildschirm zu kleben? Genießen Sie die seit Jahrhunderten bewährte Vermittlungsart von Ideen ...
Vernor Vinge – Der Friedenskrieg" "Vernor Vinge (geb. 2. Oktober 1944)
Lawrence Block (Hrsg.) – Das Mädchen mit dem Fächer" "Der Thriller-Autor Lawrence Block (geb. 1938) hat sich eines überaus
gehört zu den amerikanischen Science-Fiction-Autoren, deren Werk durch eine eindeutige Wissenschaftsskepsis und durch die psychologischen Auswirkungen des Wettrüstens zwischen West und Ost in den 80er Jahren gekennzeichnet ist. Sein 1984 verfasster Roman „Der Friedenskrieg" beschreibt eine fundamentalistische Regierung in der nahen Zukunft in den USA, deren Friedensamt jeglichen technologischen Fortschritt durch die so genannten Stasisblasen stoppt. Allerdings entwickelt sich die neue Regierung zu einer Diktatur, woraufhin Rebellen einen Aufstand initiieren, indem sie mit einer neuen Technologie die die Blasen Generatoren erzeugenden außer Kraft setzen. Es folgt ein Aufstand mit unvorstellbaren Auswirkungen. Die glaubhaft gezeichneten Charaktere, grundsätzliche Fragen zu Politik und Technik und eine spannende Handlung machen den Roman, der mit „Gestrandet in der Realzeit" fortgesetzt wird, zu einem modernen Klassiker des Genres.
spannenden Themas angenommen. Nach der erfolgreichen Anthologie „Nighthawks: Stories nach Gemälden von Edward Hopper" bat er 17 verschiedene Autoren von Rang und Namen, eine Kurzgeschichte zu ihren jeweiligen Lieblingskunstwerken zu verfassen. Die entsprechenden Werke sind vor jeder Story zu sehen, so dass der Leser einen leichteren Zugang zu den Texten hat. Michael Connelly, der durch seine Serie um Detective Harry Bosch Weltruhm erlangte, wählte einen Teil aus Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste" aus, während Jonathan Santlofer sich von René Magrittes „Das Reich der Lichter" anregen ließ. Joyce Carol Oates wählte Balthus’ „Die schönen Tage", und Kristine Kathryn Rusch erkor Auguste Rodins „Der Denker" aus. Neben – unter anderem – Lawrence Block und Gail Levin sind etwa auch Lee Child und Jeffery Deaver vertreten. Der empfehlenswerte HardcoverBand bietet also nicht nur Spannung auf hohem Niveau, sondern auch einen intensiven Einblick in die Kunstgeschichte.
Siri Hustvedt – Eine Frau schaut auf " Männer, die auf Frauen schauen"
Anthony Horowitz – Ein perfider Plan" "Anthony Horowitz (geb. 5. April
1955) zählt zu den britischen Autoren der alten Schule, der nicht nur eine Agentenserie verfasst hat, sondern auch Fortsetzungen von James Bond und Romane mit dem von Arthur Conan Doyle „geliehenen" Protagonisten Sherlock Holmes. Nicht vergessen darf man seine Drehbücher zu „Inspektor Barnaby" und Agatha Christies Ermittler Poirot. Dadurch erklären sich auch sein subtiler Stil, der tiefschwarze britische Humor und das – im Unterschied zu amerikanischen Autoren – Fehlen reißerischer und überzogener Momente. Sein zum Kult- Buch avancierender neuer Roman handelt von Diane Cowper, die in einem Bestattungsinstitut ihre eigene Beerdigung plant, aber dann doch etwas zu früh aus dem Leben scheidet, nämlich schon sechs Stunden später. Nun kommen Hawthorne (eine Art moderner Sherlock) und Bestsellerautor Horowitz ins Spiel (der Schriftsteller fabuliert also über sich selbst) und machen sich auf die Suche nach dem Mörder. Humorvoll, intelligent konzipiert, spannend und wunderschön altbacken. Seite
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Die amerikanische Autorin Siri Hustvedt (geb. 19. Februar 1955) ist ein gern gesehener Gast in dieser Rubrik. Das liegt nicht nur an den ganz unterschiedlichen Themen, derer sie sich annimmt, sondern auch an der einfühlsamen und ausgearbeiteten Sprache, mit der sie schwierige Sachverhalte auf den Punkt bringt und verständlich macht. Auch wenn der Titel krakeelenden und überdrehten Feminismus vermuten lässt, besticht Hustvedt in ihrem aktuellen Buch durch kluge Analysen zu den Themen Gender, Kunst und Philosophie. Von zuerst recht banal anmutenden Essays wie „Haarspaltereien über Haare" über solche zu komplexen Themen („Erinnern in der Kunst: Das Horizontale und das Vertikale") bis hin zu Texten über „br isante" Wissensgebiete („Sontag über Pornos: Fünfzig Jahre später"– gemeint ist hier die Autorin Susan Sontag) reicht der Reigen der Betrachtungen auf höchs tem Niveau. Natürlich ist Hustvedts Essay-Sammlung kein Buch für „zwischendurch". Stattdessen darf sich der Leser auf zahlreiche Denkanstöße freuen, mit denen er sich noch lange auseinandersetzen wird.
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Thomas Morus – Utopia" " In Zeiten der angeblichen Unabdingbarkeit
und der vermeintlichen Alternativlosigkeit dominiert das Gefühl der Stagnation, wodurch sich eine Gesellschaft als Reflex zunehmend radikalisiert und gegen bestehende Strukturen auflehnt. Die dadurch entstehenden Krisen sind in ihrer Bandbreite kaum überschaubar und können radikale Verwerfungen und langanhaltende Probleme mit sich bringen. An solchen Punkten angelangt, wünscht man sich Persönlichkeiten mit visionärer Kraft, die weit über das Hier und Jetzt blicken können und Utopien propagieren. Zwar liegt es in der Natur der Utopie, dass diese sich nie vollständig realisieren lässt, doch sie bietet einen Zielpunkt, und auf dem Weg zu diesem Ziel lassen sich zumindest bestimmte Aspekte verwirklichen. Das Wort Utopie ist eine Neuschöpfung aus dem Griechischen und bedeutet frei übersetzt „Nichtland" oder „Niemandsland", meint also einen imaginären Ort, eine Wunschvorstellung, die die aktuelle Realität übersteigt. Aus diesem Grund wurde früher auch die Science-Fiction-Literatur – besonders im deutschsprachigen Raum – als „utopische Literatur" bezeichnet. In dem Genre lassen sich nämlich spekulative Gedankenexperimente durchführen, die nicht in der Jetztzeit spielen. Der Schöpfer des Wortes war Sir Thomas Morus (vermutlich 7. Februar 1478 – vermutlich 6. Juli 1535), der mit seinem Werk „Utopia" (1516) eine Kritik auf die in England vorherrschenden Verhältnisse verfasste und gleichzeitig Alternativen aufzeigte. Das in zwei Teile gegliederte „Utopia" enthält zuerst ein imaginäres Gespräch, in dem auch satirische und humorvolle Seitenhiebe vorkommen und danach eine Beschreibung des Inselstaats. Hier beschreibt Morus die ideale Gesellschaft, in der Ungleichheiten abgeschafft sind, die Menschen im Frieden miteinander leben und Religionsfreiheit herrscht. Das Glück der anderen wird zum Glück des Einzelnen. „Utopia" ist trotz des Alters von über 500 Jahren ein diskussionswürdiges und visionäres Dokument, das zum Denken anregt.
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Rudyard Kipling – Das Dschungelbuch"
" – 18. Januar 1936) war der erste Rudyard Kipling (30. Dezember 1865 britische Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis (1907) erhielt, und das schon im Alter von nur 42 Jahren. Überschüttet mit Lobeshuldigungen von Kollegen und der Literaturkritik, wurde sein Werk aber viele Jahre ignoriert. Ein Grund dafür lag bei einer bestimmten kolonialistischen Grundhaltung, die aber im Kontext der damaligen Zeit zu deuten ist (und damit tendenziell an Brisanz verliert) und die auch bei Kollegen wie Sir Henry Rider Haggard („König Salomons Minen" oder „Allan Quartermain") nachzuweisen ist. Ein weiterer Stein des Anstoßes war das Hakenkreuz (es wurde zusammen mit einem Ganesha-Symbol abgedruckt), das zahlreiche der ersten Ausgaben des „Dschungelbuchs" „zierte". Allerdings muss man darauf verweisen, dass das Swastika zu Kiplings Wirkungszeit in Indien ein häufig vorkommendes Symbol darstellte und überhaupt nicht mit dem Nationalsozialismus assoziiert wurde. Doch 1967 dachte niemand mehr an solche Problematiken, denn die Geschichten von Mogli und seinen Freunden wurde bei Walt Disney in einer eher freien Interpretation als Zeichentrickfilm veröffentlicht, der gleichermaßen Kinder wie auch Eltern begeisterte. Von dem Zeitpunkt an stellten der Bär Baloo, die Wölfin Raksha, der schwarze Panther Bagheera, Kaa, eine Python, und der Tiger Shere Khan kulturelles Allgemeingut dar – nicht zu vergessen die Affen! In den Geschichten Kiplings – wie auch in dem weiteren sehr bekannten Werk „Kim" – ist aber weitaus mehr zu finden, als allgemein angenommen wird. Es sind Parabeln, durch die menschliche Charakterzüge dargestellt werden, und zugleich kann das Buch auch als ein Entwicklungs- und Initiationswerk beschrieben werden. Durch die Plastizität von Kiplings Sprache üben sie eine große Anziehungskraft aus und wirken noch lange nach. Übrigens: Die sogenannten Mogli-Geschichten stammen aus „Das Dschungelbuch" (1894) und „Das zweite Dschungelbuch" (1895).
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Britische Kri mi-Serien der 70er Jahre
Koteletten, Charme und smarte Typen
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Von Manfred Prescher
Aus heutiger Sicht ist es erstau nlich, was vor rund 50 Jahren – zumindest im Fernsehen – alles möglich war: "Der Kommissar" und sein Team tranken im Dienst Hochprozentiges und rauchten wie Fabrikschlote. Noch unglaublicher waren die Sitten in den britischen TV-Serien jener Zeit, denn dort propagierte man oft einen besonders exzessiven und luxuriösen Lebensstil. Außerdem zelebrierte man das Faustrecht. Damit ließen sich die Fälle zwar nicht lösen, aber doch oft auf die richtige Spur "trimmen". So befremdlich die Mixtur aus Alkohol und Nahkampf mittlerweile auch wirken mag – unterhaltsam sind diese alten Fernsehhits heute noch.
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ie Briten haben ein Glück mit ihrer Sprache. Denn sie ist so international, dass sich ihre TV-Serien relativ leicht weiterverkaufen lassen. Das war schon in den 60er Jahren so, und so ist es auch heute noch. Was mit „Danger Man", dem gar nicht mal so heiligen Simon „The Saint" Templar und erst recht mit John Steed und seinen Partnerinnen von „The Avengers" – auf Deutsch „Mit Schirm, Charme und Melone" – begann, musste sich zunächst aber mal technisch entwickeln. Gerade bei den wenigen noch verfügbaren Resten der ersten Staffel von „Avengers" sieht man das frühe Dilemma: Die Episoden wurden, praktisch wie ein Schwank des Ohnsorg-Theaters, auf einer Bühne gefilmt. Dazu kommt, dass sie nach der Ausstrahlung in aller Regel nicht archiviert wurden. Aber der Erfolg von Steed und Co. hatte ein Seite
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Umdenken zur Folge. Man siche rt e die Episoden f ür den welt weiten Vertrieb und die Nachwelt, gleichzeitig ließ man die Helden auch mal raus ins Freie. Speziell der von Roger Moore als Blaupause seiner späteren 007-Rolle angelegte Simon Templar trieb sich an den mondänsten Flecken Europas herum. Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bis in die aktuellen Zeiten von Streamingdiensten anhält: Immer wieder zeigen Serien wie „Luther", „Sherlock", „Ripper Street", „SS-GB", „Inspektor Barnaby" oder die spannenden Zeitreisen in „George Gently" oder „Life On Mars" die hohe Qualität und den Ideenreichtum britischer Krimimacher. Die Briten haben aber auch das Glück ihrer Sprache. Obwohl: Manchmal brauchten sie auch Hilfe. Aber der Reihe nach: Wir schreiben das Jahr 1969, und der in Frankreich geborene Diplomatensohn Cyril Goldberg schickte sich an, zum Weltstar und Sexsymbol zu werden. Unter dem Künstlernamen Peter Wyngarde wurde der vorher eher mittelmäßig erfolgreiche Schauspieler mit einer Rolle schlagartig berühmt. Er gab den Schriftsteller Jason King. Mit Hang zum Luxusleben und zu ausschweifenden Partys löste dieser knifflige Fälle, die er dann wieder
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zu Kriminalromanen verarbeitete. Koteletten, ein Schnauzer und Hemdkrägen ungeheuren Ausmaßes gehörten genauso dazu wie die beiden professionellen Ermittler an seiner Seite: Stewart Sullivan (Joel Fabiani) und Annabelle Hurst (Rosemary Nicols) waren zwei Staffeln lang aber nur Beiwerk. Wie wichtig sie dennoch waren, merkte der Zuschauer erst, als Jason King danach unter eigenem Namen und völlig gelangweilt allein weiterermittelte. In „Department S" praktizierte Jason King, was kein TV-Detektiv vor und nach ihm in diesem Ausmaß durfte – hemmungslos trinken und den Alkoholkonsum auch noch zum Daseinszweck, zur hohen Kunst zu erheben. Für King könnte Cleo Rocos das Buch „The Power Of Positive Drinking" geschrieben haben. Denn mit Schnaps und Wein geht im Department alles leichter, Spirituosen helfen beim Lösen von Fällen, etwa, wenn gleich in der ersten Folge „Aus Carters Bordbuch" ein ganzes Flugzeug spurlos verschwindet. Wenn Jason King allein in einer verlassenen Kneipe sitzt, in der eine Falle für Finsterlinge gelegt wird, und der Zuschauer ihm dabei zuschaut, wie er bis zum Morgengrauen bechert, ist der Gipfel erreicht: Mehr kann man nicht tun, um den Rauschzustand im Fernsehen zu propagieren. Höchstens vielleicht noch Peter Wyngardes 1970 erschienene und heute sehr gesuchte LP WHEN SEX LEERS ITS INQUISITIVE HEAD dazu hören. In 16 Songs, alle irgendwo zwischen Las-Vegas-Pomp, Chanson und Edel-Pop, zeigt der coole Hund darauf lässige Entertainment-Qualitäten. Erdacht wurde die Serie um die Interpol-Spezialtruppe „Department S" von Dennis Jason King – Department S" " Spooner und Monty Berman, die schon „Simon Templar", den skurril-bedrohlichen „Danger Man"-Ableger „Nummer 6" und „Die 2" konzipierten. Aber – und hier kommt wieder die Sache mit der Sprache ins Spiel – richtig nett wurde es erst dank der deutschen Synchronisation von Karlheinz Brunnemann, der auch „Starsky & Hutch" oder „Quincy" veredelte – und von Rainer Brandt. In der ersten Staffel sorgte Brunnemann für einen noch recht dezenten Schnoddergrundton, danach übernahm der gebürtige Berliner Brandt. Der hatte schon „Mini Max" oder „Männerwirtschaft", „Ihr Auftritt, Al Mundy" oder „Rauchende Colts" synchronisiert und für „Das aktuelle Sportstudio" Fußballern und Trainern andere, sehr witzige Worte in den Mund gelegt. Die kurzen Filmchen kann man sich übrigens auf YouTube ansehen – es lohnt sich. Brandt, der auch bei Filmen von Terence Hill und Bud Spencer die Dialogregie führte oder Jean-Paul Belmondo und Elvis Presley seine Stimme lieh, nannte das, was er bei „Department S" zur Blüte führte, tatsächlich „Schnodderdeutsch". Das liest sich dann unter anderem so: „Mach dich so schmal, wie du früher warst! Als dich dein Friseur noch gegrüßt hat!" Auf exemplarische Weise nett ist auch der folgende Dialog. Stuart Sullivan merkt mit Blick auf einige leere Rotweinflaschen „Hm, hast du das alles leergeschluckt?" an – und Jason King antwortet „Du glaubst doch nicht, dass ich den kostbaren Rebensaft verdunsten lasse. Trink ruhig. Sieht nur so aus wie Haarwasser, ist aber welches. Der Wein ist bei dir eigentlich Perlen vor die Ferkel oder vor das Muttertier geworfen." Der Dialog hat natürlich überhaupt nichts mit dem Fall zu tun und ist auf kunstfertige Weise auch abstrus. Aber damals – wie heute – wirkt er schreiend komisch. Während Wyngardes Karriere von kurzer Dauer war, weil er im prüden und homohoben Jahr 1975 bei „unzüchtigen" Handlungen mit einem anderen Mann erwischt wurde, galten GoodTimes
der alternde Hol l y woodRecke Tony Curtis und der kommende Bond Roger Moore als Superstars mit langem Haltbarkeits Tony Curtis (l.) & Roger Moore in "Die 2"
datum. Sie zusammenzubringen, müsste die Erfolgschancen einer Serie steigern – erst recht, wenn sie auf die beiden Darsteller zugschnitten ist. So dachte man wohl bei den Produzenten von ITC Entertainment, als man sich an die Arbeit an „The Persuaders!" machte. Aber eigentlich floppte die Serie – zumindest auf dem wichtigen amerikanischen Markt. Die Fälle waren eher albern, die Dialoge fade. So beschrieb zumindest Rainer Brandt das Dilemma. Er löste es auf seine unnachahmliche Weise, nicht nur, weil er die deutsche Stimme von Tony Curtis war. Er schrieb die Dialogbücher, führte Regie und kümmerte sich um praktisch jedes Detail. So wurde sogar noch gekalauert, wenn im Original nur ein klingelndes Telefon zu sehen und zu hören war. Das ging dann etwa so: Ein Hotelportier zuckte jedes Mal, wenn er den Telefonhörer abhob. „Der Text ist völlig belanglos", erinnert sich Brandt im Interview, das sich auf der ersten DVD-Edition von „Die 2" befindet: „Also, was machen wir? Das Telefon klingelt, und er hebt ab – und niest. In den Apparat! Niest siebenmal und legt den Hörer wieder auf. Die Leute haben geschrien und sind vom Sitz gesprungen. Keiner hat gefragt: ‚Warum ist da ein Mann, der am Telefon niest?'" Brandt und seine Crew nutzten aber nicht nur den Freiraum, der sich in solchen Momenten bot, sie verfeinerten auch die Dialoge des Engländers Lord Brett Sinclair (Roger Moore) und seines Widerparts, des amerikanischen SelfmadeMillionärs Danny Wilde. Wie sagte „der wilde Danny" ebenso drohend wie geistreichflapsig? „Spürst du Solingen am Muskel, hältst du's nicht mehr für 'ne Fluskel" – ein falscher Reim, aber ein echter Brandt. Denn die Serie um zwei ungleiche Lebemänner, die im Ferrari Dino (Danny Wilde) beziehungsweise Aston Martin DB S (Brett Sinclair) durch europäische Nobelorte düsten und nebenbei den farbenfrohen Schick der frühen 70er Jahre präsentierten, ist im Original bei weitem nicht so lustig. Erst die Mischung aus Kalauern, Wortspielen und Dada-Lyrik machte die Serie zum Dauerbrenner, den man sich auch in der zigsten Wiederholung noch anschauen kann. Schließlich freut man sich immer noch über all die unsterblichen Sprüche und Wortkreationen: „Naturelehmann", „Au Repertoire", „Den Hund hab' ich für'n belegtes Brötchen gehalten", „Sleep well in your Bettgestell" oder „Auf Wiedersehen, aber es eilt nicht". Schön schräg und nahe an der vollständigen Sinnlosigkeit ist zum Beispiel dieser Dialog: „Kleidsamer Fußsack! Selbst gehäkelt?" Die Frage ist an sich schon komisch, aber man kann den Irrsinn noch mit der Antwort steigern: „Ja. Katholisch Mufflon in Karamellblau". Oder wie wäre es mit diesem verbalen Klassiker, der die Jahrzehnte unbeschadet überdauert hat: „Ach, ich hätte meinen Specht mitbringen sollen, meinen schön bunt gefiederten, der mir immer mein Steak weichklopft." Selbst vor den Nobelorten, durch die Lord Sinclair und Danny Wilde im Auftrag von Richter Fulton turnten, machten Brandts Kalauer nicht halt: „Ach Cannes, kann es warm sein, kann es kalt sein, kann es schön sein, Hauptsache man kann es!" Und im Verbund mit Rainer Brandt konnten es Moore und Curtis wirklich. 2/2019
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Straßenkrieg, das ist es, was es ist, ein Straßenkrieg! Wir haben dafür zu sorgen, dass diese Insel sauber bleibt und nach Rosen und Lavendel riecht!" Dieser Appell George Cowleys zeigte nicht nur, was für ein rauer Knochen der Dienststellenleiter war, wer wollte, konnte auch den Bezug zur britischen Realität mit ihren Streiks, den St r aßenkämpfen, dem Niedergang Martin Shaw & Lewis Collins in "Die Profis" des Empires, dem Punk entdecken. Insgesamt 24 Folgen wurden gedreht und Dass der Beginn mit großem Erfolg ab 11. Juli 1972 vom der Amtszeit von ZDF ausgestrahlt. Dafür lohnte es sich, dass Margaret Thatcher mitten in die Produktionszeit man sich heimlich ins Wohnzimmer schlich. von „Die Profis" fiel, passte perfekt. Ob sich die Schade war nur, dass keine zweite Staffel Eiserne Lady die 57 auf fünf Staffeln verteilten mehr gedreht wurde. Über die Gründe für Episoden anschaute, ist allerdings fraglich. das Aus wird bis heute spekuliert, eines ist George Cowley war der Boss. Um die aber sicher: Am 19. Dezember 1973 kam der Drecksarbeit, also um den Kampf gegen Terroristen, die achte James-Bond-Film „Leben und sterben lassen" in Mafia, Drogenbosse oder gefährliche Irre, kümmerten die Kinos – und Roger Moore war plötzlich 007. sich die Agenten Bodie und Doyle. Und wie sie das Gegen Ende der 70er Jahre wurde es dann im britaten, hatte so gar nichts von der Kontemplation andetischen Krimi richtig hart. Denn „Die Profis" langten rer Serien. Denn die von „Avengers"-Miterfinder Brian so heftig zu, dass in Deutschland 16 Folgen erst mal Clemens erdachte Serie „Die Profis" war nun mal die gar nicht gezeigt und andere Episoden gekürzt wurbritische Antwort auf „Starsky & Hutch" – was nicht nur den. Anderen angloamerikanischen Produktionen ging die erstaunliche Ähnlichkeit von „Starsky" Paul Michael es da durchaus ähnlich, etwa der US-Serie „Starsky & Glaser und William Bodie (Lewis Collins) deutlich Hutch", die im Nachgang zu realistischen Kinothrillern zeigt. Beide Ermittlerduos heizten außerdem mit einem wie „Dirty Harry" oder „French Connection" oft zu Ford an Tatorte und zu Verdächtigen. Die Jungs vom brutal für deutsche TV-Sittenwächter war. Bei den CI5 mussten sich allerdings mit einem vergleichsweise „Profis" ging es richtig zur Sache. Für einen der drei schwachbrüstigen Capri 3.0 beziehungsweise einem Hauptdarsteller war der Sprung karrieretechnisch besonaufgemotzten Escort 2.0 RS begnügen. ders groß: Gordon Jackson spielt den schottischen Ex-Major George Wenn man sich „Die Profis" heute anschaut, kommen einem Cowley fantastisch, aber eigentlich verband man ihn mit einer anderen die für damalige Verhältnisse wirklich sehr rasant geschnittenen Rolle: „Findest du nicht auch, Mortimer, dass es nichts Schöneres gibt Verfolgungsfahrten und Nahkampfszenen sehr harmlos vor. So als wirklich dezente Langeweile?", fragt Lady Dorothy ihren Gemahl. was bringt (fast) jeder „Tatort" mit noch mehr Vehemenz auf die „Yes, my dear. Und vielleicht einige dünne Scheibchen ,After Eight’ Bildschirme. Aber anno 1981 war die Serie der ultimative Energiestoß dazu." Sie klingeln nach dem Butler und verlangen nach einer Folge für Krimifans. Was sich indes wirklich „Der Doktor und das liebe Vieh", um geändert hat, ist das freimütige Bekennen sich bei Tee und dunkler Schokolade so zu Alkohol, Tabak, Techtelmechteln mit richtig wohlig zu langweilen. Der Butler dem weiblichen Geschlecht und der autosieht aus wie der Schauspieler Gordon mobilen Raserei. Dafür – und für einen Jackson. Wenn dieser als Mister Angus völlig anderen Zeitgeist – stehen „Die Hudson seiner Herrschaft, den Bellamys, 2", „Department S" und „Die Profis". die Post oder Gäste nach oben Im Zuge aufkommender „Correctness" brachte, den Gipfel der musste es logischerweise mit dem relaxten Fadheit zelebrierLotterleben irgendwann ein Ende haben. te. Im „Haus am Eaton Vielleicht haben die Exzesse von Danny Place" passierte nichts Wilde oder Jason King die Nasen der allzu Aufregendes, Verantwortlichen erst in die verbliebeselbst einen Weltkrieg Charme und Melone" nen Weinbrandreste gestupst? Jedenfalls überstand man. Jackson "Mit Schirm, brauchte danach einige John Steed (Patrick Macnee) & Emma Peel (Diana Rigg) waren alle drei Serien sowohl den britischen als auch den deutschen Sittenwächtern von Anfang an Jahre, um den Geruch von Mahagoni, Konservativismus ein Dorn im Auge: Man hielt Wilde, Sinclair, King, Bodie und und Unterwürfigkeit loszuwerden – und auf die andere seinen Partner Raymond Doyle (Martin Shaw) für schlechte Seite der britischen TV-Produktionsfront zu wechseln. Vorbilder. Heute, wo selbst Lucky Luke mit Grashalm im Jackson wurde tatsächlich zentraler Bestandteil Mund auskommen muss, wirken die Helden der britischen der turbulentesten Actionserie, die man in England ab Serien aus den 70er Jahren sogar noch verwegedem 30. Dezember 1977 und bei uns ab Oktober 1981 ner als damals: Denn sie machten Sachen, die sich sehen konnte. „Die Profis" des CI5 (Criminal Intelligence im Kino oder im Fernsehen schon lange keiner 5) legten los. Der Name der Organisation ist natürlich mehr traut. Oder um es mit Lord Brett Sinclair zu an den des realen britischen Inlandgeheimdienstes MI5 sagen: „Daniel, würdest du bitte mal nach Gießen. Ihr angelehnt. Die Dialoge waren ernsthafter als die von „Die müsst jetzt alle lachen, ich habe nämlich falsch betont, 2" oder „Department S", aber genauso pointiert: „Ihr es muss heißen ‚nachgießen'!" Na dann Prost! riecht den geringsten Anflug von Aas und agiert sofort – schüttelt es nieder, schlagt es nieder, bevor --- Tipp für Krimifans: kult!-Edition es anfängt, unsere Luft zu verpesten! Wie in einem
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Nummer 6
Die Philosophie hält Einzug ins Serien-TV Gewitterwolken, Donner grollt, ein Mann mit entschlossenem Gesichtsausdruck rast in seinem Lotus 7 über den Asphalt. Er durchquert London und steuert halsbrecherisch in eine Tiefgarage. Dann marschiert er durch einen langen dunklen Tunnel, reißt Flügeltüren auf und platzt in das Büro seines Vorgesetzten. Nach heftigem Wortwechsel knallt er ein Schreiben auf den Tisch (ein Teegedeck geht dabei zu Bruch) und braust dann mit dem Wagen wieder heimwärts. Derweil kommt in dem unterirdischen Gebäude ein seltsamer Mechanismus in Gang: Der Agentenausweis des Mannes wird unbrauchbar gemacht und per Rohrpost in eine Schublade mit der Aufschrift Resigned" (gekün" digt) befördert. Von Susanne Buck
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n seiner Wohnung wird der Ex-Agent überrascht. Ein Schwarzgekleideter mit Zylinderhut pumpt Gas durch das Schlüsselloch der Haustür. Der Mann, der gerade seine Koffer packt, sinkt betäubt zusammen. Als er wieder zu sich kommt, befindet er sich in einem Zimmer, das seiner Wohnung ähnelt, aber beim Blick aus dem Fenster stellt er fest, dass er sich an einem unbekannten Ort – einer Insel mit seltsamen Häusern – befindet. Auf Fragen erhält er nur kryptische Antworten. Statt eines Namens trägt er eine Nummer, und man verlangt Informationen von ihm. Ein Fluchtversuch wird durch einen großen weißen Ballon verhindert, der wie eine seltsame Kaugummiblase aussieht. Wer denkt, dass dies der Inhalt eines Films ist, liegt falsch. Es handelt sich lediglich um den Vorspann zu „The Prisoner"/„Nummer 6", der insgesamt nicht einmal drei Minuten dauert. Was danach kommt, ist mit insgesamt 17 Folgen die wahrscheinlich seltsamste Serie, die je im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ersonnen hat sie der Schauspieler Patrick McGoohan, der ab 1964 die Hauptrolle in der britischen Agentenserie „Danger Man" gespielt hatte. McGoohan war als James-Bond-Darsteller im Gespräch, schlug die Rolle jedoch Seite
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aus, weil ihm Schusswaffen und Intimitäten mit weiblichen Co-Stars zuwider waren. Stattdessen entwarf er mit dem Script Editor George Markstein ein eigenwilliges Serienkonzept, in dem es nicht um Agenten oder Verbrecherjagd, sondern um philosophische Fragen ging: Was macht die Freiheit des Individuums aus? Wie funktioniert Manipulation, und wo bleibt der Wille des Einzelnen? Als Kulisse wählte er das Dorf Portmeirion an der Küste von Wales, ein Ferienort in italienischem Stil-Mischmasch, den der Brite Sir Bertram Clough Williams-Ellis in den 1920er Jahren errichten ließ. Zu den Außenaufnahmen kamen Studiobauten mit futuristischen Kulissen, die an zeitgenössische Science-Fiction-Filme erinnern: Computer, schnurlose Telefone, VideoÜberwachung, Sitzkugeln, versenkbare Möbel, Lavalampen und so weiter. Die Bewohner des Ortes tragen eine Art Freizeituniform, die aus hellen Hosen, gestreiften Pullovern, bunten Capes und Pepitahüten besteht. Sie grüßen einander mit „Be seeing you!" („Wir sehen uns!"), wobei die Finger einer Hand die Zahl 6 formen. Die Zeichnung eines Hochrades erscheint in ganz verschiedenen Versionen als Emblem. McGoohan wählte das Symbol, weil es seiner Ansicht nach
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übernommen hatte. Brinkmanns intensiver Auseinandersetzung mit der Philosophie der Serie ist es zu verdanken, dass die deutschen Bezeichnungen und Dialoge sogar noch etwas rätselhafter wirken als im Original. Den Dialog am Ende des Intros – „Where am I?" – „In the Village." – übersetzte er zum Beispiel mit: „Wo bin ich?" – „Sie sind da." Als Sprecher lieh Horst Naumann – er trat später als Arzt in der „Schwarzwaldklinik" und auf dem „Traumschiff" in Erscheinung – Nummer 6 seine markante Stimme. Foto: © Dellboyy Art
für Fortschritt oder auch Beharren stand. George Markstein steuerte die Idee eines Schachspiels mit menschlichen Figuren bei. Nicht zuletzt diese eigenwillige Szenerie lässt die Serie in gewisser Weise zeitlos wirken und macht das Ansehen bis heute zum Ereignis. Hinzukommt die ungewöhnliche Story: Auf der Insel haben alle Personen Nummern, die sie auf runden Ansteckern an der Kleidung tragen. Der Ort selbst wird als „The Village" bezeichnet, als Taxis dienen Mini Mokes, die nur innerorts fahren. Überall sind Kameras versteckt, die die Bewohner auf Schritt und Tritt überwachen. Niemand weiß, wer Nummer 1 ist. Nummer 2 hat die Oberaufsicht auf der Insel, wobei der Darsteller von Folge zu
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Prisoner Convention 2017
Erst 2010 kam „Nummer 6" vollständig und mit Folge ein anderer ist. Jeder von ihnen will wisallen Episoden ins deutsche Fernsehen. Hierzu ließ der deutsch-fransen, warum Nummer 6 gekündigt hat, jeder versucht es mit eigenen zösische Kultursender Arte die vier fehlenden Episoden synchronisieMethoden; mal mit Durchtriebenheit, mal mit Hypnose, mal mit roher ren, wobei die Hauptrolle von Bernd Rumpf gesprochen wurde. Seither Gewalt. Nummer 6 weigert sich und hält dagegen. In einigen Episoden wurde die Serie nicht mehr gezeigt, auch im Jubiläumsjahr 2019 ist flieht er – jedesmal auf eine andere Art, immer vergebens –, in anderen keine Ausstrahlung vorgesehen. besiegt oder demaskiert er seinen Widersacher Nummer 2. Genau wie Für interessierte Neulinge ist das kein Grund zur Trauer. Längst sind Nummer 6 lernt der Zuschauer schnell, dass er im „Village" niemandem sämtliche Folgen in DVD- und Blu-ray-Editionen auf dem Markt. trauen kann. Vermeintliche Widerstandskämpfer entpuppen sich als Außerdem gibt es wohl keine Serie, die ein halbes Jahrhundert nach Spione, die Nummer 6 täuschen, um ihm Informationen zu entlocken. ihrem Erscheinen noch so quicklebendig ist wie „The Prisoner". Schon Und Nummer 2 lässt bis hin zur Gehirnwäsche nichts unversucht, um 1977 wurde der britische Fanclub Six Of One gegründet. Die Mitglieder seinen Willen zu brechen. nahmen „We want information" wörtlich und trugen im Laufe der Nach 13 fertiggestellten Episoden häuften sich die Probleme. George Jahre jeden verfügbaren Schnipsel über die Serie zusammen. Hinzu Markstein stieg aus, weil ihm die One-Man-Show von McGoohan kamen Requisiten, Ausstattungsgegenstände, Originalzeichnungen, – er war Produzent, Hauptdarsteller und Regisseur in einer Person Entwürfe und Schmalfilmaufnahmen von den Dreharbeiten. Six Of – langsam zu viel wurde. Noch vier Folgen mussten da gedreht werOne organisiert auch regelmäßige Treffen in Portmeirion, das inzwiden, von Portmeirion stand nur Archivmaterial zur Verfügung, und schen zum Mekka für Fans aus aller Welt geworden ist. Jedes Jahr McGoohan weilte wegen einer Filmrolle in Hollywood. Das letzte finden dort Veranstaltungen statt, bei denen sich Fans als Einwohner Problem wurde durch eine völlig durchgeknallte Idee gelöst: In der von „The Village" kostümieren. Dabei werden auch Theaterstücke und Folge „Do Not Forsake Me Oh My Darling" wird der Geist von Nummer selbst gedrehte Filme gezeigt. 2019 wird die Convention vom 5. bis 6 in einen fremden Körper transferiert, so dass McGoohan erst am zum 7. April in Portmeirion zelebriert. Schluss wieder auftaucht. Die Folge „Living In Harmony" konzipierte In Deutschland hat die Serie ebenfalls zahlreiche Fans, die „Nummer McGoohan als Wildwestfilm und drehte sie in alten Kulissen, die noch 6" erforschen, dokumentieren und aktiv am Leben erhalten. 50 Jahre auf dem MGM-Gelände herumstanden. Die nächste Episode wiederum nach der Ausstrahlung im ZDF steht in diesem Jahr ein besonderes Fanwar eine schräge James-Bond-Parodie. Als die TV-Serie in England schließlich am 2. Februar 1968 mit einer Wer Augen und Ohren offen hält, kann viele Anspielungen auf die Treffen auf dem Programm, das am 12. Oktober in Gießen stattDoppelfolge endete, hagelte es Proteste Serie entdecken: gegen den unverständlichen Schluss. • In der Columbo"-Episode Tot am Strand" spielte Patrick findet. Als Ehrengast wird Musik" 1975 den Mörder "und spickte die Folge mit Zitaten. McGoohan Editor Eric Mival erwartet, McGoohan verlor eine Menge Geld und So trägt Peter Falk zum Beispiel einen runden Anstecker am der bei 13 Episoden beteiligt musste England verlassen, um sich vor zerknautschten Trenchcoat. und mit Patrick McGoohan aufgebrachten Fernsehzuschauern in Den Dialog zwischen Nummer 6" und Nummer 2" aus dem freundschaftlich verbunSicherheit zu bringen. Er ging zunächst • Vorspann " " mit dem markanten Satz I am not a number, I am a free den war. Wer die Serie in die Schweiz und ließ sich später in man!" verwendeten Iron Maiden "1982 im gleichnamigen Song "The Prisoner" auf dem Album THE NUMBER OF THE BEAST. noch nicht kennt, hat also Kalifornien nieder. Die deutsche Fernsehpremiere im ZDF • Der Automobilhersteller Renault brachte 1989 in Großbritannien noch genug Zeit, sämtlieinen Fernsehwerbespot für den Renault 21 heraus, der vollstänche Folgen anzuschauen, fand am 16. August 1969 statt, wobei dig auf Intro und Motiven von Nummer 6" basierte. Schauplätze auf den Fan-Seiten nach nur 13 Episoden gezeigt wurden, deren " und Ausstattungsdetails der Serie wurden dabei originalgetreu Informationen zu stöbern Reihenfolge zudem von der englischen nachempfunden. Version abwich. Für die äußerst gelungene • In Roger Avarys Film Killing Zoe" diskutieren zwei Freunde und eine Reise nach Gießen " zu organisieren. Synchronfassung war Joachim Brinkmann während einer nächtlichen Autofahrt durch Paris über die Episode A. B. und C." zuständig, der schon die Dialogregie bei " Be seeing you! – der Vorabendserie „Bezaubernde Jeannie" • In einer Folge der Zeichentrickserie "Die Simpsons" findet sich Wir sehen uns! Homer plötzlich als Nummer 5" auf einer Insel wieder, wo er auf Nummer 6" (mit "der echten Stimme von Patrick McGoohan) " Homer n GoodTimes 2/2019 Seiteindem 71 er den trifft. kann von der Insel entkommen, Ballon mit einer Gabel zersticht.
80 Jahre
Von Thorsten Schatz
Batman
Der dunkle Ritter Seit 1939 tritt Batman gegen die fiesesten Verbrecher an, und auch heute noch, nach acht Jahrzehnten, verfolgen weltweit Millionen Fans gebannt seine Abenteuer. Aus Anlass des Jubiläums blickt kult! zurück und unternimmt einen Streifzug durch die wechselhafte Historie des vielleicht beliebtesten Comic-Superhelden.
Er legt ein Fledermauskostüm an, das Gangster erschrecken soll, stattet sich mit hochtechnisiertem Equipment aus und geht nachts als Batman auf Verbrecherjagd. Für die Figurenentwicklung ließen sich Bill Finger und Bob Kane damals u.a. vom als Fledermaus verkleideten Schurken des Films „The Bat (1930), Whispers" atmans Geschichte beginnt mit von fiktiven Helden einem anderen Superhelden: mit Doppelidentitäten Superman. Der überwältigende wie Alexandre Dumas' Der erste Batman-Comic Erfolg der Superman-Hefte (siehe kult! , Graf von Monte Christo und den „Pulp"-MagazinNr. 16)brachte deren Verlag National Kämpfern The Shadow und Zorro sowie – für Comics Publications (seit 1940 DC Comics) das Detektivische – von Arthur Conan Doyles darauf, Comic-Zeichner und -Autoren um Sherlock Holmes inspirieren. Vorschläge für weitere Superhelden zu bitten. Daraufhin dachte sich Zeichner Ankündigung des ersten Batman"-Comics Natürlich mussten passende Gegner gefunden " in den Action Comics", Nr 12/Mai 1993. werden, von denen einer der ersten der Joker Bob Kane (1916–1998) einen maskierten " war, Batmans Erzfeind. Er erschien im ersten „Batman"-ComicSuperdetektiv aus, den er „The Bat-Man" („der Fledermausmann") Band (1940), erst als irrer Mörder, seit 1942 als alberner Clownnannte. Diese Idee besprach er mit Autor Bill Finger (1914–1974), der Gangster und von 1973 bis heute als psychopathischer, für die Figur ein hochintelligenter Killer, der Batman töten will. Als dessen Fledermausverrückter, amoralischer, zynischer Gegenpart avancierte Outfit und eine er zu einem der beliebtesten Superschurken. U r s p r u n g sg e Neben dem Mörder-Clown kam eine Reihe der bizarrsten schichte entBösewichte wickelte: Bruce der ComicWayne erlebt Welt dazu: als Kind, wie ein z.B. GangsterSt raßenräuber Boss Pinguin, seine Eltern Der erste Bat-Man", wie er damals bis Ausgabe 29 " der Detective Comics" (1939) geschrieben wurde. der schizoerschießt. Das " phrene Two-Face, der Waisenkind, das fortan vom Familienbutler Alfred aufgezogen von Rätseln besessene wird, schwört, das Verbrechen in Gotham City – seiner fiktiven Riddler, Ra’s al Ghul, Heimatstadt – zu bekämpfen. In der Öffentlichkeit tritt er als reiein genialer arabischer cher Playboy, Millionenerbe und Unternehmer Bruce Wayne auf. Der überragende Film-Joker Te r r o r g r u p p e n - C h e f, Doch insgeheim schult er sich für sein Vorhaben wie besessen in Heath Ledger oder Bane, ein überKampfsportarten, Kriminalistik, Technik- und Naturwissenschaften.
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Autogrammarchiv Norbert Arndt
Dagegen halfen Batmans Ausflüge menschlich starker, grausamer ins Weltall Anfang der 1960er Terrorist. Jahre genauso wenig wie sein Ihnen gegenüber stehen Batmans Eintritt ins Superhelden-Team Verbündete wie sein junger Justice League Of America (seit Schützling und Kampfgefährte 1960). Deren Hefte waren erfolgRobin, Butler Alfred, Polizeichef reich, Batman solo aber nicht. Gordon, Batgirl sowie diverse 1964 sollte er sogar sterben. Doch Superhelden-Teams, darunter die 1966 gelang dem US-Sender ABC Justice League Of America, u.a. mit einer überdrehten parodis mit Wonder Woman und Batmans tischen Batman-Real-Serie ein Freund Superman, mit dem er TV-Hit (dt. Premiere: 1989 auf auch als Duo unterwegs ist. Sat1), aus der ebenfalls 1966 Ebenfalls dabei ist Catwoman, Die Justice League Of America" der mäßig erfolgreiche Kinofilm die als Meisterdiebin Batmans " „Batman" (dt. Titel: „Batman hält Gegnerin, aber ebenso seine Geliebte die Welt in Atem", 1967) entstand. und Gefährtin war. Affären hatte der Der poppige Anstrich floss in die dunkle Ritter auch mit der Reporterin Comics ein, und plötzlich schoss Vicki Vale und Ra’s al Ghuls Tochter deren Auflage in die Höhe, bevor Talia. die Verkäufe 1968, als die TV-Serie Batman gefiel dem Verlag, und so erlebendete, erneut sanken. te er sein erstes Abenteuer in Ausgabe Das setzte sich Anfang der 1970er 27 der Reihe „Detective Comics" im Jahre fort, obwohl die Comic-Macher Mai 1939 – sofort mit großem Erfolg. den Comic-Code missachteten und 1940 bekam er ein eigenes Heft und Two Face, einer von ihre Geschichten realis t ischer und wurde zum populären Dauerbrenner, spannender gestalteten. Auch bei der seitdem auch in Real- und Batmans Super-Gegnern Batman tauchten an erwachseZeichentrickfilmen in Kino und TV, Radiosendungen, Hörspielen, ne Leser adressierte Themen wie Popsongs, Romanen, Gemälden, einer Action-Bühnen-Show, einem Adam West als Batman in Rassismus und Drogenmissbrauch Musical, Fanfilmen, Videospielen, Parodien, als Merchandisingder kultigen US-TV-Serie. auf, was aber den Verkäufen lange Artikel und Verg nügungspark-Attraktion zu erleben war und ist. nicht half. Natürlich veränderte Attraktion in einem US-Vergnügungspark Die Wende kam 1986 mit Frank Millers sehr erfolgreisich Batman im Laufe cher Graphic-Novel-Reihe „The Dark Knight Returns". der Zeit, da Bob Kane Darin beschrieb er Batman als einen an sich selbst und Bill Finger und zweifelnden, traumatisierten, verhärteten, gebrochedie nachfolgenden nen Antihelden – und schuf einen neuen, seitdem Autoren und Zeichner weltweit dominierenden Superhelden-Typus. den Superhelden immer Weitere erfolgreiche hochklassige Graphic Novels wieder zeitgemäß neu und ein wahrer Batmaninterpretierten. So war Boom folgten, was von der Fledermaus-Detektiv 1989 bis heute eine zuerst ein gnadenloser Reihe von Real-FilmJäger, der Verbrecher folHits nach sich zog. Sie terte und erschoss. Doch sorgten dafür, dass Batman heutzuta1940 warf er die Schusswaffen weg und beschloss 1941, niemanden ge für das Massenpublikum in erster mehr zu töten, weil die Produzenten der Zensur entgehen und Linie ein Held des Kinos mit einer nur junge Leser nicht abschrecken wollten. noch kleinen Comic-Leserschaft ist. Die nächste Wandlung kam 1941 mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Passend hierzu findet im Rahmen des Weltkrieg. Batman wurde zum Propaganda-Helden, der patriotisch für Comicfestivals München eine Ausstellung Kriegsanleihen warb („Batman", Nr. 12/1942) und auf Nazi-Jagd ging zu 80 Jahren Batman („Batman", Nr. 14/1943). statt. Diese zeigt einen Sein Erfolg hielt an – bis zu Überblick der Comiceinem jähen Absturz Mitte der Künstler und deren Graphic Novel The Dark 1950er Jahre. Der Grund: Comics " Werke aus 80 Jahren (17.– galten als Anstifter zu Gewalt Knight Returns" von 23.6.2019 – Amerikahaus). und Unzucht – und speziell Frank Miller. die Batman-Lektüre, so warnte der Psychiater Fredric Wertham homophob, lasse junge Leser wegen des Zusammenlebens von Batman und Robin schwul werden. Die Comic-Branche fürchtete wegen dieser Stimmung staatliche Zensur und richtete die Comic Code Authority (1954–2011) ein. Dieses Gremium verbannte Sex, Drogen und kriminelle Handlungen aus den Comics – was den SuperheldenErfolgreicher Kino-Neustart für Batman 1989 Storys die Spannung nahm und Batman und Robin werben im Zweiten Weltkrieg mit Michael Keaton als dunkler Ritter. massiv Leser vertrieb. für Kriegsanleihen. GoodTimes
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Batman in Deutschland
dem dunklen Ritter veröffentlichte. 1988 übernahm der HethkeVerlag die Herausgabe deutscher Batman-Comics und publizierte bis 1992 sechs Alben mit Nachdrucken, 22 Softcover-Alben und 32 Sonderbände. Zusätzlich brachte Carlsen 33 Paperbacks heraus (1989–1998, u.a. „The Dark Knight Returns" [dt. Titel: „Die Rückkehr des Dunklen Ritters"]). Seit 1995 veröffentlichte Dino Entertainment die Comic-Begleitserie zur erfolgreichen TV-Reihe „The Animated Series" (dt. Premiere: 1993 auf Pro7). 1997 begann Dino eine lückenlose, den Originalausgaben entsprechende Herausgabe von 63 Heften plus Specials und Sonderbänden. 2001 (und bis heute) übernahm der Panini-Verlag die Veröffentlichung der Batman-Comics. Daneben wurde Batman hierzulande 1996 zur VergnügungsparkAttraktion in der Bottroper Warner Bros. Movie World (seit 2005 Movie Park Germany) und in Hamburg, Hannover und Köln zum Star der britischen Action-Bühnen-Show „Batman live".
Batmans Erfolg in den USA motivierte die Produzenten in den 1940er Jahren, ihn in andere Länder zu exportieren. In den 1950er Jahren kam er auch nach Deutschland, allerdings nur in den westlichen Teil, da er in der DDR als jugendgefährdendes Produkt des Klassenfeindes verboten war. In der Bundesrepublik dagegen veröffentlichte der Allerlei Verlag 1953/1954 die Comic-Reihe „Buntes Allerlei" mit US-Superman-Storys. In Ausgabe 1/1954 standen dem Mann aus Stahl erstmals Batman und Robin zur Seite, dann auch in Ausgabe elf. Danach warf man die Superhelden raus und stellte die Reihe ein. Der Grund: die „Schmutz und Schund"-Kampagne Batman, Robin und Der heroischste Superheld Mitte der 1950er Jahre, in der man Supermann" in ihrem " Comics als jugendgefährdend verdamm- ersten gemeinsamen So etablierte sich Batman in Deutschland und weltweit als fester te und öffentlich verbrannte. Angeblich westdeutschen ComicBestandteil der Popkultur und fasziniert immer noch Millionen Abenteuer ... ließen sie junge Leser verdummen und Fans. Der Grund für die anhaltende Popularität ist, dass er der zu Kriminellen werden. Ein geforderwahrscheinlich ungewöhnlichste Superheld ist: einer, der zwar ... und im letzten wie seine Kollegen ordentlich mit Ganoven aufräumt, dabei aber gemeinsamen Auftreten tes Verbot kam allerdings nicht, dafür die Bundespr üf stets mit inneren Zweifeln in der Reihe Buntes " und Wider s pr üchen Allerlei" in den 1950er stelle für jugendge fährdende Schriften kämpft. Einerseits ist er Jahren. (seit 1954), die über andererLebensretter, Sittenw idrigkeit und seits ein nahezu psyGewalt in Jugend besessechopathisch medien wachte. Der ner Verbrecher jäger, schlechte Ruf ließ der ständig zweifelt, ob den Comic-Markt er mit seinen Methoden einbrechen – die den Gangstern nicht US-Superhelden hatzu sehr ähnelt. Dieses ten keine Chance. Zer r issene, Finstere, Für sie öffnete sich dazu das Tragische seiner Batman als zweifelnder Antiheld aus dem die westdeutsche Geschichte machen seine The Dark Knight Returns"-Comic. Comic-L andschaf t Figur so interessant. "
Die US-TV-Serie aus den 1960ern war erst 1989 nach dem Batman-Kino-Hit von Tim Burton in Deutschland zu sehen.
Die kunstvollen Batman-Graphic-Novels sind auch in Deutschland bei den Fans beliebt.
erst in den 1960er Jahren im Zuge der Etablierung der Jugend-Popkultur. So wagte der Ehapa-Verlag 1966 einen Neustart mit SupermanHeften. Darin war Batman erst als Gast dabei (Ausgabe 2/1967), bekam dann aber eigene Storys (seit Ausgabe 3/1967). Die Comics verkauften sich gut, so dass Ehapa zusätzlich in den 1970ern 44 Sonderhefte, 23 Superbände und 41 Taschenbücher mit
Hinzukommt, dass er ein Superheld ohne Superkräfte ist. Doch das macht ihn zum heroischsten aller Superhelden, denn er bewältigt seine schwierige Aufgabe unbeugsam, unbeirrbar nur mit menschlichen Fähigkeiten. Dies alles ließ ihn zum vielleicht populärsten Superhelden unserer Zeit werden, der uns bestimmt noch viele Jahre als nächtlicher dunkler Ritter von Gotham City begleiten wird. Seite
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Das Jahr 1979
Von Matthias Bergert & Michael Fuchs-Gamböck
Grüner Wind, Revolution & Tod des Punk
Während in Deutschland im Frühling 1979 die neu gegründete Partei Die Grünen mit ihren vorrangig ökologischen Themen frischen Wind in die nationale Politiklandschaft bringt und rasch zu einer Konstante wird, weht im Iran zu Beginn des Jahres ein ganz anderer, rückschrittlicher Wind. Schah Mohammad Reza Pahlavi, ein machtbesessener Hedonist erster Güte, verlässt am 16.1. seine Heimat, da er aus dem Westen keine Unterstützung mehr für sein System bekommt. Er macht zwangsweise Platz für Ajatollah Chomeini, der aus dem französischen Exil zurückgekehrt ist und bereits am 1.4. die Islamische Republik Iran ausruft, welche bis heute Bestand hat. Die politischen Gräben zwischen Orient und Okzident werden dadurch tiefer als je zuvor. Und sonst? Eine
Zeitgeschehen
Am 7.1. erobert Vietnams Armee die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Die Herrschaft der Roten Khmer ist damit beendet. Drei Tage später wird die Volksrepublik Kampuchea gegründet. *** Am 16.1. verlässt Schah Mohammad Reza Pahlavi den Iran. US-Präsident Jimmy Carter hatte zuvor bei der Konferenz von Gouadeloupe (4.–7.1.) verkündet, dass die USA den Schah nicht mehr unterstützen würden, worauf Frankreichs Premierminister Valéry Giscard d’Estaing, Großbritanniens Premierminister James Callaghan und Bundeskanzler Helmut Schmidt mitzogen. *** Nach 15 Jahren im Exil kehrt Ajatollah Chomeini am 1.2. in den Iran zurück. *** China marschiert am 17.2. in Nordvietnam ein, nachdem es immer wieder zu Grenzverletzungen gekommen ist. Der ChinesischVietnamesische Krieg endet vier Wochen später am 16.3. – beide Seiten behaupten, gewonnen zu haben. *** Am 16./17.3. werden Die Grünen gegründet und bringen frischen Wind in die deutsche Politiklandschaft. *** Am 26.3. wird in Washington der IsraelischÄgyptische Friedensvertrag unterzeichnet. Neben der gegenseitigen Anerkennung wird darin u.a. die Beendigung des seit 1948 andauernden Kriegszustands festgelegt. *** Im Iran geht es Schlag auf Schlag: Am 1.4. ruft Ajatollah Chomeini die Islamische Republik Iran aus. *** Der Rat der EWG verabschiedet am 2.4. die Vogelschutzrichtlinie, die alle wildlebenden Vogelarten schütSeite
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vierteilige amerikanische TV-Serie namens Holocaust", welche " die Auslöschung der Juden im Dritten Reich auf sehr persönliche, emotionale Art und Weise zeigt, wird in der synchronisierten Version ein Quotenrenner und löst eine heftige gesellschaftliche Debatte aus. Im musikalischen Bereich hält der Siegeszug des Disco-Sounds an, lediglich AOR-Bands wie Alan Parsons Project oder Supertramp halten dagegen. Währenddessen taumelt der Punk nach dem Selbstmord von Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious einem frühen Tod entgegen. Mittendrin erklärt Rennfahrer Niki Lauda cool seinen Rücktritt aus dem Formel-1-Zirkus: Ich will " nicht länger im Kreis herumfahren", meint er lapidar. Irgendwie lässig, in einem weitgehend angespannten Jahr 1979. zen soll. Vogelfallen sind ab sofort verboten, außerdem müssen Mitgliedsstaaten Vogelschutzgebiete einrichten. *** Der frühere iranische Ministerpräsident Amir Abbas Hoveyda wird auf dem Weg zu seiner Hinrichtung erschossen (7.4.). *** Am 27.4. wird in Hamburg das Internationale Übereinkommen zur Seenotrettung (SARAbkommen) verabschiedet. Demnach müssen in Seenot geratene Menschen von einer Seenotrettungsorganisation gerettet werden – ganz unabhängig vom Unfallort. *** Am 1.5. wird Margaret Thatcher Grönland von Dänemark in die Selbstverwaltung entlassen und ist von nun an „Nation innerhalb des Königreichs Dänemark". *** Bei den britischen Parlamentswahlen setzt sich am 3.5. die Conservative Party durch. Am Tag darauf wird Margaret Thatcher zur neuen Premierministerin ernannt. Die umstrittene „Eiserne Lady" bleibt bis 1990 im Amt. *** Karl Carstens (CDU) wird am 23.5. zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Er tritt die Nachfolge von Walter Scheel an, ist aber wegen seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft sehr umstritten. *** Am 2.6. unternimmt Papst Johannes Paul II. seine 1. Apostolische Reise in sein Heimatland Polen. Er bleibt dort bis zum 10.6. *** Der sowjetische Generalsekretär Leonid Breschnew und der US-amerikanische Präsident Jimmy Carter unterschreiben am 25.6. in Wien die SALT-II-Verträge. Ziel ist die Begrenzung der Nuklearwaffen beider Länder, allerdings verweigert der US-Senat später die Ratifizierung der Verträge. *** Am 25.6. verübt die RAF in
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Belgien einen Anschlag auf den europäischen Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig. Dieser kommt mit dem Leben davon. *** Am 3.7. wird Franz Josef Strauß zum CDU/CSU-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl von 1980 gekürt. Bei dieser unterliegt er jedoch Helmut Schmidt (SPD). *** Ebenfalls am 3.7. hebt der Deutsche Bundestag die Verjährung bei Mord und Völkermord auf. *** Am 16.7. tritt der irakische Präsident Ahmad Hasan-al-Bakr zurück. Sein Nachfolger wird Saddam Hussein, der diktatorisch regiert und bis 2003 zeitweise auch als Premierminister fungiert. *** Am 13.8. erreicht das Flüchtlingshilfsschiff Cap Anamur das Südchinesische Meer und nimmt dort die ersten vietnamesischen Flüchtlinge auf. Die ganze Aktion dauert letztlich sieben Jahre, wobei ca. 11.000 Flüchtlinge bzw. „Boatpeople" gerettet werden. *** Kambodschas Diktator Pol Pot und sein Schwager Ieng Sary, die Führer der Roten Khmer, werden am 19.8. nach der vietnamesischen Invasion in Kambodscha zum Tode verurteilt. Ihnen werden Massenmorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt, doch beide entgehen dem Todesurteil. *** Bei einer Rebellion in Mekka (20.11.) wird die Große Moschee von 500 militanten Islamisten belagert. Diese fordern den Sturz des saudischen Regimes und den Stopp von Erdöllieferungen an die USA. Der Aufstand wird am 4.12. blutig niedergeschlagen, mehr als 1000 Menschen sterben. *** Der Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung von Atomwaffen sorgt am 12.12. für Aufsehen. In Westeuropa und den USA entsteht daraufhin eine breite Friedensbewegung. *** Der Autonomiestatus der Region Katalonien wird am 18.12. nach 40 Jahren wiederhergestellt. Vier Tage später erhalten auch die baskischen Provinzen weitreichende Autonomierechte, wodurch der dort herrschende Bürgerkrieg beendet wird. *** Kurz vor Jahresende marschiert die Sowjetunion in Afghanistan ein (27.12.). Präsident Hafizullah Amin wird ermordet – sein Nachfolger wird Babrak Karmal.
Sport
Der Argentinier Guillermo Vilas und die Australierin Chris O’Neill gewinnen am 3.1. souverän die Einzeltitel bei den Internationalen Tennismeisterschaften in Melbourne. *** Der finnische Skispringer Pentti Kokkonen wird am 6.1. nach Erfolgen in Innsbruck und Bischofshofen Gesamtsieger der deutsch-österreichischen Vierschanzentournee. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen Hansjörg Sumi aus der Schweiz und Jochen Danneberg aus der DDR. *** Im Finale des Tennis-Grand-Prix-Masters-Turniers in New York bezwingt der gerade mal 19-jährige US-Amerikaner John McEnroe seinen 35-jährigen farbigen Landsmann Arthur Ashe am 7.1. mit 6:7, 6:3 und 7:5 knapp, aber verdient. Nur vier Monate später – am 6.5. – bezwingt der Jungspund im Finale des „World Championship"Tennisturniers in Dallas, Texas auch den Schweden John McEnroe Björn Borg während eines packenden und inzwischen legendären Viersatz-Matches. *** Nach heftiger Kritik im eigenen Land sowie aus Südafrika revidiert das Olympische Komitee Israels am 23.1. den am Vortag gefassten Beschluss, alle sportlichen Beziehungen zu Südafrika zu lösen, um eine Teilnahme israelischer Sportler an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau zu ermöglichen. *** Bei der Rodel-WM in Königssee werden am 28.1. die bundesdeutschen Teilnehmer Hans Brandner/Balthasar Schwarm Weltmeister im Doppelsitzer. Alle anderen Titel gehen an Teilnehmer aus der DDR. *** Das Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) beschließt am 9.2. in Essen, dass die vom NOK zu olympischen Wettkämpfen entsandten Sportler als „Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland" und nicht mehr als „Mannschaft Deutschlands" auftreten. *** Beim Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft 1980 in Italien erzielt die deutsche Nationalmannschaft am 25.2. in Valetta gegen den krassen Außenseiter Malta gerade mal ein blamables 0:0. *** Beim ersten Fernseh-Urteil" am 26.2. verurteilt das " Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den HSV-Spieler Felix Magath wegen einer Tätlichkeit auf dem Platz zu einer Sperre GoodTimes
von sechs Wochen. *** Der 62-malige Fußball-Nationalspieler Gerd Müller verlässt am 6.3. seinen Stammverein FC Bayern München und unterzeichnet einen hochdotierten Zweijahresvertrag beim Team von Fort Lauderdale (US-Bundesstaat Florida). *** Am 10.3. kann zum ersten Mal nach dreieinhalb Monaten wieder ein kompletter Spieltag der Fußball-Bundesliga ausgetragen werden. Aufgrund des teilweise verheerenden Wetters müssen in der Saison 1978/79 insgesamt 45 Partien neu angesetzt werden. *** Ein Spieler-Aufstand beim FC Bayern München gegen die geplante Verpflichtung von Trainer Max Merkel anstelle von Pál Csernai leitet am 19.3. den Rücktritt von Vereinspräsident Wilhelm Neudecker ein. Der hatte den Fußball-Klub 17 Jahre lang geführt. *** Nach einer Fußball-Partie seines Vereins BFC Dynamo Berlin gegen den 1. FC Kaiserslautern setzt sich der sechsfache DDR-Auswahlspieler Lutz Eigendorf am 20.3. in den Westen ab. Vier Jahre später kommt er bei einem Verkehrsunfall ums Leben – bis heute hält sich das Gerücht, dass er vom Ministerium für Staatssicherheit ermordet wurde. *** Beim Europapokalspiel des VfL Gummersbach gegen Banyasz Tatabanya in Ungarn am 30.3. wird Handball-Nationalspieler Joachim Deckarm schwer verletzt, erleidet einen Schädelbasisbruch sowie eine Gehirnquetschung und fällt für 131 Tage ins Koma. Seit Herbst Berti Vogts 1982 gilt er als Pflegefall. Der inzwischen 65-jährige Deckarm ist bis heute eine Legende im Handballsport. *** Mit einem Heimspiel seines Teams Borussia Mönchengladbach gegen eine Auswahl der deutschen Fußballnationalmannschaft beendet der 96-fache Nationalspieler Berti Vogts am 15.5. seine aktive Sportlerkarriere. Ach ja – die Gladbacher „Fohlen" gewinnen an jenem Tag mit 6:2. *** Gerd Wiltfang gewinnt auf seinem Pferd Roman am 27.5. das 50. „Deutsche Springderby" in Hamburg. Damit siegt zum ersten Mal nach 1974 wieder ein deutscher Reiter im Parcours. *** Der Hamburger SV wird zum zweiten Mal Meister der 1. Fußballbundesliga. Die Übergabe der Meisterschale am 9.6. wird allerdings durch hunderte auf den Platz stürmende Fans verhindert. *** Im amerikanischen Newark verkündet am 16.6. Muhammad Ali, Box-Schwergewichts-Weltmeister in der Wertung des Weltboxverbandes WBA, seinen Rücktritt vom aktiven Sport. Ali hatte im Jahr zuvor – am 15.9.1978 – durch einen Sieg über Leon Spinks zum dritten Mal in seiner Karriere den Weltmeistertitel errungen. *** Bei einem Autounfall in der Nähe von München wird am 14.7. der FußballNationaltorhüter Sepp Maier (FC Bayern München) so schwer verletzt, dass er seine sportliche Karriere beenden muss. *** Als jüngste Spielerin überhaupt gewinnt am 9.9. die gerade mal 16-jährige Amerikanerin Tracy Austin die internationalen Tennismeisterschaften der USA in New York. *** Der österreichische Formel-1-Fahrer Niki Lauda erklärt am 30.9. seinen Rücktritt vom Automobilsport. Seine Begründung: „Ich will nicht mehr länger im Kreis herumfahren."
Funk & Fernsehen
Vermutlich aus Verzweiflung über ihre Krebserkrankung nimmt sich die Schauspielerin Gertrud Kückelmann („Derrick", „Tatort") am 17.1. in München das Leben. *** Vier Tage vor Beginn der Ausstrahlung der US-Fernsehserie Holocaust" am 22.1. verüben neonazistische Täter " Sprengstoffanschläge auf Sende-Einrichtungen des Südwestfunks bei Koblenz und der Bundespost in der Nähe von Coesfeld. Unabhängig davon wird die vierteilige Reihe, die den Mord an Juden in der Zeit des Nationalsozialismus schildert, für die ARD zum Straßenfeger, der gesellschaftlich heftig und in verschiedenste Richtungen diskutiert wird. *** In Hamburg endet eine Drei Engel für Charlie" vom ZDF veranstaltete, live übertragene " Partie zwischen dem schottischen Weltklasse-Schachspieler David Levy und dem in Minneapolis stationierten Schachcomputer Chess 4.8 am 7.2. nach 89 Zügen mit einem Remis. *** Der politisch orientierte Deutschlandfunk – ein Radiosender, der bis heute existiert – nimmt am 18.2. seinen Betrieb aus dem neu errichteten Funkhaus im Kölner Stadtteil Bayenthal auf. *** Am 15.4. wird die erste von insgesamt 115 Episoden der US-Krimiserie Drei Engel für Charlie" im ZDF " ausgestrahlt. Die Hauptrollen spielen drei so taffe wie erotisierende 2/2019
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Privatdetektivinnen, die sich auf der Polizei-Akademie kennengelernt haben und über ihren Boss Charlie – der stets lediglich über Lautsprecher zu seinen „Engeln" spricht – komplizierte Fälle von Korruption, Entführung oder Rauschgiftschmuggel auf charmante Art und Weise lösen. *** Die Rock-Diva Nina Hagen sorgt am 9.8. bei einem Auftritt in der österreichischen Talkshow „Club 2" für einen Skandal, als sie vor laufender Kamera Praktiken der Selbstbefriedigung demonstriert. *** Bei einer Feierstunde zum 30-jährigen Bestehen des Deutschen Bundestags wird am 12.9. erstmals eine gemeinsam von ZDF und WDR installierte Farbfernsehübertragungsanlage erprobt. Seit 1953 war aus dem Plenarsaal in Bonn nur in Schwarz-Weiß berichtet worden. *** Im Rahmen der Sendung Deutschland – was ist das?" veröf" fentlicht das ZDF am 3.10. die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen über die Einstellung der Bundesbürger zur Wiedervereinigung. Danach meinen 57 Prozent, dass nur die Bundesrepublik als Deutschland bezeichnet werden könne. 78 Prozent halten eine Wiedervereinigung für wenig wahrscheinlich bzw. unmöglich. *** Am 25.10. wird der letzte aus Holz gebaute Sendeturm der DDR in Gold wegen Baufälligkeit gesprengt. *** In Peking unterzeichnet Friedrich-Wilhelm von Sell, Intendant des WDR sowie ARDVorsitzender, am 9.11. ein Rundfunkund Fernsehabkommen mit China, in dem die Zulassung eines ARDKorrespondenten in dem asiatischen Großreich vereinbart wird. *** Nach sechs Jahren endet am 22.11. im ZDF Dieter Hildebrandts satirische Sendereihe Notizen aus der Provinz". *** Die " wegen Doppelmordes zu lebenslanger Haft verurteilte Schauspielerin Vera Brühne wird am 15.12. begnadigt und aus dem Gefängnis im oberbayerischen Aichach entlassen. *** Pünktlich zum Jahresende am 31.12. wird bei der ARD zum 51. – und letzten – Mal die beliebte Quizsendung Am laufenden Band" mit dem in Holland geborenen " Moderator Rudi Carrell ausgestrahlt.
Film
1979 kann man von einem Wiedererstarken des deutschen Films sprechen – dank Regisseuren wie Hans W. Geissendörfer, Werner Herzog, Alexander Kluge und Rainer Werner Fassbinder. Dies spiegelt sich nicht nur bei den Kinobesucherzahlen, sondern auch bei Preisverleihungen im Inund Ausland wider, z.B. bei der Berlinale und sogar bei der Oscar-Verleihung (dazu später mehr). Obendrein avancieren einheimische Produktionen zum Exportschlager, z.B. „Deutschland im Herbst", „Messer im Kopf" und „Die Ehe der Maria Braun" – übrigens alles Filme mit spezifisch deutscher Thematik. *** Bei den Defa-Produktionen aus der DDR dominieren Kinderfilme, die einen historischen Hintergrund haben („Des Henkers Bruder") oder auf Märchen („Schneeweißchen und Rosenrot", „Der Katzenprinz"), Kinder-Romanen („Das Pferdemädchen") und Indianergeschichten basieren („Blauvogel"). Die ältere Klientel erfreut sich an anspruchsvollen Gegenwartsfilmen („P.S."), wobei auch der Humor nicht zu kurz kommt („Einfach Blumen aufs Dach"). *** Die 51. Oscar-Verleihung findet am 8.4. im Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles statt und wird erstmals von Johnny Carson moderiert. Am meisten Auszeichnungen erhalten zwei Vietnam-Kriegsdramen: Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen" (fünf Preise, u.a. für den „Besten Film" und die „Beste Regie") sowie Hal Ashbys „Coming Home – Sie kehren heim" (drei Preise, u.a. für Jon Voight als „Besten Hauptdarsteller" und Jane Fonda als „Beste Hauptdarstellerin"). Nur einen Oscar – bei neun Nominierungen – gibt es für Warren Beattys und Buck Henrys Fantasy-Komödie „Der Himmel soll warten". Woody Allens Drama „Innenleben" geht trotz fünf Nominierungen ganz leer aus. *** Auch die 32. Internationalen Filmfestspiele von Cannes (10.5.–24.5.) sind wieder ein Gipfeltreffen der Filmbranche. Eine Goldene Palme erhalten Francis Ford Coppolas noch unfertiges (!) Antikriegs-Drama „Apocalypse Now" (mit Marlon Brando) sowie Volker Schlöndorffs Günter-Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel" (mit David Bennent und Seite
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Mario Adorf). Als beste Hauptdarsteller werden Jack Lemmon („Das China-Syndrom") und Sally Field („Norma Rae") ausgezeichnet, während Regielegende Terrence Malick für „In der Glut des Südens" prämiert wird. Auch die spätere „Tatort"-Kommissarin Eva Mattes darf sich über eine Trophäe freuen, und zwar als beste Nebendarstellerin in Werner Herzogs „Woyzeck". *** Bei der 29. Berlinale (20.2.–3.3.) kommt es zu einem Eklat. Die sowjetische Delegation findet, dass Michael Ciminos Oscar-prämierter Film „Die durch die Hölle gehen" (der außer Konkurrenz gezeigt wird) das vietnamesische Volk beleidige – weshalb die Russen demonstrativ abreisen und ihre Filme gar nicht zeigen. Ansonsten geht die Berlinale ihren gewohnten Gang. Der Goldene Bär wird für Peter Lilienthals Drama „David" verliehen, in dem das Leben einer jüdischen Familie während des Dritten Reiches beleuchtet wird. Silberne Bären gibt es u.a. für Youssef Chahine („Alexandria … warum?") sowie für Hanna Schygulla, die in Rainer Werner Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun" brilliert. Werner Herzogs Horrorstreifen „Nosferatu – Phantom der Nacht" wird mit einem Preis für die beste Ausstattung bedacht. *** Auch der Blick auf die Lieblingsschauspieler der Jugendlichen lohnt sich. Hierbei sind die Bravo"-Ottos ein guter " Indikator. „Grease"-Darsteller John Travolta und die für Erotik-Klamotten bekannte Olivia Pascal werden mit dem Goldenen Otto belohnt (auf den Plätzen 2 und 3 folgen Bud Spencer und „James Bond"-Darsteller Roger Moore bzw. Nastassja Kinski und Elizabeth Taylor). *** Zum Schluss noch ein kurzer Überblick über die beliebtesten Filme des Jahres 1979 in Deutschland. Hier geht es quer durch die Genres, allerdings mit leichtem Trend zu Komödien und spannenden Streifen. Am beliebtesten sind Louis de Funès’ Schenkelklopfer „Louis’ unheimliche Begegnung mit den Außerirdischen" (5,6 Mio. Zuschauer) und die Bud-SpencerKomödie „Das Krokodil und sein Nilpferd" (5,3 Mio.), gefolgt von „James Bond 007 – Moonraker" (5,3 Mio.), „Superman" (4,1 Mio.), „Die Blechtrommel" (3,9 Mio.), „Apocalypse Now" (3,3 Mio.) und „Zombie" (3,1 Mio.). Mit „Der Große mit seinem außerirdischen Kleinen" (3,1 Mio.) platziert sich Bud Spencer noch ein zweites Mal in den Top 10, und das noch vor dem Jean-Paul-Belmondo-Krimi „Der Windhund" (3 Mio.) und der Drag-Queen-Parodie „Ein Käfig voller Narren" (2,6 Mio.).
Musik
Udo Lindenberg startet am 19.1. in Bremen seine „Rock-Revue '79", mit der „Panik-Udo" anschließend in 15 weiteren deutschen Städten sowie in Zürich auftritt. Alle Konzerte sind nahezu ausverkauft. *** Am 2.2. stirbt Sid Vicious, Bassist der Punk-Ikonen Sex Pistols. Im Oktober des Jahres zuvor war seine Partnerin Nancy Spungen in einem Zimmer im Chelsea Hotel in New York erstochen aufgefunden worden. Vicious, der seinerzeit unter Drogen stand, wurde als mutmaßlicher Täter am Tatort von der Polizei festgenommen. Die damalige Plattenfirma des Rockers, Virgin Records, stellte eine Kaution von 50.000 US-Dollar, so dass Vicious am 1.2. aus dem Gefängnis entlassen wurde. Einen Tag später stirbt er im selben Hotel an einer Überdosis Heroin, das er von seiner Mutter bekommen hatte. Die Aufklärung des Mordfalls bestand im Anschluss nur noch aus reinen Spekulationen, wurde nicht mehr gerichtlich verfolgt und nie aufgeklärt. *** Die US-Rockgruppe Blondie um Sängerin Deborah Harry erobert mit ihrem Song "Heart Of Glass" am 3.2. aus dem Stand die Pole Position der britischen Hitliste und behauptet diesen Rang vier Wochen. Auch die nachfolgende Single "Sunday Girl" katapultiert die Band am 26.5. auf Position 1 und bleibt dort immerhin drei Wochen kleben. "Heart Of Glass" vereinnahmte auch in vielen anderen Nationen – etwa in Deutschland – den 1. Platz. *** RollingStones-Gitarrist Keith Richards absolviert am 22.4. im kanadischen Ottawa ein Konzert zugunsten des Nationalen Blindeninstituts des Landes. Nicht ganz freiwillig: Der Wohltätigkeitsauftritt ist Teil
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eines 1977 gegen ihn ergangenen Gerichtsurteils wegen unerlaubten Drogenbesitzes. *** In London hat am 2.5. der Film Quadrophenia" " Premiere, der die Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Mods und Rockern zu Beginn der 60er Jahre zum Thema hat. Der Soundtrack stammt von der einstigen Mod-Band The Who. *** Am 22.5. gastiert der englische Popsänger Elton John für ein Konzert in Leningrad. Im Anschluss absolviert er als erster westlicher Rockstar eine Solo-Tournee durch die UdSSR. *** In Offenbach beginnt am 23.5. die erste Deutschland-Tournee der britischen Rockgruppe Dire Straits, die durch ihren Hit "Sultans Of Swing" über Nacht bekannt geworden war. Frontmann Mark Knopfler und seine Mitstreiter spielen danach noch in mehreren süddeutschen Städten. Es bleibt nicht die letzte – erfolgreiche – Konzertreise der Band durch hiesige Gefilde. *** Der US-Rockmusiker Frank Zappa dirigiert am 13.6. anlässlich der „Wiener Festwochen" in der Stadthalle die Wiener Symphoniker. Es werden vier Kompositionen des Meisters für klassisches Orchester und Rockensemble aufgeführt. *** Auf dem Rebstock-Gelände in Frankfurt/Main versammeln sich am 16.6. rund 30.000 Jugendliche, um im Rahmen des zweitägigen Musikfestivals Rock gegen " Rechts" gegen ein am selben Ort geplantes „Deutschlandtreffen" der NPD zu demonstrieren. *** Der schiitische Religionsführer im Iran, Ajatollah Chomeini, untersagt am 23.7. die Ausstrahlung von Musik in Radio und Fernsehen und vergleicht deren schädlichen Einfluss auf die Jugend mit der Wirkung des Rauschgifts Opium. Der iranische Rundfunk umgeht am folgenden Tag dieses Verbot, indem er fortan Folklore, Klassik und Revolutionslieder ausstrahlt. *** In den USA gelangt die erste Rap-Single am 16.9. in die Charts, welche kurze Zeit später weltweit in den Hitparaden vertreten ist. Der Titel nennt sich "Rapper’s Delight" und stammt von der Sugarhill Gang. *** Im New Yorker Madison Square Garden beginnt am 19.9. unter dem Titel No Nukes" " ein fünftägiges Rockfestival mit Superstars wie Bruce Springsteen, James Taylor oder Jackson Browne, das sich gegen Kernenergie richtet. *** Mit ihrem Song "Another Brick In The Wall" erobert die britische Rockband Pink Floyd am 15.12. den ersten Platz in den Hitparaden etlicher Länder und behauptet diese Position beinahe überall bis Ende des Jahres. *** Musikalisch gesehen befindet sich das Jahr 1979 fest in der Hand von Pop- und vor allem Disco-Musik. Boney M. landen einen weiteren Nummer-1-Hit mit "El Lute", gleichfalls Patrick Hernandez mit dem Dauerbrenner (bzw. der Eintagsfliege) "Born To Be Alive". Am erfolgreichsten sind allerdings die Village People, die mit "Y.M.C.A." gleich elf Wochen lang die Pole Position innehaben. Nicht vergessen darf man die deutschen Produktionen, die von Erfolg gekrönt sind: Peter Maffay etwa verkauft vom Album STEPPENWOLF mehr als 1,6 Millionen Exemplare, und die von Ralph Siegel produzierte Formation Dschinghis Khan belegt mit dem gleichnamigen Titel vier Wochen lang die Nummer 1 der Single-Hitparade. Und auch Blödellieder wie "Kreuzberger Nächte" von den Gebrüdern Blattschuss oder "LMAA" von Günter Willumeit (eine deutschsprachige Persiflage auf "Y.M.C.A.") werden begeistert mitgegrölt. Für die „erwachsenen" Rockhörer sind die Alben EVE von Alan Parsons Project und nicht zu vergessen BREAKFAST IN AMERICA von Supertramp die ganz großen Abräumer.
Vermischtes
In der Bremer Rolandmühle kommt es am 6.2. infolge eines Kabelbrandes zur größten Staubexplosion durch Mehlstaub in der Geschichte Deutschlands. Die Folge: 14 Tote, 17 Verletzte und ein Schaden in Höhe von umgerechnet 50 Millionen Euro. *** In Genf beginnt am 12.2. die Erste Weltklimakonferenz, die am 23.2. endet. *** In Norddeutschland tobt vom 13. bis 18.2. ein heftiger Schneesturm, weswegen Katastrophenalarm ausgerufen werden muss. *** Am 5.3. fliegt die US-Raumsonde Voyager 1 am Jupiter vorbei. Dabei entstehen viele Fotos dieses Planeten und seiner Monde. *** Um Europas Stellung im internationalen Währungssystem zu verbessern, tritt am 13.3. das Europäische Währungssystem (EWS) in Kraft, das GoodTimes
am 1.1.1999 mit der Einführung des Euro endet. *** In der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, kommt es am 28.3. auf Three Mile Island zum bisher schwersten Zwischenfall in einem Kernkraftwerk. *** Bei einem Erdbeben in Montenegro werden am 15.4. zahlreiche Orte zerstört. Offiziell werden 136 Todesopfer gezählt, aber ca. 100.000 Menschen werden obdachlos. *** Die japanische Firma Sony bringt am 1.7. den ersten Walkman auf den Markt. Eigentlich hat der Deutsche Andreas Pavel schon 1977 ein ähnliches Gerät patentieren lassen – was von Sony aber erst 2004 anerkannt wird. *** Am 11.7. verglüht die Raumstation Skylab in der Atmosphäre. 1973/74 arbeiteten drei Besatzungen mit jeweils drei Mann an Bord der Skylab, anschließend kreiste sie unbemannt um die Erde. *** Am 19.7. kommt es vor der Karibikinsel Tobago aufgrund eines Sturmes zum bis dato schwersten Tankerunglück aller Zeiten. *** In der Nähe der indischen Stadt Morvi bricht am 11.8. nach schweren Regenfällen die Machhu-II-Talsperre. Etwa 2500 Menschen sterben. *** Der Hurrikan David" tötet ab dem 29.8. ca. 2000 " Menschen in der Dominikanischen Republik, auf Dominica und den Bahamas. *** In Hamburg kommt es am 6.9. zu einer Explosion, als Kinder mit Chemikalien experimentieren, die sie auf dem Gelände der Chemischen Fabrik Stoltzenberg gefunden haben. Ein Kind stirbt, zwei weitere werden verletzt. Die Firma muss kurz darauf schließen, da auf dem Gelände 75 Tonnen giftiges Material entdeckt werden, wobei herauskommt, dass die Behörden das Unternehmen nie richtig kontrolliert haben (zweiter Stoltzenberg-Skandal). *** „Nur weg von hier!", denken sich zwei Familien, die am 16.9. mit einem selbst gebauten Heißluftballon aus der DDR in die BRD flüchten. *** Der Physiker Stephen Hawking übernimmt ab 1.10. den Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Cambridge. Erst 30 Jahre später zieht sich Hawking aus dem Lehrbetrieb zurück. *** Mutter Teresa erhält am 17.10. den Friedensnobelpreis – als Anerkennung für ihre Arbeit mit Armen, Obdachlosen, Kranken und Sterbenden. *** Ab 13.11. erscheint die britische Tageszeitung The Times" wieder regelmäßig. " Zuvor hatten die Angestellten mehr als elf Monate gestreikt – Auslöser waren geplante Stellenstreichungen infolge der Modernisierung der Druckerei. *** Eckart Witzigmanns Aubergine" am Münchner Maximiliansplatz " erhält im „Guide Michelin" als erstes deutsches Restaurant drei Sterne (19.11.). *** Am 20.11. eröffnet Österreichs Bundespräsident Rudolf Kirchschläger das Islamische Zentrum Wien. Die erste österreichische Moschee wurde von Bauunternehmer Richard Lugner im Mutter Teresa Auftrag des saudi-arabischen Königs erbaut. *** Eine Scrabble-Partie ist der Auslöser dafür, dass zwei Kanadier am 15.12. die Idee für ein neues Brettspiel haben. Dieses ist ab 1981 erhältlich, trägt den Namen Trivial Pursuit und verkauft sich über 90 Millionen Mal. *** Geburten-Mix 1979: Politiker Christian Lindner (7.1.), Moderator Joko Winterscheidt (13.1.), Rockmusiker Pete Doherty (12.3.), Fußballschiedsrichterin Bibiana Steinhaus (24.3.), Sängerin Norah Jones (30.3.), Gitarrist Derek Trucks (8.6.), Billardprofi Thorsten Hohmann (14.7.), Eiskunstläufer Robin Szolkowy (14.7.), Skilangläufer Axel Teichmann (14.7.), Volksmusik-Star Stefanie Hertel (25.7.), Sängerin Pink (8.9.), Kabarettist Florian Schroeder (12.9.), Formel-1Rennfahrer Kimi Räikkönen (17.10.), Schauspielerin Katharina Schüttler (20.10.), Regisseur Barry Jenkins (19.11.), Sängerin/Schauspielerin Yvonne Catterfeld (2.12.), Sängerin Maite Kelly (4.12.) *** Verstorben 1979: Showmaster Peter Frankenfeld (4.1., 65 Jahre), Jazzmusiker Charles Mingus (5.1., 56 Jahre), Soulsänger Donny Hathaway (13.1., 33 Jahre), Politiker Nelson Rockefeller (26.1., 70 Jahre), Punkrocker Sid Vicious (2.2., 21 Jahre), Komponist Nino Rota (10.4., 67 Jahre), Autor/ Übersetzer Arno Schmidt (3.6., 65 Jahre), Komiker Heinz Erhardt (5.6., 70 Jahre), Schauspieler John Wayne (11.6., 72 Jahre), Rockmusiker Lowell George (29.6., 34 Jahre), Komponistin Nadia Boulanger (22.10., 92 Jahre), Politiker Carlo Schmid (11.12., 83 Jahre), Kunstmäzenin/ Galeristin Peggy Guggenheim (23.12., 81 Jahre), Studentenführer Rudi Dutschke (24.12., 39 Jahre), Musical-Komponist Richard Rodgers (30.12., 77 Jahre). 2/2019
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Am Anfang steht „ „Lucky Luke (Juli 1967), „ am Ende „Die Schlümpfe (Mai 1970)
Von Horst Berner
Die sagenhafte Auswahlreihe mit den besten Bildstorys unserer Zeit
Zwischen Juli 1967 und Mai 1970 brachte die in der Schweiz ansässige Gevacur Verlagsanstalt die Reihe Fix und Foxi " Super Tip Top" heraus, in der Monat für Monat Ausgewählte " Geschichten von Rolf Kauka" angepriesen wurden. Die 35 veröffentlichten Titel lieferten ein Best-Of-Programm damaliger Comics, die den Nerv der jungen Leserschaft trafen. Selbst heute noch werden die Hefte in Sammlerkreisen geschätzt und für ein Vielfaches des einstigen Preises gehandelt – echte Nostalgieware mit Kult-Charakter …
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ommer 1967, die beiden Sender ARD und ZDF standen kurz vor dem Start ins Zeitalter des Farbfernsehens. Beliebte Sendungen bei Teens und Twens waren „Mit Schirm, Charme und Melone", „Solo für O.N.C.E.L." und natürlich „Beat-Club". Humoriges gab's in „Als die Bilder laufen lernten" oder „Opas Kino lebt", nämlich Klamotten aus der Stummfilmzeit, in deren Mittelpunkt nicht selten die hierzulande als „Dick und Doof" bekannt gewordenen Stan Laurel und Oliver Hardy standen.
Nr. 6, Dezember 1967,
Sci-Fi-T V-Serie als Fotocomic
Witzig, und schon immer bunt, ging es auch in den Comics zu, die zum Kauf am Kiosk auslagen. Eine Heftreihe, die selbst in unseren Tagen ihren Charme nicht verloren hat, klügelte „Fix und Foxi"-Verleger Rolf Kauka (1917–2000) und seine in Grünwald bei München amtierende Redaktion für die Leserschaft der jungen Erwachsenen aus: „Super Tip Top". Entsprossen war sie dem 90 Pfennig teuren, 32-seitigen Wochenblatt „Tip Top", das in der Nachfolge von „Lupo modern" (s. kult! Nr. 2) zwischen August 1966 und Juni 1967 mit 47 Ausgaben veröffentlicht wurde. Serien, die zum Inhalt von „Tip Top" gehört hatSeite
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ten – seien es hauseigene Kreationen wie „Fritze Blitz und Dunnerkiel", „Die Pichelsteiner", „Raumschiff Orion" oder diverses Lizenzmaterial aus der belgischen Zeitschrift „Spirou" wie „Lucky Luke", „Schnieff und Schnuff" (im Original: „Boule & Bill"), „Pit und Pikkolo" („Spirou & Fantasio"), „Old Nick" („Le vieux Nick et Barbe-Noire") und „Kouki" („Jean Valhardi") –, wurden nun in „Super Tip Top" weitergeführt. Kleiner, aber feiner Unterschied war jetzt aber, dass die Geschichten nicht länger in Folgen, sondern als abgeschlossener Lesestoff abgedruckt wurden. Damit erhielt das Heft annähernd den Charakter eines Albums, wenngleich dieses Format in jenen Tagen noch nicht etabliert war. Das vorangestellte Adjektiv „super" war allemal dem Zeitgeist geschuldet; ein Motiv dürften die grandiosen Leistungen von Titelparade der bis Januar 1969 „Superman" gewesen sein, erschienenen Bände der seit September 1966 beim Konkurrenzverlag Ehapa im Dienst für eine bessere Welt auf der Erfolgswelle schwebte. Mit der Nummer 22 und dem realistisch gezeichneten Krimi „Heißes Blei lässt Kouki kalt" von Jijé (1914–1980) – sein Sohn Philip (*1943) hatte die Story beigesteuert – wurde das „Tip Top" auf dem Cover gestrichen; fortan hieß es nur noch „Fix und Foxi Super" oder kurz „FF Super". Entsprechend verändert las sich dann auch der Werbetext, der die Reihe fortan als
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uns die Sintflut", „Immer feste druff" und „Auf sie mit Gebrüll". In den Hauptrollen agierten Archibald, der Stammvater der Sippe, und dessen vier Enkel: der epochale Erfinder Flint, die bärenstarken Zwillinge Theolith und Neolith und Petra, „die hübscheste Steinzeitblume diesseits und jenseits des Waldes". Einiges in Sachen Dramaturgie und Zeichnung erinnerte dabei an „Asterix", dessen überragender Erfolg sich im Zeitraum 1967 bis 1970 auch in Deutschland abzuzeichnen begann. Nr. 22, 26 und 27: „Kouki „,„Pit und Pikkolo„ und „Lucky Luke „ (1969) Noch deutlicher trat die Nähe zur galli„super-lustig", „super-spannend" und „super-neu" empfahl. Super schen Widerstandssaga jedoch in der Serie mutete in jedem Fall der DM-Preis an: anfangs 1,50 und später 1,80. „Fritze Blitz und Dunnerkiel" zutage. Fünf Die Gegenleistung war freilich ein 52-Seiten-Schmöker mit hohem Bände berichteten über die an den Ufern des Vergnügungsfaktor, der ab Nummer 26, „Das Riesenbaby" aus der Rheins gelegene kleine gotische Fliehburg Serie „Pit und Pikkolo" vom Brüsseler Starzeichner André Franquin Bonhalla, deren Bewohner – und besonders (1924–1997), einen kartonierten Einband bekam und sich deswegen die beiden Siggi und Babarras gerufenen die Auszeichnung „FF-Super-Buch" verdiente. Titelhelden – sich gegen die Besatzer aus allen Himmelsrichtungen Absoluter Favorit in der wehrten. Als ungebeteGunst von Redaktion ne Gäste vermöbelten sie und Leserschaft war geradeso die von Cäsar bereits vor einem entsandten „Capitolisten" halben Jahrhundert aus Rom wie die von „Lucky Luke", der Hulberick befehligten adrette Cowboy aus Ostgermanen und die der Feder von Texter Gallier unter General Charli René Goscinny (1926– V. Im Grunde verstanden 1977) und Zeichner sich die von Branko „Kara" Morris (1923–2001), Karabajié (1925–2003) und dessen fidele WildRinaldi illustrierten Seiten West-Balladen in als Parodie auf die damalizehn Bänden aufge politische Sachlage, der geleg t w urden. eingeschlagene Ton folgte Überhaupt kamen zwei indessen einem erzkonservativen Denkschema. Drittel des herausgegebenen Materials aus dem Fundus des Als Blutsbruder von Siggi und Babarras wurde Verlags Dupuis und damit vom Comic-Magazin „Spirou". „Old schließlich in der Nummer 20 auch noch der Nick", gelassener Seemann und ewiger Widersacher des tollrömische Centurio Hermann Teutonus patschigen Seeräubers („Tribunzio") vorgestellt. „Bloody Schwarzbart, trug Mary", wie die Story hieß, wurde mit fünf stürmischen vom italienischen Comic-Künstler Abenteuern dazu bei, Leone Cimpellin (1926–2017) zu Papier dass dessen geistiger gebracht, dessen Stil ebenfalls stark vom Vater Marcel Remacle Artwork des „Asterix"-Zeichners Albert (1926–1999) auch hierUderzo (*1927) beeinflusst war. Weitaus zulande zu einer festen poetischer präsentierte sich da Band Größe unter den vielen 29, „Alle lieben Pauli", in dem Karas hochbegabten Comicwohl berühmteste Figur, sein kleiner Künstlern aus Belgien Maulwurf, einen großen Auftritt hat. werden konnte. Völlig neu für das hiesige „Comic-Strips von Rolf Kauka zähPublikum war dagegen „Wollt ihr den totalen Krieg? „, oder wenn’s in den len wegen ihrer hohen künstlerischen das Detektivgespann Sprechblasen zu bunt getrieben wird. Qualität zu den besten eines neuen und immer beliebter werdenden „Gin und Fizz" („Tif et Tondue"), die mit zwei von Maurice Rosy Literaturzweigs", schrieb die Gevacur Verlagsanstalt für moderne (1927–2013) getexteten, von Will (1927–2000) gezeichneten Episoden Literatur im Vorwort zur vierten Ausgabe von „Fix und Foxi Super und unkonventionellen Fällen auf sich aufmerksam machten. Allen Tip Top". Und weiter hieß es: „Lange bevor Amerika die Bildstreifen genannten Serien ist zueigen, dass sie – genauso wie die von Peyo für sich entdeckte, gab es in Deutschland Wilhelm Busch. Seine (1928–1992) geschaffenen „Schlümpfe" („Les Schtroumpf"), die gezeichneten Erzählungen sind unvergängliches Kulturgut, denn als Hauptdarsteller durch den letzten (35.) Band vom Mai 1970 sie haben Niveau. Daran anknüpfend hat sich Rolf Kauka die besten schwärmten oder besser gesagt „schlumpften" – bis heute am einheiZeichner gesucht." mischen Comic-Markt zu haben sind. Freilich in neuen, verbesserten Editionen und bei anderen Verlagen: Egmont Ehapa, Carlsen, Salleck Die Idee der Präsentation ausgewählter Comics stieß bei der Leserschaft Publications, Splitter. tatsächlich auf so viel positive Resonanz, dass an ihr bis ins Jahr 1977 festgehalten wurde. Die Titel der Nummern 36 bis 93 erschienen Nahezu in Vergessenheit geraten sind „Die Pichelsteiner" von Kaukaallerdings im neuen Format des Taschenbuchs. Eine Besonderheit, die Zeichner Riccardo Rinaldi (1945–2006), eine überdrehte, in der lohnt, näher betrachtet zu werden. (Fortsetzung folgt …) Steinzeit spielende Bildgeschichte, die es auf drei Titel brachte: „Nach GoodTimes
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Piraten Von Malte Ristau
T ollkuhne Abenteuer auf allen Meeren eitgenossen bezeichneten sie als Fluch der Meere; später wur den sie in Medien aller Art verklärt. Die Vorstellung von Piraten wird heute gemeinhin von Bildern aus farbenprächtigen Kinofilmen geprägt. Beispielhaft ist eine akrobatische Szene aus dem Streifen „Der schwarze Pirat": Um möglichst schnell aus der Takelage auf das Schiffsdeck zu kommen, steckt der Held seinen Dolch in das Segeltuch und gleitet so rasch an dem Schnitt nach unten. Überhaupt waren die Segels chif fe das wichtigs te Requisit im Zusammenhang der Darstellung ihrer Abenteuer. Kenntlich wurden sie in Filmen und Comics, auf Sammelbildern oder Buchdeckeln anhand blutroter Segel oder erschreckender Totenköpfe. Diese Symbole signalisierten auf Anhieb span nende Abenteuer. Seit einigen Jahren personifiziert Johnny Depp das alte Piratentum auf unnachahmliche Art und mit spezieller Note.
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chon die Eltern der Babyboomer hatten Piratengeschichten geschätzt. Diese Generation hatte ihren Zugang jedoch selten über amerikanische Filme gewonnen, die ihnen in der Nazi-Zeit verwehrt waren und die sie erst, wenn überhaupt, in den 50er Jahren sahen.
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Stattdessen hatten sie Piraten hauptsächlich über Bücher in- und ausländischer Autoren von Stevenson über Maryatt bis Salgari kennen gelernt. Auch mit anderen Stoffen bekannt gewordene Schriftsteller wie James Fenimore Cooper oder Karl May hatten sich dem Genre ertrag reich gewidmet.Ihre Romane „Der Rote Freibeuter" und „Kapitän Kaiman" erreich ten über Jahrzehnte respektable Auflagen und waren noch in den 60er Jahren weit verbreitet. In der Realität waren die Deutschen mit der Spezies Piraten nur im späten Mittelalter direkt konfrontiert wor den. Historiker haben nach mühseliger Recherche rund 1000 Namen von Männern herausgefunden, die um 1400 als „Likedeeler" in der Nord- und Ostsee aktiv waren. So nannten sich diese Seeräuber selbst und kennzeichneten damit ihre Praxis, die Beute gleichmäßig aufzuteilen. von ihnen war Klaus Störtebeker, der einige Jahre, teils im Einer Verbund mit Fürsten, die Handelsgeschäfte der Hansestädte störte. Im Jahr 1402 wurde er gefasst und in Hamburg mit etwa 70 Kumpanen spektakulär hingerichtet. Ohne Kopf soll der Piratenchef an seinen Mitstreitern entlanggelaufen sein, um sie vor der Hinrichtung zu bewahren. Von da an spann jede Generation die Legenden weiter. In Hamburg erinnert heute ein Denkmal an ihn und im Museum
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ein Schädel, der angeblich sei ner ist. An die 500 literarische Bearbeitungen des Stoffes soll es mittlerweile geben. In der Überlieferung geriet Störtebeker zu einer Art Robin Hood, der eine besondere Form der sozi alen Umverteilung betrieb. Während er in Westdeutschland in Vergessenheit geriet, verhalf ihm diese Sicht in der DDR zu fortge Ein Schädel und ein rekonstruierter setzter Popularität. Ein bekannter Kopf, angeblich von Störtebeker, im Geschichtsmuseum Hamburg. Autor, Willi Bredel, veröffentlichte 1950 ein vielgelesenes Jugendbuch, und die Freilichtbühne Ralswiek auf Rügen führte ab 1959 Störtebeker gewidmete Stücke auf, die der Vorzeige-Parteidichter Kurt Barthel geschrieben hatte. Nach der Wende fanden die Ralswieker Aufführungen ein gesamtdeutsches Publikum.
Seeräubern attackiert. Sie nähern sich auf kleinen Booten, die das Radar nur schwer erfasst, entern und überwältigen die überraschten Besatzungen. Dann verschwinden sie wieder in Rückzugsorte an der afrikanischen Küste oder in der Inselwelt des Malaiischen Archipels. der frühen Neuzeit plagten unter der Flagge mit weißem I nTotenkopf und gekreuzten Knochen auf schwarzem Grund, dem
Jolly Rodger, Tausende sozial Entwurzelter die Seefahrt. Die Mehrzahl hatte zuvor als Matrose auf Handelsschiffen oder auf Kriegsschiffen das Handwerk gelernt. Wie der größte Teil der Seeleute überhaupt waren es jüngere Männer zwischen 20 und maximal 30 Jahren. Ihre Lebenserwartung war kurz und ihr Alltag außerordentlich fordernd. Die Mannschaft wählte den Kapitän und konnte ihn jederzeit absetzen. Dieses Verfahren kennen sicher die meisten Leser aus dem mehrfach wiederholten ZDF-Vierteiler „Schatzinsel", der in der Karibik spielt. Infolge spezieller Winde und Meeresströmungen führte der koloniale Transatlantikverkehr durch die unübersichtlichen Gewässer zwischen den Bahamas, Jamaika und Haiti. Kleine Meerengen, unbewohnte Inseln und versteckte Lagunen sorgten für Rückzugsmöglichkeiten. iraten gab es auf allen Meeren und zu allen Zeiten. Die Nassau und Tortuga vor allem bildeten die Operationsbasis, wo sich Bezeichnung ist griechischen Ursprungs, „peirates", und sie Piraten zu Verbänden mit bedeutet schlicht „Abenteuer". Freilichtspiele zu Störtebeker in Ralswiek, großen Flotten zusam Schon vor 3000 Jahren wur Sommer 2014 menschlossen. Sie mach den Piraten in griechischen ten Jagd auf Konvois Mythen erwähnt, und das von Handelsschiffen oder Gewerbe blühte in der gesam Goldtransporten und ten Antike. Die Römer konnten brandschatzten auch grö ihrer selbst auf der Höhe ihrer ßere Hafenstädte. Macht nur mit Mühe Herr werden. Der herkömmliche Pirat war ein Verbrecher und wurde zu allen Zeiten umstandslos hinge ie Namen einiger Piraten chefs ins richtet, so man seiner habhaft werden konnte. Ein besonderer Pirat war besondere aus dem Goldenen der Freibeuter, für den andere Regeln galten. Er betrieb die Räuberei Zeitalter sind ins kollektive Gedächtnis Edward Teach erschreckte im Auftrag seines Königs und wechselte bei Bedarf in die Legalität. eingegangen. Gemeint sind Sam Bellamy mit struppigem Bart und Der berühmtes te Freibeuter, und Edward Teach, genannt Blackbeard, martialischem Auftreten. Nachgebaute Kogge (Ralswiek 2014) Francis Drake, bereicherte den Francois Lolonnais, William Kidd oder Jack Rackham. Letzterer spielt englischen Staatsschatz unge in einem bekannten „Tim und Struppi"-Comic eine wichtige Rolle. mein, indem er Schiffe überfiel, Bartholomew Roberts soll mehr als 400 Schiffe gekapert haben, und die aus Amerika Edelmetalle der vornehme Stede Bonnet war der wohl nach Spanien bringen sollten. einzige Seeräuber, der je ein Schiff auf Für solche Verdienste wurde normalem Wege gekauft hat. Sie alle haben er von Königin Elisabeth I. mit ihrem Aussehen und ihren Eigenheiten zum Ritter geschlagen. Im die Drehbücher von Kinofilmen beeinflusst. Film „Elisabeth – Das goldene Auch die Namen einiger Frauen sind übri Königreich" von 2007 mit Cate Blanchett in der Titelrolle beschwert gens dokumentiert, vor allem die von Anne sich der spanische König bitter, aber ergebnislos über die englischen Bonney und Mary Read. Die Karrieren Freibeuter. Eine Nachbildung von Drakes Schiff „Golden Hind" kön der prominenten Piraten endeten zumeist nen Touristen seit langem am schon nach zwei Südufer der Londoner Themse oder drei Jahren besichtigen. Als Korsaren durch Hinrichtung. schließlich wurden ursprüng Ihre Körper wurden lich nur die Piraten osmani zur Abschreckung scher oder arabischer Herkunft öffentlich und gut Jean Peters verkörperte im Mittelmeer bezeichnet. sichtbar ausgestellt. die Piratenkönigin im Eine Ausnahme bilde gleichnamigen Film 1951. te Henry Morgan, der ie Hoch-Zeit der Piraterie 1688 auf seinem Anwesen auf setzte um 1650 ein und Jamaika als englischer Vizefand ihren Höhepunkt in der Gouverneur starb und ein Karibik ab 1690. Man ist ver Staatsbegräbnis erhielt. sucht, aus der Perspektive Europas von einer Art Wilder Westen eigener Art zu spre oher stammt das Wissen Zwischen den amerikanischen Halbkontinenten lagen die chen. Die meisten späteren karibischen Inseln, wo Piraten den spanischen Kauffahrern über die Piraten? Zwei Piratengeschichten spielen als einigermaßen verlässlich und Schatzschiffen auflauerten. dort. Das Unwesen ging ziemlich abrupt um 1730 zu Ende, als geltende Darstellungen der zeitgenössischen die erstarkte Seemacht England tatkräftig für Ordnung sorgte. Piraterie erschienen 1678 bzw. 1742. Aus die William Kidd, Gleichwohl ist damals die Seeräuberei nicht überall ausgestorben. sen Büchern wurden viele Informationen und hingerichtet 1701 Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts agierten Korsaren von Nordafrika Interpretationen bezogen. Manches erschließt sich aus Gerichtsakten, aus, und den westlichen Pazifik machten malaiische sowie chinesi Chroniken oder Tagebüchern. In den letzten 30 Jahren haben außer sche Piraten unsicher. In manchen Weltgegenden, das erfährt man dem Wissenschaftler außerordentliche Überreste zu Tage gefördert. gelegentlich aus den Nachrichten, werden bis heute Schiffe von Das Wrack von Blackbeards Flaggschiff haben Unterwasserarchäologen
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1996 vor der Küste von North Carolina gefunden. Bellamys gefürch tete „Whydah", gleichfalls 1718 gesunken, war schon 1984 vor der amerikanischen Ostküste auf der Höhe von Cape Cod aufgestöbert worden. Etwa 100.000 Einzelteile dieses Schiffes, darunter Kanonen, Goldbarren und Werkzeug, wurden danach geborgen. Ende der 1990er Jahre schließlich entdeckten Forscher vor der Küste Madagaskars ein Wrack, das als William Kidds Schiff identifiziert wurde. haben im Laufe der DieZeitSeeräuber über Bilder, Theaterstücke und Bücher eine romantische Aura verliehen bekommen, die sie seinerzeit nicht hat ten und auch nicht verdienten. Mit der Abnahme der Bedrohung wandelte sich ihr Bild. Aus gewöhnlichen Räubern und Gewalttätern wurden verklärte Gesetzlose. Im 19. Jahrhundert wurde diese Vorstellung kräftig ausgeschmückt durch Schriftsteller wie Daniel Defoe und Scott, Cooper oder eben Stevenson, dessen Geschichte über Comic-Version von einen besonderen Koch, eine reizvolle Daniel Defoe, 60er Jahre Schatzkarte und den Schoner „Hispaniola" das Bild nachhaltig prägt. Viele liebgewordene Mythen freilich halten einer Überprüfung nicht stand. Dazu gehört die Schatzkarte aus Stevensons Roman „Die Schatzinsel" von 1881, die im genannten ZDF-Mehrteiler exakt so verwendet wurde, wie sie der Autor gezeichnet und seinem berühmten Buch beigegeben hatte. Sie ist in die Vorstellungswelt vieler Deutscher dauerhaft eingegan gen, nichtsdestotrotz aber ohne historischen Beleg. Die typische Beute bestand im Übrigen nicht aus Kisten vol ler Gold, sondern umfasste Ballen aus Seide, Tabak oder Sklaven und wurde in Häfen verkauft, wo sich niemand um die Herkunft kümmerte. allermeisten Piraten verprassten den Ertrag dann Dielieber im nächstbesten Hafen, als dass sie ihn auf
in voller Fahrt, mit Seeschlachten und Degenkämpfen, Entführungen und Befreiungen, Rivalitäten, Intrigen und Loyalitäten sowie immer wieder romantischer Liebe. Die älteren Klassiker des Genres konnten in Deutschland erst verspätet und ab den sechzigern dann im kleinen TV-Format genossen werden. Im Mittelpunkt standen in diesen Filmen Persönlichkeiten, die durch biografische Verwerfungen, durch widrige Umstände zu Piratenchefs geworden waren. Sie zeichneten sich aber durch Edelmut aus und befanden sich zum Schluss irgendwie auf der Seite des Guten. Die gelungenen unter den hunderten Filmen, viel leicht ein Dutzend, boten überzeugende Kombinationen von Schauund Moralwerten. mit stimulierenden Titeln wie „Unter schwarzer Flagge", Sie„Dielockten Piratenkönigin" oder „Der Herr der sieben Meere" und waren im Grunde Märchen der besonderen Art. Letzterer stellte einen Sieg eng lischer Korsaren in letzter Minute gegen die übermächtigen Spanier dar. Im Jahr seines Erscheinens, 1940, erfüllte er eine politische Funktion in England, das sich im Abwehrkampf gegen die Nazis befand. Angeblich erkor ihn deshalb Winston Churchill zu seinem Lieblingsfilm. Die meisten Filme jener Phase stammten aus der Traumfabrik Hollywood, einige noch aus England. In allen Fällen durchwehte die Meisterwerke unter den Filmen jedenfalls der Hauch von grenzenloser Freiheit in fer nen Traumwelten und Traumzeiten. Dafür hatten berühmte Regisseure wie Cecil B. DeMille oder Alfred Hitchcock gesorgt. Der Farbfilm brach te die spezifische Buntheit zum Ausdruck, von Piratenkleidung und Palmenküsten, von kari bischen Häfen und ihren Tavernen. Später ent wickelte sich dann ana log zu den Western ein Subgenre von schmut zigen und zynischen Filmen. In verschie denen europäischen Ländern versuchten sich Filmgesellschaften in den sechzigern an in B-Produktionen, denen Schauspieler wie Christopher Lee oder Lex Barker die Johnny Depp personifiziert als Hauptrollen ausfüllten.
einer einsamen Insel verbuddelten. Auch die angebliche Praxis, Gefangene „über die Planke gehen zu lassen", mit Vorliebe praktiziert beispielsweise von Kapitän Hook in dem Disney-Film „Peter Pan", ist wohl irreführende Fiktion. Bunte Kopftücher freilich haben viele Piraten in der Tat getragen, und Entermesser waren ihre bevor Captain Sparrow seit 2003 das Piratentum. zugten Waffen. Auch Holzbeine und Papageien waren auf den Piratenschiffen häufig anzutreffen. Eingängig in der ZDFher als der Western, und zum Teil durch die Konkurrenz mit ihm Version der „Schatzinsel" waren die Piratenlieder, vor allem mit bedingt, trat der Piratenfilm aus Hollywood im Verlauf der 60er dem nachdrücklichen Refrain „auf des toten Manns Kiste". Was sich Jahre in den Hintergrund. Immer wieder allerdings gab es überra aus alter Zeit an originalem Liedgut erhalten hat, rund 800 Stücke, schende Wiederbelebungen mit neuen Akzenten, darunter Musicals wurde von dem Jazz- und Rock-Produzenten Hal Willner gemeinsam und Zeichentrickfilme. Gedreht wurden Gespenstergeschichten, mit Johnny Depp gesichtet. Ausgestattet mit einer Empfehlung des Horrorfilme und hübsche Parodien, die allesamt Schicksale von Magazins „Rolling Stone", erschienen 2006 auf einer Doppel-CD 43 und mit Piraten darstellten. Zwei anderweitig berühmt geworde Songs. Mit dabei sind Aufnahmen von Nick Cave, Bryan Ferry, Lou ne Regisseure versuchten sich in den 80er Jahren mit Filmen, in Reed und Sting. denen ebenfalls prominente Schauspieler in Spielzeugfiguren von Heimo, ihnen bislang unbekannte Rollen schlüpf die 1961 bis 1976 verkauft wurden. ten. Roman Polanski drehte 1986 eine iro eit 90 Jahren sind es nisch gebrochene Hommage („Piraten") mit immer wieder erfolg Walter Matthau, der einen Seeräuber spielte, reiche Kinofilme, die das der trotz seines Holzbeines überall dort Piratentum populär halten. auftauchte, wo er Beute witterte. Steven Schauspieler von Douglas Spielberg besetzte 1991 die Stars Dustin Fairbanks über Errol Flynn Hoffman, Robin Williams und Julia Roberts bis Yul Brynner oder Burt in einer Fortführung des alten Stoffes um Lancaster sowie in jünge „Peter Pan" und die Traumwelt Neverland. rer Zeit Dustin Hoffman Und dann erschien unerwartet Captain gaben fiktiven wie realen Sparrow auf der Leinwand: Der irrlichternde Großpiraten markante Johnny Depp sorgt seit 2003 mit ande Gesichter. Von Beginn an ren Stars für Generationen übergreifende war der beeindruckends Begeisterung mit mittlerweile fünf Filmen te Augenblick immer der, unter dem Motto „Fluch der Karibik". wenn die tollkühnen Immer schon hatte es in den Piratenfilmen Piraten beim Entern an langen Seilen durch die Lüfte komödiantische und fantastische Elemente flogen. Gezeigt wurden große Momente mit Segelschiffen
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gegeben. Diese Aspekte wurden nun auf die Spitze getrieben, ohne dass andere charakteristische Ingredienzen aufgegeben wurden. Die Disney-Studios hatten ein weiteres Mal Vortreffliches geleistet.
entsprechend zu ergänzen. Hörspiele insbesondere zur „Schatzinsel" gab es in den 60er und 70er Jahren zuerst auf Schallplatten, dann auf den zeittypischen Hörkassetten zu kaufen.
die Kinofilme setzten starke Medium der Babyboomer, den Comics, finden sich I nsbesondere I mseiteigentlichen Anreize zum Nachspielen. In Amerika, Ende der 50er Jahre immer wieder interessante Einzelhefte England oder Frankreich bestück oder ganze Serien. Besonders hervorzuheben ten Hersteller von Spielzeug wesent sind dabei neben einigen Exemplaren in der lich stärker als in Deutschland Reihe der „Illustrierten Klassiker" nach lite ihre Sortimente mit passenden rarischen Vorlagen zum einen „Schwarzbart" Angeboten. Das mag daran lie sowie zum anderen „Der Rote Korsar". Beide gen, dass Deutschland historisch Serien waren Ende der 50er Jahre im ComicLand Belgien entstanden. Eine Übersetzung gesehen, ohne Ambitionen auf den Meeren, wenig mit Piraten ver des lustigen „Funny"-Comics rund um die band. Ungeachtet dessen waren Hauptfigur Schwarzbart debütierte 1966 in hierzulande in den Spielwelten „Lupo modern" aus dem Kauka-Verlag und Piratenmotive zum Beispiel mit Brettblieb dort bzw. zeitweise bei Bastei bis 1991 im Programm. Anfang der Wundertüten der Firma oder Kartenspielen aber immer wieder 70er folgte der zweite bekannte Piraten-Comic aus dem Nachbarland in Koho enthielten 1961 Piratenfiguren. vertreten. Bei der Zeitschrift „Zack". Es geht darin um den „Roten Der Autor mit dem vom Vater gefertigten Karnevalskostümen für Kinder ist das Piratenschiff inmitten seiner Spielwelt (1961). Korsaren", seinen Sohn Genre kontinuierlich durch Kopftücher, Rick und die Sidekicks Augenklappen und Gummisäbel kennt Baba sowie Dreifuß. lich. Westdeutsche Hersteller von In einem noch erfolg Spielzeugfiguren, Merten und Heimo, Tim reicheren Kult-Comic, Mee, Heinerle und Koho hatten zwischen „Asterix", wurden diese Gestalten früh und lustig 1955 und 1975 einiges im Angebot. Nicht persifliert. Ihr Schiff wird nur Figuren gab es, sondern auch ange bei jeder Begegnung messenes Zubehör, also Schiffe, Kanonen mit den Galliern als oder Flaggen. Auf besonderes Interesse Running Gag versenkt. stießen um 1960 die Schatzkisten von Tim Im Original mit schließ Mee mit eingepresstem Totenkopf auf dem lich mehreren Dutzend Deckel. Auf der Rückseite farbenpräch Alben, ab 1985 bei Carlsen tig bedruckter Wundertüten von Koho und seit 1998 in einer auf war über „tollkühne Abenteuer verwe wendigen Sammlerausgabe von Ehapa publi gener Piraten" zu lesen. In der DDR mussten die Kinder auf solches ziert, obsiegen selbstverständlich am Ende stets genauso verzichten wie auf die Kinofilme – es sei denn, sie guckten der Rote Korsar und seine Gefährten. Westfernsehen. Alles in allem konn te jedenfalls der in Recklinghausen aufgewachsene Autor Anfang der ie Begeisterung für Piraten wurde in 1960er Jahre nach und nach eine den 70er und 80er Jahren nicht zuletzt ansehnliche Mannschaft für ein über Kinderbücher in Familien von einer vom Vater gefertigtes Piratenschiff Generation zur ande rekrutieren. ren weitergegeben. Damit gemeint sind nicht nur Sachbücher, von denen diverse erschie nen sind, etwa im Rahmen von „Was ist usätzliche Anregungen gab was". Die Rede ist vielmehr von erzählenden etwa eine Serie von Sammel Büchern, in denen Piraten vorkommen. Die bildern, mit denen der WS-Verlag Liste bekannter Titel reicht von Lindgrens Kinder insbesondere im Ruhrgebiet „Pippi Langstrumpf" über Waechters „Wir erfreute. Die 95 Sammelbilder des können noch viel zusammen machen" bis zu „Roten Seeteufels" erzählten Anfang Boies „Der kleine Pirat", um nur drei Beispiele der 60er Jahre Abenteuer im karibi zu nennen. Ab Mitte der 70er Jahre stellte schen Raum des 17. Jahrhunderts. Playmobil für eine neue Generation von Kindern ein formidables Das ZDF präsentierte 1966 im Sammelbild aus dem WS-Verlag Piratenschiff bereit, das sich nun in diversen Variationen schon über aus der Serie Der Rote " vier Jahrzehnte in Spielwarengeschäften ebenso gut verkauft wie auf Seeteufel" (1960er Jahre). Flohmärkten. Selbstverständlich sind die dazugehörigen Figuren und Rahmen seines Formates von Ausrüstungen so gestaltet, wie es die in Filmen, Comics und Büchern jährlichen Abenteuer-Vierteilern gesetzten Maßstäbe verlangen. zu Weihnachten, wie gesagt, „Die Schatzinsel" von Stevenson. In der Hauptrolle des Jim Hawkins nd auf den Zuschauerbänken der überzeugte der junge Michael Freilichtbühne Ralswiek verfolgen nach Ande. Die ARD zog wenig später wie vor wie bei den Karl-May-Spielen in Bad mit einer aus England impor Segeberg oder Elspe in jedem Sommer drei tierten Serie nach. Als „Pirat Generationen gespannt die Abenteuer von der Königin" tauchte 1967/68 Klaus Störtebeker. So ist das Piratentum nicht Francis Drake sonntags in vielen nur über Johnny Depp präsent, wenn auch in Folgen in der Flimmerkiste auf. kleineren Dosen als früher. Die Faszination Dies veranlasste wiederum den ergibt sich weiterhin aus der spezifischen Engelbert-Verlag, seine populäre Mischung aus Freiheit, Exotik und verwege Reihe der Fernsehjugendbücher nen Helden. Der nächste Piratenfilm kommt daher bestimmt.
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Quelle: Arnold Genthe (1869–1942), Library of Congress, Rechte: No known restrictions on publication
Jack London
und die Verfilmungen im deutschen Fernsehen
Reiten auf dem Rücken des Glücks Sein Leben war so spannend wie seine Bücher – tatsächlich manchmal spannender –, und in den 70er Jahren standen aufwendige Fernseh- und Filmadaptionen seiner Werke in voller Blüte. Der legendäre Seewolf" " machte 1971 den Anfang, und die ohnehin schon gewaltigen Auflagen seiner Bücher schwangen sich in immer neue Höhen auf. Ein Rückblick auf klassische Lektüren und packende Verfilmungen.
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Jack London
Von Michael Klein
in Fährunglück in der Bucht von San Francisco. Der Literat Humphrey van Weyden wird über Bord gespült, treibt mit der Strömung Richtung offenes Meer und wird von einem ausfahrenden Robbenfänger entdeckt und aufgenommen. Gerettet! Gerettet? An Bord dieses Schiffes, der „Ghost", gelten andere Gesetze als die, die van Weyden aus seiner Welt kennt. Der brutale, aber auch intelligente Kapitän Wolf Larsen betrachtet den schmäch tigen Schiff brüchigen, fragt nach seinem Beruf und quittiert dessen Antwort – „Gentleman" – mit Spott. Larsen denkt gar nicht daran, den Geretteten in Ufernähe zu bringen, er folgt einer Laune und stellt ihn zwangs weise ein. Ein „Gentleman" als Kombüsenjunge, an diesem Schauspiel will er sich laben. Aber: Es ist der Beginn eines anspruchs vollen, eigenwilligen Zweikampfs und einer erbitterten geistigen Auseinandersetzung. Mit dem kraftstrotzenden Draufgänger Wolf Larsen, der in Armut aufge wachsen ist und sozialdarwinis tisch an das Recht des Stärkeren glaubt, und dem dürren, idealisti schen Schriftsteller van Weyden aus wohlhabendem Haus prallen unvereinbare Lebensauffassungen aufeinander. Beider Welten werden infrage gestellt durch die jeweils andere – was Jack London als in jeder Hinsicht spannendes Abenteuer erzählt. „Der Seewolf" heißt der Roman, der so beginnt, und dass sein Grundkonflikt derart mitreißend geriet, hängt damit zusammen, dass Seite
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sein Autor etwas von beiden Protagonisten in sich trug. Das Leben Jack Londons, 1876 in San Francisco geboren, war voller Wagnisse, Widersprüche, Glücksmomente und Tragödien. Er stammte aus ärm lichen Verhältnissen und brachte es in hartem Ringen zum bestbe zahlten Schriftsteller seiner Zeit. Er sang das Loblied der Starken und pries zugleich die Solidarität mit den Schwachen. Tiefe Risse gingen durch die Zeit, in der er lebte, tiefe Risse gingen durch ihn selbst
– er hat es intensiv beschrieben. Er liebte das Leben, aber er glaubte, es gegen alle Widrigkeiten bezwingen, besiegen zu müssen. Als „Herrn des Lebens" beschrieb er sich in eupho rischen Momenten, „der auf dem Rücken des Glücks reitet". Aber seine Bücher – und je besser, je mehr – erzählen es auch anders, schildern die „Lüge des Lebens" und die Existenz als Spiel, das man nicht gewinnen kann. Und in eben diesen Schilderungen eines grundlegenden Widerspruchs klingt Jack London wirklich wahr – die starken, ungebrochen-unbezwinglichen Helden seiner schwächeren Bücher sind Legendenbildung. Als der Produzent Walter Ulbrich, der zuvor zu Klassikern gewor dene Fernsehepen wie „Die Schatzinsel" (1966), „Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer" (1968) oder „Die LederstrumpfErzählungen" (1969) geschaffen hatte, Ende der 60er Jahre daran
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Kino-Auswertung statt Fernsehwiederholung: Der Seewolf" ( Bravo" 3/1973) " "
Vorbericht zur Seewolf"-Wiederholung ( Bravo" 27/1975) " "
van Weyden, verhungert und entkräftet, in nördlichem Ödland seine ging, eine Verfilmung des „Seewolf" anzugehen, kniete er sich in Zähne an die Kehle eines kranken, verendenden Wolfs setzt, um durch den Stoff und durchlebte Handlung und Charaktere im Prozess des dessen Blut das Überleben ein wenig wahrscheinlicher zu machen, dann Drehbuchschreibens zutiefst innerlich mit. Er eliminierte mit klarer sind das Fernsehbilder, die man nicht vergisst. In Erinnerung blieb aber Umsicht einige Passagen des Romans (vor allem das schwache Happy natürlich auch jene Szene, in der Wolf Larsen als Demonstration seiner End und eine düstere Brüdergeschichte, die die Wucht des Stoffs Stärke in seiner Hand eine rohe lediglich mindert) und Kartoffel zerquetscht. Die Frage, unterfütterte dafür, ver ob sie tatsächlich roh oder ange blüffend homogen, den kocht war, wurde als ebenso belieb Grundkonflikt mit wei tes Gesprächsthema gehandelt wie teren Motiven aus ande später diejenige, ob Uri Geller einen ren Werken Londons Löffel durch Gedanken- oder phy – „Abenteurer des sische Kraft verbogen habe – und Schienenstrangs", „Joe beide Fragen waren natürlich glei unter den Piraten" und chermaßen wichtig. „Ein Sohn der Sonne" vor allem (übrigens Der Erfolg des „Seewolf" war mogelte er auch einige immens, das Fernsehpublikum Szenen aus Robert Louis ebenso begeistert wie die Kritiker Stevensons „Der Strand der angesehensten Zeitungen, von Falesa" hinein) –, die nicht dafür bekannt waren, wodurch er ihm auf diese mit ihrem Lob verschwenderisch Weise zusätzliche Dichte umzugehen, in diesem Fall jedoch und Komplexität verlieh. Der Seewolf wird zum Schneewolf" ( Bravo" 25/1972) in seltener Einmütigkeit über Da Londons Bücher fast " " schwänglich lobten. Der Vierteiler zog auf breiter Linie in seinen immer auf autobiografische Erfahrungen zurückgreifen, machte Bann, gilt bis heute als einer der großen Klassiker des deutschen Ulbrichs Vorgehen nicht nur Sinn, es führte vor allem dazu, dass er, Fernsehens und führte zu einem regelrechten Jack-London-Boom indem er sich von der Vorlage scheinbar entfernte, Londons Denken auch bei den Verkaufszahlen der Buchausgaben. und Erleben näher kam als alle anderen Verfilmungen dieses Romans. Das herausragend Gelungene des vierteiligen „Seewolf" ist, dass sich eine durchgän gige Handlungsspannung über sechs Stunden mit innerem Drama verbindet. Wolf Larsen (Raimund Harmstorf in seiner ersten großen Rolle) und Humphrey van Weyden (Edward Meeks) messen und befehden sich per manent, teilen, wie erst langsam klar wird, eine gemeinsame Erfahrung aus ihrer Kindheit und Jugend, in der sie als junge Streuner Lockruf des Goldes" auf Blu-ray Eisenbahnzüge enterten " und durchs Land zogen. Eine an Bord gekommene Schiffbrüchige (Beatrice Cardon) entzweit sie weiter, bis sie am Ende in der Südsee zu einem letzten, ungleich gewordenen Kampf aufeinandertreffen. Zu Ulbrichs herausragender Leistung gesellte sich die von Regisseur Wolfgang Staudte, dessen dichter, illusionslos-konsequenter Realismus genau zu Jack Londons Vorlagen und Ulbrichs Absicht passte. Wenn GoodTimes
Ungewöhnlich, aber wahr: Auf eine rasche TV-Wieder holung wurde verzichtet, weil, beflügelt durch den Erfolg, ein Jahr nach der Ausstrahlung erst einmal eine kürzere Filmfassung des Vierteilers ins Kino kam. Das Aufsehen, das der „Seewolf" erregte, zog zudem andere Jack-London-Kinofilme nach sich, den Hauptdarsteller Raimund Harmstorf über nahmen die Produzenten für diese Filme gleich mit. In rascher Folge spielte er an der Seite von Ron Ely Lockruf des Goldes (1)" ( Hörzu" 51/1975) in „Schrei der schwarzen " " Wölfe" (Regie Harald Reinl, lief im Oktober 1972 in Deutschland an), an der Seite von Charlton Heston in „Ruf der Wildnis" (Regie Ken Annakin, Ende Dezember 1972) und an der Seite von Franco Nero in „Wolfsblut" (Regie Lucio Fulci, April 1974). Zum Auftakt titelte die „Bravo" in einem großen Vorbericht sehr hübsch: „Der Seewolf wird zum Schneewolf." 2/2019
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Ein Motto, das auch exzellent zu Walter Ulbrichs nächstem großen Jack-London-Vierteiler gepasst hätte: „Lockruf des Goldes". Der Goldrausch in Alaska und Nordkanada war für Jack London zum Leben, Schreiben und seine Weltanschauung prägenden Erlebnis geworden; im Juli 1897 erreichten zwei Schiffe die Häfen von San Francisco und Seattle und berichte ten von märchenhaften Goldfunden. In Scharen machten sich zehn tausende Menschen aus den USA, die gerade eine schwere Wirtschaftsdepression erlebten, auf, unter ihnen vorneweg der 21-jährige London. Am Yukon blieb er zwar völ Das verschollene Inka-Gold" auf DVD lig glücklos und kehr " te nach einem Jahr schwerer Strapazen und Plackereien mit lediglich vier Dollar in der Tasche nach Hause zurück. Doch die Erfahrungen, die er dort gemacht hatte, erwiesen sich als Goldgrube anderer Art. „Ruf der Wildnis" (1903) wurde sein erster gro ßer Bestseller, und in vier weiteren Romanen und 60 Erzählungen schilderte er einer immer zahlreicher wer denden Leserschaft Goldr auschabenteuer aus dem hohen Norden.
Der zuständige ZDF-Redakteur Alfred Nathan bekannte später im Gespräch, er habe bis zuletzt Blut und Wasser geschwitzt, ob es bis zu den längst ausgedruckten Sendeterminen an Weihnachten 1975 überhaupt sendefähiges Material geben würde. Es klappte – buch stäblich in letzter Minute –, doch vorerst nur in einem Miteinander aus gelungener Literaturverfilmung und überraschend unfertigen Szenen. Ulbrich war tatsäch lich nicht fertig geworden und vereinbarte deshalb mit dem ZDF eine möglichst rasche Ausstrahlung einer überar beiteten, gültigen Fassung, die im August 1977, erneut im Hauptabendprogramm, gezeigt wurde. Im Mai 1978 gab es gar noch eine Zugabe, denn Ulbrich hatte mit der Idee eines fünften Teils zu „Lockruf des Goldes" geliebäugelt, doch das ZDF beschied, seinen dies bezüglichen Drehbuchentwurf später als für sich stehenden eigenen Fernsehfilm zu über nehmen. Das Ergebnis trug Martin Eden" auf DVD den Titel „Das verschollene " Inka-Gold" und wurde erneut von Ulbrich, Staudte und Posegga realisiert. Rüdiger Bahr fungierte als Erzähler, und die Hauptrolle des mittlerweile in die Anden unter Eisenbahner, Banditen und Indios versprengten Goldsuchers wurde von Vadim Glowna über nommen. Als ebenso sehenswerte und würdige Verfilmung erwies sich im Oktober und November 1980 ein unter italienischer Federführung (Regie und Drehbuch: Giacomo Battiato) entstandener Vierteiler nach Londons stark autobiografischem Roman „Martin Eden", der in lite rarischer Hinsicht sein bester ist. Die Hauptfigur (Christopher Con nelly) ringt als Autodidakt ver Martin Eden (4)" in der Hörzu" 44/1980 bissen darum, es " " vom mittellosen, verachteten jungen Seemann zum erfolgreichen Schriftsteller zu bringen. Doch als sich nach wilden, zehrenden Anstrengungen, Kämpfen und Liebeswirren (in den Frauenrollen u.a. Delia Boccardo und Mimsi Farmer) tatsächlich Erfolg und Anerkennung einstellen, beginnt Eden mit unerbittlicher Unausweichlichkeit die Hohlheit der Kulissen seiner Illusionen zu durchschau en. Der Roman schildert es eindringlich, der Fernsehfilm zeigt es plastisch. Am Ende fährt Eden – im Roman auf einem Dampfer, in der Verfilmung allein mit seinem Boot – hinaus aufs Meer und taucht bewusst und willentlich hinab in die ewige Versenkung. Foto: gemeinfrei, kanadisches Werk
Walter Ulbrich fügte Vorbericht zu Das verschollene Inka-Gold" erneut dem Handlungs " in der Bravo" 18/1978 strang des titelgeben " den Romans um den Anwalt Elam Harnish (Rüdiger Bahr) aus San Francisco, der vom allgemeinen Goldfieber angesteckt wird und auf dem Yukon und in Dawson abwech selnd den Helden und den Maulhelden gibt, zahlreiche Motive um andere Protagonisten Londons hinzu – vor allem Malemute Kid aus „Der Sohn des Wolfs" (1900) und „Alaska Kid" (1912) – und schuf für den Vierteiler ein neues Ganzes. Zu Ulbrich als Drehbuchautor, Gedanktafel an der Stelle des Hauses, Goldsucher warten auf die Registrierung ihrer Claims Produzent und Cutter in dem Jack London geboren wurde gesellten sich wie beim „Seewolf" Wolfgang Staudte als Regisseur Beging auch Jack London im und Hans Posegga als Komponist der Filmmusik. November 1916 Selbstmord mit Gift? Seine Familie hat es stets bestritten. Seine Freunde glaubten es. Gründe, wie er sie in „Martin Beim Schnitt geriet Ulbrich allerdings dramatisch in Zeitdruck und Eden" geschildert hatte, besaß er genug. Und weitere waren hinzuge verschob den Abgabetermin der einzelnen Folgen immer wieder. kommen. Seite
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© Pabel-Moewig Verlag KG, Illustration: Dirk Schulz
Spannende Kriminalfälle in der Welt von Morgen
Kino-Bösewichte | Teil 8
Jack Elam Von Roland Schäfli
Jack Elam hatte ein Gesicht, das jeder kannte. Er war ein Star, wo es keine Stars gibt: im Charakterfach. Seinen Aufund Abstieg in der Gunst der Studiobosse beschrieb er humorvoll so: Wer ist Jack Elam?" – Holt mir Jack Elam!" " " – Holt mir einen Typen wie Jack Elam." – Holt mir einen " " jungen Jack Elam." – Wer ist Jack Elam?" "
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an kennt das Gesicht, aber nicht den Namen. Diese zerknautschte Visage, auf die Sergio Leone in „Spiel mir das Lied vom Tod" gebannt seine CinemaScope-Kamera richtet. An seinem Markenzeichen, dem nach unten schielenden linken Auge, sofort wiederzuerkennen. Es glotzt in die falsche Richtung. Und auf eben diesem Gesicht landet eine lästige Fliege. Die er mit höhnischem Grinsen im Revolverlauf einfängt. Das ist Jack Elam!
Wer ist Jack Elam? " ... Holt mir Jack Elam!"
Der grausame Rohling
Fotos: Bildarchiv Hallhuber
Schon lange vor dieser Szene im Jahr 1968 blickte Jack Elam mit seinem schiefen Auge auf eine Karriere als Filmbösewicht zurück. „Rawhide" („Zwei in der Falle") hatte 1951 sein Image als gewissenloser Gesetzloser für Jahre geprägt: Um Tyrone Power aus der Deckung zu locken, schoss Jack auf ein in der Wüste krabbelndes Baby. So viel Gemeinheit hätte das Publikum keinem zugetraut. Dazu lachte er ein sardonisches Lachen, passend zu seinem schiefen Mund. „Und von da an wurde ich richtig gemein", erinnerte er sich später an die Karrierezündung, die ihm einen Sieben-Jahres-Vertrag bei der 20th Century Fox einbrachte. Nun brauchte Elam sich nicht mehr zu rasieren, wenn er morgens zur Arbeit ging. Wann immer in einem Drehbuch ein Halsabschneider stand, hieß es: „Holt mir Jack Elam!" Die Auftritte waren ebenso kurz wie prägnant. Als Dorfsäufer wird er in „High Noon" von Gary Cooper kurz vor „12 Uhr mittags" aus dem Knast geworfen. Auf dem Plakat zu „Jetzt wird abgerechnet" („The Bushwhackers", 1952) würgt er kaltblütig den Star des Films, und die Reklame lautete: „Es war ein Full Time Job, am Leben zu bleiben!" Das sollte auch für Elams Rollen gelten.
mals. Sehr zur Freude des Publikums. Denn in der Regel machte sich Elam durch eine besondere Gemeinheit unbeliebt. Als hinterhältiger Lump schoss er seinen Gegnern mit Vorliebe in den Rücken. „Es gibt keinen besseren Platz dafür", scherzte er einmal.
Bösewicht für jede Gelegenheit Überzeugend gab er den neurotischen Killer, der jederzeit dem Wahnsinn anheimfallen konnte. In „Zwei rechnen ab" verlor er den Verstand ausgerechnet während der legendären Schießerei, dem „Gunfight At The OK Corral" (1957), weshalb er umgehend von Burt Lancaster umgelegt wird. In „Lockruf der Wildnis" („Lure Of The Wilderness", 1952) versank er gurgelnd im Treibsand, und in „Vera Cruz" (1954) gab's für ihn einmal mehr kein Happy End.
Denn meist biss er so schnell ins Gras, wie der Held ziehen konnte. Little Joe knallte ihn in „Bonanza" schon vor der ersten Werbepause ab. Damals war es nicht ungewöhnlich, in derselben Serie immer wieder in anderen Parts aufzutauchen. In der Endlosreihe „Rauchende Colts" ritt er in nicht weniger als 15 Folgen nach Dodge City, natürlich galoppierte er auch mit den „Leuten von der Shiloh Ranch", an der Seite von Clint Eastwood durch „Tausend Meilen Staub" und war zu Gast auf der Ranch von „High Chaparral". Die Fäuste der Serienhelden wie Daniel Boone, The Rifleman oder Cheyenne wurden von dieser Visage wie magnetisch angezogen. Die TV-Auftritte sind zu zahlreich, um alle aufgezählt werden zu können, von „Grizzly Adams" über „Black Beauty" bis „Kung Fu". Selbst gegen Zorro unterlag er mehr-
Sterben wie am Fließband Noch wurde er in Filmen wie „Wichita", die heute als Genreklassiker gelten, weit unten auf der Stabliste geführt – oder gar nicht genannt. Wie 1955 in „Mit stahlharter Faust" („Man Without A Star"), als er Kirk Douglas erdolchen will und dafür die gerechte Strafe erhält. Es schien dem Publikum nicht aufzufallen, dass er gegen manche Stars mehrmals eingesetzt wurde. Während der 50er Jahre gleich zweimal gegen James Stewart. Natürlich stand es am Ende 2:0 für Stewart. Ebenfalls zweimal fing er sich eine Kugel von Audie Murphy ein. Um sein Honorar aufzubessern, spielte Elam in den Drehpausen Poker. Murphy liebte das Glücksspiel so wie er, „er richtete sich zugrunde, aber er war ein fantastischer Spieler", erinnerte sich Elam an den traumatisierten
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weg. Schon im Jahr darauf, 1970, konnte Elam diesen neuen Status zementieren. Regielegende Howard Hawks holte ihn als knurrigen Oldtimer nach „Rio Lobo". Elam war im Charakterfach des alten Mannes, dem väterlichen Freund des Helden, angekommen – wobei es nicht störte, dass er 13 Jahre jünger als John Wayne war. Den Duke kannte er aus seiner Zeit als sadistischer Bandit: Als einer der „Comancheros" (mit dem wenig schmeichelhaften Rollennamen Horseface) hatte er Wayne 1961 in der Wüste zum Verdursten in der Sonne aufgehängt.
Kriegshelden, und so „spielten wir jede verdammte Nacht Karten". Elam bestand auf einer Klausel in seinen Verträgen, die ihm das Kartenspiel am Drehort erlaubte. Und sagte deswegen sogar einmal die Rolle in einer TV-Serie ab. „Es geht mir nicht ums Geld", versuchte er seine Leidenschaft zu erklären, „es geht darum, Geld zu bieten!" Als Grabstein-Inschrift hatte er sich schon früh gewünscht: „Er trank Scotch, und er spielte Poker."
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Dass er nun auf der Karrierestufe „Holt mir einen Typen wie Jack Elam!" angelangt war, realisierte er, als sein Konkurrent Jack Palance eine Rolle übernahm, die er selbst ausgeschlagen Jack Elam – hatte. „Ich entschied mich für oder Vera Cruz" 1954 " gegen ein Angebot, indem ich einfach die Anzahl Dialogzeilen zählte." Zu spät realisierte er, dass er dadurch auf den wichtigen Part des wortkargen Killers im Klassiker „Shane" verzichtet hatte.
Große Chance für den Buchhalter Wie wichtig Bezahlung ist, hatte er früh gelernt. Elam wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Arizona auf, verdingte sich schon in jungen Jahren als Baumwollpflücker. Im Pfadfinderlager der Boy Scouts traf der Bleistift eines anderen Jungen sein linkes Auge. Der zwölfjährige Jack konnte nicht ahnen, dass ihm das Schielauge zu vielen Charakterrollen verhelfen würde. Zuerst war er hinter den Kulissen beschäftigt, als Buchhalter der Samuel Goldwyn Studios. Sein Arzt warnte, tagelang Z ahle nkolonne n zu kontrollieren, könnte ihn noch sein gesundes Auge kosten. Die große Chance kam, als ein Filmemacher ihn um buchhalterische Hilfe bat. Zahlenjongleur Elam bewies seine Kreativität und wurde im Gegenzug in kleineren Rollen besetzt – obwohl er bis dahin noch nie geschauspielert hatte. Von der Lehre der Schauspielschule, das „innere Bedürfnis" der Filmfigur auszuloten, hielt er ohnehin wenig. „Ich raube die Bank aus, weil ich das Geld will!"
Obwohl Elam im Komödienfach neue Fans fand, steckte er weiterhin als eindimensionaler Brutalinski in den Karteien der Casting-Agenten. Nachdem er als einer der „Fünf Vogelfreien" („Firecreek") ein weiteres Mal gegen James Stewart antreten musste, stand es 3:0 für diesen. Eine kleine KultGemeinde erfreut sich heute noch an „In einem Sattel mit dem Tod" von 1971. In diesem Mix aus brutalem Italo-Western und Persiflage nahm Raquel Welch als Titelfigur Hannie Caulder Rache an ihren Vergewaltigern. Zu denen selbstverständlich auch ein besonders übler Jack Elam zählte.
Welterfolg im Highway-Film Im Anschluss an die hochgepriesene Mini-Serie „Die Sacketts" wurde Jack mit dem Golden Boot Award ausgezeichnet, dem höchs ten Preis, den die WesternGemeinde zu vergeben hat. Doch erst zum KarriereEnde hin – als es beinahe schon wieder hieß: „Wer ist Jack Elam?" – war ihm 1981 nochmals eine Wendung vergönnt: Als wahnwitziger Arzt im Welterfolg „Auf dem Highway ist die Hölle los" zog er alle Register. Jack Elam ca. 1990 Seine urkomischen Auftritte waren begleitet von irrer Orgelmusik. Da galt er beim Publikum schon als guter alter Bekannter.
Die Sporen abverdient Er blieb ein gern gesehener Gaststar in populären Serien wie „Hör mal, wer da hämmert". Aber in Kinofilmen gab es für Elam immer weniger zu tun. Zum Karriere-Abschluss wechselte er vollends auf die Seite der Guten: Das Publikum hatte gelernt, ihn dort zu akzeptieren, und so verteidigte er 1995 in der Neuauflage von „Bonanza" ausgerechnet die Ponderosa, die er in der Originalserie mehrmals überfallen hatte. 2003 starb Jack Elam 82-jährig an Herzversagen. Davor war ihm eine seltene Ehre zuteil geworden, die generell den Stars vorbehalten ist: die Aufnahme in die Ruhmeshalle der „großen Western Performer" im nationalen Western-Museum in Oklahoma – wo niemand mehr fragen wird: Wer ist Jack Elam?
Die zweite Karriere „Ich spielte alle möglichen Verrückten. Aber nie den wirklich kranken Typen", sagte er über seine unzähligen Schurkenrollen. 20 Jahre nach seiner Arglist in „Rawhide" gelang es ihm, das Publikum für sich einzunehmen. In der Westernkomödie „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe" („Support Your Local Sheriff!") durfte er sein Äußeres zur Abwechslung in einer komischen Rolle einsetzen: Als feiger Deputy stahl er James Garner den Film unter der Nase GoodTimes
Immer wieder böse
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MAD hinterlässt mehr als eine Zahnlücke Von Roland Schäfli
Auch wenn man ihn in den letzten Jahren immer weniger vermisst hat: Alfred E. Neumann wird fehlen. Der Poster Boy, in dessen Dauergrinsen ein Zahn fehlt, hat uns seit 1967 durch die Pubertät und andere Weltereignisse begleitet.
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ie Auflage von 330.000 Exemplaren, die in den Glanzzeiten der 80er Jahre erreicht wurde, ist zuletzt auf 12.000 verkaufte Hefte gefallen. In ihren besten Tagen verlieh die deutsche Redaktion sogar einen Schmähpreis, den Goldenen Alfred. Dann geriet das „wahrscheinlich meistbeschlagnahmte Heft von Lehrern" (Zitat des Chefredakteurs Feuerstein) in eine lange Abwärtsspirale. Während „Titanic" sich durch grenzwertigen Geschmack der politischen Satire neu positionieren konnte, wurde das deutsche „MAD" selbst für die jüngere Zielgruppe schlicht zu brav. 2002 hatte der Panini-Verlag den Titel halbherzig übernommen, nachdem der schon einmal eingestellt worden war. Die neuen Blattmacher fanden ihr Publikum nicht. Mussten einmal sogar wegen eines Lizenzfehlers – das war echte Realsatire – eine komplette Auflage einstampfen. Doch schließlich hat es sich mit Ausgabe 185 ausgekalauert: „MAD" soll damit endgültig der Vergangenheit angehören.
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.. Die üblichen Idioten"
Als wahrer Geniestreich erwies sich das „Faltblatt": An zwei Stellen zusammengefaltet, erhielt das ursprüngliche Bild eine neue Bedeutung. Die gnadenlosen Parodien zerpflückten Filme und TV-Serien. Obwohl sich die Redaktion selbstironisch „die üblichen Idioten" nannte, entlarvte „MAD" die Erwachsenen als die wahren Deppen. Monatlich lieferten die Macher auf 36 dicht beschriebenen Seiten eine üppige Dosis Skepsis gegen Großkonzerne und Regierungen. Seinem Alleinstellungsmerkmal blieb „MAD" jahrelang treu: Das Heft war völlig werbefrei. Dadurch genoss es das uneingeschränkte Vertrauen seiner (vor allem männlichen) Konsumenten. Die Parodien auf Zigarettenreklame waren einprägsamer als jede Nichtraucher-Kampagne. Bis man diesem Grundsatz untreu wurde, finanzierte „MAD" sich allein durch den Verkaufspreis von „nur noch DM 2,50", wie auf jeder Titelseite oben rechts von Neuem
Alfred E. Neumann Bis zum bitteren Ende verging Alfred E. Neumann das Lächeln nicht. Der infantil grinsende Poster Boy mit Segelohren zierte jedes Cover. Die Kunstfigur beantwortete in der Rubrik „Fragen Sie Alfred" sogar Leserbriefe. Offen bleibt nun die als Running Gag immer wiederkehrende Leserfrage: „Wofür steht eigentlich das ‚E' in Alfred E. Neumann?" Der Erfinder von „MAD", William M. Gaines, hat das Geheimnis längst mit ins Grab genommen.
.. Würg!" wird deutsch "
Lizenzausgaben des 1952 in den USA gegründeten Magazins erschienen schon bald in England, Schweden, den Niederlanden. Im deutschsprachigen Raum landeSeite
te das „vernünftigste Magazin der Welt", so der Untertitel, erst 1967 in den Zeitschriftenständern, wo überforderte Kioskbetreiber das subversive Blatt bei den Kinder-Comics einreihten. Hatten die amerikanischen Wegbereiter bereits ihre eigene Subkultur und Wortschöpfungen wie „Zappadong" geschaffen, prägte nun die deutsche Ausgabe ebenso das Humorverständnis der Pubertierenden. Sogenannte Inflektive wie „Lechz" und „Würg" gingen in die Jugendsprache ein, Begriffe wie „fummeln" wurden inflationär gebraucht.
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reklamiert wurde. Auch ein weiteres Credo opferte das spätere „MAD" dem modernen Publikumsgeschmack: Ab 1998 war das davor schwarzweiße Blatt bunt, was Fans der großen Meister verstörte, deren Strich ohne die Farbübertünchung besser zur Geltung kam.
J ug e n d g e fä h r d e n d " "
Einmal nur legte die deutsche Redaktion sich mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften an. Bayern wollte „MAD" auf den Index setzen, weil „das Verprügeln von Senioren verherrlicht" worden sei. Auslöser war ausgerechnet eine Zeichnung von Dave Berg, dessen Cartoons in der Regel die Grenzen der Satire nicht gerade ausloteten. Doch Ironie war in den 70er Jahren noch erklärungsbedürftig. Deutsche Prominente wurden hingegen selten durch den Kakao gezogen. Das lag einerseits daran, dass der Großteil des Contents von den Amerikanern übernommen wurde, andererseits aber auch daran, dass das deutsche „MAD" nicht anstrebte, politisches Kabarett sein zu wollen. Eine Ausnahme war Ausgabe 200, dessen Titel Alfred E. Neumann im Kreis von Kanzler Kohl, Papst Johannes Paul II., Reagan und Gorbatschow zeigte.
T e i l d e r P o p u l ä r ku lt u r Wenn im Science-Fiction-Film „Fahrenheit 451" bekannte Bücher verbrannt werden, ist darunter auch ein „MAD"-Taschenbuch. Wenn
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im Kriegsfilm die „Delta Force" in den Einsatz fliegt, lenkt einer der Soldaten sich mit der „MAD"-Lektüre vom drohenden Unheil ab. Und wird Michael J. Fox in der „Tonight Show" gefragt, wann er den Durchbruch geschafft habe, sagte er ohne zu zögern: „Als Mort Drucker mich zeichnete." Der „MAD"-Karikaturist gilt als einer der besten des 20. Jahrhunderts. Künstler wie Jack Davis steigerten ihren Bekanntheitsgrad noch, wenn sie bekannte Filmplakate gestalteten. Dabei hatten die wenigsten der Cartoonisten eine Kunstschule besucht. „Wir lernten Zeichnen, indem wir zeichneten", sagte Drucker einmal. Besondere Beliebtheit genoss Sergio Aragonés, der aus Platzgründen nur an den Seitenrändern stattfand: Seine Kritzeleien standen daumengroß am Blattrand. Keiner der „Idioten" erreichte freilich den Kultstatus von Gag-Spezialist Don Martin, dessen finger- und zehenspreizende Figuren von Lautmalereien wie „Flabadapp!" oder „Gashklitzka!" begleitet waren. Diesen Meistern konnten die deutschen Kollegen nicht das Wasser reichen.
S c h lu s s s t r i c h Allerdings kämpft auch die US-Ausgabe mit sinkenden Absatzzahlen, die Erscheinungsweise wurde auf vierteljährlich umgestellt. Offenbar ist die Welt selbst für eine „MAD"-Persiflage zu verrückt geworden. Was in den 60er Jahren als umstürzlerische Staatskritik wahrgenommen wurde, kratzt heute niemanden mehr. Die verbleibenden Fans sind offenbar in die gleiche Apathie verfallen. Auf dem Forum Madmag.de wird das Aus einfach so hingenommen. Alles endet mit der Frage, die „MAD" selbst stets gestellt hat: na und?
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50 Jahre Woodstock
Das Musical –
Fotos: © www.woodstockthestory.com
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onzertbesucher unter 50 Jahren werden sich wundern beim Betrachten des Musicals „Woodstock – The Story", dass es eine Ära gab, in der dank gewaltiger Rock-, Pop- und Folk-Klänge ein Open Air weit mehr war als eine Zusammenkunft wildfremder Menschen, die ein paar Tage lang gebannt auf eine Bühne starren, wo abgehobene Stars ihre Songs zum Besten geben. Tatsächlich war es von den späten 1960er Jahren bis hinein in die 1970er so, dass es sich bei Festivals um Mikrokosmen handelte, die einen Vorgeschmack auf ein friedliches Paradies geben wollten, bei denen „Liebe”, „Friede” und „individuelle Freiheit” die einzig verbindlichen Werte für das Miteinander waren. Inbegriff für die Verwirklichung dieser Hippie-Ideale ist nach wie vor das Festival namens Woodstock: Eine halbe Million Menschen pilgerten im August 1969 auf ein gerade mal 2,4 Quadratkilometer großes Farmgelände in Bethel im US-Bundesstaat New York, 70 Kilometer von dem kleinen Ort Woodstock entfernt, der seither weltweit Kultstatus in der alternativen Kulturszene besitzt. Drei endlos wirkende Tage lang wurde frenetisch, fröhlich und vor allem friedlich gefeiert. Der Soundtrack kam von 32 Bands bzw. Solokünstlern wie The Who, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Creedence Clearwater Revival und vielen Größen der damaligen Zeit. Für manche Künstler wie Santana oder Joe Cocker bedeutete der Auftritt gar den endgültigen Durchbruch zu ihrer Weltkarriere. Jedenfalls ist dieses Festival bis heute die „Mutter aller Open Airs”. Hier wurde trotz Dauerregens, chaotischer Staus auf den Straßen, miserabler Bedingungen im sanitären Bereich und einer noch schlechteren allgemeinen Versorgungslage der Hippie-Traum von unbedingter Harmonie und unverbrüchlicher Gemeinsamkeit Realität. Vor gut zehn Jahren taten sich nun im holländischen Eindhoven ein paar Freunde zusammen, völlig elektrisiert vom „Woodstock-Spirit”. Seite
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Von Michael Fuchs-Gamböck
Sie machten sich Gedanken darüber, wie man den Geist von einst in die Gegenwart transportieren könnte – mit Hilfe einer mitreißenden Show. Diese beseelten Treffen waren die Initialzündung für „Woodstock – The Story”, eine Art Musical, das in den Beneluxstaaten seit langem umjubelt ist und 2019 flächendeckend auch auf deutschen Bühnen aufgeführt werden wird. Es gibt keine wirkliche Rahmenhandlung bei „Woodstock – The Story”. Für die Evokation der so originellen und herrlich mitreißenden Grundstimmung sorgen Fotos und kleine Filme, die im Hintergrund auf einer Leinwand immer mal wieder zugespielt werden. Dann haben wir Laurens ten Den als kurzweiligen Moderator des Ausnahme-Events von 1969. Der ausgebildete Theater- und Filmschauspieler animiert in seiner charmantgewitzten Art das Publikum zur Interaktion, die sich vor allem im Mitklatschen und -singen äußert, was von den Besuchern nur allzu gerne angenommen und umgesetzt wird. Doch der treibende Faktor, der das Geschehen auf der Bühne am Laufen hält, ist letztlich die unsterbliche Musik von Größen wie Jimi Hendrix, Crosby, Stills, Nash & Young, Jefferson Airplane oder The Band. Die einfach nur grandiosen holländischen und belgischen Darsteller dieser unsterblichen Ikonen leisten dabei Außergewöhnliches, allen voran Rocksänger Martin van der Starre, dessen Inkarnationen etwa von Joe Cocker oder John Fogerty derart beeindruckend sind, dass man die Originale (fast) vergisst. Ebenso sieht man die ausdrucksstarke Muriel te Loo, die etwa Janis Joplin oder Joan Baez auf unnachahmliche Weise Leben einhaucht. Was den jüngeren Fan ebenfalls zum Staunen bringt und ihn dazu verführt, sich ungläubig die Augen zu reiben: Obwohl in der Regel etwa drei Viertel des Publikums jenseits der 50 sind, herrscht von Beginn des rund dreistündigen Spektakels an ausgelassene Stimmung. Old hippies never die!
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Interview mit den Woodstock-Legenden Bobbi und Nick Ercoline Der amerikanische Fotograf Burk Uzzle ist verantwortlich dafür, dass die Eheleute Bobbi und Nick Ercoline heutzutage Ikonen der Hippie-Kultur und die Gesichter des Woodstock-Festivals von 1969 sind. Uzzle war es, der einen Schnappschuss der frisch verliebten 20-Jährigen machte, die sich in der Morgendämmerung jener legendären Veranstaltung innig umarmten, umhüllt von einer schmuddeligen Decke, die sie laut eigenen Angaben „irgendwo aufgelesen" hatten. Das Paar, das kurze Zeit später heiratete und inzwischen auf zwei Söhne und vier Enkel verweisen kann, hatte nicht bemerkt, dass es fotografiert worden war. Bald darauf wurde genau diese Aufnahme zum Cover der millionenfach verkauften Doppel-LP WOODSTOCK gemacht – und Bobbi und Nick avancierten zum Symbol für die Woodstock-Generation. Bis heute sind die beiden ein Paar, auch wenn sie, im New Yorker Stadtteil Middletown zu Hause, laut eigener Aussage „nicht immer glücklich miteinander" waren. „Aber wir waren stets irgendwie ineinander verliebt", meint Nick im entspannten Gespräch, das stattfindet, unmittelbar nachdem sich die „ewigen Turteltäubchen" (Bobbi) das Musical „Woodstock – The Story" angeschaut hatten.
Das Geld war demnach knapp. Aber wir liebten Rock'n'Roll, selbst wenn wir keine VollblutHippies waren. Auch keine Protesttypen. Doch die Musik, die auf dem Festival gespielt wurde, war exakt die unsere. Was bedeutet für Sie der Terminus Hippie" heutzutage? " NICK: Wir stammen aus sehr traditionellen Familien. Und ich bin mir nicht sicher, ob Bobbi und ich nicht bis heute nach traditionellen Werten leben, in denen Zusammenhalt alles bedeutet. Wir lieben unsere Kinder und Enkel über alles. Gleichzeitig Nick (links) und Bobbi Ercoline
waren und sind wir friedfertige Personen. Wer weiß, vielleicht entsprechen wir dem Hippie-Ideal mehr, als wir uns eingestehen wollen?
Was ist im Jahr 2019 geblieben von den Hippie-Idealen, also der Idee von einer freieren, besseren, friedlicheren Welt? BOBBI: Zunächst mal viel Nostalgie. Aber klar ist: Viele soziale Probleme sind immer noch die gleichen wie etwa 1969. Armut, die Benachteiligung von Minderheiten, Rassendis kriminierung und so weiter. Ach ja, über Präsident Trump wollen wir gar nicht sprechen. Dass so jemand der mächtigste Mann der Welt ist, erstaunt uns sehr. Keinen weiteren Kommentar dazu.
Während Sie das Musical Woodstock – The Story" " gesehen haben – welche Erinnerungen kamen in Ihnen hoch? BOBBI: Ich habe während der Aufführung mindestens zweimal geweint, so ergriffen war ich. Nick und ich, wir fühlten uns, als wären wir in eine Zeitschleife geraten. Übrigens in eine ganz wunderbare Zeitschleife. Jedenfalls wird für mich in drei Stunden Spielzeit diese irre Situation von einst zurückgebracht. Nur der Regen und Schlamm fehlen. Aber hey, wir sprechen hier von Theater! NICK: Die Schauspieler agieren total überzeugend! Man merkt ihnen an, sie wollen den Ausnahmegeist von damals in die heutige Zeit transportieren. Der Kontakt zu den Veranstaltern wurde übrigens, ganz modern, über die sozialen Medien bewerkstelligt. Sie schrieben uns an und luden uns ein, eine Veranstaltung zu besuchen. Das haben wir getan. Und definitiv nicht bereut.
Warum glauben Sie, dass Ihre Liebe mehr als 50 Jahre überdauert hat? NICK: Es geht um die Leidenschaft für den Partner, diese Flamme, die niemals erlöschen darf. Und man darf nie erwarten, dass die geliebte Person den gleichen Einsatz zum Erhalt der Beziehung leistet wie man selbst. Obwohl man das insgeheim natürlich hofft. Ich kann nur feststellen: Bobbi hat mich in dieser Sache niemals enttäuscht.
Warum entschlossen Sie sich 1969, zu diesem Festival zu fahren? BOBBI: Wir waren gerade mal drei Monate ein Paar und schwer ineinander verknallt. Wir standen beide auf Rockmusik. Der Eintritt betrug pro Nase 18 Dollar, das konnten wir uns leisten. Also los! NICK: Bobbi arbeitete damals in einer Bank, ich war College-Student. GoodTimes
Wie würden Sie persönlich das Wort Liebe" definieren? " BOBBI: Über Liebe denkt man nicht nach. Ansonsten kann man sie weder halten noch leben. NICK: Liebe ist überwältigend. Sie steht für Empathie – und unbedingten Respekt für das Gegenüber. Ich schätze, mit diesen Aussagen kehren wir zurück zum Beginn dieses Gesprächs. Es scheint, das Woodstock-Festival hat Bobbi und mich in unserer philosophischen Betrachtung der Welt mehr verändert, als wir es wahrhaben wollen. 2/2019
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Brescello: Don Camillos Zuhause
Von Roland Schäfli
Die Pilger, die in Don Camillos Dorf" strömen, steuern ziel" sicher die Kirche an, in der Fernandel seine Zwiegespräche mit Jesus führte. Bis heute spricht die Filmreihe zu ihrem Publikum. In Brescello lauschen die Besucher in die Stille hinein – ob der Film-Jesus wohl auch zu ihnen spricht?
Hinweisschilder gut sichtbar angebracht. Für die Region, die sich seinerzeit nur von dem ernährte, was der Boden hergab, sind die fünf Filme bis heute Manna vom Himmel.
Autor war dagegen
Die Piazza Matteotti hat ihren Namen vom sozialistischen Politiker, der 1924 von Faschisten ermordet wurde. Daran erinnert sich kaum „Eine kleine Welt. Ein Landstädtchen. Irgendwo in Oberitalien." So noch jemand. Stattdessen ist vor der Kirche der berühmte Priester führte die Erzählerstimme in die Don-Camillo-Filme ein. Die Heimat des launigen Priesters liegt indes nicht Das bronzene Abbild von Fernandel Kirchenglocke aus Pappmaché: irgendwo. Sondern in der Bassa, in der winkt vor der Kirche … Die Sputnik" wird an Feiertagen am " hochgezogen. Region Emilia-Romagna, genauer: in Gerüst Brescello. Einer Stadt zwischen Schinken aus Parma – und alten Film-Schinken.
Foto: © Roland Schäfli
in Bronze gegossen, das Gebetbuch in der Hand – die Bronzefigur auf der anderen Seite des Platzes grüßend: den feisten Bürgermeister, das Parteiblatt der Kommunisten, die „L’Unità" eingesteckt, seinem ewigen Gegenspieler vom Rathaus her zuwinkend. Dass sich Politik und Kirche hier direkt gegenüberstehen, war ausschlaggebend dafür, dass
Camillo contra Peppone In den Schaufenstern baumeln die Parma-Schinken, … seinem ewigen Gegenspieler, und wie immer, wenn ein Bürgermeister Gino Cervi, Ort einmal den touristi- vor dem Rathaus zu. schen Gegenwert seiner kulturellen Erbschaft erkannt hat, übertreibt man es ein bisschen. Die zwei Streithähne zieren das Etikett des Weins des regionalen roten Cuvée, und überhaupt kleben Camillo und Peppone auf jedem Kaufartikel, ob genießbar oder nicht. An der Piazza liegt das Caffé Peppone, vis-à-vis nennt sich die Konkurrenz nach Camillo, und das neueste Gasthaus am Ort ist das, Sie haben es erraten, Hotel Don Camillo. Im gratis ausgehändigten Ortsplan sind die Pilgerstätten verzeichnet, an filmhistorischen Gebäuden Seite
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Der Bahnhof von Brescello, häufiger Schauplatz tränenreicher Abschiede.
Foto: © Roland Schäfli
Foto: © Roland Schäfli
Beinahe würde man das 3000-SeelenDorf in der Po-Ebene für Parma links liegen lassen. Wenn Brescello nicht über das Alleinstellungsmerkmal verfügen würde, 20 Jahre Drehort der Don-Camillo-Serie gewesen zu sein! Als wäre es das Lourdes der Filmgeschichte, begeben sich 50.000 Touristen jährlich auf Pilgerfahrt zur Kirche, wo der hemdsärme lige Priester persönlich mit Jesus sprach.
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Touristen-Andrang in Kleinstadt
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telegen ins Bild gerückt wurde: „Die war aus Karton!" Ein profanes Requisit jedoch ist zur beinahe schon heiligen Reliquie geworden: das Herzstück dieses Kults, das Kruzifix mit dem Gekreuzigten, an den Don Camillo sich in Notlagen wandte. Das Zwiegespräch mit Jesus war dem Klerus schon in der Buchvorlage ein blasphemischer Dorn im Auge. Und der „Katholische Filmdienst", die inoffizielle Zensurstelle, schrieb ebenso wie die „Evangelische Filmbeobachtung" noch gegen das Filmwerk an, lange nachdem es sein weltweites Publikum gefunden hatte. „Es waren insgesamt fünf Kreuze", klärt der Guide im Ortsmuseum den überraschenden Umstand auf, dass sich die italienische, die französische und die deutsch synchronisierte Fassung unterscheiden. Je nachdem, in welchem Land Don Camillo ausgewertet wurde, fanden sich mehr oder eben weniger Dialoge mit Jesus, und in manchen Fassungen änderte der Gekreuzigte dabei seinen Gesichtsausdruck. „Die anderen vier Kreuze wurden ein Raub der Flammen beim großen Brand der Cinecitta-Studios." Brescello 1951 zum Drehort auserkoren wurde – diese dramaUrsprünglich war der Heiland über dem Altar angebracht, doch das turgische Voraussetzung konnten andere Dörfer nicht erfüllen. Interesse des Fremdenverkehrs am Film-Messias erwies sich als zu groß Längst vergessen ist, dass der Autor der Vorlage, Giovannino für den Kirchenbetrieb, so dass das Kreuz nun im linken Seitenraum Guareschi, seinem Heimatort Fontenelle den Vorzug gegeben hätte, das seine Geschichten vom ewi- Im Film sprach die Jesus-Figur – dem gen Dorfkrieg inspirierte. Dass Klerus kam das der Blasphemie zu nahe. Brescello zum Handkuss kam, war allerdings nicht das letzte Mal, dass Guareschi sich mit der Umgestaltung seiner Vision abfinden musste. Selbst Fernandel hielt der strenge Schriftsteller für eine Fehlbesetzung, musste dann aber erleben, wie der Franzose mit seinem Pferdelachen seinem italienischen Dorfpfarrer ein unvergessliches Gesicht verlieh.
In bester Erinnerung Foto: © Roland Schäfli
Alle in Brescello wissen alles von Don Camillo. Etwa, dass Fernandel ein Charmeur war, dem die Bresceller Mädchen nicht widerstehen konnten. Die alten Männer, die in Erinnerungen schwelgen, waren zum Zeitpunkt der Dreharbeiten junge Kerle, die sich dem ausdrücklichen Befehl der kommunistischen Partei widersetzten, die Dreharbeiten zu boykottieren. Das Tagesgehalt eines Statisten war besser als der Wochenlohn des Landarbeiters, da konnte die KP noch so gegen die Verunglimpfung roter Ideale wettern.
Steht noch immer: die Kleine Madonna " von Borghetto", die Don Camillos beherztes Eingreifen vor Peppones Abrissbirne rettete.
Requisiten in jeder Gasse
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Foto: © Roland Schäfli
Foto: © Roland Schäfli
In den schattigen Arkaden hängt, fast wieder wie ein ParmaSchinken, die Kirchenglocke, die in „Hochwürden Don Camillo" ihren Auftritt hatte. Dass die Hinterlassenschaft im lauen Windchen sachte hin und her Der Sherman-Panzer, gewichtige Hinterlassen schwingt, verrät ihre Herstellung schaft der Filmemacher, ist in der Regel vor dem Don Camillo Museum" geparkt. aus Pappmaché. Aus demsel" der Chiesa di Santa Maria Nascente steht – oder eben „der Kirche Don ben Material bestand auch der Vorbau, den die Kulissenbauer der Camillos", wie sie von der Mehrheit genannt wird. Der Kontroverse Dorfkirche verpassten. Als der Erfolg nach einer Fortsetzung verlangte, um die Huldigung einer Filmrequisite konnte mit der Segnung des stifteten die Produzenten den Anbau in echt. Kreuzes aus dem Weg gegangen werden – es steht damit ganz offiziell Das Herzstück des Kults in Kirchendiensten. „Und so können hier Dinge geschehen …" – mit diesen Worten entließ der Erzähler das Publikum jeweils zurück in die Und die Bewohnerin von Don Camillos Pfarrhaus kann interessierten Wirklichkeit, „… die nirgendwo in der Welt möglich sind." Besuchern erklären, wo denn die sakrale Galerie geblieben ist, die so
Von der Medizin zum KultGetränk
Als John Stith Pem ber ton 1886 damit begann, mit Wein, Kokablättern Von Markus Nöth und Kolanüssen einen Sirup als Mittel gegen Müdigkeit und „Pember ton’s Startschuss für The Coca-Cola Company. Kopfschmerzen zu brauen, ahnte er French Wine Bereits sieben Jahre später vermarktete wohl noch nicht, das seine Medizin" Coca", so nannte Candler sein Produkt in Flaschen abgefüllt in " einmal sprichwörtlich jedes Kind er zunächst seine den gesamten USA. Tatkräftige Hilfe bekam auf der Welt kennen würde. Der Erfindung. Das Ziel des er dabei von Frank M. Robinson (Pembertons Beginn einer Weltmarke mit einer Pharmazeuten aus Atlanta ehemaligem Buchhalter), dem die Erfindung langen Geschichte voller war es, durch das enthaltene Kokain einen wirdes Namens Coca-Cola sowie des ersten Logos Erfrischung und Lebenskungsvollen Ersatz für das damals sehr beliebte zuzuschreiben ist. Abgeleitet aus den ursprünglifreude pur. Morphin zu finden, was gegen Depressionen, chen Zutaten, dem Kokablatt (engl. coca leave) und Müdigkeit, Kopfschmerzen und sogar Impotenz helder Kolanuss (engl. cola nut) sowie inspiriert von den fen sollte. Doch zunächst wurde es erst mal nichts roten Fässern, die Pemberton ursprünglich zum mit dem Originalrezept. Abfüllen nutzte, entstanden so aus Robinsons Feder die zwei Denn geschwungenen „C"-Buchstaben vor dem roten Hintergrund nahezu zeitgleich wurde in Atlanta eine als Markenlogo. Prohibition beschlossen, so Danach sollte das Geschäft so richtig in Fahrt kommen. Und dass Pemberton gezwundas tat es auch. Die Einführung der Kronkorken, die Freigabe der gen war, den Wein wieder Abfüllrechte und nicht zuletzt die seinerzeit ungewöhnlich hohen aus dem Getränk zu nehmen. Ausgaben für Werbung – um 1900 noch 85.000 US-Dollar, 1912 Mit Sodawasser gemischt, wurde der Sirup dann erstmals 1886 in bereits eine Million – galten als äußerst clevere Schachzüge. Die Apotheken und Soda-Bars für einen Nickel (umgerechnet fünf Cent) Werbung richtete sich seinerzeit an die arbeitende Bevölkerung pro Glas verkauft – ganze 13 Gläser gingen durchund versprach: „Eine Coke um 8 wirkt bis 11 – schnittlich dabei täglich über die Theke. Drink Coca-Cola." Aber auch immer mehr Frauen Um sich Geld für seine eigene Morphinsucht zu und Kinder kamen so langsam auf den Geschmack beschaffen, verkaufte Pemberton kurz vor seinem und wünschten sich die Coke nicht mehr nur als Tod 1888 die Markenrechte seiner Erfindung – und Medizin, sondern als Erfrischungsgetränk. Und das auf eine höchst betrügerische Art, nämlich gleich die Werbetrommel rührte immer weiter. 1913 zierte mehrfach. Nach mehreren Irrungen gelang es schließder Coca-Cola-Schriftzug bereits über eine Million lich jedoch dem Apotheker Asa Griggs Candler, die Artikel, darunter Streichholzschachteln, Kalender Gesamtrechte für rund 2300 Dollar zu erwerben, der sowie zahlreiche Varianten von Metallschildern. Mit Seite
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dem Slogan „Durst kennt keine Jahreszeit" gelang ein weiterer großer Coup – die erste Winterkampagne von Coca-Cola war geboren. Neben dem Hauptsitz in Atlanta entstanden in dieser Zeit auch Zweigstellen in Chicago, Dallas, Los Angeles, New York und Philadelphia. Das Unternehmen wuchs und wuchs. Was lag da also näher, als den 1904 errichteten Firmensitz in Atlanta höher zu bauen als den höchsten Kirchturm aus der Region? 1917 wurde Candler dann sogar noch Bürgermeister von Atlanta, übergab im Gegenzug aber seinem Sohn Howard die Führung der Firma. Doch dieser verkaufte hinter dem Rücken seines Vaters schon zwei Jahre darauf Coca-Cola für 25 Millionen Dollar an Ernest Woodruff, dessen Sohn Robert wiederum 1923 das Ruder übernahm. Sein Ziel war es, dass Coca-Cola nie mehr als „eine Armeslänge von der Lust" der Menschen entfernt sein dürfe – weltweit versteht sich. Eine der ersten Maßnahmen war die Entdeckung des Sixpacks, der mit der Erfindung des Kühlschranks immer populärer wurde. Man konnte nun erstmals sein Cola auch in größeren Mengen mit nach Hause nehmen. Es folgten gekühlte Getränke-Automaten an praktisch allen öffentlichen Orten. Aber auch Tankstellen waren von großer strategischer Bedeutung. Schließlich gab es Ende der 1920er Jahre bereits 1,5 Millionen davon in den USA. 1929 kam dann der Startschuss in Deutschland. Im ersten Jahr wurden ganze 5840 Kisten verkauft – zehn Jahre später waren bereits über 50 Fabriken in Betrieb mit einem Jahresabsatz von stolzen 4,5 Millionen Kisten Coca-Cola. Erst während des 2. Weltkriegs kam die Produktion zum Erliegen. In dieser Zeit wurde Fanta entwickelt, welches man in den ersten Jahren noch auf Molkebasis herstellte. Doch zurück zur Tradition und CocaCola. 1931 erschien in der Coca-ColaWerbung erstmalig ein freundlicher, dicker, rot bekleideter Weihnachtsmann mit langem weißem Bart. Er trug durch die im ganzen Land bekannten Weihnachtswerbespots zur weltweiten Verbreitung bei, so dass inzwischen praktisch alle Weihnachtsmänner Coca-Cola-Rot tragen. „Lasst uns frischwärts gehen." Unter diesem Motto starteten die 1970er Jahre bei Coca-Cola. Lift und Mezzo-Mix ergänzten die Markenfamilie. 1982 dann die Einführung der ersten Diät-Cola – ein Riesenerfolg. Ebenso wie die im selben Jahr eingeführten Knibbelbilder. Wer erinnert sich nicht an die sogenannten Deckeldichtungen, die man aus jedem Flaschenverschluss herausknibbeln konnte? Das Thema der ersten Serie lautete „Meilensteine der Verkehrsgeschichte". Es
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folgten „Pop Star Gallery" und 1984 schließlich die „Ol y mpia-Champions". Die Knibbelbild-Aktion war ein echter Verkaufs schlager. Zu „leichten" Verstim mungen kam es erstmals 1985, als Coca-Cola sein Rezept änderte und es unter dem Namen New Coke in den USA anbot. Der Protest der Verbraucher war groß, und auch Hauptkonkurrent Pepsi reagierte schnell, als er nur wenige Wochen nach Einführung der neuen Coke eine Fernsehwerbung ausstrahlte, in der ein alter Mann um die alte Coca-Cola trauerte. Kurz darauf verkündete die Coca-Cola Company die Wiedereinführung der alten Rezeptur. Diese Nachricht wurde in den USA als so bemerkenswert eingestuft, dass sogar ABC News seine Sendungen für eine Eilmeldung unterbrach. Die Jahre vergingen und immer weitere Geschmacks richtungen folgten. 1986 Coca-Cola Cherry, 1990 CocaCola light koffeinfrei, 2003 Coca-Cola Vanilla und 2008 Coca-Cola Zero Sugar (ohne Zucker, dafür mit reichlich Süßstoff). Im selben Jahr kam auch die Wellness-Variante Coca-Cola light plus Lemon C auf den Markt. Zusätzlich wurde die Variante Coca-Cola light plus Green Tea (mit Grüner-Tee-Geschmack) verkauft. Beide sollten die weibliche und kalorienbewusste Zielgruppe der 25- bis 39-Jährigen ansprechen. 2013 folgten dann Coca-Cola Zero koffeinfrei und schließlich 2015 Coca-Cola Life, mit der sich der Konzern ein „gesünderes Image" verschaffen wollte. Doch daraus wurde erst mal nichts, nachdem auch in dieser Coke noch immer rund 34 Gramm Zucker auf 500 Milliliter Flüssigkeit enthalten waren. Coca-Cola wird heute auf allen Kontinenten und in mehr als 200 Ländern vertrieben. Von den täglich 1,9 Milliarden verkauften Getränken werden 99 Prozent jeweils national produziert. Ganze 46 verschiedene Werbeslogans prägten das Markenleitbild von 1886 bis heute. Das Werbebudget betrug zuletzt vier Milliarden US-Dollar. Dem gegenüber steht ein Gewinn von über sechs Milliarden US-Dollar (2016). Über den ursprünglichen Kokaingehalt einer Coca-Cola wurde schon immer viel spekuliert. Laut Rezept von Frank M. Robinson enthielt ein Glas wohl 8,45 Milligramm Kokain, wobei die Coca-Cola Company bis heute offiziell immer noch abstreitet, dass ihr Getränk jemals Kokain enthalten habe. Die geheime Rezeptur wird wohl auch weiterhin für Spekulationen sorgen, was jedoch als sicher gilt: Sie ist überall auf der Welt gleich.
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SEHNSUCHTSORT VIDEOTHEK
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Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal in einer Videothek? Nein, nicht in einer virtuellen Videothek im Netz, sondern in einem leibhaftigen Ladengeschäft mit Mitgliedskarten, Regalen, Leihfristen, Süßigkeiten am Tresen, Schwätzchen mit den Angestellten? Es wird wohl schon einige Zeit her sein – falls Sie nun spontan Lust auf einen Videothekenbesuch verspüren, werden Sie in Ihrer Stadt aber wahrscheinlich nicht mehr fündig werden. Von Nicolas von Lettow-Vorbeck
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erste Videothek. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten folgte o sich nämlich einst belebte, vielfältige Orte der Alltagskultur erst mit Verspätung, 1977 startete George Atkinson in Los Angeles befanden, werden heute Pizzen gebacken, Kleider verkauft den ersten Videoverleih der USA. oder Fernreisen angeboten. Der Hesse und der Kalifornier waren Netflix, Amazon und Konsorten beide ihrer Zeit voraus, denn in den haben die Kultur der Videotheken Siebzigern stellten Kinofilme für – gewachsen in Jahrzehnten – zu Hause noch ein Nischenthema innerhalb kürzester Zeit beerdigt. für Freaks dar. Damals gab es nur Was bleibt, sind wunderschöne wenige Titel zur Auswahl, die groErinnerungen, die langsam verblasßen Studios zögerten noch mit der sen. Höchste Zeit also für eine rückVeröffentlichung ihrer Blockbuster. blickende nostalgische Würdigung Zudem tobte der berüchtigeines verlorenen Paradieses. te Formatkrieg, niemand konnDer allererste Ort, an dem man sich te vorhersagen, ob sich am Ende Videos leihen konnte, befand sich VHS, Betamax oder Video 2000 nicht etwa in New York, London, am Markt durchsetzen würden. Um Paris oder Los Angeles, sondern im das Jahr 1984 herum stand dann beschaulichen Kassel. Dort eröffjedoch endlich das Video Home nete Eckhard Baum anno 1975 in Erste und älteste Videothek der Welt System (VHS) als Sieger fest, und der Erzbergerstraße 12 die weltweit Seite
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Unaussprechliches. Natürlich hat niemals ein Minderjähriger diese das Angebot vergeheimnisvolle Welt betreten, und so kursierten die abenteuerfügbarer Kassetten lichsten Gerüchte ... schnellte innerhalb Oft genug kam es vor, dass eine erwünschte kürzester Zeit in Kassette nicht mehr verfügbar war: „Der ist schon die Höhe. ausgeliehen, kommt vielleicht morgen oder am Ab etwa Mitte der Montag wieder rein." Gerade Blockbuster wie Achtziger begann „Vier Hochzeiten und ein Todesfall" oder „Titanic" in Deutschland waren in den Monaten nach ihrem Erscheinen die goldene Ära heiße Ware und nur mit großem Glück zu ergatder Videotheken. tern. Dafür bin ich im Nachhinein sogar dankbar, Bereit s 1983 denn diese Entwicklung zwang mich, auch s t an d e n in mal älteren Klassikern wie „Manche mögen's Westdeutschland 4850 Videotheken mit 128 Millionen entliehenen heiß" oder „Eins, Zwei, Drei" eine Chance Videos exakt 3664 Kinos mit 125 Millionen Besuchern gegenüber. zu geben. Wahrscheinlich habe Nicht wenige Zeitgenossen ich es nur der Videothek zu sagten damals das Ende des verdanken, dass ich bis heute Kinos voraus. Diese selbst eine innige Leidenschaft für alte ernannten Propheten befürchFilme aus den Fünfzigern und teten, dass schon bald nieSechzigern hege. Egal wie man mand mehr den Weg in die sich am Ende entschied, es war Lichtspielhäuser auf sich nehabsolut verpönt, die Kassette men würde, wenn aktuelle nicht zurückgespult wieder in Filme wenige Monate nach der Videothek abzuliefern. Oft dem Kinostart auch im gemütprangte auf den Kassetten sogar lichen Pantoffelkino verfügbar ein Sticker, der warnte, dass in sein würden. Auch den Tod diesem Fall eine Strafgebühr von der gesamten Filmindustrie einer Mark oder 50 Pfennigen durch Raubkopierer malte erhoben werde. man damals an die Wand. Hier darf nach Herzenslust gefachsimpelt werden Das Zurückspulen wurde Stattdessen befruchteten sich schlagartig obsolet, als Ende der Neunziger langsam, Kino- und Heimvideomarkt auf wunderbare Weise. So aber sicher die DVD die VHS-Videokassette vom Markt schaute sich der Autor dieses Textes – Jahrgang 1984 verdrängte. Bereits 1997 kam mit „12 Monkeys" die – die Blockbuster der damaligen Zeit wie „Jurassic erste deutschsprachige Silberscheibe auf den Markt, Park", „Mrs. Doubtfire" oder „Free Willy" 2001 wurden in Deutschland bereits mehr Spielfilme zuerst im Kino an und erlebte die Filme auf DVD verkauft als auf VHS. Die damals aufsehendann rund sechs Monate später auf der erregende Bildqualität der als futuristisch empfunheimischen Mattscheibe noch einmal – denen DVD begeisterte die Menschen und gab den Hollywood verdiente also doppelt! Damals Videotheken einen erneuten Schub: Filme zu Hause war die Sache für uns Kinder klar: Hatte anzuschauen, war so chic wie nie zuvor! Die moderne einem der Film im Kino besonders gut Technik ermöglichte Filmgenuss in unterschiedlichen gefallen, dann musste man ihn unbedingt Sprachen, wahlweise mit Untertiteln und ergänzt durch erneut auf Videokassette anschauweggeschnittene Szenen oder spannende Making-Ofen. Es gab natürlich auch Filme in Berichte. Als dann zu Beginn des zweiten Jahrzehnts der Videothek, die lange vor unserer des 21. Jahrhunderts die Blu-ray langsam begann, die Zeit im Kino gelaufen waren oder DVD zu ersetzen, schien ein dritter Frühling für die exklusiv auf Kassette veröffentlicht Videotheken in Sicht ... wurden. Bei diesen Titeln war es Stattdessen begann allerdings der Siegeszug der Onlineziemlich kniffelig, richtig zu wählen. Videotheken, auch sie boten hervorragende Bildqualität, Da man sich damals nicht einfach wurden immer günstiger, hatten eine immer größere den Trailer auf YouTube anschauen Auswahl, und super bequem waren sie obendrein – die konnte, erfolgte die Entscheidung für echten Videotheken hatten keine Chance. Trotzdem oder gegen eine Kassette aufgrund kämpft heute ein kleiner Zirkel eingefleischter Fans für des Bauchgefühls. Als Auswahlhilfe die Bewahrung der nostalgischen Videokultur – oft ohne standen nur das Cover der kommerzielle Interessen. So schien es im Oktober 2017, als Kassettenhülle, der Beschreibungstext müsste die erste Videothek der Welt für immer ihre Pforten auf der Hüllenrückseite und ein paar schließen, doch sie wurde unter großem Medieninteresse Standbilder in Briefmarkengröße zur von der ehrenamtlichen Initiative Randfilm e.V. geretVerfügung. Oftmals ärgerte man sich im Nachhinein, tet, mittlerweile ist die alte neue Videothek einer der das Video war dann völlig anders, als die Beschreibung Geheimtipps in der hessischen Stadt. Wenn Sie also einmal oder die Fotos es erahnen ließen ... Da ich als Kind in Kassel sind, sollten Sie unbedingt in der Erzbergerstraße nur etwa einmal im Monat das Glück hatte, einen 12 vorbeischauFilm gemeinsam mit meinen Eltern ausleihen zu en, es lohnt sich! dürfen, traf ich meine Wahl keineswegs leichtfertig. Es war äußerst hilfreich, mit den Angestellten der Videothek zu plaudern und sich von ihnen beraten zu lassen. Mir erschienen diese Menschen als allwissende Autoritäten, die scheinbar schon jeden Film im Universum geschaut hatten, ihr Wort besaß Gewicht! Und dann war da noch der geheimnisvolle Erwachsenenbereich in jeder Videothek: Durch einen Vorhang von den übrigen Regalen getrennt, versprach diese Abteilung GoodTimes
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Die ökologische Stimme der Sehnsucht!
Von Ralf G. Poppe
Als Doris Nefedov, geb. Treitz, am 31. Juli 1969 in ihrem elfenbeinfarbenen Mercedes 220 SE Coupé im holsteinischen Tellingstedt tödlich verunglückte, starb für Jahre die Hoffnung auf anspruchsvolle Musik mit deutschen Texten. Denn Sängerinnen, die im Nachkriegsmief der 1960er Jahre selbstbestimmt über ihr Werk verfügten, eigene Lieder komponierten, waren seinerzeit im Business nicht gern gesehen. Andererseits machte dieses traurige Ereignis vor nun 50 Jahren die Sängerin Alexandra unsterblich, ließ sie gar zur Vorreiterin einer neuen Öko-Bewegung werden!
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s ist ein heißer Tag in einem überdurchschnittlich warmen Sommer, als gegen 15 Uhr bei 28,4 Grad Celsius der Wind der Geschichte am 31. Juli 1969 einmal über den beschaulichen Ort Tellingstedt weht. Heute leben knapp 2600 Menschen dort, am nördlichen Ende der Heide-Itzehoer Geest im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein. Doch nahezu jede(r) ältere Einwohner(in) erinnert sich noch heute minutiös an den besagten Julitag, als Alexandra im Ort die Straßenkreuzung befuhr. Jene schicksalhafte Kreuzung wurde später baulich aufgehoben, die L149 nunmehr ungefähr 100 Meter weiter westlich mittels einer Brücke auf die B203 geführt. „Ich bin mit meiner Tochter, sie war damals gerade ein Jahr alt, sowie mit einer anderen Frau und weiteren Kindern vom Schwimmen gekommen", erzählt eine Anwohnerin des Unfallortes in Tellingstedt. „Als der Unfall passiert war, sind wir aus Richtung Seite
Albersdorf nach Tellingstedt gekommen. Zuerst hatten wir gar nicht so richtig mitbekommen, was überhaupt los war. Dann haben wir von Leuten aus dem Ort erfahren, dass da ein Unfall gewesen sei. Es wuss te jedoch noch niemand so genau, wer es gewesen war. Schließlich haben die Leute herausbekommen, dass es die Sängerin Alexandra war, die dort mit Mutter und Kind verunglückte. Und dass Alexandra nachher hier im Leichenschauhaus aufgebahrt wurde, während ihre Mutter und ihr Sohn ins Krankenhaus gekommen sind. Später wurde das Unfallfahrzeug zum Autohaus abgeschleppt, dort vorerst abgestellt." Alexandras Mutter, Wasselewska „Wally" (Valeska) Treitz, geb. Swetosch, verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Alexandras damals sechsjähriger Sohn Alexander trug, auf der Rückbank in Kissen gebettet und schlafend, lediglich ein paar kleine Verletzungen davon. Um Alexandras Tod ranken sich jedoch noch heute unzählige wirre Gerüchte. Man spricht von Mord, Selbstmord und davon, dass ihr Ex-Ehemann Nikolai Nefedov (1912–1989) ein Spion mit StasiVerbindungen gewesen sei. Bei ihrem Verlobten, dem Frankokanadier Pierre Lafaire, soll es sich angeblich um einen US-Agenten
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mit Kontakten ins Rotlichtmilieu gehandelt haben. Ein Biograf, der vor nunmehr 20 Jahren ein Buch mit derlei Thesen füllte, erhielt eigenen Angaben zufolge Morddrohungen. Vielleicht mögen auch deshalb die Anwohner ihre Namen nicht gern kommuniziert wissen. „Das war ein Ereignis hier", bemerkt obige Anwohnerin traurig, die ebenfalls darum bat, ihren Namen nicht abzudrucken. „Die Sängerin war ja bekannt. Darüber wurde geredet. Die Leute haben später ja auch noch erzählt, dass Menschen in der Leichenhalle gewesen seien und von Alexandra Schmuck geklaut hätten. Ich weiß aber nicht, ob das alles wahr ist!"
einer Tankstelle. Dort wechselte man schnell die Zündspule. Die Fahrt konnte weitergehen. Drei Kilometer später war Alexandra tot! Trotz zweier Stoppschilder gab es keine Anzeichen von Bremsspuren, als die Fahrzeugführerin von der Land- auf die Bundesstraße einbog. Mit hoher Geschwindigkeit stieß das Coupé auf einen mit Betonplatten beladenen Sattelschlepper. Dieser schleift den Pkw 20 Meter mit, schleudert ihn auf eine Wiese. Alexandra, hinter dem Lenkrad eingeklemmt, war auf der Stelle tot.
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Der Tod der „Stimme der Sehnsucht" erschütterte das ganze Land. Selbst Doris Wally Treitz ist am 19. Mai 1942 in Heydekrug, Sohn Alexander und der Autor dieser Zeilen – dem heutigen Šilutė in Litauen, zur Welt gekommen. " Alexandra" Doris Nefedov damals viereinhalb Jahre alt – erinnert sich noch gut daran. Weil seine Ihre Familie musste 1944 vor der Roten Armee aus dem Memelland Mutter ihm, den Tränen nahe, vom Unfall ihrer Lieblingssängerin flüchten, landete zunächst in Sachsen, später in Kiel, letztlich jedoch erzählte. Fortan pilgerten Fans zur in Hamburg-Rothenburgsort. Doris verließ das Gymnasium vor dem Unfallstelle, um Blumen, Bilder oder Briefe Abitur, jobbte als Sekretärin, Stenotypistin, Zimmermädchen und niederzulegen. Auch aus München kamen besuchte eine Modeschule. Sie wurde „Miss Hamburg", Neunte regelmäßig Leute zur Unfallstelle. „Ob die bei der „Miss Germany"-Wahl 1962. Mit 21 wurde sie Mutter, ihr nun jedes Jahr kamen, Ehemann war 30 Jahre älter als sie. weiß ich auch nicht. Nach der Scheidung gab sie sich, angeAber wenn ich an lehnt an den Namen ihres Sohnes, Alexandras Todestag den Künstlernamen Alexandra. Denn an der Unfallstelle die Musik war ihre Chance. 1965 sang vorbeikam, lagen dort Alexandra bei den Hamburger City stets frische Blumen. Die könnten jedoch auch von Preachers, lange bevor Udo Lindenberg Leuten aus Itzehoe stammen. Gepflegt haben die der Band beitrat. Ihr Manager Hans R. Unfallstelle Anwohner, die nebenan gelebt haben. Beierlein pushte sie in die Hitparaden. Jetzt wird aber auch nichts mehr gemacht. Die Seit „Doktor Schiwago" war Musik Menschen sind weggezogen, wohnen nicht mehr mit „russischer Seele" angesagt. Doch hier. Unsereiner fährt da ja so vorbei. Es ist halt die Sängerin wollte mehr als „Slawenso gewesen und fertig", erzählt die Anwohnerin Schnulzen". Mit "Mein Freund, der auf Nachfrage. Baum" schuf sie eine vorweggenommene Hymne der später folgenden Alexandra hinterließ zum Zeitpunkt ihres Ablebens Öko-Welle. „Sie war mit ihren Texten mehrere 1000 DM an Schulden, dennoch konnund Themen ihrer Zeit voraus", gab te ihr Sohn Alexander, der bei seinem Vater ihr Manager noch 40 Jahre späin Boston (USA) aufgewachsen war, dank sehr ter zu Protokoll. Er mahnte jedoch guter Plattenverkäufe im Alter von 25 Jahren ein auch, Alexandra sei eine schlechte Millionenerbe antreten. Die Sängerin selbst wurde Autofahrerin gewesen. „Einen Tag vor 27 Jahre alt und ist damit die einzige legendädem Unfall saß ich noch bei ihr im re Deutsche, die unfreiwillig zum sogenannten Wagen. Ihr Fahrstil war so gefährlich, 27er Club zählt. Andere Mitglieder sind Musiker, dass ich ausstieg, weil ich Angst bekam. die ebenfalls den Sound ihrer Epoche stilübergreifend geprägt hatDer Unfall ist passiert, weil Alexandra nicht ten: u.a. Brian Jones († 3.7.1969; Gitarrist der Rolling Stones), Jimi aufpasste und ein Stoppschild überfuhr." Hendrix († 18.9.1970), Janis Joplin († 4.10.1970), Jim Morrison (3.7.1971; Sänger von The Doors), Was letztendlich zum Kurt Cobain (5.4.1994; Sänger/Gitarrist von Unglück führte, wird denNirvana), Amy Winehouse († 23.7.2011). Um all noch nie mehr eindeutig diese Musiker/innen ranken sich gleichfalls viele geklärt werden können. Geheimnisse, jedoch starben sie nicht durch einen Alexandra war auf dem Weg Autounfall. in den Urlaub nach Sylt. Sie wirkte physisch wie psychisch sehr angeschlagen, zu viel In Hamburg ist eine Straße nach Alexandra Stress machte ihr zu schaffen. So war sie 1969 auch von benannt worden, in Kiel ist ihr ein Platz gewidHamburg nach München-Nymphenburg umgezogen. met. Im Geburtsort Heydekrug/Šilutė erinnert Der Mercedes, Baujahr 1958, war Alexandras erstes eine Bronzetafel an die Sängerin. Den Grabstein Auto. Sie hatte es gebraucht erworben. Die Urlaubsreise auf dem Münchner Westfriedhof – wo auch ihre begann über Nacht im Autozug von München nach Eltern beigesetzt sind – ziert ein Grabstein mit Hamburg. Vormittags gab es noch einen Termin bei dem Künstlernamen Alexandra. Das reicht. Denn der Plattenfirma in Hamburg. Gegen Mittag wurde die ihre tiefe, rauchige Stimme, die melancholischen Lieder sowie ihre Reise fortgesetzt. Da die heutige A23 damals lediglich bis Pinneberg geheimnisvolle Schönheit haben sie nach ihrem Tod unsterblich werfertiggestellt war, der Bau der A7 nach Kiel gerade erst begonnen den lassen. Die Urlaubsfahrt endete in einer Tragödie, eine Legende hatte, befuhr man die B5. In Heiligenstätten, kurz hinter Itzehoe, kam begann! es zu einer Panne. Hilfsbereite Männer schoben den Mercedes zu GoodTimes
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Der Krampf der Sterne THE
HOLIDAY SPECIAL George Lucas' Meisterstück Krieg der Sterne" schrieb " 1977 Kinogeschichte. Der nicht erwartete Erfolg des Spektakels versprach natürlich eine Fortsetzung. Doch eine solche Produktion erforderte nicht nur Zeit, sondern auch die volle Aufmerksamkeit der Kreativen, um dem Erstlingswerk gerecht zu werden. Es musste also etwas passieren, das die Millionen von Fans bei Laune hielt – und das so schnell wie nur möglich. Von Marco Frömter
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ut ein Jahr nach der Weltpremiere von „Krieg der Sterne" Frau) und Sohnemann Lumpy gerade ihrem Alltag nachgehen. Auch steckte Lucasfilm bereits voll in der Vorbereitung für „Das Großvater Itchy ist mit von der Partie und fleißig dabei, einen X-WingImperium schlägt zurück". Doch vor 1980 war es unmöglich, Fighter zu schnitzen. Malla schmeißt den Haushalt, und Chewbaccas noch etwas in die Kinos zu bringen. George Lucas gab deshalb grünes Sprössling stellt allerhand Unfug an. Was sich für Fans eventuell Licht für eine Fernsehsendung, die den ersten Teil der interessant anhört, ist in Wirklichkeit eine nervtötende „Star Wars"-Saga fortsetzte. Was dabei herauskam, Aneinanderreihung von Szenen, die nur wirre Wookiewar alles andere als ein Film mit gewohntem Niveau. Laute und schräge Situationen zeigen – und das knapp Am 17. November 1978 lief schließlich das „Star Wars 15 Minuten lang. Die Dialoge der Wookie-Familie Holiday Special" im amerikanischen TV und schockte müssen dabei ohne Übersetzung und Untertitel ausnahezu alle Zuschauer. Gut, die 70er Jahre waren bunt kommen. Der Zuschauer kann sich mehr oder weniund schrill; man war allerhand gewöhnt. Doch: Die ger nur seinen Teil denken. Nachdem Han Solo und Qualität dieser Fortsetzung war so unterirdisch und Chewbacca auf sich warten lassen, nimmt Malla Beatrice Arthur Kontakt mit Luke Skywalker via Bildschirmtelefon schlecht, dass „Star Wars"-Schöpfer Lucas Jahre später als Barkeeperin zugab: „Hätte ich die Zeit und einen Hammer, würde auf. Mark Hamill in seiner Paraderolle wirkt dabei ich jede Kopie dieses Streifens eigenhändig zerstören." befremdlich: Er hatte kurz vor den Dreharbeiten einen In der Tat wurde das knapp 100-minütige Desaster schweren Unfall, und seine Narben mussten mit Makeauch nur ein einziges Mal offiziell im amerikanischen up übertüncht werden. Fernsehen ausgestrahlt. Abgesehen von Frankreich, Einziges Highlight bleibt der erste Auftritt des Australien und Kanada nahm kein weiteres Land dieses Kopfgeldjägers Boba Fett. In einem elfminütigen Special ins Programm. Das „Star Wars Holiday Special" Zeichentrickfilm, der in das Holiday-Special integriert genießt bei den Fans heute allerdings Kult-Status, wurde, steht dieser das erste Mal Luke Skywalker wenngleich es auf der Liste der schlechtesten Filme gegenüber. Zunächst gibt er sich als Freund aus, doch Imperial-Offiziere durchsuchen aller Zeiten die absolute Spitze bildet … zum Ende hin zeigt er sein wahres Gesicht und arbeiHan Solo (dargestellt von Harrison Ford) und sein Chewbaccas Baumhaus tet mit Darth Vader zusammen. Dieser Trickfilm wurde Kumpan Chewbacca sind auf der Flucht vor imperialen Truppen. von den Nelvana-Studios in Kanada produziert und erschien sogar als Beide versuchen, an Bord des Millennium Falcon zu entkommen. Ihr Bonus auf einer Blu-ray-Sammlung der „Star Wars"-Filme. Ziel ist Chewies Familie auf dem Planeten Kaszyyyk. Dort soll der In den 80er Jahren war das „Star Wars Holiday Special" ein gerne „Lebenstag" gefeiert werden. Szenenwechsel: Die Zuschauer befingesuchtes Relikt und ist auf dem Schwarzmarkt für etliche hunden sich in der Küche der Wookie-Familie, in der Malla (Chewbaccas dert Dollar gehandelt worden. Erst mit Einzug des Internets ist es Seite
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kostengünstiger und einfacher geworden, sich dieses „Schmankerl" herunterzuladen. Trotz des enttäuschenden Ergebnisses verschlang die Produktion eine Million US-Dollar. Mehrere Änderungen am Drehbuch, viele Improvisationen und der Austausch einiger Mitarbeiter während der Dreharbeiten haben die Suppe ordentlich versalzen. Special Effects gab es so gut wie gar keine. Lediglich einige Ausschnitte aus „Krieg der Sterne" sind wiederverwendet worden. Eine aus dem Welthit herausgeschnittene Szene mit Darth Vader fand hierbei ebenfalls Verwendung. Unter dem Strich betrachtet ist das „Star Wars Holiday Special" eine schlechte Varieté-Show mit absolut peinlicher schauspielerischer Leistung, kaum Handlung und zusammengepuzzelten Einlagen, die keinen großen Sinn ergeben. Zurecht streitet „Star Wars"-Schöpfer George Lucas jedwede Beteiligung daran ab. Aber nicht nur aus heutiger Sicht schneidet das Special grottenschlecht ab. Bereits bei der ersten und einzigen Ausstrahlung hagelte es ordentlich Kritik. Der TV-Kritiker Greg Moody schrieb 1978 beispielsweise, dass der Streifen eine „kommerzielle Abzocke" sei und absolute Zeitverschwendung: „Es ist Schrott. Es fehlt die Mystik, die ‚Star Wars' ausmacht. Alles, was wir sehen, sind Die Star Wars"-Helden im " Holiday Special
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schrill verkleidete Idioten." Dreharbeiten Sein Kollege William Beamon schlug in die gleiche Kerbe: „Die Macht ist überhaupt nicht mit ‚Star Wars'." Seiner Meinung nach habe man mit dem „Star Wars Holiday Special" das Original „kannibalisiert". Die Macht möge mit den Produzenten sein, schrieb er, denn es handle sich lediglich um Müll in „‚Star Wars'-Verpackung". In Deutschland war das „Star Wars Holiday Special" nie offiziell zu sehen. Die harten Fans streiten sich immer noch, ob dieser missglückte Film Teil des „Star Wars"Universums sei oder nicht. Die meisten sehen es allerdings locker und veranstalten „Holiday Special"-Partys oder Wettbewerbe, wie lange man es aushalten würde, sich den Film anzusehen. Jedenfalls ist es ein netter Trip zurück in die schrillen 70er Jahre – vorausgesetzt, man hat ein starkes Nervenkostüm.
Ein Imperialer-Offizier droht Malla
Sohn Lumpy klaut Kekse und spielt mit seinem X-Wing-Jäger
Lebenstag"-Feier "
Frau Malla in der Küche
90TH ANNIVERSARY
THE ALBUM COLLECTION (Limited Edition)
THE VERY BEST OF JAMES LAST
• 41 Alben auf 25CDs (digital remastered) • u.a. Hair, Seduction, Voodoo-Party, Polka-Party, Ännchen von Tharau + die beiden japanischen Alben „Sekai Wa Futari No Tameni“ & „Paintings“ • Viele zum ersten Mal auf CD • 68-seitiges Booklet mit Texten von der Familie, einem Bandmitglied, Thomas Macho sowie zahlreichen Fotos und interessanten Fakten
CD 1: Hits und Klassiker CD 2: James Last spielt James Last CD 3: Music Around the World
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• Von den Greatest Hits bis zu Kult- und Raritätentracks • 50 Jahre James Last Musikgeschichte • Liner Notes von Thomas Macho (Co-Autor der James Last Biografie: „Non Stop Leben“) 2/2019
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Einsendeschluss: 31. Juli 2019 Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Gerichtsstand ist Stuttgart.
Viel Glück!
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2x2 Hörspiele auf CD
Lösungswort kult! Nr. 19: CALIFORNIA CLAN
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