Ansprache von Ralf Gilde am Billeder Gedenkstein am 12.06.2011
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Ansprache von Ralf Gilde am Billeder Gedenkstein am 12.06.2011 oder später die Frage der eigenen Identität stellen wird und sich überlegt, wo denn die eigenen Wurzeln liegen. Wer sind wir und wo kommen wir her, wird in einem zunehmend multikulturellen Deutschland in Zukunft wichtiger denn je. Aber auch unabhängig hiervon können wir alle, und das geht durch alle Generationen hinweg, viel aus den Erfahrungen und Erlebnissen, die in der alten Heimat gemacht wurden, lernen. Dies Beginnt schon bei den frühen Siedlern, die im 18. Jahrhundert in unwirtlichem Sumpfgebiet eine blühende Oase des Getreideanbaus erschufen und geht weiter bis hin zu den schrecklichen Erlebnissen während und nach dem 2. Weltkrieg. Es zeigt uns doch aber eins, dass, egal wie ausweglos eine Situation erscheinen mag, mit Fleiß, Disziplin und Zuversicht und durch Anerkennung von Leistung in einer intakten Gemeinschaft Großartiges geleistet werden kann. Damit wir aber auch in Zukunft auf diese unschätzbaren Erfahrungswerte zurückgreifen können, ist es notwendig, dass unsere Kultur, unsere Herkunft und unser geschichtlicher Hintergrund aktiv an die junge Generation weitergegeben wird.
Ralf Gilde während seiner Ansprache anläßlich des Billeder Heimattages 2011 vor dem Denkmal der Billeder auf dem Karlsruher Hauptfriedhof
Ansprache von Ralf Gilde am Billeder Gedenkstein am 12.06.2011
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erzähl mol Ota...“ So oder so ähnlich fängt man ein Gespräch an, das sich zu einer der interessantesten Geschichtsstunden entwickeln kann. Ein Gespräch über die sogenannte Heimat, ein Gespräch über Krieg, Verschleppung und Unterdrückung, aber oftmals auch ein Gespräch über eine außergewöhnliche Gemeinschaft, über schöne und prägende Kindheitserlebnisse und ein Gespräch über Stolz und einen unbändigen Willen, sich nicht unterdrücken zu lassen. Liebe Festgäste, liebe Schwowe, liebe Billeder, was ist es, das die Billeder sich alle zwei Jahre aus ganz Deutschland, Europa und der Welt hier versammeln lässt? Was treibt die Leute aus dem, aus heutiger Sicht, kleinen Dorf Billed an, sich nach 24 Jah-
ren, seit der Gedenkstein hier hinter mir eingeweiht wurde, immer noch gemeinsam zusammenzufinden? Ich denke, es ist die Erinnerung, die gemeinsamen Erlebnisse und Erfahrungen, die ein unzertrennliches Band zwischen allen Billedern erzeugt haben. So ist das Heimattreffen, wie wir es auch gestern wieder erlebt haben, ein Forum für den Austausch von Erlebnissen von früher und heute innerhalb der Generationen. Doch wie sieht es mit meiner, mit der jungen Generation aus? Eine Generation, die überwiegend außerhalb der Billeder Heimat geboren ist. Eine Generation die keinen 2. Weltkrieg, keine Verschleppung, kein Baragan, kein Russland, keine Enteignung und keine Flucht und Auswanderung direkt miterlebt hat. Eine Generation, die sich aber mit Sicherheit früher
Werdet also bitte nicht müde euren Kindern und Enkelkindern von Früher zu erzählen, ihnen die schwowische Tradition, Sitten und Bräuche zu vermitteln. Nehmt auch mal wieder alte Bilder aus der Schublade, da ja bekanntlich Bilder mehr als tausend Worte sagen können. Als Vorbereitung auf diese Rede habe ich die Ansprachen am Billeder Gedenkstein der letzen zwei Jahrzente betrachtet. Vergleicht man meine Rede mit denen meiner Vorrednern, so fällt doch ziemlich rasch auf, dass ich keineswegs so großartig über die vergangene Zeit in der Heimat sprechen kann. Das ist zum einen verständlich, da ich dort nicht aufgewachsen bin und meine persönliche Heimat in Deutschland liegt und nicht im Banat und man doch in einem völlig anderen Umfeld aufwächst. Andererseits ist es aber auch Schade, dass man doch so wenig über die Vergangenheit und den Ursprung der eigenen Familie weiß. Dabei sind die Erzählungen und die Informationen keinesfalls langweilig oder altbacken. Im Gegenteil kann jeder von uns daraus eine Menge für sein eigenes Leben und die eigene Zukunft lernen. Lasst uns folglich versuchen, ein Forum für den Austausch von Erlebnissen von früher und heute „zwi-
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schen“ den Generationen statt nur „innerhalb“ der Generationen zu schaffen. Ich muss aber auch daran denken, was wäre, wenn die Banater Gemeinschaft von all den Schrecken des 20. Jahrhunders verschont geblieben wäre. Wie sähe das Leben in Billed im Technologiezeitalter aus? Muss man sich vielleicht doch eingestehen, dass man im Banat keinesfalls den heutigen Lebensstandard hätte, den wir hier in Deutschland genießen können? Hätte die Arbeitssuche in den neuen hochtechnologisierten Branchen ein Dorf wie Billed nicht auch zerstört? Wär man vielleicht auch ohne kommunistische Unterdrückung nach Deutschland ausgewandert? Ich habe keine Antwort auf diese hypothetischen Fragen, doch denke ich, dass es an der Zeit ist die positiven Seiten zu betrachten, auch wenn diesen Schrecken und Leid voraus gingen. Heute ist aber auch vor allem ein Tag des Gedenkens. Gedanken über Vergangenes, Angehörige in der Heimat und der ganzen Welt. Wir denken vor allem an all die Billeder und Landsleute die zu Hunderten dem 2. Weltkrieg zum Opfer gefallen sind, sei es als tapfere und überzeugte Soldaten, die für Ihr Heimatland ihr Leben gaben oder als hilflose Zivilisten, als Deportierte und Verfolgte. Beschäftigt man sich mit der Banater Geschichte, so wird recht schnell deutlich, dass viel zu oft vergessen wird, dass der Weltkrieg nicht nur Opfer auf russischer, englischer, französischer und amerikanischer Seite gefordert hat, sondern dass der Begriff „Opfer“ mit der selben Rechtfertigung auf unzählige Deutsche, vor allem die, die außerhalb der deutschen Grenzen lebten, angewendet werden kann. Doch was ich am schlimmsten finde, ist, dass ich mir während ich das hier schrieb, Gedanken darüber machen musste, ob man das denn überhaupt sagen darf. Ob das politisch korrekt ist. Ob man das als Deutscher sagen kann und darf. Und das ist schon wirklich schade, um nicht zu sagen traurig. Wir müssen das ändern. Aber das geht nur, wenn die „Alten“ ihre Erlebnisse und Erfahrungen weitergeben, auf ihr Schicksal aufmerksam machen und dieses Wissen an unsere junge Generation weitergeben. Das ist nämlich ein Teil der deutschen Geschichte der uns Jungen im Geschichtsunterricht in der Schule verschwiegen bleibt. Wenn wir uns hier auch noch in 20 Jahren zusammenfinden wollen, dann muss wieder mehr „verzählt werre“. „Verzähl mol Ota, wie wor des damols...?“