kult! 60er · 70er · 80er
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Österreich 7,50 Luxemburg 7,50 Schweiz CHF 12,70 Ausgabe 1/2020 (Nr. 21)
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AC/DC
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Foto: © NikMa Verlag
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Weihnachtsserien • Frank Zander • Verstehen Sie Spaß? • Reich und Schön • Frank Elstner • Enid Blyton
NEUES VOM
DIE KULTSERIE JETZT AUF DVD UND DIGITAL ERHÄLTLICH www.studio-hamburg-shop.de | www.ndrshop.de
kult!
Impressum Les Humphries
Singers
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NikMa Verlag Fabian Leibfried Eberdinger Straße 37 71665 Vaihingen/Enz Tel.: 07042/37660-160 Fax: 07042/37660-188 E-Mail: goodtimes@nikma.de www.goodtimes-kult.de www.facebook.com/goodtimeskult
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Herausgeber und Chefredakteur: Fabian Leibfried AC/DC
Mitarbeiter:
Abonnements, Shop, Social Media: Andrea Leibfried – goodtimes@nikma.de
Grafische Gestaltung: Andrea Zagmester – kult@nikma.de Kathleen Müller – grafik@nikma.de
Anzeigenverkauf: Petra Czerny – anzeigen@nikma.de
Vertrieb: IPS Pressevertrieb GmbH Postfach 1211 53334 Meckenheim Tel: 0 22 25/88 01-0
Druckerei: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG Frankfurter Str. 168 34121 Kassel
Erscheinungsweise: 2x jährlich
Copypreis: Einzelheft: 6,50 € (Preis inkl. 7% MwSt.)
Abonnement: siehe Seite 19
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Ausgabe Oktober 2019 1/2020 (Nr. 21)
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Norbert Arndt, Matthias Auer, Matthias Bergert, Jens-Uwe Berndt, Horst Berner, Kathrin Bonacker, Lothar Brandt, Susanne Buck, Petra Czerny, Marco Frömter, Michael Fuchs-Gamböck, Hans-Jürgen Günther, Thorsten Hanisch, Christian Hentschel, Michael Klein, Andreas Kötter, Madita Leibfried, Niklas Leibfried, N icolas von Lettow-Vorbeck, Kati Naumann, Hans-Joachim Neupert, Markus Nöth, Helmut Ölschlegel, Jörg Palitzsch, Manfred Prescher, Thorsten Pöttger, Sven Rachner, Malte Ristau, Philipp Roser, Roland Schäfli, Thorsten Schatz, Ulrich Schwartz, Christian Simon, Daniel Stroscher, Alan Tepper, Claudia Tupeit, Uli Twelker, Egon Wachtendorf, Thomas Wachter, Jürgen Wolff
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Editorial Es ist kaum zu glauben, wie die Zeit vergeht, ja geradezu fliegt. Zehn Jahre ist es her, dass die erste Ausgabe von kult! erschienen ist. Als Schwesterblatt des seit 28 Jahren existierenden Musikmagazins GoodTimes wurde kult! gegründet, um über die Rock- und Pop-musikalischen Inhalte von GoodTimes hin aus auch andere kultige Themenbereiche zu erschließen wie Film, Fernsehen, Sport, Comics, Schlager, Autos, um die Leserinnen und Leser an ihre Jugend zu erinnern – und an all die Menschen und Dinge, die damals angesagt waren. Und der kultige Stoff geht noch lange nicht aus, wie auch diese Ausgabe unseres Magazins beweist. Es gibt viel zu viele interessante Persönlichkeiten, die sich in den unterschiedlichsten Bereichen bewegen, einst und heute Relevanz besitzen. Man denke nur an Nastassja Kinski, Frank Elstner, Frank Zander, Fritz Egner oder Eddie Constantine, die wir Ihnen diesmal in Geschichten und Interviews präsentieren. So manche(r) wird sicher auch schmunzeln, wenn wir an Gutes Benehmen in den " 1960er und 1970er Jahren" erinnern. Und ebenso, wenn es um die Party-Kultur in den Seventies geht. Manch einer mag heute mit Wehmut an die Weihnachtsserien von einst zurückdenken, manch anderer an Rambo" – oder auch an die Ente", ge" " nauer den 2 CV, die im Laufe der 100-jährigen Geschichte von Citroën eine wichtige Rolle spielte – oder an die Geschichten mit Pippi Langstrumpf. Vieles, was damals zum Alltag gehörte, besitzt heute längst Kult-Charakter – und wenn Sie bislang eine kultige Sache oder Person in unserem Magazin vermisst haben, dann lassen Sie uns das bitte wissen ... Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Jubiläums-Schmökern"! "
Titelfoto:
Nastassja Kinski: © NikMa Verlag Weiterverwendung aller in GoodTimes kult! erschienenen Artikel, Interviews, Fotos, Rezensionen etc. nur mit der Zustimmung des Herausgebers gestattet. Gerichtsstand: Stuttgart
Fabian Leibfried – Herausgeber/Chefredakteur –
Wir drucken auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier. Bei Bestellungen und Teilnahme an Verlosungen werden Ihre Daten zur Vertragserfüllung und Kundenbetreuung verarbeitet und gespeichert. Ihre Daten können zu den genannten Zwecken an Dienstleister weitergegeben werden. Ausführliches zum Datenschutz und zu den Informationspflichten finden Sie unter www.goodtimes-kult.de/datenschutz
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kult! Nr. 22 erscheint am 24. April 2020 GoodTimes
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Inhaltsverzeichnis
Nastassja Kinski | S. 14
Pippi Langstrumpf | S. 40
Rubriken
3 Editorial | Impressum 4 Inhaltsverzeichnis
6 Top 5 | Soundtracks Mitarbeiter & Prominenz
26 | René Goscinny
28 | Fernsehserie UFO
8 News from the past | Altes neu ausgepackt
18 kult!-Shop
Alarmstart, die Aliens sind da!
30 | Pelé
Der Beethoven des Fußballs
32 | Benimmregeln auf dem Prüfstein der 68er Generation
19 kult!-Abo-Bestellschein
Held unserer Kindheit
Irmelas neue Freiheiten
36 | Edel-Seifenopern der 80er Jahre – Serie (Teil 6)
51 kult!-Riesenposter AC/DC & Les Humphries Singers
6 4 Kultbücher | Geschätzt, geliebt, gelobt
Reich und schön
40 | Pippi Langstrumpf
106 kult!-Preisrätsel
42 | Mac Coy
12 | Alltags-Kult
Nicht nur im Taka-Tuka-Land bekannt …
… war die Härte
Weihnachten in den 70ern
44 | Soundtracks
Der unbekannte Weltstar
46 | Urlaubsfahrten
Verstehen Sie Spaß?
14 | Nastassja Kinski 20 |
Dreibeinige Skifahrer und andere Kuriositäten
Abenteuer auf vier Rädern für die ganze Familie!
48 | Kulturgut Musikkassette
24 | Hobby
Zum Grauen & Weinen schön
Grundrauschen einer Generation
50 | Werbe-Ikonen – Serie (Teil 8) Tilly von Palmolive
Das wunderbarste aller Technik-Magazine Seite
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ZDF-Weihnachtsserien | S. 102
59 | TV-Charaktere – Serie (Teil 9)
Karl-May-Spiele | S. 84
John McLean: Westlich von Santa Fé" "
60 | Fritz Egner
62 | 66 |
Radiomann aus Überzeugung
Enid Blyton
Es geht auch ohne Eltern!
Das verschwundene Handwerk des Filmvorführers Als die rote Berta noch ohne Liebe wandern ging
Von wegen Kein Mensch hat uns je gelesen und" uns wird auch keiner lesen!!!"
72 | Sitcoms der 80er Jahre – Serie (Teil 2)
Roseanne
So habe ich mich ein bisschen durch die "Zeiten gesungen"
74 | Frank Zander
76 | Das Jahr 1989
Mauerfall in Berlin, Massaker in Peking und der Siegeszug des King Of Pop" "
80 | Kino-Bösewichte – Serie (Teil 9)
Edward G. Robinson
84 | Karl-May-Spiele
Hunderttausende feiern jeden Sommer Winnetou
86 | Partykultur der 70er
Kerzen, Kippen, Klammerblues
88 | Superheld Jan Tenner
Ein neuer Anfang
90 | 100 Jahre Citroën
Innovativ & bisweilen ziemlich schräg
92 | Frank Elstner
Abenteurer, Spieler, Macher, Pionier, neugieriger Mensch – stiller Star
94 | Rambo
Werden wir dieses Mal gewinnen?" "
96 | Heimaten
Wer wir waren, und wer wir sind
98 | Dieter Bohlen
Von nichts kommt nichts!
1 00 | Für Darts-Fans ist die Welt eine Scheibe
Seeleute, Schnaps und Spicker
102 | Die Weihnachtsserien des ZDF
82 | Eddie Constantine
70 | 60 Jahre Asterix
Harte Fäuste, heißes Blut und schöne Frauen GoodTimes
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Timm, Silas, Anna und die andern
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Soundtracks
Bestenliste | Top 5
Petra Czerny
Michael Klein
Nicolas von Lettow-Vorbeck
1. Lost Boys 2. Rocky 3. Top Gun 4. La Boum – Die Fete 5. Spiel mir das Lied vom Tod
1. Mission 2. Zwei Mädchen aus Wales ... 3. Romeo und Julia 4. Drei Farben: Blau 5. Der letzte Mohikaner
1. Jurassic Park 2. Der König der Löwen 3. Der weiße Hai 4. Titanic 5. Apollo 13
Foto: © BR/Markus Konvalin
Fabian Leibfried 1. The Rocky Horror Picture Show 2. Halloween 3. Straßen in Flammen 4. Saturday Night Fever 5. Metropolis
Matthias Bergert 1. Die Firma 2. Dirty Dancing 3. Chinatown 4. Jackie Brown 5. Die Thomas Crown Affäre
Hans-Joachim Neupert 1. Doktor Schiwago 2. Winnetou 1 3. Die Geschichte der O 4. Krieg der Sterne 5. Die glorreichen Sieben
Fritz Egner Horst Berner 1. Batman 2. Crossroads – Pakt mit dem Teufel 3. Iron Man 2 4. Easy Rider 5. Wonderwall
1. Shaft 2. Super Fly 3. Once Upon A Time In Hollywood 4. Purple Rain 5. American Graffiti
Markus Nöth 1. Top Gun 2. Xanadu 3. Ghostbusters 4. Beverly Hills Cop 5. Miami Vice
Kathrin Bonacker
Michael Fuchs-Gamböck
Andreas Kötter
Jörg Palitzsch
1. Chocolat 2. Das Dschungelbuch 3. Mamma Mia! – Here We Go Again 4. Blues Brothers 5. Grease
1. Das letzte Einhorn 2. Herr der Ringe 3. Der letzte Kaiser 4. A Star Is Born 5. Müllers Büro
1. Blade Runner 2. Shaft 3. Pat Garrett And Billy The Kid 4. Rocky 5. Saturday Night Fever
1. Blade Runner 2. Psycho 3. Spiel mir das Lied vom Tod 4. Der weiße Hai 5. Apocalypse Now
Susanne Buck
Thorsten Hanisch
Andrea Leibfried
Manfred Prescher
1. Ghost In The Shell 2. Fahrenheit 451 3. Akira 4. Godzilla 5. Gattaca
1. Beyond The Black Rainbow 2. Battle Royale 3. Die Rache der Kannibalen 4. Die Geschichte der O 5. Lolita
1. Winnetou 1 2. Can A Song Save Your Life? 3. Bohemian Rhapsody 4. Die fabelhafte Welt der Amelie 5. Die Kinder des Monsieur Mathieu
1. Once Upon A Time In Hollywood 2. Der schwarze Falke 3. Ray 4. Leichen pflastern seinen Weg 5. Der Pate
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Mitarbeiter & Prominenz
SB 241: Im Oktober im Comicfachhandel! Die wunderbare Welt der Comics
Die Sprechblase
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100 Jahre ZORR Christian Simon
1. Fluch der Karibik 2. Flashdance 3. Das Boot 4. König der Löwen 5. Spiel mir das Lied vom Tod
1. Bohemian Rhapsody 2. Rocketman 3. A Hard Day's Night 4. Spiel mir das Lied vom Tod 5. Der Pate
Philipp Roser
Daniel Stroscher
1. Blues Brothers 2. The Rocky Horror Picture Show 3. Apocalypse Now 4. Der Schneemann 5. Lola rennt
1. Yellow Submarine 2. Engel, die ihre Flügel verbrennen 3. Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo 4. Wild At Heart 5. Pretty Woman
Roland Schäfli
Alan Tepper
1. Alamo 2. Gesprengte Ketten 3. Hatari! 4. Die Abenteuer von Robin Hood 5. Rambo
1. Blow Up 2. Shaft 3. The Rocky Horror Picture Show 4. Superfly 5. Fahrstuhl zum Schafott
Das war Helmut Nickel 00241 4 197860 209905
Roman Preiskatalog 2016/2017
1. 200 Motels 2. Blow Up 3. A Hard Day’s Night 4. Shaft 5. Superfly
Joachim Knüppel Werner Knüppel Helmut Rohde
Helmut Rohde
2016/2017 IN DIESER AUSGABE NEU:
Preisführer für deutschsprachige
Volksbibliothek-Hefte ab 1870
Romanhefte, Bücher von
Mit DDR- und Österreich-Kapitel Alle 1000 Abbildungen in Farbe!
Thomas Wachter
Allgemeiner
Joachim Knüppel Werner Knüppel
2016/2017 IN DIESER AUSGABE NEU:
1. Purple Rain 2. Saturday Night Fever 3. Jungle Fever 4. Bohemian Rhapsody 5. The Rocky Horror Picture Show
49,95€
39,95€ Allgemeiner
Volksbibliothek-Hefte ab 1870
Thorsten Schatz
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Okt. 2019 € 9,90 44. Jahrgang Nr. 241
Steve Ditko (Teil 2) • Marvels Golden Age • Stan Lee • Lonati • H. Wolf 20 Jahre Wick Comics (Interview) • 50 Jahre U-COMIX (Interview)
Sven Rachner
Mit DDR- und Österreich-Kapitel Alle 1000 Abbildungen in Farbe!
Karl May und Leihbücher
Preisführer für deutschsprachige Romanhefte, Bücher von Karl May und Leihbücher
n und schrifte 45 usikzeit riften ab 19 Mit M zeitsch Jugend
n und schrifte 45 usikzeit riften ab 19 Mit M zeitsch Jugend
ISBN 978-3-00-052634-3 SOFTCOVER PREIS: 39,95€
NEU !
ISBN 978-3-00-052635-0 HARDCOVER PREIS: 49,95€
Rund 1000 Abbildungen! Komplett in Farbe!
IN DIESER AUSGABE NEU: Volksbibliothek-Hefte ab 1870
In unserem Laden findet Ihr aktuelle Comics sowie ein riesiges Antiquariat mit über 100.000 Comics von 1945-2016: Micky Maus ab 1951, Sigurd, Akim, Bessy, Superman ab 1967, Felix, Mosaik, Fix und Foxi usw. sowie Romanhefte wie Billy Jenkins, Utopia, John Sinclair, Jerry Cotton usw. sowie Musikzeitschriften wie BRAVO und Originalzeichnungen.
Ulrich Schwartz
Andrea Zagmester
1. O Brother, Where Are Thou? 2. Halloween 3. High Fidelity 4. American Graffiti 5. Pulp Fiction
1. Rocky 2. Mamma Mia! 3. Grease 4. West Side Story 5. Highlander
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ANGEBOTE IM INTERNET: www.comic-antiquariat.de COMICLADEN KOLLEKTIV Fruchtallee 130, 20259 Hamburg Telefon: 040/40 77 81 info@comicladen-kollektiv.de www.romanhefte.de
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Öffnungszeiten: Mo-Fr 11.00 – 19.00 Uhr Sa 10.00 – 14.00 Uhr Ständiger An-und Verkauf!
News
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Bücher & Comics PORSCHE
ALLE MODELLE Von Lorenzo Ardizio 2019, Delius Klasing ISBN 978-3-66711-251-4 418 Seiten; 24,90 €
Eine automobile Reise durch die große Mo dellfamilie von Porsche bieten Lorenzo Ar dizio und der Zeichner Michele Leonello in diesem Prachtband. Zu sehen sind rund 200 Modelle, die vom Roadster von 1948 bis zum 911 GT3 RS aus dem Jahre 2018 reichen. Hät te man alle Modelle zeigen wollen, wäre das Buch um weitere 400 Exemplare angewach sen, weil Porsche seine Fahrzeuge laufend ak tualisiert, ohne sie bedeutend zu verändern. So zeigt das Buch die Quintessenz der Stutt garter Autoschmiede, jeweils auf zwei Seiten werden die Modelle vorgestellt, angerei chert mit einem allge meinen Text und dem technischen Datenblatt, auf dem Motorleis tung, Kraftübertragung, Fahrwerk, Abmes sungen und Gewicht sowie die Fahrleistung vermerkt sind. Die großformatigen Modell zeichnungen, die die raffinierten Linienfüh rungen der Autos zeigen, vermitteln Eleganz und Dynamik. Verknüpft mit den präzisen technischen Erläuterungen ist dieses Buch die richtige Lektüre für Auto-Enthusiasten.
HARTMUT ENGLER PUR. POPSTAR. POET. Von Nadja Otterbach 2019, kurz & bündig ISBN 978-3-90712-610-3 160 Seiten; 12,90 €
Der Blick von Hartmut Engler auf dem Front cover zeigt eine Abwehrhaltung. Der PurFrontmann verteidigt sein Reich, in dem jeder seinen Platz hat: die Musiker, die Familie, die Freunde und die Fans. Die Journalistin Nadja Otterbach hat in ih rem Buch an dieser Fas sade gekratzt und erzählt auf 160 Seiten viel Be kanntes, und was sie nach wenigen Begegnungen mit dem Sänger einer der erfolgreichsten Bands Deutschlands zu Tage fördern konnte. Zugegeben: Engler hat Charisma und gibt tiefe Einblicke in seine Arbeitsweise sowie Gefühlswelt. Nach der Lektüre wird man Hartmut Engler mit et was anderen Augen sehen. Ein Mensch mit Schwächen und Stärken, der zielstrebig an der Vollendung seines Lebenswerkes arbei tet.
EIGENTLICH BIN ICH EIN SUPER TYP Von Mario Basler mit Alex Raack 2019, edel Books ISBN 978-3-84190-675-5 304 Seiten; 18,95 €
Mario Basler war der Rock'n'Roller unter den Fußballspielern. Sein bestes Spiel war wohl das Champions-League-Finale 1999 mit Bay ern München gegen Manchester United, ob wohl er am Vorabend noch bis 2.30 Uhr mit Weißbier und Zigaretten in der Bar des Hotels saß. Als Bayern-Ma nager Hoeneß ihn ermahnte, ins Bett zu gehen, sonst kön ne er nicht spielen, war seine Replik: Dann können wir " auch nicht gewinnen." Basler spielte, schoss das 1:0, machte das Spiel sei nes Lebens. Kurz vor Schluss wurde er ausge wechselt. Bayern verlor in der Nachspielzeit 1:2. Wie dieser Abend, so auch die Biografie: überraschende Anekdoten, Disziplinarstrafen und schlampige Genialität. Super!
DIE KARL MAY FILME Von Reinhard Weber
2018, Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur ISBN 978-3-94312-708-9 298 Seiten; 39,00 €
Als Anfang der 60er Jahre keiner mehr auf das deut sche Kino setzte, zeigte es sich mit der einsetzenden K a r l - M a y - F i l m -We l l e quick l ebendig. Geprägt durch die beiden Regis seure Harald Reinl und Al fred Vohrer gehören die Karl-May-Filme mit ihren Helden Winnetou und Old Shatterhand zu den erfolgreichsten Kapiteln deutscher Filmhistorie. Die Hauptdarsteller Pierre Brice und Lex Barker wurden über Nacht zu Publi kumslieblingen, die Verehrung für die beiden Schauspieler ging quer durch alle Generati onen. Schon im Jahr 1920 hatte man aufgrund der Popularität des Schriftstellers Karl May auf eine solche Resonanz gehofft, doch die da maligen Adaptionen fanden ebenso wenig ein Publikum wie der im Jahr 1936 entstandene Film Durch die Wüste". So richtig Zugkraft " entwickelten erst Ende der 50er Jahre die Ori entabenteuer Die Sklavenkarawane" sowie " Der Löwe von Babylon". Die dritte Auflage " des Buches erscheint im DIN A-4-Format und ist auf 500 Stück limitiert. Der Inhalt ist kom plett neu überarbeitet; einige Sachverhalte wurden aufgrund bisher unberücksichtigter Quellen neu bewertet und um bisher Unbe kanntes ergänzt. Erstmals werden neben der ausführlichen Entstehungsgeschichte jedes Films auch zeitgenössische Kritiken mitein bezogen, die einen Überblick über die un Seite
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terschiedliche Rezeption der Regisseure und der Hauptdarsteller geben. Zudem werden die Filme ausführlich mit den Vorlagen, die sie widerspiegeln sollten, verglichen.
SCHEISSE, IST DAS LANGE HER Von Michael Kernbach
2019, Lappan ISBN 978-3-83036-352-1 (70er Jahre) ISBN 978-3-83036-353-8 (80er Jahre) je 126 Seiten; 12,00 €
Die Serien Scheiße, ist das lange her" deckt " bunt, informativ, unterhaltsam und mit vielen Bildern immer jeweils ein ganzes Jahrzehnt ab. In Bezug auf die 70er Jahre werden Erinnerungen an Afrolook und Seitenschei tel, Erdbeerbowle, Testbild und Telefonzellen wach. Politik wird dabei nicht ausgeklammert, zu sehen sind das Fahndungsplakat der RAF und Willy Brandt auf Briefmarken. Musik kam vom Tonband, dann aus dem Kassettenre corder, und im Kino gab es ET" und Der weiße Hai". " " Sport fand auf dem Trimmdich-Pfad statt. Das Buch über die 80er Jahre zeigt nicht nur den technischen Fortschritt, etwa durch den Camcorder, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel mit Fernseh shows am Samstag. Zur Abwechslung gab es Bölkstoff und Flaschendrehen, und auf dem Plattenspieler drehten sich die LPs der Stars der Neuen Deutschen Welle. Beide Bücher bieten auch skurrile Fakten, man kann eigene Fotos einkleben und Erinnerungen eintragen. Dazu gibt es auf zwei Seiten kultige Sticker.
HELDEN AUF DER COUCH
VON WERTHER BIS HARRY POTTER – EIN PSYCHIATRISCHER STREIFZUG DURCH DIE LITERATURGESCHICHTE Von Claudia Hochbrunn und Andrea Bottlinger 2019, Rowohlt ISBN 978-3-49960-672-4 238 Seiten; 10,00 €
In der Literaturwissenschaft ist der psycho analytische Ansatz zur Textinterpretation ein nicht selten gebrauchtes In strument zur Ergründung komplexer Zusammenhänge. Aufgrund des vorausgesetz ten Fachwissens ist das für viele jedoch schwer verständ lich, womit dieses originelle Buch wie gerufen kommt. Claudia Hochbrunn, Fach ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, und die Komparatistin Andrea Bottlinger unterneh
men hier eine fundierte, aber federleichte Ana lyse von Werken der Literaturgeschichte, die von Romeo und Julia", Der Name der Rose" " " bis hin zu Fifty Shades Of Grey" reichen. Zu " dem wird auch ein Autor wie Karl May auf die besagte Siggi-Freud-Couch" gelegt, was das " thematisch vielschichtige Spektrum erweitert. Ergiebig und unterhaltsam.
JUNGS, EURE 50ER
MOFAS, MOKICKS UND LEICHTKRAFTRÄDER DER 70ER UND 80ER Von Frank Rönicke 2019, Motorbuch Verlag ISBN 978-3-61304-208-7 96 Seiten; 12,95 €
Herrlich! In dieser bestens illustrierten Hardco ver-Ausgabe wird eine Ära heraufbeschworen, in der Jungs mit Mofas, Mockicks und – die allerhöchste Stufe – Kleinkrafträdern noch so richtig Macker" sein " durften. Neben einer ergiebigen Auflistung der Modelle der Siebzi ger (Kreidler, Zündapp – hieß im Volksmund Zündschlapp –, Jawa, nicht zu vergessen zahl reiche kaum bekannte Marken) präsentiert Frank Rönicke technische Details mit einer unvergleichlichen Akribie. Was das Auge des Betrachters besonders erfreuen/erheitern wird, sind die super-kultigen Werbe-Anzeigen. Mini rock-Mädels, die auf Knatterkisten hocken, HotPant-Girls, die sich lasziv auf dem Lenker einer Zündapp abstützen, und sogar Bikini-Babes, die so einen ollen" Donnerhobel begehrlich " begrapschen – wunderbar. Großartiger Band!
MINI – DIE STORIES
KULT, DESIGN, LIFESTYLE Von Uli Praetor (Hrsg.) 2019, Motorbuch Verlag ISBN 978-3-61304-161-5 226 Seiten; 29,90 €
Ganz im Gegensatz zu den momentan so be liebten SUVs waren die britischen Minis Un derstatement und wahrhaft kultiger Lifestyle zugleich. Uli Praetor und seine Mitarbeiter haben sich nun aufge macht, die Geschichte des spritzigen Flitzers in all ihren Facetten zu erkunden. Dabei vereinen sich groß artige Fotos mit viel Flair mit kurzen, aber sehr prägnanten Texten, so dass ein ansprechender Brückenschlag zwi schen Vergangenheit und Moderne gegeben ist. Hinzu kommen noch Interviews mit zum Beispiel Kerstin Schmedig, der Designerin für Farben und allgemein Materialien, Berichte von legendären Rallyes, Ausblicke in die Zukunft (E-Mini) und ein Einblick in die zahlreichen Filme, bei denen das Gefährt eine wichtige Rolle
spielte. Ein mit viel Liebe konzipierter Band, bei dem man die Leidenschaft für das Thema deutlich erkennt.
AN JEDEM VERDAMMTEN SONNTAG DEUTSCHLANDS KREISLIGA-HELDEN Von Christian Werner
tere Bilder und bislang unveröffentlichte Do kumente hinzu. Das Herzstück der Produktion mit Porsche war für Reutter die Karosseriefer tigung des 356 ab 1949. Jung thematisiert die Presserei, Werkzeug- und Rahmenbau, Lackie rerei und Näherei bis hin zur Endmontage. Ein überaus spannend zu lesendes Stück Autohisto rie aus Stuttgart.
2019, edel Books ISBN 978-3-84190-632-8 192 Seiten; 19,95 €
WESTERN PORTRAITS
Gestandene Männer, die einen Ball im Raps feld suchen, vom Ascheplatz geschundene Bei ne, alte Helden, die am Stammtisch legendäre Lokalderbys wiederaufleben lassen. Christian Werner, 1980 in Weimar geboren, ist ausgebil deter Werbefotograf und studierte Dokumen tarfotografie in Hannover. Mit seinem Foto buch An jedem verdammten Sonntag" zeigt " er, dass (Kreisliga-)Fußball weit mehr ist als rein sportliche Betätigung, dass der Fußball sich abseits der großen Stadien als soziales Bin deglied, als Lebensphiloso phie, als Abbild einer ganz eigenen, immer schneller Welt verschwindenden zeigt. Erstaunlich, wie oft einem Werners Fotos schon beim ersten Ansehen be kannt vorkommen, wie es ihm gelingt, beim Betrach ter längst verschüttete Erinnerungen aus noch gar nicht so lange vergangenen Zeiten wieder zurück ans Tageslicht zu holen. Bestens dazu passend das Vorwort von Kicker"-Kolumnist " Frank Goosen, der mit seinem Text ein wun derbar empathisches Plädoyer für eine ausster bende Gattung hält.
Von Steve Carver
THE UNSUNG HEROES & VILLAINS OF THE SILVER SCREEN
PORSCHE 356
Mit einer Einleitung von Roger Corman, dem legendären Meister des B-Movies, wird ein Prachtband eröffnet (Hard cover, hochwertiges Papier), bei dem die Zeit des Westerns wieder lebendig wird. Oft mals als irrelevant und „an gestaubt" abgetan, hat das Genre doch eine erstaunliche Langlebigkeit bewiesen, ob wohl die ganz große Zeit sicherlich vorbei ist. Und exakt an dem Punkt setzt der Band an, denn hier ist eine Sammlung von über 80 Fotos von Schauspielern zu sehen, die sich in einem mög lichst originalgetreuen Setting ablichten ließen. David Carradine, Rick Dano, Gray Frederick son, Karl Malden (hier muss man zwangsläu fig auch an Die Straßen von San Francisco" " denken) oder Bo Svenson sind im kunstvollen Sepia-Finish zu sehen, was die Authentizität er höht. Darüber hinaus finden sich ergiebige Texte – leider nur in englischer Sprache –, die eine Fülle an Informationen transportieren.
SEIN NAME IST TONINO VALERII
MADE BY REUTTER Von Frank Jung
Von Roberto Curti
2019, Delius Klasing ISBN 978-3-66711-585-0 336 Seiten; 39,90 €
Dieses Buch über den Erfolgsrenner Porsche 356 ist pure Automobilgeschichte. Das wird schon deutlich, wenn man es aufklappt – zu sehen ist an erster Stelle der Lageplan des Ka rosseriewerkes in Zuffenhausen. Der Automo bilhistoriker und Autor Frank Jung, Urenkel von Albert Reutter, dem Mitbegründer von Reutter & Co., beschreibt in vielen Details die Geschichte der Zusam menarbeit zwischen dem Automobilpionier Porsche und dem Karosseriebauer Reutter. Die Firma Reutter hatte zuvor schon sehr viele Erfahrungen im Autobau gesammelt, unter anderem mit Daimler-Benz, Maybach und Wanderer. Das Buch glänzt mit rund 500 Farbfotos, für die aktuelle und erweiterte Auflage kamen wei GoodTimes
2019, Edition Olms ISBN 978-3-28301-290-8 226 Seiten; 39,95 €
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2018, Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur ISBN 978-3-94312-707-2 198 Seiten; 34,00 €
Zunächst arbeitete Toni no Valerii als Assistent von Sergio Leone bei Filmen wie Für ein " paar Dollar mehr", dann übernahm er die Regie von Kult-Klassikern des Italo-Westerns wie Der " Tod ritt dienstags", Mein " Name ist Nobody" oder Sie verkaufen den " Tod". Dennoch blieb der Süditaliener, der spä ter sein Spektrum von harten Thrillern bis zu typischen 70er-Jahre-Softpornos erweiterte, weitgehend unbekannt. Filmhistoriker Rober to Curti hat sich mit vorliegendem Buch auf die Spuren des Regisseurs begeben und dazu Interviews mit Weggefährten wie Giuliano Gemma, Franco Nero und Bud Spencer ge
News
from the past
führt. Wie vom Landshuter Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur gewohnt, liefert das großformatige Buch einen höchst interes santen Rückblick, neben einer ausführlichen Biografie Valeriis wird jeder seiner Filme de tailliert vorgestellt. Dabei geht es aber nicht nur um die reinen Produktionsfakten, son dern auch um die Beweggründe, die Valerii dazu motivierten, sich immer wieder in neuen künstlerischen Spielarten zu versuchen. Dazu gibt es eine Vielzahl an Fotos, eine detaillierte Filmografie, eine Bibliografie sowie einen In dex aller Schauspieler und Beteiligten.
KÄFER-HELDEN DIE VW-EDITION
Von Christian Blanck 2019, Delius Klasing ISBN 978-3-66711-688-8 226 Seiten; 29,90 €
Der VW-Käfer ist eine Ikone. Für den Ku gelporsche wurde bei den Nazis der Grund stein für Werk und Wagen gelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Käfer mit 25 PS Motor des Wirtschaftswunders, dann Fami lienmitglied, schließlich mobiler Weltbürger und Jahrhundertauto. In dem Buch Käfer" Helden" wird der Käfer allerdings nicht auf eleganten Zeichnungen dargestellt, sondern vielmehr als kleines und sehr wandlungsfä higes Automodell. Und warum? Weil große
Gewinner
kult!
Unsere Gewinner der Verlosung aus kult! Nr. 20 – 2/2019 Lösung: Hitparade Hörspiele Grusel": " Andrea Still, Freudenberg Markus Lill, Hainstadt Batman"-Fanpaket: " Isa Dörre, Oranienburg Blu-ray Halloween": " Thomas Rüttgers, Itzehoe Gerald Schlinke, Pinneberg Oliver Rüsing, Wuppertal Blu-ray Friedhof der Kuscheltiere": " Edgar Conrad, Essen Stefan Heyde, Dranske Harry Nemten, Dreis DVD Box Terence Hill": " Mathias Störk, Rheinfelden Timo Rotzal, Pfungstadt
Herzlichen Glückwunsch!
Leidenschaften oftmals im Kleinen begin nen. Die Fotos der VW-Spielzeugautos er innern an das eigene Kinderzimmer, in dem die rundlichen Model le Kratzer und Beulen abbekamen oder auch einfach nur bunt be malt wurden. Neben dem Käfer gibt es unter anderem auch den Sci rocco, den Golf, den VW-Bus und den VW-Transporter in vielen kleinen Modellen zu sehen. Christian Blanck hat die Vielfalt des VW fotografisch perfekt in Szene gesetzt und zeigt, welche Bandbreite dieses Auto auch als Miniatur hat: als Seri enmodell, Polizeifahrzeug, Rennwagen und Filmstar.
FLASH GORDON: DER TYRANN VON MONGO DIE SONNTAGSSEITEN 1937 – 1941 Von Alex Raymond 2019, Hannibal Kult ISBN 978-3-85445-676-6 208 Seiten; 35,00 €
Nach dem Erfolg der Luxusausgabe Flash " Gordon – Auf dem Planeten Mongo" wird die Reihe mit dem zweiten Band fortgesetzt, der das Werk eines der einflussreichsten Zeich ner der ComicGeschichte würdig auferstehen lässt. Es stimmt alles: Farb gebung, das hoch wertige Papier und die Story. Hier müs sen Flash Gordon, der erste Superheld der Science-Fiction-Ära, seine Gefährtin Dale und der geniale Wis senschaftler Dr. Zarkov erneut zahlreiche Abenteuer im Kampf gegen Ming, den Un barmherzigen, überstehen. Dabei bestehen sie gegen Fabelwesen und kriegerische Stäm me und erwehren sich der Errungenschaften modernster Technik wie Strahlenpistolen", " Thermitonwerfern" und Schall-Waffen". " " Die bibliophile Ausgabe mit einer interes santen Einleitung ist in einer schönen Hard cover-Edition lieferbar, die Maßstäbe setzt. Für Nostalgiker, Freunde feinster Buchkunst und Queen-Fans, denn 2020 ist der 40. Ge " burtstag" der bizarr-schrägen Verfilmung von Flash Gordon, zu dem besagte Band den Soundtrack beisteuerte.
BUNDESLIGA – DIE 100 WICHTIGSTEN TORE
Von Matthias Brügelmann (Hrsg.) 2019, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-639-0 224 Seiten; 18,00 €
Timo Konietzka hat das erste in der Bundes liga geschossen, Kevin Volland das schnells te, Christian Kulik das zum höchsten Sieg. Seite
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Klaus Fischer erzielte das wohl schönste, Jean-Marie Pfaff das kurioseste, das von Stefan Kießling löste die größten Diskussi onen aus. Keine Frage, hier geht es um Tore, und die sind für den Fußball bekanntlich das Salz in der Suppe. Dabei dürfte jeder Fan seine eigenen Favoriten haben, die Auswahl an spektakulären, wichtigen oder denkwür digen Toren wahrlich groß genug sein. Man denke nur daran, wie Bayern-Spieler Patrick Andersson mit seinem Last-Minute-Treffer ganz Schalke in ein Tränen meer stürzte, oder an Jür gen Klinsmann, der beim 7:0 seines VfB Stuttgart in Düsseldorf mit fünf Treffern die bis heute höchste Ausbeute eines Bundesliga-Spielers in einem Auswärtsspiel erreichte. Beginnend mit dem Ligastart im Jahr 1963 zeigt Bundesliga – Die 100 wich " tigsten Tore" natürlich auch die jeweilige Ge schichte hinter den Toren. Wie die von Gerd Müller, der die meisten erzielte, von Thomas Helmer, dessen Phantomtor annulliert wur de, von den Torhütern Jörg Butt und Jens Lehmann, die auch als Torschützen glänzten, oder von Jay-Jay Okocha und Grafite, die ihre Gegner vor dem Torabschluss schwindelig spielten. Tore, Tore, Tore!
DVDs + Blu-rays XANADU An dem 1980 erschienenen amerikanischen Musicalfilm Xanadu" schieden sich die " Geister. Die Geschichte dieser sommerlichen Liebesromanze zwischen Kira (Olivia New ton-John), einer auf die Erde gerufenen Muse, und dem Künstler Sonny Malone (Michael Beck) rührte vor allem junge Zu schauerinnen zu Tränen, während die Kritiker nicht überzeugt waren. Den Film konnte auch Gene Kelly nicht retten, der als alternder Musiker Danny McGuire eine doch recht passable Rolle spielt. Trotz allem hinter lässt der Film am Ende, fast 40 Jahre nach sei ner Entstehung, ein melancholisches Gefühls chaos. Zu einem großen Teil trägt dazu der Soundtrack mit dem Electric Light Orchestra bei, der mit zahlreichen Platinauszeichnungen zu den erfolgreichsten Filmmusiken überhaupt zählt. In einer üppig gestalteten Box sind nun Film und Soundtrack erhältlich. Darin enthal ten ein Bonusclip und Lieder zum Mitsingen. In einem 20-seitigen Booklet ist alles zu Xa " nadu" nachzulesen – vom Traum des Musicals, der Rollerdisco und dem kreativen Chaos bei der Produktion.
STAFFEL 1–3
Was kann es Schöneres geben, als es sich an den langen Herbstabenden auf dem gemütlichen Sofa bequem zu machen, den DVD-Player ein zuschalten und dann ausgiebig mit dem Süderhof" in Kindheitserin " nerungen zu schwelgen. Endlich er scheinen nämlich die Staffeln 1–3 der beliebten Kinderserie auf DVD. Wer die Reihe damals nicht im Fernsehen verfolgen konnte, wird nun voll auf seine Kosten kommen. Nicht nur der „Immenhof" kann das Gemüt verzau bern, denn Beatrice (Bimbo), Manuela (Molle), Peggy, Daniel (Dany) und Benjamin (Ben) verstehen es immer wieder, sich sowohl in Abenteuer zu stürzen als auch alltägliche Pro bleme zu lösen. Aber von Anfang an: Der Süderhof ist ein idyl lischer Bauernhof irgendwo in Schleswig-Hol stein hinter den Deichen. Der Tierarzt Dr. Günther Brendel, Vater von Bimbo und Molle, hat den Bauernhof seiner Eltern zu einer Tierklinik umgebaut. Sonja, seine Ehefrau und zugleich Mutter der beiden Wirbelwinde, steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. Das kann sie prima, denn hauptberuflich ist sie Ratgeberautorin und arbeitet an einem Buch über Kindererziehung. Weitere Unterstützung kommt von den Groß eltern Brendel, die beide noch sehr rüstig sind
CDs MIREILLE MATHIEU CINEMA
Die Bilanz von Mireille Mathieu, dem Spatz " von Avignon", ist beeindruckend. In ihrer mehr als 50-jährigen Karriere hat sie über 1200 Lieder in neun verschiedenen Sprachen aufgenommen und mehr als 75 Studio-Alben ver öffentlicht, die insge samt 200 Millionen Mal verkauft wurden. Dieser Erfolgsstory fügt die Französin, inzwischen 73 Jahre alt, nun das Album CINEMA hin zu. 40 Songs der Filmgeschichte, die Mathieu mit dem bekannten Timbre in der Stimme und einem hohen Maß an Leidenschaft interpre tiert. Darunter bekannte Hits wie "Over The Rainbow" aus dem Film Der Zauberer von " Oz" und "The Look Of Love" aus dem BondStreifen Casino Royal". Hochemotional singt " sie "J'aime Paris" aus Can Can" – eine einzige " Liebeserklärung an die Stadt der Liebe, ihr "Un Jour Tu Reviendras", die Titelmelodie aus Spiel mir das Lied vom Tod", gehört zwei " fellos zu den Höhepunkten. Im 16-seitigen Booklet sind alle Titel aufgeführt.
– sieht man von der Schwerhörigkeit des Groß vaters ab – und sich rührend um die Enkelkinder kümmern. Denn nicht nur Bimbo und Molle sind auf dem Süderhof zu Hause: Günthers Bruder Tom und dessen Ehefrau Francis, die in Mün chen gelebt haben, kommen gleich in der ersten Folge bei einem Flugzeugun glück in Afrika ums Leben. Daraufhin nehmen Sonja und Günther die drei Kinder Peggy, Dany und Ben bei sich auf. Zusammen verbringen sie auf dem Süderhof eine idyllische Bauernhofkindheit. Dabei sind selbstver ständlich auch viele Tiere mit von der Partie. Bimbo ist eine große Pferdenärrin und nimmt mit ihrem Pony Klärchen erfolgreich an Pferderennen teil. Molle zieht das mutterlose Lamm Rosi auf, das sie später dem klei nen Benny schenkt, um ihn zu trösten. Bei den Großeltern wohnt der sprechende Papagei James Bond, des sen Lieblingsausdruck 007" ist. Und " dann leben hier auch noch das Fohlen Shalimar, die Hündin Anuschka, der Kater Samson und die Schildköte Sy bille ... In den ersten beiden Staffeln erleben die Kinder viele spannende Abenteuer rund um den Süderhof. Entlaufene Zirkustiere, Drehar
beiten in der nahen Umgebung und ein geplanter Freizeitpark auf dem Gelände des Süderhofs halten alle auf Trab. Aber auch der Alltag macht vor den Süderhof-Kindern nicht halt. Dazu gehö ren schulische Probleme, die jedes Kind haben kann, auch wenn es nicht auf einem turbulenten Bauernhof zu Hause ist. Da sind zum Beispiel Ängste um die Versetzung und Klassenarbeiten, vor denen man sich gern drücken möchte. Zu sammen wird aber immer eine Lösung gefun den, und niemand wird im Stich gelassen. In der dritten Staffel werden die Kinder so langsam erwachsen und müs sen sich neuen Problemen stellen. Es geht darin um Peggys erste Liebe – ausgerechnet zu einem Problem-Jugendlichen. Benny er lebt den schmerzlichen Abschied von seinem Freund, der wieder in die Türkei zurückkehrt. Zwie lichtigen Hundezüchtern muss das Handwerk gelegt werden, und ein Schlangenbiss macht einen Kran kenhausaufenthalt notwendig. Mehr wird an dieser Stelle jedoch nicht verraten. Eins ist aber klar, eine spannende Geschichte jagt die nächste. Der Titelsong "Wir sind die Kinder vom Süderhof …" wurde von Rolf Zuckowski geschrieben und ist ein Ohrwurm, der einfach nicht mehr aus dem Kopf weichen will. Neues " vom Süderhof" ist eine sehr unterhaltsame und pädagogisch wertvolle Serie, die auch alle Er wachsenen begeistert. © NDR/Studio Hamburg Enterprises
NEUES VOM SÜDERHOF
PLAYMOBIL
DER FILM (DAS ORIGINAL-HÖRSPIEL) Seit 1974 begeistern die Playmobil-Figuren aus Kunststoff nicht nur die Kleinen. Wer schon in den 1980er Jahren selbst als Kind mit Indianern und Rittern gespielt hat, kann sich auch heu te noch an den Spielfiguren begeistern. Ganz aktuell haben sie es nun sogar auf die Lein wand geschafft. Seit August läuft Playmobil " – Der Film" im Kino. Wem ein Kinobesuch nicht möglich ist, kann mit dem Originalhör spiel in die Playmobil-Welt abtauchen und der spannenden Geschichte von Marla und Charlie lauschen. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände werden die Geschwister in das Play mobil-Universum hin eingesogen und selbst zu Playmobilfiguren. Charlie wird von einer Bande bö ser Piraten entführt, und Marla begibt sich auf das Abenteuer ihres Le bens, um ihn zu finden und wieder in die reale Welt zurückzukehren. Dabei begegnen ihnen viele Playmobil-Figuren aus etlichen Themen welten. Eine sehr unterhaltsame Geschichte mit den Originalstimmen u.a. von Matthias Schweighöfer, Ralf Schmitz und Michael Pa trick Kelly, die auch von Erwachsenen (mit-) gehört werden kann. GoodTimes
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Preiskataloge 2020/21 B ib e D ie V in y l-
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Alltags-Kult
Von Daniel Stroscher
Weihnachten in den 70ern
„ „Früher war mehr Lametta
Fotos: © Privatarchiv Daniel Stroscher
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rinnern wir uns an die weihnachtliche Stimmung in den 70er Jahren im Rahmen der Erlebniswelt eines Kindes, dürfte ein großer Teil der kult! -LeserInnen ähnliche Empfindungen an diese Zeit miteinander teilen. Losgelöst von jeglichem vorweihnachtlichen Stress konnten wir uns entspannt auf den Heiligen Abend freuen. Wie gemütlich und behaglich diese jährlich wiederkehrenden, von einem stimmungsvollen Zauber begleiteten Tage doch immer waren! Fasziniert bummelten wir durch die festlich geschmückten und weihnachtlich beleuchteten Innenstädte und hielten in den Kaufhäusern und Schaufenstern der Läden Ausschau nach Dingen, die wir auf unseren Wunschzettel schreiben konnten. Stundenlang blätterten wir fasziniert in den Versandhauskatalogen und entdeckten auch dort unsere Objekte der Begierde wie Lego, Playmobil, Barbie und Big Jim. Unsere Mütter, die damals vorwiegend Hausfrauen waren, steckten hingegen mitten in den hektischen Weihnachtsvorbereitungen. Beim Plätzchenbacken halfen wir jedoch immer gern mit: Teigausrollen, Ausstechen und Verzieren der Plätzchen und dabei von allem etwas zu viel naschen, bis wir Bauchweh bekamen. In allen Häusern und Wohnungen duftete es verführerisch nach selbst gebackenen Zimtsternen, Vanillekipferln und But ter plät zchen. Manchmal durften wir auch ein Knusper- oder Hexenhäuschen zusammenbauen. Dazu klebten wir Lebkuchen mit Hilfe von flüssigem Zuckerguss auf ein Haus aus Pappe. Beim späteren Ablösen blieb stets auch etwas Papier an den Keksen hängen, welches dann mitgegessen wurde. Jeden Tag durften wir ein Türchen unseres Adventskalenders öffnen – wir waren mit dem damals üblichen kleinen Stück Vollmilchschokolade völlig zufrieden. Nach dem Herauslösen aus dem Plastikeinsatz kam zu unserer Freude oft noch ein weihnachtliches Motiv zum Vorschein. Seite
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Wenn wir Kinder der 70er Jahre uns auf etwas verlassen konnten, dann waren das „weiße" Weihnachten. In den Monaten November bis Januar waren wir meistens eingeschneit. Ausgestattet mit gesteppten Schnee-Anzügen und klobigen Moon Boots ging es mit dem Schlitten zur Rodelbahn oder mit den Schlittschuhen zu den stets zugefrorenen Teichen in der Umgebung ... Zu Hause war es sehr gemütlich: Die Krippe mit den alten Holzfiguren wurde aufgestellt, und auf dem Adventskranz brannte jede Woche eine Kerze mehr. Zum Kaffee gab es Stollen, Pfefferkuchen und die selbst gebackenen Plätzchen. Im Kreis der Familie wurde oftmals gemeinsam gesungen oder musiziert. Hatten wir keine Lust, ein Gedicht aufzusagen oder „Oh du Fröhliche" auf der Blockflöte vorzutragen, legten unsere Eltern Weihnachtsplatten von Heintje, Roy Black oder James Last auf. Im Fernsehen lief „Weihnachten bei Hoppenstedts", und alle freuten sich auf Dicki Hoppenstedts legendäres Gedicht „Zicke Zacke Hühnerkacke". Das Schmücken des Tannenbaums war üblicherweise die Aufgabe der Väter. Wenn der Baum nach Stunden endlich in den wackeligen, quadratischen MetallChristbaumständer geschraubt war, wurde er mit bunten Kugeln, Strohsternen und reichlich Lametta dekoriert. Und wie in jedem Jahr musste der Baum oben ein Stück gekürzt werden, damit die dekorative Spitze noch aufgesteckt werden konnte. Nicht fehlen durfte der „Bunte Weihnachtsteller". Darauf befanden sich neben „Apfel, Nuss und Mandelkern" auch Leckereien wie Marzipankartoffeln, Lebkuchenherzen und Dominosteine. Das Abendessen an Heiligabend bestand bei vielen Familien aus Kartoffelsalat mit Würstchen oder Toast mit Räucherlachs. Den traditionellen Gänsebraten gab es dann am 1. oder 2. Weihnachtsfeiertag bei Oma und Opa. Und ganz besonders wichtig: Da man in den 70er Jahren die Konsumentbehrungen der Nachkriegszeit hinter sich gelassen hatte, konnten wir Kinder davon ausgehen, dass der Weihnachtsmann und seine Gehilfen – sprich: Onkel Manfred im Weihnachtsmannkostüm – unseren Wunschzettel sehr gewissenhaft bearbeitet hatten!
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From Out Of Nowhere DAS NEUE ALBUM AUF VINYL, CD UND DIGITAL ERHÄLTLICH 1. NOVEMBER jefflynneselo.com
© 2019 Big Trilby Records, under exclusive license to Columbia Records, a Division of Sony Music Entertainment. “Columbia” and
Reg. U.S. Pat. & Tm. Off. Marca Registrada.
Nastassja Kinski
Nastassja Kinski? Klar, da erinnert man sich augenblicklich an den legendären Tatort: Reifezeugnis", " natürlich an den Film Paris, Texas", unzählige " Zeitschriftencover, auf denen sie zu sehen war, oder auch an populäre Nacktfotos in allen nur erdenklichen Posen. Und ja, auch ihr Vater Klaus Kinski, das archetypische Enfant terrible des deutschen und internationalen Nachkriegsfilms, taucht vor dem geistigen Auge auf. Doch wer ist diese Frau, die in weit über 50 Filmen mitwirkte und viel mehr leistete, als man ihr allgemein zuspricht? Versuch einer Annäherung ... Von Alan Tepper
Foto: © NikMa Verlag
Der unbekannte Weltstar
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n einem Interview mit dem britischen „Telegraph" äußerte Nastassja Kinski 2001 eine treffende Feststellung auf die Frage nach ihrem vermeintlich wilden Liebesleben – besonders mit Regisseuren –, die aber auch auf die allgemeine Wahrnehmung ihrer Person zutrifft: „Die Leute haben sich so viel ausgedacht, so viele Interpretationen zurechtgelegt, als sie mich vor vielen Jahren sahen. Es sind einfach so viele Fantasien." Das lässt sich sicherlich auf ihr allgemeines Image übertragen. Die Nastassja Kinski, die man landläufig zu kennen glaubt, gleicht eher einer Projektionsfläche und ist sicherlich weit vom Charakter des tatsächlichen Menschen entfernt. Ein Mann, der durch sein übergroßes Bild die Darstellung der Tochter immer verzerren wird, ist ihr Vater, der Schauspieler Klaus Kinski.
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960 heiratete Kinski Ruth Brigitte Tocki, eine eher unsichere Frau, die dem Charme des exzessiv lebenden und aufwärtsstrebenden Mannes schnell erlegen war. Als Nastassja am 24. Januar 1961 in West-Berlin geboren wurde, nahm seine Karriere gerade Fahrt auf. Jeder wollte mit dem ausdruckstarken Mimen arbeiten, in dessen Augen ein gefährliches Feuer loderte und für den die Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn zum alltäglichen Leben gehörte. In den Sechzigern kurbelte der jähzornige und unberechenbare Schauspieler meist mehr als fünf Filme pro Jahr. Darunter waren zahlreiche Edgar-Wallace-Verfilmungen (damals recht gruselig) wie „Die toten Augen von London" (1961) oder „Der schwarze Abt" (1963), die beliebte Karl-May-Adaption „Winnetou 2" (1964), mit „Doktor Schiwago" (1965) ganz großes Kino und natürlich unzählige Italo-Western [„Mit Django kam der Tod" (1967)] und Seite
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speziell der legendäre „Für ein paar Dollar mehr" (1965) des Regisseurs Sergio Leone. Dass der Mann, der laut eigenen Angaben 76 Orgasmen in der Nacht haben konnte, auch erotisch brisanten Stoff verfilmte wie „Marquis de Sade: Justine" (1968) verwundert da nicht.
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ür das junge Mädchen Nastassja bedeutete die durch den ständigen Drehortwechsel unstete Karriere ihres Vaters permanente Veränderungen. Sie lebte zwar abwechselnd meist in einer pompösen Villa in Rom und in Deutschland, doch sie begleitete ihren Vater zusammen mit der Mutter zu zahlreichen Filmaufnahmen nach Frankreich, Spanien und Italien. Allerdings lag der Grund dafür nicht in der väterlichen Liebe. Es war die unverhältnismäßige Eifersucht, die Klaus Kinski plagte. Selbst ein notorischer Fremdgänger, der laut eigenen Angaben jede sich ihm bietende Möglichkeit für ein Schäferstündchen nutzte, sperrte er seine Frau und die Tochter in den sprichwörtlich goldenen Käfig. Ruth Brigitte Tocki erinnert sich: „Mit ihm zu leben ähnelte auf der Bühne zu sein, jeden Tag und jede Nacht (in einem Stück) von Kafka. [...] Es schien so, als hätte er eine eigene Religion um uns herum aufgebaut: Madonna und das Kind." Es war ein Wechselbad der Gefühle, bei dem auf überschwängliche Liebesbekundungen beängstigende Tobsuchtsanfälle folgten. Wie so ein übermächtig wirkender Vater auf ein Kind gewirkt haben muss, lässt sich nur schwer vorstellen. Möglicherweise hat Nastassja Kinski dadurch die für den Beruf eines Schauspielers nötige dramatische Inszenierung ungewollt erlernt, vielleicht hat sie sich aber gleichzeitig auch in eine Traumwelt geflüchtet, wodurch sich ihre manchmal
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„entrückte" Ausstrahlung erklären würde, die Aura der Unerreichbaren. Auf jeden Fall spürt man die Verbitterung und erkennt zugleich einen Mechanismus des Verdrängens, wenn man folgende Aussage im „Telegraph" liest: „Als er starb, überkam mich ein Moment der Trauer, der fünf Minuten anhielt. Es war sehr intensiv, danach nie wieder. Er hat uns viel zu viel angetan."
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968 trennte sich Ruth von ihrem Mann und zog mit Nastassja nach Berlin, wo sie sich in einen Maler verliebte, was einen weiteren „Umzug" der Familie nach Venezuela bedeutete. Doch die Beziehung war nicht von Dauer, und schließlich landeten die beiden in einer Münchner Wohngemeinschaft. Finanzielle Unterstützung von Klaus Kinski? Fehlanzeige. Stattdessen belästigte der besitzergreifende Egomane die beiden durch Kontrollanrufe, wodurch sich die Beziehung zwischen Mutter und Tochter intensivierte. Nastassjas enge Vertraute, die Darstellerin Jodie Foster, sieht hierin den Grund für die Ausprägung eines wichtigen Charakterzugs ihrer Freundin: „Starke Frauen stammen meist aus (Familien) mit starken Frauen." 1971 wurde die Ehe offiziell geschieden. Ruth nahm regelmäßige Jobs an, und die beiden zogen in eine eigene Wohnung. Nastassjas „Sturm und Drang"Zeit begann. Sie genoss das Leben in vollen Zügen, schlug auch mal über die Stränge, durfte sich aber frei von bürgerlichen Zwängen entwickeln und entfalten.
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974 wurde sie von der Schauspielerin Lisa Kreuzer, einer Vertreterin des Neuen Deutschen Films, entdeckt und daraufhin dem jungen Wim Wenders empfohlen. Zweifellos spielte der Name Kinski eine große Rolle, doch Wenders war vor allem von Nastassjas Ausstrahlung und ihrem Aussehen beeindruckt. Die 13-Jährige hatte etwas Anziehendes, doch gleichzeitig Unerreichbares, etwas Naives, doch zugleich einen Erfahrungsschatz, der den Horizont der Altersgenossen weit überstieg. Sie hatte die Welt schon längst gesehen, während andere noch im Muff einer Vorstadtwohnung „Wer bin ich" (das fröhliche Beruferaten) mit Robert Lembke, „Am laufenden Band" mit Rudi Carrell und vor allem die „Disco" mit Ilja Richter als Höhepunkte des Familienlebens empfanden.
© Pressefotos
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astassja wurde für die Rolle der Mignon im Film „Falsche Bewegung" engagiert, der 1975 den Deutschen Filmpreis in mehreren Kategorien gewann. Es war anspruchsvolles Kino, ganz im Gegensatz zur nächs ten Produktion „Die Braut des Satans", ein Filmtitel, der einige Kritiker zu dem ironischen und anzüglichen Statement veranlasste, dass er auch eine Anspielung auf die Beziehung zum Vater ausdrücken könnte. Allerdings war der Horrorstreifen besser als sein Ruf. Er basierte auf einem damals bekannten Roman von Dennis Wheatley, bekannt für seine Okkult-Schocker, und wurde von Hammer Films produziert. Die britische Kultfirma war in den Fünfzigern bis weit in die Siebziger ein Synonym für atmosphärische Gruselstreifen und brachte Dracula, Frankenstein und einige Mumien in allen nur erdenklichen Variationen auf die Leinwand, die den Zuschauern dann tatsächlich das Blut in den Adern gerinnen ließen. Neben Peter Cushing und Barbara Shelly zählte Christopher Lee zu den bedeutendsten Schauspielern der Hammer-Riege. Nach dem Misserfolg des kultigen, aber manchmal recht peinlichen „Dracula jagt Minimädchen" (1972) war „Die Braut des Satans" einer seiner letzten Auftritte in einem Hammer-Film. In der Schlussszene des Reißers ist Nastassja komplett hüllenlos zu sehen, jedoch in einer mystisch und unheimlich anmutenden Szene. GoodTimes
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a, die nackte Kinski – das entwickelte sich für die Schauspielerin zu einem Problem, da künftige Regisseure Kapital aus ihren Reizen schlagen wollten. Die Nacktszenen schienen ihr nichts auszumachen, denn angesichts ihrer innigen Liebe zur Schauspielerei und der Naivität der Jugend ließ sie sich auf die Wünsche der Filmemacher ein. Jahre später beklagte sie sich jedoch über diese Art der gezielten Ausbeutung. Sie hätte sich – ähnlich wie in der Beziehung zum leiblichen Vater – einen liebevollen und fürsorglichen Mann gewünscht, der sie unter seine Fittiche genommen hätte.
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on ihrer Mutter unterstützt, entschied sich „Nastja" – wie man sie in Freundeskreisen nannte – für eine Schauspielerkarriere, nahm Tanzunterricht und beendete ihre schulische Laufbahn mit der Mittleren Reife. 1977 war dann das Jahr, in dem sich alles für sie verändern sollte: „Tatort: Reifezeugnis" – eine der mit Abstand am häufigsten wiederholten Folgen der Endlosreihe! Der Film wurde von Wolfgang Petersen in Szene gesetzt, der später die mitreißenden Blockbuster „Das Boot", „Die unendliche Geschichte" und „Troja" machte. Es war der sechste Fall für Kommissar Finke, bis heute neben Schimanski einer der beliebtesten Ermittler der langlebigen Serie. Kinski spielt darin die 16-jährige Schülerin Sina, die sich in ihren Lehrer Michael Falsche Bewegung" Fichte verliebt hat und mit ihm ein intimes " Verhältnis eingegangen ist. Die beiden werden von Sinas gleichaltrigem Verehrer Michael Harms beim Liebesspiel im Wald beobachtet, der wutentbrannt einer Mitschülerin davon berichtet. Fichte wird daraufhin von dieser Schülerin erpresst und garantiert ihr bessere Noten, Sina wird hingegen von Harms zum Sex gezwungen. Dabei erschlägt sie ihn, in Panik geraten, mit einem Stein. Als Kommissar Finke die Untersuchungen aufnimmt, wird er von Sina zuerst auf eine falsche Fährte gelockt, wonach er mit viel Feingefühl das wahre Lehrer-Schülerin-Verhältnis aufdeckt. Fichte wird unter Druck gesetzt – nicht zuletzt von seiner Frau – und beendet die Beziehung. Sina will sich daraufhin umbringen, was ihr aber nicht gelingt. Der „Tatort" endet mit einer Szene, in der sie völlig aufgelöst gefunden wird und Fichtes Gesichtsausdruck Entsetzen und Ungläubig keit widerspiegelt. Hier werden zwei Menschen porträtiert, Opfer und Handelnde zugleich, deren Zuneigung in eine Tatort: Reifezeugnis" Situation mündete, in " der beide das Ausmaß und die Konsequenzen der Beziehung nicht mehr kontrollieren können. 1/2020
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er am 27. März 1977 ausgestrahlte „Tatort" schlug wie die sprichwörtliche Bombe ein – und das lag sicherlich nicht an den kurzen und im Vergleich zu heute recht harmlosen Nacktszenen. Vielmehr wurden hier zahlreiche Fragen aufgeworfen, die nur schwer zu beantworten waren und auf jeden Fall die bürgerliche Moral infrage stellten. „Reifezeugnis" wurde zum Gesprächsthema Nummer 1 und schien hierzulande jeden in helle Aufregung zu versetzen. Doch was am wichtigsten war: Nastassja hatte sich ohne Hilfe ihres Vaters einen eigenen Status erarbeitet und wurde von nun an wie ein Star gehandelt. Sie war Dauerthema in der „Bravo", der in den Siebzigern wichtigsten Jugendzeitschrift in Deutschland, und zierte in den folgenden Jahren die Magazincover von „Praline" über „Cinema" bis zur „Vogue". 1977 und 1978 gewann sie den Goldenen Bravo Otto, 1978 den Bambi für „Reifezeugnis" und im selben Jahr den Jupiter in der Kategorie „Beste Darstellerin". Auch ließ sie sich für die Septemberausgabe des „Playboy" ablichten, was ihren Bekanntheitsgrad zusätzlich anheizte.
zählt zu den anspruchsvollen Klassikern der Siebziger. Wie auch bei vielen anderen Filmen wurde ihr eine Affäre mit dem Regisseur angedichtet. In einem Interview mit dem „Telegraph" kommentiert sie: „Nein, das kann ich nicht behaupten ... Er war einer der wenigen Menschen in meinem Leben, die sich um mich kümmerten. Die mich ernst nahmen und mir viel Kraft gaben." Hier musste der „alte Kinski" dann aber dazwischenfunken, und zwar bei einer Feier für „Tess": Angeblich soll er in den Festsaal gestürmt sein, seiner Tochter eine Ohrfeige verpasst haben – vermutlich wegen des vermeintlichen Verhältnisses mit Polanski – und danach wieder so schnell verschwunden sein, Tatort: Reifezeugnis" wie er gekommen war ... "
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as mag Klaus Kinski wohl gedacht und gefühlt haben? Empfand er Stolz und väterliche Freude über die Karriere seiner Tochter oder eher Missgunst? Man mag Letzteres annehmen, denn neben einem Klaus Kinski durfte es keinen Konkurrenten geben, der seine Strahlkraft – zumindest in seiner eigenen Perspektive – auch nur ein wenig minderte. Zwar tauchte er kurz bei Dreharbeiten von Nastassja auf und schlug sogar eine mögliche Zusammenarbeit vor, was sich jedoch nicht realisierte. Möglicherweise hat er sich aber auch durch die „Konkurrentin aus eigenem Hause" zu Höchstleistungen angestachelt gefühlt, denn 1979 kamen die höchst intensiven Filme „Nosferatu – Phantom der Nacht" und „Woyzeck" in die Kinos, beide unter der Regie von Werner Herzog, der auch den Kinski-Klassiker „Fitzcarraldo" (mit Claudia Cardinale) 1982 in Szene setzte.
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Roman Polanski –
in wichtiger Mann ein väterlicher Freund in Nastjas Leben war der Regisseur Schauspieler und Roman Polanski. Er riet ihr, in die USA zu ziehen und dort Schauspielunterricht zu nehmen. Polanski war von der deutschen Darstellerin so angetan, dass er sie für die Rolle der Tess im gleichnamigen Film auswählte, der 1979 in die Kinos kam. Die Romanverfilmung des britischen Autors Thomas Hardy ging für Polanski mit vielen Emotionen einher, denn seine Frau Sharon Tate – ein Opfer der sogenannten Tate-Morde der Manson Family 1969 – hatte ihm das Buch kurz vor ihrem Tod als Tipp für ein eventuelles Drehbuch geschenkt. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Film – Nastassja erhielt 1981 den Golden Globe für ihre Darstellung – ist ein sozialkritisches Sittenbild des viktorianischen Zeitalters und Seite
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ess" bedeutete den internationalen Durchbruch für die junge Schauspielerin, die 1982 „Einer mit Herz" unter der Regie von Francis Ford Coppola drehte, dessen Nachfolger von „Apocalypse Now" und ein kommerzieller Flop. Für Furore sorgte im selben Jahr „Katzenmenschen", ein surrealer und auf mehreren Ebenen tiefgründiger Fantasy/HorrorStreifen mit starken erotischen Untertönen, zu dem David Bowie den Song "Cat People (Putting Out Fire)" beisteuerte. Besonders der animalische/unkontrollierbare Aspekt zog das Publikum an, ähnlich wie bei dem legendären Foto von Richard Avedon, das in der Oktoberausgabe der amerikanischen „Vogue" 1981 erschien. Hier lag Nastassja auf dem Boden, während sich eine riesige Python um ihren Körper schlängelte und – besonders pikant – zwischen ihren Beinen hindurch.
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ie damalige Popularität und Anziehungskraft von Kinski lagen in der Ambivalenz des öffentlichen Bildes begründet, das von Nicholas Wapshott in der Londoner „Times" im Januar 1984 auf den Punkt gebracht wurde: „Einige meinen, dass sie eine sinnliche, intrigante Schönheit sei, die aus ihrer Verletzlichkeit Kapital schlägt. Andere vertreten die Auffassung, sie sei eine fragile junge Frau, teils Kind, teils Erwachsene, die sich mit einer gehörigen Portion Würde durch ein zwielichtiges Geschäft kämpft." Obwohl Letzteres wohl am zutreffendsten erscheint, wird Nastassja – auch aus der Retrospektive – viel zu oft als Darstellerin gedeutet, die durch ihre körperlichen Reize Erfolge feierte, was aber nur einen Teil der Wahrheit ausmacht.
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984 erschien ein Meisterwerk, das ihr auf alle Zeiten Ruhm und Ehre brachte – „Paris, Texas". Bereits ein internationaler Erfolg, kam der Streifen erst 1985 aufgrund von Querelen zwischen Regisseur Wim
Wenders und dem Filmverlag der Autoren in die deutschen Kinos und wurde von über einer Million Besuchern gesehen. Das stimmungsvolle und hochatmosphärische Roadmovie veranschaulicht die Suche Travis’, der jahrelang als verschollen galt, nach seiner verschwundenen Frau Jane, von Nastassja verkörpert. Zuerst knüpft er Kontakte zu Hunter, dem Sohn der beiden, der bei Travis’ Bruder aufgewachsen ist, wonach er sich auf eine lange Reise begibt. Er findet Jane schließlich, die ihren
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„Landesverräterin" verunglimpft und erhielt nie wieder die ihr zustehende Anerkennung. Ähnlich hatte es schon zuvor bei Marlene Dietrich ausgesehen, die während des Zweiten Weltkriegs in den USA lebte, Propaganda gegen das Dritte Reich machte und demzufolge von der rechtsgerichteten Presse nach 1945 übel angefeindet wurde. Und dass die Dietrich zu einem der Idole von Nastassja Kinski gehört, lässt sich unschwer mit den in der Mai-Ausgabe 1983 im „Playboy" veröffentlichten Fotos belegen. Hier inszenierte sie Helmut Newton als hocherotischen Vamp mit einer großen Dietrich-Puppe.
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uf jeden Fall ist es ein bemerkenswertes Phänomen, dass ein unbestrittener Weltstar und eine in den Siebzigern in Deutschland als Ikone gefeierte Frau wie Kinski allzu oft mit Ignoranz bestraft worden ist und in der Regenbogenpresse nur noch
Foto: © NikMa Verlag
Lebensunterhalt in einer Peepshow verdient. Nach einigen verhaltenen Zwiegesprächen gibt er immer mehr von sich preis, und Jane wird klar, wer sich da hinter dem verspiegelten Glas befindet. Am Ende ist Jane wieder mit ihrem Sohn vereint, doch Travis fährt ohne eine Begründung davon. Der Kontrast zwischen der Weite Amerikas, den unendlich langen Straßen und der stetigen Geschäftigkeit lassen die lange Szene in den beengten und intimen Räumlichkeiten der Peepshow noch eindringlicher erscheinen. Hier zieht Nastassja alle Register ihres Könnens. Sie flirtet, wirkt nachdenklich, scheint dem unbekannten Gegenüber helfen zu wollen und erkennt mehr und mehr, dass es sich hier um ihren ehemaligen Mann handelt, der sich langsam und zögerlich offenbart. In ihrer Mimik ist eine Vielzahl unterschiedlichster Emotionen zu sehen, die den Zuschauer berühren und in den Bann ziehen.
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n selben Jahr heiratete Nastja den deutlich älteren Produzenten Ibrahim Moussa, eine Verbindung, aus der Sohn Aljoscha und Tochter Sonja hervorgingen. Die Ehe wurde 1992 geschieden, woraufhin sie mit dem Michael-JacksonProduzenten Quincy Jones zusammenlebte, ebenfalls ein deutlich älterer Mann. Die gemeinsame Tochter der beiden, Kenya Julia Niambi Sarah Jones, arbeitet als Model unter Paris, Texas" dem prestigeträchtigen " Namen Kenya Kinski-Jones. Zwischenzeitlich trennte sich Nastassja jedoch auch von Jones.
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nd ihr Beruf als Schauspielerin? Trotz ihrer „Lebensrolle" als fürsorgliche und empathische Mutter schienen auf den ersten Blick ab Mitte der Achtziger nur noch wenige Filme mit Kinski produziert worden zu sein. Allerdings trifft das ganz und gar nicht zu, da ab 1992 ihre produktivste Zeit erst begann, mit unter anderem „Zwischen Nacht und Traum" (1992) „Tödliche Geschwindigkeit" (1994), „Der Zorn des Jägers" (1999), „Quarantäne" (2000) oder „Inland Empire" (2006).
Erwähnung fand, wenn eine Beziehung in die Brüche ging oder wieder mal ihr Vater zum Thema wurde. Klar, und dass sie an Narkolepsie, einer Schlafkrankheit, erkrankte, war natürlich 2001 auch eine dicke Schlagzeile im „Daily Telegraph". Hinzu kam noch das Medienrauschen, als ihre Halbschwester Pola, Kinskis Tochter aus erster Ehe, 2013 ihr Buch „Kindermund" veröffentlichte, in dem sie einen jahrelangen Missbrauch durch den exzentrischen Vater beschreibt. Das Thema wurde von der „Bild" aufgegriffen, und Nastassja musste zur Frage ähnlicher Übergriffe auf sie Zwischen Nacht und Traum" Stellung nehmen, die sie jedoch bestritt. " Ihr Vater sei ihr zwar manchmal unangenehm nahe gekommen, doch ein tatsächlicher Missbrauch habe nie stattgefunden. Eine mögliche Teilnahme bei der EkelTV-Fremdschäm-Reihe „Dschungelcamp" wurde kurz vor Beginn abgesagt, woraufhin sie bei der Tanzshow „Let’s Dance" 2016 eine gute Rolle spielte. Danach stand ihre Beziehung mit dem Tänzer Ilia Russo im Fokus, die man natürlich hochdramatisch abhandelte.
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o aber bleibt die Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk einer der wenigen weltberühmten deutschen Schauspielerinnen? Die Filmkritik versagt hier auf öglicherweise wird ganzer Linie! Kommen amerikanische Zweitligaproduktionen ihr Schicksal auch in die Kinos, hämmern die Kritiker eiligst eine Besprechung vom „Romy-Schneiderin die Tastatur und vergessen dabei naheliegende, wichtige Syndrom" bestimmt, der deutund ergiebige Retrospektiven. Und wer hat bislang versucht, schen Abneigung gegenüber einen seriösen und ernsthaften Blick hinter das Image des Darstellern, die in einem ande„Poster Girls" Nastassja Kinski, der ewigen Kindfrau, zu ren Land sesshaft wurden? Als werfen? Sicherlich fände sich hierbei ein warmherziger und die charmante Sissi-Darstellerin Tödliche Geschwindigkeit" überaus interessanter Mensch, der eindeutig mehr leistet(e), in den späten Fünfzigern nach " als allgemein angenommen wird. Bis dahin aber bleibt Nastassja Kinski Frankreich zog, um sich von ihrem „royalen" Image zu befreien, wurde der unbekannte Weltstar aus Deutschland ... sie sogar von hasserfüllten Journalisten als „Franzosenflittchen" oder
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Verstehen Sie Spaß? Dreibeinige Skifahrer und andere Kuriositäten
Anfang der 80er Jahre moderierte ich beim damaligen Südwestfunk (heute SWR) im wöchentlichen Wechsel mit Sigi Harreis und Dieter Thomas Heck die Sendung "Gute Laune aus Südwest" und abwechselnd mit Karl-Heinz Wegener samstags "Frohes Wochenende", eine Radio-Talkshow aus dem Studio in Baden-Baden oder als Livesendung aus dem badischen Ländle mit Stars und Sternchen. Von Christian Simon
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on Jürgen Drews über Heino bis zu den Lords standen die Künstler auf unserer SWF-Bühne. Da ich meine Folgen dieser Sendereihe selbst für den Sender produzierte, arbeitete ich sehr eng mit den Plattenfirmen und Künstleragenten zusammen. Einer davon war Werner Kimmig, der eine Management- und PR-Agentur in Oberkirch betrieb. Er managte Costa Cordalis und Paola, hatte einen Beratervertrag mit dem Verlagshaus Burda und Promotionverträge mit Konzertimpresario Fritz Rau und der CBS. Damit besaß er Zugang zu Popgrößen wie Les Humphries Singers, Bob Dylan, Neil Diamond, Bruce Springsteen, Julio Iglesias oder Jennifer Rush, die er alle betreute. Heute ist er einer der erfolgreichsten TV-Produzenten Deutschlands – die „Helene Fischer Show" oder die „Bambi Verleihung" gehen ebenso auf sein Konto wie viele spektakuläre Events, Musik-Specials, Star-Dokumentationen oder TV-Reihen wie „Immer wieder sonntags". Aber eine Sendung trägt seit fast 40 Jahren auch seine Handschrift, und damit bin ich beim Thema. 1981 stieg Werner Kimmig mit Seite
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dem Schweizer TV-Macher Kurt Felix („Teleboy") ins deutsche Fernsehgeschäft ein, der Höhenflug einer Fernsehshow begann … und ich durfte dabei sein. Ich weiß noch genau, wie Werner Kimmig mich fragte, ob ich als Lockvogel mitmachen würde. Ich musste nicht lange überlegen und wurde festes Mitglied im „Spaß-Team". Ich könnte Seiten füllen mit Geschichten, die ich mit der versteckten Kamera erlebt habe. Über einige ganz besondere Dreharbeiten möchte ich heute berichten. Wir drehten beispielsweise einige „Schnee-Filme" im Schweizer Wallis. Dafür war das Team eine Woche lang in einem Hotel von Art Furrer untergebracht. Furrer arbeitete als Bergführer und Skilehrer, unter anderem auch in den USA für Leonard Bernstein und für die Kennedy-Familie. Dort begann auch seine Karriere als Show-Ski-Akrobat. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wurde er ein erfolgreicher Unternehmer und errichtete einen großen Hotelkomplex auf der Riederalp. Von dort aus ging es jeden Morgen mit dem Schneetaxi oder dem Helikopter an die verschiedenen Drehorte. An einem Tag flogen wir
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Fotos: © Christian Simon Productions und SWF/SWR Pressefoto
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zu dem beliebten Bergort Zermatt, um vor der beeindruckenden Kulisse des Matterhorns einen Film zu drehen, von dem ich nie geglaubt hätte, dass er möglich sein würde. Können Sie sich einen dreibeinigen Skifahrer vorstellen? Ich war einer: Dank einer komplizierten Te c hni k kons t r uk t ion hatte man mir ein drittes Bein angeferv.l.: Werner Kimmig, Wolfgang Herborn, Kurt Fel tigt, mit dem ich sogar ix laufen konnte. Meine Aufgabe: Geh' in Sportgeschäfte, und kauf' drei Ski – und nicht zwei Paar! Sag, das jährliche Treffen von Menschen aus aller Welt mit drei Beinen sei diesmal in Zermatt, und morgen komme ein dreibeiniger Freund, der ebenfalls drei Ski kaufe.
Was ihm passierte, dürfte wohl für jeden Künstler der blanke Horror sein. Er gab vor einem erlesenen Publikum ein Solokonzert, nur begleitet von einem Pianisten. Doch nach und nach verließen die Leute den Saal, die Reihen leerten sich, und schließlich saß nur noch ein älteres Ehepaar schlafend Christian Simon auf seinen Stühlen. mit drei Bei nen Ivan vermutete eine Lebensmittelvergiftung … bis das Ehepaar erwachte und sich zu erkennen gab – Kurt und Paola Felix. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Das Management des Sängers war entsetzt, von Image- und Rufschädigung war die Rede. Beim üblichen Zusammensein nach dem Dreh erreichte uns sogar noch ein Schreiben eines Anwalts, der mit einer einstweiligen Verfügung drohte. Doch hier bewies nun Ivan Rebroff, dass er nicht nur Spaß verstand, sondern auch die Situation clever einzuschätzen wusste: „Was will man denn mehr – ich komme am Samstagabend zur besten Sendezeit ins Fernsehen. Natürlich wird der Film gesendet, und danach trete ich in der Sendung live auf! Eine tolle Promotion!" Recht hatte er. Die Sendung am 14.11.1987 erzielte riesige Einschaltquoten.
Gesagt, getan! Im ersten Geschäft traf ich auf eine italienische Verkäuferin. Ich habe noch heute ihr Gesicht und die Schockstarre vor Augen, als sie mich sah und wohl glaubte, dem leibhaftigen Teufel zu begegnen. Sie rannte schreiend auf die Straße und rief immer wieder: „Il diavolo!" Doch überraschenderweise lief es in den anderen Läden völlig anders. Man nahm mir meine Geschichte ab, und ob aus Mitleid oder Vertrauen, ich bekam meistens meine drei Ski. Nun kam auch unser Hotelier Art Furrer ins Spiel, denn er hatte den Job, als mein Double auf drei Skiern die Abfahrt hinunter Im Restaurant des Hotels drehzu wedeln, was er hervorragend ten wir ein weiteres Highlight: meisterte! Sie können sich die Angeblich fand die Tagung eines Reaktionen der anderen Skifahrer Sportverbandes statt, zu der wir als vorstellen, als er an ihnen vorbeiVortragsredner den Fußballtrainer rauschte ... Christian Simon mit Art Furrer Klaus „Schlappi" Schlappner (damals SV Waldhof und Kurt Felix 1988 Mannheim) und die Nationalspieler und BayernNun kommen wir von der weißen Pracht München-Kicker Paul Breitner und Uli Hoeneß engagiert hatten. zu "Ganz in Weiß" – und damit zu Roy Black und dem nächsten Die Vorbesprechung sollte beim Mittagessen stattfinden. Was Double. Roy kannte ich von vielen Veranstaltungen, und er schöpfunsere prominenten Gäste nicht wussten – auch die Ober waren te keinen Verdacht, als ich ihn als Moderator bei einer Show im von uns „gebucht". Es handelte Konstanzer Inselhotel ankündigte. sich um sogenannte Show Waiters, Es gab damals einen bekannten also Spaßkellner: zu kurze Hosen, Stimmenimitator, der auch Roy darunter unterschiedliche Socken, täuschend echt draufhatte – Kurt ein eigenartiger Gang … all das Stadel (züchtet heute Pferde in schien unsere „Opfer" nicht sehr Norddeutschland). Ihn hatten wir zu beeindrucken. Anders wurde als „singenden Doppelgänger" veres schon, als man Paul Breitner pflichtet und versteckten ihn hineinen Weißwein als Rotwein andreter der Bühne mit einem Monitor hen wollte. Hoeneß stutzte schon und einem Mikrofon. Während nun gewaltig, als der „Maître" verRoy seinen Hit vor Publikum sang, schüttete Soße auf seinen Teller zogen wir an manchen Stellen sein zurücktun wollte … die Stimmung Mikro zu und das von Kurt auf, der kippte – und Klaus Schlappner aber einen anderen Text sang. Aus brachte sie dann zur Explosion. Als „Ganz in Weiß, so stehst du neben man ihm ungefragt „nachreichte" mir" wurde „… so liegst du neben Roy Black & Christian Simon 1985 und den Teller regelrecht zuschütmir" und so weiter. Roy kam total aus dem tete, ergriff er eine Kartoffel und feuerte sie gegen die Wand – Konzept und wusste nicht mehr, was geschah. nicht gerade zur Freude des Hoteldirektors. Doch auch er verstand Aufgelöst wurde die Nummer durch Paola, die im weißen Brautkleid Spaß und akzeptierte eine Reinigung auf unsere Kosten. mit einem Blumenstrauß auf die Bühne kam. Wir drehten einige Spaßfilme im Inselhotel, und unsere Opfer wurden dort auch Carolin Reiber, Ephraim Kishon und … Ivan Rebroff. GoodTimes
Von den Sängern und Sportlern nun zu einem Comedian, der mittlerweile Kult ist – Hape Kerkeling. Sein Film wird bis heute 1/2020
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ständig wiederholt und gehört nun vorsichtig unserem Bett, zu den meistaufgerufenen in dem meine Filmpartnerin Clips bei YouTube. Kurt Felix und ich gerade gemütlich bereitete ihm einen Albtraum, mit Fleischwurst, Käse und als er das Publikum immer an Mar melade f r ühst ückten. der falschen Stelle lachen ließ. Unsere Einladung, mit uns zu 1985 präsentierte ich in der essen, lehnte er ab. Als man Erwin-Braun-Halle in Oberkirch uns dann immer noch freundHape noch mit seinem Auftritt lich zum Gehen aufforderte, als „Hannilein". Nach meiner kamen wir natürlich dieser Bitte Anmoderation kam er auf die nicht nach und beschwerten Bühne und startete sofort mit uns, dass die Toiletten zwei seinem Opening-Gag. Jeder Etagen tiefer seien, es kein flieKomiker weiß, wann er in seinem ßendes Wasser gebe und man Programm die meisten Lacher kein Fenster öffnen könne. Als kassiert und wie und wann er wir dann noch eine Verkäuferin die Pointen zu setzen hat. Wir baten, uns frischen Kaffee zu haben allerdings die Gesetzmäßigkeit bringen, hatten wir wohl damit den "Verstehen Sie Spaß"-Sendung 1988 – alle Gäste mit Kurt und Paola Felix des Lachens auf den Kopf gestellt. Gipfel der Unverschämtheiten erreicht. An der Rückwand der Bühne hatten Ein Angestellter hob meine Begleiterin wir einen Leuchtkasten angebracht, der samt Bettzeug aus den Kissen und trug sie applaudierende Hände und einen lachenunter ihren Protestrufen hinaus … und ich den Mund zeigte. Durch diese Zeichen rannte hinterher. wurden die Zuschauer aufgefordert zu klatschen oder zu lachen – natürlich an Viele dieser Filme wurden immer wieder den total falschen Stellen. Totenstille im einmal gezeigt, in Abendsendungen wie Saal, euphorischer Beifall oder herzhaftes „Das Beste aus Verstehen Sie Spaß?" oder Lachen, das bestimmte Kurt mit Drücken in „Verstehen Sie Spaß? – Die Klassiker der Tasten hinter der Bühne. Und vorne von und mit Kurt Felix". In Folge 12 könließen wir Hape regelrecht „verhungern". nen Sie übrigens auf YouTube den HapeNach einer gefühlten Ewigkeit wusste er Kerkeling- und den Bettenfilm sehen, in nicht mehr ein noch aus. „Was ist denn Folge 20 den dreibeinigen Skifahrer. 1988 hier los", rief er in den Saal, sprang von hatte ich noch einen besonderen Auftritt der Bühne ins Publikum und verabschiein der Show. An diesem Samstagabend dete sich mit den Worten: „Sie können waren Orchesterchef Dieter Reith, Willy sich darauf verlassen, wenn ich mich noch Millowitsch, Ingrid Peters, Fritz Egner, Art nie besoffen habe, heute Abend tue ich Furrer und Reinhold Messner die Gaststars es!" Ich erwartete ihn in der Garderobe. … und 1991 wurde ich mit dem „Spaßvogel Er griff zu einer Zigarette, war völlig Award" für meine Auftritte als Lockvogel konsterniert und fragte mich: „Sag mal, ausgezeichnet. Der Preis steht noch heute ihr verarscht mich doch?" Das war das auf meinem Schreibtisch. Stichwort – eine Schranktüre öffnete sich, und heraus trat Kurt „Verstehen Sie Spaß?" wurde zur erfolg- Felix. Zu den Worten „Nein, reichst en Samstagabend-Unterhaltungs Kurt Felix & Christian Simon – oh nein, nein" zersplitterte sendung der ARD und erreichte höchste Übergabe Spaßvogel 1991 Hapes Wasserglas am Boden, Einschaltquoten (bis zu 22,5 Millionen und wir erlebten einen Zuschauer). Nach zehn Jahren verabschiedeten sich Kurt und erlösten, erleichterten Paola Felix von der Sendung, und Harald Schmidt übernahm und letztendlich doch die Präsentation von 1992 bis 1995. Danach folgten Dieter glücklichen Entertainer. Haller vorden (1996– 1997), Cherno Jobatey Neben den zahlreichen Promi-Filmen drehten (1998–2002) und wir aber auch viele Szenen mit sogenannten Frank Elstner (2002– normalen Opfern, also Leuten von der Straße, mit Menschen wie 2009), der sich erst den du und ich. So auch in einem Offenburger Möbelhaus. Thema: Wie „Segen" von Kurt Felix reagiert das Personal, wenn man morgens nach Geschäftsöffnung abholte, bevor er die Show schlafende Tramper in der Bettenabteilung findet? Die Dreharbeiten übernahm. Felix erlag begannen früh morgens. Es war noch dunkel, als wir uns in den 2012 einem Krebsleiden. Ausstellungsraum einschlichen und es uns in den Betten gemütSeit 2010 moderiert lich machten. Nur die Geschäftsleitung wusste Bescheid, sonst Guido Cantz die Sendung niemand. In einem Doppelbett lagen zwei Landstreicher, und mit großem Erfolg. Bis ich nächtigte luxuriös mit einer hübschen Blondine auf weichen heute produziert die Matratzen. Die versteckten Kameras wurden positioniert und Kimmig Entertainment das T V-Licht eingerichtet. Nun konnte es losgehen. Bald darauf GmbH Filme mit der vererschienen die ersten Angestellten in der Abteilung. Sie glaubten steckten Kamera, für die ihren Augen nicht zu trauen, aber was tun? Wir filmten, wie sie das Unternehmen bereits sich berieten und unschlüssig von einer Seite zur anderen liefen. im Jahr 2014 mit dem Schließlich ergriff ein Mann vom Aufsichtspersonal die Initiative Deutschen Comedypreis und versuchte, allerdings erfolglos, die beiden Obdachlosen ausgezeichnet wurde … zum Abmarsch zu bewegen. Ein weiterer „Mutiger" näherte sich und das ist kein Scherz.
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Das wunderbarste aller Technik -Magazine
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Fast vier Jahrzehnte lang war das Magazin hobby" Europas größte " und erfolgreichste populär-technische Zeitschrift. Dieses außergewöhnliche Druckerzeugnis erschien zunächst im Ehapa-Verlag Stuttgart und ab September 1984 im Hamburger Top Special Verlag, an dem Ehapa und der Axel Springer Verlag seinerzeit zu gleichen Teilen beteiligt waren. Die Erstausgabe kam im Mai 1953 an die Kioske; bis Oktober 1961 erschien das Magazin monatlich, dann zweiwöchentlich, bevor es ab Mai 1984 wieder monatlich aufgelegt wurde. Im September 1991 wurde das Heft schließlich eingestellt. Bis 1967 hatten die am Rücken geklebten und nicht gehefteten Ausgaben das Format DIN A5. Mit sinkender Auflage wurde das Format leicht vergrößert und ab 1973 der üblichen Zeitschriftengröße angepasst. Besonders die ersten 20 Jahrgänge sind wegen der visionären Artikel über Technik, Energiegewinnung, Verkehrsplanung sowie Luft- und Raumfahrt überaus interessant.
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ie Nachkriegsjahre waren für die Menschen in Deutschland eine Zeit voller Entbehrungen und Mühsal. Zunächst einmal ging es nur um das reine Überleben. Nahrungsmittel, Wohnraum und auch Kleidung waren sehr schwer zu bekommen, und der Schwarzmarkt blühte. Aber mit Einführung der D-Mark und Gründung der Bundesrepublik ging es plötzlich rasant aufwärts. Die Deutschen waren wieder wer, das sogenannte Wirtschaftswunder kündigte sich an, und man hatte auch wieder Zeit für Freizeitbeschäftigungen. Da kam eine Zeitschrift wie „hobby" gerade zum rechten Zeitpunkt auf den Markt.
Ursprungs für die Ansprüche und den Wissensdurst der deutschen Leser nicht ausreichte, und erweiterte die Redaktion beträchtlich. Ein eigener Mitarbeiterstab wurde aufgebaut und arbeitete auf vollen Touren. Bereits 1954 wurden die Lizenzverträge dann gekündigt, und „hobby" stand nun vollständig auf eigenen Beinen. Das Technikmagazin bot Bastel- und Baupläne für vielerlei Dinge, speziell aber für Modellflugzeuge, Autos, Eisenbahnen und Schiffe. Im Laufe der Jahre wurden die Bauanleitungen immer ausgefeilter und die Bastelobjekte aufwändiger. Wesentlicher Bestandteil des Magazins aber waren die Artikel über die allerneuesten Errungenschaften der damaligen Technik mit ihren mutigen Zukunftsvisionen, die auch in einem unglaublich zukunftsgläubigen und technikverliebten Stil geschrieben waren. Den Lesern gefiel das! Die Aprilausgabe von 1956 hatte bereits einen Umfang von 150 Seiten, erste Vierfarbteile erschienen, und die Auflage überschritt erstmals die 300.000. Nur ein Jahr später besaß die Redaktion von „hobby" ein lücken los geschlossenes Korrespondentennetz und war somit von Presse-Agenturen völlig unabhängig. Das Magazin wurde immer beliebter, und die Oktober-Nummer von 1959 umfasste ganze 208 Seiten! Fast schon ein Buch. Ab 1960 wurde die bisher unregelmäßig erscheinende Rubrik „Wie funktioniert …" fester Bestandteil jeder Ausgabe. Denn das Magazin hatte es sich zur Aufgabe
Im Mai 1953 war es so weit: Die erste Nummer von „hobby" war überall im Zeitschriftenhandel erhältlich. Das Magazin hatte einen Umfang von 128 Seiten und kostete 1,50 DM. Das war für die damalige Zeit nicht gerade preiswert, denn ein Facharbeiter oder Handwerker verdiente gerade einmal 350 Mark im Monat. Niemand konnte also sagen, ob es für eine so anspruchsvolle Zeitschrift genug Leser geben würde. In den Vereinigten Staaten gab es ähnliche Publikationen bereits seit Jahrzehnten, und so sicherte sich der Ehapa-Verlag die Lizenzen von „Popular Science" und „Mechanix Illustrated". Schnell aber erkannte man, dass das Lizenzmaterial amerikanischen Seite
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gemacht, die immer komplizierter werdenden Vorgänge des technischen Zeitalters so populär zu vermitteln, dass auch der interessierte Laie 1/2020
delte es sich um Explosions- bzw. Risszeichnungen von technischen Geräten, ähnlich denen in den „Perr y Rhodan"-Romanheften, aber im Posterformat (da gab es dann z.B. den Senkrechtstarter Harrier und den NSU-Ro 80 mit Wankelmotor). Auch die äußerst beliebte Comicserie „Asterix" fand eine Zeitlang ihren festen Platz im „hobby"-Magazin und konnte in kleinen Portionen alle zwei Wochen genossen werden.
sie verstehen konnte. Die sich regelrecht jagenden technischen Entwicklungen drohten nun aber ob ihrer großen Zahl den Umfang von „hobby" zu sprengen. Das Magazin musste entweder den Umfang erhöhen oder aber öfter erscheinen. Man wählte den zweiten Weg, und ab Oktober 1961 erschien das Heft 14-tägig. Besonders stolz war man in der Redaktion von „hobby" zum zehnjährigen Jubiläum darauf, dass man den Preis nicht ein einziges Mal erhöhen musste.
Im Jahre 1964 wurde die Sonderbandreihe „Hobby Bücherei" aus der Taufe gehoben. Bis 1972 wurden 31 verschiedene Bände zu ganz speziellen Themen veröffentlicht. So gab es Titel wie „Das große Hobby Fotobuch", „Fliegen – Mein Hobby", „Atom im Dienste der Menschheit", „Mein Auto und ich", „Alles über Film und Filmen", „Weltmacht Fernsehen" und viele weitere sehr interessante Themenkomplexe. 1967 erschien dann „Das große Hobby Lexikon" in drei Bänden. Hier wurden noch einmal viele technische Erfindungen ausführlich erklärt.
Die ersten zehn Jahre der Existenz von „hobby" waren angefüllt mit weltbewegenden Ereignissen in Wissenschaft, Forschung und Technik, wie kaum ein anderer Zeitabschnitt in der Geschichte der Menschheit zuvor. In diese Jahre fielen der erste Schritt des Menschen in den Weltraum und das Handling der Atomkraft. Im selben Zeitraum aber vollzog sich auch die gigantische Evolution des Fernsehens, ebenso wie der bald alltagsbeherrschende Aufschwung des Automobils und des Düsenflugzeugs.
Mit zielgruppenorientierten Aktionen,wie einem A r c h i t e k t u r w e t tb e w e r b , Autotests, verschied enen Verkehrse rziehung, einem Fünf kampf der FotoAmateure sowie einem großen Diskussionsbeitrag über „Gift im Essen" usw., kurbelte man werbewirksam den Verkauf von „hobby" an. Besonders beliebt waren die ausführlichen Bastelanleitungen für Flug-, Schiffs- und Automodelle. In der Ausgabe 10 von 1963 wurde etwa ein Traum erfüllt. Immer wieder hatten die Leser von „hobby" darum gebeten, den vollständigen Bauplan eines Wohnwagens zu veröffentlichen, der auch mit einem VW zu bewegen war. In Wort und Bild wurde also ausführlich beschrieben, wie ein geschickter Bastler in 150 Arbeitsstunden und für nur 1200 DM zu einem „hobby"-Camper kommen konnte. In den späteren Jahrgängen gab es in vielen Heften Sammelgutscheine. Hatte man eine gewisse vorgegebene Anzahl zusammen, so konnte man beim Verlag ein sogenanntes Explorama bestellen. Dabei hanGoodTimes
Im Zuge der ökologischen Bewegung in den 80er Jahren und nach der Katastrophe von Tschernobyl ließ die Technikbegeisterung bei vielen jungen Menschen mehr und mehr nach, bzw. sie wurde in andere Bahnen gelenkt. Gleichzeitig wuchs nämlich das Interesse am aufkeimenden Computersektor; aber eine reine Computerzeitschrift wollte „hobby" nicht sein. Anfang der 90er Jahre beherrschten Zeitschriften wie „ct", „Atari ST", „Happy Computer", „MSX-Journal", „Xest", „Chip" die Auslagen am Kiosk. Aber auch in anderen Sektoren expandierte der Zeitschriftenmarkt. Für die Freunde des Modellbaus wurden nun alle möglichen Sparten bedient. Es gab monatlich erscheinende Magazine für die Freunde der Plastikmodelle, der Segelflugmodelle und der ferngesteuerten Flugzeugmodelle. Vergleichbar entwickelte sich bald auch der Bereich der Fotografie, des Angelsports, der Schifffahrt und der Fliegerei. Die Verantwortlichen für das Magazin „hobby" reagierten entsprechend und stellten im September 1991 das Erscheinen der Reihe ein. Gelegentlich findet man auch heute, nach über 25 Jahren, auf Flohmärkten noch alte „hobby"Ausgaben für kleines Geld im Angebot. Leider werden diese Hefte nicht im Comic- und Buchfachhandel angeboten, aber es gibt Online-Auktionen und Antiquariate. Dank des Internets lassen sich heutzutage eben fast alle nostalgischen Träume erfüllen. 1/2020
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René Goscinny
Held unserer Kindheit
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Sein Name war ein Garant für sprühenden Witz und herrliche Einfälle, mit seinen herausragend komischen Szenarien zu "Asterix" und "Lucky Luke" und mit den Kurzgeschichten um den "kleinen Nick" schuf er Comic- und Kinderbuchklassiker. René Goscinny war ein Meister seines Fachs und unter denen, die uns in unserer Kindheit und Jugend Freude bereitet haben (und es noch tun), ein Fixstern.
ieht man alte Fernsehaufnahmen von René Goscinny, dann hat er stets dieses verschmitzte Lächeln, ein bisschen jungenhaft, ein bisschen schalkhaft, als wolle er sagen: „Komm, wir machen uns einen Spaß!" Und genau so waren seine Geschichten: voller Humor und stets eine Einladung zum Schmökern. Dieser kleingewachsene, leicht kraushaarige Mann hat uns mit herrlichen Lachtränen versorgt. Dass Comics in Deutschland ihren Nimbus des Minderwertigen und Verachtenswerten verloren, verdanken wir ganz besonders ihm. Vor allem „Asterix" war der Sargnagel für das deutsche Vorurteil, Comics seien nicht mehr als belangloser Kinderkram. „Asterix" hatte einen geschichtlichen Hintergrund und enthielt mitunter ganze lateinische Sätze – also unbestreitbar humanistisches Kulturgut. Das hielt nicht nur abschätzige Urteile in Schach, wilde Gerüchte besagten gar bald, dass gebildete Menschen, Lehrer und Universitätsdozenten, diese Comics läsen und ihre Freude daran hätten. Mit Recht. Sowohl als Autor wie als Förderer junger Talente machte Goscinny aus dem puren Vergnügen Comic eine Bildliteratur, die für jedes Alter von Reiz war.
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m 14. August 1926 hat mein älterer Bruder aufgehört, ein Einzelkind zu sein. Das hat er mir immer vorgeworfen." So erzählte es Goscinny selbst, und es fehlte noch die Ortsangabe: Paris. Dort blieb er allerdings nicht lange. „Ich war Seite
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knapp zwei Jahre alt, als meine Eltern mich für eine große Überfahrt mit an Bord genommen haben. Ich war eigentlich noch kein richtiger Passagier, eher eine Art Gepäckstück, das man auf dem Kai zwischen all den Paketen und Koffern nicht vergessen durfte." Mit dem Schiff geht es nach Argentinien, wo sein Vater für eine französische Firma arbeiten wird. In Buenos Aires besucht Goscinny eine französische Schule.
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ine glückliche Kindheit ist es nicht. Der Vater ist Alkoholiker, und im Suff wird er häufig aggressiv und gewalttätig. Die Mutter wird geschlagen, die Kinder wachsen in einer Atmosphäre der Angst auf. Aus lauter Panik wird Goscinny ein Musterschüler. Ein Leben lang wird er es zu verbergen suchen, aber noch zu Zeiten seiner größten Erfolge bleibt er ein äußerst schüchterner, oft angstvoller Mensch. Humor entwickelt er früh. Er macht die Erfahrung, dass sich Situationen, wenn er komisch und witzig ist und wenn man über ihn oder das, was er sagt und tut, lacht, entspannen und Harmonie entsteht. Humor wird ihm zum Überlebenselixier. Und früh beginnt er zu zeichnen. „Ich machte damals schon kleine Skizzen auf die Ränder meiner Hefte", erinnerte er sich später, und im selben Zusammenhang auch an einen Mitschüler: „Ein Schulkamerad von mir malte immer Ziffern auf die Ränder. Er ist Verleger geworden. Ach ja!"
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ach dem Abitur 1943 möchte Goscinny studieren, doch an Weihnachten stirbt sein Vater an einem Herzinfarkt. Goscinny muss Geld verdienen und arbeitet als Werbezeichner für eine Agentur. Über seine „Erfolge" in dieser Funktion hat er gerne gespöttelt: „Ich verkaufte meine erste Werbezeichnung 1943. Die zweite Werbezeichnung verkaufte ich 1945, und die wurde sogar bezahlt."
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in Onkel in New York wird für seine Mutter und ihn zum Zufluchtsort. Goscinny würde gerne Comics zeichnen. Er bewirbt sich erfolglos bei Walt Disney, dessen Zeichentrickfilme er liebt. Ein Verlag lässt ihn Kinderbücher illustrieren, ist zu diesem Zeitpunkt freilich bereits so gut wie pleite. „Ich frage mich immer noch, was ich eigentlich in den Vereinigten Staaten zu suchen hatte", schrieb Goscinny später. „Die Amerikaner haben sich wohl die gleiche Frage gestellt." New Yorker Lichtblicke sind für Goscinny, dass er Harvey Kurtzman, den späteren „MAD"-Gründer, und den belgischen Zeichner Maurice de Bévère, besser bekannt unter seinem Kürzel „Morris", kennenlernt, der zu dieser Zeit ebenfalls sein Glück in New York versucht. Ansonsten lässt sich Goscinnys USA-Erfahrung auf den Nenner bringen: Pleiten, Pech, Pannen, Ablehnungen und ein zunehmendes Gefühl von Verbitterung.
Vorbereitung erscheint im Oktober 1959 die erste Ausgabe von „Pilote", die kreativen Köpfe und Leiter sind Goscinny, Uderzo und Charlier. Goscinny und Uderzo entwerfen eine eigene neue Comic-Reihe für das Heft, die mit der ersten Ausgabe ihre Premiere feiert. Sie heißt: „Asterix" ...
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Lucky Luke in Der falsche Mexikaner" (in""Fix und Foxi Extra", 1970)
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ie 70er Jahre zeigen Goscinny auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Die Verkaufszahlen von „Asterix" und „Lucky Luke" gehen mittlerweile in die Millionen, und die Disney-Fans Goscinny und Uderzo eifern ihrem Vorbild nach, gründen das Trickfilmstudio „Idefix" und arbeiten an eigenen Zeichentrickfilmen. Aber den immensen Erfolg erlebt Goscinny zunehmend auch als Druck. Was, wenn ihm nichts mehr einfiele, was, wenn sein Humor einmal nicht mehr sprießen würde? Es ist letztlich immer gut gegangen, aber bis eine seiner Arbeiten gelungen ist, durchleidet er bange Zeiten.
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oscinny packt daher seine Sachen und versucht sein Glück in Europa, in Belgien und Frankreich. Es wird nicht besser. Zwar findet er 1942 einen festen Job bei einer Agentur, aber der währt nur drei Jahre. Goscinny gehört zu den Mitarbeitern, die bessere Arbeitsbedingungen und fairere Verträge für Autoren und Zeichner fordern. Das sieht sein Arbeitgeber nicht gerne. Goscinny wird gefeuert. Zwei befreundete Kollegen kündigen da raufhin: der Zeichner Albert Uderzo und der Redakteur und Texter Jean-Michel Charlier. Der Tiefpunkt in Goscinnys Leben scheint erreicht. Doch dieser vermeintliche Tiefpunkt wird sich als Glücksfall erweisen.
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m Herbst 1977 erleidet Goscinny einen kurzen Schwäche anfall. Er geht zum Arzt, ein Herzbelastungstest wird gemacht. Und er stirbt dabei. Goscinny wurde nur 51 Jahre alt. Auch sein Vater ist früh an einem Herzinfarkt gestorben, Goscinny hat insbesondere in kreativen Phasen geraucht wie ein Schlot, aber es gibt noch eine dritte Ursache: Er hat erfahren, dass seine Frau Gilberte unheilbar an Krebs erkrankt ist. Er ist wie verrückt vor Sorge und Trauer. Und er stirbt noch vor ihr.
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ine Zeit des durchschlagenden Erfolgs beginnt. Von Abenteuer zu Abenteuer entwickelt sich „Asterix" zum internationalen Renner, „Lucky Luke" und „Der kleine Nick" stehen dem bald nur wenig nach, und 1962 fügt Goscinny seinen Figuren mit dem Zeichner Tabary noch „Isnogud" hinzu. Obendrein findet Goscinny im August 1964 sein privates Glück. Sie heißt Gilberte, ist auf backfischhafte Art außerordentlich hübsch, liebenswert, humorvoll und wesentlich jünger.
oscinny, Uderzo und Charlier vereinen sich zu einem Team und fungieren fortan als eigene Agentur. Sie ei allem Erfolg zu Lebzeiten: Goscinny würde laufen sich die Hacken ab, um Aufträge zu bekommen. Ein bei uns unbekannt gebliebesich doch leicht verwundert, aber hocherfreut die Sie entwickeln Comics, die Firmen an ihre Kunden ner Goscinny-Comic: "Fee Aveline" Augen reiben, wenn er die Zeichen der Wertschätzung abgeben (vergleichbar den „Lurchi"-Heftchen bei uns), sehen würde, die er heute genießt. Seine Comic-Heftsie zeichnen Werbung und finden in Georges Dargaud Geschichten füllen edle Werkausgaben, der „kleine Nick" schließlich einen interessierten Verleger. Goscinny trifft vergrößert seinen Erfolg nach wie vor, und überhaupt ist eine wichtige Entscheidung: Er erkennt, dass seine fast alles, was aus seiner Feder stammt, auf dem Weg in Fähigkeiten als Zeichner denen des Autors von Szenarien die Zeitlosigkeit (so lange Zeitlosigkeit eben dauert). Und weit nachstehen, während umgekehrt exzellente Zeichner wer bei Goscinny nur an „Asterix", „Lucky Luke" oder ständig nach Ideen und Geschichten suchen. Goscinny den „kleinen Nick" denkt, seine erfolgreichsten Comics verlegt sich ganz aufs Schreiben – und das wirkt wie eine und Bücher also, hat noch viele schöne Überraschungen Befreiung seiner kreativen Kräfte. Die zweite Hälfte der vor sich. Allen voran „Umpah-Pah", die fabelhaften 50er Jahre wird zu einem ungeheuren kreativen Schub. Geschichten, die schier höllisch vergnüglich und mit Goscinny beginnt die Szenarien für die von Morris feinem Humor die Abenteuer des Deutschen Hubert von erfundene Figur Lucky Luke zu schreiben (ab 1955). Er Täne und seines titelgebenden Indianerfreundes erzähentwickelt mit dem Zeichner und Freund Albert Uderzo len – ein Meisterwerk des Comics, in rascher Folge die Helden „Pitt Pistol" (ab 1952), „Luc als „Asterix" noch gar nicht in Junior" (ab 1954), „Benjamin und Benjamine" (ab 1957) Ab Ende der 80er erscheint Sicht war. Und immer wieder verbei uns auch "Luc Junior" und „Umpah-Pah" (ab 1958). Er beginnt mit dem Illustrator sorgt Goscinnys Tochter Anne die Jean-Jacques Sempé seine Geschichten rund um den faulen Schüler, Nachwelt mit neuen Fundstücken wie zuletzt schwierigen Sohn und lebensfrohen Quälgeist namens „Der kleine Nick" den Humoresken „Ruhe, ich esse" oder den (ab 1955). Und im Jahr 1958 steht gar die Konstellation günstig, eine Erinnerungen „Eine Kreuzfahrt, die ist lustig". eigene Zeitschrift auf die Beine zu stellen. Nach einem Jahr Planung und Michael Klein
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Fernsehserie UFO Von Michael Klein
Alarmstart, die Aliens sind da! Zu Beginn der 70er Jahre erfreute die Science-Fiction-Serie "UFO" die deutschen Fernseh zuschauer. Nach der Mondlandung im Juli 1969 lagen Weltraumthemen im Trend, und "UFO" verband eine originelle Zukunftsvision mit dem fashionablen Brit-Chic der Zeit. Die Serie erlebte zahlreiche Wiederholungen und hat ihre Fangemeinde bis heute.
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in seltsames, metallisch-sirrend-schwirrendes Geräusch liegt in der Luft, dann sieht man über Baumwipfeln einen rasant rotierenden Silberkegel fliegen. Er landet auf einer Waldlichtung, und als sich ihm Menschen nähern, wird aus dem sonderbaren Fluggefährt scharf geschossen. Es ist gefährlich. Es ist nicht von dieser Welt. Es ist ein UFO. Mit dieser Szene beginnt die englische Fernsehserie, die zu Beginn der 70er Jahre ein internationales Fernsehpublikum in ihren Bann zieht und ihre Hauptdarsteller weithin bekannt macht: Edward Bishop als Commander Straker, Die deutsche DVDKomplett-Edition Gabrielle Drake als Lt. Gay Ellis und Michael Billington als Paul Foster werden damals auch bei uns zu Stars. „UFO" ist eine Science-Fiction-Serie, deren Handlung im Jahr 1980 spielt – das war damals noch Science-Fictiontauglich! Aber mit einem geschickten Kniff wird ihr Beginn in jene Zeit gelegt, in der die Zuschauer der Erstausstrahlung sie sahen. Im Jahr 1970, so erzählt es der oben beschriebene Beginn, sei zum ersten Mal die Existenz eines UFOs filmisch erfasst und damit zweifelsfrei bewiesen worden. Der Vorgang sei geheim gehalten und eine zentrale Behörde namens S.H.A.D.O. (Supreme Headquarters Alien Defence Organisation) einge-
richtet worden, die die Aufgabe habe, mögliche UFO-Angriffe abzuwehren und der Frage nachzugehen, woher die fremden Raumschiffe kämen, welcher Art die Wesen seien, die sie steuern, und was sie auf der Erde wollten. Alles läuft unter strengster Geheimhaltung ab, die zentrale Kommandostelle ist 20 Meter tief in der Erde unter einem Filmstudio angesiedelt, das eine ideale Tarnung darstellt. Eine Mondbasis mit UFO-Abfangjägern, ein gigantisches, atomgetriebenes U-Boot mit Abfangjägerkatapult und eine UFO-Ortungs-Satellitenanlage im All – nichts davon dringt an die Öffentlichkeit. Die englische Blu-ray Collector’s Box
Existieren UFOs tatsächlich? Das wurde in den 60er Jahren lebhaft diskutiert. 1967 transplantierte Christiaan Barnard zum ersten Mal ein Herz. Auch dieses weltweit Aufsehen erregende Ereignis beeinflusste die Grundmotive der Serie. Als nach einem abgewehrten UFO-Angriff im medizinischen Zentrum der S.H.A.D.O. zum ersten Mal der Körper eines sterbenden Aliens untersucht werden kann, stellt man fest, dass er menschengleiche Organe aufweist, Sauerstoff atmet, ja, dass dieses Alien offenbar tatsächlich menschliche Organe transplantiert bekommen hat. S.H.A.D.O.Commander Straker entwickelt eine Theorie: Die Aliens seien hochintelligente Wesen und kämen wahrscheinDie Welt von S.H.A.D.O. in der Bravo" 42/1971 lich von einem sterbenden Planeten " Seite
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Sohn stirbt durch die Verzögerung. Nach Ausstrahlung der Episode aus den weiten Fernen des Weltraums, dessen natürliche Ressourcen in den USA hagelte es heftige Kritik, das bei uns ausstrahlende erschöpft seien. Ihr Auftauchen auf der Erde diene dem Beschaffen ZDF schnitt den Schluss einfach von menschlichen Organen, die ihr Besorgte Mienen: Kommandantin Gay Ellis (Gabrielle Drake) ab und verkehrte ihn ins Gegenteil: eigenes Überleben verlängerten. und Colonel Alec Freeman (George Sewell) auf der Mondbasis Strakers Auto hat eine TelefonFreisprechanlage, und in eine im In den Fortschritts-euphorischen Original dialoglose Einstellung 60er Jahren waren Sciencewird die kurze Information einFiction-Reihen besonders beliebt, gesprochen, der Junge sei wieund die Serie „UFO", die vor der der gesund und munter. SerienMondlandung konzipiert und bis Produzent Gerry Anderson und August 1970 gedreht wurde, konneiner der Stammautoren, Tony te wahrlich mit Pfunden wuchern. Barwick, schrieben die Folge, und Die futuristischen Designs und im unveränderten Original ist sie die Mode im End-Sechziger-Look ein Highlight. Gelungen auch die waren bestens britisch und lagen Episode „Die Begegnung", bei damals voll im Trend. Zimmerwände deren Finale zwei versprengte in Knallrot, Gelb, Grün oder Violett, Verletzte auf der Mondoberfläche, orangefarbene oder leuchtend rote allein und hilflos, aufeinandertrefSessel, quietschbunte Telefone, fen. Das Besondere: Es handelt pilzförmige Lampen, farbenfrosich um den Piloten Paul Foster he Kostüme, Miniröcke, die ihrem und ein Alien, dessen UFO abgestürzt ist. Das Alien ist von den Namen alle Ehre machten, kühne Autokarosserien mit seitlich hochbeiden besser bei Kräften und rettet Foster wiederholt das Leben. fahrenden Schwebetüren – das ist zeitlos herrlich anzusehen. Und Als ein Suchtrupp der S.H.A.D.O.-Mondbasis auftaucht, will Foster unvergessliche Hingucker waren die lila leuchtenden Perücken der den Männern begreiflich machen, dass das Alien kein Feind ist und weiblichen Besatzung der Mondbasis – damals etwas verblüffend ebenfalls gerettet werden soll. Doch ein technischer Defekt führt zu Neues und kolossal attraktiv im frühen Farbfernsehen. Übrigens auch einem Missverständnis, und Fosters Kollegen machen mit dem Alien prophetisch, denn Virginia Lake (Vanda Wentham) mit einem kurzen Prozess. Derlei Folgen, die schneidende Handlungsmotive und in den 80er Jahren der futuristischen Automodelle der Serie. Konflikte thematisierten, gaben der Serie Substanz. tauchten tatsächlich die ersten Weniger erwachsen hingegen waren die kleinen Modelle bonbonbunten der Tricksequenzen. Obendrein sind es oft die immer gleichen Haarschöpfe in Einstellungen (wie bei den Alarmstarts der UFO-Abfangjäger von der unserer Alltags Mondbasis), die Folge für Folge neuerlich benutzt wurden. Angesichts realität auf. Ein der damals geringeren Bildqualität und der Ausstrahlungen im ungelöstes Rätsel wöchentlichen Abstand machte das wenig, im Zeitalter der DVDs des Universums und Blu-rays fällt es freilich sofort ins Auge. Der Hintergrund ist bleibt allerdings, schnell erklärt: Die Produzenten Gerry und Sylvia Anderson hatten warum die Haare zuvor in Großbritannien und den USA erfolgreiche Puppentrickserien von Lt. Ellis stets wie „Thunderbirds" (lief zur „UFO"-Zeit in einigen Episoden auch braun werden, bei uns) oder „Captain Scarlet und die Rache der Mysterons" (mit sobald sie die anderthalb Jahrzehnten Verspätung in Deutschland) kreiert, und Mondstation verdie Tricks wurden im selben Verfahren wie bei diesen Serien in lässt und auf der Szene gesetzt. Die kleinen Erde weilt. Ob die Perücken gar eine technische Funktion Modelle der Raumfahrzeuge hatten? Und auch dies erwies sich als exzellent: die Musik wurden an Drähten gezogen von Barry Gray, die zwischen schwungvoller Titel- und oder gar fest auf Stative sphärischer Schlussmusik eine montiert. Originell kamen ganze Bandbreite von poppigen immerhin die UFOs daher. Einsprengseln bis hin zu psySie hingen zwar ebenfalls chedelischer Klangmalerei im an Drähten, ein eingebauter Spät-Sixties-Sound bot. Motor brachte sie jedoch zugleich zum rasant-schilInhaltlich orientierte sich die lernden Rotieren. Serie an Genrekonventionen, Obwohl sie nicht einmal in der überschritt sie an Ernsthaftig Hälfteder Episoden auftrat, hinterließ „UFO" wurde ein großer keit jedoch immer wieder zu Gabrielle Drake einen bleibenden Eindruck. internationaler Erfolg, in ihrem Vorteil. In „Eine Frage Hörzu" 41/1971 Großbritannien, den USA, bei uns – und in Japan zogen der Prioritäten" wird Strakers " die lilafarbenen Perücken sogar Nachahmerinnen im Sohn bei einem Autounfall Erdenalltag nach sich. Folglich wurde eine zweite angefahren. Ein selteStaffel vorbereitet. Die schlechte Idee daran: Sie nes Medikament aus sollte zu einer später in der Zukunft liegenden den USA könnte ihn retZeit und folglich mit komplett neuem Personal ten, und Straker hätte die und in komplett neuer Ausstattung spielen. Möglichkeit, es durch einen Das fand wenige Freunde. Die gute Idee, die S.H.A.D.O.-Schnellflieger eilig der schlechten folgte, bestand darin, dass man, holen zu lassen. Doch bevor er wenn man ohnehin alles ändert, konsequenterweistartet, erreicht Straker eine unbestätig20.1.1971, TV Hören und Sehen" te UFO-Warnung, die den Schnellflieger se auch den Titel ändern muss. Und auf diese Weise entstand Gerry " Andersons nächste Science-Fiction-Serie, die in den ursprünglich für für andere Zwecke erfordern würde. Straker ist hin- und hergeris„UFO" geplanten Kulissen spielte: „Mondbasis Alpha 1". sen. Es kommt, wie es kommen muss: falscher Alarm. Und Strakers GoodTimes
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Der Beethoven des Fußballs
Von Egon Wachtendorf
Am 19. November 1969 schoss Brasiliens Fußballgott Pelé sein 1000. Tor – und überall im Land läuteten die Kirchenglocken. Bis heute verehren Millionen Fans aus aller Welt den ersten Kult-Kicker des Fernsehzeitalters. Wer ihn je auf der Mattscheibe oder im Stadion spielen sah, weiß warum.
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äre es nach Celeste do Nascimento gegangen, dann hätte es geschnürte Bündel oder manchmal auch eine ordinäre Grapefruit. den Weltstar Pelé nie gegeben. Denn die Mutter des am 23. In dieser Zeit erhielt Edson seinen Spitznamen – angeblich, weil er Oktober 1940 in der Provinzstadt Três Corações geborenen den Namen eines damals in der Region populären Torhüters falsch Edson Arantes do Nascimento – so sein bürgerlicher Name – veraussprach. Aus „Bilé" wurde „Pelé", das Etikett blieb ein Leben lang abscheute Fußball. War doch haften. die Balltreterei in ihren Augen Mit elf Jahren geriet Pelé ins verantwortlich für die ärmliBlickfeld von Valdemar de Brito. chen Verhältnisse, in denen Der ehemalige Nationalstürmer Pelé und seine beiden jüngeund WM-Teilnehmer von 1934 ren Geschwister aufwachsen war Jugendtrainer bei Bauru mussten: Vater João Ramos, als Atlético und erkannte bei einem Mittzwanziger ein hoffnungsVorspiel sofort Pelés außergevoller Mittelstürmer, hatte nach wöhnliches Talent. Nachdem er einer schweren Knieverletzung ihm vier Jahre lang weiteren seinen Profivertrag verloren Schliff verpasst hatte, lotste de und hielt die Familie danach Brito seinen Schützling mit den als Putzmann mehr schlecht als Worten „Ich bringe euch die recht über Wasser. größte Fußballentdeckung der Der frühen, vom Vater vergangenen Jahrzehnte" zum nach Kräften geförderten FC Santos. Begeisterung des Sohnes für Beim aufstrebenden Verein diesen Sport tat das keinen aus der nahe São Paulo geleAbbruch. Nach dem Umzug Pelé (unten, 2. von rechts) mit der brasilianischen Nationalmannschaft genen Hafenstadt dribbelte 1970 in Mexiko, wo er seinen dritten Weltmeister-Titel holt. der Familie in die rund 450 der Neuzugang schon in seiner Kilometer entfernte Großstadt Bauru kickte der junge Edson lieber ersten vollen Saison die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig. Mit mit Freunden auf der Straße oder in irgendwelchen Hinterhöfen, als 36 Toren in 29 Spielen sicherte er sich den Titel des Torschützenkönigs in die Schule zu gehen. Zum Einsatz kamen dabei meist aus Lumpen und erhielt prompt eine Einladung in die Nationalmannschaft. Mit der Seite
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lich wieder meine Ruhe", schilderte er seine Gefühlslage. Die am Spielfeldrand aufgebauten und permanent auf ihn gerichteten Kameras seien ihm vorgekommen „wie die gläsernen Augen irgendeines gefühllosen Monsters". Auf Druck der seit 1964 regierenden Militärjunta kehrte Pelé kurz vor der MexikoWM ins Nationalteam zurück. Brasiliens Generäle wollten unbedingt den dritten Titel. Und sie bekamen ihn: Am 21. Juni 1970 führte Pelé die Seleção im Finale gegen Italien zum verdienten 4:1-Sieg. Ein Jahr später streifte sich „O Rei" dann zum Freundschaftsspiel gegen Jugoslawien (2:2) zum letzten Mal das gelbe Nationaltrikot mit der Nummer 10 über. Nach dem Schlusspfiff skandierten 180.000 Zuschauer im Maracanã-Stadion immer wieder „Fica, Pelé, fica!" (Bleib, Pelé, bleib!) – vergebens. Nach 77 Toren in 92 Länderspielen war Schluss. Sein letztes Spiel für den FC Santos bestritt Pelé am 2. Oktober 1974. Doch die angestrebte zweite Karriere als Geschäftsmann endete schnell in einem finanziellen Desaster. Weil er für dubiose Partner eine Bankbürgschaft abgegeben hatte, sah sich Pelé im Frühjahr 1975 mit Forderungen in Höhe von mehr als zwei Millionen Dollar konfrontiert. Notgedrungen kündigte er ein Comeback an. Pelés neuer Arbeitgeber Cosmos New York war fest entschlossen, im Base- und Basketball-Mekka USA den dort Soccer genannten Profi-Fußball zu etablieren. Das ließ er sich etwas kosten: Der Brasilianer erhielt einen Zwei-Jahres-Vertrag, der ihn zusammen mit parallel fließenden WerbeEinnahmen von allen finanziellen Sorgen befreite. Zusammen mit Ex-Santos-Kumpel Carlos Alberto und „Kaiser" Franz Beckenbauer feierte Pelé Ende August 1977 die US-Meisterschaft und verabschiedete sich fünf Wochen später endgültig von der Fußballbühne. „Jetzt gibt es zwei Größte", rief ihm Box-Ikone Muhammad Ali an jenem denkwürdigen Tag in der Kabine zu. Zurück in Brasilien gründete Pelé eine Agentur für Sportmarketing und verdiente weiter Millionen mit Werbung. Im Laufe der Jahre pries er die unterschiedlichsten Produkte an – von der American-ExpressKarte über Pepsi-Cola bis zur Potenzpille Viagra. Seinem Status als lebende Legende schadete diese zunehmende Beliebigkeit aber ebenso wenig wie das kurzlebige Intermezzo als brasilianischer Sportminister (1995 bis 1998). Schon eher nahmen es viele Landsleute dem heute 78-Jährigen übel, dass er sich bis in die 90er Jahre hinein weigerte, seine 1964 unehelich geborene Tochter Sandra Regina Machado anzuerkennen. Schmälert dies Pelés Verdienste als „Fußballer des Jahrhunderts", zu dem der Weltverband Fifa ihn im Dezember 2000 erhob? Natürlich nicht. Oder, um es mit den ausnahmsweise einmal wenig bescheiden anmutenden Worten des so Geehrten auszudrück en: „Es ist wie in der Musik. Dort gibt es Beethoven und die anderen. Und im Fußball gibt es eben Pelé und die anderen." © Autogrammarchiv Norbert Arndt
Seleção fuhr Pelé im Sommer 1958 als 17-Jähriger zur WM nach Schweden, wo er Brasilien mit sechs Toren den Weg zum ersten Weltmeistertitel ebnete. Nach dem 5:2-Sieg im Finale gegen den überforderten Gastgeber gingen die Bilder des schmächtigen, von seinen Teamkollegen auf den Schultern getragenen und vor Glück weinenden Jünglings um die Welt. Der erste globale Fußballheld des Fernsehzeitalters war geboren. Die Brasilianer feierten ihren WM-Helden bei seiner Rückkehr als „O Rei", den König. Acht Jahre lang hatte das Land unter dem Maracanaço gelitten, dem „Schock von Maracanã". Am 16. Juli 1950 hatte Brasilien im eigens für die Heim-WM gebauten Mega-Stadion von Rio de Janeiro das Endspiel gegen Uruguay völlig unerwartet mit 1:2 verloren. Eine ganze Nation fiel damals kollektiv in Trauer, aus der sie erst Pelé erlöste. Vermutlich sah das der angehende Superstar selbst so. In seinen Erinnerungen schrieb er später, dass er seinen stets als Vorbild betrachteten Vater nur einmal im Leben weinen sah – eben an jenem 16. Juli 1950. Was gut ankam: Trotz seines Triumphs gab sich Pelé weiter bescheiden. Als gläubiger Katholik betete er vor jedem Spiel und bekreuzigte sich, er rauchte nicht, trank nicht. Für seine Fans hatte er immer Zeit und ein offenes Ohr – und vor allem vergaß er nicht, wo er herkam. Die neuesten Fußballschuh-Modelle, die ihm plötzlich Hersteller aus aller Welt zuschickten, verschenkte er meist an Straßenkinder. Leisten konnte Pelé sich noble Gesten dieser Art da längst. Für die Rechte an einer 1961 veröffentlichten Biografie kassierte der „ungekrönte KickerKönig mit dem sanften, melancholischen Blick" („Der Spiegel") 300.000 US-Dollar, beim FC Santos gehörte er zu den Großverdienern. Mit Pelé, aber auch dank kongenialer Mitspieler wie Coutinho, Pepe oder Zito reihte das Team einen Erfolg an den anderen und tingelte als eine Art Showtruppe um den Globus. Kurz nach Brasiliens WM-Titelverteidigung 1962 in Chile – bei der Pelé verletzungsbedingt nur in der Vorrunde zum Einsatz kam – trat der Weltpokalsieger von 1961 und 1962 gegen ein Honorar von 135.000 Mark beim Hamburger SV an; die Partie endete 3:3. Doch der Ruhm hatte auch seine Schat tenseiten. Die lernte Pelé spätestens auf seiner Hochzeitsreise kennen, die ihn Anfang 1966 auf Einladung von Roland Endler, des früheren Präsidenten von Bayern München, über Frankfurt und Florenz nach Rom führte. Reporter und Schaulustige belagerten ihn und Ehefrau Rosemeri auf Schritt und Tritt. Auch sportlich gab es 1966 bei der WM in England einen herben Dämpfer: Brasilien schied völlig überraschend bereits in der Vorrunde aus. Im letzten, mit 1:3 gegen Portugal verlorenen Gruppenspiel machten die Portugiesen förmlich Jagd auf den Weltstar, ohne dass der Schiedsrichter ihre brutalen Fouls ahndete. Daraufhin erklärte Pelé, nie mehr bei einer Weltmeisterschaft antreten zu wollen. In der Seleção fand er danach zunächst keine Berücksichtigung mehr. Trotz alledem blieb Pelé der Popstar des internationalen Fußballs. Für den FC Santos schoss er weiter Tor um Tor, so dass im Oktober 1969 die Schallmauer von 1000 Treffern in greifbare Nähe rückte. Ein regelrechter Hype brach los. Wann würde Pelé sie durchbrechen? Der mediale Druck hemmte den mittlerweile 29-Jährigen, in mehreren Spielen hintereinander traf er überhaupt nicht. Dann, am 19. November, in der eigentlich bedeutungslosen Ligapartie gegen CR Vasco da Gama, die Erlösung. Ausgerechnet durch einen Elfmeter – für Pelé die „feigste Art, ein Tor zu schießen". Trotzdem war er hinterher unendlich erleichtert. „Ich wollte end-
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Benimmregeln auf dem Prüfstein der 68er Generation Von Kathrin Bonacker
Irmelas neue Freiheiten
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enimmbücher sind ein sehr spannender Bereich der Ratgeberliteratur. Der traditionelle Aufbau ist so gehalten, dass zunächst erläutert wird, warum es notwendig ist, dass die Mitglieder einer Gesellschaft aufeinander Rücksicht nehmen, und woran diese spezielle (heutige) Epoche gerade krankt. Anschließend werden die empfohlenen Regeln in einzelnen, meist Anlass-bezogenen Kapiteln detailliert erklärt. Da geht es – zunächst im privaten Bereich – um Hygiene, Kleidung und Wohnen, dann – im öffentlichen Rahmen – um Berufliches und schließlich das Auftreten in Gesellschaft und auf Reisen. Und wer in alte Benimmbücher hineinsieht, der wundert sich oft: Bei manchem fragen sich die Lesenden, aus welch unerfindlichen Gründen jemand auf solch absurde Ideen des Missverhaltens kommen kann, wie sie als abschreckende Beispiele beschrieben werden ...
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er 1960 seinen 25. Geburtstag feierte, war nicht im Kriegseinsatz gewesen, erinnerte wohl aber die Hungerjahre danach und war wie seine Eltern vermutlich froh, genug zu essen und stabile Verhältnisse zu haben. Diese Ordnung sollte möglichst nichts stören, auch kein schlechtes Benehmen. Die Regeln der 1950er waren streng festgelegt und gemahnten Seite
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In den 1960er und 1970er Jahren wuchs die erste Nachkriegsgeneration heran. Sie rebellierte gegen die Normen ihrer Eltern und Großeltern und war darin nicht nur äußerlich ziemlich radikal. Ein Lebensgefühl des Aufbruchs aus politischen Verfehlungen und Zwängen bedingte auch einen neuen Umgang miteinander, beim Grüßen, in der Anrede oder im Geschlechterverhältnis. Was jahrzehntelang als guter Ton" gegolten " hatte, wurde zunehmend missachtet, geradezu triumphal betitelte ein Verlag sein mit frechen Reimen angereichertes Karikaturen-Werk 1968 Opas Knigge ist tot". "
in manchem Bereich an die Kaiserzeit. Benimmbücher wurden zur Konfirmation oder zum Schulabschluss verschenkt, und wenigstens wer zum Vorstellungsgespräch musste, beruflich ins Ausland reiste oder Geschäftsbriefe zu schreiben hatte, nutzte sie gern, um einen gesellschaftlichen Fauxpas zu vermeiden. Der in zahlreichen Auflagen erschienene Bestseller, Gertrud Oheims „1x1 des guten Tons" (Erstausgabe 1955), war nur ein Ratgeber unter vielen, die den Wirtschaftswunderkindern reich illustriert erklärten, was in den „Bräuteschulen" gelehrt wurde. In Irmgard Wolter-Rosendorfs Ratgeber „Der gute Ton in allen Lebenslagen" war das Radikalste der frühen 60er Jahre, dass der liebende Ehemann dazu angehalten wurde, seiner Frau beim Abwasch zu helfen: „Wie viel mehr Genuss bereitet ihm das Zeitunglesen, wenn er weiß, dass die Mutter sich nicht mehr draußen zu plagen braucht, sondern sich, aller Arbeit ledig, für ein halbes Stündchen zur wohlverdienten Ruhe ausgestreckt hat." Gezeigt wird er als fröhlicher Kontrolleur, ob das Glas auch wirklich sauber ist, und es ist
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Schlürfen Einhalt geboten wurde, wie es „Thomas und Susanne" und ihre Freunde in „Meyers Kinderknigge" von 1967 am schlechten Beispiel beigebracht bekamen: „Stefan angelt gierig nach der süßen Schlagsahne, und schon hat er Michaels Tasse umgekippt. Die schöne Tischdecke! Jörg haut rein wie ein Scheunendrescher. Anstatt den Kuchenlöffel zu benutzen, schiebt er das Tortenstück mit der Hand in den Mund. Und außerdem stützt er sich schwerfällig auf beide Unterarme. Das sieht plump und gefräßig aus" (S. 22). Neuerdings wurden die Regeln des Benehmens nämlich immerhin begründet.
sonnenklar, dass die Hausfrau nach dem halben Stündchen Pause sofort wieder ran muss. So war der selbstverständliche Ablauf.
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ie in der Nachkriegszeit Geborenen aber rebellierten und erklärten all dies für spießig. Sie hörten komplett neue Musik, trugen andere Kleidung und brachen mit der Kriegsgeneration. In den Benimmbüchern spiegelt sich dieser Bruch sehr deutlich. Bei der Begrüßung fing es an. Der ehemals respektvolle „Diener" eines jungen Mannes und der „Knicks" einer jungen Dame (und der Handkuss ohnehin) fielen der neuen Zeit zum Opfer, wurden allenfalls noch angedeutet. Modern und zeitgemäß wollten die Menschen sein, praktisch und schnörkellos direkt waren alle erstrebenswerten Dinge, von der abwischbaren Tischdecke bis zum Plastikbecher, vom Reißverschluss bis zur Schuhmode. Genauso wie dabei auf Schleifen oder Fransen verzichtet wurde, versuchten die jungen Leute, als überflüssig empfundene Rituale, Stehkragen und Schlipse über Bord zu werfen. Speziell Hierarchien wurden eingeebnet.
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as Duzen dienmancherorts te zur Erleichterung des miteinUmgangs ander, auch wenn Gehaltsklassen und We i s u n g s b e f u g n i s s e nicht wirklich auf den Prüfstein kamen. „Die Betonung der Gleichheit steckt gewiss hinter der Sitte unter Jugendlichen und Twens, sich mit Du anzureden", schrieb Jürgen Trifels 1974 in seinem Buch „Guter Ton heute" (S. 83): „Wer im Trend des Tourismus an Jugendreisen teilnahm oder sich anderen Jugendlichen an ihren Treffpunkten zugesellte, wurde geduzt und mit der Zeit auch äußerlich zur Anpassung veranlasst, zunächst durch die Blue Jeans und die dazu passenden Hemden, Blusen, Jacken und Pullis, durch gleiche Haartracht, amerikanisierende Sprache, durch ‚eigene Jugendmode' aller Schattierungen."
ei Festlichkeiten rückten die Veranstaltenden zunehmend von der traditionellen Tischordnung ab, die bis dato ganze Kapitel im Ratgeber hatte einnehmen müssen, weil wichtig (und nicht immer eindeutig) war, wer welchen Rang bekleidete und damit den besten Platz zu bekommen hatte. Trifels diagnostizierte: „Weiteste Kreise unserer demokratisch denkenden Gesellschaft lehnen ja gerade die einstige Zementierung mitmenschlicher Begegnungen durch starre Etiketteregelungen ab." Dennoch forderte auch er: „Das menschliche Zusammenleben ist durch
Gesetze und Gebote geregelt, die jedoch nur in groben Umrissen die Rechte des Einzelnen schützen. Zur Feinabstimmung bedarf es noch weitergehender Spielregeln. Während diese Spielregeln der höfischen Etikette abgeschaut waren, gelten sie heute mehr dem Miteinanderleben ohne Klassenschranken" (S. 13).
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ieses Miteinander wurde jetzt sowohl hinsichtlich des familiären Zusammenlebens als auch aller übrigen sozialen Beziehungen neu durchdacht. In dem Kapitel „Bärtige Studenten unerwünscht" machte Nina Alexander 1970 unmissverständlich klar (S. 53ff.), dass es hier um gegenseitige Rücksichtnahme gehe, und ließ an Vermietern, die ihre Mieter ausnutzen, kein gutes Haar. Ein Klassiker wurde aber auch behandelt: „Wie steht es nun mit dem leidigen Damenbzw. Her ren besuch? Ein Thema unerschöpflichen Ärgersfür beide Seiten, besonders, wenn es
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nter der Frage „Ist der Frack zeitgemäß?" brachte die „Quick" in der Ausgabe 16/1961 (S. 5) neben der Diskussion zum Thema eine sinnbildliche Zeichnung, die das Abschneiden der Frackschöße zeigte und sie somit den sprichwörtlichen „alten Zöpfen" vergleichbar machte. Das Essen im Restaurant solle, so der Tenor, ein wenig zwangloser werden. Wenngleich auch hier dem Schmatzen und GoodTimes
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ums Übernachten geht. Bis zehn Uhr ist Besuch offiziell gestattet. Alles, was darüber hinaus ist, hängt von der Toleranz der Vermieter ab. Wer allerdings bis in die Morgenstunden lautstarke Orgien feiert, muss sich über eine Kündigung nicht wundern."
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eim Thema Telefonieren ging es vor allem um Rücksichtnahme bei den Anrufzeiten und das „Sich-kurzFassen", speziell das Ferngespräch war sehr teuer, und seine Notwendigkeit wurde oft genau durchdacht. Während der „Tagesschau", also zu den 20-UhrNachrichten anzurufen, war absolut indiskutabel. In diesen Jahren widmeten die Autorinnen und Autoren dem Verhalten rund um den Fernseher ohnehin viel Aufmerksamkeit, denn viele Menschen trafen sich in gut ausgestatteten Kneipen oder wurden zu Familienmitgliedern oder Freunden eingeladen, weil noch nicht alle ein Empfangsgerät besaßen. „Decken Sie den Tisch nicht erst, wenn die Ansagerin die Sendung angekündigt hat", wurde daher empfohlen, und: „Beginnen Sie selbst nach einer späten Sendung nicht, sofort gähnend für sofortigen Aufbruch zu werben. Lassen Sie für alle das Erlebte noch ein Viertelstündchen bei (hoffentlich) munterem Geplauder ausklingen", empfahl Dietmar Trifels 1974 (S. 28). Bei der Programmauswahl gab der Benimm-Fachaus schuss 1970 unter der leicht distanzierten Überschrift „Mit dem Bildschirm leben" sehr konkrete Hinweise: „Am besten streicht jeder – je früher, umso besser – im gedruckten Programm mit einem anderen Farbstift an, was er gern sehen möchte. Anschließend Seite
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wird Familienrat gehalten. Unter Eheleuten gibt einmal der Mann, einmal die Frau nach. Für kleine Kinder bestimmen die Eltern aus erzieherischer Sicht, was gesehen wird. Jugendliche werden nach Möglichkeit bald als Dritte in den ‚Familienrat' aufgenommen und stimmen bei Interessenkollision mit den Eltern ab" (S. 243). Im Anschluss wurde das Ideal „Hören, sehen und darüber sprechen" ausgeführt: „Selbst mancher Krimi ist als positives Lehrbeispiel geeignet. Der gute Erzieher am Bildschirm versteht es, ein politisch oder kulturell lehrreiches Thema, das vor oder nach dem Krimi oder Western ausgestrahlt wird, in das Familienprogramm einzubeziehen, um die jungen Trabanten vor einseitiger Fernsehkost zu bewahren." Bezüglich der „Fernsehpart y sportlich" gab es andere Regeln: „Dem Programm entsprechend, holen wir den Sportplatz ins Zimmer (...). Das erhöht den Reiz. Wir jubeln mit und kritisieren mit, als wären wir am Platz der Ereignisse. Beim Fußball hat jeder die Bierflasche griffbereit neben Sessel oder Stuhl stehen, in der Pause gibt es Würstchen mit Senf. In der Hitze des Kampfes wird natürlich die Krawatte gelockert. Das Reitturnier sieht uns modischer, dezenter" (S. 244).
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as Idealbild der jungen Leute dieser Zeit war ein von Partnerschaft, Solidarität und nicht mehr so starken Hierarchien geprägter eher freundschaftlicher Umgang miteinander, in dem sich auch Frauen verwirklichen können sollten und als Zwänge erlebte Vorschriften hinterfragt wurden. Wie revolutionär das war, zeigt ein anderer Absatz aus den Empfehlungen des Fachausschusses für Umgangsformen von 1970: „Nach heutiger Auffassung hat das Mädchen gleichfalls das Recht, einem ihm sympathischen jungen Mann Sympathie zu beweisen: ‚Dietmar, nennen Sie mich doch einfach Irmela!' Ein kleiner, aber doch ein Schritt echter weiblicher Initiative." Und Dietmar konnte sich ebenfalls emanzipieren, hielt er sich an den Spruch aus „Opas Knigge ist tot" (S. 54):
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Will 'ne Dame ihre " Hand dir zum Kuss entgegenstrecken, frag sie höflich und galant ‚Soll ich schnuppern oder lecken?'"
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nd schließlich stellte sich die junge Generation tatsächlich ein partnerschaftliches Geben und Nehmen im Umgang miteinander sogar in der Eltern-Kind-Beziehung vor. Das 1979 aus dem 1/2020
Englischen übersetzte, sehr fortschrittliche Bilderbuch „Benimm dich, Kind! oder Was Kleine gerne tun, lässt Große oft nicht ruhn" versuchte, Kindern Umgangsregeln in Reimform zu vermitteln. Hierbei stand das Verständnis der Situation im Vordergrund, und bei jeder Regel wurde erklärt, warum sie sinnvoll sei: Manchmal braucht Mutter auch eine Pause. " Kommt Ihr fröhlich vom Spielen nach Hause und seht sie nicht gleich, dann könnte es sein, sie war sehr müde und schlief grade ein. Vielleicht träumt sie auch nur, und ihr Traum wird gestört, wenn sie Euch so erwartungsvoll schnaufen hört. Sie ist gern für Euch da. Aber sucht sie nicht immer, will sie mal für sich sein in einem Zimmer. Und die Türen, Du, die mach vorsichtig zu! Man brachte Griffe an Türen an, damit man sie leise schließen kann."
braucht Jochen (12) keinen ‚Diener' zu machen, wenn er Tante Dagmar begrüßt (...). Wenn der verliebte Jörg (14) mit der ebenso verliebten Nicole (13) händchenhaltend durch die Straßen zieht, ist das beider gutes Recht (...) Wenn er mit ihr ein Eis essen geht, braucht er es ihr nicht unbedingt zu spendieren – es sei denn, er hat sie eingeladen. Ansonsten darf jeder für sich bezahlen. Taschengeld ist schließlich immer zu knapp!" Und so hatte erwähnte Irmela nun nicht nur die Chance, ihrem Dietmar das Du anzubieten, sondern sie durf-
te womöglich auch mit ihm in der Öffentlichkeit ganz unverlobt ein Eis essen oder gar Händchen halten. Ihre Urgroßmutter wäre dezent in Ohnmacht gesunken. Die Zeiten ändern sich ... Dass Kinder, deren Mutter eine Pause brauchte, vermutlich eher nicht die Regeln eines Benimmbuches lesen wollten, steht auf einem anderen Blatt. Einen Versuch war es sicher wert!
Literatur (exemplarisch):
Rosemarie Harbert: Bitte so! Anstandsbüchlein für junge Damen und solche, die es werden wollen. Paulus Verlag, Gelsenkirchen 1960. Irmgard Wolter-Rosendorf: Der gute Ton in allen Lebenslagen. Ein Knigge von heute. Falken Verlag, Darmstadt o.J. (ca. 1962). Meyers Kinderknigge. Thomas und Susanne lernen gutes Benehmen. Bibliographisches Institut, Mannheim 1967. Gertrud Oheim: 1x1 des guten Tons. C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1968 (1. Auflage 1955). Kurt Schöning: Opas Knigge ist tot. Süddeutscher Verlag (Werbeabteilung), München o.J. (ca. 1968).
Abb. Archiv www.kabinettstueckchen.de
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iele Wandlungen vollzogen sich unmerklich, manche wurden lautstark diskutiert und führten zu enormen Spannungen unter den Generationen. Trifels erzählt ein Beispiel: „Wenn (...) bei einer Abendparty ein junger Gast in Blue Jeans und Freizeit-Netzhemd erscheint, um gegen die Kleiderempfehlung ‚dunkler Anzug' zu protestieren, so tut ihm zu viel Ehre an, wer ihn als Revolutionär behandelt und sich empört" (S. 232).
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rundsätzlich aber passierte in den Jahren zwischen 1960 und 1979 etwas durchaus Revolutionäres im Zwischenmenschlichen, das der Jugend von Dieter Conrads 1976 bereits rückblickend erklärt werden konnte: „Alte Zöpfe gehören abgeschnitten. Das haben die ‚Knigges von heute' auch ausgiebig getan. Früher hat man sich manchmal das Rückgrat verrenken müssen, um höflich zu erscheinen – heute ist man es auf einfache Art. Jochens Vater braucht nicht mehr den Hut zu ziehen, wenn er die Nachbarin trifft. Ebenso GoodTimes
Umgangsformen heute. Die Empfehlungen des Fachausschusses für Umgangsformen. Falken Verlag, Wiesbaden 1970. Reimar Dänhardt: Fein oder nicht fein. Eine Plauderei über den guten Ton. Deutscher Militärverlag, Berlin 1972. Nina Alexander: Knigge modern. Wie man heute miteinander umgeht, in 35 Kapiteln berichtet von Nina Alexander und illustriert von Susanne Seidel-Buri. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1970. Dietmar Trifels: Guter Ton heute. Buch und Zeit Verlag, Köln 1974. Dieter Conrads: Von Angeber bis Zahnstocher. Gutes Benehmen leichtgemacht. Schneider Verlag, München / Wien 1976. Helen Oxenbury / Fay Maschler: Benimm dich, Kind! oder Was Kleine gerne tun, lässt Große oft nicht ruhn. Verlag Sauerländer, Aarau 1979. 1/2020
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Edel-Seifenopern der 80er Jahre | Teil 6
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Von Thorsten Hanisch
Reich und schön
Edel-Ambiente in Spar-Ästhetik
deutlich mehr dem, was man sich mittlerweile gemeinhin unter „Seifenoper" vorstellt (wobei angemerkt werden muss, dass seit ein paar Jahren der betriebene Aufwand größer ausfällt, unter anderem wurden, was für dieses Genre bisher einmalig ist, 2014 sogar Episoden in den Vereinigten Arabischen Emiraten gedreht), der größte Teil der Kernbesetzung ist tatsächlich nur für die jeweilige Rolle bekannt, und natürlich wird sich wohl kaum ein Mensch die komplette Serie, deren Originaltitel mit „The Bold And The Beautiful" etwas weniger programmatisch daherkommt, mehr antun. Dennoch: Die vom legendären Seifenopern-Ehepaar Bell kreierte Endlos-Saga, die neben allerlei Seichtigkeit unter anderem schon ungewöhnlich früh das Thema Kindesmissbrauch zur Sprache brachte, scheint sich für alle Ewigkeiten in die Herzen der Fans gefressen zu haben, was unter anderem daran ersichtlich wurde, dass der Anbieter „Fernsehjuwelen" 2011 begann,
I. Last but not least Im letzten Teil unserer kleinen Reihe über die Edel-Seifenopern der 1980er Jahre wollen wir uns noch einem Kandidaten widmen, der zwischen den Edel-Seifenopern der 80er und den typischen Daily-Soaps der 90er steht, zeitweise zu den populärsten Serien der Welt gehörte, mit Dutzenden von Nominierungen und Preisen überschwemmt wurde und im Gegensatz zu den anderen bisher vorgestellten Titeln immer noch läuft (bisher über 8000 Episoden!): „Reich und schön". Natürlich, hier gilt ebenfalls das, was bereits in der letzten Folge zu „California Clan" gesagt wurde: In Sachen Aufwand muss auch diese Serie gegenüber – allerdings für die Hauptsendezeit produzierte – Vorzeigeshows wie „Der Denver-Clan" deutlich zurück stecken. Der Look der nicht nur, aber häufig in Studiokulissen gedrehten Serie entspricht Seite
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die frühen Jahre der Serie unter der Überschrift „Wie alles begann" überraschend erfolgreich auf DVD auszuwerten: Bisher sind zehn Boxen mit 250 Folgen erschienen – zusätzlich ist vom selben Anbieter sogar noch ein großformatiges Fanbuch erhältlich. Genug Gründe also für eine ausführliche Betrachtung ...
II. Worum geht’s?
sei, was bejaht wurde. Doch der Mitarbeiter, der eigentlich gehen wollte, entschied sich zu bleiben, und so wanderte Bell erst mal ins Werbebusiness, wo er Phillips Nichte traf, die ihn wiederum gegenüber Irna zur Sprache brachte, die sich nicht nur an Bell erinnerte, sondern zudem seine Frau Lee Phillip kannte, die dank der Talkshow „The Lee Phillip Show" zu dieser Zeit vor allem in Chicago prominent war. Die legendäre Frau engagierte ihn, er zog mit seiner Gattin in eine ehemalige Villa des exzentrischen Milliardärs Howard Hughes und begann seine Karriere als Autor bei der „Springfield Story". Bell setzte seine Arbeit bei „Jung und leidenschaftlich – wie das Leben so spielt" fort, erhielt 1964 die Chance, in Zusammenarbeit mit Phillips eine Serie zu kreieren – die in Deutschland nie gezeigte Soap „Another World" – und kümmerte sich mit seiner Mentorin ebenso um das Spin-off „Our Private World", bei dem es sich um den ersten einer Primetime-Ableger Daytime-Soap handelte.
Foto: Bildarchiv Hallhuber
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Im Kern der Handlung stehen mal wieder zwei Familien: zum einen Stephanie und Eric Forrester, Letzterer ein genialer Designer, beide Gründer des Mode-Unternehmens Forrester Creations und außerdem Eltern von vier erwachsenen Kindern: Ridge, der begehrtes te Junggeselle der Stadt, sein weitaus unauffälligerer Bruder Thorne und die Schwestern Kristen und Felicia. Zum anderen die vor allem durch Tochter 1966 wechselte er zu einer Brooke vertretene Familie weiteren, extrem langlebiLogan, die sich aus schlichten gen Serie, nämlich „Zeit der Verhältnissen mittels einfaSehnsucht", und wurde dort cher und ehrlicher Arbeit, aber nicht nur Chefautor, sondern auch Hochzeiten nach oben beeinflusste das Genre maßmanövriert hat. Einen der geblich, indem er die damals Haupthandlungsstränge bilwenig reüssierende Sendung det die Konkurrenz zwischen mit einem guten Schuss Sex Forrester Creations und dem würzte, was zur damaligen verfeindeten Unternehmen Zeit eine kleine quotenträchSpectra Fashions, deren tige Sensation war, denn Miteigentümerin Brooke wird, Romanzen waren zwar gang sowie die dementsprechend und gäbe, aber alles, was darproblematische natürlich über hinaus ging, wurde artig Liebesgeschichte um Brooke Storm Logan (Ethan Wayne), Brooke Logan (Katherine Kelly Lang), unter den Teppich gekehrt. Logan und Ridge Forrester, Ridge Forrester (Ronn Moss) die zwar füreinander geschaffen sind, aber gerade deswegen natürlich 1972 wollten die Chefs von CBS eine Daily Soap, die sich mehr nicht zueinander finden. Erst verguckt sich Ridge in Caroline Spencer an jugendlichen Zuschauern orientieren sollte. Also schuf Bell Forrester, die Gattin seines Bruders, aber auch der Krebstod der zusammen mit seiner Frau „The Young And The Restless" (der Frau löst das Problem nicht, denn Carolines Ärztin Dr. Taylor Hayes zahme deutsche Titel: „Schatten der Leidenschaft"), zunächst unter Forrester kommt dazwischen, und Brooke heiratet Ridges Vater Eric dem Arbeitstitel „The Innocent Forrester, was Brookes Rivalität mit Stephanie Forrester Years", allerdings wurde der Titel lebenslanges Feuer gibt. In den ersten Jahren waren vor Produktionsbeginn geänzudem oft die Affären der beiden Töchter Felicia und dert, denn der Schöpfer fand ihn Kristen Thema, das legt sich aber in den Staffeln aus für die moderne, alles andere als den frühen Neunzigern, wenn beide Charaktere die unschuldige Generation der früSerie verlassen und nur noch zu besonderen familiären hen 70er Jahre, wenig passend. Anlässen den Weg nach Hause finden. Es wird aber, „Schatten der Leidenschaft" startewie bereits angeschnitten, nicht nur Liebesgeplänkel te am 26.3.1973, die Quoten waren geboten: Vergewaltigung, sozialer Abstieg durch mendurchwachsen. Unüblicherweise talen Zusammenbruch, Alkoholsucht, Schwangerschaft kämpfte der Macher allerdings nicht bei älteren Frauen und bei Teenagern, Depressionen, für eine Fortführung, Bell wollte Diabetes, Bulimie, Erpressung, Tod … die Liste ist lang. die Sendung enttäuscht abhaken, Erfreulicherweise bewiesen die Macher aber meist jedoch hatte der Sender Vertrauen Taktgefühl: So gab es jede Menge Lob, als für die Rolle in die Show, ließ die Produktion des 1993 eingeführten geistig behinderten Charakters fortsetzen und bewies den richtiKevin Anderson der tatsächlich geistig behinderte gen Riecher: Der Erfolg war giganSchauspieler Keith Jones engagiert wurde. tisch, und die Sendung übte mit ihrem Humor, ihren modernen III. Wie entstanden? Inhalten und ihrem erneuten Fokus auf Sexualität großen Einfluss auf Am Anfang war … eine andere Seifenoper! Anders als künftige Seriengenerationen aus. zum Beispiel „Dallas" entstand „Reich und schön" nicht aus dem Nichts, sondern wuchs in den Hirnwindungen Da „Schatten der Leidenschaft" so von Seifenopern-Papst William J. Bell heran, auf Firmenchef Eric Forrester (John McCook) enorm gut lief, wollte CBS den Erfolg natürlich steigern und dessen Konto insgesamt rund 15.000 Episoden täglich verabreichbekniete die Bells mehrfach um einen weiteren Titel. Die nahmen ten Hausfrauen-Heroins gehen und der seine größten Erfolge mit 1985 – zusammen mit ihren beiden Söhnen Bradley und Bill jr., die Gemahlin Lee Phillip Bell schuf. eine Fernsehkarriere anstrebten, Tochter Lauralee war bei „Schatten der Leidenschaft" bereits untergebracht – die Herausforderung an William J. Bell startete als Komödienautor in Chicago und rief eines und ersannen „Reich und schön", was gleichzeitig auch der Start Tages die Sekretärin der „Königin der Seifenopern" Irna Phillips an des Familienunternehmens Bell-Phillip Television Productions, Inc. (unter anderem verantwortlich für die satte 72 Jahre andauernde bedeutete: Bill jr. kündigte seinen Job als Börsenmakler und wurde Daytime-Soap „Springfield Story") und fragte, ob eine Stelle frei GoodTimes
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Es tauchten allerdings nicht nur bekannte Gesichter auf, der Titel „The Bold And The Beautiful" (der ursprüngliche Arbeitstitel lautete schlicht „Rags", also „Klamotten") klang natürlich sehr nach dem Vorgänger, zudem ähnelten sich die Inhalte anfangs ziemlich: Es standen erneut zwei Familien im Mittelpunkt, eine wohlhabende und eine aus der Arbeiterklasse, zudem waren diverse Story-Elemente deckungsgleich – bei „Schatten der Leidenschaft" war zum Beispiel die Vergewaltigung der schönen, jungfräulichen Chris Brooks ein Story-Aufhänger, bei „Reich und schön" die Vergewaltigung der schönen, jungfräulichen Caroline Spencer. Doch trotz dieses Mankos, das natürlich für schlechte Presse sorgte, mauserte sich „Reich und schön" zu einem in über 100 Ländern und in 45 Sprachen ausgestrahlten Dauerbrenner mit einem Publikum von bis zu 350 Millionen Zuschauern!
Thorne Forrester (Winsor Harmon)
den L.A. Dodgers, Frauenschwarm George Hamilton oder Schauspiel legende Charlton Heston die Ehre. Die Modeschauen gehörten oft zum aufwendigsten Teil der Produktion, für den schon mal bis zu 60 Kostüme entworfen und bis zu vier Tage gedreht wurde (mittlerweile werden zwei reguläre Folgen pro Tag aufgezeichnet). Seite
IV. Heute noch sehenswert? Auch das Fazit fällt ähnlich wie bei „California Clan" aus, wobei es um die Materiallage in diesem Fall natürlich ein Stück weit besser bestellt ist. Wer bereits vor diesem Artikel mit „Reich und schön" in Berührung kam, wird wahrscheinlich noch heute gucken, denn wie bei der Recherche festgestellt wurde, scheinen die Fans der Endlosoper einen starken Hang zur Nostalgie zu haben. Neueinsteiger sollten vielleicht erst mal versuchen, die Box irgendwo güns tig zu erwerben und dann vorsichtig anzutesten, und das – falls die Sprachkenntnisse ausreichend sind – in der englischsprachigen Originalversion, denn die übersetzte Variante zählt nicht gerade zu den Highlights der vielgepriesenen deutschen Synchronkunst. Die Serie ist nicht ganz ohne Reiz, vor allem die frühen Folgen bestechen durch hohes Tempo D. Taylor Hayes Forrester und dicht miteinander (Hunter Tylo) verwobene Storylines, demgegenüber stehen die Optik und die oft nicht so ganz überzeugenden Darsteller: Während „Dallas" oder „Der Denver-Clan" nahezu Spielfilmqualität erreichen, ist das hier halt in erster Linie schnell und vergleichsweise günstig hergestelltes Fernsehen, an dem sichtbar der Zahn der Zeit genagt hat. © Pressefoto
Kristen Forrester (Teri Lynn)
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Ein besonderes Merkmal der Serie sind natürlich die Modeschauen, die in regelmäßigen Abständen die Highlights der Folgen darstellen, allerdings nicht (nur) als Selbstzweck dienen, sondern in Verbindung zu Ereignissen des realen Lebens stehen, Themen wie Tierschutz oder Mode für füllige Damen aufgreifen und zudem eine Plattform für Gastauftritte bieten, so gaben sich unter anderem Mike Piazza von
In Deutschland erblickte „Reich und schön" im April 1988 auf Tele 5 mit dem Titel „Fashion Affairs" erstmals das Licht der Fernsehwelt und war ab Mai 1989 unter „Reich und schön" ebenso auf RTLplus zu sehen. Im Oktober 1990 beendete Tele 5 die Ausstrahlung, RTL sendete, abgesehen von einer mehrmonatigen Unterbrechung, bis Mai 2000, nahm die Produktion dann allerdings im Zuge einer Umstrukturierung, der auch andere Soaps zum Opfer fielen, aus dem Programm. Im Januar 2002 startete der Krieg der Modehäuser überraschenderweise im ZDF, wo er zum Marktführer im Vormittagsprogramm wurde. Allerdings ist nichts flüchtiger als die Quote, und so war im Juni 2011 erneut Schluss beziehungsweise nicht ganz – auf ZDFneo gab es eine Zeit lang Wiederholungen zu sehen. 2012 kehrte „Reich und schön" wieder zu Tele 5 zurück, wechselte mehrfach den Programmplatz und verabschiedete sich im September 2016 ein weiteres Mal. Aktuell ist Sendepause angesagt, man kann aber davon ausgehen, dass die Reichen und Schönen irgendwann mal wieder die Fernsehapparate unsicher machen werden.
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Die erste der stets 20-minütigen Folgen des Dauer-Epos feierte am 23. März 1987 ihre US-Premiere. Es wurde eine ganze Reihe Schauspieler (unter anderem Susan Flannery, Jim Storm und Lauren Koslow) gecastet, mit denen Bell bereits in „Schatten der Leidenschaft" zusammengearbeitet hatte, für den Rest wurden Soap-Debütanten wie John Waynes Sohn Ethan Wayne oder Carrie Mitchum, Enkelin von Hollywood-Legende Robert Mitchum, genommen.
Aber auch hinter den Kulissen flogen, zum Amüsement der Zuschauer, oft seifenopernmäßig die Fetzen, da zerstritten sich zum Beispiel zwei anfänglich privat eng befreundete Schauspielerinnen so sehr, dass Bodyguards angeheuert werden und die Produzenten den Drehplan so legen mussten, dass die beiden Frauen sich am Set tunlichst nicht begegnen – die schönste Seifenoper ist halt immer noch das Leben selbst!
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Geschäftsführer, Bradley Hauptautor und ausführender Produzent. Ursprünglich sollte das neue Projekt der Bells übrigens in der Heimat der Familie, Chicago, spielen, aber finanzielle Gründe machten den Umzug nach Los Angeles notwendig, wo die Serie eh gedreht wurde.
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V. Fun Facts
• John McCook (Eric Forrester) und Katherine Kelly Lang (Brooke Logan) sind die einzigen Schauspieler, die seit der ersten Folge dabei sind.
• In Italien heißt „Reich und schön" schlicht und einfach „Beautiful", also „Schön". • Das Design der Villa der Forresters basiert auf der bereits erwähnten realen Villa des Serienschöpfers William J. Bell und dessen Ehefrau. Ebenso wurde das Anwesen von Brooke Logan nach dem realen Anwesen von Bells Sohn Bradley modelliert. • Es wäre fast zu einer Reunion der beiden „Dallas"Stars Linda Grey (Sue Ellen Ewing in „Dallas") und Larry Hagman (J.R. Ewing) gekommen: Grey tauchte 2004 als Priscilla Kelly auf und sollte auf Hagman treffen, doch der gesundheitlich stark angeschlagene Schauspieler wurde krank, und so wurden die Pläne gecancelt und Grey wieder aus der Serie geschrieben – ihr Mitwirken beschränkte sich auf sechs Episoden. • Weitere „Dallas"-Darsteller, die auch in „Reich und schön" zu sehen waren (links Rollenname in „Dallas", rechts Rollenname in „Reich und schön"): Susan Flannery (Leslie Stewart/Stephanie Forrester), Charles Grant (David Shulton/ Grant Chambers), Lesley-Anne Down (Stephanie Rodgers/Jacqueline Payne), Patrick Duffy (Bobby Ewing/ Stephen Logan Sr.).
• Der charakteristische Vor spann wurde von der amerikanischen Designerlegende Wayne Fitzgerald kreiert, der im Laufe seiner Karriere bei rund 1000 Produktionen für Katherine Kelly Lang Vor- und Abspannsequenzen ver- und John McCook damals ... antwortlich war, darunter ... und heute u.a. „Dallas" (1978–1991), „Chinatown" (1974), „Die totale Erinnerung – Total Recall" (1990), „Columbo" (1971–1978), „Der Pate, Teil II" (1974) und „Die durch die Hölle gehen" (1978). • „Legenden der Leidenschaft" und „Reich und schön" spielen in einem gemeinsamen Universum, weswegen es immer wieder zu Überschneidungen kommt, die sich vor allem darin äußern, dass Figuren von der einen zur anderen Serie (und gelegentlich auch wieder zurück) wechseln.
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Pippi
Langstrumpf
Nicht nur im Taka-Tuka-Land bekannt … von Markus Nöth
Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf oder kurz Pippi Langstrumpf" war die vielleicht bezauberndste und fröhlichste Kult-Figur in der " Kinderbuchliteratur überhaupt. Die Neunjährige mit der Kraft einer Riesin konnte nicht nur ein Pferd hochheben, sondern es auch mit der ganzen Welt aufnehmen, wenn es um Anstand und Gerechtigkeit (oder wahlweise ihren Willen) ging. Sie wohnte allein in der Villa Kunterbunt und konnte tun und lassen, was sie wollte. Und dank eines Koffers voller Goldstücke war sie auch noch finanziell unabhängig. Ein echter Kindertraum – bis heute!
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macht 4 widdewiddewitt und 3 macht 9e, ich mach mir die Welt widdewidde, wie sie mir gefällt, hey Pippi Langstrumpf, hollahi-hollaho-hol„ la-hopsasa, hey Pippi Langstrumpf, die macht, was ihr gefällt." Wer kennt ihn nicht, diesen Ohrwurm aus unserer Kindheit. Erfunden hat die KultFigur die damals siebenjährige Tochter von Astrid Lindgren († 2002). Karin Lindgren war schon in jungen Jahren gut im Erfinden von außergewöhnlichen Namen. Die dazugehörigen Abenteuer musste sich dann ihre Mutter Astrid ausdenken. Pippi Langstrumpf war geboren und mit ihr in der Fantasie ein Mädchen, Seite
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das ziemlich frech, extrem mutig und stets sehr vorlaut war. Astrid Lindgren erzählte ihrer Tochter zunächst Pippis Abenteuer mündlich als Gutenachtgeschichten, bevor sie sich 1944 dann schließlich dazu entschloss, ein entsprechendes Romanmanuskript anzufertigen – eigentlich exklusiv nur für ihre Tochter. Doch es kam irgendwie alles anders. Denn Astrid Lindgren schickte eine Kopie ihres Manuskripts an einen schwedischen Verlag, und der Erfolg nahm seinen Lauf. Lindgrens früher Roman wurde danach im Laufe der Jahre in über 70 Sprachen übersetzt und weltweit über 67 Millionen Mal verkauft. Die gleichnamige Kinderserie wurde ab 1968 in Schweden produziert und wiederum in zahlreiche Sprachen synchronisiert. Die TV-Adaption mit ihren sympa-
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Lügenbaronin und Piratentochter in einer Person Ja, Pippi liebte ihre Unabhängigkeit. Da die Mutter gestorben und der Vater meist auf hoher See unterwegs war, lebte sie zusammen mit ihrem Totenkopfäffchen „Herr Nilsson" und ihrem Pferd „Kleiner Onkel" alleine am Rande einer kleinen Stadt. Die einzigen Nachbarn, die wirklich den Kontakt zu ihr suchten, waren zugleich ihre besten Freunde, die beiden braven Nachbarskinder Tommy und Annika. Mit ihnen bereiste sie ganz nebenbei die Welt und geriet dabei nicht nur im Taka-TukaLand in haarsträubende Abenteuer. Pippi erfand sogar neue Worte wie „Spunk", aber auch völlig neue Spiele wie zum Beispiel „Nicht auf den Boden treten" oder „Sachensucher". GoodTimes
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Und manchmal log sie auch, dass sich die Balken bogen, und das nicht nur in Gedanken. Dass in Ägypten angeblich die Menschen alle rückwärts laufen und in Hinterindien sogar auf den Händen gehen – ja, das konnte einem eben nur Pippi glaubhaft erzählen. Genau wie die Sache mit der erfundenen Zauberpille namens „Krummelus", die angeblich gegen das Erwachsenwerden wirken sollte. Bei Pippi schien es gewirkt zu haben, alle anderen werden wohl weiterhin danach suchen müssen. Autorität war natürlich nichts für Pippi. Und auch wenn sie einmal sogar den Versuch unternahm, die Schule zu besuchen, „Plutimikation" und dergleichen machten ihr einfach keinen Spaß. Und sich sagen zu lassen, was sie zu tun und lassen hatte, akzeptierte sie schon gleich gar nicht. Pippi gehorchte prinzipiell nicht und bestimmte ihr Leben selbst. Aber das klappte nicht immer. Wenn sie abends ins Bett gehen sollte, musste sie schon mal mit sich selbst schimpfen. Und das klang dann so: „Erst sage ich es ganz freundlich, und wenn ich nicht gehorche, dann sage ich es noch mal streng, und wenn ich dann immer noch nicht hören will, dann gibt es Haue." Vergessen sind mittlerweile wohl auch die damals hitzigen Debatten über die pä dagogischen Gefahren von Kinderbüchern dieser Art. Denn so ganz vorteilhaft für die Erziehung bzw. als Vorbild für die eigenen Kinder geeignet erschien einem dieser Roman dann wohl doch nicht immer. Und dabei war die berühmteste Figur Astrid Lindgrens doch im Grunde auch irgendwie immer ehrlich, großzügig, hilfsbereit, lieb und stets fürsorglich. Und sogar die Hausarbeit ging ihr wie selbstverständlich von der Hand, allerdings auf ihre Art und Weise. Zum Wischen etwa schnürte sie sich zwei große Bürsten an die Füße, schüttete einen Eimer Wasser aus und schlitterte so lange über den Fußboden, bis alles wieder wie neu glänzte ... Und was wurde aus den Schauspielern der Verfilmung? Auch nach der Zeit von Pippi stand Inger Nilsson noch oft vor der Kamera, zuletzt seit 2007 in der schwedischen Krimiserie „Der Kommissar und das Meer". Pippis Freundin Annika wurde von der zehnjährigen Maria Persson gespielt. Ihre Schauspielkarriere endete danach so rasch wieder, wie sie begonnen hatte. Heute arbeitet sie als Altenpflegerin auf Mallorca. Annikas Bruder Tommy wurde vom 13-jährigen Pär Sundberg dargestellt. Auch für ihn war der Ausflug in die Schauspielerei eine einmalige Angelegenheit. Er kehrte der Filmbranche nach der Produktion den Rücken und arbeitete später als Leiter in einem MarketingUnternehmen.
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thischen Charakteren Pippi Langstrumpf, Annika und Tommy war von Anfang an sehr beliebt beim Publikum. Die damals zehnjährige Inger Nilsson begeisterte ganze Generationen mit ihrer unverwechselbaren frechen Art. Das selbstbewuss te neunjährige Mädchen Pippi mit den unzähligen Sommersprossen, den übergroßen Schuhen und zwei stets abstehenden roten Zöpfen hatte im Grunde alles, was sich Kinder so wünschen – ein eigenes Pferd, eine eigene Villa (Kunterbunt) und einen ganzen Koffer voller Goldstücke. Oder um es in Pippis Worten auszudrü cken: „Ich bin reich wie ein Zauberer." Und sie gab ihr Gold gerne in vollen Zügen aus. Reichte doch schließlich für exakt 18 Kilogramm Bonbons, 60 Zuckerstangen, 72 Pakete Sahne bonbons und 103 Schokoladezigaret ten gerade einmal ein Goldstück. Und auch wenn Pippi die Verkäuferin im Süßwarengeschäft danach etwas verwundert zurückließ – sie bekam, was sie wollte. Immer! Dank ihrer übersinnlichen Kräfte haftete zusätzlich auch noch der Ruf an ihr, das „stärkste Mädchen der Welt" zu sein. Ein Pferd samt ihren Freunden Annika und Tommy hochzustemmen oder sich mit einem Profi-Ringer anzulegen – für Pippi kein Problem. Und dabei hatte das Kräftemessen meist bedeutsame Hintergründe. Einer davon war ihr Vater, Kapitän Langstrumpf. Mit dem selbst ernannten „König einer Südsee-Insel" ging es quasi bei jedem Zusammentreffen darum, gewisse Kraftakte zwischen den beiden zu meistern. Andererseits kam Pippi aber auch immer wieder gerne mit der Erwachsenenwelt in Konflikt. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass sie mit zwei Polizisten keinen Spaß verstand, die sie auf dem direkten Weg ins Kinderheim befördern wollten. „Ich habe schon einen Platz im Kinderheim", klärte sie die verdutzten Uniformträger auf. Und damit meinte sie die Villa Kunterbunt. „Ich bin ein Kind, und das hier ist mein Heim, also ist es ein Kinderheim."
Von Roland Schäfli
MAC COY
war die Härte
Dieser Mann hat gelernt, dass in einem harten Land nur die Harten überleben. Er ist so unbarmherzig wie seine Gegner. Er kämpft nicht für eine Heimat, eine Frau oder abstrakte Ideale wie Gerechtigkeit – er trachtet nach Schätzen, die dieses Leben etwas angenehmer machen würden. Kurz: Mac Coy" ist " ein verdammter Bastard. Und damit ein Neuling in der Comic-Welt der 70er Jahre.
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ls Alexis Mac Coy 1974 das Licht der Comic-Welt erblickt, ist die Zeit reif für ihn. Konventionelle Helden haben das Zeitliche gesegnet, auch im Kino ist Realismus angesagt, und der ItaloWestern hat das Genre umgestülpt. Die Reihe „Mac Coy" kann aus heutiger Sicht durchaus als Vorläufer der Alben gelten, die man jetzt Graphic Novels nennt und denen man literarischen Anspruch beimisst. Hat die Reihe ihrem Szenaristen Jean-Pierre Gourmelen viel zu verdanken, so bleiben doch vor allem die kraftvollen und innovativen Zeichnungen von Antonio Hernández Palacios im Gedächtnis. Der 1921 in Madrid geborene Palacios ist schon 50, als er sich mit Mac Coy befasst. Erst 22-jährig debütierte er einst mit einer vierseitigen Fremdenlegionärs-Geschichte. Mit 40 ging sein „Doc Savage" in Serie, der ebenfalls internationale Beachtung finden sollte. Sein erster echter Western war „Manos Kelly", gedruckt Antonio Hernández Palacios im spanischen Magazin „Trinca". Auch sein Mittelalterepos „El Cid" trug ihm viele Lorbeeren ein, doch die Reihe wurde nach zwei Jahren eingestellt. Jetzt, 1974, ist Palacios bereit für etwas Neues, etwas Gewagtes. Etwas, das die Western-Comic-Welt aus den Angeln heben soll. Dabei ist „Mac Coy" für den etablierten Künstler eine reine Seite
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Auftragsarbeit: Der französische Dargaud-Verlag sichert sich seine Dienste, um die Texte von Gourmelen zu illustrieren. Der hat bislang noch keine eigene Comic-Figur erschaffen. Im März 1974 explodiert „Mac Coy" förmlich in der Szene. So etwas ist man nicht gewohnt. Zu jener Zeit bevölkern Woche für Woche die Endlosserien der Bastei-Western in naiv und klar gezeichneten Geschichten die Kioske. Doch Palacios setzt seine Figuren dem Impressionismus aus. Die Sonne brennt vom Himmel, als habe ein flämischer Maler sie in Arles an den Himmel gebannt. Für die Wirkung dieser Art Zeichnung ist die Kolorierung maßgebend, und die Koloristen von Palacios machen Überstunden. Seine Gesichter – „Visagen" trifft es besser – bestehen fast nur aus Schraffierungen. Der Tag ist hell und gelb, mit scharf gezeichneten Details, die Nacht ist tintenschwarz und lässt keine Umrisse mehr erkennen. Muss unser Held mitten in der Nacht sein Pferd erschießen, dann beleuchtet das Mündungsfeuer gespenstisch sein Gesicht. Dabei geht Palacios auch furchtlos Experimente an. Einmal wünschen seine Abenteurer sich
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in der drückenden Hitze den Regen herbei, und als der Wolkenbruch endlich kommt, da verhüllt der Regenvorhang die Sicht – über mehrere ganz in Blau gehaltene Seiten findet ein Showdown statt, in dem außer den Konturen nichts zu erkennen ist. Auftritte von Gaststars bringen zwar den Plot nicht voran, erfreuen aber den Western-Enthusiasten. Der Soldat, der da eine Nachricht überbringt – ist das nicht John Wayne? Und da sitzt Lee Marvin in gewohnter Pose am Pokertisch. Richard Widmark schwingt auf einem einzigen Bild ein Beil, nur um sofort wieder aus der Story zu verschwinden. Auch die Handlung lässt sich deutlich vom Kino „inspirieren". Gesprengt wird die Brücke, die man so in einem Western von John Ford schon gesehen hat. Ein Band trägt sogar denselben Titel wie der Burt-Lancaster-Film „Die Skalpjäger". Und die verdiente Strafe, die einen Desperado ereilt – von einer Klapperschlange in den Hals gebissen zu werden, gerade wenn er das geraubte Geld sicher glaubt –, ist gut geklaut von Kirk Douglas. Der im Schnee erfrorene Trapper – ein Vermächtnis von „Jeremiah Johnson". Und frühe Leser wollen im Titelhelden sogar den damals schnauzbärtigen Robert Redford erkannt haben. „Die Legende von Alexis Mac Coy" – sein Vorname wird später nicht mehr zur Sprache gebracht – zementiert das Image. Freund und Feind gestehen ihm zu: „Dieser Mann ist ein Löwe!" Dass die geistigen Väter die Erwartungshaltungen ihres Publikums nicht im Geringsten zu erfüllen gedenken (in einem Band lassen sie am Ende sogar den Bösewicht entkommen), zeigen sie schon auf der letzten Seite des ersten Bands: Mac Coy gerät in Gefangenschaft, desillusioniert ist sein Resümee: „Das ist das Ende." Doch was das Ende von Band 1 markiert, ist gleichzeitig der Anfang der Fortsetzung. Die ersten drei Alben bilden eine Trilogie und werden in ihrer wuchtigen Schaffenskraft und der Einheit von Text und Bild von den späteren Ausgaben nicht mehr erreicht. Als Spanier langweilte Palacios der Umstand, dass die Geschichte des Westerns immer als rein nordamerikanische Angelegenheit betrachtet wird, obwohl viele Völker – maßgeblich eben die Spanier – zur historischen Entwicklung beitrugen. „In einem besiegten Land ist kein Platz für mich", zog Südstaatler Mac Coy Bilanz. Er hatte also gar keine andere Wahl, als nach Mexiko zu ziehen! Auch darin gleicht „Mac Coy" den Handlungen der damals populären Spaghetti-Western, die oft südlich des Rio Grande angesiedelt sind GoodTimes
(weil sich damit der Drehort Spanien und die spanischen Komparsen besser ins Geschehen einbinden ließen). Und mit den Italo-Western hat Mac Coy auch deren Härte gemein. Hier kommt der Tod schnell, ist das Schicksal unfair. Und wenn es ans Sterben geht, hat einer meist noch die Zeit, „Mein Gott!" zu stöhnen. Ein Mensch, in einem Kreis von Apachen stehend, die ihm gleich den Garaus machen werden, denkt: „Jesus Maria! Das ist das Ende." Und er hat Recht. Aber was für ein Ende. Hände sind immer voller Blasen, Stiefel stets staubig, und die ausgedörrten Lippen könnten eine Portion Balsam vertragen. Anders als sein populärer Vorgänger „Blueberry", der für ein jugendliches Publikum erdacht worden war und erst im Lauf der Zeit – auch, weil seine Leser mit ihm erwachsen wurden – über den Anspruch des Jugendabenteuers hinauswuchs, ist „Mac Coy" von Anfang an ein „ErwachsenenComic". In Band 4 wird der Titelheld gezwungen, sich nackt auszuziehen und über den Gefängnishof zu joggen. Und wird er an den Beinen aufgehängt, dann sehen wir aus Lesersicht seine Peiniger ebenfalls auf dem Kopf stehend. Mit den neuen Antihelden des Kinos hat er gemein, dass er nicht für Gesetz und Ordnung kämpft. Nein, dieser Mac Coy ist genau wie seine Feinde angezogen vom Glanz von Inka-Gold, Satteltaschen voller Dollar, der Kriegskasse der Konföderierten. Eine Frau oder gar Liebe hat hier keinen Platz. In diesen hochdramatischen Storys sind die sarkastischen, urkomischen Momente, die Pierre Gourmelen einstreut, hochwillkommen. Oft sind diese Gestalten, die in Palacios gelben Landschaften verlorengehen, vor Hitze und Durst halb wahnsinnig. Gespickt von Indianerpfeilen bricht einer sterbend in wahnsinniges Gelächter aus. „Niemand kann Mac Coy töten, denn Mac Coy ist unsterblich!", brüllt unser Held einmal einer ganzen Armee entgegen, die gegen ihn aufmarschiert, und in diesem Moment scheint Mac Coy seiner eigenen Legende zu glauben. Er selbst kommt dem Wahnsinn nahe. Denn Alexis Mac Coy ist auch nur ein Mensch. Er kann getäuscht werden, er ist verwundbar, ist zu Gemeinheiten fähig. Einmal beichtet er mitten in der Einöde seinem Gefährten: „Ich habe keine Ahnung, wo wir sind." Damals wie heute: eine ungewöhnliche Westernserie, die ihresgleichen sucht. „Mac Coy" wird in 18 Ländern gedruckt. 1979 macht die Ehapa-Reihe der „Edelwestern" die Figur mit dem deutschen Publikum bekannt. Der Südstaatler ist in bester Gesellschaft: Blueberry, Jonathan Cartland und Comanche sind die weiteren Comic-Helden dieser Ausnahmereihe. Doch es ergeht Mac Coy wie seinen Kollegen – ihre Abenteuer werden nicht zu Ende geführt. Von 21 „Mac Coys" erscheinen nur 16 Bände. Nun bringt der Avant-Verlag erstmals die deutsche Gesamtausgabe heraus. Und es bewahrheitet sich, was Mac Coy selbst über sich sagte, wahnsinnig oder nicht: „Mac Coy ist unsterblich!" 1/2020
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Soundtracks
Zum Grauen & Weinen schön Von Jörg Palitzsch
Kaum eine Tonfolge erzielte mit so wenigen Noten eine so hohe Spannung wie der Auftakt zu "Der weiße Hai", und es gibt kaum ein schöner gespieltes Saxofonsolo als "Love Theme" in dem Film "Blade Runner". Entsetzen und Panik, Zärtlichkeit und Hingabe – Soundtracks sorgen für die ganz großen Gefühle im Kino.
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ätte man Alfred Hitchcock bei „Psycho" (1960) seinen Willen gelassen, wäre Janet Leight in der berühmten Mordszene unter der Brause nur mit den Geräuschen des ablaufenden Wassers und dem Rascheln des Vorhangs gestorben. Komponist Bernard Herrmann, der mit Hitchcock zum ersten Mal für den Film „The Trouble With Harry" (1955) gearbeitet hatte, bekniete den Meister des Suspense, es doch mit seiner Musik zu versuchen. Die von Herrmann komponierten flirrenden und schrillen Töne einer Violine machten die Sequenz hinter dem Duschvorhang zu einer der intensivsten Minuten der Filmgeschichte. Die Mikros wurden dazu dicht an die Instrumente gestellt. Der Soundtrack zum Thriller „Psycho" war weit mehr als nur ein Werbegag. Der Komponist verwendete die dissonanten und hochlagigen Violintöne, die Schreie gleichkommen, als ein Element der sinnlichen Erfahrung. Man stelle sich den Mord hinter dem Duschvorhang ohne Musik vor ... Einer der ungewöhnlichsten Komponisten von Filmmusik war der polnische Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Jazzpianist Krzysztof Komeda. Seine bekanntesten Soundtracks sind die zu den Filmen „Tanz der Vampire" (1967) und ein Jahr später zu „Rosemaries Baby", beide von Regisseur Roman Polanski. Komedas Musik sei zwar Seite
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kühl und modern gewesen, in ihr habe aber ein menschliches Herz geschlagen. Deshalb wären seine Filme wertlos ohne Komedas Musik, lobte Polanski. „Tanz der Vampire" ist eine Hommage an die Effekte des alten Horrorkinos und lässt Polanskis Thema der Menschlichkeit in einer feindlichen Umwelt anklingen. Komeda setzt mit seinem Soundtrack diesen Anspruch in allem genial um. Das absurde Menuett im Ballsaal, der unheimliche Gesang der Untoten und schließlich "Herbert's Song" – ein nicht endendes Wehklagen. Der begehrte Komponist Komeda starb 1969 an den Folgen eines Sturzes, gerade mal 37 Jahre alt. 1968 kam mit Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod" ein Western in die Kinos, dessen Musik den Rhythmus der Handlung prägend bestimmt und einzelne Protagonisten, wie in einer Oper, beschreibt. Bei einem Bandit tropft Wasser auf seinen Hut, der nächste lässt seine Finger knacken, und den dritten umschwirrt eine summende Fliege. Bereits zum Auftakt wird der Zuschauer mit dem klagenden Spiel einer Mundharmonika
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konfrontiert, das zu den bekanntesten Filmmelodien zählt. Die grandiose Filmmusik von Ennio Morricone dient in diesem Western nicht nur als Untermalung der Handlung. Sie erhöht in einem unglaublichen Maße die Präsenz der Schauspieler, allen voran von Charles Bronson und Henry Fonda. Bild und Ton sind in dem Western zusammengefügt, um die Bedeutung einzelner Szenen oder visuelle Effekte besonders hervorzuheben. Wobei man sich noch Jahrzehnte später an die Mundharmonika erinnert. Es gibt Walzer, bei denen der Tod mittanzt. „Der Pate" von Francis Ford Coppola (1972) erzählt die Geschichte der weitverzweigten Mafia-Familie Corleone, bei der Mord zum Geschäft gehört. Nino Rotas "Godfather Waltz" präsentiert den Paten Don Vito Corleone als Alleinherrscher. Er spricht Urteile, er hört den Bittstellern stumm zu, verteilt mit einer kleinen Handbewegung Gefälligkeiten und Mordaufträge. Das von Rota komponierte Trompetensolo vermittelt ein Stück der Einsamkeit, die Don Vito umgibt, und lässt etwas von seinen inneren Leiden und Wünschen erahnen. Der Walzer zum feierlichen Auftakt einer Hochzeitsfeier entfaltet sich langsam. Kleine Harmonien schleichen sich ein, hinzukommen Mandoline, Akkordeon und eine traurigen Klarinette. Die Musik täuscht ein Glück vor, das der Familie Corleone trotz aller Macht nie zuteil wird. Die Filme, zu denen John Williams die Musik geschrieben hat, kennt jeder. „Unheimliche Begegnung der Dritten Art", „ET", „Indiana Jones, „Harry Potter" und „Star Wars". Am eindrucksvollsten ist allerdings seine ins Crescendo steigende Tonfolge zu Steven Spielbergs Thriller „Der weiße Hai" aus dem Jahre 1975, ein echter Blockbuster. Ein Grund dafür ist die Musik von Williams, die, spielte man sie an irgendeinem Strand der Welt, die Menschen voller Angst aus dem Wasser treiben würde. Die Melodie mit ihren zwei nervenaufreibenden Tönen ist zu einem Synonym für das Wort „Jagd" geworden und hat bis heute ihre Wirkung behalten. Unvergesslich, wie der 1978 verstorbene Robert Archibald Shaw in der Rolle des Quint zur peitschenden Musik von John Williams auf Hai-Jagd geht – und diesen Kampf dann verliert. Bilder und Soundtracks im Film sind zwei Kompo nenten, die sich voneinander unterscheiden und normalerweise zum Teil getrennt voneinander produziert werden. Die Musik kann sich im Hintergrund abspielen, oder sie wird zu einem untrennbaren Teil der Handlung – wie in „Halloween" von John Carpenter aus dem Jahre 1978. Die Dramatik der Musik in diesem Slasher-Streifen ist einem Mangel entsprungen. Regisseur Carpenter hatte weder Geld für Musiker noch einen Komponisten. Also komponierte er ohne Kenntnisse einfach selbst und schuf damit ein Meisterstück für das Genre der Elektro-Soundtracks. Das kalt hämmernde Klavier im 5/4-Takt treibt einem den Angstschweiß auf die Stirn und wird im Film in zwei weiteren Songs ("Shape Escapes", "Loomis And Shape's Car") weiter variiert. Die Nacht des Grauens in Haddonfield findet kein Ende, und Michael Myers ist unsterblich. Wie John Carpenters Panik-Musik. In vielen Kino-Großproduk t ionen klingt die Filmmusik austauschbar. In dem Film „Das Boot" (1981) unter der Regie von Wolfgang Petersen hat die Jazzkoryphäe Klaus Doldinger GoodTimes
jedoch einen ganz spezifischen Sound geschaffen, der sinfonische und synthetische Elemente kombiniert. Ein Meisterwerk, in dem es um die letzte Mission einer U-Boot-Besatzung im Zweiten Weltkrieg geht und die Musik dazu satt und wuchtig aus den Boxen kommt. Spannungsgeladen sind die Tauchfahrten des U-Bootes, in dem nervenaufreibende Sonargeräusche den Rhythmus angeben. Der Ton vermittelt viel von der Angst und der Aufregung der Besatzung, die sich durch die Musik beängstigend realistisch auf den Zuschauer überträgt. Ein Moog-Synthesizer mit bläserartigen Klängen, Anspielungen auf die klassische Musik und in "Love Theme" ein Saxofonsolo von Richard Morrissey, das einem eine Gänsehaut beschert. Die Musik von Vangelis zu Ridley Scotts „Blade Runner" (1982) huldigt einer Zukunft, in der Menschen und Replikanten aufeinandertreffen und alle nach dem Sinn des Lebens fragen. In dem Soundtrack spiegelt sich im musikalischen Breitband die mit viel visuellem Design ausgestattete Geschichte um Kontrolle und Macht, um Fortschritt, Zerstörung und Zerfall wider. Scott und Vangelis präsentieren Los Angeles als düsteren Schmelztiegel, in dem es immer regnet. Die Musik gleicht die oftmals lange Schweigsamkeit des Films aus, übernimmt in gewaltigen Bildern der von Feuerstößen erleuchteten dunklen Stadt den Erzählstrang und nimmt die unterschiedlichen Kulturen mit türkischen und chinesischen Klängen auf. Ein unverschämt guter Soundtrack zu einem unverschämt guten Film. Wie ein Soundtrack als eigenes Kunstwerk in die Musikgeschichte eingehen kann, machte der 2016 verstorbene Musiker Prince 1989 mit „Batman" zum gleichnamigen Film von Tim Burton deutlich. Koppelt man die Musik dieser ersten Auftragsarbeit seiner Karriere von der schauspielerischen Leistung von Michael Keaton (Bruce Wayne), Jack Nicholson (Joker) und Kim Basinger (Vicky) ab, kreierte Prince fünf Jahre nach "Purple Rain" ein Sample-Kunstwerk aus Blues ("Scandalous"), Funk ("The Future"), Filmzitaten und Full-Gitarren-Heavy-Metal („Batdance"). Batman ist weit mehr als nur die Beschreibung von Filmrollen und -situationen. Prince spielte mit den Samples, mit Änderungen beim Rhythmus und skizzenhaften Liedfetzen. Im Vergleich zu den späteren Alben von ihm klingt „Batman" kommerzieller, wie ein musikalischer Kommentar oder Werbespot zum Film. Gleichwohl kommt auch dem Soundtrack von Prince die Funktion zu, eine emotionale Reaktion im Kino hervorzurufen und zu lenken. Alle Noten der Musik dienen diesen Gefühlen, den Zuschauer mit Witz zum Lachen, vor Traurigkeit zum Weinen und vor Begeisterung zum Staunen zu bringen. Oder eben ihn vor Angst die Augen schließen zu lassen.
Fünf weitere Soundtracks, die man gehört haben muss: Fahrstuhl zum Schafott (1958) Regie: Louis Malle, Musik: Miles Davis
In der Hitze der Nacht (1967) Regie: Norman Jewison, Musik: Quincy Jones
Bullitt (1968) Regie: Peter Yates, Musik: Lalo Schifrin
Brennpunkt Brooklyn (1971) Regie: William Friedkin, Musik: Don Ellis
Shaft (1971) Regie: Gordon Parks, Musik: Isaac Hayes
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FERNREISEN MIT DEM AUTO
n Foto: © Klaus Wangeri
Abenteuer auf vier Rädern für die ganze Familie!
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Das Auto war noch klein, die Reise nach Italien und Jugoslawien weit. Und eine Frage war immer die gleiche – ob wohl alles reinpasst ins Auto? Geklappt hat es dann doch irgendwie immer, sogar das Schlauchboot, die wichtigsten Spielsachen und alle Geschwister mitzunehmen. Aber dann begann das eigentliche Abenteuer ja erst – lange Staus an den Grenzen, endlos erscheinende Alpen-Passstraßen, viele Währungen und die ständigen Notlügen, wie lange die Fahrt wohl noch dauere. Ein nostalgischer Ausflug in die Zeit, in der Fernreisen mit dem Auto Kult waren ... Von Markus Nöth
ehr früh am Morgen gegen drei Uhr ging es in der Regel meist schon los. „Dann sind die Straßen noch leer", wurde einem noch im Halbschlaf erklärt. Tatsächlich stand man dann später aber doch irgendwann immer im Stau. Und ebenso sicher war, dass das Auto bereits am Vorabend gepackt und für die lange Tortur vorbereitet wurde. Auch die passenden Straßenkarten gehörten zur obligatorischen Vorbereitung. In diese wurde bereits zu Hause die beste Route eingezeichnet, was sich jedoch nicht immer als verlässlich herausstellte. Viele Daten waren veraltet, Baustellen noch gar nicht erfasst. Umso wichtiger war da die Rolle des Beifahrers. Der hatte den Shell-Atlas stets griffbereit Seite
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gefaltet auf seinem Schoß liegen, um jederzeit alle Fragen beantworten zu können. „Wann müssen wir von der Autobahn runter?" „Hast du die Ausweise für die Grenze?" Schließlich gab es in ganz Europa noch Kontrollen, inklusive der obligatorischen langen Schlangen und streng blickenden Zöllnern. Wartezeiten von einer Stunde (pro Grenze!) waren keine Seltenheit. Und natürlich mussten wir immer alle freundlich schauen, wenn wir dann an die Reihe kamen und der Zöllner am Kontrollieren war.
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irklich entspannt ging es im Auto für die Beteiligten wohl aber immer nur dann zu, wenn alle (außer dem Fahrer) schlie1/2020
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enn man Glück hatte, verfügte das Auto damals schon über einen Mono-Kassettenrekorder, und die Musik an Bord passte so halbwegs zum eigenen Geschmack. Denn es gab nur diese eine Unterhaltungsquelle – und zwar für alle! Wichtig wurde es dabei aber immer, wenn der Verkehrsfunk kam und die Kassette unterbrach. Dann mussten alle im Auto auf Knopfdruck mucksmäuschenstill sein. Und nach dem Verkehrsservice folgte manchmal auch noch ein wichtiger Reiseruf. „Gesucht wird Familie Schneider, unterwegs mit einem orangefarbenen Opel Ascona mit dem amtlichen Kennzeichen S-CP 7936 unterwegs in Richtung Jugoslawien. Herr Schneider wird gebeten, sich dringend zu Hause zu melden." Was genau passiert war (Todesfall, Einbruch) wurde natürlich nie gesagt, sorgte aber für zusätzlichen Gesprächsbedarf im Auto. Und natürlich hielt man ferner ab sofort Ausschau nach dem gesuchten Opel Ascona in Orange, während man sich die Boney-M.Kassette mittlerweile zum dritten Mal anhören konnte.
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ausiert wurde auf dem Rastplatz, wo die Toilettenbenutzung damals ja noch umsonst war. Das Essen quasi auch, denn die Brotzeit mit den hartgekochten Eiern wurde von zu Hause mitgenommen und war in der seinerzeit noch neuen Tupperware in der Kühlbox verstaut. Die klassischen Getränke: Sunkist oder wahlweise Capri-Sonne. Als Nachtisch gab es dann GoodTimes
Foto: © Andrea Zagmester
direkt von der Raststätte noch ein Dolomiti-Eis, einen Flutschfinger oder Brauner Bär. Und vor der Weiterfahrt kam der obligatorische Satz des Familienoberhauptes: „Alle noch mal aufs Klo, ich halte nicht vor Österreich!"
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er Kontakt nach Hause wurde mit jedem gefahrenen Kilometer (vor allem außerhalb der Landesgrenzen) immer lockerer. Man war quasi nicht mehr erreichbar. Und in die ausländischen Telefonautomaten passte nur Kleingeld, welches man gefühlt im Sekundentakt nachfüllen musste, sofern man genügend umgetauscht hatte. Wichtig war jedoch immer, kurz bei Oma daheim Bescheid zu geben, wenn man angekommen war. Von den Strapazen der Anreise erzählte man natürlich nichts.
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berhaupt wurde der Bericht über die spannenden Urlaubserlebnisse aufgehoben für das Zurückkommen. Und auf die Frage, wie denn der Urlaub gewesen sei, wurden dann ausführliche Geschichten erzählt, die man zuvor auf den handgeschriebenen Postkarten bereits in Kurzfassung angerissen hatte. Ärgerlich war dabei immer nur, wenn die Postkarten nach Hause länger unterwegs waren, als der Urlaub selbst dauerte. Schließlich hatte man sich ja immer alle Adressen von Nachbarn, Freunden und Verwandten in einem Buch fein säuberlich notiert für die Reise, um auch ja niemanden zu vergessen. Im Gegenzug erfuhr man Nachrichten aus der Heimat und der restlichen Welt meist erst aus der Zeitung, die man am Strand kaufen konnte – auch wenn es die vom Vortag war.
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in besonderes Erlebnis war auch irgendwie immer das Aufwachen auf der Rücksitzbank nach einer durchfahrenen Nacht. Einerseits war man froh, die Nacht halbwegs geschlafen zu haben, andererseits bekam man aber die südlichen Temperaturen durch die großen Autoscheiben direkt zu spüren. Die Sonne schien unerbittlich, und wir quälten uns über die endlosen Kurven bei 18 Prozent Gefälle den Wurzenpass hoch – die damals wohl wichtigste Alpenüberquerung. Wurde es hinten mal wieder zu heiß, wurden vorne die Scheiben einen Spalt heruntergekurbelt. Jedoch nie beide gleichzeitig, man hätte ja einen „Zug" abbekommen können als Kind. Und natürlich wurde auch im Auto damals noch geraucht, ohne Rücksicht auf die restlichen (nicht rauchenden) Insassen. Der Aschenbecher war spätestens am Urlaubsort stets randvoll.
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enerell waren unsere Urlaubsfahrten früher ja auch immer eine Art Abenteuertrip am Rande der Lebensgefahr. Denn Anschnallgurte gab es zwar seit den 1970er Jahren, aber so richtig ernst nahm das auch in den 80er Jahren noch keiner. Das entsprechende Bußgeld kam schließlich erst 1984. Und so standen wir entweder zwischen den beiden Rücklehnen und motivierten den Vater, schneller zu fahren, oder wir lümmelten einfach so, wie es uns beliebte, auf der Rücksitzbank herum.
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ezahlt wurde damals noch mit Euroschecks im Ausland. Und an der italienischen Tanke mit Benzingutscheinen, die man zuvor zu Hause noch in der passenden Menge kaufen musste. So war es keine Seltenheit, dass man manchmal mit dem letzten Tropfen Benzin ankam. Alternativ und in weiser Voraussicht wurde der Benzinkanister zuvor randvoll gefüllt, die eingeatmeten Dämpfe im Wageninneren wurden dabei vollständig vernachlässigt – auch beim Anzünden der nächsten Atika-Zigarette. Apropos: Mama ist übrigens nie gefahren, auch wenn Papa todmüde war ... 1/2020
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Foto: © Andrea Zagmester
Foto: © Klaus Wangerin
fen. Wir hatten uns dazu extra Kissen und Decken von zu Hause mitgenommen, um es uns so richtig gemütlich zu machen im Fondbereich des Wagens. Waren dann aber irgendwann erst mal wieder alle wach, musste eine Art Beschäftigungs programm starten, um die Entspannung halbwegs aufrechtzuerhalten. Beliebte Spiele waren dabei „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …" oder der absolute Klassiker „Autokennzeichen raten". Ebenfalls beliebt war das Zählen der Zurückwinker aus anderen Autos, das Aufblinken von Lkw-Fahrern zählte dabei doppelt, Hupen dreifach. Ziel dieses praktischen Zeitvertreibs war aus Sicht der Eltern, die Frage aller Fragen („Wie lange dauert es noch, bis wir da sind?") so lange wie möglich hinauszuzögern. Denn die Antwort bestand ja meist aus einer Art Notlüge.
Kulturgut Musikkassette
Grundrauschen einer Generation Von Jörg Palitzsch
Die Musikkassette ist ein Kulturgut. Ihr Comeback bei kleinen und unabhängigen Labels mit geringer Auflage treibt Nostalgikern heute wieder Freudentränen in die Augen. Das hat viele Gründe: Die Kassette war ein subversives Musikmedium und anachronistischer Tonträger zugleich. Trotz technischer Unzulänglichkeiten galt sie jahrelang als Ausdruck einer Musikwelt, die man sich selbst zusammenstellte.
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n den 1970er Jahren konnte man von ausgereifter High-FidelityTechnik nur träumen. Zählte man nicht zu den Auserwählten, die über die entsprechenden Finanzmittel verfügten, um sich ein Spulentonbandgerät von Grundig, Nordmende oder gar Revox leisten zu können, blieb nur das Radio – und ein Kassettenrekorder als Aufnahmegerät. Der Rekorder hatte die Größe einer Zigarrenkiste und war leicht zu bedienen. Die Tasten Wiedergabe, Aufnahme, Rück- und Vorlauf, Stopp und Pause gehörten zum Standard. Kassettendecks von Technics verfügten schon über einen analogen VU-Meter, um die Aussteuerung kontrollieren zu können. Unbeliebt war ein eingebautes Mikro, weil man damit nicht richtig an die Musikquelle kam. Sehr beliebt waren Rauschunterdrückungssysteme, an die man unbedingt glaubte, auch wenn die Abkürzungen niemand verstand: Dolby, High Com und DNL. Den Weg ebnete der Elektronik- und Technologie-Anbieter Philips. Einen ersten Kassettenrekorder stellte das Unternehmen mit dem EL 3300 bereits 1963 auf der Funkausstellung in Berlin vor. Das 300 D-Mark teure und 1,5 Kilogramm schwere Gerät war robust kantig gebaut und genügte, von Philips als „sprechendes Notizbuch" beworben, den ersten Ansprüchen des „Home Taping". Aufnahmen waren über ein Kabel oder Mikrofon möglich, im Batteriebetrieb mit fünf Babyzellen wurde eine Laufzeit von 20 Stunden versprochen. Die Bedienung des EL 3300 erfolgte mit Seite
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einem einzigen Knopf für alle Funktionen. Revolutionär war, dass die Kassette als Medium ab diesem Zeitpunkt jedem zugänglich gemacht und so bis zum Auftauchen der CD 1982 zum Grundrauschen einer ganzen Generation wurde. Mit der neuen Kassettentechnik hatten viele Songsammler allerdings ihre Probleme. Man saß gespannt vor dem Radio, um im entscheidenden Moment auf den Aufnahmeknopf zu drücken. Nahm man mit einem Mikro auf, durfte wegen der zu befürchtenden Nebengeräusche niemand den Raum betreten. Zur Hölle wünschte man jene Dampfplauderer in den Radiostationen, die die Hits vor ihrem Ende abwürgten oder leiser drehten und dann einfach laut drauflos-Quasselten. Damit war eine Aufnahme quasi gestorben, und man musste warten, bis der gewünschte Song wieder gespielt wurde. Daher war es nötig, dass man die Lieder kannte und wusste, wann ihr Ende kam, um die Übergänge möglichst glatt und kurz zu gestalten. Die Zusammenstellung eines Philips EL 3300 individuellen Musikprogramms wurde damit oft ein Geduldsspiel, und auch die Kassetten, deren Laufzeiten von 60 über 90 auf 120 Minuten kletterten, hatten ihre Macken. Den Eisenbändern mangelte es an Höhen, der Chromvariante an Tiefen. Eine Besonderheit: Eine kleine offene Aussparung an der linken Seite der Oberkante der Kassette zeigte einen Überspielschutz an. Sie ließ sich nur abspielen, war aber nicht nutzbar für neue Aufnahmen. Dies gelang nur, wenn man die Aussparung überklebte.
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wurde auf großen Regalen Platz für die Kassetten gemacht, und manch einer unkte vom Ende des Vinyls. Die Zahlen sprachen für sich: 1971 wurden deutschlandweit etwa acht Millionen Leerkassetten und vier Millionen bespielte Tapes verkauft, 1978 waren es 75 Millionen Leerkassetten und im Rekordjahr 1991 insgesamt 78 Millionen. In Amerika zählte man drei Jahre zuvor schon 450 Millionen Stück, so viel wie nie. Der Grund: In den USA gab es eine ausgeprägtere Kassettenkultur als in Deutschland. Äußerst beliebt waren Kassetten zur Selbsthilfe, die man im Auto hörte. Schon 1978 hatte die Musik kassette die Vinylschallplatte überholt und war die ganzen 1980er Jahre lang das beherrschende und stärks te Format auf dem deutschen Bei den Kassetten gab es eine mechanische Abnutzung, und für Musikmarkt, bis sie 1991 nach hörbare Verluste bei der Tonqualität sorgte die Entmagnetisierung und nach von der CD verder Bänder. Richtig ärgerlich wurde es, wenn der Rekorder ein ausdrängt wurde. Dazwischen kam es 1979 noch zur geleiertes Band in sich hineinfraß. Mit einem Markteinführung des Walkman, zunächst in Japan, kleinen Schraubenzieher arbeitete man sich dann Mix-Tape ein Jahr später in Europa. Klein, mobil, ausgestatbis ins Innere vor, um irgendwo in der Nähe des tet mit einem weich-flauschigen Stereokopfhörer verstaubten Tonkopfes vorsichtig die Reste des plus Drahtbügel und Batteriepower, so weit man Bandes herauszuziehen. Kam es in der Kassette zu laufen konnte. Bandsalat, konnte man sie, wenn man Glück hatte, Aufgenommen wurde querbeet, typisch an den Ecken aufschrauben, das Band entwirren für eine Kassette war ihr individuell geprägtes und dann wieder zusammenschrauben. Wenn Durcheinander. Ergänzend dazu etablierten sich nach dem Eingriff in die Kassette weniger als vier zahlreiche Non-Profit-Unternehmen, die unter dem undefinierbare kleine Plastikteile übrig blieben, Motto „Fans für Fans" unabhängig produzierte Tapes hatte man es geschafft. Gestrafft wurde das anboten. Werbung für die Kleinstauflagen, wobei Band anschließend mit einem Bleistift, alternaeine Startauflage von 900 Stück schon sehr viel war, tiv einem sechskantigen Stabilo – oder einfach wurde in speziellen Kassetten-Fanzines gemacht. Oft mit der Kuppe des Zeigefingers, auf dem man waren es Sampler, auf denen sich mehrere Bands aus dann noch einige Zeit lang den Abdruck des einer Stadt oder Region präsentierten. Zentrum der Zahnkranzes erkennen konnte. Produktion war Berlin, die Kassettenonkels schafften Der Aufbau einer eigenen Sammlung mit es sogar in die offiziellen Medien. Die Tapes liefen zwar im Musikkassetten war eine Gegenbewegung zum Radio, fanden aber kaum Resonanz, in Sammeln von Vinylplatten, die angesichts ihrer 30 x 30 Musikzeitschriften gab es Rubriken für Zentimeter großen Pracht viel ästhetischer waren als eine Kassettenbesprechungen, bis sich die Kassette. Kassetten hatten dagegen einen hohen Trash-Faktor, gut situierten Musikredakteure über die erforderten jedoch die Fähigkeiten eines peniblen Buchhalters. schlechte Qualität der Bänder und der Fleißig wurden die Tapes auf dem Papiereinleger am Rücken Bands beschwerten. beschriftet, auf der Vorderseite mit Bildern beklebt und die Trotzdem gab es Kassettenhelden: Songs fein säuberlich im aufklappbaren Innenteil samt einer etwa Die Tödliche Doris, die Tapes Zahl notiert, die man am Zählwerk ablesen konnte. Kassetten von Graf Haufen und die englischen waren im allerbesten Fall farbig, nicht nur als Geschenk für Anarcho-Punker Crass, für die Musik nur die Freundin, sondern auch als Tauschware. Mittel zum politischen Zweck war. So schickte Den Schritt von Mono zu Stereo volldie Band 1984 anonym Kassetten an Zeitungen, zog, wie schon bei der Einführung des bespielt mit einem fiktiven Telefongespräch Kassettenrekorders, ebenfalls wieder Philips. des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan 1967 kam der erste Voll-Stereo-Kassettenrekorder und der englischen Premierministerin Margaret EL 3312 auf den Markt, der wie ein techniThatcher. scher Vorbote für spätere Modelle alles in sich In den späten 1990er Jahren wurden die vereinte: Klang- und Balanceregler, das unverWeiterentwicklung und damit Produktion der zichtbare Zählwerk, eine Drucktastensteuerung des Kassette weitgehend eingestellt, sie blieb aber als Gerätes und das mögliche Abspielen von Stereo- und Kunstobjekt in diversen Nischen erhalten, etwa bei Monokassetten. Nur ein Jahr später wurde mit der Punkbands. Für 2017 vermeldete der Bundesverband der Dolby-B-Rauschunterdrückung das lästige Bandrauschen Musikindustrie einen Umsatz von einer Million Euro durch deutlich geringer, was den Siegeszug der Compact-Kassette Musikkassetten als Tonträger. Hier und da strahlt ihr Stern noch weiter befeuerte. ganz hell auf, etwa zum Record Store Day Zu Beginn der 1970er Jahre hatte sich 2018. AC/DC veröffentlichten an diesem Tag ihr das Tapedeck endgültig gegen das klobiAlbum BACK IN BLACK von 1980 als Specialge Tonbandgerät durchgesetzt. Weltweit gab Edition-Kassette in einer es rund 2,4 Millionen Auflage von 2500 Exemplaren. Kassettenrekorder, in der Marktstatistik In der ersten Verkaufsliga bleibt die Kassette jedoch relativ günstige und unsichtbar. Ein Objekt der innovative Geräte Gegenbewegung zur durchaus Japan, etwa von digitalisierten Gegenwart ist Aiwa und Sharp. In sie nur für Nostalgiker. den Schallplattenläden GoodTimes
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Werbe-Ikonen | Teil 8
Von Andreas Kötter
Tilly/Palmolive Fremdgehen lohnt " eben nicht ..."
Wer’s glaubte, wurde nicht selig, sondern bekam wahrscheinlich erst recht Spülhände. Das Schönheitsrezept für Hände, die täglich Geschirr spülen" " – über Jahrzehnte versprach Tilly, dass es für Frauenhände nichts Besseres gebe als Palmolive, das Geschirrspülmittel mit Proteinen". Nivea, Creme " 21 oder Atrix hingegen – alles rausgeschmissenes Geld also, wenn frau beim Spülen doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
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illy nahm 1966 den TV-Dienst als Kundenberaterin in einem Schönheitssalon auf. 26 lange Jahre hatte sie von nun an für ihre Kundinnen nur einen einzigen Rat für ein rundum sorgenfreies Leben parat. Und der lautete: „Palmolive!" Außer Tillys Gesicht, das über die Jahrzehnte immer mehr zur Maske erstarrte, und dem Wechsel von Schwarz-Weiß zu Farbe sollte sich kaum etwas ändern. „Sie haben wohl Bäume gefällt", urteilte sie anfangs mit einem kurzen Kennerblick auf die Hand der ersten Kundin. „Ja, ich mache mir noch die Hände kaputt mit dem ewigen Geschirrspülen", klagte die stichwortgebend. „Da weiß ich ein Rezept für Sie, eine Sensation", fabulierte nun wieder Tilly. „Palmolive Geschirrspülmittel, das Schönheitsrezept für Hände, die täglich Geschirr spülen. Eine tolle Sache, und so wunderbar mild." Später, mit zunehmender gesellschaftlicher Freizügigkeit, wurde Tilly gar keck. „Na, fremdgegangen?!", empfing sie nun einen flotten Feger, der mit gespielter Entrüstung ein „Aber Tilly …" stammelte. „Ich sehe es doch an Ihren Händen", bestand die Fachfrau auf ihrer Expertise. „Ein ganz normales Geschirrspülmittel", verteidigte sich die Föhnfrisur. Für Tilly wieder einmal das Stichwort. „Da war bestimmt kein natürliches Protein drin", ahnte sie. Denn „nur Palmolive hat natürliches Protein, Sie baden gerade Ihre Hände darin". Tatsächlich hatte das Früchtchen die Fingerchen in eine Schale mit Palmolive getaucht. Und siehe da, beim nächsten Salonbesuch strahlten beide über das ganze Gesicht. „Schön und zart", befand Tilly und meinte natürlich die Hände und nicht das Gesicht. Ihr Fazit: „Fremdgehen lohnt eben nicht." Tilly wurde damit zu einer Art Role Model für weitere Werbe-Ikonen mit „(Gute) Schwiegermutter"- oder „Große Schwester"-Potenzial. Ariels Klementine, die zwei Jahre nach Tilly ihre Karriere als Sauberfrau startete, dürfte sich durchaus einiges abgeschaut haben. 53 Jahre hält sich Palmolive nun schon auf dem deutschen Markt und hat diesen Erfolg nicht zuletzt Tilly zu verdanken. Wie präsent die nach Jahrzehnten im Bewusstsein der TV-Zuschauer war und wohl Seite
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auch heute noch ist, zeigte sich 2005. Als der TV-Sender Kabel Eins damals die bekanntesten Werbe-Ikonen der deutschen TV-Geschichte wählen ließ, landete Tilly auf einem hervorragenden fünften Platz. Nicht nur für Palmolive, auch für Jan Miner (15. Oktober 1971 – 15. Februar 2004) war Tilly (in den USA hieß Tilly Madge) eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte. Sie war die US-Schauspielerin, die die Werbe-Ikone verkörperte und in ihrer Heimat doch weitaus mehr zu bieten hatte als diese eindimensionale Werbefigur (die nichtsdestotrotz Miners auch in den USA große Popularität erst bedingte). Gelernt hatte Miner bei und von den Besten im heute weltberühmten Actors Studio, wo Lee Strasberg Stars wie Marlon Brando, James Dean oder Al Pacino „The Method" lehrte, die vom Schauspieler verlangt, sich in die Rolle hineinzuversetzen. Als Stimme von Anwaltssekretärin Della Street spielte bzw. sprach sie sich in der Radiofassung von „Perry Mason" erstmals ins Bewusstsein des US-Publikums. Dann war sie Anfang bis Mitte der 50er Jahre in einer Hauptrolle in „Hilltop House" zu hören, einer Serie über die kleinen und großen Dramen rund um ein Waisenhaus. Interessante Anekdote am Rande: Gesponsert wurde „Hilltop House" von Colgate-Palmolive, dem Unternehmen also, das Miner etwa ein Jahrzehnt später zu ihrer großen Popularität verhelfen würde. Ihre TV-Karriere startete die Aktrice u.a. mit „Crime Photographer", einer Serie, in deren Radioversion sie Jahre zuvor schon reüssiert hatte. Erst als Madge/Tilly aber begann für sie schließlich so etwas wie eine Weltkarriere. Eine, die viel später noch mit Rollen in Blockbustern wie „Meerjungfrauen küssen besser" an der Seite von Cher, Bob Hoskins und Winona Ryder und in Erfolgsserien wie „Law And Order" ausgeschmückt werden sollte. Und auch privat lief es gut für Miner, die 35 Jahre mit dem Bühnenschauspieler, Drehbuchautor und Bühnenbildner Richard Merrell verheiratet war, mit dem sie wiederholt auch gemeinsam auftrat. Wer in dieser offensichtlich intakten Ehe den Spüldienst absolvierte, ist allerdings nicht überliefert.
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AC/DC kult!
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Les Humphries Singers kult!
Foto: Š NikMa Verlag
TV-Charaktere | Teil 9
Von Andreas Kötter
John McLean: Westlich von "Santa Fé"
Bereits die Titelsequenz erzählte alles, was man wissen musste über John McLean. Wie dieser große, auch buchstäblich aufrechte Westerner da im Vorspann jeder Episode die staubige Mainstreet der kleinen Westernstadt North Fork herunterschritt, dabei unablässig aus seinem Repetiergewehr feuerte und nebenbei dem Zuschauer noch einen verwegenkecken Blick zuwarf, das hatte Klasse und machte deutlich: Dieser Bursche steht in jeder Lebenslage seinen Mann.
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esagter Schießprügel war das Aushänge schild von John McLean, der andernorts auch als „Rifleman" bekannt auch mit Strenge und auch schon mal mit allerlei moralisierendem war. Einen vermeintlich Mumpitz die Flötentöne bei. Solange die Schulaufgaben nicht erledigt praktischeren Colt brauch waren, war es für Fred Essig damit, den wahrlich wichtigen Dingen sei te dieser harte Hund nicht, nes noch jungen Lebens nachzugehen. Algebra hatte nun mal Vorrang handhabte er die modi vorm Versteckspiel und Schönschreiben davor, das neu geborene fizierte Winchester mit Fohlen zu betüddeln. Das konnte unsereins nur allzu gut nachvoll dem übergroßen Repetierziehen. Schließlich herrschte damals, Ende der 60er Jahre, trotz der Bügel (eine Art frühes sozialdemokratischen Kanzlerschaft von Willy Brandt, in den heimi Schnellfeuergewehr) doch schen Wohnzimmern noch immer der typische Obrigkeitsgehorsam kunstfertiger als der schnellste Gunslinger seinen Peacemaker. deutscher Provenienz. Und doch war dieser toughe Typ alles andere als der übliche Wie auch immer, irgendeine Macke hat nun mal jeder. Und so sah man TV-Westernserien-Held. Kein Sheriff wie Matt Dillon in „Rauchende damals über die patriarchalischen (Fehl-)Leistungen des „Rifleman" Colts", kein Einzelgänger wie Kopfgeldjäger Josh Randall in „Josh" und angesichts seiner weiteren Qualitäten einfach hinweg. Und Qualitäten schon gar kein Großgrundbesitzer à la Ben Cartwright („Bonanza") hatte der Mann, auch weit über seine oder Richter Henry Garth („Die Leute von der Shiloh Ranch"). McLean Schießkünste hinaus. Als „tough as nails", war Witwer und „Krautfarmer", wie ihn ein übler als „hart wie Kruppstahl" hat Fred seinen Stinkstiefel namens Dan Maury, besser bekannt als Vater einmal bezeichnet. Okay, ganz so Lee van Cleef, einmal nannte. Ein Kleinstfarmer war es nicht. Gesagt hat das Freds Alter also, den das Schicksal nach North Fork verschlagen Ego, der Schauspieler Johnny Crawford, hatte, ein kleines (fiktives) Kaff, das nur der deut und zwar über seinen väterlichen Kollegen sche Titel „Westlich von Santa Fé" vermutete. Chuck Connors. Der war vor „Westlich von Dabei hätte McLean allemal das Zeug Santa Fé" nur in kleineren Nebenrollen zum Loner gehabt, der herumzieht und in Erscheinung getreten, wirkte mit sei mal hier, mal da für Ordnung sorgt. nem messerscharf geschnittenen Gesicht Er aber hatte sich entschieden, sei aber schon immer ein wenig wie die nen Lebensunterhalt lieber dem kargen Secondhand-Version des großen Kirk Douglas. Seiner frü Boden abzuringen. heren Karriere als Baseball-Spieler für die Boston Celtics, Denn McLean war die Brooklyn Dodgers und die Chicago Cubs sei Dank, nicht allein, son verfügte Connors über eine physische Präsenz, die ihn für dern auch für seinen Sohn den „big screen" und mehr noch den „small screen" prä Fred verantwortlich, dem er destinierte, wo handwerkliche Unzulänglichkeiten damals ein Zuhause geben wollte. eher akzeptiert wurden. Damit war der „Rifleman" Connors machte (mit) „Westlich von Sante Fé" sein Glück einer der ersten alleinerzie und wurde zum gern gesehenen Gast nicht nur in ame henden Väter im US-TV und rikanischen und deutschen Wohnzimmern. So äußerte das so überzeugend, dass er Chuck Connors & von „TV Guide", der größten Patricia Blair in "Westlich Leonid Breschnew anlässlich eines Staatsbesuches beim von Santa Fé" heißgeliebten Klassenfeind in Washington im Juni 1973 TV-Zeitschrift der USA, auf den Wunsch, Connors persönlich kennenzulernen. Der Generalsekretär Platz 32 der 50 besten TV-Serienväter und Staatschef der damaligen UdSSR war bekennender Fan des aller Zeiten gewählt wurde. Und „Rifleman" und lud Connors nur wenige Monate später nach Moskau das ganz zu Recht! Brachte Pa sei ein. Der „Rifleman" und der höchste Sowjet: eine ungewöhnliche, ame nem Sohn doch mit großem rikanisch-russische Freundschaft in Zeiten des (Bitter-)Kalten Krieges. Einfühlungsvermögen, wenn nötig GoodTimes
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FRITZ EGNER Radiomann aus Überzeugung
Sie sind immer noch viel in Sachen Musik unterwegs? Ja, es bieten sich manchmal Sachen an, an denen man nicht vorbeigehen will, bei denen man schlecht nein sagen kann. Da ich mir mittlerweile im Musikgeschäft über die Jahrzehnte schon ein bisschen einen Namen erworben habe, kriege ich immer wieder mal solche Privilegien.
Sie haben vor einigen Wochen Ihren 70. Geburtstag gefeiert, machen immer noch jede Woche „Fritz & Hits" – da ist nichts mit Ruhestand?! Nein, habe ich jetzt zunächst mal nicht vor, weil ich denke, es ist ein Privileg, in meinem Alter überhaupt noch so aktiv sein zu können in den Medien, und vor allem aber auch in der Freiheit, die ich besitze. Mir redet niemand ins Programm hinein, ich kann meine Sendungen frei und ohne Rücksicht auf Verluste gestalten – das ist selten geworden!
Wie gut haben Sie damals eigentlich Englisch gesprochen, als Sie bei AFN angefangen haben? Gar nicht so gut, Schulenglisch halt. Aber der Reiz, bei diesem Sender zu arbeiten, hat mich derart beflügelt, dass ich an dem Tag, an dem ich eingestellt wurde, sofort in die Universitätsbibliothek gegangen bin und alle Englischbücher, Übersetzungsbücher geholt habe, die es gab, vor allem auch für Technisch-Englisch, denn ich war ja eigentlich als Studiotechniker eingestellt worden. Mir lag die Sprache gut im Ohr, ich habe ja ausschließlich AFN gehört, und wenn man so viel Englisch hört, kriegt man schon ein Gespür dafür. Das war eine gute Voraussetzung, aber dennoch musste ich da noch einiges aufholen. Foto: © BR/Robert Mayer
Foto: © BR/Markus Konvalin
Auch jüngere kult! -Leser dürften Fritz Egner kennen, möglicherweise aus ihrer Kindheit: Moderierte der gebürtige Münchner, der am 3. August seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, doch zwischen 1985 und 1994 die TV-Show Dingsda". Versteckte Kamera", Glücksspirale" " " " oder WWW – Die witzigsten Werbespots der Welt" hießen weitere " Fernseh-Karrierestationen des Mannes, der seine Laufbahn allerdings beim Radio gestartet hat. Zunächst als Toningenieur beim AFN, dem Sender der US-Streitkräfte, dann beim Bayerischen Rundfunk. Von Thomas Gottschalk war er zu Bayern 3 gelotst worden, und noch heute moderiert Egner jeden Freitagabend drei Stunden auf Bayern 1 Fritz & Hits" (Untertitel: Die größten Künstler der Musikgeschichte"). " " Kurz vor dem Abflug nach London, wo ein Interview mit Ringo Starr anstand, erreichte kult! -Mitarbeiter Philipp Roser Egner telefonisch.
Sie sind dann vom AFN direkt zum Bayerischen Rundfunk gewechselt?
Ja. 1979 haben mich Thomas Gottschalk und Jürgen Herrmann angesprochen, ob ich so was wie AFN auch in Deutsch machen könne. Ich wusste gar nicht, wie deutsches Radio Radio war und ist Ihr Medium, trotz geht. Ich hatte weder als Hörer noch der Fernseherfolge – kann man das als Macher Erfahrung. Da habe ich so sagen? gesagt: Das kann ich schon mal verJa, kann man schon so sagen. Das suchen, aber dann benutze ich auch hängt auch ein bisschen damit Fritz & Hits" – Fritz Egner im Studio 1997. Jingles und solche Produktionsmittel. zusammen, dass ich im Fernsehen " Genau das wollten sie auch von mir. Ich habe eine Probesendung nicht der Herr meiner eigenen Wirkungsweise bin. Da ist ein gemacht und bekam gleich eine wöchentliche Sendung. Meine Regisseur, da ist ein Lichtmeister, da ist ein Kameramann, da sind erste Sendung hieß „Pop Club". Da habe ich versucht, das, was ich viele Leute, die an dem Endergebnis beteiligt sind. Da hat man wenig beim AFN gelernt hatte, in Deutsch umzusetzen. Dadurch hatte ich Einfluss auf das große Ganze. Beim Radio bin ich sozusagen der auch ein Alleinstellungsmerkmal, denn das klang anders, war wahrHerr meiner eigenen Sendung. Fernsehen kann man mit Radio auch scheinlich anders, und so hatte ich sehr schnell eine eigene Farbe ins ganz schlecht vergleichen. Fernsehen ist immer eine Inszenierung, Programm bringen können. Das hat mir natürlich auch geholfen, beim Radio ist Emotion und Leidenschaft – vielleicht kann man es darauf Hörer im Ohr hängen zu bleiben. herunterbrechen. Seite
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bucht als interessante Erfahrung. So hat es sich dann auch dargestellt. Ich glaube, es wurde gar nicht so negativ aufgenommen.
Sie haben gerade gesagt, Musik, die Ihnen näher ist – das ist dann das, was Sie jetzt im Radio immer noch machen?
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Ja, schon. Ich achte natürlich schon ein bisschen darauf, dass ich zwischendrin Fritz Egner und Barry Manilow 1985 immer wieder gewisse Mehrheiten mit anspreche, aber meine Musikbandbreite ist aufgrund von AFN, der Zum Fernsehen sind Sie dann über eine Praktikantin gekommen? ja einen unglaublich breiten musikalischen Horizont abgebildet hat, Ja. Die war zuerst bei uns im Hörfunk, und dann ist sie in die auch so bei mir verankert. Ich kann von Country bis Jazz mit allen Abteilung Neuentwicklungen, neue Programme, neue Gesichter Musikgenres etwas anfangen. Es gibt überall interessante Sachen, beim Fernsehen gewechselt. Dort sagte sie: Da ist einer beim und die suche ich mir aus. Bayerischen Rundfunk, der kann ein paar zusammenhängende Sätze ganz flüssig sagen und sieht auch gar nicht so schlecht aus. Daraufhin haben sie mich zum Casting eingeladen, und zwar für eine SamstagabendShow. Die habe ich mir, ehrlich gesagt, nicht zugetraut, denn wenn man gar keine Fernseherfahrung hat, dann war das ein bisschen vermessen, gleich Samstagabend zu machen. Das war 2012 moderierte Fritz Egner das Konzert die Sendung, die dann Mike Krüger zu Pete Yorks 70. Geburtstag. gemacht hat, „Vier gegen Willi". Doch sie haben mir eine Show aus England angeboten, die eigentlich Radio Sie moderieren nicht nur, sondern haben schon immer auch Intermit Bild war: „Dingsda". Nachdem das gar nichts mit Musik zu tun views gemacht, viele namhafte Künstler getroffen – wie lange dauert hatte, hatte ich zunächst auch ein bisschen Zweifel, ob ich das wirklich zum Beispiel die Vorbereitung auf ein Interview mit einem Star wie glaubwürdig rüberbringen kann. Kinder hatte ich auch keine eigenen Ringo Starr? – eigentlich fehlten mir jegliche Voraussetzungen (lacht). Aber ich Die nehme ich schon relativ ernst. Natürlich geht es bei dem Interview habe in dem Format erkannt, dass das etwas Neues ist. Es gab zwar in erster Linie um sein neues Album. Er will natürlich jetzt noch einmal Medienpräsenz haben. Da gebe ich mir bei der Vorbereitung schon sehr große Mühe. Das habe ich eigentlich bei fast allen Interviews immer so gehalten, dass ich mich sehr mit dem beschäftigt habe. Bei manchen Künstlern ist das nicht notwendig, weil ich mich da so gut auskenne, dass ich ein Interview aus dem Ärmel schütteln und Fragen stellen kann, die nicht jeder andere auch fragt. Aber bei Ringo Starr muss man sich ein bisschen Mühe Fritz Egner & Thomas Ohrner bei geben – er gibt nicht so viele Interviews, und da Verstehen Sie Spaß" Thomas Gottschalk & Fritz Egner möchte ich auch einen guten Eindruck hinterlassen. " Kindersendungen mit Michael Schanze, das Kinderprogramm war auch schon etabliert, aber das war eine Kindersendung, von Kindern Überlegt man sich da auch, was man nicht fragt? für Erwachsene gemacht – und das war neu. Ich habe mir gedacht, Ja (lacht), das ist die erste Überlegung, denn man kann ein Interview das läuft vielleicht ein halbes Jahr, und dann habe ich wenigstens ein gleich mit der falschen Eingangsfrage zerstören. Würde man bei bisschen Geld zusammen für einen schönen Urlaub. Aber es lief dann Leuten wie Ringo Starr gleich eine Frage zu den Beatles stellen, acht Jahre lang mit mir. glaube ich, dann ist das Interview auch schon beendet. Also da muss man sehr sensibel vorgehen. Aber da gibt es sicher auch immer Tricks, Sie haben dann ja auch noch andere, zum Teil etablierte Sendungen wie man das Eis am besten bricht. Bei Ringo Starr zum Beispiel habe gemacht wie Versteckte Kamera", Glücksspirale" – um den Fuß im ich den Vorteil, dass ich Klaus Voormann, der ja mit den Beatles " " über Jahrzehnte befreundet war, immer anrufe und frage: Darf ich Fernsehen zu behalten? ihn von dir grüßen? Damit habe Na ja, das war eigentlich gar nicht so mein Anspruch. Mit der ich schon einen Vorsprung vor den Erfahrung von „Dingsda" und „Versteckte Kamera" habe ich mich anderen. Da habe ich immer nur auch mehr getraut, denn das waren zwei so erfolgreiche Formate, gute Erfahrungen gemacht, bei Paul dass man darauf durchaus aufbauen konnte, ein Scheitern aber auch McCartney wie George Harrison. nicht gleich als große Katastrophe empfinden würde. Deswegen habe ich mich dann an solche Formate auch mal rangewagt. Das ist mal gut, mal weniger gut gelaufen, aber war jedesmal eine interessante Ist Ihnen schon mal ein Interview Erfahrung. völlig in die Hose gegangen? Hm, das allererste Interview habe ich Sie haben 1990 auch den ESC übertragen – was war das für eine Er- noch für AFN gemacht, mit Manfred Mann – das lag aber möglicherweise fahrung? noch an meiner Nervosität, da habe Erstens wollte ich unbedingt mal nach Zagreb (lacht), und dann habe ich, glaube ich, nicht so wahnsinnig ich mir gedacht: So was für die ARD zu kommentieren, ist ja auch gut gepunktet. Aber so richtig in eine gewisse Ehre. Das hatte damals ja so einen Kult-Stellenwert. Da die Hose gegangen ist mir eigentlich habe ich auch zugesagt. Das war ein bisschen blauäugig, weil es nicht kein Interview. die Musik war, die mir so entspricht. Auch das habe ich einfach verGoodTimes
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Von Michael Fuchs-Gamböck
Es geht auch ohne Eltern!
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ch bin Jahrgang 1965. Dieser Umstand ist ziemlich wichtig zum besseren Verständnis für das nachfolgende Porträt einer weltbekannten Schriftstellerin. Denn zu meiner Zeit – ich spreche speziell von der letzten Klasse Grundschule und den ersten beiden Klassen Gymnasium, also unmittelbar vor Einsetzen der Pubertät – wurden von ziemlich allen Schülern noch Unmengen von Büchern verschlungen. Bevorzugt nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke, gelegentlich heimlich während des Unterrichts, mit der Schwarte auf den Knien. Fernsehen fanden wir zwar cool. Unsere Eltern eher weniger. Standardfrage von Vater oder Mutter: „Hausaufgaben erledigt?" Wenn nachgewiesenermaßen ja, 30 Minuten „Wickie" oder „Biene Maja" zur Belohnung im Vorabendprogramm. Spät-TV ging gar nicht für die bzw. den Neun-, Zehn- oder Elfjährige(n). Da konnte schon mal geknutscht werden auf dem Bildschirm. Pfui! Also wie sonst imaginäre Abenteuer erleben als Heranreifender, Mitte der 70er Jahre in Deutschland, Internet und Smartphone längst noch nicht in Sicht? Antwort: Bücher! Zumindest in den Klassen, die ich in jener Ära besucht habe, war es auffällig und ungewöhnlich, wenn man nicht zumindest einen Schmöker pro Woche wegputzte. Bis zum 13. Lebensjahr (dann wurde ich von meinen Eltern auf Grund Seite
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schlechter Leistungen „strafversetzt" in eine Jungs-Ganztagesstätte …) war ich in Lehranstalten, in denen beide Geschlechter gemeinsam unterrichtet wurden. Und unter den Leseratten – also praktisch allen in der Klasse, siehe oben – gab es zwei Fraktionen, die sich auf eine Autorin einigen konnten. Enid Blyton war ihr Name. Aber wir Burschen liebten bevorzugt deren „Fünf Freunde"-Abenteuer. Die Mädels hingegen in erster Linie die Geschichten der frechen und stets fröhlichen Schwestern Hanni und Nanni, die in einem Internat spielten. Eine Schriftstellerin, zwei Welten. Doch diese Welten verband der Umstand, dass wir Kinder die Könige darin waren. Enid Blyton teilte uns mit, dass es ein ganz eigenes Leben auch ohne Eltern gibt. Was aber war es, das uns Steppkes, egal welchen Geschlechts, die Bücher dieser Frau aus England derart faszinierten? Zunächst mal konnte Blyton Spannung erzeugen. Das Wichtigste darüber hinaus war der Umstand, dass die jungen Protagonisten in allen Blyton-Büchern durch Dick und Dünn gehen, verschworene Freunde sind, nie wird jemand im Stich gelassen. Wichtigtuer sind nicht gern gesehen, Schmierlappen und Duckmäuser ebenso wenig.
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Jeder der Akteure besitzt seine Macken. Doch im Rahmen einer funktionierenden „Gang" (wie Teenager von heute es ausdrücken würden) konnte man diese Schwächen auffangen. Keiner wurde benachteiligt, jeder gehörte dazu, sofern man sich an gewisse Grundregeln des Miteinanders hielt. All diese Grundsätze des menschlichen Miteinanders durchziehen übrigens nicht nur die „Fünf Freunde"oder „Hanni und Nanni"-Bände, mit denen Enid Blyton weltweit ein Begriff wurde. Sondern auch die anderen Reihen, durch welche die Autorin ein Begriff und ihre Arbeit ein Klassiker wurde: „Dolly", „Lissy", „Noddy" oder „Die schwarze Sieben". Klingt nach „Hitler-Jugend", „Bund Deutscher Mädels" oder „FDJ"? Nur auf den ersten Blick. Denn im Unterschied zu diesen staatlich verordneten Organisationen werden die Gesetze innerhalb der „Teams" selbst bestimmt. Die Regeln von Erwachsenen spielen kaum eine Rolle, oft überhaupt keine. Insofern kann man stellenweise vom süßen Duft der Halbwüchsigen-Anarchie sprechen. "Smells Like Teen Spirit". Wobei alles in geordneten Bahnen abläuft. Gewalt etwa findet in dieser Welt des Miteinanders keinen Platz. Enid Blyton, die Verfasserin der Geschichten, wurde am 11. August 1897 im Londoner Distrikt Dulwich geboren. Nicht allzu weit weg davon, im noblen Stadtteil Hampstead, verstarb sie am 28. November 1968. In den 71 Jahren ihres irdischen Daseins hat sie rund 700 Werke geschrieben, den genauen Überblick habe sie zum Ende ihres Lebens hin verloren, wie die aparte Dame in einem ihrer letzten TV-Interviews erklärte. Immer wieder tauchten und tauchen bis heute Gerüchte auf, dass nicht wenige der Bücher von anonymen Autorinnen oder Autoren verfasst worden sind. Was dem Erfolg des Oeuvres keinen Abbruch tut. Bis heute sind weit über 600 Millionen Stück weltweit verkauft worden. Was bedeutet, dass Blyton zu den erfolgreichsten Jugendbuchautoren aller Zeiten gehört. So weit die berufliche Erfolgsgeschichte dieser ungewöhnlichen Britin. Doch wie bei allen Kreativen gibt es auch bei ihr eine private Historie. Und die ist nicht durchgehend positiv. Aber selbst eine eher düstere Vergangenheit bietet oft Treibstoff für eine außerordentliche Vita, für außerordentliche Kunst. Klein-Enid hat bereits als Mädchen ihren beiden jüngeren Brüdern, so viel ist verbrieft, frei Hand bzw. Schnauze Geschichten zum Einschlafen erzählt. Mit gerade mal zehn Jahren begann sie, diese aufzuschreiben. Inspiriert wurde sie dabei von real existierenden Personen – Lehrerinnen, Mitschülerinnen, Haustieren. Angehalten durch den an Kunst interessierten Vater las sie viel, denn Daddy besaß jede Menge Bücher, auch für Kinder kompatible. Wobei Blyton Grimms Märchen nicht ausstehen konnte, nach ihrem Verständnis zu gewalttätig, dafür liebte sie das skurrile „Alice im Wunderland" und weinte zur Geschichte von „Black Beauty". Ihre Biografin Barbara Stoney berichtet in ihrem Werk „The Enid Blyton Biography" (nur in englischer Sprache erhältlich), dass Blyton über ihre Kindheit wie folgt reflektierte: „Wenn ich zurückschaue, waren das die schönsten Zeiten meines Lebens. Die Tage schienen immer warm und sonnig, und der Himmel war immer blau." Es ist diese Idylle, welche die Britin in ziemlich allen ihren Büchern zu bewahren suchte. Denn GoodTimes
die eigene brach zusammen, als der geliebte Papa die Familie wegen einer neuen Frau verließ, Enid war da gerade mal zwölf. Laut Stoney muss dieser Umstand eine Katastrophe für die Heranwachsende gewesen sein. War es doch ihr Erzeuger, von dem sie dermaßen viel gelernt hatte über Natur, Musik, Gedichte. Die Mutter verbot ihren drei Kindern, mit irgendjemandem über die Trennung der Eltern zu sprechen. Zu schlimm die Scham, zu schrecklich die Schande im Großbritannien jener Tage. Ein Umstand, den Enid ihrer Frau Mama nie verzieh. Was sich darin äußerte, dass sie 1916 ihren Abschluss am Mädcheninternat St. Christopher’s in Beckenham absolvierte. Sie begann eine Ausbildung zur Musikerin, brach diese jedoch bald ab und ließ sich in der Ipswich Highschool zur Kindergärtnerin und Vorschullehrerin ausbilden. Der Kontakt zur Mutter brach nach diesem Wechsel vollkommen ab und wurde auch niemals wiederbelebt. Wenn Blyton von Fremden auf ihre Erzeugerin angesprochen wurde, behauptete sie fortan, diese sei schon vor längerer Zeit verstorben. Nachdem Jung-Enid die Bürde, klassische Pianistin zu werden, abgeschüttelt hatte, ging sie voll in ihrer neuen Rolle als Lehrerin auf. Die wiederum nutzte sie für ihre eigentliche Bestimmung, der Berufung zur Schriftstellerin. In ihrer von Stoney notierten Autobiografie erzählt Blyton, dass sie schon Autorin habe werden wollen, als sie gerade mal das Lesen lernte. Sie berichtet, dass sie jeden Abend beim Einschlafen auf neue Geschichten richtiggehend fieberhaft gewartet habe. Storys, die „nicht von meinem Willen abhingen, sondern mich einfach hinterrücks überfielen". Der neue Job kam dieser Leidenschaft für narrative Fantasien nur allzu sehr entgegen. Barbara Stoney schildert, dass Blyton eine ungeheure Erzählwirkung auf ihre Schülerschaft ausübte. Ihre Lehrtätigkeit ermöglichte es der Anfangzwanzigerin, neue Schnurren im Unterricht fest zu integrieren. 1924 heiratete Blyton den leitenden Verlagsangestellten Hugh Alexander Pollock, dem Paar wurden die beiden Töchter Gillian Mary (1931) und Imogen (1935) geboren. Die junge Mutter gab ihren Job als Lehrerin auf. Was aber nicht bedeutete, dass sie voll in ihrer Rolle als Hausfrau aufgegangen wäre – ganz im Gegenteil: Sie stürzte sich in eine unglaubliche Schreibeuphorie, hatte kaum Zeit, weder für den Gatten noch ihren Nachwuchs. Es kam, wie es kommen musste, im Dezember 1942 wurde die Ehe geschieden, kurze Zeit darauf vermählte sich Blyton mit dem Arzt Kenneth Darrel Waters. Ihre beiden Mädchen durften keinerlei Kontakt zu ihrem Erzeuger pflegen, mussten den Nachnamen des Stiefvaters annehmen. Der Kreis zur eigenen bitteren Biografie schloss sich. Wenn man diese Fakten kennt, verwundert es nicht, dass zumindest eine der beiden Blyton-Töchter – Imogen – in ihrer Biografie „A Childhood At Green Hedges" ein negatives Bild ihrer Mutter zeichnet. Arrogant, anmaßend, streng und ohne Mutterinstinkt sei die gewesen, so wird kolportiert. Man mag es kaum glauben, dass eine Frau Kinder in ihrem Werk dermaßen gut versteht, die eigenen jedoch nicht begreift. Doch wenn man sich Familienbilder von Blyton und ihren Mädchen ansieht, ist eine gewisse Künstlichkeit unübersehbar. Unabhängig vom vermutlich vertrackten Privatleben hat das Oeuvre Enid Blytons jedoch bis heute Bedeutung, kommt erfrischend „unverstaubt" daher. Und die von ihr vermittelten pädagogischen Ziele wie Fair Play, Gerechtigkeit oder Begeisterung für hehre Ideale sind eh unsterblich. Sie gilt es weiterhin zu transportieren. Also lasst die junge Generation Bücher von Enid Blyton lesen! 1/2020
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Kultbücher Von Alan Tepper
geschätzt . geliebt . gelobt
kum wieder eine riesige Auswahl an Neuerscheinungen D präsentiert, die dazu einladen, endlich das Smartphone beiie Frankfurter Buchmesse hat dem lesebegierigen Publi-
seite zu legen und sich zu informieren, einfach nur genussvoll zu unterhalten – oder beides. Die aktuellen Kult-Bücher reichen von Klassikern wie George Eliots Middlemarch" " über Weltliteratur von Herman Melville bis hin zu Werken der
cience Fiction und der Fantasy. Im sogenannten InformatiS onszeitalter, in dem der Rezipient oftmals mit eher überflüssigen und unverdaulichen Ballaststoffen" bedrängt wird, " erkennt man schnell die Bedeutung einer längeren Lektüre, die das Leben bereichert, eine eigene Perspektive ermöglicht und vor allem Individualität fördert. Ich wünsche Ihnen höchs ten Lesegenuss und viele neue Gedanken.
Iain Banks – Bedenke Phlebas" "Der schottische Autor Iain Banks (16.
Hermann Hesse – Wir nehmen die Welt nur zu ernst" "Kurt Tucholsky schrieb 1927 nach Veröffentlichung der ersten Biografie
Februar 1954 – 9. Juni 2013) hat mit „Die Brücke" oder „Die Wespenfabrik" Meistererzählungen vorgelegt, doch er ist in Deutschland eher für seine Science-FictionLiteratur bekannt (Im englischsprachigen Raum werden seine SF-Titel unter dem Namen Iain M. Banks veröffentlicht). Das wohl kultigste Buch ist „Bedenke Phlebas", gleichzeitig der Beginn des sogenannten Kultur-Zyklus', teilweise inspiriert von „Das wüste Land" von T.S. Eliot. Banks schildert eine nahezu ideale Gesellschaftsform, die Kultur, die sich im Krieg mit den Idiranern befindet, die ihre Normen nicht anerkennen. Der Gestaltwandler Bora Horza Gobuchul wird ausgesandt, um ein „Gehirn", eine künstliche Intelligenz, in Besitz zu nehmen. Aber auch die Kultur befindet sich auf dem Weg, und es beginnt ein Zweikampf, bei dem der Autor philosophische, soziale und religiöse Themen aufwirft. Ein fesselnder und nachhaltiger Roman, bei dem man zum besseren Verständnis zuerst den Anhang lesen sollte.
Lisa Maxwell – Der Magier von Manhattan" "Seit den Tagen von J.R.R. Tolkien, Robert Howard
oder Lord Dunsay ist viel Zeit vergangen, und es haben sich zahlreiche neue Ausprägungen der Fantasy-Literatur entwickelt. Hier werden moderne Trends verfolgt wie zum Beispiel bei der Vampir- und Zombie-Welle und allgemein der Urban-Fantasy, die sich nicht mehr auf Schwerter, Zwerge und vorzeitliche Handlungsorte bezieht. Neben dem grandiosen Roman „Golem und Dschinn" von Helene Wecker sorgt dieser Band der amerikanischen Autorin Lisa Maxwell aktuell für Furore. Sie vermengt Science-Fiction-Elemente (eine Zeitreise), traditionelle Fantasy (Magie) und ein wenig Krimi. Maxwell erzählt die Geschichte der talentierten Magierin Esta, die mit ihrem Zirkel gegen einen verfeindeten Orden kämpft. Sie muss ins Jahr 1901 zurückreisen, um ein lebensnotwendiges Buch zu stehlen, das ihnen den entscheidenden Vorteil bringt. Eine facettenreiche Charakterisierung der Protagonisten und die Gratwanderung zwischen geschilderter Realität und magischen Traumwelten begeis tern auf ganzer Länge. Seite
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über den Schriftsteller Hermann Hesse (2. Juli 1877 bis 9. August 1962): „Hesse hat keinen Humor ... Humor hat er nicht." Bei der Lektüre des schwermütigen und beklemmenden Romans „Unterm Rad", des legendären „Steppenwolf" oder des spirituellen „Siddhartha" mag solch ein Werturteil berechtigt sein. Betrachtet man jedoch Hesses lebensfrohe Aquarelle, drängt sich ein anderer Eindruck auf. Die aktuell erschienene Sammlung verschiedener Texte zeigt den produktiven Autor von einer höchst humorvollen Seite. Seien es sarkastisch/ironische Betrachtungen („Aus dem Briefwechsel eines Dichters"), skurrile Kurzerzählungen („Casanovas Bekehrung"), schwarzhumorige Gedichte („Todesgedanken") oder diverse Betrachtungen menschlicher Unvollkommenheit – Hesse kann auch hier überzeugen, auch wenn ihm das die Wenigsten zugetraut hätten. Die aktuelle Ausgabe enthält ein Nachwort von Volker Michels, der die Texte vor dem Hintergrund des Gesamtwerks erläutert.
George Eliot – Middlemarch" "Im 19. Jahrhundert war
es üblich, dass Frauen ihre Bücher oder journalistischen Beiträge unter einem männlichen Pseudonym veröffentlichten, um aufgrund einer diskriminierenden Minderbewertung nicht sofort den Misserfolg „heraufzubeschwören". Mar y Shelley (unter anderem „Frankenstein") zählte zu den wenigen Ausnahmen. George Eliots wahrer Name war Mary Anne Evans (22. November 1819 – 22. Dezember 1880), die mit „Middlemarch" nicht nur einen Roman publizierte, der zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur gehört, sondern auch zahlreiche Filmadapt ionen nach sich zog. In dem über 1000 Seiten langen „Schinken" stellt sie die Bewohner des fiktiven Örtchens Middlemarch von ca. 1829 bis 1832 anhand verschiedener Handlungsstränge dar, die sie kunstvoll miteinander verknüpft. Dabei werden für die Zeit heikle Themen aufgegriffen wie die negativen Auswirkungen des Katholizismus, die Emanzipation, schillernde Geschlechterrollen und generell eine Welt im Umbruch der industriellen Revolution. Wertvoll und kein bisschen angestaubt.
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Umberto Eco – Der Name der Rose" "Umberto Eco (5. Januar 1932 – 19. Februar
2016) kann zweifellos als einer der bedeutendsten Schriftsteller, Medienwissenschaftler, Philosophen und Intellektuellen des modernen Italien bezeichnet werden. Nicht nur sein Romanwerk brachte ihm weltweite Anerkennung, sondern auch die literaturwissenschaftlichen Schriften führten zu beinahe 40 Ehrendoktorwürden an Universitäten in der ganzen Welt und Orden wie zum Beispiel dem Großen Verdienstkreuz mit Stern in Deutschland. Mag man einigen Intellektuellen eine bestimmte Abgehobenheit, einen Platz im Elfenbeinturm vorwerfen, gab sich Eco immer geerdet. Das lässt sich an seinem politischen Wirken belegen – er war ein erbitterter Gegner von Silvio Berlusconi – und an den Romanen, die trotz ihrer Komplexität spannend und unterhaltsam sind. Mit dem im Original 1980 und in der deutschen Übersetzung 1982 erschienenen „Der Name der Rose" feierte Eco einen Riesenerfolg, der eine Verfilmung (1986) mit Sean Connery nach sich zog und 2019 eine Serie im Pay-TV. Das in der IchPerspektive verfasste Buch beschreibt die Erlebnisse von Adson von Melk, der als junger Novize mit dem Mönch William von Baskerville zu einer Abtei gerufen wird, um einen geheimnisvollen Mord aufzuklären. Als die beiden ankommen, häufen sich die Todesfälle, und es breitet sich eine düstere, Unheil verkündende Stimmung aus. Die Handlung läuft auf einen dramatischen Höhepunkt zu, bei dem die labyrinthische Bibliothek in Brand gerät, wo sich ein Buch befindet, von dem alles Unheil ausging. „Der Name der Rose" wirkt nicht nur durch die Elemente des Krimis, des Schauerromans, sondern auch durch die verzweigte Handlung, mit der Eco seinem Leser einen wahren Fundus an Wissen vermittelt und einen Einblick in die Welt des Mittelalters gewährt.
Herman Melville – Mardi und eine Reise dorthin" "Die meisten kennen Herman Melvilles (1. August 1819 – 28. September 1891) wohl bekanntesten Roman „Moby Dick" meist nur in gekürzter Form als Jugendbuch. Dass der Schriftsteller mit diesem Text eines der wichtigsten Werke der amerikanischen Literatur verfasst hat, ignorierten die meisten seiner Zeitgenossen, denn der sich stets auf der Suche befindliche Exzentriker konnte zeitlebens nie von seiner Kunst leben. Stattdessen musste er sich seinen Lebensunterhalt als Verkäufer, Seemann und Zollinspektor sichern. Erst im 20. Jahrhundert wurde er neu entdeckt und bewertet. Seine Bücher sind nicht nur reine Abenteuerromane, sondern werfen existenzielle Fragen auf, wie zum Beispiel die nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, womit natürlich eine brisante Aktualität gegeben ist. Verglichen mit „Moby Dick" ist „Mardi und eine Reise dorthin" eher experimentell angelegt und beginnt als Abenteuerroman. Der Ich-Erzähler beginnt seine Reise als Arbeiter auf einem Walfänger und desertiert während der Fahrt – hier lassen sich ganz klar auch autobiografische Elemente erkennen. Er rettet das Mädchen Yillah, das von einem Priester geopfert werden soll, und flieht mit ihm und seinen Freunden zur fiktiven Inselgruppe Mardi. Doch dann verschwindet Yillah, und der Erzähler macht sich mit mehreren Mitstreitern auf die Suche nach ihr. War der Roman bis zu dieser Stelle noch eher linear angelegt, wird es ab hier zunehmend mysteriös, bleibt aber lohnenswert. Melville wirft mit beinahe schon surrealen Gedichten und Dialogen bedeutende Fragen auf, die den Leser beschäftigen und lange nachhallen. Brillant. Die aktuell erschienene, hochwertig produzierte Ausgabe von Manesse wurde überarbeitet und mit zahlreichen Fußnoten versehen, die dem Leser oftmals dringend benötigte Erläuterungen liefern.
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Das verschwundene Handwerk des Filmvorführers
Als die rote Berta noch ohne Liebe wandern ging Motorengeräusche, Hitze, grelle Lichtblitze und ratternde Maschinen in gewaltigen Metallgehäusen. All dies in einem kellerartigen Verschlag, der streng mit einer Eisentür abgeschottet ist. Nur durch ein winziges Fenster sieht man den angrenzenden Saal, auf dessen Bühne spannende und glamouröse Dramen ablaufen. Wer nun denkt, dass er sich im Maschinenraum eines Luxusdampfers befindet, liegt falsch: Genau so sah es nämlich hinter den Kulissen der meisten Kinos aus, bis die Digitalisierung die Technik des Filmvorführens ablöste.
Gängigstes Format für Kinofilme war der 35 mm breite „Normalfilm", ein an beiden Rändern perforiertes Filmband, auf dem Bild und Ton untergebracht waren. Bis in die frühen 1950er Jahre bestanden die Filmkopien aus feuergefährlicher Nitrozellulose, erst danach wurden sie durch Sicherheitsfilme aus Celluloseacetat und später aus Polyester abgelöst. Ein Film mit 90 Minuten Spielzeit hatte eine Länge von etwa 2500 Metern und ein Gewicht von 18 Kilo, weshalb man ihn in einzelne Teile – sogenannte Akte – aufteilen musste, um ihn transportieren und an die Kinos verschicken zu können. Die Unterteilung in Akte hatte noch einen anderen Grund: In die alten Filmprojektoren passten keine größeren Spulen, weil das leicht entn dem verborgenen Kämmerchen hinter dem Kinosaal regierzündliche Filmmaterial in geschlossene Trommeln eingelegt werden te als einsame Gestalt der Filmvorführer (seltener auch die musste. Geriet ein Film im Projektor in Filmvorführerin, wie zum Beispiel die Ernemann-X-Vorführraum 1952 Brand, war keine Löschung möglich; Verfasserin dieses Beitrags vor rund 30 der Vorführer musste warten, bis der Jahren). Er bediente die Kinomaschinen, Akt komplett abgebrannt war. Für die kümmerte sich um die (Kohle-) Zuschauer, die von der Technik hinter Bogenlampen und den Dia-Projektor, den Kulissen sonst kaum Notiz nahmen, war für Pausenmusik, Saallicht, ein Grund zum Johlen, oft auch Anlass Vorhänge, die gesamte Elektrik, für Heiterkeit. Notstromanlage und Brandschutz zuständig. Durch seine Hände gingen Jede Filmkopie wurde von der Spedition – im wahrsten Sinne des Wortes – sämtin einem festen Pappkarton mit metallliche Filmkopien, und die Klebepresse verstärkten Ecken angeliefert, der etwa war unverzichtbares Accessoire. Für so groß und schwer war wie ein (voller) diese umfangreichen Aufgaben war er Kasten mit Mineralwasser. Darin lagen in der Regel im Rahmen eines mehrtädie einzelnen Akte in flachen Schachteln gigen Kurses (Inhalte: Grundlagen der gestapelt, ähnlich wie Pizzakartons vom Film- und Projektionstechnik, praktiLieferservice. Die Akte kamen nicht scher Vorführbetrieb und Behandlung auf Spulen, sondern waren stramm auf der Kopien) samt Prüfung ausgebildet einen Kern aus Holz oder Plastik (genannt „Bobby") gewickelt. Da worden und erhielt bei Bestehen den Filmvorführschein. Heute die Beschriftung der Kartons oft lückenhaft war, versah man die werden Kinofilme auf Festplatten im Format DCP (= Digital Cinema einzelnen Akte mit farbigen Startbändern: Rot für Akt 1,Blau für Akt Package) in handlichen Plastikboxen geliefert und auf den Kinoserver 2, danach folgten Grün, Orange, Lila und Weiß. Als Eselsbrücke für überspielt, der dann einen Digitalprojektor mit Bild und Ton belieden Filmvorführer diente der Merksatz: „Rote Berta Geht Ohne Liebe fert. Ein Kinderspiel gegen den Aufwand, der früher betrieben werWandern." (Der Filmemacher Harun Farocki nahm ihn als Titel für den musste, um dem Publikum ein abendfüllendes, störungsfreies eine Publikation über seine bewegte Geschichte als Filmkritiker und Filmprogramm zu bieten.
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© Gerd Redlich, Wiesbaden
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Von Susanne Buck
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Vorführerin Susanne Buck im Einsatz am 35-mm-Projektor von Philips
te der Vorführer einen Knopf, der die Bildklappe der zweiten Maschine öffnete und den Ton einschaltete. Gleichzeitig w urden die Haltemag neten Kohlestäbe für Bogenlampen der Bildklappe vor der ersten Maschine und deren Tonlampe abgeschaltet. Sobald das Filmbild blitzschnell auf die richtige Höhe und scharf gestellt wurde, bemerkten die Kinozuschauer kaum etwas von diesem Wechsel. Für den Filmvorführer bedeutete jede Überblendung Adrenalin pur, doch zur Erholung blieb wenig Zeit. Während nämlich Akt 2 lief, musste Akt 1 aus dem Projektor geholt, wieder auf den Bobby gespult und in die Schachtel gepackt werden. Falls der Film nochmals aufgeführt werden sollte, spulte man ihn auf einer zweiten Spule auf Anfang und verstaute ihn in einer Box. Inzwischen war dann schon Zeit, Akt 3 in Projektor I einzulegen, zu überblenden, Akt 2 umzuspulen und so weiter.
Die Überblendzeichen lassen sich bei älteren Filmen noch gut erkennen, sofern man darauf achtet. Außerdem sieht man, dass die Bildqualität an den Anfängen und Enden der Akte nachlässt, Kratzer zu sehen sind und manchmal sogar ein Stück Bild oder Ton fehlt. Das seltsame Phänomen der fehlenden Bilder geht hauptsächlich auf die Durchsetzung der Tellermaschinen zurück. Weil die Vorführung eines Films im Überblendbetrieb bedeutete, dass der Filmvorführer ohne Pause anwesend sein musste, rüsteten die meisten Kinobesitzer (die ja oft mehrere Vorstellungen parallel anbieten wollten) ihre Vorführräume in den 1970er Drei Bobbies: links und rechts je ein Bobby für einen Jahren mit Filmtellern (die korrekte 35-mm-Film, in der Mitte einer für 16-mm-Film. Die beiden gelben Bobbies sind für den Einsatz an Bezeichnung lautet: © Phrontis
© antikpalast
© Roman Bonnefoy
Damit man erkennen konnte, ob der Film vom Anfang zum Ende oder umgekehrt aufgewickelt war, unterschieden sich die Endbänder von den Startbändern durch zusätzliche Streifen. Wer also einen Karton aufklappte und darin eine Filmrolle fand, die außen grün gestreift war, konnte im Regelfall davon ausgehen, dass es sich um das Ende von Akt 3 handelte. Um den Kinozuschauern sämtliche Akte ohne Pause zeigen zu können, verfügte jedes Kino bis in die 1980er Jahre über mindestens zwei Filmprojektoren. Meist kam für das Vorprogramm auch eine dritte Maschine zum Einsatz. Die Technik der Überblendung machte 35-mm-Projektor & Fenster es möglich, den Film ohne zum Kinosaal Unterbrechung zu zeigen, wozu dieser abwechselnd auf zwei Projektoren lief und überblendet wurde. Dieses Überblendverfahren verlangte vom Vorführer viel Fingerspitzengefühl und ging folgendermaßen vonstatten: Zuerst muss ten die einzelnen Akte aus den Kartons genommen und mit Hilfe einer Auf rollvorrichtung auf Filmspulen gezogen werden. Befand sich das Startband außen, musste der Akt zweimal umgespult werden. Beim Spulen konnte der Vorführer den Film mit den Außenkanten vorsichtig durch die Finger laufen lassen und auf Beschädigung prüfen. War die Perforation kaputt oder eine Klebestelle lose, kam die Klebepresse zum Einsatz. Nun konnten in Projektor I der erste und in Projektor II der zweite Akt eingelegt werden, wobei bei Akt 2 vor dem ersten Filmbild 15 Sekunden Vorlaufband (360 Bilder) berücksichtigt werden mussten. Wenn sich die erste Rolle nach etwa 12 bis 15 Minuten dem Ende zuneigte, musste der Vorführer neben der zweiten Maschine sitzen und den Film auf
der Leinwand durch das Bildwerferfenster genau im Auge behalten. Etwa sieben Sekunden (also 168 Bilder) vor dem letzten Bild erschien in der rechten oberen Ecke für Sekundenbruchteile ein kleines Zeichen – meist ein Kreis oder Dreieck. Genau in diesem Moment startete er die zweite Maschine. Wenn dann sieben Sekunden später ein weiteres Überblendzeichen aufblitzte, betätig-
© Gerd Redlich, Wiesbaden
-autor in den 1960er Jahren). Bestand ein Film aus mehr als fünf Akten – zum Beispiel „Titanic", dessen Kopie elf Kartons umfasste und stolze 37 Kilo auf die Waage brachte –, waren diese gesondert gekennzeichnet.
Filmrolle auf Kunststoff-Bobby, am rot durchgefärbten Startband als Akt 1 zu erkennen
Schneidetischen, der schwarze Bobby wurde beim Versand von Filmkopien an Kinos verwendet.
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Vorführraum mit ErnemannProjektoren und Schalttafel
© Klaus Rieder
© Gerd Redlich, Wiesbaden
Filmdosen in der Kreisbildstelle Trier
Endbänder ohne Verlust an die jeweiligen Akte montieren. Die Praxis sah jedoch anders aus: Aus Zeitmangel oder Bequemlichkeit knibbelten viele Vorführer die Klebestellen nicht mühsam auf, sondern schnitten sie (nach Prinzip des gordischen Knotens) großzügig heraus und legten danach die abgeschnittenen Start- und Endbänder einfach lose in die Kartons. Der Nachspieler konnte sich glücklich Seite
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Leinwand wegschmurgelte. Solche Highlights kann man heute nur in kleinen Nostalgie-Kinos oder im Museum erleben. Oder auch in einigen Kinofilmen, zum Beispiel in „Cinema Paradiso" (1988) von Giuseppe Tornatore. Mein Tipp für (Kino-)Romantiker: Brennende Leinwand und Happy End kommen auch in dem Film „Susan … verzweifelt gesucht" (1985) von Susan Seidelman vor. Aidan Quinn spielt darin den charmanten Filmvorführer Dez, der am Schluss Rosanna Arquette küsst und dabei den Projektor blockiert. Unbedingt anschauen und dabei auf die Überblendzeichen achten.
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© Raimond Spekking
Der Vorführer konnte nun mehrere Vorführungen gleichzeitig betreuen, hatte jedoch im Vorfeld alle Hände voll zu tun: Er musste den Film vor der ersten Aufführung „koppeln", das heißt, alle Startund Endbänder entfernen und die Akte in der richtigen Reihenfolge aneinanderkleben. Auch hier kam wieder die Klebepresse zum Einsatz. Glücklicherweise war dieses Werkzeug im Laufe der Jahre entscheidend verbessert worden. Während bei den alten Nassklebepressen der Film überlappend und mit einem Lösungsmittel aufeinandergepappt werden musste (wobei immer mindestens ein Bild verlorenging), konnte man mit der Trockenklebepresse sauber zwischen zwei Bildern schneiden und einzelne Filmstreifen nahtlos mit einer Art Tesafilm verbinden. Diese Klebestellen waren hinterher ohne Reste oder Schäden abziehbar. Im Idealfall konnte der Vorführer den Kinofilm also nach der Spielzeit wieder sauber trennen und die Start- und
Der schlampige Umgang mit den Kopien hatte außerdem den fatalen Nebeneffekt, dass die Filme im Laufe der Zeit immer kürzer wurden. Besonders in den 80er und 90er Jahren, als es noch viele kleine Kinos Spulenturm mit drei Tellern mit häufigem Programmwechsel gab, Klebepresse gingen bei jedem Koppeln und Endkoppeln einzelne Filmbilder verloren. Experten schätzen den Verlust von Spielstätte zu Spielstätte auf zwei bis vier Filmbilder pro Schnittstelle, der Film wurde also von Kino zu Kino um mindestens eine Sekunde (= 24 Bilder) gekürzt. All dies nahmen die Kinofilm, bestehend meisten Zuschauer aus 5 Akten gar nicht bewusst wahr. Sie scherten sich nicht darum, mit welchem Aufwand der Film auf die Leinwand projiziert wurde. Höchstens, wenn das Bild unscharf oder der Ton zu leise war, wurde gepfiffen und von innen an die Scheibe geklopft. Es gibt aber auch heute noch Nostalgiker, die die kleinen Pannen und Unregelmäßigkeiten bei der Filmvorführung vermissen. Für sie war es jedesmal ein Ereignis, wenn das Bild wackelte oder Akt 5, erkennbar am gestreiften ein brennendes Filmbild auf der Endband in Lila
© antikpalast
schätzen, wenn die Zuordnung der Farben stimmte, nicht selten waren die Bänder falsch zugeordnet. Das sorgte beim nächsten Vorführer für Rätselraten und Verdruss, vor allem, wenn mit Überblendtechnik gearbeitet wurde.
© Gmhofmann
Schleifenteller) nach. Auf einem Filmteller konnte bis zu fünf Stunden Film untergebracht werden, also das komplette Programm mit Werbung, Trailern und Hauptfilm. Der Film musste nur einmal korrekt in den Projektor eingelegt und scharfgestellt werden; danach lief das ganze Programm automatisch durch. Am Ende der Vorstellung wurde der aufgerollte Film vom anderen Ende aus wieder eingelegt, so dass auch der Umspulvorgang entfiel.
60 JAHRE
Von Horst Berner
VON WEGEN KEIN MENSCH HAT UNS JE GELESEN " UND UNS WIRD AUCH KEINER LESEN !!! " Am 24. Oktober 2019 erschien mit Die Tochter des Vercingetorix" " das 38. Asterix"-Abenteuer, das von Ferri-Conrad gestaltet wurde. " Die vierte gemeinsame Arbeit des Autorenduos, das seit 2013 in der Nachfolge von Goscinny-Uderzo wirkt, präsentierte sich einmal mehr in Zahlen, die nahezu schwindelig machen: In mehr als 20 Sprachen gelangte das im Original mit La Fille de Vercingétorix" benannte Album zeitgleich " mit der Startauflage von fünf Millionen Exemplaren in den Handel. Zu dessen absehbarem Erfolg wird nicht zuletzt beitragen, dass der kleine Gallier mit der großen Anziehungskraft, parallel zur Novität, den 60. Geburtstag feiert: Am 29. Oktober 1959 gelangte die erste Seite von Astérix le Gaulois" in der französischen Zeitschrift " Pilote" zum Abdruck. "
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Asteriskus (Sternchen bzw. *), sondern auch das keltische Wort „rix", das für König steht. Was danach folgte, ist längst kulturelles Allgemeingut: Die Helden aus dem wohlbekannten Dorf entwickelten sich zu einem Synonym für hochkarätige Comic-Literatur. Den stetig steigenden, globalen Erfolg der Serie seit 1961 (das Jahr, in dem „Astérix le Gaulois" in Frankreich erstmals in Form eines kartonierten Albums mit der Erstauflage von 6000 Exemplaren erschienen ist – heute sind davon 36 Millionen abgesetzt!) belegen eindrucksvoll diese Zahlen: Von dem Bestseller wurden mittlerweile 375 Millionen Alben in 111 Sprachen und 25 Dialekten verkauft – davon rund 130 Millionen allein in Deutschland.
as geflügelte Wort „Unsere Vorfahren, die Gallier" ist in Frankreich schicksalhaft verbunden mit der historischen Gestalt Vercingetorix (82–46 v. Chr.). Unter seiner Führung erhob sich Gallien gegen die römische Oberherrschaft und Bei aller Ehrerbietung für Vercingetorix, landete 52 v. Chr. in Gergovia einen in den „Asterix"-Abenteuern tritt er triumphalen Sieg gegen die Armee kaum in Erscheinung; er steht in erster von Julius Cäsar. Allerdings zwang Linie für einen Leitgedanken. Freilich der Imperator noch im selben Jahr wird er gleich im ersten Band, „Asterix den Keltenfürst aus dem Stamm der der Gallier", auf Blatt 1 im zweiten Arverner in der Schlacht bei Alesia zur Erste Asterix"-Skizzen von Albert Uderzo Panel bei seiner Kapitulation dargestellt Kapitulation und ließ ihn nach Rom " (ähnliche Szenen finden sich in „Asterix und der Arvernerschild" und bringen, wo er sechs Jahre im Kerker verbrachte, ehe er dann hinge„Die Trabantenstadt"), und auch in den Texten gibt es immer wieder richtet wurde. Von der schillernden Figur ließen sich gut 2000 Jahre kleinereAnspielungen auf ihn. Am klarsten geschieht das in „Asterix später, im Spätsommer 1959, Szenarist René Goscinny (1926–1977) und der Arvernerschild", wo die Leserschaft beiläufig erfährt, dass und Zeichner Albert Uderzo (1927) ermutigen bei ihrer Suche nach Majestix im Besitz des symbolträchtigen Schildes von Vercingetorix ist, einem Comic für das neue Journal „Pilote", dessen Erstausgabe der nach der Niederlage bei Alesia auf Umwegen in seine Hände geriet. am 29. Oktober 1959 publiziert wurde. Mit Vercingetorix, Seither bewegt sich der Häuptling des gallischen Dorfes „nie ohne ihn einigen Gläsern Pastis und unglaublich viel Witz im Kopf von der Stelle und meist sogar auf ihm". Mitunter fällt er sogar von kreierten die hochtalentierten Künstler die ungeihm herunter … Im neuen Band ergänzen Texter Jean-Yves Ferri und stümen Widerständler, deren urkomische Zeichner Didier Conrad – beide 1959 geboren, wie der populäre Gallier Namen alle auf -ix enden. Wobei sie es mit – die „Asterix"-Erzählungen nun um einen bislang unbekannten Titelheld Asterix besonders gut meinten, Aspekt, indem sie die Tochter des glorifizierten Arvernerhäuptlings denn in seiner Benennung spiegelt sich nicht auftreten lassen. Darauf deuteten bereits im Frühjahr diesen Jahres die nur das sprachwissenschaftliche Zeichen Seite
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Asterix® - Obelix® - Idefix® / © 2019 Les Éditions Albert René / Goscinny – Uderzo
als großformatige, auf 1200 Exemplare limitierte Luxusedition, Titel-Bekanntgabe sowie der Abdruck der die die erste Geschichte sowohl in Farbe als auch in Uderzos Eröffnungsseite aus dem neuen Album in dynamischem Schwarz-Weiß-Strich ihrer Schwarz-Weiß-Version hin, die es am reproduziert. In Ergänzung dazu schil14. April 2019 exklusiv in der Zeitung „Le dert auf 29 Seiten eine mit attraktiven Journal du Dimanche" zu sehen gab. Des Zeitdokumenten illustrierte Abhandlung Weiteren stimulierte das Sonntagsblatt in den „Asterix"-Urknall. Lesenswert ist sechs ganzseitigen Artikeln und eigens auch das 64-Seiten-Album „Asterix: Die dafür von Ferri-Conrad kreierten ComicHommage", in dem große Namen der Strips mit dem Titel „Mystère au villainternationalen Comic-Szene den von ge" („Geheimniskrämerei im Dorf") zwiRené Goscinny und Albert Uderzo kreschen 21. Juli und 25. August 2019 die ierten Helden ihre Reverenz erweisen. Neugierde auf das, was kommen wird. Neben Hochkarätern wie Al Coutelis, Kurzum, es lief die gleiche Prozedur Blutch, Arthur de Pins, Derib, Lewis Limitierte Luxusedition ab wie immer in den vergangenen Trondheim, Milo Manara, Steve Cuzor, François Boucq oder Jahrzehnten, wenn ein neuer „Asterix" Erste Asterix"-Seite in Pilote" Midam tragen auch die deutschen Autoren Sascha Wüstefeld, das Licht der Öffentlichkeit erblickte – im " " Flix und Mawil dazu bei, dass die gezeichneten Laudationes ein Übrigen für gewöhnlich stets an einem Tag im Monat Oktober, als kurzweiliges Happening bieten. Ferner erschienen unlängst „Das würde damit ein Ritual beschworen. In kleinsten Dosen werden dann Geheimnis des Zaubertranks", die von Fabrice Tarrin illustrierte zwar unterhaltsame Informationen verabreicht, die gespannte Fans wie Fassung des gleichnamigen letzten „Asterix"Trickfilms (der am 14. März 2019 in den hiesigen Kinos anlief), sowie die dritte Ausgabe der Vierteljahrespublikation „Asterix Magazin" – wobei diese zwei Titel sich aber eindeutig an das junge Lesepublikum richten. Weit inter essanter ist da der am 28. August 2019 in Frankreich in die Buchhandlungen gekommene Vercingetorix ergibt sich Cäsar in Asterix und der Arvernerschild" grafische Roman „Le roman des Goscinny", " in dem die 1964 in Straßburg geborene Catel "Asterix: Die Hommage" neugierige Medienvertreter jedoch völlig im Dunkeln lassen ob des zu Muller, genannt Catel, die „Geburt eines Galliers" auf 344 Seiten erwartenden Plots. Folgerichtig galt auch beim aktuellen Album bis bildnerisch in Szene setzt. Die Besonderheit ihrer zuletzt: Nix Genaues weiß man nicht. mitreißend arrangierten Schilderung liegt darin, dass die Autorin das Schaffen von Goscinny in Demzufolge müssen leider all jene enttäuscht dessen eigenen Worten interpretiert, nachdem werden, die davon ausgingen, dieser Artikel würde sie – zusammen mit Goscinnys Tochter Anne nun eine Vertiefung ins Geschehen von Band 38 – vier Jahre in die Auswertung von Interviews bieten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser mit dem Kult-Szenaristen Zeilen für die kult! -Ausgabe 21 – die am 25. und die daraus resultieOktober 2019, also einen Tag nach „Die Tochter rende darstellerische des Vercingetorix", in den Handel kommt – galt Bearbeitung invest iert noch die von den koproduzierenden „Asterix"hatte. Ein Werk, das Verlagen verhängte Nachrichtensperre in Bezug hoffentlich bald in deutauf den Inhalt. Dennoch darf ein klein wenig scher Übersetzung vorliespekuliert werden: Vermutlich dürfte die galgen wird. lische Gemeinschaft mit Bedacht auf die bewilligte Obhut für die Häuptlingstochter ähnlichen Asterix" ist Gold wert; " Zum Abschluss richtet französische menschlichen Spannungen ausgesetzt werden, 2-Euro-Münze sich der Fokus noch einwie das bereits früher der Fall war, wenn andere von 2019 weibliche Charaktere ins Dorf eingezogen sind: Eröffnungsseite aus dem neuen "Asterix" mal auf Band 38, „Die Tochter des Vercingetorix", der in nicht weniger als vier Ausführungen erscheint. Neben den Maestria, Latraviata, Zechine. Sicher wird auch deren Jugend für traditionellen Soft- und Hardcover-Ausgaben (Auflage: 1,5 Millionen eine Reihe von Konflikten zwischen den Generationen sorgen, wie Exemplare) kommt am 24. Oktober 2019 auch eine auf 299 Exemplare das einst bei Grautvornix in „Asterix und die Normannen" der Fall limitierte „Super-Luxusausgabe" in den Handel, die das neue Abenteuer war. In diesem Punkt ließen sich die Autoren sogar zu der Aussage in den Bleistiftvorzeichnungen und getuschhinreißen: „Soweit wir wissen, ist die junge ten Schwarz-Weiß-Seiten abbildet. Dazu gibt es Dame ein Teenager in der rebellischen Phase. Als ergänzendes Skizzenmaterial und als Beilage fünf Tochter des legendären Vercingetorix hat man es Drucke, wovon einer von Ferri, einer von Conrad schließlich nicht leicht." Damit aber genug fabusigniert ist. Ein feines Liebhaberstück, das freiliert. Es soll ja hier nicht zugehen wie im Album lich seinen Preis hat: 199 Euro. Weniger teuer, 59 „Der Seher" von 1972 (deutsche Ausgabe: 1975), Euro, ist die ab 7. November wo es vermittels „Orakeln, Propheten, Auguren, 2019 lieferbare „Luxusedition". Eingeweideschauern und allen Interpreten der Limitiert auf 1111 Exemplare, sibyllinischen Bücher" zu allerhand geschwätbietet sie die Episode in zigen Prognosen gekommen ist … Le roman des Goscinny" und der Moment der Farbe mit den dazuge" Kreation von Asterix" hörigen Skizzenseiten Fakt wiederum ist, dass Events – ob Geburtstage " sowie einem umfangreichen Makingoder Jubiläen – im „Asterix"-Universum an der Tagesordnung sind. of, das einen erhellenden Blick hinWurden noch vor kurzem, in der kult! -Ausgabe 19, „50 Jahre Asterix ter die Kulissen dieser spektakulären seit 1968" in Deutschland beschrieben, steht jetzt der 60. Geburtstag Fertigung erlaubt. „Felix dies natalis auf dem Programm, der an die ersten Schritte des gewieften galest, Asterix!", oder „Alles Gute zum lischen Kriegers auf den Seiten von „Pilote" in 1959 erinnert. Egmont Geburtstag, Asterix!" Ehapa Media veröffentlichte aus diesem Anlass „Asterix der Gallier"
Sitcoms der 80er Jahre | Teil 2
Von Thorsten Hanisch
Heldin der Arbeiterklasse I. Die Realität hält Einzug … Im letzten kult! wurde die Sitcom „Eine schrecklich nette Familie" vorgestellt, die mit den Bundys erstmals eine Familie aus der Arbeiterklasse über die Bildschirme schickte und damit einen krassen Gegenentwurf zu den bisher vorherrschenden „Heile Welt"-Familien wie zum Beispiel den Cosbys („Die Bill Cosby Show") darstellte. Die Serie war zwar völlig überspitzt in der Darstellung der Charaktere und setzte auf Brachialhumor, hatte aber trotzdem weitaus lebensnahere Züge als alles bisher da Gewesene. Dennoch, die Schleuse war geöffnet, dank der Bundys war weitaus mehr möglich als früher, und so ging gerade mal eineinhalb Jahre später mit großem Erfolg „Roseanne" an den Start. Erneut stand eine Familie aus der Arbeiterklasse im Mittelpunkt, die Connors, erneut wurden die Sorgen und Nöte sowie schönen Zeiten „einfacher Leute" geschildert, und erneut hatte man es nicht gerade mit Vorzeige-Eltern zu tun, aber eben auch mit Eltern, die das Herz am rechten Fleck haben.
die erste Fernsehserie über eine Familie handelte, die unverblümt drauf hinwies, dass der Löwenanteil der Arbeit im Haushalt, Job hin oder her, an der Frau hängen bleibt.
II. Voll und ganz im Mittelpunkt: Roseanne
Familie Connor besteht aus Mutter Roseanne (Roseanne Barr), Vater Daniel (John Goodman), der Dan genannt wird und den Kindern Rebecca (Alicia Goranson/Sarah Chalke), genannt „Becky", Darlene (Sara Gilbert) und David Jacob, genannt „D.J." (Michael Fishman) (In Staffel acht wird noch Jerry Garcia geboren.) Die Serie feierte am 18. Oktober 1988 Premiere, einen Tag vor dem ersten Jahrestag des „Black Monday", dem Wall-Street-Crash von 1987, was dem Ganzen eine gewisse Färbung gibt, denn die Connors haben oft große Mühe, ihren ohnehin nicht gerade üppigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Erzählt wird von denen, die unter Ronald Reagans zweiter Amtszeit ins Straucheln kamen, während die Reichen immer reicher wurEin erster Unterschied wird schnell den. Arbeitslosigkeit beziehungsweise deutlich – während Al Bundy eine die Schwierigkeit, sich über Wasser zu ausgesprochene Abneigung gegen Ein ungewöhnlich gewöhnliches Paar: halten, ist dementsprechend natürlich dicke Menschen hegt und sich mit Roseanne und Dan Connor ein größeres Thema der Serie, aber zahllosen Witzen über sie lustig macht, steht hier ein übergeebenso widmet man sich Scheidung, Missbrauch, Homosexualität, wichtiges Elternpaar im Mittelpunkt, das aber trotzdem nicht zur es gab zum ersten Mal in der Geschichte des Fernsehens einen Kuss Zielscheibe von Spötteleien wird. Des Weiteren: Während sich die zwischen zwei Frauen zu sehen, oder kleineren Alltagsproblemen wie Bundys noch – wenngleich auf ironische Art und Weise – an der Streitereien unter Geschwistern oder – was für TV-Verhältnisse bis traditionellen Rollenverteilung orientieren, soll heißen, der Mann dato ebenfalls einzigartig war – der ersten Periode oder Masturbation. ist Familienoberhaupt und Alleinernährer, hat bei „Roseanne" die Titelfigur die Hosen an, arbeiten gehen aber sowohl sie als auch ihr Die Show basiert auf einer Idee der Produzenten Marcy Carsey und Mann. Die größte Differenz liegt aber darin, dass die Geschichten rund Tom Werner, die mit ihrer Produktionsfirma unter anderem die treium die Connors weitaus geerdeter sind, bei allem, oft sehr sarkastibende Kraft hinter „Die Bill Cosby Show" waren und nun eine Sendung schen, Humor finden sich genauso ernste, nachdenkliche, zuweilen über eine berufstätige Mutter entwickeln wollten, die aber – anders dramatische Töne – Realismus wurde groß geschrieben. Letzteres als in den vielen Serien zuvor – nicht nur lediglich ein Anhängsel manifestiert sich zum Beispiel in dem Umstand, dass es sich hier um des Mannes war, sondern eine Art Heldin der Arbeiterklasse sein Seite
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s ollte. „Cosby"-Autor Matt Williams entwickelte zusammen mit einem Autorenteam das Projekt und schrieb die erste Folge. In Roseanne Barr, einer Standup-Komikerin, die bereits in ihren Bühnenshows erfolgreich eine ähnliche, auf ihrem Leben basierende Figur wie in ihrer späteren Sitcom darstellte, fanden sie ihre Idealbesetzung. Barr übernahm allerdings nicht nur die Hauptrolle, sondern fing bereits während der Vorproduktion an, die Show nach ihren Vorstellungen zu modellieren, selbst der Titel wurde aufgrund ihres Bestrebens von „Life And Stuff" in „Roseanne" abgeändert. Das führte dazu, dass Williams aufgrund künstlerischer Differenzen nach 13 Folgen gefeuert wurde. Besonders störte die Darstellerin, dass der Autor als Erfinder der Sendung genannt wurde und das, obwohl sie sich als maßgeblichen Faktor sah.
Hauptrolle, war aber ansonsten nur in diversen Nebenrollen zu sehen und wurde für ihre Synchronisation von Baby Julie in „Kuck mal, wer da spricht 2" (1990) sogar für die goldene Himbeere als schlechteste Nebendarstellerin nominiert. Neben ihren schauspielerischen Aktivitäten betätigte sich Barr als Buchautorin, TV-Moderatorin, kehrte 2005 wieder zu ihren Wurzeln als Standup-Komikerin zurück, versuchte sich als Radiomoderatorin und als Politikerin, trat in einem Werbespot für Snickers auf und war 2011 Gegenstand einer noch im selben Jahr wieder eingestellten Reality-Show.
Wer auch immer den größeren Einfluss hatte, ein Blick Vor allem aber machauf Barrs Lebenslauf lässt es durchaus plausibel erscheite die angriffslustige nen, dass auf jeden Fall der geerdete Tonfall der Serie Darstellerin reihenweise ihr zu verdanken ist, denn die Schauspielerin kennt durch kleinere und grödie dunkleren Seiten des Lebens nur allzu gut. Die ßere Skandale auf sich Komikerin wurde am 3.11.1952 in eine jüdische Familie aufmerksam, die schließlich der Reaktivierung ihres größten Erfolgs geboren, hat drei Geschwister (zwei davon homosexuell, weshalb sich im Weg standen. 2018 wurde nämlich die bereits lang angekündigauch in der Serie entsprechende Charaktere finden) und wurde mit 16 te und ab dem 29. März ausgestrahlte von einem Auto angefahren, was zehnte Staffel von „Roseanne" nach einer eine Gehirnverletzung mit traumaunüberlegten Twitter-Äußerung bereits tischen Konsequenzen zur Folge am 29. Mai wieder abgesetzt. Die etwas hatte. Ihr Verhalten veränderte zu eifrige Social-Media-Nutzerin hatte sich so drastisch, dass sie für acht über Valerie Jarrett, eine Beraterin des Monate ins Krankenhaus muss ehemaligen Präsidenten Barack Obama, t e. Während dieser Zeit kam ihr getweetet, sie wirke als ob die „muslierstes Kind Brandi zur Welt, das zur mische Bruderschaft und der Planet der Adoption freigegeben wurde. 1970, Affen ein Baby hätten". Barr verteidigte im Alter von 18 Jahren erzählte ihrer Äußerung anfänglich, entschuldigte sie ihren Eltern, dass sie für zwei sich aber später, doch viel zu spät, das Wochen eine Freundin in Colorado Kind war längst in den Brunnen gefallen, besuchen wolle, verließ das Haus Die Familie beim Fernsehabend: Dan, Roseanne, die bereits angekündigte zweite Staffel und kehrte nie zurück. 1974 hei- D.J., Roseannes Schwester Jackie, Darlene und Becky der Show wurde noch am gleichen Tag gecancelt, allerdings drei ratete Barr Bill Pentland und bekam mit Jennifer, Jessica und Jacob Wochen später als „The Connors" – ohne Roseanne – wiederbelebt. weiteren Nachwuchs. Um sich über Wasser halten zu können, arbeitete die dreifache Mutter als Schaufenster-Dekorateurin und Kellnerin, am Anfang ihrer in den 1980er Jahren beginnenden Karriere als StandupIV. Immer noch sehenswert? Komikerin zwischen den Auftritten sogar als Prostituierte, die ihren Körper auf Parkplätzen anbot – dank dieser Erfahrungen tritt sie bis Ja, ist noch sehenswert. Sogar in der deutschen Fassung, deren heute für die Legalisierung von Sexarbeit ein. Ihrer Meinung nach Abmischung wie zu dieser Zeit üblich zu wünschen lässt, sich hatte sie jederzeit Kontrolle und findet weiterhin, dass man eine starke inhaltlich dafür aber keine allzu großen Verfälschungen leistet. Der und intelligente Frau für eine Tätigkeit dieser Art sein muss und dass Knackpunk ist aber: Auch wenn die Serie durch ihren herrlich trockenes sich letztendlich nur um ein Geschäft handelt, eine weitere Weise, galligen Humor besticht, die Charaktere sympathisch und zugänglich um Geld zu verdienen. und viele Geschichten eben aufgrund der realistischen Ader nachvollziehbar Dazu kann man stehen, wie man will, sind: „Roseanne" nutzt sich schnell ab, der Punkt ist: Roseanne hatte Glück und schneller als „Eine schrecklich nette wurde dank ihres komischen Talents zu Familie". Das liegt zum einen an der einer bekannten, preisgekrönten und Hauptdarstellerin, die sich zugleich als wohlhabenden Entertainerin, die sich Segen wie als Fluch erweist: Während in ihrer bis 1997 andauernden Serie oft die Bundys Teamplayer sind und selbst nicht nur als Darstellerin, sondern ebender Hund mal in den Mittelpunkt so als Produzentin, Regisseurin und 20 Jahre später: Das Comeback gerückt wird, steht Barr wirklich völlig Drehbuchautorin einbrachte. In letzterer Funktion verarbeitete sie viele im Mittelpunkt, die Macher hätten gut daran getan, den anderen, die ihrer eigenen Erfahrungen. Die starke Beteiligung Barrs macht sich oftmals zu reinen Stichwortgebern degradiert werden, ebenso mal vor allem in der extremen Fokussierung auf ihre Person bemerkbar. So einen Platz im Rampenlicht zu gönnen. Zudem geht der Show ungefähr taucht man tief in ihre Welt ein, es gibt nur verhältnismäßig wenige ab der fünften Season langsam, aber sicher der Saft aus, was sich in Szenen, in denen die Hauptdarstellerin nicht zu sehen ist. redundanten Plotentwicklungen bemerkbar macht, zudem werden permanent neue, selten wirklich interessante Figuren eingeführt. Spätestens mit der letzten Season, in der die Connors unverhofft zu Reichtum III. … und sonst noch? kommen, implodiert die Sendung regelrecht, mit der neuen Situation wussten die Autoren absolut gar nichts anzufangen, es wundert nicht, Der große Erfolg blieb allerdings vor allem auf den Fernsehschirm dass danach Schluss war. Dennoch: „Roseanne" war ein Meilenstein, und beschränkt, im Kino landete die Mimin – als Gegenspielerin von zumindest mit der ersten Hälfte macht man nichts verkehrt. Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada" (1989) – lediglich eine GoodTimes
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n e h c s s i b n i e h c i m h c i e b a h o „S “ n e g n u s e g n e t i durch die Z e Der Titel von Frank Zanders neuer CD URGESTEIN trifft den Nagel auf den Kopf: Der 77-jährige Berliner ist als Entertainer ein eben solches, genießt als Sänger ["Ja, wenn wir alle Englein wären", "Jeanny (Die reine Wahrheit)", "Hier kommt Kurt" oder die Hertha-BSC-Hymne "Nur nach Hause (geh’n wir nicht)"] wie als Moderator von TV-Shows wie "Plattenküche", "Bananas", "Vorsicht Musik" oder der "Kinderhitparade" seit langem KultStatus. Ähnliches gilt für sein Weihnachtsessen für Obdachlose, zu dem er in Berlin im Dezember zum 25. Mal einlädt.
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Frank Zander
Du hast dir die Songs quasi auf die Stimmbänder schreiben lassen?
Richtig. Denn manche Sachen kann ich eben nicht singen, und manche Sachen kommen mir entgegen. Meine Stimme ist ja nun wirklich begrenzt, die ist kaputt. Die Rod-Stewart-ähnlichen Töne schaffe ich, aber manchmal ist sie weg. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht zu viel Bier getrunken (lacht).
Das Album ist über weite Strecken eher nachdenklich ...
Du oder Sie?
„Du" ist besser, denn das geht schneller. Da ist die Verbindung auch ein bisschen enger.
Wie geht es dir gesundheitlich?
Das ist alles wieder gut, die neue Hüfte funktioniert. Ich mache eine Menge Übungen und laufe wieder wie ein junger Gott. Alles andere liegt hinter mir, Freude und Eierkuchen.
Ich habe ja nun alles mitgemacht und bin durch die Obdachlosenfeier ein bisschen nachdenklicher geworden, was so läuft. Ich sehe eine Menge Idioten, die die Führung oder die Zügel übernommen haben. Als Wassermann mache ich mir meine eigenen Gedanken, und das scheint durch. Wir sind wirklich manchmal Idioten und denken nicht daran, dass Mutter Natur uns irgendwann mal eine Riesenschelle gibt – und das macht sie auch! Leider.
Du hast wieder zwei Coverversionen – warum gerade "Come On Eileen" und "Milk And Alcohol" von Dr. Feelgood?
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"Blut und Alkohol" habe ich ja vor 30 Jahren gemacht – davon hatte ich kein Aufnahmeband mehr, nur noch eine ungespielte Schallplatte. Die hat mein Sohn genommen und in unserem Studio Du hattest auch Prostata-Probleme? ein bisschen aufbereitet. Dann habe ich den Anfang noch ein Ja, das auch, und alles in den letzten zwei Jahren. Wenn man das bisschen verrückt gemacht, und schon ist das Dr. Feelgood, eine alles genau erklärt, wie es ist, dann ist es auch leichter, als wenn man Losgeh-Nummer, richtig veres wegschummelt. Die Gloomys in Timmendorf rückt, aus der Sicht eines Der erste Song auf URGESTEIN, das Titelstück, klingt (Frank Zander 2. v.r.) Vampirs: "Tanze Eileen" von sehr autobiografisch – eine gesungene Autobiografie? Dexys Midnight Runners war So was Ähnliches, ja. die Idee meines Sohnes: Das Fast ein Vermächtnis ... hat noch keiner gemacht, Da ich ja langsam Kult bin – Kult muss man sich meinte er. Wir haben ein erarbeiten. Wenn man anfängt in einer Band, ist bisschen Banjo und Fiddle man nicht Kult, aber irgendwann hieß es in Berlin, dazu gemacht und dann auf „Franky, unser Kult-Sänger", oder auch manchdie Freigabe aus London mal „Urgestein", eingestanzt in den Annalen gewartet, was sich lange hinvon Berlin durch alle möglichen Dinge wie die zog. Die sagten: Wir haben Obdachlosenfeier, die Hertha-Hymne – also es 1000 Anfragen, die wollen sind so viele Dinge, dass man Urgestein sagen alle Dance-Sachen daraus kann, und das ist doch ein guter Titel! Seite
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machen, haben wir alles abgelehnt – Sie haben das sehr ordentlich gemacht, das gefällt uns, Sie kriegen die Freigabe.
Was hatte es mit diesen persönlichen Geburtstags-Singles auf sich, die du in den 90er Jahren gemacht hast?
Die ursprüngliche Idee kam aus Holland – ein Geburtstags-Song für alle. In Holland hat man nur den Namen vorneweg gesagt, „Für Ja, eine Skiffle-Group – ich habe sogar noch Fotos gefunden, ohne Bart. Wir sind ein bisschen Frank Zander mit der Gloomy Moon Skifflegroup in der Schaubude" Ingrid" und dann irgendwas gesungen. Wir " haben uns dann die Mühe gemacht, den getingelt, anschließend habe Namen in den Song zu singen, sehr anstrenich in der Band von Christian gend. Ich habe fast 8000 Namen gesungen, Gitarre gespielt, Anders meine Fresse! Das ebbt aber langsam ab. Ich aber ohne genannt zu werhabe es 15 Jahre weitergemacht, bis jetzt, den. Da war ich noch Mister aber die Namen wurden immer merkwürUnbekannt. Dann kamen hier diger. Jetzt werden noch die verkauft, die in Berlin die ersten Songs, auf Halde liegen. mit Gunter Gabriel, der damals auch Bobby Ford hieß, habe Damals hat es sich auch gelohnt? ich "Ich bin der Nick Nack Absolut, das hat sich wirklich gelohnt! Es Man" gestrickt, das war schon gab da eine Werbung, ich glaube auf Sat1, der tiefe Humor. Das wurde und dann ging das Ding durch die Decke. heiß geliebt im Norden und Was machst du heute noch live? war schon ein bisschen kulLive oft mit der Gitarre "Ich trink auf dein tig, denn meine Stimme war Wohl, Marie", oder ich singe viele Dinge an, kaputt durch die Tingelei, und dass die merken, dass ich das auch singe, und dann fing ich an, solche tiefen Geschichten zu erzählen. Danach kam dann kommt das Playback. "Nur nach Hause geh'n wir nicht" – das "Ich trink auf dein Wohl, Marie", woraufhin die Sender auf mich ist „I’m Sailing" – singe ich live und ein paar Sachen mit der Gitarre, zukamen, und dann kam die Kult-Sendung „Die Plattenküche". Das wie ich Lust habe und wie meine Stimme hält. Mit Band wäre das ein Schlimme ist: Wer lebt denn da noch? Zwei Go-Gos gibt's noch, Riesenaufwand. Ab und zu mache ich es unplugged im Rahmen einer Helga Feddersen ist gestorben – ich bin der letzte Übriggebliebene. Art Talkshow mit einer Leinwand dahinter, wo ich Fragen beantworte, Du hast mehr solche Sendungen gemacht, Bananas", Kinderhitparade", Videos einspiele, und dann nehme ich die Gitarre und singe einiges, " " alleine. Das kann ich noch, und die Leute freuen sich. "Vorsicht Musik" ... Genau, unheimlich viel, das waren wirklich sehr bunte und verschroFrank Zander 1990, als er mit "Hier kommt Kurt" en vogue war bene Sendungen. Aber gut, dass ich sie gemacht habe, dann konnte man mir nicht erzählen: „Herr Zander, Sie müssen das so machen." Ich sagte: „Ich weiß schon, was ich zu machen habe, und es ist mein Gesicht vor der Kamera und nicht Ihr Gesicht!" Das kann ich mir schon mal erlauben, wenn ich merke, das ist alles schräg, was die von mir wollen. © Pressefoto
Deine musikalischen Anfänge waren in Berlin bei den Gloomy Moon Singers?
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Das hat man an mich herangetragen. "Ja, wenn wir alle Englein wären" war aus der Laune heraus. Dieser Ententanz war ein einfaches Instrumental mit Frank Zander und Helga Feddersen zwei Harmonien – da in der "Plattenküche" waren unsere Hamster ja schon am Leben, den Geburtstagssong mit Hugo Egon Balder, "Alles Gute zum Geburtstag", hatten wir ja schon gemacht – und ich hatte damit einen Riesenerfolg, fast schon erschreckend – plötzlich sangen die in jedem Hotel "Ja, wenn wir alle Englein wären". Wir haben die Hamsterstimmen, diese Mickey-Maus-Stimmen, so hergestellt, dass wir das Band langsamer laufen ließen bei der Aufnahme, drauf gesungen und es dann normal abgespielt haben – dann gibt es eben die Mickey Maus. Bei "Jeanny" war die Firma von Falco zunächst nicht so begeistert (lacht), aber ich habe das einfach gemacht. Und dann kam noch "Da da da" als Babystimme – so habe ich mich ein bisschen durch die Zeiten gesungen. Ein paar Sachen nachgesungen, ein paar selbst gemacht – "Der Urenkel von Frankenstein" war mein Song, "Kurt" war auch wieder unser Ding. Mit "Hier kommt Kurt" habe ich wieder viele, viele Türen geöffnet – in Österreich und Bayern wurde er geliebt. GoodTimes
Foto: © NikMa Verlag
Anfang der 80er Jahre hast du deine Cover-Persiflagen gemacht, "Ja, wenn wir alle Englein wären", "Da da da" – wie ist das entstanden? In einer bierseligen Laune?
Das Obdachlosenessen findet in diesem Jahr zum 25. Mal statt – wie kam’s dazu?
Das ist auch wieder so eine Kult-Geschichte in Berlin. Die macht uns stolz und die trägt. Ich habe schon so viele Songs und so viele Dinge gemacht, aber diese Obdachlosenfeier gibt es jedes Jahr neu, wir haben ja so viele arme Leute. Vor 25 Jahren war das eigentlich die Idee einer Plattenfirma, das so ähnlich zu machen wie Bruce Springsteen, bei der Veröffentlichung einer neuen CD oder Schallplatte Menschen einzuladen. Aber das hat dann nicht funktioniert, weil die Presse sauer war und fragte: „Wie, auf dem Rücken der Armen eine neue CD rausbringen?" Dann haben wir gesagt: „War nur eine Idee, lassen wir." Wir haben keine Werbung gemacht, hatten die Menschen aber schon eingeladen, und die kamen dann auch. Da haben wir zum ersten Mal gesehen, was wir so losgetreten hatten: Es kamen drei, vier Busse mit den Herrschaften, es hat unheimlich geschneit, und die kamen rübergeschlurft mit Hunden und mit Tüten. Da merkte ich, das können wir nicht mehr loslassen. So hat sich das dann entwickelt, jetzt sind es 3000, und mehr geht nicht. Ich bin an der Tür und begrüße erst mal 1500, und danach bin ich vollkommen fertig, weil mich das sehr mitnimmt, die Menschen in den Rollstühlen und Muttchens – und die strahlen natürlich danach. Das ist so ein bisschen unser Weihnachtsfest. Das geht schon sehr an die Nieren, und das ist das, was uns, meine Familie und mich, ein bisschen weiser macht. Wir wissen, was Armut bedeutet. Philipp Roser 1/2020
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Das Jahr 1989
Von Matthias Bergert & Michael Fuchs-Gamböck
Mauerfall in Berlin, Massaker in Peking und der Siegeszug des King Of Pop" "
Der 4. September 1989 ist der Anfang vom Ende der Deutschen Demokratischen Republik. Es ist der Tag, an dem in Leipzig die erste der sogenannten Montagsdemonstrationen stattfindet. Zehntausende demonstrieren friedlich für mehr Demokratie und das Ende der DDR. Nur gut zwei Monate später ist es soweit: Die Mauer, die Ost- und West-Berlin trennt, fällt zumindest sinnbildlich, die innerdeutschen Grenzen sind ab dem 9. November geöffnet. Von einer derartigen Freiheit in einem kommunistischen Land kann in China nur geträumt werden. Ausgerechnet auf dem Platz des Himmlischen Friedens" " wird am 4. Juni in Peking ein friedlicher Volksaufstand mit äußerster Polizeigewalt niedergemetzelt. Generell kriselt es in den sozialistischen Staaten, allerorten gibt es Umwälzungen,
Zeitgeschehen
George Bush wird am 20.1. als 41. Präsident der USA in sein Amt eingeführt. Er wird Nachfolger von Ronald Reagan. *** In Paraguay wird am 3.2. der Diktator Alfredo Stroessner abgesetzt, der seit 1954 an der Macht war. Bis zu seinem Tod im Jahr 2006 lebt er im Exil in Brasilien. *** Irans Revolutionsführer Ajatollah Chomeini ruft am 14.2. zur Tötung des Schriftstellers Salman Rushdie auf. Dieser habe mit seinem Roman „Die satanischen Verse" den Islam, den Propheten Mohammed und den Koran herabgewürdigt. *** Am 15.2. endet der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. *** Zwei Tage später, am 17.2., wird in Marrakesch die Union des Arabischen Maghreb gegründet. Mitgliedsländer sind Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien. *** Bei den österreichischen Landtagswahlen in Kärnten, Tirol und Salzburg wird die rechtsgerichtete FPÖ unter Jörg Haider am 12.3. zur zweit- bzw. drittstärksten Partei gewählt. *** Auch in Deutschland zeigt sich am 12.3. die Popularität rechter Parteien: Bei der Kommunalwahl in Hessen erhalten die NPD und die Republikaner deutlich mehr Stimmen, während CDU und FDP hohe Verluste einfahren. *** Am 26.3. dürfen die Sowjetbürger ihre Vertreter im Volksdeputiertenkongress erstmals frei wählen. *** Am 9.4. wird vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis eine friedliche anti-sowjetische Demonstration blutig niedergeschlagen. *** Nach den DDRKommunalwahlen vom 7.5. finden Oppositionelle heraus, dass die Wahlen manipuliert waren. *** Slobodan Milošević wird am 9.5. serbischer Staatspräsident. *** Richard von Weizsäcker wird am 23.5. Seite
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überall weht der Geist von Perestroika" und Glasnost", also " " von mehr Freiheit, wie ihn der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow propagiert, ob in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Bulgarien oder Rumänien. Die USA vertrauen hingegen auf einen Hardliner als Präsidenten, George Bush Senior wird am 20. Januar ins Amt eingeführt und setzt eher auf Kalten Krieg statt auf Entspannung. Und kulturell gesehen? Ein Autistenfilm namens Rain Man" räumt gleich vier Oscars " ab, Dustin Hoffman darf die begehrte Trophäe als „Bester männlicher Hauptdarsteller" in Empfang nehmen. Und zudem wäre da noch der Moonwalk"-Pionier Michael Jackson, der " sich endlich ganz offiziell King Of Pop" nennen darf. Er wird " diesen Titel bis zu seinem Tod nicht mehr hergeben.
von der Bundesversammlung erneut zum Bundespräsidenten gewählt. *** Im Iran stirbt am 3.6. Ajatollah Chomeini. Drei Tage später steht sein Nachfolger fest: Ajatollah Ali Chamene’i. *** Am 4.6. kommt es auf dem Platz des Himmlischen Friedens" " in Peking zur gewaltsamen Niederschlagung eines Volksaufstands. *** Am 18.6. erhalten die rechtsradikalen Republikaner bei der Europawahl 7,1 Prozent der deutschen Wählerstimmen und dürfen sechs Abgeordnete ins Europaparlament schicken. *** Tags darauf, am 19.6., verübt die IRA einen Anschlag auf die Quebec-Kaserne in Osnabrück. Richard von Weizsäcker Es gibt allerdings keine Toten. *** Carlos Menem wird am 9.7. zum neuen argentinischen Präsidenten gewählt. *** Österreich beantragt am 17.7. die Aufnahme in die EG. Der (EU-) Beitritt erfolgt erst 1995. *** Mit nur einer Stimme Mehrheit wird am 19.7. der bisherige Staatsratsvorsitzende Wojciech Jaruzelski zum polnischen Präsidenten gewählt. *** In Leipzig findet am 4.9. die erste Montagsdemonstration statt. In den folgenden Wochen nehmen daran regelmäßig mehrere zehntausend Menschen teil. *** Am 11.9. öffnet Ungarn die Grenze nach Österreich, wobei DDR-Bürger in den Westen fliehen. *** Am 7.10. wird der 40. Jahrestag der DDR gefeiert. Allerdings kommt es dabei auch zu Demonstrationen. *** Elf Tage später, am 18.10., tritt Erich Honecker als Vorsitzender des Staatsrats der DDR und als SED-Generalsekretär zurück. An seine Stelle tritt Egon Krenz. *** Am 23.10. wird die Volksrepublik Ungarn aus-
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gerufen. *** Ab dem 25.10. dürfen die kommunistischen Bruderstaaten der Sowjetunion unabhängig von Moskau über ihren politischen Weg entscheiden ( Sinatra-Doktrin" bzw. „I did it my way"). *** Die DDR " erlaubt ihren Bürgern am 3.11. die Ausreise aus der ČSSR in die BRD. *** Am 9.11. gibt es kein Halten mehr: Die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze werden geöffnet. Neun Tage später wählt die Volkskammer eine neue DDR-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow (SED). *** In Bulgarien wird am 10.11. der Staats- und Parteichef Todor Schiwkow gestürzt. *** Die UN verabschiedet am 20.11. die Kinderrechtskonvention. *** In der ČSSR brechen am 27.11. Generalstreiks aus, da die Menschen mit der Politik von Ministerpräsident Ladislav Adamec unzufrieden sind. Kurz darauf tritt er zurück. *** Am 27.11. verkündet Egon Krenz Bundeskanzler Helmut Kohl sein deutschlandpolitisches 10-Punkte-Programm". Darin steht, dass in maximal zehn " Jahren eine Wiedervereinigung erfolgen soll. *** Alfred Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, kommt am 30.11. bei einem Bombenattentat ums Leben. Die Täter werden nie gefunden. *** Generalsekretär Egon Krenz, das Politbüro und das ZK der SED treten am 3.12. zurück. *** In Chile endet am 14.12. die Diktatur von General Augusto Pinochet. Neuer Präsident wird Patricio Aylwin. *** Am 20.12. verabschiedet die SPD das Berliner Programm". Dieses " wird erst 2007 vom „Hamburger Programm" abgelöst. *** Ebenfalls am 20.12. marschieren US-Truppen in Panama ein, um den Regierungschef Manuel Noriega wegen seiner Beteiligung an Drogenexporten in die USA festzunehmen. Noriega flieht, stellt sich aber im Januar 1990. *** In Rumänien werden am 25.12. der Diktator Nicolae Ceauşescu und seine Frau hingerichtet. *** Kurz vor Jahresende, am 29.12., wird der Schriftsteller Václav Havel zum Präsidenten der ČSSR gewählt.
Sport
Der deutsche Springreiter Wolfgang Brinkmann wird am 10.1. vom Verband Deutscher Sportjournalisten mit der Fair Play"-Medaille " ausgezeichnet. Er hatte bei den Olympischen Spielen 1988 im südkoreanischen Seoul nach seiner Goldmedaille mit der Mannschaft auf einen Start in der Einzelwertung verzichtet. Damit hatte er den Weg für seinen Kollegen Karsten Huck freigemacht, der prompt Bronze gewann. *** Am 13.1. gewinnt der Finne Ari Vatanen überraschend die legendäre Wüsten-Rallye Paris-Dakar. Der haushohe Favorit – der Belgier Jackie Ickx –, der ebenfalls für Peugeot startet, wird lediglich Zweiter. *** Brasilien bezwingt am 15.1. im holländischen Rotterdam die Gastgeber mit 2:1 – und wird damit Sieger der ersten offiziellen Hallenfußball-WM. *** Beim Stuttgarter Sechstagerennen am 18.1. gibt der Frankfurter Radrennfahrer Dietrich Didi" " Thurau (er ist zweimaliger Vizeweltmeister und hat bei der Tour de France 1977 das Gelbe Trikot des Spitzenreiters 15 Tage lang getragen) mit 35 Jahren seinen Abschied vom Didi Thurau Leistungssport bekannt. *** Zum ersten Mal seit 35 Jahren gewinnt mit der Mannheimerin Claudia Leistner wieder eine bundesdeutsche Läuferin die Europameisterschaft im Eiskunstlauf. Veranstaltungsort an jenem 21.1. ist das englische Birmingham. *** Der 35-jährige Hamburger Peter-Michael Kolbe, mit fünf Weltmeistertiteln sowie drei olympischen Silbermedaillen im Einer der bis heute erfolgreichste deutsche Rennruderer, erklärt am 25.1. seinen Rückzug aus dem aktiven Sport. *** Der deutsche Boxweltmeister Graciano Rocky" Rocchigiani verteidigt zwei Tage später in " seiner Heimatstadt (West-)Berlin den Titel im Supermittelgewicht mit einem Punktsieg über den Südafrikaner Thulani Malinga. *** Tennisspielerin Steffi Graf aus Brühl ist erst 19, als sie am 29.1. wie bereits im Vorjahr die „Australian Open" in Melbourne gewinnt. *** Am 6.2. holt der 21-jährige Oberstdorfer Hans-Jörg Tauscher bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften in Vail (US-Bundesstaat Colorado) die Goldmedaille in der Abfahrt. Seit 1939 ist es der erste WM-Titel eines Deutschen in dieser Disziplin. *** Was haben Präservative mit Fußball zu tun? Bei diesem Rechtsstreit eine ganze Menge: Die Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main stellt am 7.2. fest, dass Kondome GoodTimes
auf Trikots nicht „gegen die guten Sitten" verstoßen. Damit dürfen die Spieler vom FC Homburg weiter Gummis auf dem Platz zur Schau stellen, der Antragsteller Deutscher Fußball-Bund (DFB) schaut in die Röhre. *** Erstmals seit 1984 wird mit dem oberbayerischen Athleten Georg Schorsch" Hackl am 10.2. wieder ein bundesdeutscher Rennrodler " Weltmeister. *** Der 22-jährige US-Amerikaner Mike Tyson verteidigt am 25.2. in Las Vegas seinen Titel als Schwergewichts-Boxweltmeister aller Weltverbände mit einem K.o.-Sieg in der fünften Runde gegen den Briten Frank Bruno. *** Charlie Francis, der Trainer des kanadischen Jahrhundert-Sprinters Ben Johnson, erklärt am 1.3. vor Gericht in Toronto, dass der Athlet Doping betreibe und seit 1981 (als er 19 war) unerlaubte leistungsfördernde Antibiotika eingenommen habe. *** Die Partie Hamburger SV gegen Hannover 96 am 4.3. ist das 553. Bundesliga-Spiel des HSV-Kickers Manfred Kaltz. Damit wird er neuer Rekordhalter. Das Match endet mit 4:1 für Kaltz’ Team. *** Mit einer Abschiedsveranstaltung im Ort Sälen in seinem Heimatland Schweden beendet der Star-Skiläufer Ingemar Stenmark am 8.4. seine sportliche Karriere. Er ist 33 Jahre alt. *** Das Exekutivkomitee der Europäischen Fußballunion (Uefa) beschließt am 11.4., in der Saison 1990/91 die englischen Fußballklubs zu den europäischen Wettbewerben wieder zuzulassen. Nach der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion am 29. Mai 1985 war England ausgeschlossen worden: Während des Europacup-Finales zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool waren 39 Menschen ums Leben gekommen, die meisten wurden gegen Stadionmauern gedrückt oder totgetrampelt. *** Nur vier Tage nach diesem Beschluss passiert eine weitere Tragödie, in welche der FC Liverpool involviert ist. Beim FA-Cup-Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool (15.4.) bricht im Hillsborough-Stadion in Sheffield eine Panik aus. Bei der Hillsborough-Katastrophe sterben 96 Menschen, 730 werden verletzt. *** Sensation in Wimbledon: Am 9.7. gewinnen gleich zwei deutsche Tennisspieler das älteste und prestigeträchtigste Turnier der Welt. Bei den Damen hat die 20-jährige Steffi Graf die Nase vorn, bei den Herren der zwei Jahre ältere Boris Becker. Beide S. Graf & B. Becker Ausnahmesportler werden am 2.12. – ebenso wie der Ruder-Achter – als bundesdeutsche „Sportler des Jahres" ausgezeichnet. *** Zum siebten Mal wird der bereits 76-jährige Willi Daume in Frankfurt am Main am 18.11. zum Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) gekürt. Daume hatte das Amt seit 1961 inne.
Funk & Fernsehen
Am Neujahrstag werden auf dem Privat-TV-Sender Pro Sieben erstmals die Pro Sieben Nachrichten" ausgestrahlt. Sie laufen zunächst " 15 Minuten lang täglich ab 20 Uhr, vom 15.1.1996 an halbstündig ab 19:30 Uhr, dann immer wieder in anderen Längen und zu anderen Zeiten, ehe die Sendung Ende 2004 ein neues Konzept samt neuem Namen bekommt: „Newstime". *** Kein schöner Land" nennt sich " eine neue ARD-Reihe, im Untertitel werden „Lieder, Landschaften, Musikanten" versprochen. Ab dem 12.1. stellt Kammersänger Günter Wewel bis ins Jahr 2003 je eine Region in Deutschland vor, ergänzend die dafür typische Musik vom Volkslied bis hin zu populärer Klassik. *** Der überaus beliebte deutsche Journalist und TV-Moderator Robert Lembke, vor allem durch das Rate-Quiz „Was bin ich?" bekannt geworden, stirbt am 14.1. in seiner Heimatstadt München, wo er am 17.9.1913 geboren worden war. *** Von der Bremer Bürgerschaft wird am 3.2. ein Landesmediengesetz verabschiedet, das private Rundfunksender erlaubt. *** ARD und ZDF sichern sich am 8.2. durch einen von 1991 bis Ende 1994 befris teten Vertrag mit dem Deutschen Tennisbund die Senderechte für die wichtigsten deutschen Tennisturniere. Diese werden bis Ende 1990 noch aufgrund eines Globalvertrags mit dem Deutschen Sportbund ausgestrahlt. *** Als am 11.4. die erste Folge der Vorabendserie Forsthaus Falkenau" ausgestrahlt wird, ahnt " niemand, dass die Geschichten um den Revierförster Martin Rombach (Christian Wolff) auf 24 Staffeln mit 321 Folgen kommen würden. 1/2020
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Bis 2013 hat die Serie einen festen Platz im Vorabendprogramm. *** Am 19.6. startet in der ARD eine ungewöhnliche Sendung, die trotz ihres anarchischen Charakters erst 1991 (nach 34 Folgen) eingestellt wird. Sie heißt Hurra Deutschland" und ist eine viertelstündige " wöchentliche Comedy-Show, in der das aktuelle Geschehen in Politik und Gesellschaft aufs Korn genommen wird. In den Hauptrollen: Helmut Kohl, Heiner Geißler und andere damalige Spitzenpolitiker sowie Entertainer wie Alfred Biolek oder Thomas Gottschalk, die durch die Bank als Gummipuppen auftreten. Mal bissiger, mal zahnloser Humor. *** Ab dem 28.9. begrüßt ARD-Moderator Jürgen von der Lippe insgesamt 90 Mal (bis 2001) je drei weibliche und drei männliche Singles, die außergewöhnlichen Hobbys nachgehen. Geld oder Liebe" nennt sich die launige " Show, bei der sich im Laufe des Abends zeigt, welche Dame zu welchem Herrn am besten passt. Am Schluss können die Zuschauer per Telefon ihr Traumpaar wählen. Und die Kandidaten entscheiden zu guter Letzt: Geld oder Liebe? *** Vor allem die Kleinsten unter den TV-Zuschauern lieben ihn sehr, den tollpatschigen, dicklichen und stets freundlich plaudernden Elefanten Benjamin Blümchen. Die Zeichentrickfigur ist der einzige sprechende Dickhäuter im Neustädter Zoo. Ab dem 1.10. und bis 1991 rettet der Super-Sympath im ZDF den ständig klammen Tierpark vor dem finanziellen Aus. *** Es läuft ein wenig schleppend an mit der Serie Zwei Münchner in Hamburg", " die im ZDF ab dem 3.10. zur besten Abendzeit über die Mattscheibe flimmert. Das Fernsehvolk jenseits des Weißwurstäquators muss sich erst mal an die bayerischen Protagonisten Uschi Glas und Elmar Wepper mit ihrem charmanten Münchner Slang gewöhnen. Aber bald funktioniert sie doch, die (Liebes-) Geschichte der Bajuwaren in der kühlen Uschi Glas & Elmar Wepper Hansestadt, und bleibt uns bis 1993 erhalten. *** Seit dem 9.10. und bis heute existiert, mit wechselnden Moderatorinnen und Moderatoren, das Mittagsmagazin", das eine Woche von der ARD und in der " folgenden Woche vom ZDF immer Montag bis Freitag ab 13 Uhr ausgestrahlt wird. Bei dem einstündigen Magazin gibt es einen aktuellen Mix aus politischen und wirtschaftlichen Nachrichten, Sport und bunten Themen. *** Die regelmäßig am Montagabend ausgestrahlte Sendung des DDR-Fernsehens Der Schwarze Kanal" von und mit " dem stramm auf SED-Linie liegenden Kommentator Karl-Eduard von Schnitzler wird am 30.10. nach exakt 1519 Folgen eingestellt. Fast 30 Jahre lang war sie im Programm, Pflichttermin für überzeugte DDRAnhänger.
Film
Bei den westdeutschen Filmproduktionen gibt es 1989 einige erstklassige Streifen mit Langzeitwirkung. Dazu zählen Klaus Maria Brandauers mehrfach prämiertes Regiedebüt „Georg Elser – Einer aus Deutschland", bei dem der österreichische Charakterdarsteller auch die Hauptrolle übernimmt. Ebenfalls beeindruckend ist Uli Edels Drama „Letzte Ausfahrt Brooklyn", das 1990 den Deutschen Filmpreis als „Bester Film" erhält. Unbedingt erwähnt werden muss auch Bernhard Wickis Drama „Das Spinnennetz", eine Adaption von Joseph Roths gleichnamigem Fortsetzungsroman. *** Von den DefaProduktionen sind Frank Beyers Krimikomödie „Der Bruch" (mit Götz George) und Heiner Carows Drama „Coming Out" (mit Matthias Freihof) besonders erwähnenswert – „Coming Out" ist übrigens der einzige DDR-Spielfilm mit zentral homosexueller Thematik. Viel Kritikerlob erhält auch Michael Gwisdeks Regiedebüt „Treffen in Travers" (ein Beitrag zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution). An junge Kinogänger wendet sich dagegen Hannelore Unterbergs Märchenfilm „Verflixtes Missgeschick!". *** Die 62. Oscar-Verleihung findet am 29.3. im Shrine Civic Auditorium in Los Angeles statt. Vier Trophäen gibt es für das Autismus-Drama „Rain Man" (Bester Film; Bester Regisseur: Barry Levinson; Bester Hauptdarsteller: Dustin Hoffman; Bestes Drehbuch). Je drei Preise Seite
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erhalten Stephen Frears’ Romanverfilmung „Gefährliche Liebschaften" und Robert Zemeckis’ Mischfilm „Falsches Spiel mit Roger Rabbit". Nur einen Oscar gibt es für den spannenden Ku-Klux-Klan-Streifen „Mississippi Burning – Wurzeln des Hasses" (sieben Nominierungen) und die launige Komödie „Die Waffen der Frauen" (sechs Nominierungen); Michael Apteds Film „Gorillas im Nebel" (fünf Nominierungen) geht sogar ganz leer aus. Als „Beste Schauspielerin" Die Waffen der Frauen" " wird Jodie Foster ausgezeichnet: für ihre beeindruckende Leistung im Vergewaltigungsdrama „Angeklagt". Der Preis für den „Besten fremdsprachigen Film" geht an „Pelle, der Eroberer" (Regie: Bille August). *** Auch die 42. Internationalen Filmfestspiele von Cannes (11.5.–23.5.) sind ein Highlight des Filmjahres 1989. Als Jurypräsident fungiert der deutsche Regisseur Wim Wenders. Die Goldene Palme geht an Steven Soderberghs Drama „Sex, Lügen und Video", während „Cinema Paradiso" und „Zu schön für dich" mit dem „Großen Preis der Jury" ausgezeichnet werden. Als beste Hauptdarsteller erhalten James Spader („Sex, Lügen und Video") sowie Meryl Streep („Ein Schrei in der Dunkelheit") einen Preis, während der Regisseur Emir Kusturica für „Time Of The Gypsies" geehrt wird. *** Bei der 39. Berlinale (10.2.–21.2.) wird „Rain Man" mit dem Goldenen Bär ausgezeichnet – Hauptdarsteller Dustin Hoffman erhält außerdem einen Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Den Silbernen Bär gibt es u.a. für den chinesischen Film „Abendglocken" sowie für Isabelle Adjani („Camille Claudel") und Gene Hackman („Mississippi Burning – Wurzeln des Hasses"). Erwähnenswert ist, dass die Berlinale zu diesem Zeitpunkt das wichtigste internationale Festival für Filme aus Osteuropa ist, wobei auch solche Streifen gezeigt werden, die von den Zensurbehörden bisher verboten waren. Außerdem werden 1989 die ersten Filme gezeigt, die im Zuge von Michail Gorbatschows Perestrojka entstanden sind. *** All diese Preisverleihungen spiegeln v.a. den Geschmack der erwachsenen Kinogänger und Kino-Experten wider. Die Vorlieben der Jugendlichen kann man dagegen – zumindest in Deutschland – eher an der Verleihung der Bravo"-Ottos " ablesen. In diesem Jahr räumen Tom Cruise und Kim Basinger den Goldenen Otto ab. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen Corey Haim und Sophie Marceau bzw. die „Dirty Dancing"-Stars Patrick Swayze und Jennifer Grey. *** Abschließend noch die zehn beliebtesten Filme des Jahres 1989 in Deutschland. Hier ist eine Tendenz zu Komödien bemerkbar, doch am erfolgreichsten ist Barry Levinsons Drama „Rain Man" (6 Mio. Harry & Sally" Zuschauer). Danach folgen „Ein Fisch " namens Wanda" (3,7 Mio.), „Zurück in die Zukunft II", „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" und „Otto – Der Außerfriesische" (je 3,6 Mio.). Auf den Plätzen 6 bis 10 landen die Comic-Verfilmung „Asterix – Operation Hinkelstein" (2,6 Mio.), das Slapstick-Feuerwerk „Die nackte Kanone", der Zeichentrickfilm „In einem Land vor unserer Zeit" und die Beziehungskomödie „Harry und Sally" (je 2,5 Mio.) sowie der 16. James-Bond-Streifen „Lizenz zum Töten" (2,4 Mio.).
Musik
Am 14.1. veröffentlicht Paul McCartney das Album CHOBA B CCCP („Back In The USSR") in der UdSSR, mit Riesenerfolg. Einige geschmuggelte Aufnahmen werden für mehrere tausend Dollar pro Stück auch in den Vereinigten Staaten verkauft. *** Eine Woche später sorgt die Verurteilung der Soullegende James Brown für Aufsehen. Dieser hatte seine Gattin mit einer Waffe bedroht, nachdem er schon zuvor öfter wegen Drogenbesitzes oder Körperverletzung aktenkundig geworden war. Die Verfolgungsjagd durch zwei Bundesstaaten sorgt für ungeahnte Einschaltquoten in den TV-Medien. Im US-Staat Georgia wird Brown schließlich wegen versuchter Tötung von zwei Polizisten zu sechs Jahren Haft verurteilt. *** Am 25.1. reicht Madonna nach nur dreieinhalb Jahren Ehe die Scheidung von ihrem gewalttätigen Gatten ein, dem Schauspieler Sean Penn. *** Und noch eine Trennung: Anfang des Jahres verkündet Dieter Bohlen den Split
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von seinem Modern-Talking-Partner Thomas Anders. Laut Bohlen ist der Grund für das Zerwürfnis Anders’ damalige Frau Nora: Diese habe sich zu sehr in die internen Angelegenheiten des Duos eingemischt. *** Der Crooner Roy Orbison schafft es im Frühjahr als zweiter Künstler nach Elvis Presley, mit fünf Alben gleichzeitig die US-Billboard-Charts zu dominieren. *** Der Künstlerische Leiter der Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan, der diesen Posten seit 1955 inne hatte, legt seinen Posten am Pink Floyd 24.4. nieder. Noch im selben Jahr, am 16.7., stirbt er im Alter von 81 Jahren. Das Orchester wählt am 8.10. den Italiener Claudio Abbado zu seinem neuen Leiter. *** Am 13.4. erhält Michael Jackson offiziell den Titel „King Of Pop", nachdem er den Soul Train Music Award überreicht bekommen hatte. Fortan möchte „Jacko" weltweit in sämtlichen Medien mit diesem Titel angesprochen werden. *** The Bee Gees starten am 3.5. ihre Europa-Tournee im nordrhein-westfälischen Dortmund. *** In der Münchner Staatsoper stirbt am 29.5. der 57-jährige italienische Dirigent Giuseppe Platane während einer Aufführung der Rossini-Oper „Der Barbier von Sevilla". Er erliegt einem akuten Herzversagen. *** Anlässlich eines Gastspiels der britischen Rockgruppe Pink Floyd in Venedig kommt es am 15.7. zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Tausenden von Fans und der Polizei. Im Anschluss an das Massenkonzert tritt die Stadtregierung zurück, weil etwa 200.000 Besucher die Stadt in eine riesige Müllhalde verwandelt haben. *** Nach achtjähriger Bühnenabstinenz in den USA starten die Rolling Stones am 31.8. in Philadelphia vor 40.000 begeisterten Anhängern ihre US-Tournee. Im Vorfeld waren bereits mehr als drei Millionen Eintrittskarten verkauft worden. *** Einer der bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts stirbt am 5.11. in New York: Vladimir Horowitz. Der Weltklassekünstler war am 1.10.1903 in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, geboren worden. *** Es ist mal wieder ein bunter Stilmix im Jahr 1989, wenn man sich die nationalen Single- und Album-Charts zu Gemüte führt. Bestverkaufte Kleinrille ist David Hasselhoffs Gute-Laune-Song "Looking For Freedom”, der sich acht Wochen an der Spitze der Charts hält – und sich nach dem Fall der Mauer klammheimlich zur Hymne der deutschdeutschen Wiedervereinigung mausert. Ansonsten sind in den Top Ten wie so oft die Damen stark vertreten, etwa Robin Beck mit dem One-Hit-Wonder "First Time”, Marie Fredriksson und Roxette mit "The Look”, Madonna mit "Like A Prayer" oder Nicole Kolb (Frontfrau des Dancefloor-Projekts Mysterious Art) mit "Das Omen (Teil 1)”. Absoluter Sommer/Sonne-Kracher ist freilich Kaoma, ein Studioteam, das sich mit dem beschwingten, extrem tanzbaren "Lambada” ganze zehn Wochen auf der Pole Position hält. *** Auch Langrillen-technisch ist für ziemlich jeden Geschmack etwas dabei. Besonders auffällig sind zwei junge Singer/Songwriterinnen, die mit ihren Debüts Rang 1 bzw. 3 in den Jahrescharts entern: Tanita Tikaram und ihr ANCIENT HEART sowie Tracy Chapman mit ihrem namenlosen Erstling. Doch auch zum Schunkeln animierende Volksmusik ist an Bord, greift sich Platz 10 in der Liste: das Original Naabtal Duo mit dem bis heute unverwüstlichen "Patrona Bavariae”. Der eigentliche kommerzielle Matchwinner ist allerdings einmal mehr Phil Collins. Der Umstand, dass seine Single "Another Day In Paradise” sowie das dazugehörige Album "… BUT SERIOUSLY” erst am 4.12. in die Hitlisten einsteigen, darf nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass sich die Kleinrille dort satte zehn Wochen auf der Eins hält, die Langrille gar 17 Wochen.
Vermischtes
In der BRD muss ab dem 1.1. jedes Neufahrzeug einen Katalysator haben. *** Am 5.2. wird über den Fernsehsatelliten Astra 1 A das erste reine Nachrichtenprogramm in Europa ausgestrahlt: Sky News. *** Eine Woche später, am 12.2., wird Joachim Kardinal Meisner Erzbischof von Köln. *** Der US-Konzern Union Carbide wird am 14.2. wegen der Katastrophe von Bhopal vom Obersten Gericht Indiens zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 470 Millionen Dollar verurteilt. *** Am 18.3. wird in der Cheops-Pyramide eine 4400 Jahre alte Mumie gefunden. *** Sechs Tage später, am 24.3., GoodTimes
fährt der Erdöltanker Exxon Valdez vor Alaska auf ein Riff auf und verursacht eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Seefahrt. *** Am 27.3. geht die russische Marssonde Phobos 2 verloren, angeblich infolge eines Computerdefekts. *** In Wien kommt es am 7.4. zu einer spektakulären Verhaftung: Vier Stationshilfen des Krankenhauses Lainz werden festgenommen, weil sie zwischen 1983 und 1989 eine größere Anzahl von Patienten getötet haben. Die Täterinnen erlangen als Todesengel von Lainz" traurige " Berühmtheit. *** Am 21.4. kommt in Japan die Handheld-Konsole Game Boy auf den Markt und erobert bald darauf die ganze Welt. *** Am 5.6. wird der Kommunikationssatellit DFS-Kopernikus 1 in eine geostationäre Position gebracht. Der Satellit wird bei der Übertragung von Telefongesprächen und Fernsehprogrammen verwendet. *** In Berlin wird am 1.7. die erste Loveparade veranstaltet. Diese ist als politische Demonstration angemeldet und steht unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen". Nur 150 Personen machen mit, doch die Besucherzahl wächst in den Folgejahren auf bis zu 1,5 Millionen, bis die Loveparade im Jahr 2010 eingestellt wird, nachdem in Duisburg 21 Teilnehmer ums Leben kamen. *** In der Münchner Studentenstadt Freimann findet am 27. und 28.7. das erste StuStaCulum statt. Zwei Bands und zwölf Theatergruppen treten auf. In den Folgejahren zieht das Festival bis zu 30.000 Besucher an. *** Am 25.8. fliegt die US-Raumsonde Voyager 2am Neptun vorbei, wobei spektakuläre Aufnahmen entstehen. *** Bei der Explosion eines französischen Flugzeugs über Niger sterben am 19.9. alle 171 Menschen an Bord (UTA-Flug 772). Auslöser war ein Bombenanschlag, der vermutlich von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi in Auftrag gegeben wurde. *** Der wegen Mordverdachts und Versicherungsbetrugs gesuchte Österreicher Udo Proksch wird am 2.10. im Flughafen Wien-Schwechat festgenommen. Zwei Jahre später kann ihm nachgewiesen werden, dass er 1977 die Versenkung des Frachters Lucona in Auftrag gegeben hatte, um 30 Millionen DM Versicherungssumme zu kassieren. *** Am 5.10. findet in der BRD zum ersten Mal der Lange Donnerstag statt. *** Das Urteil gegen die Guildford Four – drei Nordiren und eine Engländerin, die seit 1974 wegen der Verübung mehrerer Bombenanschläge im Gefängnis waren – wird am 19.10. aufgehoben, weil ihre Aussagen durch Messner & Fuchs polizeiliche Folter erzwungen worden waren. Die Geschichte der Guildford Four wird 1993 unter dem Titel „Im Namen des Vaters" verfilmt. *** Reinhold Messner und Arved Fuchs erreichen bei ihrer Antarktis-Durchquerung zu Fuß und auf Skiern am 31.12. den Südpol. *** Ebenfalls am 31.12. wird zum letzten Mal Begrüßungsgeld an DDR-Bürger gezahlt, die die BRD besuchen. *** Geburten-Mix 1989: Schlagersängerin Laura Wilde (4.1.), Moderatorin Laura Wontorra (26.2.), Sängerin Stefanie Heinzmann (10.3.), Comedian Luke Mockridge (21.3.), Fußballer Marco Reus (31.5.), Ringer Frank Stäbler (27.6.), Politiker Kevin Kühnert (1.7.), Rennfahrer Daniel Ricciardo (1.7.), Fußballer Gareth Bale (16.7.), Schauspieler Daniel Radcliffe (23.7.), Rennrodler Felix Loch (24.7.), Sänger Bill Kaulitz (1.9.), Gitarrist Tom Kaulitz (1.9.), Fußballer Thomas Müller (13.9.), Sänger Jason Derulo (21.9.), Schauspielerin Sophia Thomalla (6.10.), Motorradrennfahrer Stefan Bradl (29.11.), Sängerin Taylor Swift (13.12.). *** Verstorben 1989: Kaiser Hirohito (7.1., 87 Jahre), TV-Moderator Robert Lembke (14.1., 75 Jahre), Maler Salvador Dalí (23.1., 84 Jahre), Schauspieler Siegfried Wischnewski (24.1., 66 Jahre), Schriftsteller Thomas Bernhard (12.2., 58 Jahre), Biologe Konrad Lorenz (27.2., 85 Jahre), Schriftstellerin Daphne du Maurier (19.4., 81 Jahre), Regisseur Sergio Leone (30.4., 60 Jahre), Ajatollah Chomeini (3.6., 87 Jahre), Dirigent Herbert von Karajan (16.7., 81 Jahre), Komponist Irving Berlin (22.9., 101 Jahre), Politiker Ferdinand Marcos (28.9., 72 Jahre), Schauspielerin Bette Davis (6.10., 81 Jahre), Pianist Vladimir Horowitz (5.11., 86 Jahre), Unternehmer Max Grundig (8.12., 81 Jahre), Schriftsteller Samuel Beckett (22.12., 83 Jahre), Politiker Nicolae Ceaușescu (25.12., 71 Jahre). 1/2020
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Kino-Bösewichte | Teil 9
Von Roland Schäfli
Edward G. Robinson Edward G. Robinson: Er war der erste und nachhaltigste Gangster-Star des Tonfilms. Als er im Krimiklassiker Little " Caesar" im Kugelhagel der Polizei unterging, wusste das Publikum: So und nicht anders sieht ein Mob-Boss aus! In seinem wahren Leben jedoch kämpfte Robinson für Gerechtigkeit.
Der kleine Cäsar – einer der größten Bösewichte überhaupt
Nur das G" blieb "
Zwar würde Robinson später Variationen von Rico spielen, seine berühmteste Rolle sogar selbst auf die Schippe nehmen (wie als „Orchid, der Gangsterbruder", der geläutert aus dem Kloster zurückkehrt), aber so schnell änderte Warner Brothers seine Erfolgsformel nicht. „Manche Darsteller haben ihre Jugendlichkeit, andere besitzen Schönheit – ich habe meine Bedrohlichkeit", versuchte er einmal, die Begeisterung seines Publikums für diese Ganoven zu erklären.
Emanuel Goldenberg wurde am 12. Dezember 1893 in Bukarest geboren. Die Familie wanderte wegen zunehmenden Antisemitismus' in die USA aus. „Meine Mutter hat mich zwar in Rumänien geboren, aber der Tag meiner Geburt war an dem Tag, als ich den Fuß auf amerikanischen Boden setzte", sollte er sich später erinnern. Er studierte Schauspiel in New York und änderte 1913 seinen Namen in Robinson. Von Goldenberg behielt er nur das Initial „G": um ihn daran Zehn Jahre im Film Noir zu erinnern, wer er wirklich war. Nach zehn Jahren am Broadway folgte er dem Ruf Hollywoods, Little Caesar" – Tod Die Titel enthielten Schlagworte wie „Gangster" und „Mörder". " wo gerade der Tonfilm geboren eines Gangsterbosses Die schillernden Verbrechertypen übten während der groworden war. ßen Depression eine besondere Anziehungskraft aus: Sie lebten in Saus und Braus, scherten sich Capone ließ um kein Gesetz. Als „Amazing Dr. ihn gewähren Clitterhouse" („Das Doppelleben des Dr. Clitterhouse") mimte er „Little Caesar" basierte 1930 einen Psychiater, der Kriminelle lose auf der „Karriere" von Al analysieren will – und seelenCapone. Das Gerücht, das kriruhig dem vergifteten Bogart minelle Oberhaupt von Chicago beim Sterben zusieht. Humphrey ließe sich von Spionen berichBogart ist in mehreren Filmen ten, ob er von Robinson in Robinsons Sandsack. Erst Jahre später, einem sympathischen Licht dargestellt werde, stellte sich als wahr hernachdem Bogart ihn an der Spitze der aus. Robinson war ein ausgesprochener Pazifist, darum bereiteten ihm Kassenmag ne während der 31 Drehtage vor allem ten abgelöst Aufnahmen mit Feuerwaffen Mühe. hatte, würde er in „Key Largo" („Gangster in Die Spezialeffekte waren damals Key Largo") zur Abwechslung einmal Robinson noch nicht so raffiniert – noch immer voll Blei pumpen. schossen Scharfschützen direkt in eine Aufnahme, wenn der Aufprall einer Kugel gezeigt werden sollte. Romantisierte Gangster Für die berühmte Todesszene sollte aber eine Maschinengewehrgarbe Selbst wenn er einmal als chinesischer Rico niedermähen. Sicherheitshalber Untergrundboss oder als menschenschindenwurden in Robinsons Kleider der „Seewolf" in der Jack-London-Verfilmung (Robinson spielte in seiner eigenen „The Sea Wolf" auftrat, blieb er doch als Garderobe) Stahlplatten eingefügt, Schauspieler in den Schurkenrollen gefangen. die wichtige Körperteile vor Splittern Als er London einen Besuch abstattete, lauMehrmals Filmgegner: Robinson und Bogart schützen sollten. tete die Schlagzeile: „Al Capone kommt nach Seite
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eah, see?" So hört sich Gangster-Talk an, so plant die Unterwelt den nächsten Fischzug, die Bestechung von Polizisten oder den Brandanschlag auf einen Rivalen: Yeah, see? Der kleingewachsene Darsteller spuckt die Worte förm„ lich aus, im stakkatohaften Gassenslang, auf einer Zigarre kauend. Und wenn dieser Rico, der „kleine Cäsar", von Kugeln durchsiebt sein Leben aushaucht, dann bejammert er sich selbst: „Ist dies das Ende von Rico?" So eindrücklich war die Rolle, dass sie Edward G. Robinson zweierlei bescherte: den großen Durchbruch und die Aussicht darauf, ein Jahrzehnt lang weiter den Gangster zu spielen. Und als schließlich der echte Edward G. Robinson, der Mann hinter der Rolle, ins Visier der US-Justiz geriet, da verschwand auch Robinson hinter Rico – man nahm an, er habe seine gerechte Strafe erhalten.
Auf der Leinwand Der Seewolf" ein Raubtier des " urbanen Dschungels, lebte der gutverdienende Privatmann Robinson gediegen in Beverly Hills, am Rexford Drive 910. Schon früh wurde er gegen den Faschismus politisch aktiv. Er versuchte, den Kongress für einen Boykott gegen das Dritte Reich zu gewinnen. Eine Einstellung, die damals allerdings nicht so populär war, wie sich das heute anhören mag. Indem er 1939 einen FBIAgenten verkörperte, der gegen Nazi-Agenten kämpft, hoffte er, „dass damit Edward G. Robinson, der Staatsfeind Nummer eins, zum letzten Mal vom FBI verhaftet und exekutiert worden ist". Er konnte nicht ahnen, dass das FBI ihn selbst überwachen lassen würde, obwohl FBI-Chef J. Edgar Hoover ihn einst als Freund bezeichnet hatte.
(als einer der Ersten erkannte und förderte er Frida Kahlos Talent). Seine Scheidung nach fast 30 Ehejahren zwang ihn, einen Teil der Sammlung zu veräußern, doch zum Zeitpunkt seines Todes besaß er erneut Gemälde im Wert von zweieinhalb Millionen Dollar. Robert Wagner konnte davon berichten, wie Edward G. Robinson für ein Bild von Cézanne sein gesamtes Wohnzimmer umbaute, damit es
Steve McQueen, Edward G. Robinson 1965 in Cincinnati Kid und der Pokerkönig" "
Sieben Diebe"
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London!" Als schließlich die US-Zensurbehörde ins Leben gerufen wurde, da machte sie es zur schriftlichen Regel, dass Verbrechen sich nicht auszahlen dürften. Der romantisierte Gangster sollte der Jugend nicht als Beispiel dienen – er musste zum Filmende hin seine Taten mit dem Leben bezahlen.
zum Bild passte– was ihn nicht zufriedenstellte, weshalb er für das Gemälde ein Appartement kaufte. „Ich habe nie Gemälde gefunden", meinte er bescheiden, „sie haben mich gefunden. Ich habe die Kunstwerke nicht besessen. Sie haben mich besessen." Als Künstler kannte er den Zusammenhang zwischen Schauspielerei und Malerei: „Man beginnt mit der äußeren Erscheinung und dringt dann bis zum Kern vor."
Das letzte Hurra
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In seinen letzten Jahren feierte er weiter schauspielerische Triumphe. Wie als alternder Nach Kriegsende wurde er offen Edward G. Robinson und Raquel Welch 1966 Pokerkönig, der dem „Cincinnati Kid" Steve beschuldigt, die Kommunisten in "Die Platinbande" McQueen im Kartenduell den letzten Cent unterstützt zu haben. Während Hollywoods sogenannter Hexenjagd abnimmt. Diese Rolle habe er gut verstanden, sagte Robinson: ein musste er vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe aussagen. Mann, der jahrelang an der Spitze stand und nun entthront werden Schauspieler, die mit pro-kommunistischen Zirkeln in Verbindung sollte. Immer öfter aber musste er aus gesundheitlichen Gründen gebracht wurden, verloren ihre Arbeit. Die Warner-Brüder entließen Rollenangebote ablehnen. Er wurde für den Part des „Paten" gehanihn nach 13 Jahren aus dem Vertrag. Kein delt, den dann Brando übernahm, Studio wollte sich an ihm die Finger verbrenund auch vom Engagement im nen. Das Telefon am Rexford Drive klingelte „Planet der Affen" musste er nicht mehr. zurücktreten. 1970 wurde er mit Blasenkrebs diagnostiziert. Zwei Jahre darauf wurde die pessiComeback mit 63 mistische Dystopie „Jahr 2022 … die überleben wollen" zu seiRobinson wusste es damals noch nicht, aber nem filmischen Testament: Die seine Karriere als Hauptdarsteller war vorRegierung ernährt die stark über. Fortan würde er ins zweite Glied der gewachsene Weltbevölkerung von Charakterdarsteller treten – seine großartigs Menschenfleisch, das als „Soylent ten Rollen lagen damit noch vor ihm. Vorerst Green" in staatlichen Fabriken kehrte er zum Theater zurück. Erst als Cecil zubereitet wird. Robinsons finale B. DeMille, ein prominenter Anti-Kommunist, Szene zeigt ihn als Sterbenden den 63-Jährigen 1956 in „Die 10 Gebote" Elke Sommer, Paul Newman, Edward G. Robinson, Diane Baker im selbst gewählten Freitod: Der („The Ten Commandments") besetzte, schien 1963 in Der Preis" Mann, der das Kino prägte, sieht er in den Augen der Filmstadt geläutert. " sich einen Film von der längst vergangenen Schönheit der Erde an. Robinson setzt dem Bibelepos darstellerische Glanzlichter auf, wenn „Isn’t it beautiful?", sind seine letzten Worte. er als hintertriebener Bösewicht mit dem Goldenen Kalb die Israeliten verführt. Er war dankbar: „DeMille hat mir meine Selbstachtung Nach seinem Tod erhielt er posthum den Ehren-Oscar. Eine späte zurückgegeben." Wiedergutmachung, hatte die Academy es doch versäumt, ihn je für einen Preis zu nominieren. „Von seinen Freunden und der Industrie, Ein Mann von Welt die er liebte", war auf der Statuette eingraviert. Edward G. Robinson hatte seine Dankesrede schriftlich vorbereitet. Seine Witwe las vor: Im Gegensatz zu seinen Leinwandrollen war Robinson ein belesener „Wie viel reicher kann ein Mann sein?" Mann mit Geschmack und Kunstsammler mit goldenem Händchen GoodTimes
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Eddie Constantine
Harte Fäuste, heißes Blut und schöne Frauen Viele Weltstars sind, nachdem sie den Höhepunkt ihrer Karriere überschritten haben, in Vergessenheit geraten. Eddie Constantine hingegen ist heute noch, 25 Jahre nach seinem Tod, bei Jung und Alt gleichermaßen bekannt und beliebt. Sein Aufstieg vom Barsänger zum Leinwandidol einer ganzen Generation ist typisch für das wechselhafte Auf und Ab im Showgeschäft. Eddie hat so ziemlich alle Höhen und Tiefen durchmessen, die man in 75 Jahren erleben kann. Erfolg, Starruhm, Geld, Frauen, Autos, Häuser, Pferde und Luxus pur. Er hatte alles, und immer wieder auch besaß er mal gar nichts mehr außer seiner Melancholie.
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ddie Constantine wurde am 29. Oktober 1917 in Los Angeles, Kalifornien, als zweites von insgesamt vier Kindern geboren. Sein Vater war russischer Abstammung, seine Mutter Polin; beide waren in die USA eingewandert. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen, da der Vater als Gelegenheitsarbeiter nur wenig Geld verdiente. Das Singen gehörte zu den wenigen Gemeinsamkeiten der Familie. Eddie bekam sogar Gesangsunterricht, denn er besaß Talent, und seine Stimme gefiel. Schließlich gelang es der Familie, genügend Geld aufzutreiben, so dass der Sohn 1933 nach Wien aufs Konservatorium geschickt werden konnte, um Operngesang zu studieren. Zwei Jahre lebte Eddie in Österreichs Hauptstadt, dann kehrte er in die USA zurück. Er ging erst einmal nach New York, wohin sein Wiener Lehrer vor den Nazis geflüchtet war. Eddie wollte sich später dann aber der Schlagermusik widmen, kehrte nach Los Angeles zurück und nahm dort wieder Gesangsunterricht. Das gab seinem Leben die entscheidende Wende. Seite
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Zufällig lernte Eddie den berühmten Tarzan-Darsteller Johnny Weissmüller kennen und freundete sich mit ihm an. Der gutaussehende Schauspieler nahm Gesangsunterricht, um seiner Stimme einen tieferen Klang zu geben. Eddie unterrichtete seinen neuen Freund aber nicht nur im Singen, sondern sie gingen auch gemeinsam in die Oper und ins Ballett. Im Gegenzug gab Johnny Eddie Schwimmunterricht. Nachdem er noch weitere Filmgrößen kennengelernt hatte, schaffte er durch deren Vermittlung den ersehnten Sprung ins Schlagergeschäft und sang im Chor der Filmgesellschaft MGM bei Musicals. Lange hielt es ihn jedoch nicht in der Filmmetropole Hollywood. Eddie ging wieder nach New York und gründete die Band The Five Musketeers, die so bekannte Musiker wie Louis Armstrong und Frank Sinatra auf Tourneen durch die USA begleitete. 1941 wurde Eddie für den Chor der Radio City Music Hall engagiert. Hier lernte er seine zukünftige Frau, die 20-jährige Tschechin Helinka Musilova, kennen, die im Ballett des
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Hauses tanzte. Es war Liebe auf den ersten Blick, und noch im selben Jahr heirateten die beiden. Die Ehe hielt 32 Jahre. 1947 folgte Eddie seiner Frau zunächst nach London, dann nach Monte Carlo und Paris: Für Eddie Constantine wurde Paris in den 50er Jahren zum Paradies. Er erhielt die französische Staatsbürgerschaft und sang sich durch die Nachtclubs der Seine-Metropole, bis er eines Tages Edith Piaf begegnete, damals Frankreichs berühmteste Chansonsängerin. In seiner Begeisterung widmete er ihr ein Lied und trug es ihr sogar persönlich vor. Diese Begegnung war der Beginn einer intensiven Beziehung zwischen den beiden und dauerte acht Monate. Edith Piaf drängte Eddie schließlich zu einer Entscheidung zwischen Helene und ihr. Er beschloss, seine Ehe zu retten. In dieser Zeit kamen erste Schallplatten von ihm auf den Markt mit Titeln wie "Cigarettes, whisky et petites pepees" oder "Ah, les femmes". Eigentlich wollte Eddie Constantine nie Schauspieler werden. Seine Vorliebe galt immer der Musik, dem Schlager und dem Chanson. Eines Tages bekam er jedoch von einer kleinen Zeitungsverkäuferin den Tipp, dass der englische Regisseur und Produzent Victor Stoloff noch einen Darsteller für einen Action-Film suche. Noch am selben Tag traf Eddie den Produzenten und wurde auf der Stelle engagiert, da er genau dem gesuchten Typ entsprach. Das Einzige, was ihn an diesem Job wirklich reizte, war das Geld, und so saß Eddie bereits am nächsten Tag im Flugzeug nach Ägypten. Obwohl der Episodenfilm „Egypt By Three" von der Kritik zerrissen wurde, begann mit ihm der Aufstieg Eddie Constantines als Schauspieler. Zufällig sah der junge französische Regisseur Bernard Borderie dieses Werk und war begeis tert. Sein Vater hatte die Filmrechte der LemmyCaution-Romane des englischen Autors Peter Cheyney gekauft und suchte nun für die Hauptrolle einen französischsprechenden Amerikaner. In Eddie Constantine fand er endlich den passenden Typ, und damit bot sich dem nun schon 35-Jährigen die ganz große Chance. Nach dem überwältigenden Erfolg des ersten „Lemmy Caution"Films bekam Eddie zahlreiche Angebote für neue Filmvorhaben. Der Schauspieler variierte in zahllosen Filmen die Kultfigur des unverwüstlichen Eddie. Seine Filme waren eine bunte Mischung aus Kriminal-, Agenten- und Abenteuerfilm, gewürzt mit einer guten Portion Humor, und füllten besonders in Deutschland und Frankreich die Kinosäle. Höhepunkt in seinen Filmen war stets eine Schlägerei mit vielen Beteiligten, und wenn Eddie dann zuschlug, gingen mindestens drei Gangster zu Boden. Eddie glänzte in seinen Rollen allerdings mehr durch Charme als durch Brutalität, so liebte ihn sein Publikum. Geld spielte für ihn plötzlich keine Rolle mehr. Er brauchte nie bar zu zahlen und genoss überall Kredit. Seine Anzüge ließ er beim besten Schneider in Paris anfertigen, er fuhr die neuesten Sportwagenmodelle und kaufte sich ein chinesisches Restaurant, nur weil er seine Freunde einladen wollte. Eddie konnte es sich leisten, aus dem Vollen zu schöpfen. Es gab nichts, was zu teuer gewesen wäre. Er war ja schließlich einer der höchstbezahlten Stars der 50er Jahre. Dank seiner Popularität hatte er auch leichtes Spiel bei den Frauen, denen er nicht widerstehen konnte. Zahllose Affären stürzten seine Ehe häufig in tiefe Krisen. Seine Seitensprünge und sein immenser Alkoholkonsum waren für die Presse ein gefundenes Fressen, festigten aber gleichzeitig sein Image als Draufgänger. Um seiner Familie GoodTimes
ein angemessenes Zuhause zu bieten, erwarb Eddie Ende der 50er Jahre ein feudales Landhaus in der Nähe von Paris und begann, Pferde zu züchten. In den 60er Jahren wollte Eddie weg von seinem Image, er wollte keine „Lemmy Caution"-Filme mehr drehen, sondern sich als ernstzunehmender Schauspieler etablieren. Der französische Regisseur Jean-Luc Godard nahm ihn beim Wort und überlegte sich eine Geschichte, die den Mythos des Superhelden Lemmy Caution ein für allemal zerstören sollte. Gedreht wurde ohne Drehbuch und auf Geheiß des Regisseurs grundsätzlich mit „falschem" Licht und von der „falschen" Seite. „Lemmy Caution gegen Alpha 60" wurde von der Kritik sehr euphorisch aufgenommen und gewann den Goldenen Bären auf der Berlinale 1965. Das Publikum jedoch war entsetzt und brüllte den Film nieder. Auch Eddie war vom fertigen Film mehr als enttäuscht und zog sich aus der Filmwelt zurück. Nach dem „Alphaville"-Fiasko – so der Originaltitel – war die Pferdezucht für längere Zeit seine Hauptbeschäftigung. In den frühen 70er Jahren erfreuten sich die alten Action-Filme mit Eddie Constantine aber auch bei einem intellektuellen, anspruchsvollen Publikum größter Beliebtheit. In den Nachtvorstellungen des Münchner Arri-Kinos sahen auch Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und andere die alten Filme und engagierten ihn, sich seines Images und seiner Publikumswirkung bewusst, für ihre eigenen Projekte. Mit dem Neuen Deutschen Film begann für den Altstar eine zweite Karriere, die ihn zu einem begehrten Darsteller in deutschsprachigen Film- und Fernsehproduktionen machte. 1975 trat Eddie Constantine mit der Veröffentlichung seines Romans „Der Favorit" dann auch als Schriftsteller in Erscheinung. Nur selten verkörperte Eddie brüchige Charaktere oder verletzliche Menschen, z. B. einen alten Clown in der TV-Serie „Roncalli"; daneben agierte er bis zu seinem Tod immer wieder mal in Serien wie „Frankensteins Tante" und „Rivalen der Rennbahn", tauchte aber auch in TV-Unterhaltungssendungen auf. Eddie Constantine starb am 25. Februar 1993 mit 75 Jahren nach einem Herzinfarkt in Wiesbaden, wo er zuletzt gewohnt hatte. Seine Asche wurde im Ärmelkanal verstreut. Auch 25 Jahre nach seinem Ableben erfreuen sich seine alten Filme im Fernsehen und auf DVD großer Beliebtheit. Filmplakate, Aushangbilder und Programmhefte zu seinen Werken aus den 50er und 60er Jahren sind unter Filmsammlern sehr begehrt und werden entsprechend hoch gehandelt. Wer sich für weitere Details aus dem Leben von Eddie Constantine interessiert, der kann seine Lebensgeschichte in der Biografie „Eddie Constantine. Seine Filme – sein Leben" von Rolf Thissen (1991, HeyneFilmbibliothek) nachlesen. Ein weiteres, sehr schön gestaltetes Werk, das sich mit Eddie Constantine befasst, ist „Hoppla, hier kommt Eddie! Eddie Constantine und seine Filme" von Dieter Hasemann und Michael Dittmar (1986, Vistas Verlag). Hans-Joachim Neupert 1/2020
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– Karl-May-Spiele – Von Malte Ristau
Old Shatterhand (r.) und Winnetou (l.) stützen den sterbenden Kleki-petra (Rathen 2014)
Hunderttausende feiern jeden Sommer Winnetou Gerade noch rechtzeitig setzt eine wohlbekannte Filmmelodie ein, und dann rettet ein Meisterschuss aus der Silberbüchse ein Menschenleben. 8000 Besucher, Kinder, Eltern und Großeltern, jubeln: Gewohnt zuverlässig greift Winnetou ein. In drei Schichten wurde in Bad Segeberg auch in diesem Sommer wieder ein wohlbekannter Stoff nach dem Roman "Unter Geiern" von Karl May gezeigt. Vor der 91 Meter hohen Silhouette des Kalkberges simulieren jedes Jahr passende Aufbauten und Zutaten wie Postkutsche oder Westernlook den Wilden Westen. Die erwachsenen Besucher, Eltern oder Großeltern, haben dort vor 30 Jahren Pierre Brice so als Winnetou wiedererlebt wie vor 50 Jahren auf Filmfotos der Zeitschrift "Bravo".
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chon Karl May hatte vor 130 Jahren überlegt, seinen beliebtesten Helden auf die Bühne zu bringen. Der Schriftsteller hat diesen Plan nicht realisiert, aber die Idee wurde bereits in den 1920er Jahren ebenso aufgegriffen wie Verfilmungen seiner Stoffe. Aufführungen in Indoor-Theatern blieben allerdings selten; sie fanden vergleichsweise wenig Interesse. Stattdessen ziehen seit acht Jahrzehnten Freiluftbühnen Zuschauer generationenübergreifend an. In Bad Segeberg, Elspe und Rathen können sich die (jungen) Besucher in Souvenirläden passend als Indianer oder Cowboys ausstatten, wenn sie denn nicht schon einschlägig kostümiert anreisen. Neben den drei großen Bühnen sind es stets etwa zehn kleine in Deutschland und in Österreich, die von Juni bis September Stücke frei, oft arg frei, nach Karl May aufführen. Seite
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Vor einer grandiosen Felsenkulisse des Elbsandsteingebirges starteten 1938 im sächsischen Rathen die ersten nennenswerten KarlMay-Spiele. Ein „Winnetou"-Stück löste in ganz Deutschland ein hohes Medieninteresse aus. In zeitweiser Kooperation mit dem Zirkus Sarrasani lockten bis 1941 weitere Klassiker des Schriftstellers mit etlichen Showeinlagen, Kunstschützen, Lassomeistern und Messerwerfern mehr als 600.000 Zuschauer an. Der immense Erfolg veranlasste Josef Goebbels, die Spiele 1940 nach Werder bei Berlin zu übertragen, um sie dort für die NaziPropaganda stärker nutzen zu können. Der Verlauf des Weltkriegs beendete die Projekte in beiden Orten. Folgen hatten Aussehen und Kleidung der Hauptdarsteller von Rathen. Die Firmen Hausser, westdeutsch, sowie Hopf, ostdeutsch, wählten sie nämlich ab 1952 zu Vorbildern der ersten Spielfiguren von Old Shatterhand und Winnetou. Nach 43 Jahren zuerst durch den Krieg, dann durch SED-Verbot erzwungener Pause durfte Winnetou 1984 auch in Rathen wieder auf die Bühne reiten. Ein Jahr zuvor hatte Honecker persönlich den in der DDR geltenden Bann von Karl May genommen, und der „Schatz im Silbersee" begeis terte erneut viele Besucher. In Westdeutschland waren die Fans auch in diesem Falle begünstigt. In Bad Segeberg in Schleswig-Holstein hatte 1952 mit „Winnetou 1" die westdeutsche Erfolgsstrecke eingesetzt. Das „Hamburger Abendblatt" entdeckte in der Arena am Kalkberg „glühende Ohren vor Aufregung", und 1953 feierte die „Bild"-Zeitung eine
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Besucherzahlen stark erhöhte. Am 19. Juni zeigte sich Alt-Winnetou Pierre Brice zum ersten Mal hoch zu Ross auf der Anhöhe der Bühne. Angemessen angekündigt hatte ihn unter frenetischem Beifall SpieleChef Jochen Bludau, der den Old Shatterhand darstellte: „Es ist noch jemand bei mir …" Die Naturkulisse wurde frühzeitig durch einen künstlichen Wasserfall, Gasleitungen für pyrotechnische Effekte sowie Schienen für eine Westernbahn attraktiv erweitert. Die Überdachung der Zuschauerränge erinnerte Enthusiasten an das Münchner Olympiastadion, und die Einführung einer Ticketreservierung per Computer galt Anfang der 1980er als bahnbrechend. Elspe hatte für einige Zeit Bad Segeberg in der Gunst der Zuschauer von der Spitze verdrängt. Nachdem sich Pierre Brice 1986 aus Elspe im Streit verabschiedet hatte, widmete er sich seiner Lebensrolle allerdings für einige Jahre in Bad Segeberg und machte wiederum diese Stadt zum Wallfahrtsort auch vieler erwachsener Fans. Fünf Jahre später gab
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Bad Segeberg 2012 – Szene aus Winnetou 2" "
es dann für ihn einen bewegenden Abschied. Den Zuschauern war das ziemlich hanebüchene Stück egal, der Mythos triumphierte erneut. Die deutsche Einheit machte es anschließend möglich, dass ein aus vielen Ufa-Filmen der DDR bekannter Indianerdarsteller, Gojko Mitic, von 1992 bis 2006 die Winnetou-Rolle übernahm. Die Segeberger Spiele sind seit seinem Auftritt, anders als Elspe oder Rathen, auch aufgrund ihrer Lage ein gesamtdeutsches Kulturevent. Dabei sind die Akzente der drei Bühnen recht verschieden. Die Stücke in Elspe sind am weitesten weg von den Texten Mays; gepunktet wird mit Action, Stunts und Technik, 2019 mit „Winnetou 3". Die Reitkunststücke der Kaskadeure sind tatsächlich spektakulär. Bad Segeberg profiliert sich immer wieder mit bekannten Schauspielern wie Elke Sommer, Raimund Harmsdorf oder Matthieu Carrière. 1992 sorgte für Aufsehen, dass Christopher Barker als Old Shatterhand die Paraderolle seines Vaters aus den Kinofilmen übernahm. Elspe wie Segeberg setzen häufig auf Klamauk, der die Grenzen zur Peinlichkeit streift. Rathen mit den Schauspielern der Landesbühne Sachsen überzeugt mit der schönsten Kulisse und der größten Werktreue, 2019 mit „Winnetou 1". Brandstiftungen, Dauerregen oder Auflagen für den Naturschutz haben gelegentlich für Beeinträchtigungen gesorgt, aber die Spiele an keinem der Orte dauerhaft gestört. Komparsen werden vor Ort rekrutiert, und überhaupt sind die Spiele jeweils über drei Monate hochpräsent. Der erfolgreichste deutsche Autor fand besonders großen Anklang bei den Babyboomern, die seine Stoffe über Bücher und Filme, Bühnen und Audiomedien, Comics und Spielzeug konsumier(t)en. Deshalb ist May, sind aber vor allem seine Helden nach wie vor fast jedem hierzulande bekannt. Der anhaltende Erfolg der Freilichtbühnen erstaunt dennoch. Es gibt nichts Vergleichbares in Deutschland. Jedes Jahr verzeichnen die drei Bühnen zwischen 600.000 und 700.000 Besucher; 2018 erreichte Bad Segeberg mit 380.000 sogar einen neuen Rekord. Karl May ist seit 107 Jahren tot. Winnetou aber lebt auf den Bühnen weiter! 1/2020
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Autogrammkarte für den Autor vom Winnetou aus Segeberg (1963)
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„glanzvolle Premiere". Die Drehbücher der unterhaltsamen Spektakel wurden anfangs mit dem Karl-May-Verlag abgestimmt, weil das Urteil aus Bamberg als Gütesiegel wirkte. Für die selbst gefertigten Kostüme war die Expertise des Hamburger Völkerkundemuseums werbewirksam eingeholt worden. Bis 1968 wechselten in Bad Segeberg anders als in Rathen und Elspe noch Wildwest-Stücke mit solchen, die im Orient spielten. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar galten ausweislich der Buchauflagen zu der Zeit noch als ebenso populär wie Winnetou und Old Shatterhand. Anlässlich einer Aufführung 1955 zeigten sich die „Pyrmonter Nachrichten" am stärksten beeindruckt von dem lautstarken Auftritt eines Kamels, das der Tierpark Hagenbeck ausgeliehen hatte. Westdeutschlands damals meistgelesene Illustrierte, die „Hörzu", brachte in den 1950ern und 60ern jeweils im Sommer mehrere reich bebilderte Reportagen. Die wichtigen Schauspieler wurden vorgestellt, über Proben berichtet und Kindern eine Teilnahme vor Ort ermöglicht, die krank waren oder deren Eltern keine Karten kaufen konnten. Motive aus Bad Segeberg schafften es sogar auf Titelseiten. Zur Bekanntheit der Bad Segeberger Spiele trugen bis 1979 jährliche Ausstrahlungen im ARD-Programm bei. Via Bildschirm erlebten die konsternierten Fans 1962, gespielt wurde „Unter Geiern", wie Winnetou drei Anläufe brauchte, um auf sein Pferd zu kommen. Einmal schaffte es eine Premiere sogar in die „Tagesschau". Auf die große Popularität der Spiele reagierten in den 1960ern der Karl-May-Verlag mit einem Bildband, die Berliner Spielkarten mit einem Quartett und der damals mit Fernsehjugendbüchern erfolgreiche Balwe-Verlag mit einem Jugendbuch. In diesem Titel von 1962 erleben zwei zwölfjährige Geschwister eigene Abenteuer rund um Bad Segeberger Aufführungen. Viele Cover von May-Hörspielen der Marke Europa wurden mit Motiven aus Bad Segeberg geschmückt. Ein marktführender Pierre Brice als Winnet ou Konzern engagierte 1963 den Segeberger in Bad Segeberg (1989) Winnetou-Darsteller für eine Tournee durch Kaufhäuser. Heinz-Ingo Hilgers signierte in klassischem Kostüm Postkarten sowie Bücher einer speziell für Karstadt und Kaufhof aufgelegten Karl-May-Ausgabe. Ursprünglich von Dorfbewohnern als Laientheater gegründet, wurde 1958 zum ersten Mal ein Winnetou-Stück im Sauerland gezeigt. In den 1970er Jahren professionalisiert, gelang Elspe 1976 mit einer besonderen Verpflichtung ein PR-Coup, der die
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Indianer verfolgen eine Postkutsche in Elspe (2019).
Kerzen, Kippen, Klammerblues
Partykultur der 70er
Wahrscheinlich wurde in den 1970er Jahren gar nicht so viel mehr gefeiert als heute, aber es war definitiv eine andere Herangehensweise. Die Vorbereitungen liefen sehr einfach. Einladungskarten wurden nicht geschrieben, die direkte mündliche oder telefonische Ansage "Bei uns ist am Samstag Fete" genügte, dann konnte es losgehen. Wer einen schalldichten Raum oder Platz im Garten für ein Lagerfeuer hatte, war dabei enorm im Vorteil. Für den Partykeller musste der Plattenspieler in Stellung gebracht werden, im Garten taten es auch eine Gitarre und jemand, der spielen konnte.
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ie Dekoration bestand vor allem aus Papiergirlanden, im Garten oder auf der Terrasse wurden Lampions (natürlich mit echten Kerzen aus weißem Stearin) aufgehängt, beides hatte eine nicht allzu hohe Lebenserwartung. Die Farben blichen aus, die Girlanden rissen leicht ein, die Lampions fackelten mit schöner Regelmäßigkeit ab, weil die Kerzchen schief hingen oder vergessen wurden. Bis dahin aber war alles wunderbar bunt, baumelte leicht im Wind und war wirklich stimmungsvoll. Seite
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berhaupt hieß das Zauberwort „Stimmung", und unzählige Schallplatten boten „Stimmungshits". 1974 enthielt eine LP mit dem inspirierenden Titel FEUERWERK STIMMUNG HITS einen Mix aus Schlagern von Karel Gott und Bata Illic, Tanzmusik von Max Greger und diverse Hits von Abba bis Gloria Gaynor. Das Doppelalbum DIE GROSSE JUBELPARTY ZUM TANZEN UND MITSINGEN (1978) klärte auf: „82 MitsingKnüller machen die Party zum Erlebnis." Die Platte DRUNTER UND DRÜBER aus dem Hause Europa versprach „Stimmung bis in den frühen Morgen" und nannte das gebotene musikalische Potpourri von vielversprechenden Titeln wie "Flitsch-Flutsch-Flatsch" bis "Wer soll das bezahlen" ganz bescheiden „Die große PartyHappybirthday-Karnevals-Bumsfallera-Faschings-Sausebrause-undso-weiter-Stimmungsbombe".
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Foto: © Kathrin Bonacker
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ft war nicht so klar, wer kommen würde und wie viele Leute es am Ende sein könnten, aber da der Erfolg der Party schließlich nicht vom perfekten Styling abhing, war das nicht entscheidend. Notfalls wurde improvisiert. Plastikgeschirr und Wegwerfprodukte wie Pappteller, Alufolie und Strohhalme hatten Hochkonjunktur und mussten wie die passenden Müllsäcke bereitstehen. Der Kühlschrank wurde gegebenenfalls ergänzt durch eine mit kaltem Wasser gefüllte Badewanne, in der Flaschen lagerten, von denen sich dann am nächsten Morgen nur noch schwimmende Etiketten fanden. Manchmal klebten sie auch fies irgendwo drauf, wo sie definitiv nie hingehört hatten …
Abb.: © "Die perfekte Gastgeberin" von Heinz Keschow, Corvus Verlag Berlin 1977, S. 10
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bei Partys war demnach auch eine Selbstverständlichkeit, und Verfehlungen unter Alkohol wurden meist mit „war nicht ganz nüchtern" augenzwinkernd entschuldigt, vor allem natürlich sexistische Witze.
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achmittägliche Partys und Kindergeburtstagsfeiern konnten im Innenraum mit bunten Luftschlangen das passende Flair bekommen, aufgefahren wurden dazu besonders gerne Stapel von Schokoschaumküssen. Die trugen damals noch ihre politisch inkorrekten Namen und regten zu diversen Spielen an: Sie ließen sich mit Messer und Gabel oder auch mit verbundenen Augen essen oder verfüttern, klebrig und lustig war es immer. Schnelle Biskuitkuchen mit Obst und enorm viel Gelatine darüber gehörten auch dazu, mit SahnesteifPulver wurde das passende Milchprodukt mit dem Mixer in sehr süße Dekokringel gebracht. Zucker bestimmte aber auch die Getränke-Hitliste: Cola und Limo mussten sein, Erdbeerkaba war allerdings eine sehr beliebte Alternative.
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er ein Buffet bestückte, hielt es bunt und servierte Salate, vor allem Nudelsalat und Kartoffelsalat, dekoriert wurde mit Oliven und Tomaten. Überbackene Toasts wurden bei Wohnzimmerfesten gerne serviert, der einzeln verpackte ScheiblettenSchmelzkäse zierte Ananas und Schinken für die Hawaii-Variante. Kinder lieben seit 1977 vor allem den Mini-Babybel in der biegsamen roten Wachshülle, mit der sich so wunderbar Unfug machen lässt. Im Sommer wurde gegrillt, und der Schaschlik-Spieß hatte Hochkonjunktur. Dazu gab es Paprikachips, Erdnussflips und immer, wirklich immer Salzstangen.
er Paartanz hatte seine Tanz stundenregeln eingebüßt und exis tierte nur noch im Schmuse- oder Stehblues. Wer auf die Tanzfläche ging und den Klammerblues mit dem vorher ohne Anfassen angetanzten Partner vermeiden wollte, musste dafür prädestinierte langsame Lieder am ersten Takt erkennen können und dann fluchtartig Richtung Toilette verschwinden. Sonst verschmolzen Frau und Mann zu einer sich wiegenden Einheit ohne nennenswerte Schrittregeln – leicht hin, leicht her, idealerweise im Takt, mehr musste es nicht sein. Besonders geeignet hierfür waren Leonard Cohens "Suzanne", Simon & Garfunkels "Bridge Over Troubled Water", Barclay James Harvests "Hymn" oder Santanas "Sampa Pa Ti". Wildere Feten allerdings gab es mit den Rockklassikern der Stones, von Tina Turner, Queen, AC/DC, Status Quo, Elton John, Pink Floyd, The Kinks, Meat Loaf oder mit der frühen Discomusik, bestimmt von Boney M., Abba, den Bee Gees oder den Village People. Wer für seine Party eine Lichtorgel besorgen konnte, war der King.
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Abb.: © Burda-Moden 4/1974
raußen am Lagerfeuer waren wieder andere Songs angesagt. Zu den enganliegenden T-Shirts trugen alle, die draußen saßen, Jeans oder lange Wickelröcke und halfen sich gegenseitig mit abgerockten Lederjacken oder Tüchern gegen die Abendkühle. Geduldig wurde das Stimmen der Gitarre verfolgt. Mit fünf einfachen ür Erwachsene floss Alkohol in Griffen (ein bisschen C-, E- und G-Dur, aStrömen, dazu gab es Gespräche und d-Moll) konnte einer der beliebtesten (es wurde „gequatscht"), Zigaretten Songs begleitet werden, wenn alle von hinten waren selbstverständlich, Musik musste laufrierend, seitlich eingekuschelt und vorne einfen, Tanzen war angesagt. Zum Equipment geräuchert um das brennende Holz saßen. gehörte mindestens ein großer Aschenbecher, Ein oder zwei Mädchen sangen dazu Nichtraucher versuchten, wenigstens zum erst leise, dann immer lauter "Donna Donna", oft „Partyraucher" zu werden, um „ich rauche eine mit" sagen schlossen sich "Die Moorsoldaten" an, weil die Mollzu können und mit geschnorrten Kippen dazuzugehören. Tonarten so schön melancholisch machten (Hannes Drogen waren ein Thema, auch in der Musik, J.J. Cale sang Waders Version kam 1977 heraus). Auch die Hymne 1975 "Cocaine", und Georg Danzer fragte sich etwa zur selder Friedensbewegung "Hevenu Shalom Alechem" war ben Zeit "War da etwa Haschisch in dem Schokoladenei?". beliebt, eingespielte Gruppen endeten damit manchmal Wenn allerdings eine größere Selbstgedrehte mit Andacht im Kanon. Währenddessen kreisten Rotweinflaschen, oder bei einer Fete von Hand zu Hand ging, schieden sich die jeder hatte sein Bier neben sich, die Gespräche wurden als Geister, Gras rauchen war auch damals nicht jedermanns zunehmend tiefsinniger empSache. funden, besonders Glückliche fanden tens ei Alkohol gab auch neue Partner oder wenigs jemanden zum Knutschen für diesen es weniger Zurück einen besonderen Abend. haltung, auch beim Fahren mit Promille. Bis 1973 waren für die enn die Haare komplett verräuFahrtüchtigkeit noch 1,5 chert und die Jeans eingesaut, Prozent Alkohol im Blut alte Freundschaften vertieft und neue legal, erst dann wurde gewonnen waren, hieß es am nächs die Grenze auf 0,8 ten Tag „Die Party war klasse!", und gesenkt (heute gilt 0,5). die nächste stand hoffentlich bald Hemmungslosigkeit an.
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Ein neuer Anfang Die Hörspielreihe um den Superhelden Jan Tenner begeistert seit ihrem Start im Jahr 1980 Tausende von Science-Fiction-Fans. Nach der Classic-Serie und den elf Episoden um Die neue Dimension"gibt " es nun ein Comeback mit sechs Folgen und dem Titel Der neue " Superheld".
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an Tenner ist ein zeitloser Held, der viele Abenteuer zu bestehen hat. In den 1980er Jahren erschienen die Hörspiele noch auf Kassette, ab 2006 dann auf CD. Fans fühlten sich beim Anhören wieder in ihre Kindheit versetzt und waren enttäuscht, als 2002 Ende war. Dabei hat die Serie alle Zutaten der klassischen Science-Fiction. Kein Wunder: Die Drehbücher für die ersten sechs Hörspiele stammen von Dick Farlow (alias H.G. Francis). Der ScienceFiction- und Fantasy-Autor Kevin Hayes (alias Horst Hoffmann) schrieb dann anschließend weitere Folgen für die Serie. Farlow wie auch Hayes arbeiteten auch bei „Perry Rhodan" mit. So erschienen bis 1989 insgesamt 46 Folgen mit Jan Tenner. Der Physikstudent besteht seine aufregenden Abenteuer mit dem erfolgreichen Wissenschaftler Professor Futura und dessen Assistentin Tanja aus Westland. Droht dem Land Gefahr, bittet General Forbett das Trio um Hilfe. Spannenden Stoff für das Kopfkino gibt es damit mehr als genug. Mit vereinten Kräften wird in einer Welt in nicht zu ferner Zukunft gegen das Böse gekämpft. Zum Dank gibt es von Futura ganz unterschiedliche Seren, die intravenös verabreicht werden. Um Terroristen und Außerirdische in den Griff zu bekommen, haben diese verschiedene Wirkungen. Tenner kann dann fliegen, sich unsichtbar machen, er wird stärker, auch kleiner, er beherrscht die Telepathie und kann lange unter Wasser bleiben. Alles Fähigkeiten, über die ein Superheld verfügen muss. Außer dass es bereits in der vierten Folge einen Personalwechsel gibt – für Tanja, die in ein künstliches Koma versetzt wird, betritt Laura als Mitkämpferin von Jan Tenner und Professor Futura die Szenerie –, haben die Serienteile alles zu bieten, was man sich (nicht) vorstellen kann. Monster, Drachenplaneten, Jan und seine Freunde als Däumlinge, die von einer Katze bedroht werden, Zeitfallen, Giganten und „Leonen", Außerirdische mit vier Armen und Löwenköpfen. Die Fans der Hörspielreihe sind über die Jahre hinweg zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, die Seite
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sich über die einzelnen Abenteuer und Folgen in Internetforen austauschen. Diskutiert wird über einzelne Figuren der Serie, über Unveröffentlichtes und Fehler in den Drehbüchern. Bei allem überwiegt jedoch die Begeisterung für den blonden Superhelden und seine Schlagkraft. Die Storys zeichnen sich durch eine überzeugende und schlüssige Handlung aus, meist gibt es ein Happy End. Mit ein Grund für die Beliebtheit der Weltraumabenteuer ist auch, dass die einzelnen Folgen mit Jan Tenner eine Laufzeit zwischen 35 und 50 Minuten
haben. Dies ist auf dem Markt der Hörspiele ungewöhnlich, wo man sich in der Regel an die Zeiten von Fernsehspielen mit 90 Minuten angeglichen hat. Jetzt gibt es nach Jahren ohne den Helden Jan Tenner sechs neue Folgen der Kult-Serie. Die ersten beiden Teile heißen „Ein neuer Anfang" und „Der lautlose Tod". Mit dabei ist auch wieder Autor Kevin Hayes. Gesichert hat man sich ebenso die Beteiligung der Schauspieler und Sprecher aus der Classic-Serie. Beteiligt sind an der Produktion der Schauspieler und Synchronsprecher Lutz Riedel als Jan Tenner, seine Ehefrau Marianne Groß als Laura und Wilfried Herbst als Computer Mimo. Neu hinzugekommen sind Till Hagen als Erzähler, Sarah Riedel, die ebenfalls im Schauspielund Synchrongewerbe aktiv ist, als Lara, Olivia Büschken als Tanja, die zurückkehrt, Kaspar Eichel als Professor Futura und Thomas Kästner als General Forbett. Die Handlung verspricht Spannung: Nach einem Experiment von Professor Futura verschwinden General Forbett, die sich im Tiefschlaf befindliche Tanja sowie Futura selbst. Das Trio wird für tot erklärt. Zeitsprung: 30 Jahre später haben Jan und Laura den „Orden des Futura" ins Leben gerufen, um dessen Wissen weiter zu pflegen. Zeitgleich entdecken Jans und Lauras Kinder, Jan Tenner Junior und Lara, in Westland Tanja. Auch Futura und Forbett tauchen wieder auf. Der Tenner-Kult lebt also weiter ... Jörg Palitzsch
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DIE PERFEKTE ÜBERSICHT & ANALYSE ÜBER DAS GESAMTWERK DER GRÖSSTEN ROCK-ACTS DER 60ER/70ER/80ER!
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100 JAHRE Innovativ & bisweilen ziemlich schräg
Von Manfred Prescher
Zum 100. Geburtstag gönnte sich die hiesige Niederlassung von Citroën einen ganz besonderen Marketinggag: Man behauptete, dass man den Namen nun für Deutschland ändern werde – um alle Aussprachverwirrungen ein für alle Mal zu beseitigen. „Zitrön" wolle man nun heißen. Der komplette Webauftritt samt Fahrzeugbeschreibungen wurde umgeändert, eine Pressemeldung herausgebracht – und ein witziges Video um einen entrüsteten Händler gedreht. Denn der musste ja auf eigene Kosten von den Firmenschildern bis zu den Visitenkarten alles ändern. Man vergaß allerdings, dass es Citroën Deutschland schon seit 1927 gibt und man vor dem Zweiten Weltkrieg in Köln sogar Autos baute. Und dass man seit jeher mehrheitlich „Zitrön" sagte, also mit der Aussprache des Diphtongs „ë" Schwierigkeiten hatte ...
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itroën spricht man „sitroˈen" aus, das „ë" ist halt eigentlich zwei Buchstaben in einem. „Schuld" daran ist André Gustave Citroën, der die Automobilfirma in Paris gründete und der Firma seinen Namen gab. Der Sohn einer Polin und eines belgischen Juden war aber schon, bevor er sein erstes Auto baute, ein erfolgreicher Unternehmer. Citroën fertigte Getriebe – und bis heute verweist das Logo auf diesen Teil der Firmengeschichte. Denn der berühmte Doppelwinkel erinnert eindeutig an die Radzähne früherer Getriebe. Das erste Auto kam dann im Jahr 1919 auf den Markt. Entwickelt wurde es schon während des Ersten Weltkriegs, mit der Produktion konnte man aber erst in Friedenszeiten beginnen. Denn bei Citroën stellte man Granaten für die Artillerie Seite
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her. Die eigentliche Erfolgsgeschichte auf vier Rädern begann dann mit dem Typ A, einem preiswerten Kleinwagen mit 18 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h. Das Ziel des neuen Autobauers, pro Tag 100 Fahrzeuge zu fertigen, wurde zumindest teilweise erreicht – weshalb Citroën heute als erster Großserienhersteller Europas gilt. Der Erfolg hatte von Anfang an auch mit Werbung zu tun, denn André Citroën zog alle Register. Legendär sind die wunderschönen Art-décoPlakate zum Beispiel für den Typ A oder den C6 von 1928. Drei Jahre vorher ließ er seinen Namen am Eiffelturm anbringen – das war einmalig. Doch schon ein Jahr später reichte das nicht mehr, also blitzte das Wahrzeichen in unregelmäßigen Abständen. Die größte Uhr von Paris? Ab 1929 warb sie für Citroën. Die beste Werbung waren für den Tycoon aber der Sport beziehungsweise die Rekorde: So legte das Modell Rosalie 1932 auf der Rennstrecke von Linas-Montlhéry in nicht mal
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und Einzelradaufhängung ausgeliefert. zehn Tagen 25.000 Kilometer zurück. Im Jahr Tatsächlich ist das, was viele Franzosen „vier darauf wurden in knapp 40 Tagen 100.000 Räder unter einem Regenschirm" nennen, ein Kilometer nahezu pannenfrei abgespult. Es unverwüstliches Auto für alle Zwecke. Rost ist kein Wunder, dass das Serienauto C6 ein mag es aber gar nicht, und Rempler sorgen Erfolg wurde. Die spektakulärste Idee hatte beim dünnen Blech für große Schäden. Citroën aber Anfang der 20er Jahre: Am 17. Der Geniestreich von Konstrukteur André Dezember 1922 starteten fünf Citroën B2 10 Lefèbvre, der 2CV – den man in Deutschland HP Modell K1 mit Raupenantrieb im algeriliebevoll „Ente" nennen sollte –, wurde mit schen Touggurt und erreichten am 7. Januar leichten Veränderungen bis Juli 1990 knapp 1923 Malis Hauptstadt Timbuktu. Von dort vier Millionen Mal gebaut. Beliebt wurde der aus ging es dann wieder zurück. 1924 wurde 2CV hierzulande ab den späten 60er Jahren, dann der afrikanische Kontinent durchquert, er gehörte zum Lifestyle der Nonkonformisten. und 1931 ging es durch Asien – von Paris über In der TV-Serie „Der Bastian" wurde eine Beirut bis nach Peking. mit Prilblumen beklebte Ente zum Begleiter André Citroën war auch sozial eingestellt: des Hauptdarstellers Horst Janson. Rolldach Ab 1927 zahlte er seinen Mitarbeitern und Entschleunigung waren halt schon zu als erstes Unternehmen überhaupt ein Lebzeiten des 2CV Kult. Wer heute eine „Ente" 13. Monatsgehalt. Allerdings geriet der sucht, wird sich wundern. Speziell frühe 2CV, Konzern im Zuge der Weltwirtschaftskrise die beispielsweise ohne das hintere dritte in Schieflage, und Citroën musste sein Fenster auskamen, sind sehr gefragt. Das gilt Lebenswerk 1934 an den Reifenhersteller auch für die Charleston-Modelle, die zunächst Michelin verkaufen. Am 3. Juli 1935 verstarb auf 8000 Stück limitiert waren, dann aber doch als eigene Serie durch er im Alter von nur 57 Jahren – noch vor dem dato größten Erfolg die 80er Jahre rollten. Wer es skurriler mag, sollte nach den eigenwilder Marke: Der vom Ingenieur André Lefèbvre und dem Designer ligen Ablegern Ami beziehungsweise dem offenen Méhari oder dem Flaminio Bertoni entwickelte Traction Avant sollte in unterschiedBeinahe-Nachfolger Dyane Ausschau halten. lichen Motorisierungen von 1934 bis 1957 gebaut werden. Seinen 1955 gelang Designer Flaminio Bertoni und Spitznamen „Gangsterlimousine" erhielt das Citroëns Entwicklungsleiter André Lefèbvre Auto bereits in den ersten Produktionsjahren. der größte Wurf: Denn die DS, die Fans einDenn das Fahrzeug mit seiner damals innofach nur „Göttin" oder „La Déesse" nennen, vativen selbst tragenden Karosserie war nicht wird nicht nur 20 Jahre lang gebaut. Das Auto nur geräumig, sondern auch schnell. Es soll aus der gehobenen Mittelklasse ist auch zur tatsächlich gern speziell von Bankräubern Ikone geworden: Es gilt als eines der schönsten bei der Flucht eingesetzt worden sein. Mit Fahrzeuge des 20. Jahrhunderts. Am Anfang dem Traction Avant war man noch Mitte der wurde die DS vom staunenden Publikum als 50er Jahre flott unterwegs – obwohl das Auto „fliegende Untertasse" bezeichnet, denn die mit seinen ausladenden Kotflügeln und den aerodynamische Linienführung wirkte futuTrittbrettern da schon wie ein Oldtimer wirkristisch. Noch im Jahr 1975 galt sie nicht als te. Immerhin bekam das Modell 1954 an der altmodisch, ihr Design wurde auch auf den Nachfolger CX und den Hinterachse die durch den Nachfolger berühmt gewordene hydrauliglücklosen Citroën-Maserati-Hybrid SM übertragen. Der Besitzer einer sche Federung spendiert. Nach 760.000 Avants war Schluss – den ab DS kam in den Genuss der hydropneumatischen Federung: Tatsächlich 1947 gebauten Lieferwagen Typ H nicht mitgerechnet. Unglaublich konnte man die DS zur Not auch auf drei Rädern fahren, Unebenheiten aber wahr: Der legendäre Wellblechtransporter basiert auf dem Avant. aller Art waren für dieses Auto sowieso kein Problem. Bereits 1936 gab Citroëns neuer Geschäftsführer Pierre Außer man entschied sich für die mit „normalen" Boulanger einen Kleinstwagen in Auftrag: „Entwerfen Federn ausgestattete Einfachversion namens ID. Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln Die Luxusvariante „Pallas" war ein dermaßen und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen fein ausgestattetes Fahrzeug, dass es die franWein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und zösischen Präsidenten de Gaulle und Pompidou dabei nur drei Liter Benzin auf 100 Kilometern vernutzten. Für die hohen Herren gab es auch offene braucht", soll Boulanger gesagt haben. Dass es auch Modelle zum Herauswinken. Die Cabrios stammschlechteste Wege bewältigen und von ungeübten ten vom Karosseriehersteller Henri Chapron und Fahrern beherrscht werden sollte, ist fast schon waren für die meisten Menschen unerschwingselbstverständlich. 1939 wurde der TPV – „Toute lich – und das sind sie heute auch für frankophile Petite Voiture" oder „Ganz kleines Auto" – auf dem Méhari – Oldtimerfans. Pariser Automobilsalon vorgestellt. 250 wassergedie Strandente Obwohl man immer wieder, speziell im Rallyesport, kühlte Prototypen entstanden noch im selben Jahr. erfolgreich war und ist – 1960 gab es zum Beispiel den 2CV 4x4 Doch der Zweite Weltkrieg verhinderte den Produktionsstart. Als 2CV „Sahara" mit Allradantrieb und zwei 16-PS-Motörchen als Antrieb, wurde es erst knapp zehn Jahre später produziert. Das Autochen 1990 sorgte der ZX Rallye Raid für Furore –, ging es in den 70er ist zunächst mal skurril, aber eben auch innovativ: Als erstes Jahren abwärts. Die Talfahrt endete auch nicht, als Peugeot S.A – kurz Fahrzeug seiner Klasse hat es PSA – die Marke in den eigenen Konzern eingliederte. Das lag auch an Vorderradantrieb, und außerder schwindenden Eigenständigkeit von Citroën. Seit einigen Jahren dem wird es serienmäßig mit sieht es wieder besser aus. Unverwechselbare Fahrzeuge wie der C3 Vierganggetriebe Cactus zeigen Profil. An einem echten Nachfolger für die „Ente" wird auch gearbeitet – der Méhari ist bereits wieder da. Seit 2016 wird er als spaßiges Elektrostrandmobil angeboten. In der Jubiläumsschrift zum runden Geburtstag fasst Alain Thuret, Vorsitzender der „Amicale Citroën und DS Frankreich", das Wesen von Citroën folgendermaßen zusammen: „Für mich ist Citroën die einzige Marke, die avantgardistische, innovative, gewagte Technologien anbietet, die stets zeitgemäß sind und oft kopiert wurden." Traction Avant 7B "Faux-Cabriolet"
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FRANK ELSTNER Abenteurer, Spieler, Macher, Pionier, neugieriger Mensch – stiller Star
Kinderstar, bekanntester RadioVon Christian Simon Discjockey der 60er Jahre, revolu" von Radio tionierender" Programmdirektor einem Lautsprecher. Und es gab auch schon 1923 schrieb der österreichische Schriftsteller Luxemburg, Moderator von TV-Sendungen wie Groupies, aber da war ich immer vorsichtig. Felix Salten die Geschichte von Bambi", 1942 " und 1950 Die Montagsmaler", Erfinder und erster Präsentator Nach den Auftritten bin ich meist nachts wurde sie von Walt Disney verfilmt " der ZDF-Kult-Show Wetten, dass ...?", Ideengeber, wieder zurückgefahren, um am nächsten vom damaligen SWF als Hörspiel produziert. " Produzent und Gastgeber vieler Fernsehsendungen wie Tag pünktlich zur Sendung im Studio zu Und das Bambi wurde gesprochen von ... Frank Elstner. Der Start einer Karriere als "Die stillen Stars", "Menschen der Woche" oder aktuell sein. Da war nicht viel Zeit für schlimme Wetten, das war's ...?" auf YouTube – für all das steht ein Kinderstar. Hast du das noch vor Augen? "Name: Frank Elstner. Er holte mich 1974 zu RTL, zu einer Sachen … Ja, natürlich! Damals war der Radio Luxemburg wird mit dem Namen Zeit, als die Luxemburg-Sprecher noch Stars waren. Ich zweier Radiopioniere verbunden: Camillo Südwestfunk auf viele alte Villen verhabe viel von F.E." gelernt und es mit auf meinen teilt. Im Tannenhof wurden die Hörspiele Felgen und Frank Elstner. Was war das Erfolgs" als ich 1978 zum ZDF wechselte. Weg genommen, produziert, auch „Bambi". Ich ging zu der geheimnis von Radio Luxemburg? Wir haben uns nie aus den Augen verloren und Zeit in Baden-Baden zur Schule und bekam … und Chefsprecher Jochen Pützenbacher sind gute Freunde geworden. Ich traf für die Aufnahmen zwei Tage frei. Als ich fertig dürfen wir nicht vergessen. Nun, wir waren Frank Elstner in seinem Büro in war, kam der damalige Intendant Prof. Friedrich eine verschworene Gemeinschaft. Wir waren zwar Baden-Baden. Bischoff, ein schlesischer Dichter, zu mir. Er bedankte Konkurrenten, und es gab immer einen Riesenkrach,
Du hast einmal gesagt: Ich habe das Verdrängen perfektioniert ... ich " Träumereien." Wo ist für dich die Grenze zwiversinke nicht in nostalgische schen Träumereien und Erinnerungen? Erinnerungen haben nichts mit Träumen zu tun. Erinnerungen sind real. Manchmal träume ich auch. Dann schaue ich in den Himmel und stelle mir das eine oder andere besser vor, als es geworden ist. Meine Tochter hat kürzlich in einem Artikel über jemanden geschrieben, der auf einer Wiese lag und sich seine Träume groß träumte. Das ist eine sehr schöne Aufforderung. Man soll groß träumen, damit man weiß, was man alles erreichen kann.
Die 60er Jahre, das war die Zeit der Musik- und Moderevolution, der neuen Freiheit, der Studentenrevolte, und das war auch Sex & Drugs & Rock'n'Roll. Wie hast du diese Ära wahrgenommen? Du warst ja schon bei Radio Luxemburg …
Auch ich hab damals alles miterlebt, was schön und schrecklich war. Ich habe in Deutschland über hundert Discotheken eröffnet, denn wir Luxemburger DJs hatten auf dem europäischen Festland den Ruf, die „Musikmeister" zu sein – mit zwei Plattenspielern und Seite
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wer die neueste Platte der Beatles oder Stones zuerst spielen durfte, aber dieser Wettbewerb hatte etwas von cooler Fairness. Abends sind wir alle zusammen in die Kneipe gegangen, haben einen Quetsch getrunken und gewürfelt. Wir waren einfach 'ne super Truppe! Wir haben uns viel getraut, was die deutschen Sender damals nicht gemacht haben. Dadurch sind wir aufgefallen!
Würde Radio Luxemburg heute noch funktionieren?
Ich glaube nicht. Die heutigen regionalen Sender sind aufs jeweilige Aktuelle so spezialisiert, dass man sich fürchterlich langweilen würde, wenn man RTL in Schleswig-Holstein mit einer Verkehrsmeldung aus Bayern hören würde. Dazu kommt, dass das Formatradio die Vielfalt eines Programms kaputtgemacht hat. Leider eine Entwicklung, der man sich nicht verwehren konnte. Ich bedauere, dass es so gekommen ist, bin aber Realist genug zu wissen, dass es sich nicht mehr ändern wird.
Europa ist neben Donald Trump heute das politische Thema Nr. 1. Noch vor den Montagsmalern" hast du in den Sechzigern Spiel ohne Grenzen" mo" Wäre diese Sendung nicht gerade in der "jetzigen Zeit ein Remake deriert. wert?
Diese Sendung hätte zu allen Zeiten ins Programm gepasst! Junge Leute in ganz Europa haben sich immer untereinander gut verstanden. Die Show hatte international einen Riesenerfolg. Camillo Felgen war
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Foto: © Christian Simon Productions
sich, schenkte mir eins seiner Bücher und schrieb hinein, er wünsche mir eine große Karriere. Und stell dir vor, der SWR hat gerade sogar die CD neu aufgelegt, nach nunmehr 60 Jahren!
Hans Rosenthal hat mir mal gesagt: Übernimm nie eine Sendung, die ein " Risiko eingegangen und hast 2002 anderer vor dir gemacht hat." Du bist das Verstehen Sie Spaß?" übernommen, obwohl die Show vor dir von Paola und "Kurt Felix und anderen Moderatoren präsentiert worden war. Warum hast du das Angebot angenommen? Es tut mir leid, dass Hänschen das gesagt hat, denn er war ein sehr kluger, engagierter, fleißiger Kollege, den ich sehr mochte, aber mit diesem Satz hat er sich total geirrt. Hätte Hans Recht damit, wäre Thomas Gottschalk nie ein Star geworden. Sein wirklich großer Erfolg war mein „Wetten, dass ...?" Ich habe Thomas damals ausgesucht und ihm meine Sendung gegeben. So war es auch bei Kurt Felix. Er hat mich ausgesucht und mir seine Sendung übertragen. Um dann Erfolg zu haben, darfst du nicht an dich, sondern nur an die Inhalte denken. Wenn ich zehn Spaßfilme präsentiere, und alle sind zum Totlachen, ist es fast wurscht, wer moderiert.
Du hast das Mikrofon bei Wetten, dass ...?" an Thomas Gottschalk weiter" aber als Thomas mit der Sendung aufhörte, gereicht. Das ging zwar gut, sprach er von einem abgenagten Knochen". Hat das wehgetan? " Nein, ich kenne Thomas und weiß, so hat er’s nicht gemeint. Wahrscheinlich hatte er keine Lust mehr, und es ging ihm wie mir 20 Jahre vorher. Als vier Schweizer einen Lkw auf vier Biergläser gestellt hatten, wusste ich, es geht alles, wenn man’s richtig macht. Ich war nicht mehr neugierig. Das war der Zeitpunkt zur Übergabe, und mit Thomas kam der „Zeitgeist-Moderator" mit den richtigen Klamotten und den passenden Sprüchen. Das war sein größter Erfolg, und ich glaube, auch der größte Erfolg fürs ZDF.
Mit Nase vorn" bist du nach dem Riesenerfolg von " dass ...?" auf die Nase gefallen. Hat der MissWetten, "erfolg den Erfolgsmenschen Frank Elstner getroffen?
Das hat mich sehr getroffen. „Nase vorn" war ein wunderbares Konzept. Es war damals die modernste Sendung überhaupt. Wir waren die erste Castingshow und haben Erfindungen zum ersten Mal gezeigt. Der Medienmanager Hans R. Beierlein hat mir mal gesagt: „Du warst viel zu früh mit dieser Idee." Ich habe damals behauptet, jeden Tag entstehe etwas Neues. Die Entwicklung der nächs ten zehn Jahre wird revolutionärer als die der vergangenen 200 Jahre. Genauso ist es gekommen! Wir haben die Digitalisierung vorausgeahnt, nur die Zuschauer konnten das nicht nachvollziehen. Aber immerhin hatte die schlechteste Sendung 13 Millionen Zuschauer, und wir haben das Programm drei Jahre produziert. Die Presse hat mich allerdings so lange niedergeschrieben, bis mir die Lust vergangen war, Prügelknabe der Nation zu sein.
Macht Misserfolg Mut?
Tiefschläge können bewirken, dass man verstärkt ins neue Projekt geht, aber es gibt keine feste Regel außer einer: Man sollte nie an Selbstmitleid zugrunde gehen. GoodTimes
© Pressefoto ZDF
Ab 1986 gab es 138 Folgen deiner Fernsehreihe Die stillen Stars", in der du " Nobelpreisträger interviewt hast. War das, ähnlich wie bei Menschen der Wo" Elstner, der sich che", der andere Frank in der Rolle des Journalisten wohler fühlte als in der des Showmasters?
Ich habe darauf geachtet, dass das, was ich mache, altersgerecht ist. Mit 50 musst du keine Showtreppe mehr runterlaufen und dich von Ballettmädchen anstaunen lassen. Das war nicht meine Art. Als ich mein Interesse für Wissenschaftler entdeckte, sagte ich mir: „Mach eine Sendung mit der einfachsten Darstellung von dir selbst und so ausführlich wie möglich die Darstellung deines Gastes." Das ist uns gelungen. Alle 138 Folgen wurden sogar im amerikanischen Fernsehen gezeigt.
Jede TV-Sendung bedarf einer intensiven Vorbereitung und vieler Proben, und trotzdem soll dann am Abend alles ganz locker rüberkommen. Kann das für einen Moderator zum Problem werden?
Ich bin dafür berühmt geworden, dass ich mich nicht vorbereitet habe. Das Team hat sich immer gewundert: Der probt ja gar nicht am Samstagnachmittag. Der liegt im Bett, macht Sport oder rennt durch den Wald. Ich habe mir immer gesagt, wenn ich am Abend in Form sein will, muss ich körperlich fit sein. Ich habe das wie ein Sportler gesehen. Meinem Regisseur Sascha Arnz bei „Wetten, dass ...?" habe ich gesagt: „Ich verlass' mich auf dich. Mach' für unsere Zuschauer die besten Bilder. Und du kannst dich auf mich verlassen! Ich komme heute Abend in Top-Form auf die Bühne." Und was viele auch nicht wissen: Es gibt kein einziges Drehbuch von „Wetten, dass ...?" – zumindest nicht von mir.
Was ist für dich Kult bzw. was ist für dich zum Kult geworden?
Als ich junger Discjockey bei Radio Luxemburg war, überschwemmte die englische Popmusik den deutschen Markt. Die Gruppen kamen nach Deutschland, die Beatles spielten im Hamburger Star-Club. Das war schon Kult! Wir in Luxemburg hatten noch einen besonderen Kult, nämlich die Musik der Franzosen. Es gab dort unglaubliche Künstler: Gilbert Bécaud, Michel Sardou, Juliette Gréco, Francoise Hardy, Edith Piaf und viele mehr. Die Franzosen haben ihren Musikmarkt sozusagen sauber gehalten. Wenn wir damals in der Popmusik bei uns mehr deutsch gesungen hätten, wäre diese Zeit für Deutschland womöglich interessanter geworden. Für mich persönlich ist es heute Kult, wenn ich die Briefe der letzten Monate lese, die mir geschrieben wurden, nachdem ich mich als Parkinson-Patient geoutet habe. Etwa 80 Prozent beginnen ungefähr so: „Lieber Frank! Schon damals, als du noch den ,Fröhlichen Wecker' bei RTL gemacht hast, war ich ein Fan von dir … und jetzt würde ich dir gerne helfen." © Pressefoto SWR
der „Hero", für mich war's meine erste Fernsehsendung. Es war toll, wenn Rimini gegen Wilhelmshaven antrat und Olympiasieger wie Heide Rosendahl als Kandidaten auftraten. Das waren große Momente! Krach gab es immer wieder zwischen den einzelnen Ländern, wenn es um die Spielregeln ging. Die Deutschen waren sehr pingelig, die Italiener total locker. Die Deutschen haben sich immer aufgeregt, den anderen war es wurscht. Nach einer gewissen Zeit war die Luft raus, und man hat die Show eingestellt. Als man sie zehn Jahre später wieder aufleben lassen wollte, hat’s nicht mehr funktioniert. Die Franzosen allerdings haben bis heute allein weitergemacht. Jetzt heißt es dort „Intervilles" und ist ein Städtewettkampf.
Vielleicht ist in einigen Jahren deine neue Talkshow Wetten, das war's ...?" auf YouTube auch Kult. Interes"sante Gespräche, tolle Gäste – Jan Böhmermann, Giovanni di Lorenzo, Helene Fischer, Herbert Grönemeyer ... Das kannst du doch noch jahrelang fortsetzen, denn Aufhören" ist ja ein Wort, das du nicht kennst ... "
Die Idee zu dieser Sendereihe hatte mein Sohn Thomas. Ich habe ihm gesagt: „Hör mal, das ist aber ein frecher Titel. Da könnte ja schon nach der ersten Sendung Schluss sein." Seine Antwort: „Papa, deswegen habe ich den Titel erfunden. Ich erwarte von dir, dass du ‚Wetten, das war’s ...?' in die Länge ziehst." Nun, ich möchte seinem Wunsch gerecht werden.
Frank Elstner – ein Abenteurer, ein Spieler, ein Macher, ein Pionier, ein neugieriger Mensch, ein stiller Star ... welcher Begriff gefällt dir am besten? Alle!
Danke, Frank! Alles klar! 1/2020
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RAMBO
Werden wir " dieses Mal " gewinnen?
"Rambo" war ein Gamechanger – nicht nur für das Genre des Action-Films: Als der Vietnam-Krieger 1982 auf der Bildfläche erschien, änderte sich alles. Für Sylvester Stallones Karriere, für Gewaltdarstellungen im Kino, ja selbst für die US-Außenpolitik.
Von Roland Schäfli
Politischer Action-Held
Geschaffen wurde der Prototyp des Übersoldaten, der unbesiegbaren Kampfmaschine. Doch erst in den Nachfolgern mutierte Rambo zum Zerstörungsinstrument und gar zum politischen Handlanger der ReaganAdministration. Dabei wäre der ursprüngliche Film beinahe gar nicht gemacht worden. Als der Roman „First Blood" 1972 herauskam, war das Thema der Vietnam-Heimkehrer frisch. David Morrells Bestseller wurde von Hollywood sofort angekauft, wanderte dann aber in die Schublade, nachdem mehrere Studios sich erfolglos an der Adaption versucht hatten. Denn im Buch ist dieser Rambo tatsächlich ein wildgewordener Terrorist. Der Roman beginnt mit: „Sein Name war Rambo …" und endet mit den Worten: „Teasle war tot." Dazwischen lag eine Zerstörungsorgie, in der die Romanfigur die im Krieg erworbenen Fähigkeiten gegen ihr Vaterland einsetzt. Darum musste Rambo selbst sterben – hingerichtet von seinem „Erschaffer", Colonel Trautman. An diesem Stoff scheiterten alle Drehbuchautoren.
Wie Rocky, nur mit Messer
Einer der Top-Stars, die eine Weile mit der Rolle liebäugelten und dann ausstiegen, war Steve McQueen. Hätte gepasst, wie er auf dem Motorrad vor dem Zugriff der Polizei flieht. Aber das Filmprojekt gewann nicht an Fahrt. Bis die Produzenten Vajna und Kassar, Neulinge im Geschäft, Sylvester Stallone anpeilten. Dazu muss man wissen, dass der damals 35-Jährige noch nicht den Nimbus des Superstars besaß. Alle Filme Seite
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außerhalb der „Rocky"-Serie waren gefloppt, und der Italo-Amerikaner suchte dringend nach einer Möglichkeit, sich ein neues Publikum zu erschließen. Stallone nahm das Heft respektive das Drehbuch dann selbst in die Hand. War Rambo in Morrells Original ein Kriegsprofi mit Kurzschluss und der Sheriff sein gerechter Gegenspieler, so machte Stallone aus der Figur einen RockyUnderdog, während der Sheriff zum Antagonisten degradiert wurde, wenn auch mit einem Rest Sympathie ausgestattet. Buch- und Filmtitel lauteten noch nicht „Rambo", sondern „First Blood", was sich auf eine Dialogzeile bezieht, wer das „erste Blut" vergossen hat. Foto: Bildarchiv Hallhuber
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ährlich pilgern 15.000 Touristen nach Hope in British Columbia. Ein Flecken auf der Landkarte, rechts vom kanadischen Vancouver. Dabei ist die Stadt, wie Sheriff Teasle zum vermeintlichen Landstreicher sagte, „nichts Besonderes". Der Landstreicher war John Rambo. Und er sollte Hope in etwas Besonderes verwandeln: den Geburtsort des RamboKults. In den 80er Jahren definierte die Rambo-Trilogie den Begriff des ActionHelden neu. Rambo wurde zum geflügelten Wort, das der Duden mit „brutaler männlicher Typ; Kraftprotz" erklärt. Da man „Rambo" gemeinhin mit tumber Unterhaltung gleichsetzt, wird dem ersten Film der Reihe weiterhin ein verdienter Ehrenplatz in der Liste der besten Action-Filme aller Zeiten verwehrt.
Wiederherstellung von Army-Stolz
Der Streifen wurde zum unerwarteten Knüller. Rambo hatte den Nerv der Zeit getroffen. Die Vietnam-Heimkehrer-Filme „The Deer Hunter" und „Coming Home" hatten nur zwei Jahre davor das Feld bestellt. Sie hatten dem Publikum gezeigt, wie versehrte Veteranen aus dem Dschungelkrieg zurückkehrten. Doch zu einer Versöhnung mit dem Militär hatten diese Wegbereiter nicht geführt. Das sollte Rambos Mission sein. Er gab den „Vietnam Vets", denen man den verlorenen Krieg (und Kriegsverbrechen) vorwarf, erstmals eine verteidigende Stimme. Weinend proklamierte der gebrochene Held: Wir vom Militär hätten den Krieg gewinnen können – wenn man uns nur hätte machen lassen! Dabei ist dieser John Rambo ein durchaus bemerkenswerter Hybrid. Er trägt das Stirnband eines Hippies und die Haare lang wie ein Vietnam-Demonstrant. Und ist doch gleichzeitig Kriegsheld und Militarist in Personalunion. Der Körper ist ebenso vernarbt wie die Seele. Doch nur noch angedeutet ist der posttraumatische Stress der Romanfigur: Unter Druck brechen die Vietnam-Erinnerungen in brutalen Flashbacks durch. Ein Ende, in dem Trautman wie in der Romanvorlage Rambo erschießt, wurde zwar gedreht, erhielt aber in Testvorführungen katastrophale Noten. Rambo darf nicht sterben! Das verlangten lautstark die allerersten Zuschauer. Und dabei sollte es bleiben.
Das geflügelte Wort
„Rambo" ist der Granddaddy des modernen Action-Films. Für alle Nachfolger hieß die Devise: Nonstop-Action. Drei Jahre darauf kam die kontroverse Fortsetzung, die das Bild der aus vielen Wunden blutenden, übermenschlichen Tötungsmaschine für immer im Bewusstsein verankerte.
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Foto: © Roland Schäfli
wählte Rambo das Schlachtfeld Afghanistan. Und wieder verkörperte die Figur das Sinnbild des Reagan-Amerikas. Stallone hatte begriffen, welchen politischen Impact Rambo haben kann. Auch wenn er nachträglich eingestand, dass er den Film verbockt habe.
Hope 2019
Selbst David Morrell hatte sich umgestellt. Im Vorwort zum zweiten Teil schreibt er: „In meinem Roman fand Rambo den Tod. Im Film hat er überlebt. Dieses Buch knüpft an die Handlung des Films an." Warum die Cash Cow schlachten? In Morrells Fortsetzung wird Rambo zum Zen-Meister des Kriegs. „Erfüllt von tiefer Zufriedenheit …", beginnt sein Text, und er endet mit: „Mann, das haben Sie echt toll hingekriegt!" Auch Stallones Rambo unterzog sich einer Wandlung. Seine posttraumatischen Störungen waren wie weggeblasen. Keine Vietnam-Flashbacks mehr, keine Kurzschlüsse. Nur aufgestaute Wut, die sich entladen muss. Dieses Mal nicht gegen das eigene Land. Sondern zielgerichtet gegen das kommunistische Vietnam und die russischen Helfershelfer. „Sir, werden wir dieses Mal gewinnen?", fragt der Held seinen Colonel zu Beginn der Mission. Eine Textzeile, mit der sich die Kunstfigur direkt an die Führer der Nation wandte. Damit wurde ein ActionFilm zum politischen Instrumentarium. US-Präsident Ronald Reagan – der bestens verstand, wie die Propagandamaschinerie Hollywoods funktioniert – zitierte Rambo. Nannte das Kind beim Namen: Russland war „das Reich des Bösen". Ein oft gesehenes Plakat jener Tage zeigte Reagans Kopf auf Stallones Muskelkörper, den Raketenwerfer im Anschlag, die Tagline des Films parodierend: „Kein Krieg kann ihn stoppen!"
Foto: © Roland Schäfli
Fotosujet für Fans: Die hölzerne „Gateway"Schrift war im Film zu sehen, wenn Rambo die Stadt Hope betritt.
Als Hope 1981 als Drehort angefragt wurde, sagten die Stadtväter ohne zu zögern zu. Stallone erinnert sich, dass in der Gemeinde die Arbeitslosigkeit grassierte (als 1000 Statisten besetzt werden sollten und sich mehr als 3000 meldeten, kam es zu Ausschreitungen) und niemand etwas dagegen hatte, dass die Filmemacher die Stadt förmlich in die Luft jagen würden. Der Name der kanadischen Stadt (von den Produktionsdesignern „amerikanisiert") wird im Film
Unscheinbarer Bahnübergang, aber Pilgerort von Rambo-Fans: Hier ließ Rambo auf der Flucht sein Motorrad durch die Luft segeln.
sogar beibehalten. Der Drehort Kanada war nicht nur aus steuerlichen, sondern auch aus logistischen Gründen ideal. Nahe der Stadt liegen die Sieg mit Verspätung Othello-Tunnel, eine Tunnelkette, in der 1914 nach Silber geschürft wurde. Die steil abfallenden Felswände – im Film wirken sie, als befinde man sich Erstmals mussten Zensurstellen sich mit dem sogenannten Bodycount weitab von jeder Zivilisation – liegen, problemlos erreichbar, neben der befassen, der Zählung totgeschossener Statisten, und Stallone geriet ins Zufahrtsstraße. In den Jahren seither ist der Kult unaufhörlich gewachsen. Visier der Kritiker. „Ich weiß gar nicht, was die Leute wollen", lamentierte „Niemand hat damit gerechnet", heißt es in Hopes Office für Tourismus. der Star, „wir haben einen guten Action-Film gemacht." Das amerikaniDie Brücke, die Rambo überquert und damit den Konflikt beginnt, hieß im sche Publikum jubelte seinem neugeborenen Helden zu, der alles wieder Volksmund liebevoll „Rambo-Bridge", musste aber dennoch 2011 einem gutmachte. Eine ganze Generation heilte. Den US-Soldaten den Rücken Neubau weichen. Das Office des Sheriffs wurde stärkte. „Rambo" funktionierte wie Medizin für den Die Steilwand, an der der Vietnamzur Seniorenresidenz umgestaltet. Unverändert ist amerikanischen Schmerzzustand: Im ersten Film Veteran kraxelte und schließlich jedoch die Straßenzeile, durch die Rambo auf dem näht er sich selbst eine Wunde zu. Im zweiten Teil beherzt in die Tiefe sprang: der Othello-Tunnel im Coquihalla Motorrad rast. zeichnen russische Folterer sein Gesicht mit neuen Canyon Park.
"Last Blood"
© Pressefotos
Foto: © Roland Schäfli
Narben. Werden wir dieses Mal gewinnen? Und ob! John Rambo gewann den Vietnam-Krieg in der Verlängerung. „Rambo 2 – Der Auftrag" (im Original „Rambo", mit der Unterzeile „First Blood Part 2") geriet zum globalen Monstererfolg. Die Kopisten folgten ihm auf dem Fuß. Arnold Schwarzenegger hatte sich das Image – nackter Oberkörper, geziert von Patronengurten, das schwere MG mit einer Hand im Anschlag – in „Commando" einverleibt. Und ohne Stallone kein Chuck Norris in der „Missing In Action"-Reihe. „Rambo III" musste 1988 also noch zulegen: noch mehr Muskeln, noch größere Explosionen. Und noch entrückter von jeder Realität. Spätestens im dritten Teil wurde Rambo zur Cartoon-Figur, die unkaputtbar ist, ob man sie in die Luft sprengt oder in den Abgrund stürzt. Wieder blutete er. Wieder wurde der russische Feind der 80er Jahre frontal angegriffen: Dieses Mal GoodTimes
20 Jahre ließ man Rambo in Ruhe. Bis „John Rambo" – im kürzesten und weitaus brutalsten Film der Reihe – 2008 auf dem Kriegsschauplatz Burma auftauchte. Diese Fortsetzung setzte allerdings keinen politischen Dialog mehr in Gang. Diskutiert wurde nur noch, ob Stallone im fortgeschrittenen Alter diese Rolle überhaupt meistern konnte. Dem ungeachtet läuft seit September diesen Jahres Teil V im Kino. Die Handlung – der Vietnam-Held hat sich mit einem mexikanischen Drogenkartell auseinanderzusetzen – weist bereits auf seine unpolitische Natur hin. Rambo ist zum Selbstzitat geworden, als Action-Allerheilmittel überall einsetzbar. Dass er in „Rambo: Last Blood" wiederum ein Blutbad nehmen wird, scheint jedoch unausweichlich. 1/2020
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Heimaten
Wer wir waren, und wer wir sind
Von Nicolas von Lettow-Vorbeck
Laut einer Umfrage von infratest dimap aus dem Jahr 2015 empfinden 89 Prozent der Bundesbürger beim Begriff Heimat" ein positives Gefühl. Für 38 Prozent " ist der Begriff wichtig, für 52 Prozent sogar sehr wichtig. Wie genau Heimat zu definieren ist, darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Heimat wird von jedem Menschen anders empfunden – Heimat ist stets im Fluss. In der Umfrage assoziieren 92 Prozent der Befragten vertraute und geliebte Menschen mit Heimat, 79 Prozent geben bestimmte Landschaften, Städte und Umgebungen an. 66 Prozent der Befragten definieren den Ort als Heimat, an dem sie aufgewachsen sind.
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as eigene Elternhaus, die Straße der Kindheit, das überschaubare Viertel, die gemütliche Wohnung der Großeltern, das verschlafene Heimatdorf, die nächstgelegene Stadt, der sonnige Ferienort am Meer ... jedem von uns sind solche oder ähnliche Orte fest ins Gedächtnis geschrieben, sind sie doch eng mit unseren frühesten, oftmals prägenden Erinnerungen verknüpft. Als Kinder sind uns diese Orte so selbstverständlich gewesen, wir dachten überhaupt nicht über sie nach. Als Jugendliche dann gingen wir kritisch mit unserer Heimat ins Gericht. Wäre es anderswo nicht viel, viel aufregender, größer, mondäner? Scheinbar wartete da draußen die weite Welt mit Tausenden von Möglichkeiten auf uns. Daheim? Eng und spießig! Nur weg von hier, egal wohin ... So verließen dann viele von uns ihr früheres Lebensumfeld, einige blieben in der weiteren Region, andere zog es zur Ausbildung oder zum Studium in ein anderes Bundesland oder sogar ins Ausland. Dort warteten neue Herausforderungen, wir ließen die Vergangenheit hinter uns, wurden gleichsam erwachsen, reiften heran. Trotzdem lassen uns die Orte von früher niemals ganz los. Ganz egal, ob wir dies nun wollen oder nicht. In stillen Momenten tauchen sie wieder aus den Tiefen des Unterbewussten auf, oder wir reisen des Nachts in unseren Träumen an die Orte von damals zurück. Seite
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Wie man mit diesen – auf der Landkarte klar definierbaren – Vergangenheiten am besten umgeht, darüber gibt sehr geteilte Meinungen. Ähnlich wie beim Thema „Ehemaligentreffen der Abschlussklasse" prallen hier schwärmerische Nostalgiker („Das war die beste Zeit meines Lebens") auf abgeklärte Pragmatiker („Die Zeit ist vorbei und kommt nie wieder") – natürlich exis tieren auch zahlreiche Zwischenstufen. Ganz egal, wie man zu seinen Vergangenheitsorten steht, es ist eine ambivalente, bewegende Angelegenheit, ab und zu So machte Apotheke Spaß an sie zurückzukehren. Geburtstagsjubiläen, Weihnachts feiern oder Familientreffen sind häufige Anlässe, einfach mal wieder in die alte Heimat einzutauchen und diese ganz in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Wenn ich – nach neun Jahren in Berlin – zu meiner Mutter in mein rund fünf Zugstunden entferntes niederrheinisches Heimatdorf Büderich fahre, fällt mir immer wieder auf, wie wenig sich dort in fast einem Jahrzehnt verändert hat. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass dort die Uhren langsamer ticken, die Zeit gemächlicher abläuft. Heute, als Einwohner der hektischen Metropole Berlin, empfinde ich diese Vorstellung als äußerst attraktiv, als Jugendlicher naturgemäß überhaupt nicht. In solchen Momenten wird einem klar vor Augen geführt, wie sehr man sich doch in der Fremde verändert hat. Vieles in der alten Heimat wirkt hingegen eigentümlich statisch. Hieraus ergibt sich ein äußerst reizvolles Spiel aus Wiedererkennen und Neuentdecken. Denn da sich die eigene Perspektive geändert hat, nimmt man die Orte von früher gleichsam vertraut und neu wahr. Mir etwa fallen bei
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Heimatbesuchen immer wieder neue Details und Eigenheiten meines Heimatdorfes ins Auge, die ich als Kind und Jugendlicher völlig übersehen habe. Mich interessierten damals die neuesten Computerspiele, HollywoodFilme oder Musikalben, alles, was nach weiter Welt und internationalen Trends schmeckte. Themen wie Architektur oder lokale Geschichte hatte ich damals überhaupt nicht auf dem Schirm, fand sie total öde. Heute hingegen faszinieren mich die zahlreichen jahrhunderte alten Gehöfte am Niederrhein und die – über 2000 Jahre alte und bis in die Römerzeit zurückreichende – Siedlungsgeschichte der Region. Viel, viel spannender als alle Computerspiele oder Geschlossen: der Kiosk meiner Kindheit Hollywood-Filme zusammen! Klar, Gebäude atmen in längeren Zyklen als wir Menschen. Sie stellen eine Kulisse, die uns oberflächlich die Illusion von unveränderba-
Ich und der Baum 1992 ...
... und 2018.
ren Räumen gibt. Unser altes Grundschulgebäude, das Rathaus, der Kindergarten, die knorrige Eiche im Park – alles noch da. Schaut man aber näher hin, erkennt man, dass auch hier die Zeit genauso vergangen ist wie überall sonst auf der Welt. Während wir weg waren, sind die Menschen von damals gealtert, gestorben, weggezogen. Viele Geschäfte, Restaurants oder Kneipen existieren nicht mehr. Wo früher die Videothek der Kindheit war, werden heute unter grellem Licht Matratzen verkauft. Der Zeitungskiosk, an dem man einst „Yps"Hefte und Gummibärchen erstand, steht heute leer und schaut einen traurig an. Dieses schmerzhafte Wieder mal alte Bekannte treffen Erkennen der Zeitlichkeit sorgt bei aller Wiedersehensfreude für eine gewisse Melancholie, die bei jedem Heimatbesuch mehr oder weniger stark mitschwingt. Man besucht eine Bühne, auf der das Theaterstück von einst nie mehr aufgeführt werden wird. Die Vergangenheit – mit allen ihren positiven, negativen, alltäglichen, banalen – Aspekten GoodTimes
ist un w iderruflich vergangen. Sie wieder für ein nostalgisches Wochenende in mundgerechten, wohlig warmen, bequemen Portionen zum Leben zu erwecken, wird nicht gelingen. Für uns als Erwachsene gehört auch der Weg zum Friedhof zum Heimatprogramm. Es sind vor allem die Menschen, die Heimat ausmachen. Ohne sie verlieren auch die schönsten Orte ihre Seele, nur noch ganz schwach, kaum hörbar, flüstert dann die Vergangenheit zu uns ... Ganz plötzlich werden wir aus unserer Nachdenklichkeit gerissen, begegnen im Super markt der alten Nachbarin von früher, dem lustigen Grundschulfreund, dem Hausmeister. Wir erkennen uns sofort wieder, verstehen uns auf Anhieb. Und die grauhaarige Kassiererin dort, die sitzt doch schon seit 35 Jahren an der Kasse! Das gibt’s doch gar nicht! Und dann ist auf einmal alles so wie früher, man plaudert angeregt, trifft sich auf ein Bierchen im alten Stammlokal. Auch dort hat sich scheinbar nix verändert! Wie ist es dir ergangen? Hast du geheiratet? Zeig doch mal die Fotos deiner Kinder! Wir müssen echt mal öfter telefonieren, gib mir mal deine Handynummer ... Hat man sich wirklich zehn Jahre nicht mehr gesehen? Im Kopf fühlt es sich nur nach ein paar Wochen an. Komisch, vielleicht ticken die Uhren hier wirklich anders. Die Vergangenheit greift in diesen Momenten nach uns, umklammert uns ganz fest. Wenn wir es wirklich wollen, können wir alte Freundschaften wieder aufleben lassen, Gefühle von früher gleichsam neu und anders erleben. Und dann klingelt lautstark das Handy und holt uns in die Gegenwart zurück, die neue Heimat meldet sich zu Wort. Die Ehefrau fragt, wo die Rechnung der Waschmaschine abgeheftet ist, außerdem müsse der Garten bald mal wieder gemäht werden, die Steuererklärung werde ... Stimmt, wir leben mittlerweile an einem anderen Ort, haben uns dort ein neues Leben aufgebaut, Freunde gefunden, Fährmann, wo ist deine Heimat? eine Familie gegründet. Und trotzdem tragen wir viele Heimaten in uns. Sie sind wie alte Freunde, zu denen wir Kontakt halten sollten. Wenn wir uns unserer Heimaten ab und zu ganz bewusst zuwenden, können wir eine Menge lernen: Wer wir waren, wer wir sind und vielleicht sogar, wer wir sein wollen. 1/2020
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Dieter Bohlen
Von Philipp Roser
Als Pop-Titan" bezeichnete ihn einst die " Bild"-Zeitung. Sein Selbstbewusstsein " ist alles andere als gering ausgeprägt. Kein Wunder angesichts der vielen Millionen Tonträger, die er mit Modern Talking und Blue System verkaufte. Oder angesichts der einst gigantischen Einschaltquoten seiner Castingshow Deutschland sucht den Superstar", " kurz DSDS, in der er seine Kandidaten schon auch mal derb niedermachte. Einer der Gründe, warum er bis heute eine der großen Reizfiguren der deutschen Musikszene ist, die kein Blatt vor den Mund nimmt und es dabei in Kauf nimmt, auch mal anzuecken.
Von nichts kommt nichts! W
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ohne Ende", erzählt Bohlen, der sich selbst managt – im Gegensatz eg vom Fenster war der gebürtige Ostfriese, der sein Studium zu vielen Kollegen. „Bei mir gibt es nur eine Entscheidungsebene, der Betriebswirtschaftslehre in Göttingen als Diplomund das bin ich. Ziemlich egoistisch (lacht), ich mache ja so Kaufmann abschloss, nie – zu präsent war er auch immer in ziemlich alles selber. Deshalb gibt es bei mir keine großen den Boulevard-Medien. Doch auf der Bühne war er eineinhalb Meetings, ich kann ja nicht mit mir selber ein Meeting machen. Jahrzehnte nicht mehr zu erleben. Bis er Mitte September erst Bei anderen ist das anders, das vergesse ich immer – die haben in Zürich, dann Leipzig, Hamburg und Mannheim wieder live einen Manager, die haben Anwälte und Berater. Als es loslegte – weitere Shows stehen im November/Dezember und dann losging mit: ‚Wann kommst du, wann kommst du März/April 2020 auf dem Plan. Und Geschäftsmann, der ins Studio und wann du?’, da hieß es: ‚Nein, an dem Bohlen eben auch ist, hat er sein Bühnencomeback mit Tag bin ich da, dann dort' – das war noch relativ der Veröffentlichung einer neuen Platte gekoppelt, die easy, das hätte man vielleicht noch hingekriegt." auch gleich den entsprechenden Titel trägt: DIETER Aber dann habe es alle möglichen Einwände, FEAT. BOHLEN – DAS MEGA-ALBUM. Seine größInteressenskollisionen mit Plattenfirmen etc. gegeten Erfolge hat er dafür neu aufgenommen, diesmal ben. „Da habe ich nach einer Woche gedacht, ohne Thomas Anders oder sonstige Sänger – die mir platzt der Schädel." Also legte Bohlen die Vokalparts übernahm er selbst. Ein Interview klappte Albumpläne ad acta. angesichts des vollen Terminkalenders des 65-Jährigen „Dann ging die Vorbereitung für meine Tournee nicht mehr rechtzeitig vor Redaktionsschluss, doch stellte los, ich war mit den Musikern im Studio, weil wir neue seine Plattenfirma Sony Music kult! reichlich O-Töne Arrangements ausgedacht hatten – ich singe ja jetzt Bohlens zur Verfügung. Auszeichnungen und Trophäen stapeln sich alle meine Nummer-1-Hits quasi zum ersten Mal allei„Erst war DB1 geplant, das sollte ein Album sein mit im Hause Bohlen ne, auch Titel von Chris Norman, Yvonne Catterfeld und vielen neuen Titeln und mit vielen Kollegen, also Duette Seite
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all den anderen, die ich produziert habe. Da habe ich mir irgendwann bei mir geht das Alter der Fans bei vier, fünf Jahren los und hört bei überlegt: Mach doch davon ein Album, denn da brauchst du mit nie80 auf. Einen Thomas Gottschalk kennen alle Älteren durch ,Wetten, mandem zu reden, weil Dieter versteht sich mit Bohlen echt gut. Ich dass ...?’, aber der hat Social Media völlig verpennt. Ich halte immer konnte machen, was ich wollte – ich habe meine größten Hits eingedie Nase in den Wind, um rechtzeitig ein neues Klientel dazuzugesungen, und es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht." winnen." Er empfinde es als großartig, „dass mir Leute 35 Jahre oder Als „normale" CD ist das Album erhältlich, für Bohlen-Fans dürfnoch länger die Treue gehalten haben, aber es ist schön, wenn man te aber vor allem die drei Silberlinge umfassende Premium Edition auch immer neue Leute dazugewinnt. Aber das gibt es nicht umsonst. interessant sein: Da gibt es zusätzlich zu den zwölf Das ist ja mein Credo: Man kriegt auf diesem Planeten Instrumentalversionen auch noch eine Bonus-CD. Die dokunichts für umsonst. Nachhaltigen Erfolg hat man nicht, mentiert die Karriere des musikalischen Strippenziehers, ohne was dafür zu tun." Dafür investiere er viel Zeit: „Ich und zwar beginnend mit seinen Solokarriere-Anfängen stehe jeden Morgen um sechs Uhr auf und gebe Vollgas. als Steve Benson und Ryan Simmons 1980. Da war noch Alles das bräuchte ich ja nicht zu tun, aber wenn man nicht abzusehen, dass er sich einmal zu einem der, wenn auch für die Fans da sein will, kostet das einfach seine nicht dem erfolgreichsten deutschen Komponisten und Zeit. Ich beantworte manchmal am Wochenende 4000, Produzenten entwickeln würde, der in aller Welt abräumt. 5000 Kommentare – mein Rekordtag war neuneinhalb Mit Modern Talking schaffte er es mit fünf Titeln in Folge Stunden mit Instagram. Es ist ein Geben und Nehmen im auf Platz 1 der Single-Charts, "You’re My Heart, You’re My Soul" von Leben, und das haben einige nicht verstanden. Die wollen nur nehmen Modern Talking verkaufte sich sechs Millionen Mal. Und nach eige– funktioniert auf Dauer nicht." nen Angaben setzte er allein mit dem Duo, bei dem Thomas Anders Was sich – für Bohlen ebenfalls nicht ganz unwichtig – auch in als Leadvokalist fungierte, 42 Millionen Tonträger ab. Schon 1994 barer Münze auszahlt und zudem so etwas wie ein Schutzschild gegen nahm der Blondschopf eine Auszeichnung für mehr als 100 Millionen Kritik ist. „Die war in den 80er Jahren mal ziemlich massiv, als man verkaufte Tonträger weltweit entgegen. Allein 200 Gold- und auf der ganzen Welt Erfolg hatte, und in Deutschland hieß es‚ das ist Platinplatten für Modern Talking schmücken seine Wände, über 1000 alles Trash, das hörst du in drei Jahren nie wieder’. Mittlerweile sind soll er insgesamt in Empfang genommen haben – inklusive der Singles 35 Jahre vergangen, und die Kracher sind in Russland mittlerweile und Alben, die er für Andrea Berg, Chris Norman, Yvonne Catterfeld, russische Volkslieder, wie ’Cheri Cheri Lady’ – vor ein paar Wochen Tyler, Bonnie war Capital Bra mit Vanessa Mai, Howard ’Cheri Cheri Lady’ Carpendale, Roland Nummer 1 – nach 35 Kaiser, Engelbert, Jahren. Da können Nino de Angelo, die Songs ja nicht so Dionne Warwick oder schlecht sein – und Errol Brown (Hot sie laufen ja immer Chocolate) produziernoch auf der ganzen te. Welt. Es vergeht kaum „Ach, die Kritik" ein Tag, wo wir nicht meint Bohlen und eine Lizenzanfrage kichert dabei in seifür ein Cover, für ner unverkennbar einen TV-Spot, für schnoddrigen Art, Dauergast in deutschen TV-Shows: eine Werbung im Nino de Angelo war einer der vielen Künstler, die Bohlen mit Erfolg produzierte. Dieter Bohlen 1985 „die kommt immer. Ausland bekommen. Es gibt ja nichts, was du heutzutage machst, wo du keine Kritik Unheimlich viele Filme benutzen die Titel – es ist genau das Gegenteil kriegst. Aber ich muss ehrlich sagen, wenn ich mir meinen Instagramvon dem passiert, was die Medien damals über Modern Talking gesagt Account angucke mit 1,3 Millionen Followern – das sind vielleicht haben. Diese Songs bringen auch nach 35 Jahren auf der ganzen Welt die Hardcore-Fans, da gibt es keine Hater. Aber früher, klar, wenn noch wirklich gute Lizenzeinnahmen." man die Nase raushält oder wenn man den Kopf ein bisschen weiDoch zurück zu Instagram: „Mich interessiert, was die Leute ter raushält als die anderen, dann gibt es natürlich immer Kritik." denken. Auch ich habe mich durch Instagram ein bisschen verändert Selbstverständlich sei ihm klar, dass es Einwände geben werde, dass – man wird ein bisschen kritischer seinen Aussagen gegenüber, weil – beispielsweise Yvonne Catterfeld besser gesungen habe. „Klar hat sie man kann manchmal gar nicht so denken, wie die Leute denken. Man das, sonst hätte ich sie das ja nicht singen lassen. Thomas Anders hat sieht, dass es zu jedem Satz 75 verschiedene Meinungen gibt – es ist die Modern-Talking-Titel auch ganz toll gesungen, aber jetzt singe ich für mich sehr interessant, wie einige Leute drüber denken. Manche so, wie sie mal im Original waren!" Das gelte im Übrigen auch für die schreiben natürlich auch Schwachsinn." Tour: „Bei der geht es ja nicht um ‚Dieter sucht den besten Sänger', 65 Jahre ist Bohlen inzwischen alt, „und da wird man doch ein sondern ich möchte Erinnerungen wecken an die 80er und die 90er, bisschen gelassener und schlauer oder weiser, hat ein bisschen Abstand ich möchte Erinnerungen an das erste Finale bei DSDS mit ’We Have zu Sachen, explodiert nicht mehr so A Dream’ wecken, ich möchte den Leuten Geschichten erzählen, die schnell, wird ein bisschen moderater, Geschichten hinter den Songs, wie es wirklich war. Und ich will natürwas man so denkt. Ich laufe regelmälich viel Quatsch machen mit den Leuten. Natürlich haben die anderen ßig 20 Kilometer. Man muss für alles die Lieder besser gesungen, aber ich glaube, deshalb kommt keiner zu etwas machen, und wenn man im dieser Tour – die Leute wollen einfach Dieter Bohlen sehen, die wollen Alter fit sein will, muss man ein bisDieter Bohlen hören, die wollen den Entertainer erleben, den sie von schen was machen, sowohl was die RTL, von Instagram her kennen!" Ernährung betrifft als auch Sport. Instagram taucht bei Bohlen immer wieder auf, das soziale Medium Man kann nicht erwarten, dass man spielt für ihn eine große Rolle. „Mein durchschnittlicher Instagramdie ganze Zeit zu Hause sitzt, nichts Follower ist so 24. Bei RTL habe ich die Kernzielgruppe 40 bis 50. macht und dann im hohen Alter Ich habe natürlich auch alte Fans von ganz, ganz früher – die Jungen noch gesund ist. Ich will ja gar nicht wachsen durch Instagram nach. Nächstes Jahr, wenn wir mit DSDS aussehen wie ‚ich weiß nicht was', sondern älter werden und trotzdem wieder starten, kommen dann erneut Vier-, Fünf-, Sechsjährige und fit bleiben. Was nützt mir ein Alter, wenn ich nicht gesund bin? Ich sehen Dieter Bohlen das erste Mal und feiern ihn dann. Deswegen möchte von mir aus alles dafür tun, dass ich später gesund bin und habe ich die Tour ja auch extra so angelegt, dass die Konzerte fast nur mir keine Vorwürfe machen muss." Und auch, um fit zu sein, wenn er am Samstag stattfinden, damit die Familien kommen können. Denn heute auf der Bühne steht und mit seinen Fans die Hits von einst feiert. GoodTimes
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Für Darts-Fans ist die Welt eine Scheibe
Von Manfred Prescher
Seeleute, Schnaps und Spicker Kaum zu glauben: Allein in England stehen rund zehn Millionen Menschen regelmäßig in genau abgemessenen 2, 37 Metern Entfernung zu einer Scheibe aus afrikanischem Sisal und versuchen, möglichst in die nur acht Millimeter schmalen Doppel- oder Triplefelder zu werfen – und das am besten so, dass man beim Rückwärtsrechnen von 501 oder 301 die Null erreicht. Dabei zählen die schmalen Streifen in der Mitte dreifach, und wer die dreifache 20 trifft, ist ein kleiner "Lord Of The Board". Zum Beenden des Spiels muss man nicht nur einen Restwert von genau null schaffen, sondern die Runde – das Leg – mit einem genau passenden Doppelfeld beenden. Das ist auch deshalb schwer, weil direkt neben den hohen Werten, etwa der "20", immer besonders niedrige – hier "5" und "1" – liegen. Und dann ist auch noch der Draht im Weg … Wer denkt sich denn so was aus? Und ist Darts überhaupt ein Sport?
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unächst mal waren Pfeile, die schon an die modernen, aus Wolfram gefertigten Darts erinnern, ziemlich tödlich. Die Römer verwendeten sie, mit Widerhaken versetzt und mit Bleigewichten fein austariert, als präzise Wurfwaffen. Was im Umkehrschluss heißt, dass die aktuellen Darts, die in der Regel zwischen 20 und 27 Gramm schwer sind, durchaus auch für Tötungsdelikte verwendet werden könnten. Der deutsche Profi Max Hopp erzählte, dass man ihn am Anfang seiner Karriere einmal am Frankfurter Flughafen wegen seiner Pfeile festgehalten habe. Aber längst kennt und schätzt man Darts auch in Deutschland, wo die WM, die immer ab Mitte Dezember im Londoner Alexandra Palace stattfindet, eine stattliche Zahl an Zuschauern vor die Fernsehgeräte lockt. Und Hopp legt sein Sportgerät mittlerweile natürlich ins Reisegepäck und hat so keine Probleme beim Einchecken mehr.
Tauch, wenn die meisten Profis immer noch gestandene atsächlich hat sich das Pfeilewerfen zum Sport entwickelt,
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Mannsbilder mit mehr als Bauchansatz sind. Ausdauer ist gefragt, denn die Spiele können lange dauern, und man braucht einfach Stehvermögen. So betrug die Nettospielzeit beim WM-Finale 2008 stolze zweidreiviertel Stunden. Am Ende siegte der Niederländer Raymond van Barneveld nach vielen Tiebreaks im Sudden Death 7:6 gegen den 16-fachen Champion Phil „The Power" Taylor. Das Match gilt bis heute als bestes Dartsspiel aller Zeiten, und man kann es immer noch jederzeit via YouTube in voller Länge genießen. Für den Briten Duncan Swift sind Taylor und Barney vermutlich Weicheier, denn er hält seit 1987 einen unglaublichen Rekord: Vor 32 Jahren warf er beim 24-Stunden-Darts in Felixstowe, Surrey, 473.970 Punkte, und dabei gelang ihm stolze 123 Mal die „180" – also alle drei Darts nebeneinander im Triple-20-Feld zu platzieren. Am Ende des langen Tages stand ein Drei-Dart-Average, also ein mit je drei Pfeilen geworfener Durchschnitt von 80,58 Punkten, zu Buche. Nur mal so zum Vergleich: Michael van Gerwen schaffte bei der letzten WM einen Turnierschnitt von rund 100 Punkten. Aber
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der Darts-Sport, der in den 80er Jahren einen regelrechten Hype erlebte, mitverantwortlich für diese Veränderung. Denn als sich nach dem WM-Halbfinale von 1984 der Sieger David Whitcombe von seinem Gegner Jocky Wilson, wie es sich gehört, per Handschlag verabschieden wollte, war dieser schon sturzbesoffen in den Graben gefallen – und das vor laufender Kamera und einem Millionenpublikum an den Bildschirmen. Das war durchaus kein Einzelfall, auch Cliff Lazarenko stürzte von der Bühne. Später gab er zu Protokoll, dass er zu diesem Zeitpunkt 22 Pints intus gehabt habe. In bayerischer Währung entspricht das zwölf gut eingeschenkten Maß Bier. Für Lazarenko gehörte
all das wird von den beiden Düsseldorfer Amateuren Mimi el Mayati und Harald Kemper noch getoppt: Am 31. Januar 2005 warfen sie 75 Stunden hintereinander Pfeile auf das Board – ein Rekord für das Guinness-Buch, den sie mit Magenkrämpfen und Rückenschmerzen aufstellten. Der geflügelte Satz von James Wade, einem 36-jährigen Weltklassespieler aus Aldershot, Hampshire, stimmt wohl: „DartsSpieler sind immer auch s chräge Vögel."
EDart ist maximal 30,5 Zentimeter lang. Aber
in aus sieben Einzelelementen bestehender
eigentlich spielt niemand mit einem Pfeil, der von der Länge her glatt als Lineal durchgehen könnte. So sind etwa die Darts des aktuellen Weltmeisters Michael van Gerwen deutlich kürzer: „Mighty Mike" wirft mit unterschiedlichen Darts, aber die Gesamtlänge von der Pfeilspitze bis zum Ende des Flights beträgt beim Holländer rund 14 Zentimeter. Das ist eine praktische Länge, weil man sein Set, das aus drei Pfeilen besteht, gut überall hin mitnehmen kann – in die Kneipe genauso wie auf ein Schiff. Der Legende nach haben nämlich Seeleute, die im Auftrag von Queen Victoria die Meere befuhren, genau das auch gemacht: Weil ihnen bei langen Flauten langweilig wurde, bemalten sie die Deckel von Fässern und bewarfen diese mit hölzernen Spickern. „Und 'ne Buddel voll Rum": Man kann davon ausgehen, dass während der Spiele reichlich Alkohol floss. Und so ist es dann auch folgerichtig, dass sich Darts auf der britischen Insel und in Irland zunächst besonders in den Kneipen durchsetzte.
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der Alkohol einfach dazu. Würde man den Spielern das Trinken verbieten, wäre das, „als würde man von Mark Spitz verlangen, in 50 Zentimeter tiefem Wasser Weltrekord zu schwimmen", betonte er in einem Interview. Das sahen die TV-Verantwortlichen freilich anders: In der Folge solcher Exzesse wurden immer weniger Spiele gezeigt, Sponsoren zogen sich zurück, und die Profis bekamen drastisch weniger Preisgelder.
Dauch der junge Phil Taylor, 1992 einen eigenen eshalb gründeten 16 Top-Spieler, darunter
chon um die Jahrhundertwende gab es erste Turniere mit der vom Zimmermann Brian Gamlin festgelegten und bis heute gültigen Scheibenaufteilung. Bereits ab 1906 verwendete man Pfeile aus Metall. Aber viele Briten hielten die prollige Beschäftigung für ein Glückspiel. Das änderte sich, als 1908 ein Kneipenwirt aus Leeds vor Gericht stand. Er brachte William „Bigfoot" Anakin, einen der besten Darts-Spieler der damaligen Zeit, mit ins hohe Haus. Der warf gleich mal die erste öffentlich bekannte „180" und bewies, dass es beim Darts eindeutig auf das Können ankommt. Dass man dabei auch den einen oder anderen Pint heben kann oder hochprozentige Shots als Prämie winken, sorgt dafür, dass Darts im Vereinigten Königreich bis heute zu einem guten Pub dazugehört. Noch bis ins Jahr 1988 war es sogar bei den im TV übertragenen Wettbewerben üblich, dass Aschenbecher, Bier- und Whiskygläser auf der Bühne standen. Natürlich wurde dann auch gebechert, aber Alkohol und Zigaretten waren im Fernsehen ja selbst bei Kommissar Keller kein Problem. Beim Darts gehörte das Saufen einfach zum Ritual. So wurde der als arrogant verschriene Fünffach-Weltmeister Eric Bristow in den späten 70er und frühen 80er Jahren immer wieder mit vollen Bierbechern traktiert. Bristow warf dann die Trinkgefäße ins Publikum Wachablösung: 2018 wird Rob Cross (links) zurück, aber nicht, ohne Weltmeister, Phil Taylor hört auf sie vorher leergetrunken zu haben. Das Ritual gehörte irgendwann einfach dazu, besonders, wenn der Engländer Bristow in Schottland antreten musste.
Ddest, was die Zurschaustellung von exzessivem Konsum und ie gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol änderte sich, zumin-
Trunkenheit in den Medien anging. In Großbritannien war vermutlich GoodTimes
Verband. Zu dieser Organisation würde der Londoner Ex-Weltmeister Andy Fordham niemals gehören, er bleibt bei der BDO, der British Darts Organisation. Denn er sagt von sich, dass er nicht trainiere, sondern mindestens 20 Biere am Tag trinke – und dass er nüchterne Gegner verabscheue. Taylor und Co. wollten das nicht mehr. Denn der Sender Sky zeigte Interesse an Darts-Übertragungen. Allerdings musste der Wettbewerb sauber und alkoholfrei sein. Die PDC, die Professional Darts Corporation, die aus diesem Wunsch heraus und nach längerem Rechtsstreit um den ursprünglichen Namen World Darts Council entstand, hat aus Darts einen Profisport mit klaren Kleidungs- und Verhaltensregeln gemacht. Der Lohn sind weltweite Übertragungen, wobei besonders die Weltmeisterschaft im Winter ein Magnet ist. In Großbritannien verfolgen im Durchschnitt zwei Millionen Fernsehzuschauer die WM-Matches, und im Sportblock der BBC-Hauptnachrichten werden die wichtigen Entscheidungen samt Intervieweinspielung noch vor den Fußballergebnissen von Manchester City oder dem Liverpool FC gebracht. Darts ist tatsächlich zum echten Sport geworden. Das mag man bezweifeln, aber die Welt-AntiDoping-Organisation Wada ist auch bei den Turnieren vor Ort. So wurden 2017 die beiden deutschen Spieler Tobias Seibert und Holger Frommann beim England-Tour 1965: Bob Dylan entdeckt das Darts-Spiel Dopen erwischt. Die PDC wollte, dass Darts 2012, zu den Sommerspielen von London, olympisch wird. Gescheitert ist der Verband nicht etwa, weil das IOC das Pfeilewerfen nicht als Sport klassifizierte, sondern weil es vor sieben Jahren schlicht zu wenige Länder mit eigenen Verbänden gab. Das wäre nun anders, denn beim letzten Worldcup Of Darts, der offiziellen Team-WM, waren im Juni 32 Nationen am Start!
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Die Weihnachtsserien des ZDF Von Thorsten Schatz
Timm, Silas, Anna und die andern Am 25. Dezember 1979 startete das ZDF die TV-Serie Timm Thaler" – und leitete damit vor 40 Jahren die " Zeit der Weihnachtsserien ein, die als Straßenfeger die ganze Familie vor dem Fernseher versammelte. kult! blickt zurück auf dieses erfolgreiche und innovative Kapitel deutscher TV-Geschichte.
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nde der 1970er Jahre zeigte das ZDF an den Feiertagen zwischen Weihnachten und Neujahr oft keine Werbung. Das war Sendezeit, für die Programm fehlte. Josef Göhlen, der damalige Leiter des ZDF-Kinder- und Jugendprogramms, der gerade die Anime-Verfilmungen der „Biene Maja" und „Wickie" initiiert hatte, kam auf die innovative Idee, die Lücken mit einer täglichen Weihnachtssendung für Kinder und Jugendliche zu füllen, die Weihnachtsferien und Zeit zum Fernsehen hatten. Man überlegte, welcher Stoff sich zur Verfilmung eignete, und kam auf den Roman „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen" von James Krüss (1962). Kinder- und Jugendbuchautor Justus Pfaue und Peter M. Thouet adaptierten den Roman inhaltlich verändert in ein Drehbuch und verkürzten den Titel zu „Timm Thaler". Die Musik komponierte Christian Bruhn. Die TV60 Seite
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Filmproduktion GmbH produzierte unter der Leitung von Bernd Burgemeister 13 Folgen à 25 Minuten, die ab dem 25. Dezember 1979 bis zum 5. Januar 1980 liefen. Der Inhalt: Der geheimnisvolle, mürrische Baron de Lefuet, ein reicher Geschäftsmann, kauft das herzerwärmende Lachen des 13-jährigen Timm Thaler. Der Junge geht darauf ein, weil seine Familie in finanziellen Schwierigkeiten ist. Als Gegenleistung verspricht ihm der Baron, dass er jede Wette gewinnt. Das geschieht auf mysteriöse Weise tatsächlich. Doch Timm wird ohne Lachen unglücklich, der Baron dagegen als sympathisch lachender Geschäftsmann noch erfolgreicher. Wie Timm sein Lachen zurückgewinnt, inszenierte Sigi Rothemund mit Thomas Ohrner als Timm (der dadurch zum Kinderstar und später Moderator und Showmaster wurde), und einem wunderbar teuflischen Horst Frank als Baron.
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Straßenfeger: Weihnachtsserien als TV-Ereignis
„Timm Thaler" avancierte zum Straßenfeger mit bis zu 17 Millionen Zuschauern pro Episode. Die Verfilmung war so überzeugend, dass sogar die BBC eine Version von „Timm Thaler" (und später noch von „Silas" und „Patrik Pacard") ausstrahlte. 2017 kam „Timm Thaler" in einer gelungenen Verfilmung ins Kino. Der Erfolg der Serie 1979 motivierte das ZDF, eine weitere Weihnacht sser ie folgen zu lassen, die diesmal aus Schweden kam. Unter dem Titel „Madicken på Junibacken" adaptierte Regis seur Göran Graffman das Kinderbuch „Madicken" (1960, Timm Thaler" " in der Bundesrepublik: „Madita", 1961) von Astrid Lindgren mit Jonna Liljen dahl in der Hauptrolle. Das ZDF übernahm die Serie mit dem Titel „Madita" und synchronisierte sie nach (ZDF-Sendetermin: ab dem 22. Dezember 1980, zehn 25-minütige Folgen). Darin werden die Abenteuer der frechen siebenjährigen Madita, die ständig verrückte Einfälle hat, und ihrer Schwester Lisabet im Jahr 1910 gezeigt. Die humorvolle, warmherzige Serie kam erneut so gut an, dass das ZDF Weihnachtsserien als festen jährlichen Programmpunkt einrichtete. Auf „Madita" folgte „Silas" (Z DF-Sendetermin: ab dem 25. Dezember 1981, sechs 45-minütige Folgen), eine ZDFEigenproduktion nach dem Roman „Silas og den sorte hoppe" von Cecil Bødker. Die Filmfirma TV60 – die bei 14 von allen 17 Weihnachtsserien dabei war – übernahm die Produktion. Sigi Rothemund führte Regie, die Musik kam von Christian Bruhn. Der damals 13-jährige Patrick Bach spielte Silas, einen draufgängerischen Teenager, der im 19. Jahrhundert als Kleinkind an einen Wanderzirkus verkauft wird. Weil ihn der Zirkusdirektor brutal zum Säbelschlucken zwingen will, flüchtet Silas und begibt sich auf eine gefährliche Odyssee, auf der er immer wieder um seine Freiheit kämpft. Patrick Bach bekam für „Silas" 1982 den Bambi, wurde zum TeenieSchwarm und gleich für die Hauptrolle der nächsten Weihnachtsserie engagiert: „Jack Holborn" (ZDF-Sendetermin: ab dem 25. Dezember 1982, sechs Episoden à 55 Minuten). Das Filmteam blieb dasselbe wie bei „Silas": TV60 produzierte, Sigi Rothemund inszenierte, Christian Bruhn komponierte. Justus Pfaue und Rothemund schrieben das Drehbuch nach dem gleichnamigen Jugendroman von Leon Garfield (1964). Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Waisenjungen Jack Holborn. Der wird per Gericht einem Ehepaar zugesprochen, doch GoodTimes
er flieht und schmuggelt sich auf das Frei beuterschiff Charming Molly. Jack vermutet, als Kind schon einmal auf dem Schiff gewesen zu sein. Er versucht, die Wahrheit über seine Herkunft herauszufinden, und erlebt dabei Abenteuer, die ihn bis nach Afrika führen. Madita" Nach diesem Piraten- " Plot eher für Jugend liche war die nächste Weihnachtsserie „Nest häkchen" mehr auf Kinder zugeschnitten (ZDFSendetermin: ab dem 25. Dezember 1983, sechs 50-minütige Folgen). Darin geht es um die sechsjährige Annemarie Braun (in den Folgen 1 bis 3 von Kathrin Toboll dargestellt, dann von Anja Bayer). Sie lebt in Berlin zur Kaiserzeit, wird in einer gutbürgerlichen Familie als jüngstes Kind verwöhnt, eben als Nesthäkchen. Annemarie ist vorlaut, spielt gern Streiche und rebelliert damit gegen die strengen Moralvorschriften der Mutter und Großmutter. Die Serie zeigt Annemaries Erlebnisse bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als sie elf Jahre alt ist. Die Serie beruht auf den „Nesthäkchen"-Romanen (1913–1921) von Else Ury. Justus Pfaue und Klaus Landsittel adaptierten den ersten Teil für die TV-Verfilmung. Gero Erhardt, der Sohn der Humoristen-Legende Heinz Erhardt, führte Regie. Die Musik stammt erneut von Bruhn. Dieses Team war auch bei der folgenden Weihnachts-Abenteuerserie „Patrik Pacard" dabei (ZDF-Sendetermin: ab dem 25. Dezember 1984, sechs einstündige Folgen): Erhardt führte Regie, TV60 war an dieser deutsch-österreichisch-schweizerischen Co-Produktion beteiligt, und die Musik kam wieder von Bruhn. Die Vorlage lieferte der Roman „Patrik Pacard. Entscheidung am Fjord" von Pfaue. Die Serie dreht sich um den 15-jährigen Patrik Pacard, der mit seinen Eltern Urlaub in einem Fjord in Norwegen macht. Patrik lernt dort Professor Olaf Gunström (Wolfgang Kieling) kennen. Der hat eine Formel entdeckt, mit der er das Genom von Pflanzen so verändern kann, dass sie auf allen unfruchtbaren Böden wachsen. Das könnte den Hunger auf der Erde völlig beseitigen, was
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Gunström anstrebt. Die Formel verleiht aber auch große Macht – was Spione anlockt. Einer von ihnen, Sir Dimitr i, entlockt dem Professor die For mel und brennt sie Patrik mit einem Laser auf die Jack Holborn" Fußsohlen. Er will sie für eine Million " Dollar verkaufen. Eine gefährliche Jagd auf Patrik beginnt, die ihn bis nach Tunesien führt. Hendrik Martz spielte die Titelrolle, der eine bescheidene TV-Karriere folgte. In der nächsten Weihnachtsserie „Oliver Maass – Das Spiel mit der Zaubergeige", die nach dem gleichnamigen Jugendroman von Pfaue entstand, wurde es magisch (ZDF-Sendetermin: ab dem 25. Dezember, sechs 55-minütige Episoden). Darin schenkt der mysteriöse Graf Esteban (Hans Clarin) dem 15-jährigen Oliver Maass (Josef Gröbmayr) eine Zaubergeige von Paganini. Auf der spielt Oliver eine Endlosmelodie, durch die er einen Tag in die Zukunft sehen kann. Oliver hilft zwar Menschen damit, wird aber eingebildet und nutzt die Geige etwa für die Vorhersage der Lottozahlen. Jedesmal, wenn er durch die Geige jemandem hilft, ereilt denjenigen kurz darauf ein Unglück, so dass er erkennt, dass sie mehr schadet als nützt und er sie zerstören muss. Der Sound track stammt von Bruhn, Erhardt inszenierte die Serie, in der Hauptdarsteller Josef Gröbmayr als talentierter Violinist die Geige selbst spielte. Er ist seit 1999 zweiPatrik Pacard" " ter Geiger des Münchner Rundfunk orchesters. Als achte Weihnachts s erie folgte „Mino – Ein Junge zwischen den Fronten" (ZDF-Sendetermin: ab dem 25.12.1984, sechs einstündige Folgen), eine deutschitalienisch-spanische Co-Pro duktion, inszeniert von Gianfranco Albano. Sie basiert auf dem stark faschistischen und kriegsverherrlichenden italienischen Kriegsroman „Mino – Il piccolo alpino" (1926) von Salvatore Gotta. Die Drehbuchautoren Sandro Petraglia, Stefano Rulli und Pietro Schivazappa entschärften die Geschichte durch Kürzungen und fügten Gespräche über die Sinnlosigkeit von Kriegen hinzu, was dem jugendlichen Publikum anti-nationalistische und pazifistische Haltungen nahebrachte. Seite
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Anna" "
Der Plot beginnt in einem italienischen Dorf kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Der zehnjährige Mino (Guido Cella) wird durch ein Lawinenunglück von seinen Eltern getrennt. Ein Schmuggler rettet ihn, bringt ihn aber zwischen die Fronten im italienisch-öster-
reichischen Gebirgskrieg (1915–1918). Mino erfährt, dass seine Eltern noch leben, und macht sich in den Kriegswirren auf die Suche nach ihnen. Eine ganz andere Richtung schlug die nächste Serie ein: „ Anna" ( Z DF-S endete r min:ab dem 25. Dezember, sechs 55-minütige Epi s oden). Nach den gleichnamigen Jugendbüchern von Pfaue inszenierte Frank Strecker die Geschichte um die jugendliche Anna Pelzer (Silvia Seidel). Nach einem Autounfall muss sie mit einer Wirbelsäulenverletzung ins Krankenhaus, wo sie den an den Rollstuhl gefesselten gleichaltrigen Rainer (Patrick Bach) kennenlernt. Er macht ihr Mut, ihre Leidenschaft für das Ballett-Tanzen auszuleben. Diesem Ansporn folgt Anna und wird gegen alle Hindernisse zur erstklassigen Nesthäkchen" Tänzerin, die bei " einer „Schwanensee"Aufführung alle überstrahlt und mit Rainer ihre erste große Liebe erlebt. Sigi Schwab komponierte den Soundtrack, inklusive des von Guillermo Marchena gesungenen Titelsongs "My Love Is A Tango", einem Nummer-1-Hit in Deutschland. Die Serie hatte bis zu 13 Millionen Zuschauer pro Folge. „Anna" wurde zum Idol und zum Schwarm des Teenie-Publikums und so beliebt, dass 1988 eine Fortsetzung in die Kinos kam, die 1,8 Millionen Zuschauer hatte. Darin schafft Anna (wieder gespielt von Silvia Seidel) den Karrieresprung auf die New Yorker Ballettbühnen. Silvia Seidel erhielt für „Anna" die Goldene Kamera (1987), den Bambi und den „Telestar-Förderpreis" (beide 1988). Dann ging es tragisch
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Quotenabsturz: Das Ende der Weihnachtsserien
weiter. Sie bekam nur noch TV-Gast rollen, spielte Boulevard theater, der Erfolg blieb aus. 2012 nahm sie sich im Alter von Oliver Maass" 42 Jahren das Leben. " Nach dem großen Erfolg von „Anna" folgte 1988 „Nonni und Manni. Die Jungen von der Feuerinsel" (ZDFSendetermin: ab dem 26.12.1988, sechs 50-minütige Folgen) als Weihnachtsserie. Sie führt nach Island im Jahr 1869. Der zwölfjährige Nonni (Garðar Thór Cortes) und sein achtjähriger Bruder Manni (Einar Örn Einarsson) leben mit ihrer Mutter und der Großmutter auf einem Bauernhof. Ein Fremder namens Harald bringt eines Tages die Nachricht vom Tod des Vaters. Magnus Hansson, der die Mutter umwirbt, beschuldigt Harald, den er als Liebeskonkurrenten ansieht, einen reichen Bauern ermordet zu haben. Nonni und Manni glauben ihm nicht. Sie wollen Haralds Unschuld beweisen und warnen ihn vor dem wahren Täter, der ihn beseitigen will. Die Serie beruht auf den populären „Nonni und Manni"-Romanen (1908–1936) des Isländers Jón Svensson. Sie entstand als Co-Produktion zwischen Deutschland, Island, Norwegen und Großbritannien. Regie führte Ágúst Gudmundsson. Die Musik schrieb Musikerlegende Klaus Doldinger (u.a. komponierte er den „Das Boot"-Soundtrack und die „Tatort"Titelmelodie). Nonni und Manni" „Nonni und Manni" erhielt als ein" zige Weihnachtsser ie von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat „wertvoll". Weiter ging es mit dem heute als TV- Mimen etablierten Patrick Bach in seiner vierten Weihnachtsserien-Rolle. Er spielt in „Laura und Luis" (ZDF-Sendetermin: ab dem 25.12.1989, sechs 55-minütige Folgen) den Theologiestudenten Sebastian. Den bestehlen Kinder, die Entführungsopfer von Kriminellen sind. Sie kennen ihre Familien und ihre richtigen Namen nicht. Die Gangster bilden sie zum Stehlen aus. Sebastian versucht, die Geschwister Laura (Coco Winkelmann) und Luis (Jan Andres) aus den Fängen der Verbrecher zu befreien, um sie mit ihren leiblichen Eltern zusammenzuführen. Die Co-Produktion der Länder Deut schland, Frank reich, Österreich, Schweiz und Italien versammelte als Team Justus Pfaue für das Drehbuch nach seinem eigenen Roman, Sigi Schwab für die Musik und Frank Strecker als Regisseur. GoodTimes
Mit Beginn der 1990er Jahre ließ der Erfolg der ZDFWeihnachtsserien merklich nach. Dennoch wurden weitere produziert und ausgestrahlt: „Ron und Tanja" (1990), „Marco – Über Meere und Berge" (1991), „Der lange Weg des Lukas B." (1992), „Clara" (1993), „Stella Stellaris" (1994) und „Frankie – Liebe, Laster, Rock ’n’ Roll" (1995). Diese Produktionen und deren Drehbücher schwächelten immer mehr. Hinzu kam die starke Konkurrenz durch die Privatsender, die sich seit ihrem Start 1984 stetig wachsende T V-Marktanteile eroberten. So hatte das Publikum eine größere Auswahl, das sich Weihnachten immer weniger für ZDF-Serien entschied. Die Folge: der Absturz der Quoten. Von Top-Werten wie bei „Timm Mino – Ein Junge zwischen den Fronten" " Thaler" (bis zu 17 Millionen Zuschauer pro Folge) oder „Anna" (bis zu 13 Millionen Zuschauer) war in den 1990ern nichts mehr übrig. „Clara" erreichte 1992 in der Spitze 6,2 Millionen und „Frankie" 1995 nur 2,6 Millionen Zuschauer – zu wenig, um die "
Laura und Luis"
hohen Produktionskosten von bis zu 7,5 Millionen Mark („Jack Holborn") zu rechtfertigen. Das bedeutete das Aus für die Weihnachtsserien. Doch auch nach deren Ende blieben die Filme der Glanzzeit in den 1980ern dem damaligen Publikum bis heute in guter Erinnerung. Das schlägt sich im Verkauf der DVDs der Weihnachtsserien nieder, die es fast alle in dieses Format schafften, mit Ausnahme von „Lukas B." und „Marco", den es auf DVD nur als japanische Zeichentrickserie gibt. So verkauften sich von „Anna" bis heute über 100.000 Exemplare. Ein Grund dafür, dass sich die Weihnachtsserien ins Publikumsgedächtnis brannten, ist der, dass die jungen Heldinnen und Helden damals perfekte Identifikationsfiguren mal für Kinder, mal für Jugendliche waren. Dazu kam das Gemeinschaftserlebnis, dass sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelte, um die Abenteuer von Timm Thaler und Co. zu verfolgen. Die boten oft wenig weihnachtliche Inhalte wie Raub, die Ermordung eines Elternteils bis hin zur Kindesmisshandlung. Aber die moralischen Botschaften von Nächstenliebe, Freundschaft und dem Sieg des Guten passten dann doch zum Weihnachtsfest, ohne dass die Inszenierungen zu kitschig wurden. Die waren für damalige Sehgewohnheiten sehr spannend, mit einer Handlung, die jedes Kind nachvollziehen konnte, und mit einer überschaubaren Zahl an Protagonisten, die zudem aus sehr talentierten Jung- und Alt-Mimen (z.B. Horst Frank in „Timm Thaler", Diether Krebs in „Silas", Mario Adorf in „Mino") bestand. Diese Qualitäten zogen das Publikum an und halten auch heute noch die Erinnerung daran wach, wie man damals mitfieberte, ob Timm sein Lachen zurückbekommen oder Anna ihr großer Auftritt glücken würde – damals in den Weihnachtsferien ... 1/2020
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