Billeder Heimatblatt 2009

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Billeder Heimatblatt 2009

Herausgegeben von der HOG Billed www.billed.de


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Der Heimat verbunden bis zum Lebensende!

Noch bevor Franz Backes am 24. Januar dieses Jahres abberufen wurde, hat er seine Familie und seine Freunde gebeten, bei seiner Beerdigung statt Blumenspenden für die Renovierung der Billeder Kirche zu spenden. Die großzügige Spende haben wir für die Renovierung des Kreuzes vor der Kirche eingesetzt und sagen dankbar „Vergelt‘s Gott“.


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Billeder Heimatblatt 2009 Dezember 2009 / 22. Ausgabe

Inhalt 3 4 12 14 20 22 23 24 28 30 32 40 42 42 70 73 79 82 85 85 97 97 98 102 104 106 110 114 118 123 111 129 130 132 133 135 136 138 139 139 160

Vorwort Aktuell Das Billeder Info-Blatt Traditionelles Handballturnier, Michael Rieder Wenn einer eine Reise tut ..., M. Schortje-Sommer Heimat hier und dort, Barbara Franz Waldkraiburger Kirchweihstr., Hilde Prutean Unser Heimathaus in Billed, Peter Krier Ein Wochenendausflug..., J. und K. Hahn Der Heimat verbunden ..., Peter Krier Die Glocken der Heimat, Hermine Schnur Allerheiligen 2009, Josef Herbst Rückblick Wer erkennt sich..., K. Thöreß und E. Herrenreich Ein Stück Berliner Mauer, Elisabeth Martini Zeitzeugen erinnern sich, Elisabeth Packi „Wir sind das Volk“, Peter Krier Freiwilliger Arbeitseinsatz, Wilhelm Weber Dichtung - Dialekt Ich wünsche dir Zeit, Elli Michler Begegnungen Billeder Rentnertreffen 2009, Jakob Muttar 10 Jahre Schlachtfest, Adam Tobias Sommerfest Karlsruhe, Kerstin Klein Herbstfest in Nürnberg, Renate Frommbach Erinnerungen an Klassentreffen, Marlene Slavik Klassentreffen 1944, 1945 und 1949, K. Senn Städtereise, Irmgard Triess Von Karlsruhe nach Portofino, E. Martini Nachtragsliste der Spender Leistung und Würdigung Ein Banater „Finne“, H. Schulze Niehues Aus der Forschung..., Thorsten Hehn (804) 10 Jahre Seniorenzentrum, Peter Krier Johann Mathis, Peter Krier Josef Schortje, Adam Tobias Hans Martini zum 75. In memoriam Jakob Martini Statistik Statistik, Josef Herbst Inhaltsverzeichnis

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Billeder Heimattreffen 2009, Brigitte Hehn

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Auf Besuch in der ehemaligen Heimat, Margarethe und Wilhelm Weber

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Ansprache am Billeder Gedenkstein am 31.05.2009, Werner Gilde

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Erlebnisse einer Zwangsarbeiterin,

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Die Gräber schweigen, Buch von Johann Steiner

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20 Jahre danach..., Elisabeth Martini

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„Wir sind das Volk“, Peter Krier

Impressum Umschlaggestaltung: Titelbild U1, U2, U3 und U4 - Fotos von Hans Rothgerber Herausgeber: Heimatortsgemeinschaft Billed e.V., www.billed.de Redaktion: Elisabeth Martini / Layout, Grafik und Satz: Hans Rothgerber / Druck: Präzis-Druck Karlsruhe


In eigener Sache

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Das „Billeder Heimatblatt“ Grundsätzlich wird das „Billeder Heimatblatt“ allen Landsleuten kostenlos zugestellt. Da wir jedoch für den Druck und den Versand je Buch 10 EURO leisten mussten, bitten wir Sie, soweit es möglich ist, eine Spende auf das Konto der HOG Billed Nr. 111 791 Volksbank Karlsruhe Bankleitzahl 66190000 zu überweisen. Einen entsprechenden Überweisungsschein für dieses Büchlein ist beigelegt. Wir erwarten keine Spende von Landsleuten mit geringer Rente, von Arbeitslosen, Spätaussiedlern der letzten zwei Jahre und von den Landsleuten aus Billed. Wir freuen uns, dass wir Ihnen unser „Heimatblatt“ als Zeichen unserer Verbundenheit übermitteln können. Wir bitten jedoch um Verständnis dafür, dass wir wohlsituierten Landsleuten ohne Gegenleistung die nächste Ausgabe nicht mehr senden können. Da viele Überweisungen auf unser Konto ohne Absender aufgegeben wurden, konnte unser Kassierer Jakob Muttar bei vielen den Absender nicht feststellen. Unsere Bitte: Schreiben Sie auf den Überweisungsschein Vorname (auch der

Ehefrau), Familienname und Ortschaft, Zweck. Neuangekommene und Landsleute, deren Anschrift sich geändert oder in deren Familien ein Ereignis (Geburt, Hochzeit, Todesfall) stattgefunden hat, bitten wir um Mitteilung an Josef Herbst Freiligrathweg 14 76571 Gaggenau Telefon 07225/76041, josef.herbst@billed.de Ihre Meinungen und Äußerungen zum „Heimatblatt“, ihre Vorschläge und Ideen richten sie bitte an die Redaktion: Elisabeth Martini Kronenstraße 36 76133 Karlsruhe Telefon 0721/379214 Druckfehler, Änderungen und Irrtümer vorbehalten. Autorenbeiträge sind namentlich gekennzeichnet und die inhaltliche Verantwortung liegt bei diesen. Die Redaktion dankt allen diesjährigen Mitarbeitern für ihre Beiträge und Bilder und möchte gleichzeitig alle Landsleute auffordern, Artikel bzw. Anregungen für das „Heimatblatt“ auch im nächsten Jahr zu senden.

Der Vorstand der HOG Billed Gewählt am 28. Mai 2007 bei der Hauptversammlung in der Rintheimer Sporthalle in Karlsruhe Ehrenvorsitzender: Peter Krier Vorsitzender: Werner Gilde, Tel. 0721-863891 Stellvertreter: Josef Herbst, Tel. 07225-76041, Email: josef.herbst@billed.de Alfred Herbst, Tel. 0721-867834 Schriftführer: Adelheid Müller, Tel. 0721-1331547 Kassenwart: Jakob Muttar, Tel. 0721-784177, Email: J.Muttar@web.de Beisitzer: Elisabeth Martini, Tel. 0721-379214 Johann Rothgerber, Tel. 0721-9613750 Hans Herbst, Tel. 07225-77233, Email: Hans.Herbst@billed.de Adam Tobias, Tel. 0721- 865315, Email: EA.Tobias@web.de


Liebe Billederinnen, liebe Billeder, liebe Freunde,

hiermit grüße ich Sie, wo immer Sie auch heute leben, zerstreut in alle Windrichtungen, ob in einer großen Stadt oder in einem kleinen Dorf in Deutschland, Österreich, Übersee oder sonst irgendwo auf der Welt. Vor allem aber auch diejenigen, die in der alten Heimat verblieben sind, grüße ich herzlich. Vor Ihnen liegt nun die 22. Ausgabe des Billeder Heimatblattes. Seit 1988 erscheint unser Heimatblatt, das viele unserer Landsleute, aber auch historisch interessierte Bürger, anspricht. Im Heimatblatt erfahren wir wieder Neuigkeiten, die Billeder und die Ex-Billeder betreffend. Zwei wichtige Ereignisse aus diesem Jahr seien erwähnt: ein eher negatives und ein positives. Die Weltwirtschaftskrise hat uns nach wie vor fest im Griff, vielleicht sind auch einige Landsleute von dem Unwort des Jahres „Kurzarbeit“ oder sogar Arbeitslosigkeit betroffen. Dabei ist es wohl wichtig, Halt zu suchen in der Familie, Unterstützung durch die Gemeinschaft, auf welche Art und Weise auch immer. Vor allem aber: Die Hoffnung nie aufgeben. Und nun die gute Nachricht: Wir sind Nobel-Preisträger(-in)! Unsere Landsmännin Herta Müller aus Nitzkydorf hat das Schicksal der Rumäniendeutschen nicht nur durch ihren letzten Roman „Atemschaukel“ in das Licht der Weltöffentlichkeit gerückt. Überall auf der Welt weiß man nun mehr über unser Schicksal, sowohl aus der Nachkriegszeit (Russland-Deportation) als auch über die Zeiten der Ceauşescu-Diktatur. Ich danke allen, die Texte und Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben, denn ohne die aktive Mithilfe könnte unser Heimatblatt nicht erscheinen. Durch viele Aktivitäten unseres Vereins wie Heimattreffen, Seniorentreffen, Klassentreffen, Jahrgangstreffen, Reisen, Herbstfest in Nürnberg, Schlachtfest in Frankenthal, wird das gesellschaftliche Leben und der Zusammenhalt in hohem Maße geprägt und positiv beeinflusst. Anhand der Berichte, die einen Einblick in unser Billed oder in das Leben in der neuen Heimat geben, mögen Sie sich selbst einen Überblick verschaffen. Dank der hervorragenden und zeitintensiven Arbeit sind in dieser Ausgabe viele historische Berichte, aber auch solche über die Tätigkeit unserer Landsleute und unsere Veranstaltungen im zurückliegenden Jahr zu lesen. Die finanzielle Unterstützung ist für den Weiterbestand unseres Mitteilungsblattes ebenfalls sehr wichtig. Bei allen Spendern, die unser Heimatblatt unterstützen, möchte ich mich auch ganz herzlich bedanken. Nun möchte ich alle Leser unseres Heimatblattes einladen, aktiv in unserer Gemeinschaft mitzuarbeiten. Sie alle sind ganz herzlich willkommen! Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft und werden nur so lange Bestand haben, so lange wir uns dazu bekennen. Zum Schluss möchte ich Ihnen allen von Herzen frohe und friedvolle Weihnachten sowie ein gnadenreiches, glückliches und gesundes Neues Jahr wünschen. Werner Gilde, Vorsitzender der Heimatgemeinschaft Billed


Aktuell

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Der Festzug auf dem Weg zur Neureuter Feuerwehrremise zum Einladen der Ehrengäste.

Billeder Heimattreffen 2009 Brigitte Hehn

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m Samstag, den 30. Mai 2009, lag im Stadtteil Karlsruhe-Neureut, rund um die Badnerland Halle, viel mehr als nur die Vorfreude auf das bevorstehende Pfingstfest in der Luft. Schon in den Morgenstunden begannen sich die Parkplätze mit Autos zu füllen, denen Menschen mit erwartungsvollen Gesichtern entstiegen, junge und alte, mit Augen freudvoll suchend nach Landsleuten aus der alten Heimat. Und dann war sie plötzlich überall, die Wiedersehensfreude: Das lange Warten hatte ein Ende und die Billeder waren nach zwei langen Jahren wieder einmal „oner sich“! Im Vorfeld der Eröffnung hatten viele fleißige Hände für die gute Organisation gesorgt, so dass alles wie am Schnürchen lief und ein vielfältiges kulturelles Programm das Heimattreffen umrahmte. Nach der Begrüßung der Gäste durch den Vorsitzenden der Heimatge-

meinschaft Billed e.V., Werner Gilde, wurde im Foyer der Badnerland Halle eine Ausstellung zum Thema „Billeder Musikleben früher und heute“ eröffnet. Adam Tobias, selbst durch und durch ein überzeugter Musiker, wusste in seiner Ansprache zur Ausstellung ebenso interessante Details aus den zwanziger Jahren zu berichten, wie er über die neuesten Tonaufnahmen mit typischen Billeder Klängen zu erzählen wusste, so dass viele Landsleute gespannt zuhörten. Zu Gast beim Heimattreffen war diesmal der bekannte Komponist Johann Mathis, dessen Wiege in Billed stand. Zu seinen Ehren stimmte die Musikkapelle die Lieder „Ich denk so gerne an daheim“ und „Abschied von der Mutter“ an, die aus seiner Feder stammen und die von den Solistinnen Irmgard Holzinger-Fröhr und Melitta Giel eindrucksvoll dargeboten wurden. Wie so oft sorgte die Trachtengruppe unter


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Foto oben: Tanz im Hof der Neureuter Feuerwehrremise, im Hintergrund die Ehrengäste. (Fotos Peter Schweininger) Foto unten: Der Festzug unterwegs zum Festgottesdienst in der St. Judas-Thaddäus Kirche

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Fotos oben und links: Festgottesdienst mit der Straußweihe in der katholischen Kirche St. Judas-Thaddäus. Es zelebrierte unser Billeder Landsmann Kaplan Marius Frantescu. Fotos rechts: Nach dem Gottesdienst mit der Billed-Alexanderhausener Blaskapelle auf dem Weg in die Badnerlandhalle der Leitung von Adelheid Müller und Werner Gilde wieder für Aufsehen, die unter anderem den Kirchweihtanz vorführte. Auch hier hatten viele fleißige Hände im Vorfeld die Trachtenröcke vorbereitet, sorgfältig jede einzelne Falte an ihren rechten Fleck gerückt, so dass die luftigen Trachtenröcke beim Tanz schwangen und die seidenen Schultertücher prachtvoll glänzten. Ein Zeichen dafür, wie lebendig das Billeder Brauchtum auch bei der heranwachsenden Generation ist, zeigte die Kindertanzgruppe in Banat-schwäbischer Tracht, die, angeleitet von Helga Ebner, Angela Schmidt sowie Elwine Muth und Dagmar Österreicher, bewies, wie brav sie ihre Choreographie einstudiert hatte. Die kleinen Trachtenträger bereiteten den Gä-


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Foto oben: Während der Ansprache der Ehrengäste. Fotos Mitte: Die Kindertanzgruppe. Foto unten links: Melitta Giel, Josef Herbst und Irmgard Holzinger-Fröhr. Foto unten rechts: Die Trachtengruppe unter der Leitung von Adelheid Müller und Werner Gilde


RĂźckblick

Foto oben: Billed-Alexanderhausener Blaskapelle in der Badnerlandhalle Foto unten: Die Trachtengruppe der Banater Schwaben Karlsruhe

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Aktuell sten nicht nur durch ihre Tänze eine Freude, vielmehr sorgten „schwowische Witze“ für erfrischendes Lachen und die vorgetragenen Heimatgedichte, viele in Billeder Mundart, zeugten von der Lebendigkeit des Billeder Dialekts gerade bei den kleinen, bereits in Deutschland geborenen „Schwoweleit“. Der Trachtenumzug am frühen Nachmittag durch die Straßen Neureuts wäre wohl von vielen Anwohnern unbemerkt geblieben, hätten den Trachtenpaaren da nicht die schwungvollen Klänge der Blasmusikkapelle, Takt und Rhythmus vorgebend, zur Seite gestanden und diese begleitet. Mit solch festlichem Geleit wurde der stellvertretende Ortsvorsteher von Neureut, Prof. Hans Müller, von zu Hause abgeholt und zur Badnerland Halle begleitet, wo er Grußworte an die versammelten Gäste richtete. Geladene Ehrengäste waren auch Bürgermeister Michael Obert sowie der Landesvorsitzende der Banater Schwaben, Josef Prunkl, welche die Gäste mit je einer Ansprache begrüßten. Wie bei jedem Treffen gehörte auch diesmal der Festgottesdienst in der katholischen Kirche St. Judas-Thaddäus mit der Straußweihe zum festen Bestandteil des Programms. Es zelebrierte Kaplan Marius Frantescu so richtig billedrisch, heimatlich, zu Herzen gehend. Für eindrucksvolle Augenblicke sorgten auch Magdalena Roos an der Orgel, die Solistinnen Irmgard Holzinger-Fröhr und Melitta Giel sowie der Billeder Kirchenchor unter der Leitung von Maria Muhl. Es wäre aber nur die Hälfte gesagt, würde man nur auf den – sicherlich gut gelungenen und unverzichtbaren - kulturellen Part des diesjährigen Pfingsttreffens verweisen. Wie so oft war das große Erzählen der eigentliche Mittelpunkt des Billeder Treffens. Die Wiedersehensfreude war groß, vertraute Gesichter zu erblicken, miteinander zu reden, teilzuhaben am Leben der anderen. So war das Pfingsttreffen eine Zeit des Eintauchens in die

11 Erinnerungen an die alte Heimat, vor allem war es aber eine Zeit des Austauschens, sei es mit Verwandten, Freunden, ehemaligen Klassen- oder Arbeitskollegen, deren Leben man für einen Nachmittag streifte, um bleibende Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. Die große Zeit der Begegnung und des Erzählens hielt den ganzen Samstagnachmittag an und dauerte bis in die Abendstunden, als es dann heiter weiterging mit Unterhaltung, bei guter Stimmung, mit Musik und Tanz. Am Sonntagmorgen klang das Pfingsttreffen der Billeder mit einer Gedenkveranstaltung auf dem Karlsruher Hauptfriedhof, am Billeder Denkmal, aus. In seiner Ansprache gedachte Werner Gilde der verstorbenen Landsleute, die Kranzniederlegung erfolgte durch Johann Jobba und Joseph Thöresz, die Ehrung der Verstorbenen vollzog Sepp Herbst. Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkfeier von den Klängen der Bläsergruppe unter der Leitung von Jakob Groß und Adam Tobias sowie den Gesängen des Chors. Des weiteren wirkte Arlene Hell mit „Lied der Heimat“ mit, das Gebet „Danket dem Herrn“ sprach Elisabeth Luckhaub. Allen Organisatoren und Mitwirkenden, die durch ihr Engagement und ihren Fleiß zum guten Gelingen des Billeder Pfingsttreffens beigetragen haben, sei auf diesem Wege herzlich gedankt. Ebenso sei allen Gästen gedankt, die durch ihr Kommen die Bedeutung unserer Heimattreffen sowie unser Wir-Gefühl untermauert haben und so für den Fortbestand unserer Tradition sorgen. Das nächste Pfingsttreffen im Jahr 2011 ist schon in Planung und es soll sogar ein Highlight werden… Mehr sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Alle Billeder Landsleute und Freunde Billeds laden wir bereits jetzt herzlich zum nächsten Heimattreffen ein. Auf Wiedersehen in zwei Jahren bei guter Gesundheit!

Fotos links: Gedenkveranstaltung vor dem Billeder Denkmal in Karlsruhe am Pfingstsonntag


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Die Hauptgasse in Billed mit regem Durchgangsverkehr, rechts das „Gemeindehaus“ (Bürgermeisteramt, Herausgeber des Info-Blattes) in der Abenddämmerung im Sommer 2009

Das Billeder Info-Blatt „MONITORUL primariei Biled“ Informiert monatlich über das Wichtigste in der Gemeinde Juni: • Erfolgreicher Aufstieg der Fußballmannschaft „Vointa Biled“ in die Kreismeisterschaft; • freiwillige Feuerwehr- Kreismeister, erstrebt Landestitel; • über Geschichte und Bedeutung des Kalvarienberges; • Steuern,Taxen, Ausflüge... Juli: • Wasserversorgungssystem zu 70% , soll baldigst fertiggestellt werden, danach Abwasser durch Kläranlage, etwa 11 km Kanalsystem mit Anschluss von Alexanderhausen (falls EU-Gelder);

• Trinkwasser darf nicht zum Gießen genutzt werden (Strafe); • Erwin Csonti – Billeder Spitzenfarmer mit 62 ha Ackerland - Großteil Pachtland, 27 Kühen, 5 Schweinen; • Müllhalde geschlossen - Müllauto sammelt Müll ein; • Ermunterung zur Kompostierung; • Beschluss zur Renovierung der alten Schule: Isolierungsarbeiten, moderne Toilette im Gebäude, neue Fenster, neues Mobiliar; • von italienischen Geschäftsleuten finanziertes Reitzentrum vom Gemeinderat gebilligt: mit Gestüt, Reitschule, Hotel...


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Anlässlich der Billeder Kirchweih werden in den letzten Jahren regelmäßig riesige Strohballenpuppen im Zentrum des Dorfes aufgestellt. Foto: Peter Schweininger August: • 244-Jahr-Feier seit der dokumentarischen Ersterwähnung der Gemeinde; • mit EU-Geld plant man: 5,4 km Straßenbau, Modernisierung des Kulturheims, ein Zentrum für die Nachmittagsbetreuung der Schüler • 23. Aug.- „Ziua Biledului“: Handballturnier mit Mannschaften aus 7 Ortschaften, Gavojdia verwies Billed auf den 2. Platz; • Maracana Biled gewann das Mini-Fußballturnier • September: Eröffnung des neuen Schuljahres für 778 Schüler im Hof des LandwirtschaftsLyzeums : 138 Schüler – Klassen 1-4 134 Schüler – Klassen 5-8 , 450 Schüler – Klassen 9-12 (davon 332 mit reduziertem Lernprogramm) • neue Bäckerei in der Hauptgasse; • Großaktion zum Tag der Welt-Sauberkeit:

Bürgermeister und Mitarbeiter als gutes Beispiel voran beim Mülleinsammeln entlang der Gassen, Wege und Gräben Oktober: • Ball der über 60-Jährigen als Dank für ihre Lebensleistung, mit religiöser Zeremonie, Wiedersehensfreude und Tanz zur Musik der Brüder Vasiu • 11. Oktober: Kirchweih und 10-jähriges Jubiläum der „Billeder Heiderose“ zu Rekascher Musik (9 Billeder Paare, 6 Temeswarer, 12 Remeteaer); den Vorstrauß ersteigerte Marius Ganea für Anca Marincas; das Tuch ging an Otilia Neamt, der Hut an Viorica Raducanu); Sponsoren waren: Eugen Suporan, Sorin Ganea, SCAII Cargo Express SRL, Johann Herbst, Rudolf Werle, Fam. Hubert, Melinda Szabo, Mircea David...


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Gruppenbild der 1. Billeder Handballmannschaft mit den 3 Pokalen. Foto: Peter Schweininger

Traditionelles Handballturnier in Billed 2009 Michael Rieder

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m 23.08.2009 fand in Billed das traditionelle Handballturnier „Cupa Primariei Biled“ statt. Unter der perfekt organisierten Turnierleitung Adam Csonti nahmen insgesamt 8 Mannschaften teil: Gruppe A : 1. Biled 5 Punkte (besseres Torverhältnis), 2. Lovrin 5 Pkt, 3. Jimbolia 2 Pkt, 4.Periam 0 Pkt. Gruppe B: 1. Gavojdia 6 Pkt, 2. Sannicolau Mare 4 Pkt, 3. Biled 2 2 Pkt, 4. Arad 0 Pkt. Am frühen Sonntag Morgen um 9 Uhr begann das Turnier im Schulhof auf dem Sportplatz Billed. Das Team von Billed 1 belegte nach der Gruppenphase nach 2 Siegen gegen Jimbolia und Periam und einem Unentschieden gegen Lovrin aufgrund des besseren Torverhältnisses den 1. Platz. In der anderen Gruppe kam die Mannschaft von Billed 2 nur zu einem Erfolg, belegte in der Gruppenphase den 3. Platz und schied somit aus dem Turnier aus. Erster wurde in dieser Gruppe

Gavojdia (Lugosch). Somit stand das Finale fest: Billed 1 – Gavojdia, Anwurf 19 Uhr. In der Zwischenzeit fand die Kirchweih mit rumänischen und donauschwäbischen Trachten statt. Vor ca. 700 Zuschauern bestritten die Mannschaften von Biled 1 und Gavojdia ein nervenaufregendes Finale. Nach ausgeglichenem Spiel und tobender Kulisse endete die Partie im strömenden Regen 14:13 für Gavojdia. Das letzte Tor für Gavojdia wurde durch einen absolut strittigen 7 m-Wurf verwandelt, was natürlich zu einer hitzigen Atmosphäre führte. Über diesen 7 m-Wurf wurde im Nachhinein noch lange diskutiert. Die Billeder Mannschaft erhielt insgesamt 3 Pokale: Pokal zum 2. Platz, technisch bester Spieler Alin, bester Torwart: Michael Rieder. Alles in allem war es ein gelungener und schöner Tag, der einen Ausklang mit Feuerwerk, Musik und Tanz fand.


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Foto oben: Kirchweih in Billed, der Kirchweihzug nach dem Festgottesdienst Foto unten: Gruppenbild der Billeder Kirchweihpaare im Hof des Forums

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Aktuell

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Empfang beim Temeswarer Flughafen: Links unsere Tochter Erna, außen rechts ihre Tochter Senta, daneben Ernas Mann Georg und in der Mitte Gretes Tochter Antje und deren Mann Dirk

Auf Besuch in der ehemaligen Heimat Margarethe und Wilhelm Weber

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chon seit ein paar Jahren träumten unsere Kinder von einem Besuch in der ehemaligen Heimat. Verschiedene Umstände aber führten dazu, dass dieses Vorhaben immer wieder aufgeschoben wurde. Im nun laufenden Jahr stand der Entschluss fest und unsere Töchter von hier und dort überlegten und vereinbarten ein Treffen für April dieses Jahres, dass sie in den Schulferien unseres Urenkels und dem Osterurlaub der Erwachsenen diese spannende Reise antreten werden. Die Vorfreude und die Neugierde war groß, denn unsere Tochter Grete und unser Schwiegersohn Hans haben seit 26 Jahren unser Heimatdorf Billed nicht mehr

besucht und die Enkelin Antje und ihr Mann Dirk sowie deren Sohn Leon, unser Urenkel, wollten sehen, wo unsere Tochter Erna samt Familie zu Hause sind und wo wir einstmals in Billed viele Jahrzehnte unseres Lebens verbracht haben. Also flogen die fünf genannten Familienmitglieder am Karfreitag vom Düsseldorfer Flughafen aus nach Temeswar, wo sie schon von Erna, ihrem Mann Georg und ihrer Tochter Senta erwartet wurden. Die Wiedersehensfreude war groß und weil die Zeit bis Mittwoch nach Ostern, ihrem Rückflug, kurz war, hatten sie sich ein Besichtigungsprogramm ausgedacht.


Aktuell Nachdem sie sich zu Hause bei Erna den frischen Schafskäse und geräucherten Schinken schmecken ließen, zeigte ihnen Erna ihren Arbeitsplatz, das Autozuliefererunternehmen, das von einer deutschen Firma ganz neu erbaut und modern eingerichtet wurde. Am Karsamstag stand Billed auf ihrem Programm. Nach einem kurzen Abstecher auf den Kalvarienberg fuhren sie zu den Gräbern unserer Toten auf den Sauerländer Friedhof, dessen ordentliches und sauberes Aussehen sie sehr beeindruckte. Auf dieser Friedhofsanlage waren die Gräber gepflegt und instandgehalten. An dieser Stelle möchten wir über ein für uns sehr rührendes Erlebnis berichten. Nämlich unser 11 Jahre alter Urenkel kam nach ihrer Rückkehr zu uns, um uns zu begrüßen und zeigte uns auf seinem Fotoapparat ganz begeistert einige gespeicherte Bilder mit den Worten: „Schaut mal, hier ist der Grabstein meiner Ururgroßeltern, da stehen ihre Namen Peter und Katharina Divo und danaben auch noch die zwei Grabsteine meiner Urururgroßeltern“. Ja, wäre er nie dort gewesen, hätte er sich, nur von unseren Erzählungen, kaum etwas vorstellen können. So aber hat er das alles miterlebt und wird von dem allem ein reales Bild in seinem Gedächtnis bewahren. Danach fuhren sie zu unserem gewesenen Haus, das zur rumänisch-orthodoxen Kirche und zur Wohnung des Pfarrers umfunktioniert wurde. Um es als eine Kirche auch optisch erkennbar zu machen, wurde ein kleiner Turm mit einem Kreuz aufs Dach aufgesetzt, in den vorderen Hof ein Glockenturm aus langen Rundhölzern aufgestellt und an der Rückwand des Eckzimmers befindet sich die in die Wand eingebaute Eingangstür zur Kirche, die sich im ganzen doppeltgebauten Gebäudeteil an der Kneeser Straße befindet. Den Gebäudeteil des Eckhauses in der Kirchengasse bewohnt der Pfarrer. Auf der Gasse vor dem Kircheneingang steht ein hohes Kreuz aus Holz. Dass es im rückwärtigen Hof und besonders im 800 qm großen Garten nicht mehr so sein wird, wie

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Unser ehemaliges Haus, jetzt rumänisch-orthodoxe Kirche mit dem Eingang von der Kirchengasse aus und mit der Wohnung des Pfarrers. Älteres Foto.

Gebäudeteil in der Kneeser Straße, der innen zur Kirche umgebaut wurde. Foto: April 2009

Inmitten von Unkraut steht noch das zementierte Brunnenschloss Der 40 m lange baufällige Gartenzaun


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Das in Alexanderhausen befindliche „Schwabenhaus“ mit Restaurant und Gästezimmern

Unsere Tochter im Hof des Alexanderhausener „Schwabenhauses“

es einmal war, vermuteten sie. Doch, was sie sahen, war für unsere Grete sehr deprimierend. Der 40 Meter lange Zaun zur Gasse hin fällt bald um und außer dem zementierten Brunnenschloss des ehemaligen Schwengelbrunnens und dem danebenstehenden Zementfass war der Garten mit Unkraut bewachsen. Grete erinnerte sich an unseren gepflegten, mit Obstbäumen und Spalierreben bepflanzten Garten mit Wehmut. Obwohl die ganze Anlage uns schon seit 29 Jahren nicht mehr gehört und uns nichts mehr angeht, fühlt man doch noch mit und bedauert, dass es soweit kommen musste. Danach besichtigten sie unsere jetzt nach der letzten Renovierung außergewöhnlich schöne Heimatkirche. Grete zeigte ihnen die Schulgebäude, wo sie seinerzeit acht Jahre lang zur Schule ging, das ehemalige Billeder Herrschaftliche Kastell, das renovierte Kulturheim und Erna führte sie schließlich auf die schön gepflegte Anlage und in das Gebäude des Deutschen Demokratischen Forums. Aber geschockt sahen sie auch vernachlässigte und zerfallene Häuser, die unbewohnt ihrem Schicksal überlassen sind. Genauso betroffen waren sie von dem Zustand von einigen zur ehemaligen Kollektivwirtschaft gehörenden Bauten. Unsere Tochter Erna hatte das Mittagessen im Alexanderhausener Schwabenhaus vorbestellt. Ein im Zentrum, in unmittelbarer Nähe zur Kirche befindliches Bauernhaus wurde von einem Investor zu einem Hotel mit Re-

staurantbetrieb um- und ausgebaut. Auch sind Sammlungen von alten Bauerngeräten, Musikinstrumenten und sonstigem Werkzeug ausgestellt. Die Möbel sind sehr einladend und auf der Speisekarte wird gutes Essen zu günstigen Preisen angeboten. Zurück in Temeswar und noch am späten Nachmittag gingen sie entlang der ehemaligen Schulgebäude des Notre Dame Klosters, wo ich und meine Schwester Anna acht Jahre lang das Gymnasium und die Lehrerinnenbildungsanstalt als Schülerinnen besuchten und auch dort im Internat wohnten. Das Äußere und Innere der Klosterkirche hat sie besonders durch ihre Gepflegtheit beeindruckt. Grete zeigte ihnen auch das damals auf dem Bulevard 6 Martie (frühere Hunyadistraße, heute Bulev. 16 Decembrie 1939) befindliche Eingangstor zu ihrem Gymnasiumsgebäude im Hof des ehemaligen Klosters, wo sie Ende der sechziger Jahre täglich ein und aus ging. Am Ostersonntag konnten sie wegen des großen Andrangs der Gläubigen weder den Dom auf dem Domplatz, noch die Kathedrale am Ende der Lloydzeile besichtigen. Die Leute standen an beiden Kirchen bis auf die Straße, beim Dom bildeten sie ein Spalier, in welchem der Bischof bis auf die Treppen kam, um den österlichen Segen zu erteilen. Das in einem Restaurant eingenommene Osterfestessen war lecker und noch mehr schmeckte ihnen am Nachmittag die bei Erna verzehrte Doboschtorte.


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Foto oben links: So bröckelt der Putz von Temeswarer Gebäuden ab Foto oben rechts: Das Löfflerpalais auf der Temeswarer Lloydzeile mit Einschusslöchern noch aus den Tagen der Revolution von 1989 und abbröckelndem Putz Die letzten zwei Tage, Ostermontag und Dienstag, waren dem Friedhofsbesuch der Familiengräber auf dem Friedhof in der Josefstadt und der Besichtigung von Temeswarer Sehenswürdigkeiten vorbehalten. Dazu gehörte auch das größte Kaufhaus Mall, in welchem man fast alles kaufen kann, wo moderne Gastronomie und viele Annehmlichkeiten geboten werden. Auch das Durch-die-Stadt-Bummeln kam nicht zu kurz, das für die Jugendlichen eine Lieblingsbeschäftigung ist.

Es war für sie nicht zu begreifen, wieso schöne Monumentalbauten, nicht nur auf der Lloydzeile, vernachlässigt sind und der Mörtel von den Außenfassaden abbröckelt, wo doch viele Straßen und Plätze in der Stadt durch Veränderungs- und Verschönerungsarbeiten instandgesetzt wurden. Nach ihrem Rückflug am Mittwoch und ihrer Rückschau auf die letzten in Temeswar und Billed verbrachten Tage äußerten sie sich zufrieden, dass sie hier in Deutschland leben und arbeiten können.

Unsere Töchter mit unserem Urenkel und Ernas Mann am Springbrunnen auf der Lloydzeile


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Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erzählen Meine Billed-Fahrten in den Jahren 1977 bis 1987 und im Jahr 2008 Maria Schortje-Sommer

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edes Mal war es für mich eine Spannung, wie die Reise dieses Mal verlaufen würde. An der Grenze wusste man ja nie genau, was dieses Mal erlaubt bzw. nicht erlaubt ist. Spannung und Nervenkitzel war immer dabei, da ich ja immer viele Lebensmittel, Medikamente und sonstige Mitbringsel dabei hatte (auch mal eine Schleifmaschine für meinen Verwandten Adam Tobias). Ich war froh, wenn ich endlich mein Auto in Billed im Hof von meiner Großmutter Elisabeth und meiner Tante Maria Schortje (432) abstellen konnte. Reisen vor dem EU-Beitritt Da ich nicht in Rumänien geboren bin, hatte ich den Vorteil, dass ich für die Zöllner eine Touristin war und kein „Heimatbesucher“. Je nach Lust und Laune der Zöllner belief sich die Abfertigung zwischen 1 und 5 Stunden. Der Zwangsumtausch wurde immer in Dollar berechnet. Die Amerikaner wären froh gewesen, wenn der Dollarkurs tatsächlich so hoch gewesen wäre, wie an der Grenze immer berechnet wurde. Da ich aber meine Verwandten und Freunde im Banat besuchen wollte, hatte ich diesen rumänischen Dollarkurs halt akzeptiert. Zu meinen Erlebnissen: Da ich nicht gewöhnt war, dass man an der Grenze „Trinkgelder“ gibt, habe ich mich auch nie daran beteiligt. Vater meinte immer „Gib doch etwas“ - aber ich tat es aus Prinzip nicht. Ich musste dann natürlich alles ausladen, was mich nach einer langen Fahrt zwar nicht gerade erfreut hat - aber auf diese 1/2 Stunde mehr kam es auch nicht mehr an. Einmal hatte ich eine Kiste Bananen dabei. Der Zöllner wollte wissen, was das ist und ich erklärte ihm: Das sind „Bananen“! Er hat mich noch zweimal gefragt und ich gab ihm immer zur Antwort: Dies sind Bananen. Er glaubte, dass ich das Prinzip des „Schmierens“ nicht kenne und so musste

ich mal wieder alles ausladen und dann wieder einladen - aber ich konnte meine Kiste Bananen komplett nach Billed mitbringen. Ständig musste man Papiere ausfüllen, einmal habe ich aus Versehen den Vornamen meiner Großmutter mit Katharina statt mit Elisabeth ins Formular geschrieben - Vater wollte das berichtigen lassen, ich habe ihm erklärt, das würde eh niemanden interessieren und das schaut kein Mensch mehr an. Trotz falschen Namens bekamen wir das Einreisevisum. Ein anderes Mal waren verschärfte Grenzkontrollen (Es war gerade irgendein Kriegsgedenktag) und alle Deutschen wurden besonders kontrolliert. Mein Vater war gerade zur Toilette, als der Zöllner ans Auto kam. Er wollte wissen, wann mein Vater in die BRD übergesiedelt ist. Da ich jegliches „Kriegsdatum“ vermeiden wollte, sagte ich einfach 1937. Daraufhin bekam ich die Pässe und er meinte, ich dürfe fahren (ohne weitere Kontrolle). Als mein Vater von der Toilette kam, habe ich ihm dies erzählt. Vater meinte, das würde doch so nicht stimmen, er wäre doch bei der Wehrmacht gewesen. Ich sagte, bitte steig sofort ins Auto und sage bitte nichts, sonst stehen wir noch ein paar Stunden an der Grenze. Ein anders Mal kam ich mit Vater und meiner Schwägerin Elfriede von Billed. Ich hatte das Auto meines Bruders dabei. Mein Verwandter Adam Tobias hat das Auto während meines Billed-Aufenthaltes nach unserem Wunsch in einer anderen Farbe neu lackiert. An der Grenze ist ein Zöllner ums Auto herumgelaufen und hat ständig geschnuppert - es roch noch nach neuer Farbe. Damit hatte ich gerechnet. Meine Schwägerin und ich haben deshalb extra für die Fahrt kurze Hosen angezogen und sind an unserem Auto entlang gegangen. Der Vorgesetzte des Zöllners hatte ständig nur uns Frauen im


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Auf der Torontaler Landstraße in Richtung Temeswar zwischen Triebswetter und Lovrin im Sommer 2009. Foto: Hans Rothgerber Blick und konnte und wollte deshalb nicht auf den Einwand seines Kollegen reagieren und so bekamen wir unsere Pässe und konnten frohgemut nach Ungarn weiterfahren. Es war jedes Mal ein Nervenkitzel, was wird heute wieder gefragt oder kontrolliert. Auch wusste ich nie, ob ich in Rumänien Benzin bekomme. Ich habe jedes Mal in Ungarn nochmals getankt, um wieder aus Rumänien ausreisen zu können. Einmal hat mir jemand gesagt, ich müsse nicht über Temeschburg nach Arad fahren, sondern es gäbe über Perjamosch eine Abkürzung. Ich bin dann diesen Weg (Straße konnte ich es nicht nennen) gefahren und stand dann an der Marosch. Dort stand ein Holzfloß (ein paar Bretter fehlten schon) und ich bin dann mit einem mulmigen Gefühl auf das Floß ge-

fahren. Glücklicherweise bin ich dann auch gut auf der anderen Seite angekommen. Bei den anderen Fahrten habe ich lieber den „Umweg“ über Temeschburg in Kauf genommen. Es gab noch viele andere komische Situationen - ich glaube, jeder kann zu seinen Fahrten einiges erzählen. Im Nachhinein sind die Begebenheiten lustig. Nach vielen Jahren bin ich 2008 wieder nach Billed gefahren. Ich fuhr mit meinem Vetter Peter Weber und seiner Frau. Wir nahmen den neuen Grenzübergang über Tschanad. Es wurden nur die Ausweise angeschaut und ich wurde durchgewunken. Das Ganze dauerte keine 5 Minuten. Wie sich die Zeiten ändern! Man merkt, wie sich mit dem EU-Beitritt doch auch das Grenzverhalten ändert.


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Ansicht von Osten der renovierten Kirche im Juni 2009

Heimat hier und dort Barbara Franz

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er lange nicht „daheim“ war, dem kommt vielleicht bei seinem Besuch vieles fremd vor. So ging es auch mir, als ich im Mai nach vielen Jahren Billed besuchte. Es hat sich vieles verändert, nicht alles zum Negativen. Bevor man nach Billed kommt, grüßt wie schon immer der Kalvarienberg mit seinen Stationen und dem renovierten Kreuz. Schaut man dann über das Dorf, sieht man den vertrauten Kirchturm. Unsere Kirche, in meinen Augen immer die schönste im Banat, sieht heute besser aus als viele sie noch in Erinnerung haben. Es gibt wohl kaum eine andere Kirche im Banat, die besser instand gehalten wird – und wir können stolz sein, dass wir einst dazugehörten. Auch die Friedhöfe sind ordentlich gepflegt und obwohl sich unter viele bekannte Namen auch andere gemischt haben, fühlte ich mich irgendwie zu Hause. In den Gassen war ich froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen, aber es waren leider nicht viele. Seither frage ich mich oft: Was ist Heimat? Wo ist Heimat? Unser Billed hat sich sehr ver-

ändert, die Bewohner sind meist andere geworden, aber immer noch sagen wir „Heimfahren“. Auch wenn wir Billed verlassen, nennen wir das ebenso „Heimfahren“. Meiner Meinung nach sind nicht die Häuser Heimat, sondern die mir bekannten Menschen, die noch in Billed leben. Heimat ist vor allem meine Familie und meine Verwandten hier in Deutschland, das sind die Landsleute, denen man beim Billeder Treffen in Karlsruhe begegnet. Wenn dann die Blaskapelle ihre bekannten Märsche und Tänze spielt, wenn die Trachtengruppen ihren unverzichtbaren und äußerst gelungenen Part liefern, wenn die „Singmädchen“ ihre allen Ohren vertrauten Kirchenlieder singen, wenn der Priester, der die Messe zelebriert, ein Billeder Kind ist und sogar noch in der Billeder Mundart predigt – dann fühlt man die Heimat im Herzen. Möge unsere Billeder Gemeinschaft noch lange bestehen und niemand sein Heimatgefühl verlieren, denn Heimat ist dort, wo man auch mit dem Herzen daheim ist.


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Billeder holen den Waldkraiburger Kirchweihstrauß Hilde Prutean geb.Reiser

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eine Geschichte um den Kirchweihstrauß begann vor genau zehn Jahren. Damals fragte meine Mutter Rosi Reiser meine beiden ältesten Kinder Brigitte und Thomas, ob sie denn nicht mal bei der Waldkraiburger Kirchweih mitmachen würden. Und oh! welche Überraschung, sie wollten! Also wurde ganz schnell alles zusammengetragen, was man so brauchte, von hier und da, sogar ein Hut wurde ausgeliehen.Was das aber alles auslösen sollte für die Zukunft, hätten sowohl meine Mutter als auch ich niemals gedacht. Denn nun hatte auch meinen Mann Ferdinand Prutean, der kein „Schwob“ ist, das Kerweih-Fieber gepackt. Er schlug vor, dass der Rest der Familie auch noch mitmacht, also die jüngsten Töchter Vanessa und Justine und natürlich auch wir beide. Allerdings nur in Billeder Tracht! So machte sich meine Mutter fast ein Jahr lang an die viele Arbeit und schneiderte für uns Leibchen, Unterröcke, Oberröcke, Blusen und Schürzen, ließ auch zwei Billeder Hüte machen. Natürlich wurden sogar die „Hansis“ gemacht, die unter die Röcke kommen, sehr zur Belustigung der jüngsten Töchter wegen des lustigen Namens. Aber das Schönste waren und sind die Tücher: Diese Arbeit ist mit so viel Liebe und Hingabe gemacht worden, dass es ab sofort für mich, die doch vorher nicht so viel mit Tracht und Tradition zu tun hatte, eine Wonne war, diese zu tragen und damit zu marschieren. Und so wird nun seit 9 Jahren zweimal im Jahr die Tracht hervorgeholt, die Röcke werden

jedesmal aufs Neue mit Stöcken in Falten gelegt. Die Kinder sind mit genau derselben Begeisterung dabei wie wir, wenn die Oma alles „zammspenglt“ und wir danach die Billeder beim Volksfest-Aufmarsch und natürlich bei der Waldkraiburger Kirchweih vertreten. Sehr schön finden wir aber alle auch, dass nun sogar der Freund der Ältesten, ein Einheimischer, sich auch in Billeder Tracht schmeißt und mitmarschiert. Und dieses Jahr ist nun ein Traum in Erfüllung gegangen: Mein Mann hat den KerweihStrauß ersteigert, die Billeder haben endlich den Waldkraiburger Strauß geholt! Die Kinder haben sich wie die Schneekönige gefreut, meine Mutter weinte sogar vor Freude und Glück, dass er nun endlich in unserem Besitz ist. Und mein Mann fühlt sich jetzt endgültig als „Schwob“ und ich kann das alles noch gar nicht so richtig fassen. Denn ich muss gestehen: Es ist wirklich etwas ganz Besonderes, den Strauß in den Händen zu halten, den Ehrentanz und am Abend den Strauß-Tanz damit zu tanzen. Und ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich jetzt so langsam verstehe, was Heimat, Tradition und Tracht doch für eine große Rolle und Bedeutung im Leben jedes Menschen spielen, wenn man sie pflegt. Und so freuen wir uns jetzt schon alle darauf, nächstes Jahr wieder voller Begeisterung mitzumarschieren und die Billeder Tracht zu präsentieren.


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Das ehemalige Schmidt-Haus (Hof), heute Demokratisches Forum der Deutschen in Billed. Rechts der stilvolle Hambar (als Kulisse für Hochzeitsfotos beliebt geworden). Foto Mitte: die Erinnerungstafel am Eingang

Unser Heimathaus in Billed Peter Krier

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ls sich der Billeder Bauer Jakob Schmidt zusammen mit seiner Frau 1927 mitten im Dorf ein stattliches Haus errichten ließ, dachte er bestimmt nicht daran, dass dieses Haus einmal das letzte Gemeinschaftshaus der Billeder Deutschen werden sollte. Das quer zur Straße stehende räumliche Haus wurde im damaligen Dorfstil erbaut, auf dem Giebel stehen, wie im Dorf üblich, in großer Schrift die Namen der Erbauer: Jakob und Magdalene Schmidt. Jakob Schmidt war ein tüchtiger, erfolgreicher und fortschrittlicher Bauer. 1935 ließ er den Pferdestall, in dem 10 Pferde ordentlich Platz hatten, und die weiteren Wirtschaftgebäude neu erbauen. Schmidts ging es gut, sie hatten beim Kriegsausbruch zwei erwachsene Söhne, die Bauern werden sollten, entsprechende Partnerinnen waren ausgemacht, die Zukunft war geplant. Doch wie wir wissen, verlief diese nicht nach Plan, es kam anders.

Die Söhne mussten in den Krieg, sie kamen nicht wieder in die Heimat. Schmidts wurden enteignet, in die Baragansteppe verschleppt, 1968 konnten sie nach Deutschland auswandern. Sie lebten bis zu ihrem Tode bei ihrem, nun auch schon verstorbenen, ältesten Sohn Adam in Wolfsburg. Der jüngere Sohn Nikolaus wurde tatsächlich Bauer. Nicht auf dem Feld und Hof seines Vaters, sondern einen halben Erdumfang von Billed entfernt im Staate Parana in Brasilien. Dort hat er zusammen mit seiner nun schon verstorbenen Ehefrau Margareta, geb. Seibert (309), in der Donauschwabensiedlung Entre Rios eine große Farm aufgebaut, die heute von seinen beiden Töchtern mit ihren Familien bewirtschaftet wird. Das Staatseigentum gewordene Haus Nr. 421 in Billed hat während der kommunistischen Diktatur mehrmals den Besitzer gewechselt und war bei der Wende 1989 stark herunter-


Aktuell gekommen. Das unbewohnbar gewordene Haus wurde 1991 dem gerade gegründeten Demokratischen Forum der Deutschen in Billed überlassen. Mit großem Arbeitseinsatz wurde das Haus renoviert und konnte Sitz des von Adam Csonti geleiteten Deutschen Forums und Begegnungshaus der in Billed verbliebenen Deutschen werden, es wurde das „Deutsche Haus“ in Billed. Das Hilfswerk der Banater Schwaben konnte 1994 in dem Haus eine Sozialstation einrichten, durch die 20 - 25 Landsleute verpflegt werden und bei Bedarf nach Möglichkeit versorgt und gepflegt werden. Die Sozialstation wird von Roswitha Csonti geleitet. Die Ausstattung der Küche und der Begegnungsräume erfolgte durch Eigenmittel des Billeder und Banater Forums, durch Zuwendungen des Hilfswerkes und der HOG Billed. Immer wieder waren Reparaturen und Erneuerungen an dem Haus notwendig. So mussten Türen und Fenster, Dachpfetten, Mauerteile, Fußböden und alle technischen Installationen erneuert werden. Immer wieder standen Arbeiten an, musste auch Geld eingesetzt werden. Allerdings hatte sich dabei auch die Frage gestellt, ob weitere Investitionen in ein Haus, das dem rumänischen Staat gehört und durch eine einfache Entscheidung des Gemeinderates einer anderen Nutzung zugeführt werden kann, sinnvoll sind. Als in Rumänien 2001 das Immobilienrückgabegesetz mit all seinen Verwirrungen in Kraft trat, haben wir schnell gehandelt. Das Haus wurde Nikolaus Schmidt zurückgegeben, der es der Billeder Heimatgemeinschaft e.V. schenkte. Unsere Gemeinschaft wurde Eigentümer des Hauses. Vor zwei Jahren wurde die Erneuerung der Küche notwendig, um dem aktuellen Stand hygienischer Vorschriften zu entsprechen. Die Lösung wurde in einem Anbau an das Längshaus gefunden. Im Erdgeschoss des Neubaus wurde in einem entsprechend großen Raum die neue Küche mit modernen Geräten eingerichtet. Ebenfalls im Erdgeschoss befinden sich

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Das Demokratisches Forum der Deutschen, Ansicht von der Straße

Der Speisesaal, vorher Pferdestall Adam und Roswitha Csonti, die Bauherren des Gästehauses im Auftrag der HOG, mit Tochter und Schwiegersohn nach der Fertigstellung


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27 Ausblick vom Balkon der Gästezimmer im Obergeschoss. Die drei Doppelzimmer sind jeweils mit einem modern gestalteten Bad, mit Fernseher und geschmackvollen Möbeln eingerichtet. Fotos links oben und Mitte: Zimmer 1. Foto links unten: Aufenthaltsraum mit Kühlschrank und Esstisch Anmeldungen für Übernachtungen im Gästehaus sind möglich über das Internet www.billed.de


28 Lagerräume, ein Sanitärraum und ein Büro. Im Obergeschoss wurden drei Doppelzimmer für Gäste eingerichtet. Die Gästezimmer sind jeweils mit einem modern gestalteten Bad, mit Fernseher und geschmackvollen Möbeln eingerichtet. Der Anbau ist schön gestaltet und gut durchdacht, zumal Gäste auch verpflegt werden können. Stück für Stück wurden Haus und Hof schöner und besser. Das Haus, in dem auch die Jugendgruppe „Billeder Heiderose“ ihren Sitz und Begegnungsräume hat, ist längst zur Anlaufstelle für Besucher Billeds geworden. Kurzbesucher, Urlauber, Touristen, offizielle Besucher, Minister und hochrangige Politiker

Aktuell haben das „Deutsche Haus“ in Billed schon besucht. Besucher, die keine Banater sind, wundern sich immerwieder über den großen, nun zum Speisesaal umfunktionierten Pferdestall. Dies gibt dann Anlass darauf hinzuweisen, dass man „an dem Stumpf noch erkennt, wie mächtig die gefällte Eiche einst war.“ Primär bleibt das Haus die Sozialstation zur Versorgung der in Billed verbliebenen alten Landsleute, es bleibt auch Sitz des Forums, ist aber schon längst Begegnungshaus der dort verbliebenen Billeder und Besucher aus der ganzen Welt geworden. Ein offenes Haus der Heimat – unser Haus - zu dessen Besuch alle eingeladen sind.

Ein Wochenendausflug nach Temeschburg – Billed Johann und Katharina Hahn

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s ist ja nichts Ungewöhnliches, wenn man davon träumt, nach 21 Jahren noch einmal nach Billed zu fahren. Meine Frau zog nicht so richtig mit, da es doch von uns ein weiter Weg ist und mit Strapazen verbunden. Doch für uns im Westen Deutschlands hat sich mit der neuen, günstigen Flugstrecke DortmundTemeschburg eine neue Möglichkeit aufgetan. Und das hat uns unsere Tochter Ilse Frank schmackhaft gemacht, da sie das ja schon zweimal ausprobiert hatte. Über das Internet hat sie den Flug für 6 Personen sowie Hotel in Temeschburg für die Jugend gebucht. Meine Frau und ich wollten auch nach Billed und erfuhren durch Roswitha Csonti, dass beim Forum ein Neubau mit drei Gästezimmern, Bad und WC fertig geworden war. Mit Frühstück und bei Bedarf auch warmes Mittagessen. Und da wir in Billed keine Verwandte mehr haben, haben wir uns für zwei Nächte angemeldet. Somit sind wir am 19. Sept. von Dortmund losgeflogen und nach 100 Minuten bei herrlichem Wetter in Temeschburg gelandet, überrascht darüber, dass die 180 Sitzplätze zu 80-90% ausgebucht waren, ebenso auf dem Rückflug. Einfach

unglaublich schien uns auch die einfache Abfertigung nur mit dem Personalausweis, wenn man bedenkt, wie das zu Ceauşescus Zeiten war! Der Weg durch die Stadt zum Hotel „Delpack“ schien uns befremdend, überrascht hat uns der starke Autoverkehr und die zugeparkten Straßen, mehr Taxis als in Wien, informieren die Taxifahrer bereitwillig. Erwartet und herzlich begrüßt wurden wir von Roswitha und Adam Csonti, die uns nach Billed brachten. Auf dem Weg sahen wir viele Veränderungen: Die Stadt hat sich ausgedehnt, das Industriegebiet bis zur Arader Bahnlinie, die Landstraße ist neu asphaltiert und mehr Verkehr seit der Grenzöffnung in Tschanad. Schon beim Erkennen des grau-schimmernden Kirchturms kam Heimatgefühl auf. Am beflaggten „Gemeindehaus“ (Staats- und EU-Flagge) vorbei standen wir bald vor dem Haus des Demokratischen Forums, das außen und innen einen gepflegten Eindruck macht, grüner Rasen im Hof. Nach der Besichtigung aller Räume bezogen wir eins der Zimmer (mit Fernseher) und fühlten uns überhaupt nicht fremd. Kurz danach kamen schon die ersten


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Beim Kartenspielen im Forum Besucher: Kathi Rieder, Geza Szabo, Fam. Weber -alt und jung- doch eigentlich sind wir alle älter geworden, die Zeit hat mehr oder weniger Spuren hinterlassen. Bei Nachbarn und Arbeitskollegen konnten wir nur kurz vorbeischauen, sahen, wie ihr Alltag aussieht, ihre Arbeit, ihr Leben und bekamen das Gefühl, noch gar nicht so lange weg zu sein. Doch um das wahre Leben der Menschen nach der Diktatur besser zu ergründen, müsste man mehr Zeit mitbringen. Kaufen können sie alles wie im Westen, doch ihre Produkte können sie nicht mehr so verkaufen. Es gibt zwar über 1000 gemeldete Autos, Zentralheizung, genug Strom und fließendes Wasser, aber kulturell – glaube ich – fast gar nichts mehr. Viele haben ihr Feld dem „Patron“ überlassen, bekommen dafür Getreide oder auch nicht, können aber auch nichts dagegen tun. Einige Machthaber aus Ceauşescus Zeit haben sich vieles unter den Nagel gerissen; Spekulanten und „Heuschrecken“ beuten aus, was die Zukunft nicht leichter macht. Nach dem Sonntagmorgen-Frühstück fuhren uns die Csontis durchs Dorf: Zum Neugässer Friedhof, wo uns ein Dankbarkeitsgefühl unseren Gastgebern gegenüber überkam für so viel Ordnung und Sauberkeit. Mit Ehrfurcht verabschiedeten wir uns von den Gräbern der Eltern und Großeltern in der Hoffnung, der heilige Acker bleibt – auch mit unserer Hilfe – noch lange so erhalten.

Am Bahnhof vorbei – Totenstille, kein Einoder Ausladen. Und weiter durch die Blumen-, Alt- und Neugasse bis in die Sauerländergasse: Es hat sich vieles geändert, die Giebel, die Farben. Die Gassen sind gut befahrbar, es werden wieder mehr Bäume gepflanzt. Im Forum spielten einige Männer – wie üblich – Karten. In der Kirche gab es um 16 Uhr eine „Messe“ ohne Pfarrer, gehalten von M. Sandor (Ciobanu); gebetet wird in Deutsch und Rumänisch. Am Abend erfuhren wir noch einiges über den Neubau, über die Sozialstation für alte und bedürftige Menschen, die sich ihr Mittagessen entweder selber holen oder es nach Hause bekommen. Roswitha brachte uns noch zum Kleinbetschkereker Friedhof, wo wir den großen Unterschied zu den gut gepflegten Billeder Friedhöfen feststellen konnten, weil eben ein kleines Dorf nicht mehr die Mittel für Kirche und Friedhof aufbringt. Auch beim Abschied von Roswitha und Adam Csonti wurde uns klar, dass sie es sind, die unsere Kulturstätten in Billed noch einige Jahrzehnte vor dem Verfall bewahren, wofür wir ihnen zu Dank verpflichtet sind. Diese Kurzreise war Balsam für unsere Seele und unseren Geist, die Heimat wird uns jedenfalls in Erinnerung bleiben, ganz gleich, ob es gute oder böse Zeiten gab.


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Der Heimat verbunden bis zum Lebensende Franz Backes in Cincinnati verstorben Peter Krier

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er Lebensweg von Franz Backes ist eine amerikanische Bilderbuchkarriere. Er begann im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zwar nicht als Tellerwäscher, sondern als Autowäscher und schaffte es, als erfolgreicher Unternehmer eine Leitungshandelsgesellschaft und eine Immobiliengesellschaft aufzubauen und erfolgreich zu führen. Geboren am 31.12.1925 in Billed, wuchs Franz in unserem Heimatdorf auf, besuchte dort die Schule, war ein eifriger Ministrant und gelegentlich ein Lauskerl und Spitzbub, wie er selbst schreibt. Eben ein Dorfjunge. Doch mit 13 Jahren begann schon der Ernst des Lebens. Nach dem Schulabschluss galt es, auf dem väterlichen Bauernhof mitzuarbeiten, harte Feldarbeit war angesagt. Eine starke Wende in seinem Leben brachte das Jahr 1943. In Europa tobte der Zweite Weltkrieg, Franz kam als 17-Jähriger zum deutschen Heer, musste in den Krieg. Als er im Juni 1943 eingezogen wurde, ahnte er nicht, dass dies ein Abschied für immer vom Elternhaus, von der Heimatgemeinde, von den Freunden, von der Banater Heimat war. Den Krieg erlebte er in seiner ganzen Härte an der Ostfront und im Westen. Dem Tod sei er mehrmals von der „Schippe gesprungen“, erzählte er, einmal wurde er durch einen Granatsplitter schwer verwundet, was zu einem bleibenden Gehörschaden führte, doch er überlebte, auch die Gefangenschaft. Die ersten Nachkriegsjahre verbrachte er in Bayern, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten mehr schlecht als recht durchschlug, es waren Notjahre und Lehrjahre. Franz Backes war indes entschlossen, seinem Leben aus eigenem Antrieb nochmals eine Wende zu geben. Er wanderte 1952 aus, in die Vereinigten Staaten. In Cinncinati wollte er sich eine Existenz aufbauen. Doch wie stand

Franz Backes mit seiner Ehefrau und 7 Enkelkindern im Dezember 2003 er am Anfang da? Heimatlos, fremd, ohne Familie oder Angehörige, ohne Mittel, arm, ohne Beruf, arbeitslos und ohne Englischkenntnisse. Als Autowäscher begann er zu arbeiten. Doch ihm war klar, nach oben kommt man nur, wenn man etwas kann und Können bedingt Wissen und dies Lernen. Er lernte Englisch, machte eine Berufsausbildung zum Installateur, bestand die Meisterprüfung und machte sich selbständig. Mit schwäbischem Fleiß, mit Zähigkeit und Klugheit gelang es ihm, sein Unternehmen stetig zu vergrößern. Später investierte er in Immobilien und gründete die „Backes Apartment Co.“ Seine Familie gründete Franz Backes im Jahre 1954, als er die aus Keglewitsch stammende Therese Stillebauer heiratete. Es war eine gute Ehe, der die Kinder Frank und Linda entspros-


Aktuell sen, die ihm sieben Enkelkinder schenkten, auf die er sehr stolz war. Großen Wert legte er darauf, dass seine Kinder und Enkelkinder eine solide Bildung und Ausbildung erfuhren, „nur Pizza und Taschengeld“ sind keine Erziehung, war eine seiner Maximen. Sein Sohn sagt von ihm, er war ein strenger Vater, mit gutem Herzen. Geld unnötig auszugeben, kränkte ihn. Großzügig war er jedoch, wenn es um Anliegen der Heimat ging. Er war Mitglied im Verein der Donauschwaben, Mitinitiator beim Bau des Vereinsheimes, dessen Installationen er kostenlos ausgeführt hat. Billed und den Billedern war er besonders verbunden; alles, was

31 damit zu tun hatte, interessierte ihn. Als ihn infolge seiner Krankheit die Kraft verlassen hatte, selbst das Billeder Heimatblatt in Händen zu halten und zu lesen, ließ er sich daraus vorlesen; die CD mit der Billeder Blasmusik hörte er täglich. Noch bevor er am 24. Januar dieses Jahres abberufen wurde, hat er seine Familie und seine Freunde gebeten, bei seiner Beerdigung statt Blumenspenden für die Renovierung der Billeder Kirche zu spenden. Die großzügige Spende ist bei uns gut angekommen, wir haben sie für die Renovierung des Kreuzes vor der Kirche eingesetzt und sagen dankbar „Vergelts Gott“.

Spenderliste für die Billeder Kirche anlässlich der Beerdigung von Franz Backes Spender Adresse 1.Theresia Backes 5387 Thrasher DR, Cincinnati 45247 2.Frank & JoLynn Backes 8814 Castleford Lane, Cincinnati 45242 3.Bob & Linda Igel 10971 Colerain Ave, Cincinnati 45252 4.Don Yelton 815 Dunore RD, Cincinnati 45220-1416 5.Ann Saluke 815 Dunore RD, Cincinnati 45220-1416 6.Michael Schiller 5575 Sidney RD, Cincinnati 45238 7.Robert & Ruth Seiple 9900 Delray DR, Cincinnati 45242-6202 8.Helmut & Mischell Wolfram 5954 Countrymeadow LN, Cincinn.45233 9.Harry & Mary Ann Stevenson 5377 Flatrock CT, Morrison 80465-2178 10.Joseph & Clarice Chism 2347 Leisure World, Mesa AZ 85206 11.Frank & Rosemary Hoffmann 5213 Scarsdale Cove, Cincinnati 45248 12.Joseph S. Weber 7293 Bridgedown Rd. Cincinnati 45248 13.Elizabeth Mueller D.D.S. 8364 Oakdale Court, Mason OH 45248 14.Robert & Mary Dochterman 4315-32ND Street, Cincinnati 45209 15.Alfons & Elvira Schermaier 9560 Sherman RD, Chesterl. 44026-2330 16.David & Barbara Withers 5684 Hazel Drive, Florence KY 41042 17.Jan & Mike Flavin 9862 Belleford Court, Cincinnati 45242 18.Michael & Marianne Brunner 351 Warren Ave, Cincinnati 45220 19.Anna Pfeiffer P. & Betty Ellis 5133 North Bend Crossing Cincinn. 45247 20.Matthew & Kristin Lennarz 27 Lincoln Ave, Pittsford NY 14534-1923 21. Lori Prugel – Decher 11284 Golerain Ave, Cinci.45252-1430 22.William & Florence Lahmer 3624 Darwin Ave, Cincinnati 45211-5416 23.Bruce & Nancy Brown 11019 Woodlands Way, Cincinnati 45241 24.Beverly Williamson P.O. Box 208 PH. 513-353-3254, Cleves 45002-0208 25.Clinical Laboratory Hospital 2446 Kipling Ave. Cincinnati 45239 26.Mark & Denise Christy 11984 Stonemark Lane, Loveland 45140 27.Verein der Donauschwaben 8150 Hamptonshire DR. Cleves 45002 28.Michael & Julie Trader 10967 Colerain Ave. Cincinnati 45252 29.Frank & Rosemary Hoffman 5213 Scarsdale Cove, Cincinnati 45248 30.Neil & Janis Lewis 6572 Wilder Woods Way, M. OH 45248

Betrag 200 $ 200 $ 200 $ 125 $ 125 $ 100 $ 100 $ 100 $ 100 $ 100 $ 100 $ 100 $ 100 $ 75 $ 60 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 50 $ 40 $ 40 $ 35 $ 35 $ 25 $ 25 $

Scheck 4067 4067 4067 3978 2080 2454 3663 1045 5708 1116 2630 7827 0498 1321 699 2444 2742 5037 3797 2212 3765 5210 5788 1727 5953 4746 2825 5555 2631 2007


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32 31.Mark & Susan Luken 1586 Congress Hill LN, Fairf. OH 45014 32.Lawrence & Susan Johnstal 11963 Carrington Court, Cincinnati 45249 33.Margaret Kurzhals 6847 Menz LN, Cincinnati 45233 34.Mark & Marcy Kanter 9299 Ekemper RD, Loveland 45140-8946 35.John & Regine Kolleck 5556 Edger DR, Cincinnati 45239 36.John & Patricia Steiner 4380 Woodlands PL, Cincinnati 45241 37.Barbara Waldeck 6856 Menz LN, Cincinnati 45233-4311 38.Gordon & Cathy Yoshikawa 7761 Gwenwyn DR, Cinci. 45236-3003 39.Donauschwaben Frauen Grup 8150 Hamptonshire DR, Clev. OH.45002 40.Helen Sillies 5534 Northpoint DR. Cincinnati 45247 41.Penny Stevens 8811 Castleford LN, Cinci. 45242-6353 42.Ruth Macke 3948 Elsmere Ave. Cincinnati 45212 43.Russel & Carolyn Grote 910 Arborrun Drive, Cincinnati 45233 44.Carol Fierro 9626 Ronbet DR, Lovel. OH 45140-1031 45.John & Jaqueline Sehr 5113 Sugar Camp RD, Milford OH 45150 46.Kurt & Beverly Breitenstein 5515 Pinecrest DR, Cinci: 45238-1950 47.Kenneth & Debora Richter 10444 Stablehand DR,Cinci: 45242-4653 48.Eric & Augustina Schwartz 3219 Bellacre CT, Cinci: 45248 49.James D. Carr 5145 Chantilly Druive, Cincinnati 45238 50.Alfreda Schmidt 211 Persching CT, Hays KS 67601 51.Helmut & Maria Wolfram 2658 Mountville DR. Cincinnati 45238 52.Elizabeth Kissel 3193 Boudinot Ave, Cincinnati 45211 53.Bob Johnstone PO Box 579, Owensville OH 45160 54.Frank & Eva Kalany Heatherwood DR, Florence KY 41042 55.Edwin & Nancy Hamson 7359 Harrison Ave, Cincinnati 45231-4324 56.Nancy Leigh Bitters 1917 Springdale RD, Cinci: 45231-1943 57.Verschiedene Familien spendeten in Scheinen Auf dem Scheck Nr. 4067 sind 830 $. Es gehen davon 3 x 200 $ ab. (Siehe Nr. 1. 2. 3.) Verbleiben noch 230 $ als Spende in Scheine (Nr. 57)

25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 25 $ 20 $ 20 $ 20 $ 20 $ 20 $ 20 $ 20 $ 10 $ 10 $ 230 $

3220 5876 2666 8140 2646 6002 1044 1466 969 2760 231 1279 4110 2043 1213 1001 1178 1268 6526 3734 151 2360 1120 2673 2084 10021 4067

Die Glocken der Heimat Hermine Schnur

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er von uns hört nicht gerne das uns Billledern bekannte Lied „Glocken der Heimat“? Wir können das Lied und das Glockengeläut selber weder aus unserem Gedächtnis streichen, noch verhindern, dass sich Wehmut oder Heimweh sowie verstohlene Tränen bei uns einstellen. Andererseits: Wollen wir das überhaupt verhindern? Nun einige Daten zu der Geschichte und dem Einsatzzweck der Glocken: Im Billeder Kirchturm hängen vier Glocken, die zwischen 1800 und 1834 von der Gemeinde erworben wurden. Es sind dies: die große Glocke, die Mittagsglocke, die Halbmessglocke und die

kleine Glocke. Seit rund 200 Jahren ertönen nun die Glocken für alle Billeder, „mal fröhlich, mal traurig“, wie es in dem beliebten Lied heißt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurden drei Glocken aus dem Turm entfernt und zu Kanonen gegossen (wurde in Kriegszeiten häufig praktiziert). Bis 1924 blieb nur eine Glocke allein im Turm. Wenigstens dreimal täglich hörte man im Normalfall das Geläut der Glocken: morgens, mittags und abends. Im Sommer, wenn auch die Natur früh erwacht, morgens sogar schon um 5.00 Uhr, dann zur Mittagsstunde (12.00


Aktuell Uhr, „Mittagläuten“) und abends um 20.00 Uhr („Gebetläuten“). Im Winter, wenn es spät hell und früh dunkel wurde, war der Rhythmus des Glockenläutens der kalten Jahreszeit angepasst: morgens um 6.00 Uhr (mittags ebenfalls um 12.00 Uhr) und abends um 18.00 Uhr. Am Samstag- und am Sonntagabend wurde die große Glocke zum Gebet geläutet – ihren Schall hörte man im ganzen Dorf. Nach dem Gebetläuten ertönte dann die kleine Glocke für die armen Seelen. Gab es im Ort einen Todesfall, so wurde nach dem Gebetläuten mit der kleinen Glocke ein „Zeichen“ gegeben, für ein verstorbenes Kind ein „Gsetz“, für eine Frau zwei und für einen Mann drei „Gsetze“. Die traurige Nachricht, um wen es sich dabei handelte, hatte sich meistens bereits herumgesprochen, ansonsten konnten die Nachbarn Auskunft geben oder die Tafel am Kircheneingang. Nach dem „Gsetz“ ertönten alle Glocken, man sagte, „Es läutet aus.“ Bis zur Beerdigung erinnerten jedes Mal nach dem Gebetläuten alle Glocken an den Verstorbenen. Sobald der Priester zu einer Beerdigung von der Kirche wegging, wurde mit einer Glocke geläutet, als Aufruf an die Billeder, an der Beerdigung teilzunehmen. Sobald der Trauerzug zum Friedhof unterwegs war, erschallten alle Glocken in gewissen Abständen, bis er am Friedhof angekommen war, danach übernahm die Friedhofsglocke das Geläut bis zum Grab. An Allerheiligen riefen abends um 18.00 Uhr alle Glocken eine halbe Stunde lang zum Gedenken an die Verstorbenen auf. An Sonn- und Feiertagen erinnerte die große Glocke mit dem Erstläuten eine Stunde vor Beginn an die heilige Messe, eine halbe Stunde davor zum zweiten Mal, zu Beginn der Messe ertönten alle Glocken („Zammlaude“). Früher wurde an hohen Feiertagen zum Evangelium mit der großen Glocke geläutet. Zur Wandlung erklingt auch heute noch die Halbmessglocke. Auch werktags wurde jedes Mal zur Messe geläutet.

33 Feierlich war es immer, wenn am Gründonnerstag die Glocken „fortflogen“: Es läuteten alle Glocken, die Ministranten schellten und die Orgel spielte laut. Dann, im Lauf des Karfreitags, als Zeichen des Mitgefühls für das Leiden Christi, schwieg alles, bis die Glocken am Karsamstag Abend zur Auferstehung „zurückkehrten“, wenn der Pfarrer das Halleluja sang. Ergreifend war es, wenn in der Heiligen Nacht nach der Mette alle Glocken ihre verschiedenen Töne vermischten und die Musikanten im Turm das wunderschöne Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ spielten. Auch bei Hochzeiten, dem „Fest voll Klang“, ertönten vom Turm alle Glocken, sobald der Hochzeitszug in Sicht war. Aber auch bei Katastrophen und Feuer verständigten die Glocken laut und unregelmäßig die Dorfbewohner, um zur Hilfe aufzurufen. So wie es in dem Lied „Glocken der Heimat“ heißt, „wenn die Heimat litt“. Jeden Freitag um 11 Uhr läutete die Messglocke zur Erinnerung daran, an diesem Tag kein Fleisch zu essen. Ganz früher hallte jeden Abend um 21 oder 22 Uhr die Glocke, damit alle Leute, die sich vielleicht verirrt hatten, den Nachhauseweg finden könnten. Ob es nun ein freudiger oder ein trauriger Anlass war, das Läuten der Glocken war ein verbindendes Element zwischen den Bewohnern, diente als Informationsquelle oder als Aufruf zur Teilnahme am Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen. So haben sie aktiv am Dorfgeschehen teilgenommen: „Und ihr Glocken seid dabei, jetzt und alle Zeit.“ Früher wurden die Glocken von Hand gezogen, körperlich sicherlich anstrengend, doch der Ton war voll und kräftig. Heute funktioniert das Läuten per Knopfdruck. Manche behaupten, dass der Klang sich ebenfalls geändert habe. Wir sollten aber dankbar sein, dass die Glocken in unserem schönen Kirchturm noch ertönen. Behalten wir ihr Geläute in unserem Gedächtnis, so traut-vertraut - und doch so fern - „wie süßer Mutterlaut“.


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Ansprache am Billeder Gedenkstein am 31.05.2009 Werner Gilde Liebe Gäste, Landsleute, Billeder, wir haben uns heute zu früher Stunde hier an unserem Billeder Gedenkstein versammelt, um gemeinsam in einer Feierstunde unserer Heimat und unserer Verstorbenen zu gedenken. Vor 22 Jahren zu Pfingsten 1987 wurde dieser Stein feierlich eingeweiht. Durch die Unterstützung der Stadt Karlsruhe und die Spendenfreudigkeit der Billeder, auf die ich in meiner Ansprache noch zurückkommen werde, ist es den Billedern gelungen, an diesem würdigen Ort dieses Denkmal für unsere verlorene Heimat zu errichten. Es sollte auch ein symbolischer Grabstein sein für alle, auf deren Gräbern nie ein Kreuz oder Stein war. Für die Billeder, denen der Weg in die Freiheit - sei es durch Flucht, Familienzusammenführung oder Freikauf - gelungen war, war es von großer Bedeutung, einen Ort zu haben, an dem wir in Würde unserer Heimat und unserer Toten gedenken können. Bei der Einweihung am 7.Juni 1987 konnte damals noch niemand ahnen, dass es nur noch

drei Jahre dauern wird und der eiserne Vorhang aufgeht und wir, ohne Schikanen an der Grenze, unser Billed im Banat besuchen können. In Stein gemeißelt ist die Geschichte des Dorfes Billed und das Schicksal seiner Einwohner. Als Mustergemeinde der Kaiserin Maria Theresia wurde Billed im Jahre 1765 gegründet und hatte ursprünglich 250 Häuser, später waren es über 1000 Hausnummern. Die Siedler, die aus verschiedenen süddeutschen Landesteilen - viele von ihnen von der einen Reichsgrenze an die andere - gezogen sind, suchten die Freiheit und hofften auf ein besseres Leben. Sie haben durch Fleiß, Opferbereitschaft und harte Arbeit das Land urbar gemacht und es über die Jahre hinweg zur Kornkammer Europas entwickelt. Viele haben in den Anfangsjahren das Leben durch Krankheit verloren. Also „ Den Ersten der Tod…“ Ganze Familien wurden ausgelöscht, aber mit der Zeit hatte die Geburtenrate die Ster-


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berate überholt, so dass auch Epidemien wie Cholera und Pest die demografische Entwicklung nicht stoppen konnten. Auch der zweite Teil des Kolonistenspruches „den Zweiten die Not“ trifft für Billed voll zu. Mangelnde Ausstattung mit Zugtieren und Ackergeräten, mangelndes Saatgut, Überschwemmungen und Trockenjahre brachten nur geringe Ernteerträge und Missernten. Hunger und Not waren die Folgen. Allmählich setzte jedoch der Fortschritt ein. Mais und Weizenanbau brachten gute Erträge, die Viehzucht entwickelte sich zu einer zusätzlichen Einkommensquelle. Die Verleihung des Marktrechtes 1803, der Ausbau und die Schotterung der Reichsstraße Temeschburg -Szegedin 1856 sowie insbesondere der Anschluss Billeds an die Eisenbahn 1895 brachten allgemeinen Aufschwung. In gleicher Weise wie die Landwirtschaft hatten sich auch Handel und Gewerbe entwickelt. Wer heute durch Billed geht, kann sich kaum vorstellen, dass es in diesem Dorf einst 18 Geschäfte, darunter 2 größere Kaufhäuser, gab. Ferner hatte Billed 15 Metzgereien, 10 Gastwirtschaften, 20 Frisöre, 1 Zahnarzt, 3 Arzt-

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praxen, 1 Apotheke, je 3 Bäckereien, Drechslereien, Elektrowerkstätten, Färbereien und Gerbereien; je 2 Baustoffhändler, Dachdecker und Korbflechter; je 1 Tankstelle, Kino, Konditorei, Fotoatelier; Goldschmiede, und Hutmacher. Seit 1936 gab es in Billed elektrischen Strom und somit Gassenbeleuchtung. Es gab auch Industrie und Gewerbe: 2 Mühlen, 1 Elektrizitätswerk, Ziegelei, Hanffabrik, Sägewerk und Essigfabrik. Es gab 31 Maurer, 21 Schreinereien, 17 Schustereien, 17 Schmiede, 14 Schneidereien, 13 Maler, 8 Wagnereien, 7 Zimmereien, 6 Mechanikerwerkstätten, je 4 Seilereien und Sattler, je 3 Schnapsbrennereien, Steinmetze, Wollspinnereien, Weber und Stickereien, je 2 Uhrmacher, Spediteure, Rechtanwaltskanzleien, Molkereigeschäfte, Fassbinder und Schornsteinfeger. Es gab am Jerbach einen ausgebauten Badestrand. 1941 hatte Billed 3790 Einwohner davon 3652 Deutsche. Der Gesamt-Feldbesitz war 12.012 Katastraljoch, davon 10.046 Ackerland, 268 Obst- und Weingärten, das Übrige waren Wiesen und Weiden sowie unfruchtbare Böden. Folgende Landwirtschaftsmaschinen wurden eingesetzt:


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Foto oben: Die Familien Kneip und Dippong Ende der dreiĂ&#x;iger Jahre Foto unten: Kneip und Dippong auf ihren Pferden, mit denen sie damals beim Temeswarer Kavallerieregiment den Militärdienst geleistet hatten. Einsender: Georg Dippong


Aktuell 56 Traktoren, 200 Sämaschinen, 169 Mähmaschinen, 43 Grasmäher und 14 Dreschmaschinen. Es gab folgenden Tierbestand: 1.039 Pferde, 4 Zugochsen, 1.186 Milchkühe, 664 Rinder, 1.979 Schafe, 4.623 Schweine. Die „Zeit des Brotes“ war gekommen. Wir können uns heute nur schwer vorstellen, wohin diese Entwicklung geführt hätte, wenn sich das Rad der Geschichte weiter zu unseren Gunsten gedreht hätte. Obzwar Ende des 19. - Anfang des 20. Jahrhunderts ein richtiger Aufschwung zu vermerken war, zogen immer wieder dunkle Wolken über unseren Ort und der Tod sollte wieder reiche Ernte einfahren. Es kam der erste Weltkrieg, welcher für 124 Söhne der Gemeinde den Tod auf den Schlachtfeldern Europas gebracht hat. Schon sechs Jahre nach dieser großen Katastrophe hat man den Gefallenen ein würdiges Denkmal errichtet. Keiner der Anwesenden konnte bei der Weihe am 5.06.1924 ahnen, dass wenige Jahre später weitere Schicksalsschläge auf unseren Volksstamm prasseln würden Rumänien begann den Krieg gegen die Sowjetunion 1941 auf der Seite Deutschlands. Die wehrpflichtigen Männer aus Billed waren im rumänischen Heer und die ersten 4 fielen bei Odessa. 1942-1943 fielen weitere 9 Billeder bei Stalingrad. Insgesamt sind im rumänischen Heer bis Kriegsende 21 Billeder gefallen. Nach einem Abkommen vom 12.Mai 1943 zwischen der Reichsregierung und der rumänischen Regierung wurden alle Männer mit deutscher Volkszugehörigkeit aus Rumänien von 18 bis 35 Jahren zum Deutschen Heer eingezogen, sofern sie nicht im Fronteinsatz oder unabkömmlich beim rumänischen Heer waren. Insgesamt haben 396 Billeder Männer im besten Alter in verschiedenen deutschen Heeresverbänden gekämpft. Davon sind 84 gefallen. Am 23. August 1944 hat Rumänien die Fronten gewechselt und schon am 21. September standen die Russen vor Billed. Es

37 folgten Gewalt und Plünderungen. Während der Kampfhandlungen und danach wurden 12 Zivilpersonen getötet, sowie 7 Billeder von jugoslawischen Partisanen hingerichtet. Am 15. Januar 1945 wurden alle Frauen zwischen 18 und 35 Jahren und alle Männer zwischen 17 und 45 Jahren aufgegriffen und zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Davon waren 556 Billeder betroffen. Sie mussten fünf Jahre unter unmenschlichen Bedingungen in Kohlengruben und auf Baustellen Zwangsarbeit leisten. Dabei sind 76 verstorben. Am 23. März 1945 wurde aufgrund der Agrarreform der Feldbesitz sowie das Vieh und alle landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte aller Deutschen enteignet und es begann der Zuzug von rumänischen Kolonisten aus verschiedenen Provinzen des Landes. Diese Kolonisten wurden in die Häuser der Deutschen einquartiert. Auch die Handwerksbetriebe, Geschäfte, Kleinindustrie und Industrie wurden verstaatlicht. Die Bürger-Rechte wurden den Deutschen entzogen, sie hatten kein Wahlrecht, es gab keinen Unterricht in deutscher Sprache. Sechs Jahre nach Ende des II. Weltkrieges, am 18. Juni 1951, wurde in einer Aktion, die auch zu Staatsfeinden erklärten Rumänen betraf, 213 deutsche Familien mit 529 Personen in die Baragansteppe zwangs verschleppt. Auf freiem Feld mussten sie wie vormals ihre Ahnen Häuser aus Lehm stampfen und unter schwierigsten Bedingungen arbeiten und leben bis zu ihrer Entlassung im Februar 1956. In dieser Zeit sind 58 Billeder verstorben. „Den Letzten nahm man Haus und Hof“ Wer noch nicht geflohen war, hat sich ab nun immer mehr mit diesem Gedanken beschäftigt. Fliehen oder einen Ausreiseantrag stellen. Das war jetzt die Devise. Man muss genau überlegen, was die Menschen riskiert und aufgegeben haben. Auf der Flucht konnte man erschossen werden oder für Jahre im Gefängnis landen. Selbst wenn die Flucht gelungen ist, hatten Angehö-


38 rige mit Repressalien zu rechnen. Was hat die Menschen zu diesem Schritt bewegt? Ich glaube ein Hauptgrund waren die fehlenden Zukunftsaussichten für unseren Volksstamm, für die deutsche Minderheit in Rumänien. Die Folgen des zweiten Weltkrieges haben die Banater Schwaben in vollem Umfang zu spüren bekommen: von Verschleppung über Deportation und Zwangsarbeit bis hin zur Enteignung. Für das Regime in Rumänien waren die Deutschen die Allein-Schuldigen am Weltkrieg. Durch die Recherchen von Hannelore Baier und anderer wissen wir heute viel mehr über die Vorhaben der damaligen Regierung, was uns anbelangt und was manche Politiker mit uns vorhatten. Auch wenn sich in den folgenden Jahren die Situation für uns gebessert hatte, welche Aussichten hatten wir denn in Rumänien? Selbst im besten Fall waren wir immer nur Schwaben oder besser gesagt „nemţi“ in einem maroden kommunistischen Rumänien, einem Land, das uns jahrelang drangsaliert und gequält hat. Da wir uns immer als Deutsche gefühlt und dazu bekannt haben, gab es für viele nur zwei Wege: Flucht oder Ausreise. Natürlich kann man auch anführen, nicht nur die fehlenden Zukunftsaussichten, sondern auch die schlechte Situation in Rumänien war schuld. Aber sind wir mal ehrlich. Nach unserer Flucht oder Ausreise war der Neuanfang für uns in Deutschland auch nicht so einfach. Aber wir Banater Schwaben waren bereit, dies zu ertragen, denn nur so hatten wir für uns und unsere Kinder eine Zukunft gesehen. Als Ende der 70er - Anfang der 80er Jahre Ceauşescu von dem Einheitsvolk der Rumänen gesprochen hat, war der Entschluss, das Land zu verlassen, bei fast allen Deutschen in Rumänien gefasst. Und das ist auch der Grund, warum nach der Revolution so viele Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen ihre Jahrhunderte alte Heimat verlassen haben. Auch dies ist in meinen Augen eine Flucht gewesen.

Aktuell Rein theoretisch gesehen, waren die Bürger Rumäniens jetzt frei, sie hätten die gleichen Chancen gehabt wie jeder andere Rumäne. Die Mehrheit hatte den Versprechungen doch nicht mehr geglaubt, nachdem man sich auf rumänischer Seite an Versprochenes doch so gut wie nie gehalten hatte. Der Massenexodus war nicht mehr zu stoppen. Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich an dieser Stelle eine Aussage machen. Das Banat ist uns Banater Schwaben weggenommen worden. Nicht nur von Rumänien, sondern es begann schon durch die Siegermächte des ersten Weltkrieges, die das Banat wahllos unter Jugoslawien, Ungarn und Rumänien aufgeteilt haben. Uns - besser gesagt die Banater Schwaben - hat niemand gefragt, was wir wollten. Heute haben wir ein Vereintes Europa ohne Grenzen. Wir können durch unsere Wahl am 7. Juni entscheiden, welche Politiker ins Europaparlament einziehen. Haben wir es in schweren Zeiten geschafft, dass das Band zur alten Heimat nicht abreißt, so ist es heute, wo Rumänien Teil der EU ist noch einfacher, die Verbindung zu pflegen. Wir sehen es als unsere Pflicht, den dort noch verbliebenen Landsleuten zu helfen und mit ihnen zusammen eine Brücke zu bauen, auf der unsere Kinder und Kindeskinder noch lange in Frieden gehen können. Um das Land ihrer Ahnen, ihre Wurzeln, kennen zu lernen. Unsere Gemeinschaft hat in der neuen Heimat auf kultureller Ebene viel erreicht, aber auch geschichtlich gesehen, ist es uns hier gelungen, einiges über Billed und das Banat der großen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das ist wieder ein Beweis, wie wichtig es ist, in Freiheit und Frieden sich entfalten zu dürfen. Es sind: eine Ortsmonografie, Ortssippenbücher und ein Video über Billed und seine Geschichte entstanden, jährlich erscheint zu Weihnachten unser Heimatblatt. Wir haben den Kirchenchor mit unseren schönen Kirchenliedern aufgezeichnet. Seit 2008 kann man unsere Blasmusik auf einer CD hören. Durch die


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Josef Scholz mit Familie und Lehrling Hans Hehn in der Wagnerei 1930. Einsender Angela Karl Spenden der Billeder ist es uns gelungen, den Kalvarienberg - das Wahrzeichen von Billed zu renovieren. Am 22.04.2000 wurden die beiden Marmortafeln mit den Namen der 382 Billeder Opfer vom Zweiten Weltkrieg, von Flucht und Deportation in Billed geweiht. Wir haben lange warten müssen, bis wir für sie ein würdiges Denkmal errichten konnten. Auch dieses Mahnmal wurde durch unsere Spenden möglich. Der Mittelpunkt unseres ehemaligen Gemeindelebens, der Ort, an dem viele von uns getauft und getraut wurden, zur Erstkommunion und

Firmung gegangen sind, unsere Heimatkirche, kann durch eure Spendenbereitschaft und den unermüdlichen Einsatz einiger im neuen Glanz erstrahlen. Für diejenigen, die nach Billed fahren wollen, um den Enkeln den Ort der Ahnen und die Familiengräber zu zeigen, ist es nun möglich, in unserem Neubau beim Deutschen Demokratischen Forum zu übernachten. Möge Gott uns Gesundheit schenken, damit wir uns noch oft an dieser Stelle oder sonstwo treffen können. Grüß Gott

Fahrt nach Billed

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a seitens einiger Landsleute der Wunsch geäußert wurde, eine Fahrt nach Billed zu organisieren, hat der Vorstand diese Reise für die Zeitspanne 01.06. - 06.06.2010 geplant. Landsleute, die Interesse dafür haben, mögen

sich bitte bei Josef Herbst oder Werner Gilde melden. Die Fahrt findet nur statt bei genügend Anmeldungen. Genaues über die Reise erhalten die Interessenten zu einem späteren Zeitpunkt.


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Allerheiligen 2009 Josef Herbst

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ehr geehrte Anwesende, liebe Landsleute! Wir haben uns, wie jedes Jahr an Allerheiligen, hier an unserem Billeder Gedenkstein versammelt, denn es ist der Tag, an dem wir all unserer Toten in der alten und neuen Heimat sowie in aller Welt gedenken wollen. Stimmungsgemäß ist der ganze November, in dem auch der Buß- und Bettag sowie der Totensonntag im Kalender steht und das Kirchenjahr langsam, aber sicher zu Ende geht, ein Monat der Besinnung. Die trüben und nebligen Tage, an denen die Natur zeigt, wie auf die Zeit des Wachstums, der Reife und Ernte die Zeit des Welkens und des Absterbens folgt, legen es nahe, sich in dieser Zeit besonders mit dem Gedanken an den Tod und das ewige Leben zu beschäftigen. Das Grab ist das Ende unseres Lebens, aber nicht sein Ziel. Es kommt nicht darauf an, wie unser Grab ist, ob es sorgfältig gepflegt ist oder nicht, es kommt mehr darauf an, wie wir leben, was wir aus unserem Leben machen. Die Banater Schwaben haben ihre Toten schon immer sehr verehrt und deren Grabstätten bestens gepflegt. Durch das ganze Jahr blühten Blumen auf den Gräbern unserer teuren Verstorbenen. Besonders zu Allerheiligen und Allerseelen glichen unsere Friedhöfe einem Blumen- und Lichtermeer. In den Jahren nach den beiden großen Kriegen, nach der Russlanddeportation und Baragan- Verschleppung gedachte man besonders innig der Gefallenen, Vermissten und all derer, die ihre letzte Ruhestätte in fremder Erde gefunden hatten. An ihren Gräbern wird wohl sehr selten eine Blume niedergelegt oder eine Kerze angezündet. Viele unter uns haben in der alten Heimat oder hier in der neuen schon Angehörige zu Grabe getragen: Eltern, Kinder, Ehepartner oder Großeltern. Stellvertretend für das Gedenken an all die verstorbenen Familienmit-

glieder, Verwandten oder Bekannten soll das nachfolgende Gedicht „Allerheiligen im Banat“ von unserer viel zu früh verstorbenen Billeder Landsmännin Margarete Pierre stehen: In der frühen Abendstunde läuten Glocken immerzu für die Toten in der Heimat, die dort fanden letzte Ruh’. Viele, viele Blumen schmücken jedes Grab und jede Gruft. Tausende von Chrysanthemen spenden ihren herben Duft. Viele Kerzenlichter brennen auf den Gräbern ringsumher -zum Gedenken aller Toten wie ein helles Lichtermeer. Leute gehen, Leute kommen zu der letzten Ruhestätt’ ihrer Eltern, ihrer Kinder, sprechen leise ein Gebet. Sie gedenken auch der Opfer von Verschleppung, Krieg und Flucht. Manche Mutter in Gedanken Gräber der Vermissten sucht. Schon nach Stunden ist erloschen auch das letzte Kerzenlicht. Unsre Toten ruhn in Frieden: Wir vergessen ihrer nicht. Vielleicht haben wir uns auch hier versammelt, weil wir an unseren alten Sitten und Traditionen festhalten wollen, die eine innige Anteilnahme am Tod zum Inhalt hat, wo der Tod noch als Teil des Lebens akzeptiert wird. Im Sinne unseres Glaubens wähnen wir unsere Toten alle eingeschlossen in die große Gemein-


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Am Billeder Denkmal auf dem Karlsruher Hauptfriedhof an Allerheiligen 2009 schaft aller Heiligen. Ihnen allen gilt unser Gebet und unser Gedenken. Hier an diesem Kreuz, wo zwischen Ziegelsteinen von unserer Kirche und dem Kalvarienberg Heimaterde von unseren Friedhöfen eingebettet wurde, gedenken wir auch unserer Ahnen, die den Tod fanden, und jener, die die Not bezwingen mussten, bevor sie im einst unwirtlichen Banat das wohlverdiente Brot ernten konnten. Wir sollten ihre Leistungen, ihr Schicksal, ihre Opfer nicht vergessen. Wir verneigen uns vor ihnen in Dankbarkeit und Ehrfurcht. Wir gedenken auch der 124 Gefallenen des ersten Weltkrieges, der 104 jungen Männer, die ihr Leben im zweiten Weltkrieg lassen mussten, der 19 Zivilpersonen, die bei den Kämpfen um Billed, bei Fliegerangriffen und auf der Flucht verstorben sind oder ermordet wurden. Der 76 Verstorbenen der Russland-

deportation sowie der 57 Opfer der BaraganVerschleppung. Wir gedenken heute im Allgemeinen auch der Opfer von Gewalt und Krieg, der Kinder, Frauen und Männer aller Völker, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft leisteten, weil sie einem anderen Volk angehörten oder einer anderen Rasse zugerechnet wurden. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung. Doch unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung und Versöhnung unter den Menschen und Völkern. Mögen all unsere lieben Toten, wo immer sie begraben sind, ihren Frieden und ewige Ruhe finden.


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Erntekindergarten Gruppenbild vor dem Petö-Kastell

Wer erkennt sich und die Spielkameraden auf dem Foto? Kathi Thöreß und Emmi Herrenreich

D

ie Aufnahme ist wahrscheinlich Anfang der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der Außentreppe des Petö-Kastells gemacht worden, wo einige Wochen im Sommer

ein Erntekindergarten untergebracht war, damit die Eltern unbesorgt bei der Sommer-Ernte mithelfen konnten, wussten sie doch ihre Kinder in guter Obhut.

Dorfkinder bei Tisch und Spiel, währenddessen die Eltern im Schnitt das „Brot für‘s ganze Jahr“ erwirtschaften


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Besuch von Berliner Kindern bei der Familie Braun im Sommer 1939. v.l.n.r. Hans Braun, Harry Baschke, Ladislau Mehler, Katharina Braun. Einsender: Katharina Braun (Sulz)

Aufnahme aus dem Jahr 1932 anlässlich der Aufführung eines Theaterstückes über die heilige Elisabeth. v.l.n.r J. Schmidt, Maria Gilde, Anna Laub und Angela Scholz. Einsender: Angela Karl

Beim Anblick des Bildes kommen bestimmt schöne Erinnerungen hoch an eine glückliche, sorglose Kindheit, die wir in unserem Heimatort Billed verbracht haben, eingebettet in unsere vertraute schwäbische Gemeinschaft. Frühmorgens wurden die Kinder hierhergebracht und abends wieder abgeholt. Manche der Kleinsten weinten oft bitterlich beim Abschied von der Mutter, wurden dann aber sogleich liebevoll von den Betreuerinnen und den größeren Kindern getröstet und ins Spiel integriert. Da wir den ganzen Tag dortblieben – warmes Mittagessen und Mittagsruhe inbegriffen – machten wir Kinder unsere ersten Erfahrungen im Gemeinschaftsleben, im Einhalten gewisser Regeln im Tagesverlauf, lernten Anstand, Höf-

lichkeit, gegenseitige Rücksichtsnahme, Hilfsbereitschaft, Ordnungssinn u.a., schlossen die ersten kindlichen Freundschaften. Der große Hof, dichtbewachsen mit alten, schattenspendenden Bäumen, Sträuchern und Büschen, bot viel Platz zum gemeinsamen Spielen, aber auch die Möglichkeit, sich in lauschige, abgeschiedene Stellen zurückzuziehen oder ungestört in kleiner Gruppe zu spielen. Es war der reinste Abenteuer-Spielplatz, wie es keinen zweiten in der Gemeinde mehr gab, wurde aber einige Jahre später leider ganz abgeholzt. Viel zu schnell vergingen für uns die Wochen dort und wir mussten Abschied nehmen, aber in uns allen blieb die dankbare Erinnerung an schöne, unbeschwerte, fröhliche Sommertage.


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Rückblick

Im November 2009 ist der Dachstuhl des ehemaligen Kastells eingestürzt. Das Kastell stammt aus der Zeit der Herrschaft des Agramer Bistum, das nach 1800 im Dorf sowohl das Steuerrecht als auch die Gerichtsbarkeit inne hatte. Danach gehörte das Kastell der Familie Petö. Im Sommer 1914 vor dem Billeder Kastell: v.l. Ignaz Petö, Ila Petö, Stefan Petö, Ida Petö und Josef Petö als Soldat vor dem Krieg. Einsender: Helen Hrivnyak, geb. Schneider (BHB 2004)


Rückblick

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Erlebnisse einer Zwangsarbeiterin (Teil 3 - Ende)

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eim Abladen eines Kohlewaggons kam einmal ein russischer Brigadier mit ciner roten Rose im Knopfloch zur Arbeit. Das war ein besonderes Ereignis für uns, wir mussten dauernd hinsehen. So etwas wie Blumen gibt es noch? Bei einem Lkw-Transport mussten wir einmal weit fahren und kamen in eine ganz fremde Gegend. Da stieg plötzlich aus einem anderen Lkw eine ganze Gruppe Kirgisen aus. Es lief uns kalt über den Rücken. Allein das Aussehen dieser Männer war so fremdartig, dass wir Angst bekamen - unbegründet. Als ich einmal in einer Nachtschicht arbeitete, hörte ich in der Nähe auf dem Fabrikgelände Geschrei. Ein Kind lief seiner Mutter nach „Mamka, Mamka“, die, so schien es, von einem Russen eingesperrt wurde; dann vertrieb er das Kind, das immer noch nach seiner Mutter schrie. Wir hatten ja ständig und in allen Lagern russische Bewachung. Oft waren sie unsere letzte Rettung, wenn mal Betrunkene ins Lager wollten. Oft mussten wir - außer vor dem täglichen Abmarsch zur Arbeit - im Hof des Lagers antreten und abzählen, durchzählen. Wehe, wenn es nicht stimmte! Während dieser Zeit oder wenn wir in der Arbeit waren, durchsuchte man unser Gepäck. So verschwanden viele unserer persönlichen Sachen, Aufzeichnungen und vor allem die Messer. Jedes Stück Papier war kostbar (Grasbüschel waren Ersatz für Klopapier, das gab es nirgends). Eines Tages lag vor meinen Füßen ein Zettelchen. Natürlich bückte ich mich danach. Es war zusammengefaltet und es war ein Gedicht, ein Gebet. Es musste jemand verloren haben, aber wen fragen? An dieser Stelle kamen so viele vorbei. Ich entschloss mich, es zu behalten. Es wurde mein Talisman und die Verse gaben mir Kraft und Zuversicht zum Aushalten und

Stacheldraht und Bewachungsturm im Gulag zur Ergebung in Gottes Wille. Beiliegend das Gebet: Gottes Hände halten die weite Welt, Gottes Hände tragen das Sternenzelt, Gottes Hände führen das kleinste Kind, Gottes Hände über dem Schicksal sind. Gottes Hände sind meine Zuversicht, durch alles Dunkel führen sie doch zum Licht. Im Frieden geborgen, im Kampf umtost, in Deinen Händen, Herr, bin ich getrost. Am Morgen des 8. Mai 1945 begrüßte uns un-


46 ser russischer Lagerleiter und Verwalter: „Der Krieg ist zu Ende, wir haben gesiegt! Deutschland ist besiegt!“ Wir waren sehr bestürzt und hatten Angst. Was geschieht jetzt mit uns, sind wir verloren? Wird man uns jetzt nicht mehr nach Hause schicken? Für uns war ja niemand zuständig, wir hatten doch keinerlei Rechte. Die deutschen Kriegsgefangenen konnten sich auf Gesetze und Menschenrechte berufen, sie konnten ja auch protestieren. Am selben Tag mussten wir zusammen mit der russischen Bevölkerung und Soldaten an einem Umzug teilnehmen. Es wurden Fahnen und Sprüche vor uns hergetragen und die Russen sangen und bekamen Wodka. Es war aber ein recht trübseliger Umzug. Lediglich ein paar russische Soldaten waren munter. Die umwohnende Bevölkerung schleppte sich auch müde und gequält herum, genau wie wir. „Dosvidania, dosvidania“ (Wiedersehen) war der Kehrreim des Liedes, das sie immer wieder sangen. Der Tag ging besser zu Ende für uns, als wir befürchteten. Als wir abends in unser Lager gingen, ließen uns auch die Russen in Ruhe. -Dosvidania -Auf Wiedersehen! Ob es das für uns noch einmal gibt? Unsere Hoffnung schwand immer mehr. Am nächsten Tag ging alles wieder in gleichem Trott. Skoro domoj - bald nach Hause! Das gab uns noch Kraft. Im Juni 1945 sahen wir die ersten deutschen Kriegsgefangenen. Sie zogen in langen Reihen, in noch einigermaßen intakten Uniformen durch unseren Ort. Wahrscheinlich hatten sie ihr Lager in unserer Nachbarschaft. Anfangs durften wir nicht mit ihnen sprechen, nicht in ihre Nähe. Hie und da konnte jemand mit ihnen ein Wort wechseln beim Arbeiten. Nach einigen Wochen war auch ihre Kleidung vernachlässigt, sie selbst unrasiert und ungepflegt. Auf einmal sahen wir sie nicht mehr, sie sind wahrscheinlich verlegt worden. Bei einer Arbeit in der Nähe eines Stollens trafen wir auf deutsche Wehrmachtsangehörige, auf ehemalige „Blitzmädels“. Sie sahen sehr schlecht aus und weinten, als sie von sich erzählten: Tags-

Rückblick

Drawing by Oleg Petrov Courtesy of the Gulag Museum at Perm-36

über Schwerstabeit im Stollen, nachts wurden sie von russischen Soldaten vergewaltigt. Sie könnten es kaum mehr aushalten. Das Essen war sehr schlecht. Wir steckten ihnen ein paar Bissen Brot zu, mehr hatten wir ja selbst nicht. Im Sommer 1945 kamen auch die ersten Russen und Russinnen, die in Deutschland gearbeitet hatten, nach Russland zurück, in unsere Gegend. Sie waren gut gekleidet und wohlgenährt. Sie kamen mit großen Koffern. Später sah man sie nicht mehr. Man sagte uns, alle, die in Deutschland gearbeitet hätten, wären in Frauen- und Männerlager gesteckt worden. Oft


Rückblick

kamen russische Offiziere und Soldaten zu uns, wenn wir auf der Straße arbeiteten, sahen uns zu, sprachen einige Worte mit uns, grüßten sehr freundlich und achtungsvoll. Einer blieb einmal stehen und sagte in Deutsch, er hätte oben bei Hamburg gearbeitet. Es war sehr gut da. Aber so viel wie wir auch hier arbeiteten, so schön wie in Deutschland könnten wir es nicht machen. Wir arbeiteten auch in einer Naphtalingrube. Das Rohnaphtalin war ein Produkt der Kokschemischen Fabrik. Es war eine weiche, leicht körnig-breiige Masse, die wir von einer Anhöhe in der Grube abstechen mussten. Sehr

47 Ein typisches Gulag-Lager seiner Zeit mit 4 Baracken für je 250 Gefangene. Während das Gulag-System in den 1930er Jahren aus großen, weit voneinander entfernten Lagern bestand, ging man Ende der 1940er Jahre dazu über, Lagernetzwerke mit kleinen Lagern für etwa tausend Häftlinge zu errichten. Nachdem die Arbeitsaufgaben erfüllt waren, zog man weiter und die Lager wurden entweder zerstört oder dem Verfall preisgegeben. schwere Arbeit, unangenehmer Geruch, leicht giftig und nur langsam in die Waggons einfüllbar. Man verschmierte seine Kleidung und der Geruch haftete daran. Ebenso war es mit dem grünlich-gelben Schmieröl. Anthrazenöl. Auch das war eine schmierige Masse, die wir in Spezialwaggons einfüllten. Russische Arbeiter warnten uns, dieses Öl in offene Wunden dringen zu lassen, denn sie heilen dann nicht mehr. Mit Lkws transportierten wir alles, auch Steine und anderes Material, bei Schnee und Regen, und mussten alles auf- und abladen. Mit Lkws fuhren wir auch außerhalb des Lagers, wo hohe Berge waren. Die farbigen Sandschichten waren aus der Ferne wunderschön anzusehen. Dort füllten wir die Lkws mit rotem, grauem und gelbem Sand und mussten ihn an verschiedenen Bestimmungsorten wieder ausschaufeln. Einmal fuhren wir per Lkw in ein benachbartes Straflager. Hier waren meist Gefangene, die ein- oder mehrere Male vergebens geflüchtet waren. Sie durften deshalb nicht nach Hause schreiben. Hier mussten wir Kalk aufladen, um ihn bei uns im Lager wieder abzuladen. Es war stark windig, wir wurden vollständig mit Kalk eingepudert. Auf der Heimfahrt regnete es und unsere Kufaikas wurden nass und schwer. Bis abends mussten wir darin arbeiten, der Kalk hatte sich eingedrückt. Am nächsten Tag waren sie auch noch nass, aber zum Wechseln war nichts da. Einmal kam ein Lkw mit Zementsäcken. Wir mussten uns hintereinander gebeugt hinstellen. Jeder bekam einen Sack aufgeladen, nicht gera-


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Rückblick

Schlafpritschen, wie sie im Gulag üblich waren de sanft, und musste ihn wegtragen. Als ich das erste Mal an die Reihe kam, fiel ich zu Boden, ich hatte ja noch keine Erfahrung mit Säcketragen. Erst als ich von einigen belehrt wurde, wie ich mich hinstellen und verhalten musste, lernte ich, den Sack auszuhalten und wegzutragen. Einmal wurde unsere Transportabteilung an einem Montag früh - noch vor dem offiziellen Arbeitsbeginn - gerufen, um Waggons auszuladen. Es war ein ganz großer Kohlewaggon. Dann anschließend Pech einladen. So kam ein Waggon nach dem anderen. Mittags durften wir nur kurz zum Essen. Abends durften wir gar nicht ins Quartier, sondern mussten über Nacht im Gelände bleiben, um ankommende und abfahrende Waggons ein- oder auszuladen. So ging es den ganzen Dienstag, auch Dienstagnacht bis Mittwoch früh. Da streikten wir und sagten dem Brigadier: Wir können nicht mehr arbeiten. Schimpfen und Drohen war die Folge. Aber wir blieben dabei und sagten ihm auch, sie könnten uns erschießen, aber es sei uns nicht mehr möglich, weiterzuarbeiten. Wir waren vollkommen erschöpft.

Wir kauerten in einer Ecke eines Raumes, in dem wir schon öfters auf einen neuen Waggon gewartet hatten. Im Raum selbst waren größere Rohre verlegt, an denen wir uns wärmten. Das leichte Summen und Brausen im Rohr erinnerte mich an einfließendes Wasser in eine Badewanne. Traumzustände. Nach einiger Aufregung wurde die Fabrikleitung verständigt und nach langem Palaver genehmigte man uns, am Mittwoch früh ins Quartier zu taumeln und erst Donnerstag früh wieder zur Arbeit zu kommen. So hatten wir doch Zeit, einen Tag auszuruhen. Sylvester 1945 wurden wir wieder nachts geholt, um einen Waggon zu entladen. Es war bitterkalt. Auf dem Damm, auf der schwarzen Schlacke, vom Lager bis ins Fabrikgelände konnte man noch ganz gut gehen. Aber im Gelände, wo überall Gleise verlegt waren (die Schienen waren etwas erhöht eingebaut und es war für uns eine Anstrengung, den Fuß über ein Hindernis zu heben - das musste immer in unsere Bewegungen einkalkuliert werden) war die ganze Fläche spiegelglatt. Frau Braun und


Rückblick ich fassten uns an den Händen, damit wir doch einen Halt hatten. Wie oft wir hinfielen, weiß ich nicht mehr, Frau Braun sagte mehrmals, diese Nacht werde sie ihr Leben lang nicht vergessen - wenn wir es noch erleben. Es war etwa Mitternacht, bis wir zu unserer Arbeitsstätte kamen, und da begann erst die Arbeit für uns. Es gab weder an Weihnachten noch an anderen Feiertagen etwas Besonderes zu essen, es hat sich ja alles nur nach der Arbeit gerichtet. Es waren Tage, elende Tage, wie die anderen auch. Offiziell durften wir erst nach einem Jahr nach Hause schreiben. Dann bekamen wir Postkarten, auf denen wir nur wenig mitteilen konnten. Es wurde alles zensiert. Nur wenn jemand aus dem Lager entlassen wurde, konnten wir manchmal einige Zeilen mitgeben. Als erster wurde Herr Backhaus entlassen, das war vor Weihnachten 1945. So hat meine Mutter ausführlicher von mir gehört. Frau Braun wurde vor Weihnachten 1946 nach Rumänien entlassen. Ihr Mann soll sie in Bukarest, wo er sie abholte, nicht erkannt haben. Für mich war es sehr schwer, zurückzubleiben. Ich glaubte nun fast nicht mehr, jemals wieder nach Hause zu kommen. Mittlerweile war ich so schwach geworden, dass mich Landsleute abends auf dem Heimweg stützen mussten. Ich hatte oft Fieber, aber leider nicht dann, wenn die Ärztin da war. Endlich war es aber so und ich wurde krank geschrieben. Ich wurde in die Poliklinik der Stadt zur Untersuchung geschickt und musste daraufhin lange Zeit, einige Wochen, im Lager bleiben. Neben mir lag Bohn Bewi und gegenüber Thöreß Maria, die beide Typhus hatten. Thöreß Maria hatte allen Mut verloren. Wenn wir anderen beim Nasilka-Tragen miteinander erzählten und „theoretisch“ gekocht und gebacken haben, schwieg sie. Oft wurde sie unwillig und sagte: Das war einmal, das ist vorbei und wir werden niemals mehr nach Hause kommen. Sie gab sich ganz auf und kam auch nicht mehr aus der Klinik zurück, wohin sie schließlich mit Bohn Bewi gebracht wurde. Bewi kam gesund wieder aus der Klinik zurück.

49 Nach einigen Wochen verrichtete ich kleinere Arbeiten im Lager und dann in der Küche. Aber die großen Töpfe waren noch zu schwer für mich. Öfter mussten wir für die Küche verschiedene Waren aus dem Vorratslager holen. Viele Säcke lagen da aus Amerika, sogar die Schöpfkellen waren amerikanisch. Auch aus Rumänien, aus Arad, lagen Säcke da. Im Sommer wurde auch einmal eine große Menge bunter Kleider aus Amerika an Russinnen verteilt. Allmählich wurde ich kräftiger und wurde dann wieder in meiner Brigade eingesetzt. Als ich ein andermal krank war, lag ich im Krankenrevier in einem Raum zusammen mit Gelbsüchtigen. Ich selbst war aber nicht gelb; ich weiß nicht, ob ich Gelbsucht hatte. Das Jahr in Smoleanka ging zu Ende. Obzwar immer wieder die Parole aufkam: Skoro domoj, konnten wir nicht daran glauben. So wurden wir am Ende des Arbeitseinsatzes in Smoleanka aufgefordert, unsere Sachen zusammenzupacken, auf Lkws geladen und am 08.04.1946 (bis 10.02.1947) nach Makeevka gebracht. Dort befand sich eine noch größere Fabrik und ein großes Fabrikgelände. In einem großen Lager waren schon viele Frauen und Männer aus dem jugoslawischen Banat, aus Siebenbürgen und aus Oberschlesien. Zum Glück konnte ich wieder einen oberen Pritschenplatz belegen. Nach einiger Zeit kam noch ein Transport nach, so dass auch der Raum unter der unteren Pritsche belegt wurde. Ich habe es nicht verstanden, wie die Frauen, die da ganz unten liegen mussten, überhaupt noch Luft bekamen und sich bewegen konnten. Es war hier das Übliche: Läuse, Wanzen. Das Essen war noch viel schlechter als in Smoleanka. Aufbauarbeit im Fabrikgelände, nur wenige arbeiteten auf der Kolchose, Steine und Schienenteile tragen, Straßen betonieren und mit Walze teeren, Steine mit Modeln anfertigen usw. Nur wenige hatten Glück, eine leichtere Arbeit zu bekommen. Bei der schlechten Kost verließ uns alle die Kraft. Morgens Tee mit Brot, mittags und oft auch


50 abends klare Rübenblättersuppe ohne eine Einlage, ein Stück Brot, abends leere Suppe oder Tee mit Brot. Hie und da gab es „Kutteln“ in der Suppe. Die Oberschlesier liebten sie und wir tauschten sie oft ein. Ich konnte die Kutteln nicht einmal riechen. Nur wer sich noch zusätzlich Lebensmittel kaufen konnte, hat sich noch halten können. Die Leute bekamen fast alle Wasser, dicke Beine, die Körper waren aufgeschwemmt, viele litten an Durchfall. Nach einiger Zeit wurde ich dem Krankenrevier zugeteilt. Hier war ein deutscher Tierarzt der Chef. Viel konnten wir nicht helfen, es gab ja kaum Arzneien. Die Leute wurden morgens „dick“ eingeliefert, konnten sich kaum bewegen. Abends oder am nächsten Morgen fanden wir sie tot auf. Nicht weit vom Lager hatte man eine große Grube ausgehoben (die Erde war ja hart gefroren). Wir mussten die steifen Körper hinaustragen und die Toten wurden in die große Grube geworfen. Der Winter 1946/47 brachte die meisten Toten. Im Krankenrevier gab es für alle immerhin eine gute, kräftige Suppe und einen guten Tee. Da gab es aber auch Rivalitäten und Unstimmigkeiten. Einige der deutschen Frauen, sog. Schwestern, hatten sich mit russischen Offizieren verbandelt und eine wollte die andere vermiesen. Einmal kam ich von hier aus kurz in den „Karzer“, weil ich einen Weg abkürzen wollte durch einen Zaun, aber der Wächter wollte das nicht. Nach einer Stunde hat mich unser „Chef‘“ wieder herausgeholt. Weil ich bei den anderen Sachen nicht mitmachen wollte und keine Partei ergreifen wollte, verlangte ich mich beim Natschalnik nach einigen Wochen wieder in meine Brigade zurück. Das Erstaunen war groß, man wollte es nicht glauben und sie meinten, ich werde es „da draußen“ nicht aushalten. Ich bestand aber darauf und bald trottete ich wieder in der Brigade. 08.04.1946-10.02.1947 Arbeitslager Makeevka: Das Lager Makeevka war eins der schlechtesten. Die Kost war schlecht und immer warf man uns vor, die Norm nicht zu erfüllen. Es drang immer mehr durch, dass unser Lager-

Rückblick führer Geschäfte machte mit Lebensmitteln, die uns zustanden. Das war gegen Ende 1946. Er ließ nun von den Schwächsten aus allen Brigaden Listen zusammenstellen. Wir mussten unsere Sachen zusammenpacken; es ging ja schnell, weil wir nicht mehr viel hatten. In der Nacht zum Jahreswechsel 1946/47 wurden wir auf drei Lkws verladen. Wir wussten nicht, wohin wir gebracht werden sollten. Nach einigen Stunden, es war Nacht, mussten wir vom Lkw absteigen, uns in Reihen aufstellen und in der Kälte warten. Wir waren in Orlowka (Gorlowka). Dann wurden wir „gemustert“. Eine Reihe Offiziere begutachtete uns. Mittlerweile war es hell geworden. Wir froren sehr, denn alles ging ja im Freien vor sich. Und dann war es wie ein Kuhhandel. Man wollte uns nicht übernehmen, wir seien zu schwach. Also mussten wir wieder auf die Lkws. Nach einigen Stunden wieder herunter, wieder aufstellen. Dann wurden sie sich einig; wir durften bleiben. Hier in Orlowka erlebten wir nun eine Überraschung: Wir waren in einem, so schien es, ordentlich geführten Arbeitslager. Wir bekamen Bett- und Kissenüberzüge, die wir mit Stroh füllen mussten, also eine richtige Zudecke und Kopfkissen. Im Waschraum war den ganzen Tag über kaltes und warmes Wasser. Welch eine Wohltat! Wir bekamen geregelte Mahlzeiten; nicht zuviel, aber abgemessen, also was uns gebührte: Einen guten Tee zum Frühstück und zum Brot eine kleine Portion Margarine! Wir trauten kaum unseren Augen. Zum Mittag- und Abendessen gab es eine kräftige Suppe mit Brot und Tee. Wir bekamen nur leichtere Arbeit zugewiesen. Die Insassen des Lagers sahen zufrieden und gesund aus. Sie gingen aufrecht und bewegten sich wie normale Menschen, nicht unterdrückt. Die meisten waren aus dem westlichen Teil der Karpato-Ukraine. Sie sagten uns, es ginge ihnen entsprechend gut, bekämen Rubel für ihre Arbeit, regelmäßige Kost- und Arbeitspausen. Sie stünden in normalem Briefverkehr mit ihren Angehörigen und könnten sich sogar von ihnen Pakete schicken lassen, sie erhielten al-


Rückblick

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Billeder Mädchen des Jahrgangs 1926/27 im Kindergarten. Im Januar 1945 werden die Frauen zwischen 18 und 35 Jahren in den Gulag verschleppt. Einsender: Katharina Braun (Sulz) les. Morgens und abends könnten sie sich waschen und duschen und hätten Nachtruhe. Hier hätten wir uns erholen können. Doch wir waren schon von vorher zu geschwächt. Ich brach zweimal beim Schneekehren zusammen und bekam daraufhin Tabletten. Nach einigen Tagen karn eine Kommission aus Stalino. Wir mussten uns ganz ausziehen und wurden einzeln untersucht. Man teilte uns mit, dass wir alle 3. Grades unterernährt wären und sie uns nicht behalten könnten. Nach etwa 14 Tagen wurde unsere Gruppe zusammengerufen, wir mussten wieder packen, den Lkw besteigen und fuhren zurück in unser Lager nach Makeevka. Nun dachten wir, das sei unser Todesurteil. Wir mussten zusammen in einem Raum bleiben und bekamen einige Tage nichts zu essen. Eine Frau nach der anderen starb. Ich sprach noch mit einer Nachbarin, sie wandte sich um, fiel hin. Ich wollte ihr helfen, aufzustehen, aber sie war tot. Meine Haut schuppte

sich ganz. Wir waren nur noch Haut und Knochen. Unsere Kameraden erfuhren später, dass die Offiziere in Orlowka und Stalino unseren Lagerführer aus Makeevka angezeigt hatten. Er wurde nach einiger Zeit „versetzt“. Nachher wurde es in diesem Lager viel besser. Die Behandlung und Kost wurden gut; später gab es sogar Schokolade. Nach ein paar Tagen bekamen wir wieder zu essen: Dünne Suppe, Tee, etwas Brot. Wir waren nur noch wenige von unserer Gruppe. Da sagte man uns auf einmal, wir werden nach Stalino fahren, einwaggoniert werden und „domoi, domoi“. So war es auch. Man brachte uns weg, aber wir wussten noch nicht, wohin. Wir konnten es ja kaum glauben, dass wir nach Hause fahren sollten, freuen konnten wir uns noch nicht. Man brachte uns nach Stalino. In einem großen Saal ließ man uns hinsetzen, gab uns Brot zu essen. Im Nebenraum deutsche Soldaten, mit denen wir sogar sprechen durften. Man sagte uns, wir


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Rückblick

Foto: Von den 14 Billeder Deportierten, die sich hier im Herbst 1948 schon menschlich wiederhergestellt präsentieren, leben noch 2: Josef Ballmann (2.o.l.) und Georg Römer (1.u.r.), der 1949 unter den letzten Heimkehrern war. Johann Dugonitsch (3.o.r.) war einer der wenigen, dem die Flucht aus dem Lager mit Hilfe eines Leidensgenossen vom Pruth gelang, dem er dafür das Reisegeld gab; beim Schwimmen über den Pruth ertrank der Dritte. Dugonitsch verlor nur seine Kleider und war auf die Hilfe der Menschen dort angewiesen, die er aber - zuhause angekommen - dafür entschädigte. Einsender: Stefan Hell würden einem Kriegsgefangenentransport angeschlossen werden. Wir wurden nochmals entlaust und ärztlich untersucht, bekamen Verpflegung fur den Weg und Medikamente. Es war ein sehr langer Zug mit deutschen Kriegsgefangenen. In den Viehwaggons, in denen wir zurücktransportiert wurden, hatten wir doch mehr Platz als bei der Herfahrt. Wohin führt man uns? Werden wir die Fahrt überleben? So sicher fühlten wir uns noch nicht und so war unsere Freude noch nicht groß. Man schloss die Waggons; einmal sagte man uns, wir seien über Dnjepropetrowsk durch Kiew gefahren. Die Waggontür wurde noch einmal ganz groß aufgemacht: Wir waren in Polen. Frauen und Männer kamen an unsere Tür und fragten nach Gold. Wir von Russland noch Gold? Dann bekämen wir Fleisch und Weißbrot; sie zeigten uns beides. Wir sollten bei ihnen bleiben und arbeiten, sie würden uns gut belohnen. Wir schwiegen alle. Die Waggontür wurde wieder

verschlossen. Kleine Fensterchen konnten wir aufmachen und abwechselnd schauten wir hinaus. Immer gepflegter und schöner wurde die Landschaft. Wir begannen nun daran zu glauben, dass es nach Deutschland ging. Der Zug hielt nun öfter, wir hörten schon deutsch sprechen, manchmal winkte uns jemand zu. Kurz vor Frankfurt/Oder hielt der Zug länger. Wir sahen viel Grün und sogar Blumen. Das gibt es alles noch?‘ 27.02.1947: In Frankfurt/Oder wurden wir ausgeladen. Viele Soldaten wurden von ihren Angehörigen erwartet. Auf uns wartete niemand, wir waren allein: Was kommt noch auf uns zu? 28.2.1947 Lager Gronenfelde: Entlassungsschein Nr. 61948. Beim Warten auf die Weiterfahrt nach Fürstenwalde/Spree hörte ich auf einmal Glockengeläut. Ich musste weinen vor lauter Glück und Erinnerungen an Daheim. In Billed hörte ich doch die Kirchturmuhr regelmäßig schlagen und das Läuten der Glocken


Rückblick war für mich selbstverständlich, wohnten wir doch der Kirche gegenüber. Es war aber jedesmal ein anderes Geläut, je nachdem mit welcher und mit wie viel Glocken geläutet wurde: Am Morgen, zu Mittag, vor und zum Gottesdienst oder wieder anders zum Begräbnis. 02.03.1947 Fürstenwalde: Hier wieder Entlausungen, Untersuchungen, Arzneien, 300 g Brot. Quarantäne etwa 14 Tage. Hier konnten wir nach Hause schreiben. Ich erhielt einen Ausweis und die schriftliche Bestätigung vom Gemeindeamt Billed: Zur Arbeit nach Russland abgefahren. 19.03.1947 nachts Abfahrt ins Lager Elsterhorst: Auf dem Weg nach Hoyerswerda blieb unser Zug irgendwo im Freien stehen, wurde auf ein Abstellgleis geschoben, niemand kümmerte sich um uns, kein Essen. Endlich ging es weiter nach Chemnitz. 20.03.-26.03.1947. Von einem kleinen Lager wurden wir weitergeschickt. In Chemnitz in einer Dienststelle erfolgte die Registrierung für einen Zug nach Rumänien. In dieser Dienststelle wurden auch alle vorhandenen Papiere beglaubigt. Am 26.03.47 ging es weiter ins Lager nach Limbach, das aber bis zum 1. Mai aufgelöst wurde. Dann fand ich Unterkunft und eine SchlafsteIle bei einer Familie Herrmann und erhielt einen kleinen Beitrag vom Sozialamt für das Nötigste, jedoch keine Lebensmittelkarten. Ich ernährte mich von freiverkäuflicher Molke, Brennesselsuppe, Brot und Brotaufstrichen. Für eine Firma, die auch in den Westen lieferte, fertigte ich kleine Häkelarbeiten (Deckchen), hatte aber stets Kopfschmerzen beim Häkeln. Wir verabredeten uns mit einigen, die mit mir in Russland waren, auch Landsleute waren darunter, um schwarz über die Zonengrenze zu gehen. Wir sparten für diese Reise. Herrmanns gaben mir noch etwa 20 Mark mit. Inzwischen hatten wir in den verschiedenen Lagern usw. etwas Wäsche und Kleider bekommen, so dass wir schon „Gepäck“ hatten; ich besaß nun einen kleinen Koffer und eine Tasche.

53 Am 15. Juli 1947 fuhren wir mit dem Zug bis Ölsnitz. Dort versammelten wir uns alle. Wir mussten aber warten, bis es dunkel wurde. Man sagte uns, wir müssten uns der Volkspolizei wegen auf dem Wege zwischen den Ortschaften und den Starkstromleitungen halten. Vor uns war ein bebautes Feld. Kaum waren wir losgegangen, da sah man Volkspolizei. Wir stoben alle auseinander und versteckten uns. Dann war es ruhig, aber ich sah niemanden mehr von unserer Gruppe. Also musste ich nun allein weiter. Ich hielt mich auf einer Strecke zwischen den Ortschaften und den Starkstrornleitungen, ging über Wiesen und bewaldete Hügel, mied also die Landstraße. Etwa um Mitternacht waren wir weggegangen. Zum Glück war es eine helle Sommernacht, so dass man noch Vieles erkennen konnte. Am Fuß einer Anhöhe rastete ich. Auf einmal hörte ich ein Rascheln, ein paar Schritte von oben, Stille. Dann wieder Rascheln und Schritte näher kommend. Ich hielt es vor Angst nicht mehr aus und lief querfeldein, bis ich nicht mehr atmen konnte. Ich blickte zurück, aber niemand war mir gefolgt. Weiter durch das Gestrüpp eines Hügels bis gegen Morgen, es dämmerte schon. Endlich stand ich vor einem großen Feld, das ich überqueren musste, um dann in den Wald einzutreten. Ich hatte Angst, denn man hatte uns vor den Volkspolizisten hier gewarnt. Ich ruhte noch eine Weile aus. Es war noch heller geworden, man konnte schon alles sehen. Ich nahm allen Mut zusammen, es musste ja sein, und ging auf die Mitte des Feldes zu. Plötzlich Hundegebell hinter mir. Ich lief, so schnell ich konnte, weiter. Der Hund folgte mir, ich hörte es. Auf einmal ertönte ein Pfiff und eine Männerstimme rief den Hund zurück. Der Hund folgte mir nicht mehr. In der Mitte des Feldes musste ich ausruhen. Ich kauerte mich zusammen und überlegte; ich wurde ja beobachtet. Entweder umkreisen sie mich und meine Flucht war umsonst, wieder Russland, und das halte ich ein zweites Mal nicht aus. Oder ich komme durch: Ich konnte nicht


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Rückblick

Doppelherzanhäger aus dem Gulag. Mehr als ihr Leben, Krankheiten und Gebrechen haben die Überlebenden des Gulag nicht mit nach Hause gebracht, was die Zeit überdauert hätte. Ein ca. 3x2 cm großer silberner Anhänger mit der Widmung „Vom Vater aus Russland 1947“ ist daher eine Rarität. anders, ich musste meinen Weg weiter gehen. Sollte ich jemals wieder ein ruhiges, normales Leben führen können? Müde, aber etwas beruhigt ging ich weiter auf den Wald zu. Die Anleitung war: Hinein in den Wald, einen breiteren Weg gehen bis zu einer Lichtung. Dann in einen schmalen Waldweg einbiegen, der allmählich schmaler wird, diesen aber weitergehen bis man zur Landstraße kommt, die nach Hof führt. Aber Achtung: Hier ist das 3-Länder-Eck Tschechoslowakei/Sowjetzone/Westzonen. Als ich vor dem Wald stand, ging ich in der Mitte ins Dunkle hinein. Es war alles ruhig. Ich suchte einen breiten Weg und kam nach kurzer Zeit zu einer Lichtung. Aber nun? Es waren mehrere kleine Wege da. Welchen sollte ich nehmen, welcher ist der Richtige? Ich musste mich entscheiden und ging auf einen zu. Der Weg wurde schmaler und ich quälte mich durch Gestrüpp. Da hörte ich von weitem Geräusche wie von einer bewohnten Gegend. Es war inzwischen hell geworden und nach einigen Schritten sah ich durch die Blätter die Landstraße vor mir. Von rechts nach links zogen zwei Frauen ein Wägelchen. Sollte ich am richtigen Weg sein? Als sie näher kamen, hörte ich es deutlich, sie sprachen deutsch, nicht tschechisch. Während ich mich noch ausruhte, marschierten von links nach rechts eine Frau und ein Mann. Ich erkannte das Paar, das sich uns noch in Oelsnitz angeschlossen hatte. Wir begrüßten uns und sie erzählten

mir, sie wären fast immer durch die Ortschaften gegangen und hatten Glück gehabt. Vor allem waren sie bequem marschiert, nicht so wie ich. Am Bahnhof in Hof trafen wir nun nacheinander alle ein; jeder war einen anderen Weg gegangen. Der Onkel der Bekannten hatte mir einen kleinen Koffer tragen helfen, damit ich es leichter hätte. Nun war er aber schon weiter, er wohnte an der tschechischen Grenze. Davor war aber Sperrgebiet und ohne besondere Erlaubnis durfte man nicht in den Ort. Also bedurfte es Erklärungen, zweimal mussten wir unsere Ausweise vorzeigen, dann endlich waren wir in dem Ort und bei dem Bekannten. Bei den Behörden musste ich den Koffer öffnen und zeigen, dass ich keine verbotenen Sachen drin hatte, sondern nur gebrauchte Kleider und Wäsche. Dann fuhren wir weiter nach Passau. Von hier sollten noch Transporte nach Rumänien gehen. Doch in der zuständigen Dienststelle sagte man uns, der letzte wäre schon weg und es gäbe keine mehr. Nun hatte ich gerade noch ausreichend Geld für eine Fahrkarte nach Karlsruhe-Ettlingen, wo meine Schwägerin wohnte, die mich schriftlich eingeladen hatte. In Karlsruhe musste ich ins Dampfbähnle nach Ettlingen umsteigen und stand dann endlich vor dem Haus, in dem die Angehörigen wohnten. Ich klingelte und Henny kam die Treppe herunter. Sie stutzte, rief „Gabi“ und wir umarmten uns. Ich war geborgen.


Rückblick

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Die Gräber schweigen Berichte von der blutigsten Grenze Europas (Auszüge Teil 2) Buch von Johann Steiner

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Das Buch „Die Gräber schweigen“ kann bestellt werden beim Verlag Gilde & Köster Am Wassergraben 2, 53842 Troisdorf, Telefon 0175/6094431 und 02246/2166 E-Mail verlaggilde@web.de Preis 22 Euro, einschließlich Versandkosten, ferner im Buchhandel; ISBN: 978-3-00-024991-4 Aus Billed sind von 1969 bis 1989 laut HerbstStatistik 95 Personen ohne Wiederkehr über die Grenze: 27 sind nach Besuchsreisen im Westen geblieben, 13 sind mittels des kleinen Grenzverkehrs über Jugoslawien in den Westen geflüchtet, über Jugoslawien und Ungarn sind 55 geflohen...

reitag, 31. Juli 1981: Bis 12 Uhr geschlafen; ich dachte, heute kommt mein Freund Fredi nach Billed zum Angeln. Nachmittags spielte ich ein wenig Tennis, später fuhr ich zu Horst. Höchstwahrscheinlich geht es den 4. August los. Also noch vier Tage. Samstag, 1. August 1981: Morgens in der Sonne gelegen und am Nachmittag gebadet und ferngesehen. Morgen in der Früh kommt endlich Fredi, dann gehen wir noch einmal angeln. Sonntag, 2. August 1981: Fredi war um 9 Uhr da, dann gingen wir drei - auch Horst ist gekommen - nochmals gemeinsam angeln. Fredi fing einen etwa 250 Gramm schweren Hecht. Zwei andere sind ihm entwischt. Nachmittags waren wir ein Bier trinken. Ja, auch der Antialkoholiker Horst trank sein Bier. Es war auch sehr heiß heute. Fredi fuhr um 22 Uhr nach Hause; er kommt aber Mittwoch noch mal, da bin ich vielleicht nicht mehr hier. Allein Horst informierte ich von diesem Unternehmen. Noch zwei schlaflose Nächte liegen vor mir, dann ist es soweit. Wenn ich nur wüsste, wie es ausgehen wird. Montag, 3. August, 1981: den ganzen Tag herumgetrödelt. Abends kam die Nachricht, dass morgen nicht das große Abhauen sein wird, sondern vielleicht Mittwoch oder Donnerstag. Dienstag, 4. August 1981: Natürlich bis Mittag geschlafen. Nachmittag reparierte ich noch das Fahrrad, und abends fuhr ich zu Horst; da trafen wir auch Hans-Dieter, der zu Besuch aus Deutschland hier ist. Wir blickten mit dessen mitgebrachtem Feldstecher in den sternenklaren Himmel oder hörten Musik. Um 2 Uhr war ich daheim. Mittwoch, 5. August, 1981: Bis Mittag geschlafen, da berichtete mir Vater, dass wir mor-


56 gen Nachmittag abfahren. Wir treffen uns um 16 Uhr am Pulverturm. Das Wetter ist herrlich, etwa 28 Grad. Der Mond ist noch eine Sichel, etwa der fünfte Tag nach Neumond. Er wird uns nicht stören, denn nach Mitternacht wird er verschwunden sein. Heute Abend wurde auf der Sauerländer Hutweide noch ein Fußballspiel ausgetragen. Es spielten in der einen Mannschaft Horst Breitenbach, Walter Engrich, Hans Koch, Alfred Krauser und noch zwei kleinere Jungen; bei uns spielten: Werner Muttar, Fredi Szélpál, Hans Muttar, Hans-Dieter Frick, Gerhard Mann, ich und noch ein kleiner Junge. Horst Röhrich ist ja als Antisportler bekannt; er stand abseits und schaute zu. Endresultat 4:0 für uns. Das Wetter war ideal. Donnerstag, 6. August, 1981: Freie Fahrt. Hier hören die Tagebuchaufzeichnungen vorerst auf. Die nächste Eintragung macht Hans Hahn junior am 23. Januar 1982. Nach fast fünf Monaten hab‘ ich heute mein Tagebuch endlich wiederbekommen. Mutter hat es mit den Schiller-Mädchen mitgeschickt, die in Rumänien zu Besuch waren… Am letzten Tag schrieb ich mit großen Buchstaben: AUF WIEDERSEHEN IN DEUTSCHLAND! IN DER FREIHEIT! Und nun will ich schildern, was seit dem 6. August 1981 geschehen ist: Es war der Tag unseres Aufbruchs. Hans Herbst und ich sollten um 1 Uhr am Bahnhof in Billed sein und mit dem Zug nach Temeswar fahren. Es war 11 Uhr. Noch etwa eine Stunde bis zum Abschied. Wir aßen in aller Ruhe zu Mittag, unsere Taschen waren vollgepackt und wogen zusammen vielleicht 16 Kilogramm. Um 12 Uhr kam Maria Hirth, unsere Nachbarin, und wollte noch etwas von Mutter… Es war schon langsam Zeit, dass ich mich auf den Weg machte. Vater fuhr um halb zwei mit dem Autobus, damit es nicht auffiel. Endlich ging unsere Nachbarin, und kurz darauf verabschiedete ich mich von Mutter, Schwester und Großvater. Großmutter lag schon ein halbes Jahr lang im Bett und wusste

Rückblick nichts mehr von der Welt. Mir war klar, dass ich sie niemals mehr sehen werde. Mutter und meine Schwester Ilse begleiteten mich auf die Straße und winkten mir nach. Ich hatte den Eindruck, als wäre dies mein erster Schultag und nicht der Weg in meine Zukunft, in die Freiheit. Obwohl es verboten war, jemanden in unsere Fluchtpläne einzuweihen, konnte ich nicht widerstehen, meinem besten Freund Horst unser Geheimnis anzuvertrauen. Wir trafen uns am Bahnhof, wo auch Hans Herbsts Bruder Fredi wartete. Der Zug kam, ich stand auf der Treppe und gab noch jedem die Hand, zuerst Fredi, der von allem nichts wusste, dann Horst. Beide winkten uns noch nach. Um 16 Uhr sollten wir alle am Pulverturm sein. Hans und ich waren als erste dort, dann kamen Jakob Lenhardt, mein Vater, Hans Herbsts Vater, Helmut Lay mit seinem Vater und Sepp Stadtfeld. Jeder stand an einem anderen Platz, und dieser wurde oft gewechselt. Nur Hans und ich saßen auf einer Bank und hatten den ganzen Platz im Auge. Auf der anderen Straßenseite war Sepp Herbst, der den Vermittler spielte. Er wusste auch, wo der Mann wohnte, der uns in die Freiheit bringen sollte. Im Augenblick warteten wir auf einen Mann mit einer grünen Mütze, der aus einer bestimmten Richtung kommen sollte. Als dieser auftauchte, folgte Sepp Herbst ihm und kam nach kurzer Zeit wieder zurück. Das Geld musste eingesammelt werden, jeden kostete die Freiheit 20 000 Lei. Als die 160 000 Lei beisammen waren, trug Sepp Herbst sie in einen Wohnblock, aus dem er nach kurzer Zeit wieder herauskam. Er hatte das Geld abgegeben und einige Informationen bekommen. Wir nahmen unsere Taschen und gingen in Richtung Hauptbahnhof. Was Hans Hahn junior nicht weiß, ergänzt Sepp Herbst: Nach der Übergabe schickt Basilius seinen Sohn mit dem Geldbeutel an einen unbekannten Ort. Der Fluchthelfer informiert Herbst, dass jeder aus seiner Gruppe sehen muss, wie er nach Tschakowa gelangt. Treff-


Rückblick punkt ist ein Maisfeld vor der Ackerbauschule. Dort sollten sie auf zwei Wagen der Marke Dacia warten. Die acht Billeder machen sich auf den Weg zum Temeswarer Hauptbahnhof. Dort besteigen sie zwei Taxis, deren Fahrer das Geschäft illegal betreiben. Josef Herbst mit seinem Sohn, mit Schwager Matthias Lay und dessen Sohn Helmut sitzen im Wagen eines Deutschen. Der Fahrer will wissen, woher die vier kommen und was sie in Grenznähe wollen. Josef Herbst, der neben dem Fahrer sitzt und nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen ist, sagt, sie wären Kanalbauer aus Großscham und hätten einen freien Tag, um einzukaufen. Josef Herbst hat Glück: Er nennt den Namen eines Mannes in Großscham. Der Mann ist zufällig der Onkel des Fahrers. Die Fahrt bis in die Nähe der Ackerbauschule verläuft problemlos.

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Beobachtungsturm an der rumänischen Grenze Treffpunkt Maisfeld Doch jetzt lassen wir Hans Hahns Tagebuch wieder sprechen: Nachdem die Taxen zurückgefahren waren, schlenderten wir auf einem planierten Feldweg. Nach kurzer Zeit kam ein gelber Wagen angefahren, der Fahrer machte uns Zeichen, ins Maisfeld zu gehen. Dort warteten wir, bis die zwei angekündigten Wagen kamen. Gegen 19.30 Uhr tauchte erneut ein Wagen auf, der Fahrer hupte kurz. Sepp Herbst lief auf den Feldweg und kam gleich zurück. Er sagte nur „auf“, wir sprangen alle hoch, griffen nach unseren Taschen und marschierten los. Wir gelangten in ein anderes Maisfeld; in einer Lichtung stand ein Traktor mit Anhänger. Ein Mann kam näher und gab das Zeichen, aufzusteigen. Um uns herum bewegte sich plötzlich das gesamte Maisfeld. Wir trauten unseren Augen nicht: Von allen Seiten stürmten Menschen aus dem Feld und liefen zu dem wartenden Traktor. Die gehörten glücklicherweise alle zu uns. Viele von ihnen kannten wir, einer war sogar aus Billed: Hans Mumper.

Sepp Herbst erinnert sich außerdem an Josef Paul mit Frau Anna und Tochter Isolde, Karl Schibinger mit seiner Frau Helga und seiner Schwester Ilse, Hedwig und Josef Muth aus Kleinbetschkerek, Karl Schäfer und Josef Schneider aus Neubeschenowa und Rudolf Kastel, zwei Frauen aus Temeswar, einen Rumänen und eine Frau mit einem etwa zwölfjährigen Jungen aus Temeswar. Hans Hahn schreibt weiter: Auch eine Frau, im sechsten Monat schwanger, war dabei. Die hatte drei Monate im Gefängnis gesessen, wegen versuchten Grenzübertritts. Auf dem Anhänger waren wir 26 Leute (tatsächlich waren es 28 Mann, der Herausgeber), und wenn uns die Flucht gelingen würde, so wäre das der größte Coup, von dem ich je gehört habe. Der Anhänger war mit Stroh ausgelegt, auf dem wir alle lagen oder geduckt hockten. In der Traktorkabine waren drei Männer, darunter unser Führer Basilius, ein hoher, schlanker Mann mit schwarzen Haaren, der angeblich eine Pistole und ein Infrarotfernglas bei sich hatte.


58 Die Flüchtlinge kommen an einem Posten vorbei, der schon weit vor der Grenze aufgestellt ist. Statt einen Bahnübergang zu benutzen, biegt der Treckerfahrer rechts ab, um durch ein ausgetrocknetes Bachbett unter der Bahnlinie hindurchzufahren. Es geht vorbei an einem verlassenen Hof, einer Pußta. Alle sind still, nichts ist auf dem Anhänger zu hören. Nach etwa einem Kilometer feldeinwärts steigen alle vom Anhänger, und Basilius beginnt alles einzusammeln, was beim Gehen Geräusche verursachen könnte, einschließlich Schlüssel und Münzen. Die Sonne beginnt zu sinken. Doch die Flüchtlinge warten, bis es richtig dunkel ist. Dann bittet Basilius alle, ihm im Gänsemarsch zu folgen. Am Friedhof des Dorfes Dolatz bleibt er mit der Mannschaft stehen. Es ist das Dorf, aus dem am 28. August 1979 der Pfarrer zusammen mit seiner Köchin und der Kirchweihjugend, 21 Mann, über die Grenze geflüchtet sind. Aus dem Straßengraben neben der Friedhofsmauer taucht eine Gestalt auf. Der Mann hat sein Gesicht geschwärzt, er will unerkannt bleiben. Er ist Offizier der Grenztruppe. Aus einer Kanne teilt er Wasser aus. Dann lässt er zwei Flaschen Whisky rund gehen, der Alkohol soll den Flüchtenden Mut machen. Sepp Stadtfeld erkennt die Lage sofort und meint zu Sepp Herbst, am besten sei es, unmittelbar dem Unbekannten zu folgen, denn der kenne sich hier aus. Und wenn der verschwinden sollte, wisse man sofort, dass Gefahr drohe. Die Billeder sammeln sich hinter dem Offizier. In großem Bogen umgehen sie Dolatz. An einer Straße taucht plötzlich Scheinwerferlicht auf. Ein Polizist auf einem Motorrad fährt vorbei, bemerkt die Flüchtenden aber nicht. Der Grenzoffizier winkt die Flüchtlinge über die Straße. Der Fluchtweg führt jetzt durch einen der vielen Kanäle. Es ist der schwierigste Teil des Weges: Die Ufer fallen schräg ab, und die Kanalsohle ist mit Schlamm bedeckt. Doch sie lassen auch den Kanal hinter sich, kommen durch ein Sonnenblumenfeld, über einen leeren Acker und durch ein Stoppelfeld. Der

Rückblick Fluchtweg führt im Zickzack durch die Felder. Für Hans Hahn junior ist das Sonnenblumenfeld der schwerste Teil der Strecke. Er hält fest: Es war ein Feld mit schweren, reifen Sonnenblumen. Diese schlugen uns gegen den Kopf, die Brust, die Arme und Beine; dabei musste man den Vordermann noch im Auge behalten. Das Tempo war hoch. Mein Vater rutschte ein paar Mal aus und fiel hin. Auf einmal blieben wir stehen und mussten unsere Schuhe ausziehen und in die Hand nehmen. Wir hüpften mehr, als wir gingen auf diesem trockenen Boden. Wir erreichten wieder einen Kanal. Es war mittlerweile schon etwa eine Stunde nach Mitternacht, und nun kam der schwierigste Teil des Weges. Wir mussten entlang der steilen Uferböschung gehen, denn im Kanal stand Wasser. Wir gingen etwa eine halbe Stunde lang, Schuhe und Taschen in den Händen. Plötzlich fiel die Frau, die mit dem Jungen auf der Flucht war, und verletzte sich am Fuß. Doch sie musste weiter, so sehr sie auch jammerte. Sogar ich rutschte manchmal aus und kam in bedrohliche Nähe des Wassers. Wie muss es der schwangeren Frau ergangen sein, fragt Hans Hahn im Tagebuch. Sepp Herbst erinnert sich weiter: Die Flüchtenden kommen in nur 100 Metern an einem Grenzposten vorbei. Und kaum haben sie ihn passiert, ist der Grenzoffizier wie vom Erdboden verschwunden. Jetzt übernimmt Basilius das Kommando. Er führt sie etwa 300 bis 400 Meter weiter, zeigt ihnen die Richtung an und sagt, dort liegt Jugoslawien. Hans Hahn schreibt: Ich biss öfters die Zähne zusammen und unterdrückte einen Schmerzensschrei. Endlich standen wir auf offenem Feld und atmeten zwei Sekunden auf. Die Sicht war schlecht, wir konnten nur die Erde unter uns sehen. Wir waren jetzt nahe am Ziel. Es war ein zwei Meter breiter, fein geebneter Streifen, auf dem die Grenzposten am nächsten Tag eventuelle Fußabdrücke erkennen konnten. Dieser wurde jeden Morgen kontrolliert. Wir überquerten ihn, ohne dass


Rückblick

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Blick Richtung Freiheit. Das Ende der Karpaten südwestlich von Großscham in der Vojwodina uns jemand anhielt, und gelangten wieder an einen Kanal, der mit Schlamm gefüllt war. Dort blieb Basilius stehen und gab jedem, der an ihm vorbeikam, einen Klaps. Er sagte, dass hinter dem Kanal die Freiheit auf uns warte. Wir brachen bis zu den Knien in den Schlamm ein, doch alle erreichten das andere Ufer. Basilius war schon verschwunden. Jetzt erst zogen wir die Schuhe wieder an. Es war etwa 3 Uhr. Wir waren also vier Stunden unterwegs. Nach einigen Minuten erreichten wir einen etwa 50 Meter langen und etwa 3 Meter hohen Busch, der eher einem Dickicht glich. Beim Nahekommen erkannten wir, dieser Wildwuchs war voller riesiger Dornen. Dagegen waren Rosendornen gar nichts. Wir versuchten, das Dickicht - es muss wohl zehn Meter breit gewesen sein - an einigen Stellen zu durchbrechen, doch es gelang uns nicht. Sollten wir gerade am letzten Hindernis scheitern? Beim Versuch, diese unvorstellbare Wand zu durchdringen, machten wir durchaus einen Riesenlärm. Da fasste sich der kräftige Sepp Stadtfeld ein Herz und brach die Äste mit bloßen Händen um. Später stellte sich heraus, dass seine Hände mit Dornen gespickt waren; er blutete sicherlich fürchterlich, was man bei dieser Dunkelheit nicht sehen konnte. Wir folgten ihm alle hinterher, obwohl wir kaum zwei Meter in der Minute zurücklegten. Das Reisig knisterte und krachte, als würde

eine Horde Wildscheine hindurchlaufen. Auf einmal war Sepp Stadtfeld, der noch immer an der Spitze war, verschwunden. Wir schauten nach unten und entdeckten ihn zwei Meter unter uns im Kanal. Wir sprangen ihm alle nach, und sogar ich hatte Mühe, am anderen Ufer hochzuklettern. Ich griff nach dem Gras an der Böschung und zog mich hinauf. Wir halfen einem nach dem andern ans andere Ufer. Schließlich waren wir alle oben und somit in Jugoslawien. Mein Vater und Rudolf Kastel, der Ingenieur aus Temeswar, zogen erst jetzt ihre Schuhe wieder an. Ihre Füße waren voller Dornen, und das Herausziehen anzusehen war schon grauenhaft. Ein Teil der Flüchtenden hält sich an Basilius Rat und umgeht das hohe Gestrüpp auf der rechten Seite. Bald sind auch die letzten kleinen Hindernisse überwunden, und die Flüchtenden sehen einen jugoslawischen Grenzstein, erinnert sich Sepp Stadtfeld. Kaum sind sie auf der rettenden Seite, stellt Hans Hahn junior fest, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen haben. Was der junge Mann anhand der Sterne feststellt, bestätigt Rudolf Kastels Kompass. Hätten sie die Route nicht korrigiert, wären sie nach Rumänien zurückgegangen. Sie erreichen die kanalisierte Bersau und teilen sich in zwei Gruppen auf. Zu den acht Billedern gesellen sich Victor Căliniuc, Rudolf Kastel und die Frau mit dem zwölfjährigen Jungen. Weil die Frau


Rückblick

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Die Bersau (Brzava) in der Nähe von Konak im heutigen Serbien nicht schwimmen kann, lassen sie ihr Vorhaben fallen, am anderen Ufer weiterzugehen. Der neunte Billeder, Hans Mumper junior, bleibt bei der anderen Gruppe und wird zusammen mit sieben weiteren Personen nach Tagesanbruch den Bus in Richtung Belgrad besteigen. Dort angekommen, sprechen sofort Taxifahrer die Flüchtlinge an. Sie erkennen sofort an deren schmutzigen Kleidung, dass hier Grenzflüchtlinge eingetroffen sind. Sie bieten ihnen an, sie zum Preis von 100 Dinar zur deutschen Botschaft zu fahren. Am 7. August hat für diese Acht die Flucht begonnen, am 8. August ist sie mit der Ankunft in Nürnberg zu Ende. Noch etwas rascher sind die Schibingers. Verwandte aus Österreich, die eben zu Besuch waren, haben auch die Grenze überschritten, allerdings legal, und erwarten sie mit dem Wagen an der ersten Bersau-Brücke. Im Tagebuch hält Hans Hahn ferner fest: Wir gingen entlang der Bersau, und bald hatten wir kein Trinkwasser mehr. Vom langen Fußmarsch hatten wir jetzt Durst und tranken Wasser aus der Bersau. Gegen Morgen legten wir uns auf zusammengetragenem Stroh schlafen. Ich konnte nicht viel schlafen, denn es war sehr kalt, auch war das Stroh nass vom Tau. Nach zwei Stunden setzten wir den Weg fort. Wir hatten bisher etwa 40 Kilometer zurückgelegt. Unser Ziel war die deutsche Botschaft in Belgrad. Bisher umgingen wir die Dörfer, um nicht gefasst zu werden, aber der Durst plagte uns immer mehr, und wir entschlossen uns, in

ein Dorf zu gehen, um Wasser nachzufüllen. Wie Sepp Herbst berichtet, marschiert die Gruppe der Billeder bis zu einem Bahnwärterhaus, um Wasser zu trinken und den Bus in Richtung Belgrad zu nehmen. Als die ersten das Wärterhaus verlassen, fährt ein Auto vor. Fünf Minuten später haben Polizisten in Zivil die Grenzgänger umstellt. In der nächstgelegenen Dorfkneipe in Konak müssen sie an Tischen mit verdreckten Tischdecken Platz nehmen. Rudolf Kastel entledigt sich des Ausschnitts seiner jugoslawischen Militärkarte, indem er sie unter die Tischdecke schiebt. Hans Hahn junior sieht in der Kneipe zum ersten Mal in seinem Leben einen Farbfernseher. In Rumänien gab es so etwas noch nicht. Am Nachmittag geht es in Begleitung mit einem Bus in Richtung Setschan. Durch ein nicht ganz geschlossenes Fenster entledigt sich Kastel des Kompasses. In Setschan verurteilt ein Richter die Aufgegriffenen im Schnellverfahren wegen illegalen Grenzübertritts zu drei Wochen Gefängnis. Die drei Wochen müssen sie in Großbetschkerek absitzen. Die örtliche Polizei fährt die Verurteilten in zwei mit Blechverschlägen versehenen Kleinbussen dorthin. Sie sitzen dicht gedrängt wie die Heringe, je sechs Mann in einem Auto. Die Sonne brennt erbarmungslos auf die Dächer; die Insassen glauben, verdursten zu müssen. Am Abend erreichen sie das Gefängnis in dem Banater Städtchen Großbetschkerek. Eine Glocke, gegossen in Temeswar, der Hauptstadt des


Rückblick Banats, begrüßt sie. Sie stammt noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der Zeit der österreichischen Krone, als das Banat noch nicht dreigeteilt war. Die Neuankömmlinge müssen alles abgeben, was sie besitzen: Geld, Uhren, Messer, Schmuck, Schnürsenkel und Gürtel. Das Gefängnispersonal notiert alles peinlich genau. Hans Hahn junior lassen sie nicht einmal die Unterhose. Hans Hahn berichtet weiter im Tagebuch: Wir wurden alle in Zelle 18 eingesperrt. Dort warteten schon die drei jungen Männer aus der Gruppe hinter uns, die bereits vorher gefasst worden sind. Die vier Frauen, darunter auch die schwangere, kamen in eine andere Zelle, der zwölfjährige Junge in ein Kinderheim. In der Zelle waren wir zu 13 Personen: Sepp Herbst mit Sohn Hans, Mathias Lay mit Sohn Helmut, Vater und ich, Jakob Lenhardt, Sepp Stadtfeld, Rudolf Kastel, Victor Căliniuc, Josef Schäfer, Karl Schneider und Josef Muth. Die Zelle war etwa 16 Meter lang, 9 Meter breit und 4 Meter hoch. Die Fenster waren vergittert, und die Tür aus Eisen hatte zwei Öffnungen: ein Guckloch und einen Spalt, um Essen zu fassen. In der Zelle standen ein Tisch, eine kurze Bank und zwei eiserne Schränke. Das WC war in der Ecke eingemauert, jedoch ohne Tür. Es war ein Plumpsklo, und darüber gab es einen Wasserhahn, woraus wir auch das Trinkwasser entnahmen. Am ersten Tag wurde mir übel, ich musste mich erbrechen; das BersauWasser war wohl schuld. Später wurden noch andere aus unserer Gruppe krank, die ebenfalls das Kanalwasser getrunken hatten. Montags und dienstags wurden wir einzeln zum Verhör gebracht. Wir gaben aber nicht viel preis. Soweit Hahns Tagebuch. Unter den Verhörten ist auch Rudolf Kastel. Die Ermittler wissen, dass er als Ingenieur am gemeinsam von Rumänien und Jugoslawien gebauten Wasserkraftwerk Eisernes Tor beschäftigt war. Die Polizisten wollen hören, wie seine serbischen oder kroatischen Arbeitskollegen heißen und womit sie sich beschäftigen.

61 Ferner sind sie an Schwachpunkten oder von der rumänischen Seite böswillig eingebauten Schwachstellen interessiert. Auf dem Tisch liegen Zeichnungen, die Kastels Unterschrift tragen. Leugnen ist nutzlos. Die Polizisten behaupten, dass ein kroatischer Arbeitskollege in Temeswar dem rumänischen Geheimdienst Securitate im Verhör gesagt habe, Kastel sei Geheimnisträger für die Bauten am Eisernen Tor, und so gebe es nur zwei Möglichkeiten, falls er nicht kooperativ sei: Er werde längere Zeit in Jugoslawien festgehalten oder aber nach Rumänien zurückgeschickt. In die Gefängniszelle zurückgekehrt, grübelt Kastel Tag und Nacht über seine Situation. Am ersten Abend in Großbetschkerek sieht es noch so aus, als ob die Häftlinge mit Essen verwöhnt werden. Es gibt Weißbrot mit Salami. Doch das ändert sich. Von Tag zu Tag bekommen die Insassen weniger in den Napf. Das Essen ist im August 1981 im Gefängnis von Großbetschkerek karg. In der Suppe schwimmen ein paar Erbsen oder Bohnen. Das Brot ist rationiert. Die jungen Gefangenen haben es am schwersten. Sie sind immer hungrig und versuchen stets, das Endstück des Brotes zu ergattern, denn es sieht nach mehr aus. Zum Schluss müssen sie die Gürtel um einiges enger schnallen. Schlecht ergeht es den Rauchern. Ihnen gehen die Zigaretten aus. Sie beginnen sich aus Zeitungspapier und dem Material eines alten Besens Ersatzzigaretten zu drehen. Sie verbreiten damit einen unheimlichen Gestank in der Zelle. Dann endlich werden sie vom Gefängnispersonal mit serbischen Zigaretten beliefert. Bezahlen müssen sie bei der Entlassung. Hans Hahn schreibt weiter: Zu essen bekamen wir dreimal am Tag. Morgens Kaffee oder Tee mit Brot und Marmelade oder Butter. Zuerst waren wir froh, denn in Rumänien bekam man die Butter nicht mal in den Geschäften. Mittags waren im Blechteller Suppe, Reis oder Bohnen. Abends gab es Brot mit einem Stückchen Wurst oder auch Suppe. Unseren Hunger stillten wir aber mit Wasser. Morgens und


62 nachmittags wurden wir zehn Minuten in den Hof geführt. Tagsüber war es sehr heiß in der Zelle, außerdem hatten wir noch fünf Raucher, die eine Zigarette an der anderen anzündeten. Abends konnte man die Luft mit dem Messer schneiden, und meine Augen brannten fürchterlich. Wir schliefen auf Matratzen, die auf dem Boden lagen. Nachts kamen die Stechmücken durch die offenen Fenster, so dass wir morgens fürchterlich zerstochen waren. Wir schlugen die Mücken tot, und das Blut spritzte nur so aus den Viechern heraus. Nach 20 Tagen sah die Mauer aus, als wäre sie bunt tapeziert. Am 15. Tag brachten sie noch zwei Jungen aus Siebenbürgen zu uns in die Zelle. Den ganzen Tag spielten wir Mühle und Backgammon. Die Figuren und Würfel machten wir aus geknetetem Brot, das wir trocknen ließen. Die Punkte im Würfel färbten wir mit Zigarettenasche. Am 20. Tag wurden wir mit zwei Polizeiwagen abgeführt, aber nicht nach Belgrad, wie wir alle dachten, sondern in ein anderes Gefängnis, nach Padinska Skela, einem berüchtigten Jugendknast. Dort waren die Bedingungen noch schlechter. Das Zimmer glich einem Korridor und hatte 22 Betten. Wir waren anfangs 20 Personen, und nach vier Tagen schon 53, ist in Hahns Tagebuch verzeichnet. Rudolf Kastel kennt andere Einzelheiten von diesem 27. August 1981: Die Polizeiwagen mit den Flüchtlingen halten plötzlich in einem Seitenweg vor einem Schlagbaum. Ein Holzportal versperrt den Feldweg; auf einer Tafel steht auf serbisch Zatvora, Gefängnis. Das erste Stockwerk im neuen Gefängnis in Padinska Skela ist ein von der UNO betriebenes Flüchtlingsauffanglager. Von der Hochzeit ins Gefängnis Die Zustände beschreibt wiederum Hahn: Die Luft roch nach Schweiß und Urin, denn das offene WC nebenan hatte keinen Ablauf. Man pinkelte praktisch in den Urin auf die Erde. Die

Rückblick Decke war voller Fliegen und Spinnen. So viele Fliegen auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen. Die Wände waren mit Dummheiten und Sprüchen übersät. Wir waren 17 Deutsche, der Rest waren Rumänen, manche wussten nicht einmal, wohin sie wollten, Hauptsache raus aus Rumänien. Der Boden war bedeckt mit Staub und Zigarettenstummeln. Wenn nicht einer von uns gekehrt hätte, hätten sich die anderen einfach in den Unrat gelegt. Einer von den Insassen berichtete, wie er mit seinem Saxophon in einem aufgeblasenen Traktorschlauch über die Donau gepaddelt ist. In Jugoslawien spielte er noch auf einer Hochzeit, an der er ungeladen teilnahm, bevor er sich den Behörden stellte. Er berichtete von einem Friedhof auf jugoslawischer Seite, auf dem diejenigen bestattet werden, die nicht lebend ankommen und keine Ausweise bei sich hätten. Viele werden von Grenzerbooten mutwillig überfahren, einige einfach erschossen. In diesem Gefängnis verbrachten wir fünf Tage, bevor wir 17 Deutschen in drei Gruppen nach Belgrad abgeschoben wurden. Zuerst waren die Frauen dran, dann die Väter mit den Söhnen und am dritten Tag der Rest. Victor Căliniuc blieb als einziger aus unserer Gruppe im Gefängnis zurück, und der Abschied von uns fiel ihm schwer. Er sagte, er wolle nach Kalifornien. Er war der einzige Rumäne in unserer Gruppe. Als wir am 1. September 1981 Padinska Skela verlassen haben, um das UNOBüro in Belgrad aufzusuchen, weinte Căliniuc wie ein Kind. Er durfte das Gefängnis noch nicht verlassen, berichtet Hans Hahn junior. Die frisch Entlassenen sehen ungepflegt aus: die Kleider sind verdreckt, die Unterwäsche ist notdürftig gewaschen. Nach einem kurzen Aufenthalt im UNO-Büro bei Olga gehen die Flüchtlinge mit einem Schriftstück in der Hand über einen Boulevard zur deutschen Botschaft. Beim unerwarteten Anblick der rumänischen Fahne - die rumänische Botschaft ist neben der deutschen - laufen sie aus Angst, es könne ihnen im Vorbeigehen noch etwas zustoßen, auf die


Rückblick

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Trommlerschar mit Kaplan Josef Wild 1939. Foto: Archiv andere Seite der vielbefahrenen vierspurigen Straße. In der deutschen Botschaft erhalten alle Pässe und Geld, das sie in Deutschland zurückzahlen müssen. Im nahegelegenen Hotel Astoria können sie sich ausruhen. Dort fühlen sie sich regelrecht verwöhnt. Sie freuen sich über ein heißes Bad und saubere Bettwäsche. Am 2. September erreichen sie Nürnberg. Und wieder lassen wir Hans Hahns Tagebuch sprechen: Wir schickten sofort ein Telegramm nach Hause, denn unsere Familien wussten wenig von unserem Verbleib. Unzählige Landsleute kamen uns besuchen, und jeder brachte etwas mit. Vater und ich bekamen vom Staat 12 Mark pro Tag. Ich aß mich satt von dem, was man in Rumänien nicht bekommt: Butter, Käse, Schokolade. Im Durchgangslager in Nürnberg blieben wir bis zum 22. September 1981. Ende September ist Basilius‘ letzter Transport nach Deutschland gekommen. Er hat ungefähr 80 Personen in die Freiheit verholfen. Am 1. November ist meine Großmutter an Altersschwäche gestorben. Sie war 81 Jahre alt. Aus der 28 Mann starken Gruppe ist keiner bekannt, der in der neuen Heimat Deutschland

nicht seinen Weg gemacht hätte. Stellvertretend für alle seien drei Beispiele genannt: Josef Herbst arbeitet bis zum Rentenalter bei Mercedes. Josef Stadtfeld ist noch immer als Maurer auf der Baustelle tätig. Hans Hahn junior geht nach einer Lehre als Bankkaufmann ein halbes Jahr nach Irland und anschließend in die USA, um Englisch zu lernen. Er arbeitet im Vertrieb einer US-Firma in Düsseldorf und für eine Maschinenbaufirma in Bad Honnef bei Bonn. Von dort wechselt er zu einem Konkurrenten nach Bologna, Italien, der im Jahr 2000 vom amerikanischen Multi und weltgrößten Baumaschinenhersteller Caterpillar geschluckt wurde. Dort leitet er heute noch als VertriebsManager das Segment Straßenbaumaschinen in Afrika und im Nahen Osten. Er lebt mit seiner Frau Yoko und seiner dreijährigen Tochter in Bologna. Verrat Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Das Sprichwort hat auch im Falle des Schlepperwesens seine Gültigkeit. Was am 29. September 1981 passiert, ist mit sehr großer


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Rückblick

Foto links: Barbara Baranys Mutter beim „Tuwak-enreihe“. Foto rechts: Barbara Barany mit den Kindern Lissi und Schwesti sowie Teibert Nikolaus Mitte. Einsender: Barbara Barany Wahrscheinlichkeit auf Verrat zurückzuführen. Den sechsten und letzten Schub bringt Basilius am 29. September 1981 zur Grenze. Zu den acht Leuten gehören Ewald Stock und Walter Vanghele aus Sackelhausen, ferner Helmut Kunzelmann (geboren 1961) aus Neubeschenowa. Die Gruppe teilt sich hinter der Grenze. Der Maschinenbaustudent Stock und drei Mann folgen Basilius‘ Rat, streben südwärts und gelangen auf dem Bersau-Damm in die Freiheit. Hinter der Grenze wartet schon Stocks Schwager, um die beiden Sackelhausener nach Belgrad zur deutschen Botschaft zu bringen. Das Vorhaben gelingt. Von Belgrad geht es weiter mit dem Auto nach Rastatt. Den beiden vorauseilenden Sackelhausenern folgen lediglich zwei Mann. Die vier anderen schlagen einen Bogen nach rechts. Einer von ihnen, ein Temeswarer, erklärt, er wolle nicht weiter, berichtet Kunzelmann. Er wolle wissen, wo er sei. Kunzelmann und die beiden anderen wollen ihn nicht zurücklassen. Sie beschließen, zu warten, bis es hell wird, um dann über weiteres zu entscheiden. Als es hell ist, sehen sie rechts von sich zwei Häuser. Sie gehören, wie sich bald herausstellen soll, zu einer Pumpstation. Davor stehen zwei Männer, der eine mit einem Knüppel in der Hand. Der Temeswarer sagt den anderen drei, er wolle die beiden Männer fragen, wo Serbien liege. Er geht los, und die drei folgen ihm zur Pumpstation. Er fragt auf rumänisch nach Serbien und erhält zur Antwort, er solle war-

ten, gleich werde er mit den anderen abgeholt. Als diese Worte fallen, beginnen Kunzelmann und die beiden anderen zu laufen, durchqueren einen tiefen Graben, dahinter ist Serbien. Die Männer vor der Pumpstation halten den Temeswarer, dessen Name keiner kennt, fest. Kunzelmann vermutet, er habe gar keinen wirklichen Fluchtversuch unternommen. Was er die ganze Nacht mit ihnen getrieben habe, sei ein abgekartetes Spiel gewesen. Der Mann ist wahrscheinlich als Verräter in die Gruppe eingeschleust worden. Basilius wird noch am selben Tag verhaftet. Wieder einmal ist ein Schlupfloch an der rumänisch-serbischen Grenze gestopft. Kunzelmann und die beiden mit ihm im letzten Augenblick über die Grenze gelaufenen Gleichgesinnten treffen in einem Maisfeld zwei der schon am frühen Morgen Geflüchteten. Sie setzen jetzt zu fünft den Weg fort, werden aber von serbischen Grenzern gefasst. Was folgt ist bekannt: Gefängnis, deutsche Botschaft, Fahrt nach Nürnberg. Die Securitate misshandelt Basilius fürchterlich. Er wird angeblich zu acht Jahren Haft verurteilt. Doch es gelingt ihm zu flüchten. Er schlägt sich bis nach Italien durch und meldet sich bei Matz Hell, der unter den Leuten, denen Basilius den Weg in die Freiheit gezeigt hat, Geld für den Fluchthelfer sammelt. Basilius gelangt nach Deutschland, besucht auch Mathias Hell; doch inzwischen hat sich seine Spur verloren. Keiner weiß, wo er lebt.


Rückblick

65 Soldaten lassen die Hunde los Erika Metzger

I

ch war beseelt von dem Gedanken, mir eine neue, bessere Zukunft aufzubauen, in Freiheit - in einem Land, wo Ordnung, Disziplin, Ehrlichkeit und Verlass als hohe Werte gelten; ein Land, von dem so viele meiner dort neu beheimateten Landsleute nur Gutes zu berichten wussten. Dort führten Fleiß und Zielstrebigkeit zum Erfolg. Dieses Land, welches ich so idealisierte, war Deutschland. Und dieses Land wollte ich auf alle Fälle erreichen. Es war im Jahr 1981. Zu jener Zeit lebten meine Eltern auf einer Baustelle am Fluss Poneasca bei Bosowitsch, wo ein Wasserkraftwerk gebaut wurde. Nach ersten Erfahrungen als Aushilfserzieherin im Kindergarten der Hanffabrik in Billed betreute ich auf der Baustelle Poneasca die Kinder der Arbeiter und Angestellten. Mein festes Domizil war nach wie vor Billed; an den Wochenenden fuhr ich nach Hause zu meinen Großeltern. Der Weg führte durchs Grenzgebiet: durch die Orte Orawitz, Großscham, Detta, ganz nah entlang der grünen Grenze zu Jugoslawien. Mein Wunsch, über Jugoslawien nach Deutschland zu flüchten, wurde immer größer. Zwar wusste ich, dass die blaue Grenze, die Donau, nicht weit entfernt war, doch für die Flucht übers Wasser fehlte mir der Mut. In meiner Freizeit konnte ich mit anderen einkaufen fahren, Poneasca war als mein zweiter Wohnsitz im Personalausweis eingetragen. Mein rumänischer Familienname Găina ermöglicht es mir, die Region zu erkunden, ohne aufzufallen. Von meinem geheimen Plan erzählte ich niemandem, nach dem Motto: „Der Zaun hat Augen und die Mauer Ohren„. Lediglich meine Eltern wussten davon. Immer wieder bat ich

meinen Vater, sich umzuhören, wer für so ein Vorhaben in Frage komme. Eines Abends erzählte mein Vater, dass es einen gewissen T. gibt, der sich sehr gut in der Grenzregion auskennt. Mit ihm könnte man es wagen, über die Sache zu reden. Es dauerte nicht lange, und ich wurde T. vorgestellt. Dann lernte ich drei Männer aus Mediasch kennen, die auf der Baustelle in Poneasca arbeiteten und das Land auch verlassen wollten. T. sagte, nicht er werde die Gruppe führen, sondern Bekannte, die oftmals durch ein Schlupfloch bis Österreich ziehen und danach an derselben Stelle wieder ins Land zurückkommen. Jene kennen sich besser aus als er. Der Schlepperlohn beträgt 10.000 Lei sofort und nochmals 10.000 nach der Ankunft in Deutschland. Diesen Betrag sollten meine Eltern entrichten nach Erhalt eines Codeworts von mir. Wir warteten ungeduldig auf das Startsignal; manchmal dachte ich, wir seien reingefallen. Doch dann sollte plötzlich alles ganz schnell gehen. Es war der 9. Juni 1981, spät abends ging es los. Mein Vater fuhr uns mit einem geliehenen Wagen nach Orawitz. Vor dem Ort war eine Kontrollstelle der Grenzer - die winkten uns durch. Das hätte eigentlich für uns ein Alarmsignal sein müssen, denn normalerweise wurde jeder kontrolliert. Wir hielten uns geraume Zeit in einem Restaurant auf, nachdem mein Vater sich verabschiedet hatte und auf einem anderen Weg zurückfuhr. Zur vereinbarten Zeit kam der nächste Pkw, am Steuer saß nicht Herr T., sondern Frau T. Sie fuhr uns nach Großscham, wo wir unsere Schleuser trafen, zwei Zigeuner. Constantin, einer aus unserer Gruppe, sagte, er traue dem Ganzen nicht, so sei das nicht vereinbart gewesen. Wir anderen jedoch waren nicht umzustimmen. Uns war alles recht, wir waren berauscht von der Vorstellung, in ein paar Stunden in Freiheit zu sein. Wir wollten von


66 den Bedenken Constantins nichts hören. Viel Zeit blieb uns auch nicht. Das Auto war weg, und die Dämmerung brach herein. Viel hatte ich nicht bei mir: Deutsche Mark, Dollar, Dinar, meinen Schmuck, mein Adressbuch, in dem auch die Telefonnummer der deutschen Botschaft in Belgrad stand. Ich trug Jeans, einen dünnen Pullover und einen Anorak mit Kapuze. Wir gingen los: Einer unserer Führer voran, der zweite hinter uns vier Fluchtwilligen. Der Weg führte durch die dunklen Gassen des Ortes, nur ab und an brannte eine Straßenlaterne. Wir verließen Großscham und gingen durch Felder. Geredet haben wir kaum. Die Sinne waren bis zum Äußersten angespannt, um Konturen des fremden Umfeldes zu erkennen oder Geräusche wahrzunehmen. Man hörte immer wieder Hundegebell, mal in der Ferne, mal näher, so wie es auf dem Land im Banat damals war. Es war ein unbeschreibliches Gefühl: Ich hatte den Eindruck, die anderen hören mein Herz rasen, meine Atemzüge wären so laut, als würden sie mich verraten, dann war noch die Angst da, es könnte doch etwas schief gehen. Aber der Wunsch, nach Deutschland zu gelangen, die Hoffnung, bald das Tor der Freiheit zu betreten, gab neuen Mut und Antrieb. So wurde der Schritt wieder leichter, schneller, fast trat man dem Vordermann auf die Fersen, aber man sah auch forschend nach hinten, ob alle noch da seien, sah das bleiche Licht der paar Straßenlaternen in die Ferne rücken. Wir wurden sicher geführt. Als ich schon den Eindruck gewonnen hatte, dass die beiden Kenner des Terrains wären, fielen plötzlich aus dem Gebüsch am Wegrand Schüsse. Soldaten schossen abwechselnd in die Luft und in den Boden. Mit den ersten Schüssen setzte lautes Gekläffe ein. Dann brüllten die Soldaten Befehle: „Runter, auf den Boden, Gesicht auf den Boden, Hände seitwärts“. Und immer wieder Schüsse. Diese sollten uns den nötigen Respekt einflößen, aber auch Verstärkung herbeirufen. Ich war erstarrt, ich war in jenem Moment unfähig, das Geschehene zu begreifen. Ich

Rückblick wünschte, die Erde sollte sich auftun und mich verschlingen, um der ganzen Situation zu entkommen. Die Schau schien aber kein Ende nehmen zu wollen. Erdklumpen flogen um uns, ich dachte, die Zeit steht still, aber ich war noch am Leben. Später wurde protokolliert, wie viele Salven die Soldaten abgefeuert hatten. Mein Körper fühlte sich bleischwer an, ich verspürte einen Druck im Kopf, ein Sausen in den Ohren, als ob mir das Trommelfell geplatzt wäre. Dann umzingelten die Soldaten uns, sie verteilten Fußtritte nach Belieben, mancher bekam weniger ab, der andere mehr; anfangs blieb ich noch etwas verschont. Dann haben sie uns befohlen, uns hintereinander aufzustellen. Die Soldaten teilten sich auf, sie gingen vor, seitlich und hinter uns. In diesem Moment warf ich mein Portemonnaie weg. Die Soldaten, die uns seitlich bewachten, führten Hunde an der Leine. Diese schnappten zu, kläfften fortwährend, ich hatte riesige Angst vor den Hunden. Und so kam es, dass die Bestien mich am meisten angriffen. Sie ließen nicht los, quetschten mehr als sie bissen, und die Soldaten schimpften uns Vaterlandsverräter und Deserteure. Dazwischen hagelte es immer wieder Hiebe mit dem Gummiknüppel. Kein Laut kam über meine Lippen, um jene nicht noch mehr zu reizen, aber auch aus Trotz, weil wir ihnen so leicht ins Netz gegangen sind und jetzt zurück ins Elend mussten. Diese Tortur nahm mit der Ankunft auf dem Hof des Grenzerstützpunktes Großscham ein Ende. Im Licht der Hofbeleuchtung merkten sie erst, dass ich als einzige Frau dabei war. Nun wurden wir getrennt, die zwei Roma kamen zusammen zum Verhör in einen Raum, uns vier brachte man in einen Raum mit Tischen und Bänken - es könnte ein Speise- oder Aufenthaltsraum gewesen sein. Soldaten bewachten uns, machten sich lustig über uns und freuten sich über fünf Tage Sonderurlaub, weil sie uns erwischt hatten. Papiere und alles andere, was wir bei uns hatten, mussten wir vor uns auf den Tisch legen, alles wurde erfasst, Daten aufgenommen. Immer wieder waren Stimmen


Rückblick

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Gemeinsamens Festessen gelegentlich der Erstkommunion von 40 Kindern 1939 im großen Saal. Einsender: Katharina Braun (Sulz) zu hören und Geschrei, die beiden Roma wurden geschlagen und haben mit Sicherheit mehr verraten, als sie wollten. Von unserer Gruppe war ich am meisten zugerichtet. Meine Jeans war zerlöchert, ich konnte kaum stehen, die Beine von den Hundebissen geschwollen, sie brannten wie Feuer - so tapfer wie ich vorher war, so gab ich mich jetzt ganz meinem Schmerz hin. Am frühen Morgen wurden die zwei Roma und ich in einem geschlossenen Auto in die Dorfambulanz gebracht, wo wir ärztliche Hilfe bekamen: Die Wunden wurden mit Jod gesäubert, ich glaube, wir wurden auch geimpft. Das Ausmaß der Prügel konnte man erst jetzt erkennen. Die Gesichter der beiden Fluchthelfer waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt, ihr Gang war nicht besser als der meine - schräg, verzerrt. Ich dachte: Oh, Gott, werden wir wieder normale Menschen? Wir wurden zurückgebracht in den Stützpunkt mit den Worten: Blicke nach unten, Schande über euer Tun. Inzwischen waren hohe

Offiziere aus Temeswar angekommen. Gegen Mittag wurden wir in einem geschlossenen Auto über Detta nach Temeswar gebracht. Ab nun war ich in U-Haft im Polizeigebäude. In der U-Haft wurden mir meine persönlichen Sachen weggenommen. Danach wurde ich verhört. Ich versuchte, alles so wie am Grenzerstützpunkt zu wiederholen, obwohl man hier schon in die Details ging. Irgendwann knallten die mir meine Brieftasche auf den Tisch. Sie hatten das Terrain, wo wir erwischt worden waren, nochmals abgesucht und sie gefunden. Leugnen half nichts. Ich gestand, dass es meine Brieftasche ist. Weil darin ausländisches Geld war, haben sie mich plötzlich zur Rädelsführerin gestempelt, die Kontakte zu Personen im Westen pflegt. Sie wussten mehr aus meinem Leben und Umfeld als ich selbst. Die Chance, mich zu rechtfertigen oder zu verteidigen, war gleich null. Die Vorgehensweise der Securitate war mir bekannt. Ich hatte jetzt nur noch den Wunsch, endlich in Ruhe gelassen zu werden.


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Rückblick

Hl. Kommunion des Jahrgangs 1930 im Jahr 1939 mit Schuldirektor Johann Rieder und Kaplan Adam Zenz. Einsender: Katharina Braun (Sulz) Was ich zu jenem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass sie auch meinen Vater verhaftet hatten mit der Begründung, Fluchthilfe geleistet zu haben. Auch Frau T. sollte verhaftet werden, weil sie aber drei kleine Kinder hatte, blieb sie verschont. T. ist nach unserer Verhaftung selbst geflüchtet, genau an jener Stelle, wo es uns nicht gelungen war. Später wurde er in Abwesenheit verurteilt - er war schon in Italien. Als der Fall geklärt war, ging es ins Temeswarer Gefängnis. Zwei Tage war ich mit drei Frauen in einer Zelle; wir wurden ärztlich untersucht und danach in andere Zellen verteilt. Anfangs arbeitete ich von 6 bis 18 Uhr in der Konservenfabrik. Bald merkte ich, dass es dort noch andere Flüchtlinge gab, dass ich nicht die Einzige war, der die Flucht missglückt war. Weil wir nur morgens und abends beim Transport in und aus der Fabrik Tageslicht zu sehen bekamen, meldete ich mich zur Arbeit im Garten. Anfangs konnte ich den Rhythmus mit den anderen nicht mithalten, doch es kam Hilfe. Eine Lehrerin und ihre Mutter aus Hermannstadt nahmen mich in die Mitte und halfen mir beim Hacken, mal die ein paar Meter, mal die andere ein paar Meter. Die Aufseher duldeten es. Pause hatten wir von 12 bis 13 Uhr, in der gab es Mittagessen, es war sehr schlecht. Verurteilt wurde ich in Detta. So wie mein Fall vor Gericht geschildert wurde, war er mir

total fremd. Doch hatte man eine Wahl? Meine Mutter hatte für mich einen Anwalt verpflichtet, der die Richter kannte. Meine Oma hatte ihm 10.000 Lei gegeben, damit er ein mildes Urteil erwirken soll. Später habe ich erfahren, dass er meiner Oma das Geld zurückgegeben hat. Er hat ihr zu erklären versucht, dass es eine Amnestie geben wird und wir entlassen werden. So war es dann auch: Am 19. August 1981 war ich frei. Erst beim Prozess in habe ich erfahren, dass mein Vater auch wegen Fluchthilfe angeklagt worden war, weil mich niemand bis zum Beginn des Verfahrens im Gefängnis besuchen durfte. Er ist am selben Tag wie ich freigekommen. Mein Wunsch, nach Deutschland auszuwandern, erfüllte sich erst am 24. März 1985. Heute lebe ich zufrieden mit meiner 15 Jahre alten Tochter Nicole in einem kleinen Ort in der Vorderpfalz. Die Ereignisse von damals kann ich wohl nie ganz vergessen, aber sie haben an Intensität verloren und gehören der Vergangenheit an. Ich weiß heute, dass Licht und Schatten zusammengehören und dass es viel schlimmer hätte ausgehen können. Ich durfte aber auch eine positive Erfahrung machen: Es gibt auch anständige Leute. Der Anwalt verhielt sich in der damaligen korrupten Zeit äußerst human und loyal.


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69 Horst Breitenbach: Den Grenzsoldaten eingesperrt

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ls sich Horst Breitenbach, geboren am 22. Dezember 1962 in Temeswar, zusammen mit seinem Arbeitskollegen Nicu Bădan auf die Flucht begibt, darf schon seit langem kein Deutscher mehr einen Auftrag der Erdölfördergesellschaft an der serbischen Grenze ausführen. Denn zu viele Mitarbeiter sind inzwischen über die Grenze gegangen. Dazu gehört auch einer, der sich selbst einen Zutrittsschein ausgestellt hat, in einem Augenblick, als das Büro des Dienststellenleiters unbesetzt war. Er gelangt mit einem Firmenwagen an die Grenze, wartet so lange ab, bis der Grenzer so positioniert ist, dass er nicht schießen darf. Und zwar gilt das Schießverbot, wenn die Gefahr besteht, dass eine Kugel serbisches Territorium erreicht. Als der Soldat und der Flüchtling eine gedachte Senkrechte zur serbischen Grenze bilden, beginnt die Flucht. Der Flüchtende soll den Soldaten sogar eingeladen haben, mitzukommen, doch diesen Mut bringt der Uniformierte nicht auf. Er bleibt zurück, der Flüchtende verspottet ihn. Als Rumäne hat Bădan eine Arbeitserlaubnis für die Erdölfelder erhalten. Er ist LkwFahrer und versteckt am 21. Januar 1985 Horst Breitenbach in der Kabine und nimmt ihn mit zu einer Sonde in der Nähe von Hatzfeld. Die beiden passieren die Kontrollen und stellen das Auto an der Sonde ab. In der Mittagszeit laden sie den Soldaten, der in der Nähe als Bewachung Posten bezogen hat, in eine Baracke zum Mittagessen ein. Rumänische Soldaten sind in der Zeit des Kommunismus stets hungrig, sie bekommen nie satt zu essen. Der Soldat nimmt die Einladung an, aber Breitenbach und Bădan überrumpeln ihn. Sie geben vor, die Beutel mit dem Essen aus dem Auto zu holen. Der Soldat lässt sie gehen. Sobald die beiden die Baracke verlassen haben, verriegeln sie die Tür von außen und laufen in Richtung Serbien. Dem betrogenen Grenzer gelingt es, durch ein eingeschlagenes Fenster ins Freie zu kom-

Ein UNO-Büro in Belgrad hat in den 1980er Jahren Flüchtlingen aus Rumänien zeitweilig gültige Ausweise ausgestellt.


70 men, doch es ist ihm verboten, auf die beiden Flüchtenden zu schießen, weil die Kugeln aus seiner Kalaschnikow serbisches Territorium erreicht hätten. Er gibt ein paar Salven in die Luft ab. Breitenbach und Bădan haben die 40 Meter, die sie von Serbien trennen, kaum hinter sich gelassen und den ersten Ort in Jugoslawien erreicht, da setzen serbische Polizisten die beiden schon fest. Sie müssen 20 Tage im Gefängnis von Großbetschkerek absitzen und werden danach ins UNO-Lager von Padinska Skela verlegt. Sie erreichen Jugoslawien zu einer Zeit, als die UNO-Dienststelle den eingetroffenen Flüchtlingen Ausweise ausstellt. Sie sind Freigänger, mit dem ausgestellten UNOAusweis können die Inhaber sogar die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzen.

Rückblick Diese Situation hält aber nicht lange an, denn es kommt anscheinend zu Diebstählen, da die Flüchtlinge mittellos sind und lediglich von dem leben, was ihnen die UNO im Lager zur Verfügung stellt. Das ist nicht viel mehr als das Essen. Die jugoslawischen Behörden dulden die Übergriffe nicht mehr, es gibt keine Freigänger mehr. Horst Breitenbach verlässt Padinska Skela nach drei Tagen in Richtung Deutschland. Nicu Bădan wartet neun Monate lang, bis er die Einreiseerlaubnis nach Schweden erhält, wo er heute zu Hause ist. Horst Breitenbach gelangt über Nürnberg und das rheinlandpfälzische Osthofen nach Frankenthal. Den Weg dorthin ebnet ihm Horst Pritz, sein Patenonkel.

Ein Stück Berliner Mauer via Temeswar nach Karlsruhe Elisabeth Martini (Frick)

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0 Jahre nach der friedlichen Revolution schenkte die BILD-Zeitung allen Bundesländern Original-Segmente der Berliner Mauer, damit diese als Denkmal in den Landeshauptstädten an die friedliche Überwindung der Mauer und des entsprechenden Regimes im November 1989 erinnern. BILD-Chefredakteur Kai Diekmann erklärte bezüglich der wahrscheinlich letzten noch erhaltenen Mauerteile: „Die Mauer, die einst Berlin und Deutschland teilte, ist heute ein Symbol für die Kraft von Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch ein Mahnmal für deren immerwährende Gefährdung.“ Während der größte Teil des „antifaschistischen Schutzwalls“ nach der Wende zu Straßenbauzwecken geschreddert wurde, lagerte BILD bis jetzt 16 Segmente für die Bundesländer in einer Berliner Halle. Jedes Mauerstück ist 3,60m hoch und 2,7t schwer, ein Monument und ein Stück Geschichte. Viele Staaten hatten das nach der Einheit schnell

erkannt und sich Teile der Mauer gesichert, so die USA, wo Mauerblöcke in Kalifornien, Texas, New York stehen, um an die notwendige Verteidigung der Freiheit zu erinnern. Auch im Vatikan, in Frankreich, England Spanien, Australien, Costa Rica, Venezuela sind Teile der Mauer zu sehen. Nur in Deutschland gab es bislang wenige Orte (Haus der Geschichte in Bonn, Pforzheim), wo Mauerreste ausgestellt waren. Mit dem BILD-Geschenk an die Bundesländer soll die Erinnerung an die Mauer und ihren Fall als einer der bewegendsten Momente der deutschen Geschichte bewahrt werden. Das erste Original-Segment bekam das Saarland und es wurde neben dem Landtag aufgestellt, leichter zu finden als die MauerRelikte in Berlin. Mit Begeisterung nahmen alle Ministerpräsidenten das Geschenk an, wie auch die jeweiligen Bürger die Aktion begrüßten, zumal für sie die Mauer Symbol für die menschenverachtende Politik des DDR-Regimes war.


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Barbara Barany 1982 anlässlich ihrer Abschiedsfeier aus dem Berufsleben der Billeder Schule. Einsender: Barbara Barany Vor dieser Mauer standen auch wir – mein Mann und ich – während unserer mehrmaligen Berlin-Reisen, voller Angst, ihr ja nicht zu nahe zu kommen und mit der Vopo Bekanntschaft zu machen. Grau und unansehnlich war sie anzusehen, scheinbar unüberwindbar, ließ sie uns nicht ahnen, welche „Kunstwerke“ die Rückseite im freien Westen barg, um die später gestritten wurde und die dank mühseliger Arbeit der „Mauerspechte“ auch teuer verkauft wurden und in aller Welt landeten. So auch im Banat, in Temeswar! Zwar nur ein Stückchen davon, unspektakulär, 5x4 cm groß, harter Beton, von mir fast übersehen und weggeworfen. Jetzt aber bin ich mächtig stolz darauf, eine der wenigen Billeder zu sein, die ein Stück deutscher Geschichte ihr Eigen nennt. Wie es dazu kam? Durch eine äußerst beherzte Berlinerin, Karen Mara Bartsch, die sich nach dem Mauerfall und der Grenzöffnung mit ihrer 3-jährigen Tochter Sara mit dem Auto allein auf den Weg gemacht hatte, um Hilfsgüter nach Rumänien

zu bringen. Da sie hier niemanden kannte und nicht auf der Straße übernachten konnte, reichte eine mitfühlende Nachbarin sie an uns weiter und wir befreundeten uns, eine liebe, offene, selbstlose junge Frau, die dann wiederholte Male vorbei kam. Einmal, als ich nicht zu Hause war, ließ sie dieses Stück Berliner Mauer auf unseren Eingangstreppen zurück. Nichtsahnend wunderte ich mich über den Stein und konnte mir nicht erklären, wie er dort gelandet war. Erst ein Brief aus Berlin klärte auf und zum Glück musste ich im Blumenbeet nicht lange nach dem weggeworfenen Stück Beton suchen. Seither hat er einen Ehrenplatz und ist mit uns von Temeswar nach Karlsruhe „umgezogen“, wo er voller Stolz allen Sprachschülern im Deutschunterricht gezeigt wurde, wenn es um den Berliner Mauerfall ging und um die Symbolik dieses etwa 20 cm² großen „Denkmals der Freiheit“. Deswegen geht auch heute noch unser Dank an unsere Bekannte Mara, die uns dieses Gefühl der Dazugehörigkeit und der friedlich erkämpften Freiheit geschenkt hat.


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Zeitzeugen erinnern sich Wie ich die Revolution in Temeswar erlebt habe Elisabeth Packi

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s war am 16. Dezember 1989, als man plötzlich von unserem Balkon – wir wohnten damals in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes „Timisoara 700“ – aus der Ferne Sprechchöre wahrnahm. Bei genauem Hinhören konnte man „Jos Ceauşescu“ vernehmen. Was einem unglaublich erschien, bestätigten aber kurz danach die Eltern, die ihre Kinder von der Geburtstagsparty unseres jüngsten Sohnes Christian abholen kamen. Angeblich, so berichteten sie, sollen an der Maria (Stadtteil von Temeswar) vor der Reformierten Kirche einige Hundert Menschen versammelt sein und gegen die Evakuierung ihres Priesters protestieren. Am 17. Dezember, sonntags, fuhren wir wie jeden Sonntag alle vier in das unweit gelegene Billed, unsere Eltern besuchen. Gegen Abend wieder zu Hause angekommen, erzählten uns die Nachbarn, dass schon seit Mittag in die Menge geschossen wird. In der Nacht vom 17. zum 18. wurde dann ununterbrochen geschossen und das in unmittelbarer Nähe unserer Wohnung: am Opernplatz, am Freiheitsplatz, am 700-Platz, am Domplatz. Nach der Anzahl der Schüsse, die fielen, mutmaßte man Tausende von Toten oder Schwerverletzten, man stellte sich ein Blutbad vor, Unmengen von Toten. Und als würde selbst der Himmel sich empören, begann es um 3 - 4 Uhr zu blitzen und zu donnern (Mitten im Dezember!) und dann folgte ein Regenguss, der zwar viele Blutspuren wegspülte, aber auch der Schießerei ein jehes Ende bereitete. Am nächsten Tag gab es jedoch keine Leichen.

Erst später erfuhr man, dass die Toten von der Securitate mit Lastwagen nach Bukarest gebracht worden waren, um im dortigen Krematorium verbrannt zu werden. Desgleichen erfuhr man, dass den Verletzten, die in Krankenhäuser gebracht worden waren, die medizinische Versorgung verweigert wurde und dass sie am Krankenbett von den Leuten der Securitate verhört wurden. So mancher verlor nach dieser schrecklichen Nacht jedes Fünkchen Hoffnung, dass er bis dahin hegte. Man dachte, der Aufstand sei im Blut erstickt und alles sei vorbei. Doch jetzt entbrannte die Wut der Massen erst recht, unbändig und blind war der Hass. Und die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, obwohl offiziell nichts darüber berichtet wurde. Wenn es bis jetzt einige Tausend Demonstranten waren, so wuchs ab sofort ihre Zahl zu Zehntausenden, ja zu Hunderttausenden an. In der Busiascher Straße (eines der größten Industriegebiete der Stadt) gingen die Demonstranten von Fabrik zu Fabrik und überall schlossen sich ihnen Tausende von Menschen an und marschierten geschlossen bis zum Opernplatz mit Sprechchören und Losungen. Von den Dörfern kamen die Leute mit Lastkraftwagen, mit Bussen, ja selbst zu Fuß. In jedem Dorf schlossen sich neue Demonstranten an und marschierten in Richtung Temeswar. Aus Arad und aus Lugoj kamen sie mit Zügen angereist. Ab dem 18. Dezember war selbst ich, eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, täglich am Opernplatz, ich schloss die Kinder in die

Linke Seite: Fotomontage, die die dramatischen Ereignisse der Revolution in Temeswar dokumentiert und 1990 in der Temeswarer Bastion-Gallerie ausgestellt war. Heute gibt es in Temeswar ein „Museum der Revolution in Temeswar“.


74 Wohnung ein und ging mit meiner Nachbarin demonstrieren. Wir sahen die eingeschlagenen Vitrinen und die ganze Innenstadt mit Militär umstellt. Und als sich dann das Militär zurückzog, hieß es, in Craiova seien Raketen auf Temeswar gerichtet und die Stadt soll in Schutt und Asche gelegt werden. Die Stille war verdächtig, die Ruhe vor dem Sturm. Am 20. Dezember kam Ceauşescu von seinem Iranbesuch zurück und hielt eine Fernsehansprache über die Temeswarer Faschisten und über die „agenturi străine“ (ausländische Agitatoren). Danach kamen die Minenarbeiter, die man hergeschickt hatte, die Temeswarer Hooligans mit Knüppeln niederzuprügeln. Als die Ankömmlinge sahen, was Sache war, schlossen sie sich den Demonstranten an. Für den 21. Dezember organisierte Ceauşescu dann um 12 Uhr eine Volksversammlung in Bukarest. Da fuhren die Temeswarer Demonstranten mit dem Nachtzug nach Bukarest, um dort dabei zu sein. Und als dann das Fernsehprogramm für wenige Minuten unterbrochen wurde, klingelten die Telefone in alle Windrichtungen. Der Funke war übergesprungen. Den Rest kennt man vom Fernsehen, Ceauşescu wollte mit dem Hubschrauber fliehen, wurde aber gefangen genommen und nach Tirgoviste gebracht, wo ihm ein kurzer Prozess gemacht wurde. Am 25. Dezember, am Weihnachtstag, wurden er und seine Frau Elena nach einem kurzen Schauprozess erschossen. Aber bei uns in Temeswar ging die Revolution weiter. Es wurde geschossen und Panzer fuhren auf. Eine Kugel traf die Wohnung unseres Nachbarn ein Stockwerk über uns und setzte seine Wohnung in Brand. Über diesen Brand berichtete mein damals 10-jähriger Sohn seiner ehemaligen Lehrerin, Edda Samson, wie folgt:

Rückblick Sehr geehrte Frau Samson! Zuerst möchte ich mich für Ihren netten Brief bedanken, den ich vor einigen Tagen erhalten habe. Besonders hat es mich gefreut, zu erfahren, dass Sie in Hanau eine Stelle als Lehrerin bekommen haben. In diesem Brief will ich Ihnen über die überwältigenden Ereignisse, die in Temeschburg während der Revolution stattgefunden haben, berichten. Es war Weihnachten, der 25. Dezember 1989, um 10 Uhr als plötzlich eine große Schießerei begann. Als ich zum Fenster hinausschaute, sah ich Panzer, die auf der Straße auf und ab fuhren und Salven abfeuerten. Plötzlich sah ich dicke Rauchwolken emporsteigen. Mein Vater rief: „Der Dachstuhl brennt!“ Meine Eltern, mein Bruder und ich stürzten schnell ins Treppenhaus, wo sich schon andere Nachbarn aufhielten. Als wir nachsehen wollten, wo der Brand war, sahen wir, dass genau die Wohnung über uns brannte. Schnell nahmen alle Nachbarn Eimer, um das Feuer zu löschen. Ich selbst trug auch Eimer für Eimer nach oben. Die Feuerwehr, die wir verständigten, weigerte sich zu kommen, weil in der Nähe geschossen wurde. Nach vier Stunden langer und harter Arbeit war das Feuer endlich gelöscht. Doch das ganze Wasser, welches wir nach oben getragen hatten, begann in unsere Wohnung zu sickern. Wir waren aber froh, dass wir nur mit einer Überschwemmung davongekommen waren und keinen Brandschaden erleiden mussten. Ich hoffe, dass ich Ihnen hiermit einen kleinen Einblick in die Tage unserer Revolution gegeben habe. Ich warte auf baldige Antwort von Ihnen und schließe mit vielen lieben Grüßen. Ihr Arnfried P. Waren wir nicht alle Dissidenten? Wer hat mehr für Ceauşescus Sturz getan, die längst Ausgewanderten oder die da Gebliebenen?


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Temeswar Domplatz 2009. Der römisch-katholische Dom gilt als wertvollstes barocke Gebäude der Stadt.

20 Jahre danach... Elisabeth Martini

U

nd schon sind 20 Jahre ins Land gegangen seit den denkwürdigen Ereignissen im Dezember 1989 in Temeswar, in Rumänien. Millionen Menschen, darunter auch hunderttausende Deutsche, haben diesen Tag ersehnt, aber doch auch nicht mehr recht daran geglaubt, dass er kommen wird, der Tag, an dem Ceauşescu und sein diktatorisches Regime fällt und die Welt sich auch für uns öffnet, Freiheit und Demokratie langsam auch den Weg zu uns finden. Unerwartet und doch von langer Hand vorbereitet durch das stete Anwachsen des Unmuts, der Unzufriedenheit und der Miss-

billigung vieler politisch-ökonomischer Maßnahmen kam der Tag des kollektiven Einsatzes und dadurch die Wende. Als Zeitzeugen und Erlebnisträger dieser – nun schon weit zurückliegender Ereignisse – berichteten Ernst Schaljo und Josef Schwendner ausführlich im Billeder Heimatblatt 1990, dem Jahr, in dem 520 Billeder in der BRD Aufnahme gefunden haben, nachdem die Grenzen für Ausreisewillige weit geöffnet wurden. Beide Autoren gehen dabei auf Ursachen, Anfänge, Ausbreitung, Sieg und Folgen der Erhebung der Massen gegen Tyrannei und Willkür


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Temeswar am Domplatz 2009, rechts das Haus mit den Löwen. Fotos: Hans Rothgerber ein. Vieles ist bekannterweise im Nachhinein anders gewesen, als es damals verstanden und gedeutet wurde, denn wahre Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehen anders aus, als sie damals praktiziert wurden. Auch heute, wo Rumänien schon in der EU ist, bleibt diesbezüglich noch viel aufzuholen, wenn auch schon bemerkenswerte Fortschritte gemacht wurden. Mitten unter den Tausenden auf dem Opernplatz in Temeswar stand auch ich, harrend der Ereignisse, die da folgen, Teil der Menge, die eine Wende wünschte, ohne Diktator und allgegenwärtige Einschränkungen und Rechtlosigkeit. Meinen dienstbeflissenen Mann, dem ich beschwörend bis zur Straßenecke nachlief, konnte ich nicht von der Fahrt ins Stadtzentrum zu seiner Arbeitsstätte abbringen, obwohl man von der Gefahr, erschossen zu werden, wusste. Und tatsächlich wurde auf die Straßenbahn, in der er sich befand, scharf geschossen, so dass alle Fahrgäste – natürlich auch mein Mann – bäuchlings auf dem Boden Sicherheit suchten.

Es waren bange Minuten der Angst und Unsicherheit, bis die Straßenbahn schließlich in der Fabrikstadt aus der Schusslinie war und die Fahrgäste schlotternd aussteigen konnten. An Dienstliches war danach nicht mehr zu denken, erst musste der Schreck überwunden und der Weg nach Hause gefunden werden, ohne wieder in die Gefahrenzone zu geraten. Und unser Billed lag auch damals nur 26 km vom „Revolutionszentrum“ entfernt, war aber zeitweilig davon ganz abgeschnitten, ohne nähere Informationen, da mit den aufgestellten Wachposten, Soldaten und Milizleuten nicht zu spaßen war. Karl Balogh, vielen durch seine im Heimatblatt veröffentlichten Gedichte bekannt, hält in seinen nachträglichen Aufzeichnungen fest: 1993 weilte ich 2 Wochen in Lugoj und hatte Zeit, mich nach Dokumenten und Publikationen über die Ereignisse vom Dezember 1989 umzusehen, zumal ich bis zu diesem Zeitpunkt


Rückblick nur durch die Sondersendungen des Deutschen Fernsehens informiert worden war. Dutzendweise waren inzwischen Augenzeugenberichte erschienen von Menschen, die diese Tage des Aufruhrs und der Wende in Temeswar und im ganzen Land miterlebt hatten. Als Gefangener seiner Dämonie (galoppierende Paranoia) ging Ceauşescu unaufhaltsam seinem Schicksal entgegen. Aberrante Entscheidungen, pharaonische Projekte, absurde Prioritäten in der Wirtschaft sowie Rückschläge und Fehler in der Außenpolitik waren nur einige der Elemente, die den Fall des Tyrannen ahnen ließen. Es war ihm „gelungen“, Rumänien sowohl dem Westen als auch dem kommunistischen Osten zu entfremden und seine Bürger hinter Stacheldraht gefangen zu halten. Die meisten hofften auf ein Ende dieser Zeit durch eine „samtene Revolution“ wie bei unseren Nachbarn, doch es sollte nicht ohne Opfer – wie bei Meister Manole – geschehen! Warum jedoch entzündete sich die Fackel des Aufruhrs gerade in Temeswar? War es das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Ethnien? War es der Einfluss der westlichen Kultur oder des österreichisch-ungarischen Erbes, die hier einen toleranten Menschentyp geschaffen hatten, mit Charakter und zivilisiertem Verhalten? Informationen über das Weltgeschehen lieferte dem Westen des Landes das jugoslawische und ungarische Fernsehen, die Kontakte zur BRD u.a.m.; illegale Grenzübergänge waren an der Tagesordnung. Gerade deshalb liebte der Tyrann die Temewarer nicht, sie waren ihm zu weltoffen und empfingen ihn meist mit Kälte und Hohn. Am 20. Dezember 1989 war Temeswar die erste „freie“ Stadt Rumäniens, doch es hieß auch: „Heut‘ in Temeswar, morgen im ganzen Land!“ (Azi în Timişoara, mâine-n toată ţara!) Die vielen unbekannten Opfer liegen jedoch zahlenmäßig weit über den offiziellen Angaben und sie wären vergebens gewesen, hätte Bukarest nicht mitgezogen. Man hatte sich nämlich schon unvorstellbare Repressalien für

77 diese unfolgsame Stadt zurechtgelegt, doch die Gefahr schuf Solidarität und Stärke. Momentaufnahmen vom 16. Dezember, der ein für diese Jahreszeit zu warmer Samstag war. Laczi erzählt seinen Bürokollegen von einem „Spektakel“ mit Kerzen wie bei einer Auferstehung, von Menschen, die sich versammelt hatten, um Pastor Tökes zu beschützen, der der Stadt verwiesen werden sollte. Auch Irina war schon dort, obwohl man dachte, es sei bloß ein Gerücht, dass bei der „Maria“ demonstriert wurde... Während der Mond in dieser sternklaren Nacht am Himmel leuchtet, wälzen sich Menschenmassen von der Kathedrale zur „Maria“, indem sie „Libertate“ („Freiheit“) und „Jos tiranul“ („Nieder mit dem Tyrannen“) skandieren. Es ist ungewöhnlich warm und man spürt den Atem der anderen, der Jugendlichen, Männer, Frauen und Kinder. Dann Stimmen vor dem Eingang zur Reformierten Kirche: „Ich kann nicht mehr vor Freude und könnte jetzt auch nicht abseits stehn!“ Eine ältere Frau bekreuzigt sich: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas noch erlebe!“ Und dann – ganz plötzlich – bewegt sich die Menschenmenge wie ein schwarzer Vogel. „Die Miliz! Sie haben Schutzschilder und Schlagstöcke, nehmt euch in Acht!“ Gedränge, Schläge, Schreie, Gestöhn... „Wir laufen weg, ohne Ziel, nur aus dem Gedränge heraus, so schnell uns die Füße tragen. Überall keuchende Menschen, verzweifelte Schreie. Man sucht schützende Mauern, jede Sekunde zählt. Wie viele Leben kann eine Sekunde enthalten?! Man konnte gefangen und verhaftet werden, Gefahr lauerte überall. Unsere Beine hielten plötzlich nicht mehr mit und wir wünschten Vögel zu sein um zu entfliehen. Wir wurden immer langsamer, sprachen auch nicht mehr miteinander. Was sollten wir auch sagen, wo wir doch einfach weggelaufen waren wie nach einer verlorenen Schlacht. Jedes vorbeifahrende Auto lässt uns instinktiv ein Versteck suchen, während die Dunkelheit die


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Geburtstagsfeier von Mädi Backhaus. 1. Reihe: Leni Billinger (verh.Welter) 373, Gretche Welter (Neumann) 75, Suse Weber (Tierarzt) 295, Mari Zillich (Schortje) 152, Marian Gilde (Mitica) 412, Gretche Seibert (Schmidt) 309, Mari Rosani (Gehl) 407, Gretche Schaljo U.S.A., Marian Scheer (Hammer) 678, Lissi Enderle (Mirsch) 453, Kathi Graf (Culava) 549, Marian Slawik 393. 2. Reihe: Mädi Braun 299, Lissi Schwartz (Mann) 462, Anni Metzger 279, Kathi Kasper (Schakmann) 26, Kathi Bunda (Backhaus), Mädi Linser 396, Leni Pfersch (May) 350, Anna Eichert 44, Gretche Steiner 392. 3. Reihe: Anusch Menschek 638, Bewi Hehn (Jost) 472, Lissi Lauer (Helberg) 525, Leni Seibert (Gilde) 309, Julius Backhaus 396, Lissi Michels (Thöresz) 252, Gretche Kasper (Grosz) 321, Bewi Pfersch (Deleanu) 357, Lissi Schulz (Friedh.) Eins.: Mädi Backhaus Straße entlang fließt wie ein müder Fluss, selbst die Ampeln funktionieren nicht, auch fährt keine Straßenbahn mehr. Niemand auf den Straßen und doch hat die Angst uns immer noch im Griff. Wenn uns jemand fragt, woher wir kommen? Erst hinter verschlossenen Türen würden wir uns sicher fühlen! Und wenn „sie“ uns am Hauseingang erwischen? Die „Jungs“ (von der Securitate) hätten uns auch verfolgen können, denn so eine Revolte gab‘s noch nie! Es zitterte die Seele in uns und es war immer noch Samstag! Die Sterne funkelten unbeteiligt, fast unverschämt klar und wir zitterten wie gefangene Hühner. Und doch waren wir anständige Menschen, auch wenn wir aus Neugierde und etwas Mut die Geschehnisse aus nächster Nähe miterleben wollten... Im Wohnblock angekommen, geht Nina von Tür zu Tür, klopft und versucht zu überzeugen: „Zum Schlafen ist jetzt keine Zeit! Bei der ‚Maria‘ braucht man uns... ‚Sie‘ haben uns zwar et-

was verwirrt, aber wir geben nicht auf!“ Viele verstehen zuerst nicht, worum es geht, andere können es einfach nicht glauben. „Selbstverständlich waren auch die ‚Jungs‘ da. Gerade deswegen müssen wir gemeinsam dorthin zurück!“ Es ist 11 Uhr nachts und doch scheint seit dem Mittag ein Jahrhundert vergangen zu sein. Ein inneres Beben hatte uns scheinbar alle ergriffen, noch herrschte angespannte Stille, weil man auch nicht wusste, wem man wirklich trauen, wer einen verraten konnte. In dieser Nacht würden sich vermutlich bei der „Maria“ die Massen nicht mehr zusammenfinden, denn man hoffte jetzt auf die Unterstützung der Studenten, doch am nächsten Tag wird man wieder hingehen, man konnte den Pastor doch nicht allein lassen! Über 500 Unterschriften für seinen Verbleib hatte man schon und man machte sich und anderen Mut: „Nu vă fie frică, Ceauşescu pică!“ (Habt keine Angst, Ceauşescu fällt!)


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„Wir sind das Volk“ - die Wende vor 20 Jahren Peter Krier

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n unserer schnelllebigen Zeit haben viele schon vergessen, wie Europa und Deutschland noch vor 20 Jahren aussahen. Deutschland war getrennt durch Mauer und Stacheldraht, Minengürtel und Selbstschussanlagen, Europa war geteilt durch den Eisernen Vorhang, der Freiheit beraubt waren die Menschen im Osten Europas, der Willkür des kommunistischen Terrors ausgesetzt. Gewiss waren die ersten Nachkriegsjahre die schwersten für uns: Enteignung, Übersiedlung unserer Dörfer, Russlanddeportation, Baraganverschleppung, Rechtlosigkeit, Unterdrückung, Armut. Nach Stalins Tod folgte allmählich eine leichte Verbesserung, ein bisschen mehr Freiheit, etwas bessere Versorgung der Bevölkerung, etwas mehr Rechte als Einzelne und als Gruppe, dazu kamen in den 60er und Anfang der 70er Jahre auch einige kulturelle Freiräume. Doch ab Mitte der 70er Jahre, als Ceauşescu die Schaffung der einheitlichen sozialistischen Nation als anzustrebendes Ziel verkündet hatte, betrieb das Regime eine prononcierte, stark chauvinistisch gefärbte Rumänisierungspolitik. Dazu kam die durch Größenwahn ausgelöste wirtschaftliche Katastrophe, die dazu führte, dass Energie und Lebensmittel streng rationiert wurden. Während das Volk hungerte und fror, umgaben sich der Diktator und sein Clan mit einem orientalisch anmutenden Luxus. Um den „Conducător“, den „Titan der Titanen“ wurde ein nie da gewesener Personenkult aufgebaut. Ein perfektes Unterdrückungssystem, gestützt auf den Parteiapparat, die Securitate, die Polizei und auf ein riesiges Netz von Informanten, erstickte im Keim jede auch noch so kleine freiheitliche Bewegung. Aufstände der Kumpel im Schiltal (1977), der Bauern in der Moldau oder der Arbeiter in Kronstadt (1987) wie auch jedes Aufmurren der Studenten wurden brutal niedergemacht.

Doch 1989 kam es zu einer Kettenreaktion in Sachen Freiheit in Europa. Mit dem tausendfachen Ruf WIR SIND DAS VOLK haben die Leipziger in jenem heißen Herbst 1989 den mächtigen SED-Staat aus den Angeln gehoben. Für eine Chinesische Lösung zur Rettung des Minen- und Stacheldrahtstaates war es am 9. Oktober zu spät. Millionenfach hatte die Leipziger Bewegung um sich gegriffen. „Wir sind das Volk“ riefen die Massen, und die Kommunisten standen auf der anderen Seite. Der Druck des Volkes hatte die Schandmauer gesprengt und den Stacheldrahtzaun niedergerissen, am 9. November 1989 war Mitteldeutschland frei. Zum 40. Jahrestag des „Arbeiter- und Bauern-Staates“ ließ sich Honecker noch als großer sozialistischer Volksführer feiern. Er hatte Gorbatschows „Glasnost und Perestroika“ nicht verstanden. Einige Wochen später stand er unter Hausarrest und sah seiner Anklage entgegen, mit ihm die Genossen Mittag, Albrecht, Mielke, Tisch u. Co. Auch Krenz musste gehen, „Wir sind das Volk und du gehörst nicht dazu“, riefen ihm die Massen zu. Einen besseren Sozialismus wollte er schaffen, niemand glaubte ihm. Der „real existierende Sozialismus“ war tot, „Wir sind ein Volk“, skandierten die Massen nun. Ein Jahr später war Deutschland in aller Form wiedervereinigt. Viel zu lange hatte dieser rote Terror in den Staaten Mittel- und Osteuropas gedauert. Das Jahr 1989 brachte die entscheidende Wende. Nach 8-jährigem Freiheitskampf, den Papst Johannes Paul II. massiv unterstützt hatte, wurde in Polen ein nichtkommunistischer Ministerpräsident gewählt. Die Tschechoslowakei befand sich im Umbruch, in Ungarn hatte sich die Kommunistische Partei selbst aufgelöst, auch in Bulgarien begann die Demokratisierung, allein in Bukarest standen die Uhren still.


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RĂźckblick

Oben: In der Wagnerei der Billeder Kollektivwirtschaft im Jahr 1953. Links Jakob Schneider, Schreiner und Josef Scholz, Wagnermeister Unten: Volksschulklasse des Jahrgangs 1949 mit Lehrerin Anna Diwo. Einsender: Angela Karl


Rückblick Doch es brodelte heftig, auch im Karpatenland, allein der zündende Funke fehlte. Diesen sollte der reformierte Priester Laszlo Tökes in Temeswar an jenem denkwürdigen 16. Dezember 1989 auslösen. Als die Securisten den widerspenstigen Pfarrer verhaften wollten, scharten sich die Menschen um ihn. Innerhalb einer Stunde waren es Tausende geworden. Ihnen schlossen sich massenhaft Studenten an. Tausende Demonstranten zogen am Abend des 16. Dezember 1989 zum Kreisparteikomitee, sie riefen „Freiheit“ und „Nieder mit Ceauşescu“. Es kam zu Zusammenstößen mit der Miliz, Demonstranten wurden verprügelt, verhaftet, doch die Menschen wichen nicht, zehntausende blieben fast die ganze Nacht unterwegs. Wasserwerfer, Gummiknüppel und letztlich auch Panzer können sie nicht aufhalten. Am 17. Dezember kommt es zu einem Massaker vor der Kathedrale, niemand weiß, wie viele Tote es gab. Die bewaffnete Staatsgewalt schlägt zurück, die ganze Stadt ist von Soldaten, Polizei und Securisten durchsetzt. Die Wut und der Mut der Unterdrückten steigen. Am Montag, dem 18.11.1989, wird erneut demonstriert. Militäreinheiten ziehen auf, wieder fahren Schützenpanzer den Demonstranten entgegen, wieder wird geschossen, wieder gibt es Tote, Verletzte, Verhaftungen. Doch die Aufständischen bleiben standhaft und die örtlichen Statthalter Ceauşescus beginnen zu wanken, sie verhandeln mit den Aufständischen, wollen Zeit gewinnen. Die Demonstrationen gehen weiter. Am Dienstag kommen die Arbeiter aus den Fabriken dazu, es sollen über hunderttausend auf dem Opernplatz gewesen sein. Die Soldaten fingen an mit den Aufständischen zu reden, es kam zu Verbrüderungen mit dem Volk. Der Aufstand von Temeswar hat sich im Land verbreitet, hat übergegriffen auf Hermannstadt und auf Bukarest. Am Donnerstag waren über zweihunderttausend Menschen auf dem Opernplatz in Temeswar. In Bukarest versuchte Ceauşescu mit einer massenhaften Gegendemonstration, seine Haut zu retten, doch

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diese schlägt in das Gegenteil um, statt Beifall fliegen dem „beliebtesten Sohne des Volkes“ Steine entgegen. Die Armee zieht sich zurück, Ceauşescu flüchtet, wird gestellt und mit seiner Frau abgeurteilt und hingerichtet. Die Revolution hat gesiegt, auch Rumänien ist am 23. Dezember 1989 frei. Eine neue Zeitgeschichte beginnt. Wir haben nicht gewusst, wann diese Wende unserer Zeitgeschichte kommen wird. Dass eine Wende käme, haben wir immer gehofft. Ohnmächtig mussten wir uns 45 Jahre der Tyrannei beugen und als dann die Freiheit kam, haben nur wenige gewagt, in der Heimat einen Neuanfang zu starten. Die große Mehrheit der Deutschen aus Billed und dem Banat hat die gewonnene Freiheit genutzt, um nach Deutschland auszusiedeln, es kam zum Exodus der Deutschen aus dem Banat und aus Siebenbürgen. Aus Billed sind in den ersten Monaten nach der Wende fast 600 Deutsche ausgesiedelt, aus Rumänien waren es zur gleichen Zeit 111.000. Es war eine freie Entscheidung, so wie sie die Vorfahren vor 225 Jahren getroffen hatten. Eine endgültige Entscheidung zwischen Vaterland und Mutterland, zwischen Heimat und Nation.


Rückblick

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Freiwilliger Arbeitseinsatz - Munca patriotică Eine Methode des sozialistischen Rumäniens, Geld auf dem Rücken der Staatsbürger einzusparen Wilhelm Weber

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m sozialistischen Rumänien und somit auch in unserem Billed war es zur Regel geworden, dass mit der sogenannten „Munca patriotică“, mit patriotischem Arbeitseinsatz, also mit unbezahlter Arbeit, verschiedene Aufbau-, Verbesserungs- und Verschönerungsarbeiten durchgeführt wuden. Wo es eigentlich die Pflicht des Staates gewesen wäre, mussten die Bürger ohne Bezahlung, sozusagen als patriotischen Beitrag, diese Arbeiten verrichten. Auf diese Weise wurde bei uns in Billed und auch anderswo an vielen Fußwegen die alte Ziegelsteinpflasterung entfernt und durch einen Betonbelag ersetzt. Da die Gehwege bei den Übergängen an den Straßenkreuzungen durch die Traktoren zerstört und zerbröckelt waren, wurde an diesen Stellen das Überqueren von einer Ecke zur anderen besonders an Regentagen sehr beschwerlich. So watete man durch den Matsch und verschmutzte sich die Schuhe bis obenhin mit Schlamm. Besonders die zur Arbeit nach Temeswar pendelnden Dorfbe-

wohner, die oft auch im Dunkeln solche Stellen passieren mussten, waren davon betroffen. Deshalb wurden diese Übergänge im freiwilligen Arbeitseinsatz der Anwohner solcher Straßenpartien mit einem Betongehsteig versehen. Diese zwei Fotos dokumentieren einen solchen freiwilligen Arbeitseinsatz, durch welchen im August 1970 der Übergang in der Kirchengasse von unserem Haus Nr. 202 zum Haus der Frau Mann (Kuhns Wess Nani) Haus Nr. 216 betoniert wurde. Gegen solche Arbeiten, die nur in der Freizeit der freiwillig Beteiligten stattfinden konnten, aber sinnvoll waren, konnte man nichts einwenden. Doch es gab oft Arbeiten zu bewältigen, zu welchen man sogar seitens der Behörden verpflichtet wurde, die wenig Sinn hatten und nur mit Unwillen angegangen wurden, besonders wenn jedem das Arbeitsvolumen vorgemessen war. Das war wirklich nicht mehr freiwillig zu nennen, sondern ausgesprochen ein Zwang.


RĂźckblick

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Linke Seite: Die Altgasse im Winter 1984. Foto: Hans Rothgerber Die Fotos oben und unten dokumentieren einen solchen freiwilligen Arbeitseinsatz, durch welchen im August 1970 der Ăœbergang in der Kirchengasse von Haus Nr. 202 zum Haus der Frau Mann (Kuhns Wess Nani) Haus Nr. 216 betoniert wurde. Fotos: Wilhelm Weber


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Dichtung - Dialekt

Elisabeta Weber, geb. Eichert, mit ihrer Tochter Katharina Schortje, geb. Weber Aufnahme ca. 1920. Eins: Maria Schortje-Sommer


Dichtung - Dialekt

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Ich wünsche dir Zeit Elli Michler

Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben. Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben: Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen, und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.

Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken, nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken. Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen, sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.

Ich wünsche dir Zeit – nicht nur so zum Vertreiben. Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun, anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schaun.

Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen, und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen. Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben. Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.

Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden, jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden. Ich wünsche dir Zeit, auch um Schuld zu vergeben. Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben !

www.ellimichler.de und www.elli-michler.childrentooth.de

Aus: Elli Michler, Dir zugedacht, Wunschgedichte, © Don Bosco Verlag, München, 19.Aufl. 2004


Dichtung - Dialekt

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Glocken meiner Heimat Gisela Umbach (Steineberg) An jedem Morgen in der Früh ertönt im Dorf der Glocken Schlag, denn hoch vom Kirchturm rufen sie, dass nun beginnt ein neuer Tag.

Nun hört ihr Menschen, horchet auf, wenn sonst die Glocke noch erklingt, wenn uns ein Kindlein wird getauft und sie das Lied der Liebe singt.

Zum Mittag kündet ihr Geläut das große AVE an. Mit diesem Gruß in jener Zeit der Engel zu Maria kam.

Und wenn zu ungewohnter Stunde sie wieder unsre Glocken läuten, bekommen alle davon Kunde und wissen bald, was das bedeutet.

Sie bringen uns den Feierabend und läuten ein das Nachtgebet und wollen allen Menschen sagen, dass nun der Tag zu Ende geht.

Ein Mensch ist von uns fortgegangen und schloss sein Aug‘ für immer zu und seiner Heimatglocken Klänge geleiten ihn zur ew‘gen Ruh.

Sie künden uns, wenn Sonntag ist und rufen jeden zum Gebet, der wegen seiner Christenpflicht zur heil‘gen Messe geht.

O Herr, lass unsre Glocken läuten ganz lange noch, tagaus, tagein und lass sie stets zu allen Zeiten nur Friedensglocken für uns sein!

In glücklichen Tagen... In glücklichen Tagen ist niemand allein, da stürmen die Freunde zur Tür herein und feiern mit dir voll Übermut, da denkt jeder, die meinen es gut, doch bedenke, es kommen auch schwere Zeiten, erfüllt von Sorge und Not. Werden die Freunde dich dann noch begleiten, die Treue versprachen bis in den Tod? Meistens kehren sie nie mehr zurück, denn dich verließen Gesundheit, sprich: Glück. Wäre nur einer, der bei dir bliebe, dann gäbe es Glauben an Freundschaft und Liebe! (eingesendet von Jakob und Lissi Müller)


Dichtung - Dialekt

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Weihnachtsgedanken Hermine Schnur

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er Advent – im Lateinischen heißt dies Ankunft – ist eine Zeit voller Zauber und voller Geheimnisse. Die Natur zeigt sich uns kahl und leblos, im Idealfall verdeckt Puderschnee ihre Kargheit. Dagegen setzen wir ein Lebenszeichen, indem wir unsere Wohnungen mit frischem Tannengrün und Adventskränzen schmücken. Diese sollen uns Mut machen in einer Jahreszeit, in der nichts mehr wächst und gedeiht. Wir wollen damit zeigen: Wir kommen trotzdem auf einen grünen Zweig. Diese Redewendung stammt aus dem Mittelalter: Wenn jemand ein Grundstück erwarb, bekam er dazu einen grünen Zweig. Im Laufe der Jahrhunderte kam jedoch ein Bedeutungswandel hinzu, nämlich dass einem etwas gelingt, dass man etwas sinnvoll zu Ende bringt. Die uralte Sehnsucht des Menschen nach einem bunten, aber auch bewussten Leben kommt hier zum Ausdruck, das menschliche Bedürfnis nach Wachstum, Erneuerung und Gelingen. Wenn wir uns jetzt im Advent auf all dies einlassen, dann machen wir uns auf den Weg nach Weihnachten und spüren, wie uns dieser neue Mut („grün ist die Hoffnung“), der Glaube an das Gute im Menschen, auf die Welt gekommen durch die Geburt Jesu, die Hoffnung auf ein erfülltes und gelingendes Leben ein wenig verzaubern und verwandeln. Wenn wir dann vielleicht am Heiligabend in die Kirche gehen, um der Weihnachtsgeschichte zu lauschen und die alten Weihnachtslieder zu singen, dann wird die Menschlichkeit Jesu in unserem Leben vielleicht greifbar und begreifbar. Und die Weihnachtsgeschichte erzählt auch von Taten und Träumen, von Stille und Staunen, von Wünschen und Wartenkönnen, von Vertrauen und Nächstenliebe.

Auch das macht den Zauber der adventlichen Zeit aus. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für das bevorstehende Weihnachtsfest viele Momente der Ankunft bei Ihnen selbst, des Innehaltens und des Atemholens für die Seele, sowie für das Neue Jahr, dass Sie immer auf einen grünen Zweig kommen mögen.

Großmutter Katharina Thöresz mir ihren Enkelkindern: oben Braun Josef 506, Schiller Johann 523; Mitte: Braun Johann 306, Schiller Wilhelm 242; unten: Thöresz Nikolaus 352, Thöresz Josef 252. Eins.: Katharina Thöresz


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Dichtung - Dialekt

Kindergarten mit Kindern der Jahrgänge 1953-1954-1955 und den Kindergärtnerinnen Frau Weber und Frau Rosi. Einsender: Angela Karl Heilige Kommunion am 22.04.1974 mit Pfarrer Ladislau Dietrich. Foto: Archiv


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Noch hält die Gemeinschaft uns fest Gertrud Kopp-Rüb (Eins. Helene Neumayer, geb. Feiler) Längst haben wir Heimat gefunden und fühlen uns wieder zu Haus‘, doch immer noch strahlen die Stunden, da wir einander verbunden, uns tiefes Beglücken aus. Längst haben wir Wurzeln geschlagen und in eine Zukunft gebaut, doch in unserm neuen Behagen wird aus verflossenen Tagen noch stets ein Erinnern laut. Längst sind wir hineingenommen in unseres Volkes Bestand, doch immer noch wird uns beklommen,

wenn wir zum Beisammensein kommen und spüren das heimatlich Band. Längst möchte wohl keiner mehr tauschen mit dem, was vor Zeiten einst war, doch immer noch stehn wir und lauschen, wenn Quellen der Heimat uns rauschen, vertraut, unverwechselbar. Längst müssen wir alle erkennen, wir haben zu danken so viel. Wir dürfen uns glücklich nennen und neu uns zur Heimat bekennen, wir sind nun daheim und am Ziel.

Kannscht du dich noch erinnre? Mathias Kandler (Johannisfeld) Kannscht du dich noch erinnre, wie mir als Kind han gspielt in unsrem Hof, im hinre, uf Spatze han gezielt? Wie schnell sin mir doch damols beim Fangchesspiele gerennt. Kannscht du dich noch erinnre, wie Staab an Bloßfieß brennt, wann am Banater Himmel die Sunn ke Gnad meh kennt? Kannscht du dich noch erinnre an Korn- un Kroteblume un wie in eener Reih die Gäns mied vun der Kaul hemkumme? Kannscht du dich noch erinnre, wie die drei Glocke klinge, un wie hoch im Hof beim Reene die Schwowegretle springe?

Kannscht du dich noch erinnre, wie Akazebliehe schmecke, ans Fußballspiele, an die Katschkei un de Stecke? Un an des, was sunscht noch war? Mol war ich Raawer, mol warscht du Schandar. Ich kann mich gut erinnre! An des un vieles meh. Mir is, als wär‘s erscht gischter, dass ich dorch‘s Gässel geh. Ich wees, es is voriwer un eigentlich Sind un schad. Ich fahr nor ungere niwer, mir fremd is mei Banat!


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Die „Kuhhalt“ vor dem Dorfeingang in die Sauerländer Gasse im Sommer 2009

De Ota un de Tierpark Otto Aczel Am Sunntach han die Kiner wille im Tierpark ihre Neigier stille. Sie han de Ota scheen gebitt der is halt in de Tierpark mit. Die Oma hat ne nochher gfroot, wie sei Besuch is dort gerot, wel er so lang wor fortgeween, ob‘s richtich wor so arich scheen? De Ota, frieher im Banat, hat traurig dann zur Oma gsaat: „Es sin schun scheeni Viecher do, die Zeit is ziemlich gschwind verfloo. Am beschte awer hat‘s mer gfall vor vieli Johr derhem im Stall, wie do die Pheer noch wore gstan, die ich mer selwer gfiedert han un newedran die bravi Kuh; die is gemolk gin morjets fruh un oweds noh der Arweit aach, hat zwanzich Liter gin am Tach. Die Hingle sin im große Hof

mit Gäns un Ente rumgelof. Beim Tierl hat ke Klingl gschellt, wel unser Tacki hat gebellt, wann eener hat die Schleng beriert un rein zu kumme hat prowiert. Am Rachfang, hoch bal wie die Kerch, han sich gebaut es Nescht die Sterch. Es Haus wor immer voll mit Katze un unser Quetschebaam mit Spatze. Die Schwalme han ihr Nescht sich gschickt im Gang an de Plafon gephickt un ufm Bode, iwerm Stall, dort han mer immer Tauwe ghal. Ke Winter hat net derfe sein, wu net sin gschlacht gin drei-vier Schwein un wu die Ferklche sich froh gewenzlt han im warme Stroh. Wie dann voriwer wor de Kriech, wor aus aach mitm eigne Viech. Wann ich so denk jetz driwer noh, dann is ke Troscht for mich de Zoo.“


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Wann de Stollemunges un de Hillseblitz Broikes mache Erika Weith, geb. Leidecker

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icht nur das Spitzmaulnashorn, die Knoblauchkröte und der Brillenbär sind vom Aussterben bedroht. Auch Pflanzen wie der gelbe Enzian, der stechende Mäusedorn, der Sonnentau und der Fieberklee müssen vor dem Aussterben bewahrt werden. Als im Jahr 2005 ein Buch mit dem Titel „Lexikon der bedrohten Wörter“ erschien, war meine Neugier groß, welche Begriffe der Autor Bodo Mrozek uns vor dem Verschwinden noch mal vor Augen führen wollte. Er nennt viele Wörter für Dinge, die es nicht mehr gibt, Begriffe, die nur noch selten benutzt werden oder Wörter, für die es inzwischen andere Bezeichnungen gibt. Hier eine kleine Auswahl. Backfisch: Bezeichnung für ein halbwüchsiges Mädchen; Aussteuer: Brautausstattung; Affenzahn: sehr schnell oder mit Vollgas unterwegs sein; Eiserner Vorhang: bei diesem Begriff ist es nicht schade, dass er vergessen werden kann; Sommerfrische: das wohlklingende Wort wurde dem schnöden Begriff Urlaub geopfert. Nun gibt es nicht nur im Hochdeutschen das Phänomen der verschwindenden Wörter. Auch im Schwowischen bzw. Billedrischen gibt es genügend Beispiele für ausgestorbene und bedrohte Wörter. Ich habe gesucht, gefragt, mich umgehört und dann gesammelt. Herausgekommen sind zwei Arten von Wörtern. Es gibt die ausgestorbenen billedrischen Wörter für Dinge oder Personen, die es nicht mehr gibt, weil sich die Lebenswelt der Schwowe geändert hat. Und es gibt die Gruppe der Wörter, die von neueren, anderen oder von Wörtern aus der Hochsprache ersetzt wurden. Schauen wir uns die erste Gruppe mal näher an. Hier handelt es sich hauptsächlich um Wörter aus dem bäuerlichen Arbeitsbereich und der heimischen Lebenswelt. Wer kennt heute noch den Strohsack, der als Matratze diente und der mit Lieschen, den Blättern der Maiskolben, gefüllt war. Wenn Wolle zum Spinnen fertig gemacht wurde,

nannte man das schlumpe und das Pedal, das beim Spinnen das große Rad antrieb, war das Teppermännche. Das Gestell am Ende des Pferdewagens wurde Schraagl genannt. Der Dallika war ein kleines Gespann mit einem Pferd und einem Wagen mit nur zwei Rädern. Wurde der Acker stufenweise tief umgeackert, hat man regolt, das kommt vom französischen Wort rigole für Rinne. Der Wächter auf dem Feld war der Gornick, ein Wort aus dem französischen corne = Tierhorn, das aus der Militärsprache ins Schwowische kam. Der Zallasch, vom ungarischen szállás war in Billed der nicht überdachte Teil des Schweinestalls, als Auslauf für die Schweine. Der Gwannewech war der schmale, nicht gepflasterte Weg zwischen den Ackerparzellen. Der Begriff Warschhaus kommt aus dem ungarischen város für Stadt, also das Rat- oder Gemeindehaus und der Gemeindediener war der Glerchter, auch Kleinrichter genannt. Auch die Kaul ist aus dem aktiven Wortschatz verschwunden. Das war eine mit Grundund Regenwasser gefüllte Grube, meist am Dorfrand, die durch den Aushub von Lehm und Sand für Baumaßnahmen entstanden war. Hatscheloi wurde jemand genannt, der wie eine Ente watschelte. Peter Klein, der ein wichtiger Wörterlieferant für mich ist, hat mich auf das Wort Zikreet aufmerksam gemacht. Dabei handelt es sich um das stille Örtchen. Ich denke, dieses sehr alte und schon lange nicht mehr gebrauchte Wort kommt vom französischen Wort secret, Geheimnis, also ein eher geheimer, verborgener Ort. Auch den Äpplmoj gibt es nicht mehr. Der rumänische Bauer, der ins Dorf kam, um Äpfel zu verkaufen war der Äpplmoj, wobei moj auf das rumänische măi zurückgeht, das so viel wie heda, hör mal bedeutet. Die zweite Gruppe der untersuchten Wörter ist noch größer, denn Wörter veralten, werden


92 durch neuere oder durch hier in Deutschland verwendete Begriffe ersetzt. Das ist natürlich eine individuelle Entwicklung, denn manche Leute sprechen noch ein sehr ursprüngliches Billedrisch, andere vermischen die Sprachen mehr und die jungen Leute kennen den Dialekt oft nur noch vom Sprechen der Eltern und Großeltern und sprechen den Dialekt der jeweiligen Regionen, wo sie aufgewachsen sind oder eben auch hochdeutsch. Deshalb will ich hier nur einige Wörter anführen, die meiner Meinung nach bedroht sind und es wert sind, ins Gedächtnis zurückgerufen zu werden. Die Anrichte im Zimmer war die Kredenz, ein Wort mit italienischem Ursprung. Der Ulaker ist ein einfaches federloses Taschenmesser. Paschtur ist eine außergewöhnlich große und dicke Person. Die Grundierfarbe der Zimmermaler war der Stritzl. Wenn etwas die Kehle herunterläuft, „noht rennt et dorch die Stross“. Bin ich wählerisch, dann bin ich schnausich oder haaklich. Ist ein Mensch oder eine Pflanze in die Höhe geschossen, dann bezeichnet man das als schnookich. Quengeln Kinder, sind sie phinazich. Ein kleines Mädchen kann eine Urschl sein. Und ein schon größeres Mädchen, das noch etwas kindisch ist, ist eine Kulei. Hat jemand eine Glatze ist er plackich. Mache ich ein Nickerchen „noht tun ich lunze“. Netze hat zwei Bedeutungen, es kann das Gießen im Garten sein oder das Erstellen einer Handarbeit. Stumbatzmilich wurde die Wolfsmilch genannt. Der Saft dieser Pflanze wurde bei kleineren Verletzungen der Haut als Wundverschluss eingesetzt. Der Gänserich ist der Ganauser. Gehe ich über einen Steg oder eine kleine Brücke, „gehn ich iwwer et Puntche“. Das kommt vom französischen Wort Pont für Brücke. Ebenfalls aus dem Französischen kommen der Plafon, plafond, für Decke und Bizickl, bicyclette, für Fahrrad. Ist mir etwas nicht gelungen „han ich et vermegajt“ und ist etwas nicht eingetreten, womit ich aber gerechnet habe „han ich et verhoppasst“. In der Schule gab es früher in den Rechen-

Dichtung - Dialekt heften das Kotskapapier. Werner Gilde hat mich auf dieses Wort aufmerksam gemacht und wir haben gerätselt, ob es etwas mit dem Architekten Theodor Kotska zu tun hat. Nun mit ihm direkt nicht, aber mit seinem Nachnamen. Kotska heißt nämlich im Ungarischen Würfel. Also ist das Rechenpapier einfach ein „gewürfeltes Papier“. Ein Würfelspiel wurde auch Kotskaspiel genannt. Ein kariertes Hemd und das Schachbrett waren jedoch eckstänich. Breincher ist der Patschkukuruz, der beim Erhitzen leicht bräunlich wird, aber nicht aufplatzt. Futtilcher sind kleine, längliche, braune Kletten, die sich besonders gern in der Wolle der Schafe, an den Kuhschwänzen und auch an der Kleidung der Menschen festgehakt haben. Nun habe ich noch eine wunderbare Aufzählung von Begriffen, die alle einen Menschen bezeichnen, der - vorsichtig ausgedrückt - nicht besonders angesehen ist, manchmal mehr ein Landstreicher, ein liederlicher Mensch, ein Schlitzohr oder auch nicht so besonders hell im Kopf: Betjar, von ungarisch Wegelagerer; Lapetatche, von rumänisch lepadatul, ein liederlicher Mensch; Tschipeeser, ungarisch Lausbub, jemand aus der Stadt, mit zweifelhaftem Ruf; Luheni und Lappes sind Lümmel; Falott ist ein heruntergekommener Mensch; der Bolund ist ein Narr und der Drotosch ein Depp. Der Galljerstrick ist ein Schlitzohr und Kharnaali ist ein Miststück.Der Hillseblitz ist ein einfältiger Mensch und der Stollemunges ist grobschlächtig oder wie die Billeder sagen „de is mitm Beil zughackt“. Und wenn die zwei auch noch angeben, dann machen sie Broikes. Auch diese Auflistung von bedrohten schwowischen Wörtern zeigt uns wieder die Vielfalt, Kraft und Schönheit unseres Dialekts. Deshalb werde ich mich weiter bemühen, den Dialekt zu beschreiben, die Wörter aufzuzeichnen und alle Dialektsprecher immer wieder fragen und mir die Wörter vorsprechen lassen. Drum, liewe Leit, sin ich schon ganz äppltänzrich un wart uff Eir Werter un Beitreech.


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Gnä` Frau, de gnä‘ Rock es... Elisabeth Martini (Frick)

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t häscht, mr es dann erscht werklich tot, wann kä Mensch meh an em denkt, wann nex meh an em erinnert, nex iwrich geblieb es: Materielles odr Ideelles, z.B. aa Sprichwärter, Wendunge, Vergleiche usw. An die Großeltre erinnert mr sich meh odr wenicher, je nohtem wie lang se gelebt han, wie se waare on was se gemach han. Mei Urgroßi z.B. es 96 Johr alt gen, waar aus Großetsche on for mich nor die Altgroßi, wo emmer en ehrem Lehnstuhl gsetzt hat, bes se gstorb es. An mei Fischer-Großvatr kann ich mich fascht gaar nimmi erinnre, nor dass ne mei Großi em Stich geloss hat, well ne sich gäre verwehne geloss hat on in Ruh sterwe hat welle, was vill zu frieh passeert es. Mei Großi waar e schlank on aarich fleißich Fraa, awer zu eifersichtig, was ihre etwas jingere Mann ausm Haus getrieb hat. Mich hat se am Anfang weger dem Vermehe aa net welle, hat mr zwaa Kepp gewinscht, was dann doch net passeert es. Späder hat se mr emmer etwas metgebrung, wann se zu ons in die Altgass komm es: Agratzle, Veiglcher, Bonbons aus dr Stadt, well se doch Tuwak hat schwärze misse, dass se hat lewe kenne en der schwer Zeit, wo mr all enteignt waare. Sie hat et schwer ghat schon als jung „Fremdaarweiderin“ en Amerika (Brunswick), wo se mei Großvatr gheirat hat on wo mei Mama of die Welt komm es, awer aa späder drhem en Billed, nor sie hat et aa anre net leicht gemach. Ich gehn awer doch emmer an ehr Grab, sorch drfor, dass et en Ordnung es, lee an Allerheiliche a Kranz hin on brenn e Kärz aan. Mei Vatr hat e aarich schwer on korz Lewe khat. Met mer waar ne awer zu streng, well ne gsien haad, dass verwehnte Khenner z.B. en Russland on em Baragan droffgang sen odr et aarich schwer haade. Alles han ich lehre solle, on genau on ordentlich alles mache – gelobt hat ne mich nie. Er war aa aarich genau en allem

on hat so e scheen Schrift ghat, wie gemolt. Aa de Gehl Jani hat sich was abgschaut, on manche behaupte, ich hätt aa was metgritt. Awer ich waar kä Bu on er hätt met mer net so streng sen misse, das hat mich ängschtlich gemach, wenicher selbschtsicher mei ganz Lewe lang. Mei Mama awer waar de Mensch, wo mr am nächschte waar, bes de Hans komm es. Mer zwaa denke oft an sie, well aa de Hans on sie sich beschtens verstan han, nor manchmol hätt se halt meh Pinktlichkeit – wie bei ons – von ihm erwaart, awer dann gement: „E gut Ausred“ - on die haad ne emmer - „es e Läb Brot wert“. For sie on mei Taata waar die Aarweit die Hauptsach on aa das Hauptkriterium, no dem mr die Leit engschätzt hat. So hat sich ehrer Mänung noh so manche zu Tod geaarweit, anre han nie em Lewe e Streck verress, sich also nie iwerfodert on liewer „en die Hänn gschpauzt on of die Aarweit g....“ Odr gemach wie de, wo an sei Steck gang es on gsaat hat: „Ich iwergsien dich, ich iwerschau dich: Hack dich!“ on sich for schlofe ant End geleet hat. Nateerlich hat de Spruch nex gholf, et Unkraut es friedlich weider gewachs wie en re richtich Lotterwärtschaft. Wann mol net so vill zu toun waar, hat mei Mama gsaat: “Korze Hoor sen schnell gepärscht.“ Von handwerklich gschickte Leit hadet ghäsch: „Was dem sei Aue gsien, khenne sei Hänn mache.“ Odr aa das Gegentäl: „Was das mit de Hänn macht, wärft et mem A... rom“. Schwärmerei on unrealistisches Denken wies sie kategorisch ab: „Winsche on forze kann mr em Leie“, ohne Aanstrengung. Awer for gut aarweide hat mr frieher aa gut esse misse on manche Bauer hat sei Knechte zuerscht esse geloss, well ne iwerzeit waar, wie se esse, so aarweide se aa. Schwer Aarweit waar de Schnitt on em Herbscht et Kukruzbreche, was sich dann aa em Esse verdeitlicht hat: „De phackt en wie e Kukruzbrecher“.


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Schulausflug des Jahrgangs 1949 im Jahr 1960 in einem Stadion in Bukarest. Eins.: A. Karl Witzich es nateerlich aa: „De es kä schlechte Esser, awer e gude Trenker.“ Zum gude Zug am Hals hadet ghäsch: „Das laaft wie en e Kretscheloch“. Vom Esse hat mr gewesst: „Kraut fillt em Bauer die Haut“, „Speck dreckt weg“, „Wer lang souppt, lebt lang“, „Vom Kraut geft mr scheen“, „Wasser zehrt“, macht Appetit. Wann etwas net ganz ändeitich waar, es gsaat gen: „Naja, et hängt halt ab, wie et fallt“, was of die Gschicht met dr Trepps zuruckgeht: E Fraa hat nämlich Nudltaaich gemach, wie e Gascht komm es und sie hat drbei e Trepps an dr Naas ghat. Zum Nudlesse engelaad, hat de Gascht diplomatisch gemennt: „Hängt ab, wie et fallt.“ Die Trepps nämlich: Fallt se of de Taaich, bleibt ne net; fallt se net, esst ne gäre met. Beim Koche han mei Mama on ich oft an die Neirohrs denke misse, unser Nochbersch, wo ich eigentlich nimmi gekennt han, die awer en so Sprich weidergelebt hat. En Amerika hat se aangeblich en 32 Phanne Phannekuche geback on das es gang: „Do renn, do raus!“, was ons beim beschte Welle net gelung es. Iwer ehre Mann, wo en de Kavallerie waar, hat se verzählt, dass ne langscht geritt es, wie se of dr Gass waar, se gsien on ausgeruf hat: „Du schwarzer Rabe, du gehörst mir!“ Billedrisch häscht das: „Du schwarz Kraak, du gheerscht mer!“

De Khenner hat mr frieher beim Esse net plaudre misse, die haade vom Romtowe sowieso e gsunde Appetit odr waar et klor: „Wer net well, de hat; wer net esst, es satt“. So am Teller odr an dr Schessl romlecke, hat mei Mama abgetoun met: „Wer sich net satt esse kann, kann sich aa net satt lecke“. Wann dann vom Gekochte noch iwrich geblieb es on mr das en etwas Klänes hat toun misse, han ich manchmol gement: Das geht doch net nin! Do hat se nor gsaat: „Das geht net nin, das muss mr nin toun!“ On sie hat e verdammt gut Auemoß ghat, en allem. Gewitzlt han mr awer: „Auemoß wie e Wildschwein“ odr „Dreimol abgschniet on noch zu korz“. Wann etwas ofgschlicht es gen, had et ghäsch: „Äns halt das anret, bis die Kuh em Keller leit“ wie bei dem Billeder, wo das emmer praktiziert hat. Sen die Khenner vom Spille zu spot hemkomm on waare hungrich, hat et bei manche Leit ghäsch: „Et Esse schloft schon“, weil mr halt zu Pinktlichkeit hat erziehe welle. Bei ons es das wahrscheinlich net passeert, well ich Ängschtre vor meim Taata haad.Wann de nor sei Hand an sei Hoserieme getoun hat, waar ich et braavscht Khend, zu braav aus jetzicher Sicht. Mei Mama hat aa e ganz sichres Zeitgfiel ghat, hat emmer gewesst, wievill Uhr et es


Dichtung - Dialekt on hat sich aarich selten verschätzt. Sie hat aa ohne Wecker zu gewinschte Zeide ofstehn khenne, ehre enwenzich Uhr hat se geweckt. On sie waar e praktisch Fraa, wo aa länich de Diwan uner de Arm ghol hat, wann sonscht khäne drhem waar beim Sauwermache. Drom hat se aa nex ghal von dene Owergscheide, wo nur romrede on selwer nex mache. En dr Blumegass waar mol e Zugwannert, die das Billeder „Owergscheide“ zu „Erschtescheide“ omgformt hat, was mer dann em Witz aa gebraucht han on gut lache han khenne. Waar jemand iwerheblich on ungerecht, hat mei Mama nor gsaat. „Dem sei Baam wachst aa net en de Himml“ on sie hat Recht ghat, bes jetz es käm sei Baam en de Himml gewachs. Wann et om die Scheenheit gang es, waar mei Mama recht gemäßicht-tolerant, so etwa: „Das kann aa met dr Halt laafe“, was eigentlich bedeit, dass et jo aa net offallt uner de anre, net außergewehnlich es. Außerdem waar mr iwerhaupt dr Mänung: „Nex halt ewich, de schenschte Jud werd schäwich“. Es de Unerock odr et Himmet rauskomm, waar „die Friehmess länger wie et Hochamt“.Waar of dr Gass odr sonschtwo etwas los on die Leit waare neigirich, hat‘s ghäsch: „Nor noh met dr Latt!“, schaue, was los es, metmache. Wann ich mr als Khend de Arm odr et Knie ofgschlaa han, hat mei Mama mich getrescht: „Häle, häle Katzedreck, bes morje frieh es alles weg“ odr mer han änfach „Affefett“(Spauz) drof getoun on alles waar nohml gut: „Bescht heiratscht, gsitt mr nex meh“. Hat e klän Khend geniest, hat mr „Gott sehn (segne) dich“ gsaat, waar mr schon greßer: „Helf Gott“, nor do han mr ons „Xundheit“ aangewehnt, was aangeblich aa nimmi „in“ es. Zimperlich es et bei ons net zugang, die Aarweit waar am wichtichscht, jed Khend hat jo sowieso 7 Kilo Dreck esse misse (Es gsaat gen!).Vielleicht haade mr drom kä Allergie, awer e gsunde Appetit. Han ich mich vor etwas geeklt, hat‘s ghäsch: „Schau nor schau, der gehdet wie dem Her-

95 rischet.“ „Na wie dann?“ „Das hat sich ofm Klosett beim Abputze die Fengre verschmeert on sich drom die Fengre abhacke welle. Wie et awer metm Beil e bissi drofgschlaa hat, hat das aarich weh getoun on et hat die Fengre schnell ent Maul gstoppt.“ Drno waar ich aa kuriert, net nore das Herrischet. Waar mr leicht aangezoo odr nor em Schloofhimmet, es et vorkomm, dass de Rock odr et Himmet beim Offstehn em Allerwertschte phicke geblieb es. Noh hat‘s gkäsch: „Gnä Frau, de gnä Rock es em gnä Arsch“, so wie das heflich Dienschtmädche angeblich sei Herrin ofmerksam gemach hat. On oft mecht ich aa jetz em Bus odr en dr „Elektrisch“ mancher zurufe: „Gnä Frau, de gnä Rock es...“ On noch etwas hamer vom e Dienschtmädche iwerhol, das wo sich net iwer die Moß ausnitze hat geloss on seiner Herrin gsaat hat: „Morgen ist auch noch ein Tag!“, was mer nateerlich als „Morje es aa noch e Taach!“ net selten gebraucht han, wann mr schon mied waare von dr Aarweit. Wann et for manch äne zu unrechter Zeit gerehnt hat, hat mr ne noch ofgezoo (veräppelt): „Mach doch wie die Großetscher!“ „Na wie dann?“ „Wann et sudlt (nieselt), no losse se et sudle; on wann et stark rehnt, khenne se et net omhalle“ (nex degeger toun).Vom Wasser hat mei Mama aa gewesst, dass et kä Balke hat (kä Sicherheit geft), awer aa, dass mr vom Feier fortlaafe kann, net awer vom Wasser, was of die Gschicht met de zwaa junge Billeder zuruckgeht, die angeblich vor ner Iwerschwemmung an die Marascht geriet sen, awer nimmi zuruck komm sen. On well mei Mama kä leicht Lewe khat hat on sich als Zwaamol-Witwe oft länich hat dorchschlaan misse met drei Khenner, hat se e bsondres Selbschtwertgfiel entwickelt: „Wer mich net well, de well ich schon dreimol net“, was ich gut fen. So lebt mei Mama en meiner Art zu denke on zu rede weider, wann se aa schon fascht 30 Johr ofm Neigässer Kärchhof leit.


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Schmunzle (odr lache) metm Franz Gebel De Gascht Em Restaurant well e Gascht e Renderbroode esse, kann awer de Broode net metm Messer schneide. Er ruft de Kellner on saat: Dass ich statt me Renderbroode e Phärdsbroode gritt han, es jo en Ordnung, awer was sucht de Sattl of dem Broode??? De Hund E ofgeregte Mann schellt bei Millers, holt de Hutt vom nasse Khopp on froot: Kennt‘r net Owacht genn, wann D‘r Eier Blumme ofm Balkon netze tout? Awer sicher, saan die Millers. Awer em Wenter netze mer kä Blumme ofm Balkon, das waar sicher onser Hund! Et Windlwäsche Die Mottr beklaat sich iwer das täglich Windlwäsche vom kläne Hannes. Die fenfjährich Tochter Petra heert das on saat: Mutti, geff‘m Hannes kä Grießbrei meh, nor noch Milichphulver, noh brauchscht ne nor abstaawe. De Khanarivogl Kathi, de Khanarivogl es nimmi em Khäfich. Ja Hans, wie ich vor zehn Minute de Khäfich met‘m Staabsauger gereinicht han, waar ne noch do!!! De kläne Bruder De Seppi prallt sich bei seiner Lehrerin, dass ne e Bruder kritt. Ja von wo wäscht dann du das? froot die Lehrerin. Das es doch alles so abgemach: Vor zwaa Johr waar mei Mottr em Spitaal, no han ich e Schwester kritt. Jetz es mei Vatr em Spitaal... De Traam Kaarl, glaabscht du an e Traam? Vor 50 Johr han ich noch draan geglaabt, awer jetz nimmi, well ich met dem Traam verheirat sen!

Raaferei De Hansi ruft sei Nochbr om Hilf. De kommt on froot, was los es. Do saat de Hansi: Schau mol, dort raaft mei Vatr met me Fremme. Welche es‘n dei Vatr? froot de Nochbr. Das tät ich aa gäre wesse, saat de Hansi. Die Kur Herr Dokter, ich mecht gäre e Kur mache, die därf awer net zu teier sen. Das es doch kä Problem, saat de Dokter. E Hungerkur met ämol esse am Taach es bestimmt net teier! Kisse Klaus, schau mol dort niwer, wie die zwaa sich kisse, on das jede Taach! Kennscht du das net aa mache? Awer Lissi, ich kenn die Fraa doch gaar net! Zu vill esse Herr Dokter, mei Mann esst zu vill, was soll ich mache? Das es doch ganz änfach, saat de Dokter. Koche se mol selwer on schecke die Kechin en Urlaab! Et Gsicht wäsche De Sepp kommt aus dr Aarweit on geht sich dusche. Zehn Minutte spädr geht‘n on wäscht sich em Gsicht. Sei Fraa gsitt das on froot, was‘n dann macht? Do saat de Sepp, dass ne beim Dusche vergess hat, sei Gsicht zu wäsche. Socke De Matz kommt en die Aarweit on sei Komraade lache. Was esn los met eich? froot de Matz. Ja du hascht jo am lenkse Fuß e groe on am rechtse e schwarze Socke aan. Das macht nex, saat de Matz.Sicher han ich noch so e Phaar drhem.


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Billeder Rentnertreffen 2009 Jakob Muttar

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s ist Tradition geworden, dass sich die Billeder Rentner jährlich zweimal im Haus der Heimat Karlsruhe treffen: einmal im April und einmal im September. Beim Apriltreffen waren 42 Personen anwesend, beim Septembertreffen waren 46 Personen dabei; an beiden Treffen waren die Frauen in der Mehrzahl. Nach der Begrüßung der Anwesenden durch Jakob Muttar und Dank an Johann Gehl für seine Initiative zur Gründung des Billeder Rentnertreffens, das jetzt schon 21 Jahre alt ist, trug Sepp Herbst an beiden Treffen Gedichte vor und berichtete über Billed sowie über Hei-

rat, Geburten und Sterbefälle der Billeder. Bei Kuchen, Bäckkipfeln, die bei einem schwäbischen Anlass nicht fehlen dürfen, Bier, Wein und Säften ging es fröhlich her. Es wurde viel über Gott und die Welt erzählt, dabei vergingen die vier Stunden viel zu schnell. Man ging gutgaunt nach Hause und freut sich schon auf das nächste Treffen. Für 2010 wurden die Termine auf den 21. April und den 23. September festgelegt, wie immer im Haus der Heimat Karlsruhe. Ich lade alle Rentner - auch jüngere sind damit gemeint – zu diesen, unseren, Treffen ein.


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10 Jahre Schlachtfest Adam Tobias

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999 wollten wir Musikanten an die schöne Zeit im Jahr erinnern, wo es was Gutes zu essen gab. Nach dem Moto „Musik, Worscht, on Wein“ wollten wir ein Fest gestalten. Wir nannten es Schlachtfest und boten unseren Landsleuten etwas, was sie kannten und was sie schätzten. Dazu noch „de gude Kuche“. Das macht sich alles nicht von selbst. Zu tun gibt es viel. Sehr viel. Spaß macht das unseren Metzgern und Helfern, das haben Sie vermutlich schon an dem Glanz in ihren Augen gesehen. Nun, nach 10 Jahren, ist das noch immer so, aber auch Zeit, um diese ehrenamtlichen Helfer zu ehren. Manche sind von Anfang an dabei, viele sind noch dazugekommen, andere konnten nicht mehr oder waren nur sporadisch dabei. Manche machten mehr, andere weniger. Einzelpersonen oder auch ganze Familien. Sie helfen mit und backen noch einen Kuchen und manche machen noch Musik. Da wir, die Musikanten, keine Urkunden haben, die wir unseren Helfern überreichen können, haben wir uns was einfallen lassen: Einen Rosmarinzweig mit “Blum on Blaat met Schlopp“ so wie sie einst die Ehrengäste an der „Kerweih

em Kitappl“ bekommen haben, bekamen jetzt die Helfer „angespängelt“ (ohne Kitappl). Einen Rosmarinzweig „met Schlopp“ für die vielen Kuchenspender, so wie einst die Kirchweihpaare „angespängelt“ hatten. Das Schlachtfest hatte den gewohnten Ablauf: Beim Dinyer de Worscht abholle, Mittagessen: Diesmal gab es Brotworscht mit Kartoffelpüree und Sauerkraut. So gegen 16 Uhr gab es wieder Kaffee und reichlich Kuchen, anschließend ein kulturelles Programm. Es tanzte die Banater Tanzgruppe Karlsruhe unter der Leitung von Heidi Müller und Werner Gilde. Der Singkreis der Banater Schwaben aus Frankenthal sang ein paar z.T. besinnliche Lieder. Das Gedicht “Pechvogel“ wurde von Sepp Herbst vorgetragen. Dann gab es schon das Abendessen. Dazwischen natürlich Tanz für alle. Wir mussten uns dann aber sputen mit dem Programm, denn es stand noch die Ehrung der Helfer und Spender an, der drei Metzger: Sepp Dinyer, Franz Klein und Hans Muhl für ihren unermüdlichen Einsatz in den 10 Jahren. Geehrt wurde Sepp Dinyer noch von den Frauen, die ihm in der Küche immer zur Hand


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Beim Schlachtfest tanzte die Banater Tanzgruppe Karlsruhe unter der Leitung von Heidi MĂźller und Werner Gilde. Der Singkreis der Banater Schwaben aus Frankenthal sang ein paar z.T. besinnliche Lieder. Fotos: Cornel Gruber


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Während der Ehrung für die Helfer und Spender anlässlich des 10-jährigen Jubiläums gehen mit einer Extra-Torte, die er hoffentlich mit Genuss verzehrt hat. Da war dann noch die Tombola, die dieses Jahr reichhaltiger ausgefallen ist. Zum einen ein Fleischermessersatz, gespendet von Michael Mutter. Und dann noch ein Jubiläumspreis: Ein Spanferkel, das an Marianne Rollinger ging. Im Donauschwabenhaus in Frankenthal, wo unsere Schlachtfeste immer stattfanden, hatten wir, Walter Muhl und ich, eine Bildergallerie von 10 Jahren Schlachtfest im Foyer des Hauses ausgestellt. Ab 24 Uhr hat Gerry Kegler am DJ – Tisch die neuesten Hits aufgelegt und die Stimmung bis in die frühen Morgenstunden aufrechterhalten. Den vielen ehrenamtlichen Helfern und Spendern ein herzliches Dankeschön, besonders Jakob+ und Anna Martini, die uns einen ansehnlichen Geldbetrag zukommen ließen. Danken wollen wir auch unserem Fanclub und unserer Heimatortsgemeinschaft für die tolle


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Die Tombola-Gewinner beim diesj채hrigen Schlachtfest. Der Jubil채umspreis, ein Spanferkel, ging an Marianne Rollinger. Geehrt wurde Sepp Dinyer zus채tzlich von den Frauen mit einer Extra- Torte

Unterst체tzung in den letzten Jahren.


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Sommerfest des Kreisverbandes Karlsruhe Kerstin Klein

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m 25.07.2009 fand zum ersten Mal ein Sommerfest des Kreisverbandes Karlsruhe statt. Ab 11 Uhr traf man sich zu einem gemütlichen Beisammensein im idyllisch gelegenen Waldbiergarten im Karlsruher Siedlerheim. Den Auftakt machte die Billed-Alexanderhausener Blaskapelle. Bei den zahlreichen Walzern und Polkas wurde fleißig das Tanzbein geschwungen. Im weiteren Verlauf folgten die Darbietungen der verschiedenen Tanzgruppen. Die Kindergruppe begeisterte das Publikum mit Volkstänzen und einer Darbietung aus dem Film und Musical ‚Grease’. Begleitet von den Klängen der Blasmusik präsentierte die Erwachsenentanzgruppe in Schwarz-Grau-Rot vier sehr abwechslungsreiche Volkstänze. Bis zum späten Abend dauerte die lustige Stimmung an, auch der Kieselsteinboden hielt die Tanzenden nicht davon ab. Man fühlte sich in „alte“ Zeiten versetzt, denn durch die Blaskapelle und die Darbietungen der Tanzgruppen fühlten sich die Anwesenden wie auf einem Kirchweihfest

in der alten Heimat. Man erinnerte sich an das Billeder Heimattreffen, an den Festgottesdienst in der katholischen Kirche St. Judas-Thaddäus mit der Straußweihe. Man sprach über die unvergessene hl. Messe, die vom Pfarrer Marius Frantescu, ein Billeder Kind, der im letzten Jahr die Priesterweihe in Dingolfing empfangen hat. Für eindrucksvolle Augenblicke sorgten damals Magdalena Roos an der Orgel, die Solistinnen Irmgard Holzinger-Fröhr und Melitta Giel sowie der Billeder Kirchenchor unter der Leitung von Frau Maria Muhl. Beide Veranstaltungen können im Internet unter www.irmgard-melitta.de mit ausführlichen Berichten und vielen Bildern besichtigt werden. Der Kreisverband Karlsruhe bedankt sich recht herzlich für die Kuchen- und Geldspenden, für die rege Teilnahme am ersten Sommerfest und würde sich freuen noch mehr Gäste zum nächsten Sommerfest begrüßen zu dürfen.


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Herbstfest in Nürnberg Renate Frombach

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ie Musik und der Saal waren bestellt, die leckeren Kipfel und Torten gebacken und das Fest konnte beginnen. Auch dieses Jahr spielte die Billeder-Alexanderhausener Blaskapelle in Nürnberg zum Herbstfest auf und hat ihren Anhängern einen hervorragenden Hörgenuss geboten. Man stellte fest, dass die Kapelle von Mal zu Mal besser wird und erstklassige Banater Blasmusik bot. Auch dieses Jahr hatten sich mit den Billedern und Alexanderhausenern aus Nürnberg auch Landsleute aus anderen Heimatgemeinden eingefunden, die diese Musik sehr schätzen und gerne dazu das Tanzbein schwingen. Einige Liebhaber der Kapelle waren aus Karlsruhe, Frankenthal, Ingolstadt, Forchheim, sogar aus

München und Regensburg angereist. Das ist schätzenswert, wir können zweifelsohne auf unsere Blaskapelle stolz sein. Seit die CD „Heimatklänge“ erschien und vorgestellt wurde, ist die Billeder-Alexanderhausener Blaskapelle unter den Liebhabern unserer heimatlichen Blasmusik längst ein Begriff. Es ist eben der unverkennbar heimatliche Klang, der fasziniert und es wird alles live gespielt, wie man es von zuhause noch kennt. Walzer, Polka, Schnellpolka, Ländler wechselten im genussvollen Vortrag, doch sitzen und zuhören konnten die Gäste nicht. Die Stimmung unter den Tänzern war mal wieder erstklassig und so tanzten, tobten, sprangen und sangen sie bis zum letzten „Stück“. Nicht zu


Begegnungen vergessen, dass auch Sechzig-Siebzigjährige noch ordentlich zu dieser Musik das Tanzbein geschwungen haben. Man ließ dieses Fest auch diesmal ohne die zahlreichen Zugaben nicht enden. Es musste nochmals richtig gejauchzt und gestampft werden, denn bis zum nächsten Mal ist es noch etwas hin. DANKE an H. und J. Grapini, Fam. Pritz, E. Follmer und H. Preisach, die ja die Hauptorganisatoren dieses Festes sind, für die zahlreich gespendeten Torten, Kuchen und Kipfel und all denen, die im Hintergrund dazu beigetragen haben, dass dieses Herbstfest stattfinden konnte. DANKE sagen wir besonders der BillederAlexanderhausener Blaskapelle, die immer für die GUTE STIMMUNG sorgt. Es wäre noch schöner, wenn wir zum nächsten Herbstfest noch mehr Gäste begrüßen könnten als dieses Jahr. Wir alle sind auf jeden Fall dabei, am 4. September 2010. Torten, Kuchen und Kipfel beim Herbstfest in Nürnberg. Fotos: Siegfried Frombach

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Gruppenbild des Jahrgangs 1959 v.l.n.r.: Werner Tobias, Adelheid Ring/Ludwig, Fritz Helfrich, Ingrid Nachram/Klein, Hedwig Pritz/Grapini, Hans Engrich, Marlene Slavik, Christine Curca/ Zamosteanu, Elvira Szlavik, Helga Jost/Andre, Maria Schaljo/Jobba, Harald Ballmann, Erika Metzger/Gaina, Peter Hehn, Käthe JungerHerbst, Albert Braun, Rita Muhl/Groß, Edi Thöresz, Adi Rugel.

Erinnerungen an mein Klassentreffen Marlene Slavik

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s war Anfang Dezember 2008, als mich ein Brief aus Mommenheim erreichte. Er war von Werner Tobias, eine Einladung zum Klassentreffen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl kam in mir hoch. Werner hatte sich tatsächlich entschlossen, wie es sich schon in unseren wiederholten Telefongesprächen herauskristallisierte, ,,die Sache mit dem Treffen in die Hand zu nehmen“. 15 Jahre sind vergangen, seit wir uns alle in Frankenthal getroffen hatten und das Jahr 2009 ist ein ganz besonderes für unseren Jahrgang. Es sind 35 Jahre seit unserem Abschluss der Grundschule in Billed verstrichen.

Treffpunkt sollte der Landgasthof ,,Jordan‘s Untermühle“ in der Nähe von Mainz, am 13. Juni diesen Jahres sein. Gegen 13:30 Uhr fanden wir uns nach und nach im Gasthof ein. Eine ausgesprochen gute Wahl, lieber Werner! Eine wunderschöne, idyllische Gegend mit ausgedehnten, grünen Wiesen, weitläufigen Flächen, weidenden Pferden, blauem Himmel und Sonnenschein. Der Gasthof war ein Landhaustraum, mediterranes Ambiente mit einer großen, malerischen Eiche im Innenhof. Ein Ort zum Kraft und Ruhe tanken für den Alltag. Ich war begeistert, dennoch machte sich langsam bei mir eine Art Lampenfieber breit, so


Begegnungen als ob man vor einer Klassenarbeit stünde. Es waren immerhin 15 Jahre vergangen, seit ich einige meiner Klassenkameraden zum letzten Mal gesehen hatte. Würde ich jeden wiedererkennen? Würden sie mich wiedererkennen? All diese Fragen beschäftigten mich, während wir unser schönes, gemütliches Zimmer bezogen, das uns einen Ausblick auf die den Gasthof umrandenden, grünen Felder gab. Danach gingen Richard und ich in den Innenhof, wo die meisten bereits eingetroffen waren. Die Begrüßung war sehr herzlich und meine Befürchtung, man würde sich nicht wiedererkennen, löste sich auch in Luft auf. Natürlich waren wir alle älter geworden, aber da waren sie, die altvertrauten Gesten, die ich bei vielen von früher in Erinnerung hatte. Bei manchen war es ,,das herzhafte Lachen“, ich denke dabei an Dich, liebe Hedi ,oder das ,,schelmische Grinsen“, ihr wisst, wer gemeint ist, oder?! Es tat gut, euch alle zu sehen. Ein ganz besonderes Dankeschön an unsere beiden Klassenlehrerinnen, Frau Schaljo und Frau Szlavik, die uns beide mit ihrer Anwesenheit eine große Freude bereiteten und das Ganze auch zu dem kürten, was es sein sollte. Denn was wäre ein Klassentreffen, ohne Klassenlehrerinnen? Eigentlich nur halb so schön! Wir stärkten uns mit Kaffee und Kuchen. Sogar eine Torte mit der Aufschrift ,,Klassentreffen“ stand bereit. Danke für all die Kuchenspenden und all die Mühe. Es hat vorzüglich geschmeckt. Nachdem wir uns alle zum Gruppenfoto versammelt hatten, freuten wir uns über das plötzliche Auftauchen von Edi, der als Letzter dazukam. Werner und Jutta hatten zum Kennenlernen ihrer Gegend für uns eine Führung in Oppenheim, einer wunderschönen, mittelalterlichen Stadt, gebucht. Wer von weitem die Dominanz der gewaltig und beschützend wirkenden Katharinenkirche (13.-15. Jhd.) über der Altstadt von Oppenheim sieht, kann verstehen, warum einige Stimmen behaupten, dass es sich um das bedeutendste

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Gemütliches Plaudern bei Kaffee und Kuchen im Innenhof des Landgasthofs

Mauern der Burgruine Landskron gewähren einen Ausblick auf die Katharinenkirche Beim Spaziergang zur Burgruine Landskron


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Durch die engen Gassen der Altstadt war der Höhepunkt unserer Führung die ,,Oppenheimer Unterwelt“

Gegen Abend in der Untermühle erwartete uns eine festlich gedeckte Tafel. Wir tanzten ausgelassen bis morgens früh

Begegnungen Bauwerk zwischen dem Kölner Dom und dem Straßburger Münster handelt. Bei der Michaeliskapelle war das Beinhaus zu bestaunen, in welchem Knochenfunde des früheren ,,Kirchhofs“ aufgebahrt sind. Auch der Spaziergang zur Burgruine Landskron, die heute eine Freilichtbühne für die Oppenheimer Theaterfestspiele ist, lohnte sich. Von hier aus hatten wir einen herrlichen Ausblick über die Rheinebene auf die Katharinenkirche. Am sogenannten Schneiderturm vorbei, durch die engen Gassen der Altstadt war der Höhepunkt unserer Führung die ,,Oppenheimer Unterwelt“ oder ,,die Stadt unter der Stadt“, das Oppenheimer Kellerlabyrinth. Skurrile Räume von 40 km Länge dienten im Mittelalter zur Warenlagerung. Hungrig trafen wir gegen Abend in der Untermühle ein, wo uns eine sehr festlich gedeckte Tafel erwartete. Werner begrüßte nochmal alle ganz herzlich und bedankte sich bei unseren Klassenlehrerinnen mit einem Blumenstrauß dafür, dass sie uns die Freude bereiteten, gemeinsam mit uns auf die vergangenen Schuljahre zurückzublicken. In tiefer Trauer hielten wir für einen Moment inne, im Gedenken an unsere bereits verstorbenen Kameraden und Lehrer. Nachdem wir geschlemmt hatten, wurden reichlich Erinnerungen ausgetauscht und es entwickelte sich nach dem einen oder anderen Gläschen eine so tolle Stimmung. Wir tanzten ausgelassen bis morgens früh und sangen so manchen uns bekannten Schlager mit. Auch unsere Klassenlehrerinnen hielten tapfer bis in die frühen Morgenstunden durch. Es schien, als hätten wir für den einen Abend eine kleine Reise zurück in die Vergangenheit gemacht. Ein schönes, altes, vertrautes Gefühl kam hoch, von damals, als wir ,,so arm und doch so reich waren.“ Eine besondere Freude bereitete uns Ingrid, die für dieses Treffen aus Rumänien angereist war. Liebe Ingrid, vielen Dank dafür! Du hast uns damit klar gemacht, wie wichtig dieser Lebensabschnitt für jeden von uns war.


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Gruppenbild mit allen Beiteiligten So manch einer von uns hatte wahrscheinlich den Wunsc, dieser Abend würde noch lange anhalten, aber, wie so manches im Leben, vergehen die schönen Momente viel zu schnell. Einige sind schon abends abgereist, weil sie leider nicht mehr bleiben konnten. Etliche übernachteten im Landgasthof und so trafen wir uns am nächsten Morgen zum ge-

meinsamen Frühstück, vor der Abreise nach Hause. Vielen Dank, liebe Jutta und lieber Werner, für dieses Treffen. Mein Dank geht auch an alle anderen, die sich irgendwie beteiligt haben, dass es zustande kam. Wir werden noch lange davon ,,zehren“, in Erinnerung an diesen Schul- und Lebensweg, den wir für eine Zeit zusammen gegangen sind.

Geplantes Jahrgangstreffen

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uf Anregung von Maria Muhl und Barbara Franz findet - falls sich genügend Interessenten finden - am 10. Juli 2010 im Haus der Donauschwaben Frankenthal ein Treffen der Jahrgänge 1930-1940 statt.

Interessenten mögen sich – auch für nähere Informationen – an Maria Muhl Tel.: 6233/25034 oder an Josef Herbst Tel.: 07225/76041 wenden.


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Klassentreffen der Jahrgänge 1944, 1945 und 1949 Katharina Senn (Jobba)

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in Klassentreffen der Jahrgänge 1944 und 1945 wurde geplant und, da der Jahrgang 1949 eng verbunden, sozusagen verheiratet mit diesen Jahrgängen ist, beschloss man, ein gemeinsames Klassentreffen der Jahrgänge 1944, 1945 und 1949 zu organisieren. Die Organisatoren des Treffens waren Elisabeth Follmer, Herbert Preisach, Grete und Josef Hipp. Am Freitag, dem 1. Mai 2009, folgten wir ihrer Einladung in den Gasthof „Grüner Baum“ in Leinburg-Diepersdorf bei Nürnberg.

Nachdem wir uns im o. g. Gasthof einquartiert hatten, trafen wir uns auf der Terrasse bei herrlichem Sonnenschein wieder. Da seit den letzten Treffen 1993/94 schon paar Jahre vergangen waren und man sich teilweise schon länger nicht gesehen hatte, musste man schon mal genau hinschauen oder mal nachfragen, um alle Anwesenden wieder zu erkennen. Es wurden viele Fotos gemacht und danach ging es in die Gaststätte zum gemütlichen Beisammensein bei Kaffee und selbstgebackenen Torten und guten hausgemachten Bäckkipfeln. Ein

Jahrgang 1944: Anna Just (Frauenhofer), Emi Herrenreich, Margarete Ispas (Schubert), Josef Leidecker, Maria Schaljo, Veronika Mann (Fischer), Nikolaus Popovici, Elvira Slavik, Susanna Müller (Lauer), Susanna Schollp (Wilhelm), Christa Dutica (Roman), Elisabeth Potche (Lisching), Inge Aigner (Thöresz), Katharina Filippi (Knill), Peter Mann, Herbert Preisach.


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Jahrgang 1945: Katharina Neiss(Lauth), Peter Hirth, Maria Schaljo, Peter Gergen, Elvira Slavik, Johann Mark, Emi Herrenreich, Katarina Filippi (Knill). Anna Wiehusen (Schweininger), Josef Stadtfeld Foto unten: Josef Stadtfeld, Peter Hirth, Peter Gergen, Johann Mark, Katharina Neiss (Lauth), Anna Wiehusen (Schweininger)


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Jahrgang 1949: Anna Schiller, Rosalia Reiser (Simion), Zoltan Hegedüs, Elisabeth Stadtfeld (Slavik), Jakob Slavik, Elisabeth Landgraf (Schulz), Michael Ortinau, Katharina Popovici (Pitzer), Katharina Mann (Schönberger), Maria Hirth (Pritz), Anna Weiss (Mumper), Josef Hipp (fehlt)

Dankeschön an die Kuchenspender für diese herrlichen Leckereien, die man beim Eintritt in den Saal - wie bei einer Billeder Hochzeit - auf einem langen Tisch begutachten konnte. Das Schöne an dem Ganzen war aber, dass es nicht nur beim Anschauen blieb. Herbert Preisach, Josef Stadtfeld und Josef Hipp begrüßten anschließend alle Anwesenden. Unsere Ehrengäste Frau Elvira Slavik, Frau Maria Schaljo, Frau Emmi Herrenreich und Frau Heidrun Pfersch weckten durch ihre Ansprachen Erinnerungen an die Schulzeit und an unsere gemeinsam in Billed verbrachten Jahre. Mit einer Schweigeminute gedachten wir der verstorbenen Lehrer und Kollegen. Da-

nach wurde viel erzählt und wurden viele Erinnerungen ausgetauscht. Nach einem guten Abendessen wurde bei Musik und Tanz weiter gefeiert. Unser Billeder Landsmann Gerhard Kegler sorgte als Alleinunterhalter mit seinen Tanzmelodien für gute Stimmung und Erinnerung an unsere Jugendzeit. Für lustige Einlagen sorgten Peter Mann zusammen mit Herbert Preisach. Es wurde gefeiert bis weit nach Mitternacht. Da fast alle im Gasthof übernachteten, traf man sich am nächsten Morgen zum gemeinsamen Frühstück und ließ dann das schöne Treffen gemütlich ausklingen. Hier nochmals vielen Dank den Organisatoren für das gelungene Treffen.


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Außenaufnahme der Billeder alten Schule 2009 Jahrgang 1949 v.l.n.r.: Anna Weiss (Munper), Maria Schaljo, Katharina Senn (Jobba), Elvira Slavik, Michael Muttar, Anna Schiller, Heidrun Pfersch, Maria Müller (Nagy), Jakob Slavik, Anna Donawell (Reichel), Anna Hügel (Schwarz), Katharina Popovici (Pitzer), Katharina Mann (Schönberger), Michael Ortinau, Rosalia Reiser (Simion), Elisabeth Lammert (Mann, fehlt)


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Städtereise der Karlsruher Landsleute Irmgard Triess

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Banater Landsleute aus Karlsruhe und Umgebung hatten sich am 01.10.09 um 6 Uhr morgens auf eine viertägige Flandernreise begeben. Das Ehepaar Gerlinde und Werner Gilde hatte diese Reise zusammen mit dem Reiseunternehmen „Stefan Mayer“ organisiert und, wie gewohnt, zu einem wunderbaren Erlebnis gemacht. Schon zu Beginn der Fahrt fühlte man die gute Atmosphäre, die in beiden Bussen zu spüren war. Die Gildes hatten es gut verstanden, die Leute so zu platzieren, dass alle mit ihren Sitznachbarn zufrieden waren. Die erste Stadt, die wir kennenlernen durften war Gent. Sie wurde im Mittelalter durch ihr Handwerk zu einer der reichsten und größten Städte Europas. Wir waren beeindruckt von der ältesten Straße, vom Glockenturm mit der darunter liegenden Tuchhalle aus dem 14. Jahrhundert, von den vielen Märkten und den klei-

nen Kneipen. Jeden Abend fuhr der Bus nach Gent, wo das ***Hotel Holiday Inn uns mit einem ausgiebigen Abendessen erwartete. Am 2. Tag besuchten wir Brügge. An den Ufern des Zwin entstand zwischen dem 7. und dem 9. Jahrhundert eine kleine Ansiedlung. Die ersten Einwohner des Ortes, die dort Schutz suchten, gaben ihr den Namen „Brugia“- Burg. Die Stadt wurde durch die Verbindung zur See ein wichtiges Handelszentrum. Die Grafen von Flandern ließen sich dort nieder und im 13. Jahrhundert erreichte Brügge den Rang eines Hafens von Weltruf. Durch die Anwesenheit der Herzöge von Burgund erlebte die Stadt einen großartigen Glanz als Residenzstadt und unvergleichbares Kunstzentrum. Wir standen bewundernd vor dem 83m hohen Belfried, der gegen 1240 erbaut wurde, vor dem ältesten gotischen Rathaus (1376) Flanderns mit einer


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Gruppenfoto der 80 Banater Landsleute aus Karlsruhe und Umgebung am 01.10.09 um 6 Uhr morgens anläßlich einer viertägigen Flandernreise, organisiert von Gerlinde und Werner Gilde zusammen mit dem Reiseunternehmen „Stefan Mayer“. Fotos: Otmar Wehner und Werner Gilde Fassade, die 6 spitzbogenförmige Fenster und 48 Nischen mit Standbildern aufweist. Die verträumten Kanäle, die malerischen Gässchen und die belebten Geschäftsstraßen geben Brügge eine besondere Note. Die Grachtenfahrt auf einem dieser Kanäle war für uns, die wir daran teilgenommen haben, ein Höhepunkt dieser Flandernfahrt. Nachdenklich und andächtig wurden viele von uns durch die Besichtigung der Basilika des Heiligen Blutes gestimmt. Man wird diese Augenblicke der Besinnung und Ruhe nicht so schnell vergessen. Brügge hat aber noch viel mehr zu bieten so z.B. kann man in der Liebfrauenkirche die wunderschöne Marmorstatue von Michelangelo „Heilige Mutter mit dem Kind“ bewundern. Nicht zu vergessen der Beginenhof, der 1245 von Margarete von Konstantinopel, Gräfin von Flandern gestiftet wurde und der auch heute

noch von einer Gemeinschaft von Benediktinernonnen im Ordenskleid der Beginen aufrechterhalten wird. Der 3. Tag wird allen in Erinnerung bleiben, da wir die Hauptstadt Europas, Brüssel, besichtigten. Der Legende nach durchquerte der heilige Gery, Bischof von Cambrai, den Zonien Wald auf eigene Gefahr und baute eine bescheidene Kapelle auf eine Insel der Senne. Ein Jahrhundert später war die kleine Insel ein bedeutender Umschlagplatz geworden, der den Namen „Broeksele“ trug. Nach der Jahrhundertwende wurde Brüssel mit Festungswällen versehen. Durch die Tuchmacherei gewinnt die Stadt erhebliche Bedeutung; hieraus ergab sich die Notwendigkeit, den Festungswall zu erweitern, der bis heute der Stadt Brüssel die bestehende Form eines Fünfecks verleiht. Unvergleichlich schön ist das Stadthaus von


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Brüssel, ein Bauwerk der belgischen gotischen Architektur. Im Königshaus, das ursprünglich die Brothalle war, ist heute ein Museum mit einer unvergleichbaren Sammlung von Brüsseler Steingütern und Porzellan; auch die 600 Kostüme des „Manneken-Pis“ werden hier aufbewahrt. Der Marktplatz ist das Herz der Altstadt mit dem prachtvollen Blumenmarkt, der regelmäßig stattfindet. Die Stadtführung führte uns vorbei am Grand Place mit den schönen Barockfassaden, durch das Europaviertel mit den modernen Bürogebäuden, die innovative Architekten entstehen ließen. Das Atomium, das Wahrzeichen Brüssels, war eine Pause wert, da alle Fotoliebhaber etwas zu tun bekamen. Sehenswert ist die Königliche St. HubertusGalerie, die einen mit Glas überdachten Durchgang hat. Sie ist eine der ersten europäischen Galerien mit Kaufläden, Restaurants, Theatern u.a.m. Den Abschluss dieses 3. Tages fanden wir in der Kathedrale St. Michael und St. Gudula, deren Dekoration der Kathedrale den Stempel wirklicher Größe verleiht.

Begegnungen

Der 4. Tag, der Tag der Abreise, hatte noch manch Sehenswertes zu bieten – Antwerpen, die Rubens- und Diamantenstadt.. Hier befindet sich die Kathedrale „Unsere Liebe Frau“, wo sich die Ausstellung der Rubens Gemälde zur Zeit befindet. Sie ist die größte und wichtigste gotische Kirche in Belgien. Unser Reiseleiter ließ uns eintauchen in die Zeit des Mittelalters und wir konnten miterleben, wie es damals war. Die Phantasie der Menschen von heute ist aber sehr rege und sie machten aus den dunkeln Kellergewölben Restaurants mit Kerzenschein, was schon gewöhnungsbedürftig ist. Man könnte noch vieles berichten, was so manchen fasziniert hat, aber die Schokolade in allen drei Städten sollte nicht vergessen werden, denn sie hat uns so manchen € entlockt. Mit süßen Erinnerungen geht nun unsere Reise zu Ende, sie war schön, sie war eine Bereicherung unseres Wissens und sie wird in unserer Erinnerung bleiben. Wir sagen ein Dankeschön den Organisatoren und wir hoffen, dass es nicht die letzte Reise dieser Art bleibt.


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Von Karlsruhe nach Portofino durch 260 Tunnels Elisabeth Martini (Frick)

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or ein paar Tagen ging mein Blick beim morgendlichen Erwachen sogleich über die Weite des Ligurischen Meeres, hörte ich sein sanftes oder auch energischeres Rauschen, sah die aufgehende Sonne die Welt erhellen und war entzückt. Hier, zuhause in Karlsruhe, vermisse ich das, der Alltag hat mich wieder, wie manch anderen auch. Ein Glück, dass wir ihm kurz entfliehen konnten! Am 29. April waren wir, 47 ehemalige Flachland-Banater (die meisten Billeder) aus Karlsruhe, mit Mayer-Reisen, organisiert von Gerlinde und Werner Gilde, auf dem Weg in den Süden, nach San Bartolomeo am Ligurischen Meer, an der Blumen-Riviera. Zwar war bei

unserer Abreise der Himmel in Karlsruhe verhangen, doch seine Schleusen öffnete er erst unterwegs, was manchem von uns die Laune nicht gerade hob. Doch dann erlebten wir so plötzlichen Wetterwechsel – wie den beim Verlassen des Gotthard-Tunnels (17 km lang), als uns nach Regen und Wind blauer Himmel und Sonnenschein empfing, so unerwartet und schön, dass manche nur „Wahnsinn“ hervorbrachten oder einfach verstummten. Denn einmalig schön war die Anreise durch die Schweizer Bergwelt mit ihren Bergriesen, die uns so winzig erscheinen ließen und oben ihre Schneemütze tragen, aus der sich die unzähligen steil herabstürzenden Wasserfälle speisen


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und wie Schlangen den Hang herunterzischen. Der Weg nach Süden führte weiter durch die herrlichen Ligurischen Alpen den azurenen Weiten des Mittelmeers entgegen, an dessen Ufer San Bartolomeo liegt, unser Hotel Stella Maris, in dem wir 4 Nächte verbrachten und tagsüber unterwegs waren. Scheinbar speziell für uns, Sonnenhungrige, gab es die ganze Zeit über nur puren Sonnenschein, angenehme sommerliche Temperatur und Wohlgerüche in der Luft, in uns Entzücken und Dankbarkeit dafür, das alles erleben zu können. Verschönt wurde uns der Aufenthalt zusätzlich durch die kompetente, sympathischhumorvolle Reiseleiterin Roselina, eine Süditalienerin mit besonderem Charme, unseren gelassen-gewandten Fahrer Norbert, die stets hilfsbereiten, unauffällig wirkenden Organisatoren Gerlinde und Werner Gilde wie auch das Hotelpersonal.

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Das Fürstentum Monaco, das wir zuerst besichtigten, fanden die meisten großartig, aber auch beengend, es wurde bestaunt, kommentiert und hundertfach fotografiert. Der 1933 eingeweihte Exotische Garten entzückte alle, ließ uns staunen und bewundern. Begünstigt durch die Wärme speichernden Felsen gedeihen hier Pflanzen aus ariden und subtropischen Gebieten großartig, über 1000 Arten Dickblattgewächse oder Sukkulente aus Amerika und Südafrika: Kakteen, Palmlilien, Agaven, Aloen u.v.m. und bilden hier den größten Sukkulentensteingarten der Welt, der jährlich über eine halbe Million Besucher empfängt und zu den am häufigsten fotografierten Orten der Cote d‘Azur zählt. Beim Besuch des Grimaldi-Palasts wurden wir auch über die wechselhafte Geschichte des Fürstentums informiert, die im 12. Jahrhundert begann. Fürst Albert I. verkündete die


120 erste eigene Verfassung, unter Fürst Ludwig II.fand 1929 das erste große Autorennen hier statt, Fürst Rainier III. machte aus seinem Land einen modernen Staat, der z. Z. von Fürst Albert II. gelenkt wird. Die Besichtigung eines Teils der Gemächer erfolgte individuell unter Zuhilfenahme von Kopfhörern. Um 11.50 Uhr wohnten wir, wie unzählige andere Touristen, der traditionellen Wachablösung vor dem Palast bei. Zum Klang einer Fanfare wechseln die Karabinieri des Fürsten, seine persönliche Ehrengarde, sich ab, werden von den Touristen bestaunt und fotografiert. Während der Besichtigung der neuromantischen Kathedrale kamen wir auch an der Grabkapelle der Fürsten von Monaco vorbei, an der Ruhestätte der unvergessenen schönen Fürstin Gracia Patricia und des Fürsten Rainier. Im Ozeanografischen Museum, das viele Jahre vom weltbekannten J. Y. Cousteau geleitet wurde und auch ein Aquarium mit über 70 Becken umfasst, bestaunten wir Fische aus allen Weltmeeren. Das “Goldene Viertel“ des Fürstentums umfasst das Kasino (1863) - angeblich das schönste der Welt, das Hotel de Paris (1864), das Cafe de Paris (1868) und bekam 1866 den Namen Monte Carlo. In der Belle Epoque (um 1900) verliehen berühmte Persönlichkeiten diesem Ort Pracht und weltweiten Ruhm. Die Erinnerung an sie führte auch uns durch die kosmopolitische Atmosphäre der Spiel- und Automatensäle und ließ uns erkennen, wie schnell Geld (das wir mühsam erarbeiten) verspielt werden kann. Ein wenig bekamen wir auch vom Vorbereitungseifer für das Formel1-Rennen mit, während wir ein Stück die Rennstrecke am Hafen entlang fuhren, die zur Zeit des Rennens für alle Nichtbeteiligten strikt gesperrt ist und nur für viel Geld die Sicht auf die Rennfahrer freigibt. Am 3. Tag ging‘s die Cote d‘Azur entlang nach Cannes, wo wir uns zum Gruppenfoto auf dem roten Teppich des ehemaligen Filmpalasts

Begegnungen zusammenfanden, um danach per Schiff hinaus aufs Meer zu fahren, vorbei an kleineren Inseln, Meeresluft schnuppernd, Wind und Sonne voll genießend. Durch das Mittagessen gestärkt, ging es nach Nizza, das vor allem durch die Promenade, den Hafen und den Flughafen auf der Landzunge beeindruckte, wo fast minütlich Flugzeuge mit Touristen landeten. Einmalig gutes Eis in geschätzter Quantität konnte uns auf dem wunderschönen Platz mit den Springbrunnen in äußerst gehobene Stimmung versetzen. Doch wir mussten weiter nach Eze, dem Felsennest in den Voralpen, in eine Parfümfabrik, wo der große Reichtum der Blumen-Riviera zu Essenzen verarbeitet wird, die anschließend hundertfach von „Nasen“ zu Parfümen verschiedenster Art kombiniert werden. Der Einkauf hier war vermutlich kein wahres Schnäppchen, doch, was soll‘s? Ein Zipfel Mittelmeer ist‘s auf jeden Fall. Die Rückfahrt nach San Bartolomeo erfolgte über die berühmte Höhenstraße Moyenne Corniche und bot wunderbare Sicht auf einmalig schöne Villen und aufs Meer, das wir aus allen möglichen Winkeln und in den verschiedensten Nuancen bewunderten. Der Weg nach Genua (4. Tag) führte uns die Palmen-Riviera entlang, denn hier gibt es die Blumen-Glashäuser der Blumen-Riviera nicht mehr, weil man stattdessen Gemüse baut. Genua selbst beeindruckte uns durch seine Ausmaße, seine prächtigen Paläste, die Blumenvielfalt und die ganz engen Gässchen, manche kaum 1m breit. Ein Foto vor dem Piratenschiff im Hafen (nur Film-Staffage) war Pflicht, auch ein kleiner Imbiss oder ein Schnäppchen an den Buden im Hafen. Von Rapallo ging‘s dann per Schiff nach Portofino, eine kleine malerische Bucht, doch an diesem wunderschönen Wochenende hoffnungslos überflutet von hunderten Touristen, die dicht an dicht Eis oder sonst etwas zum Essen wünschten oder auf das Schiff warteten. So mancher von uns stieg die vielen Treppen hoch zur Kapelle und zur Burg, um von dort die Aussicht zu genießen.


Begegnungen Nach wehmütigem Abschied von den Palmen, Olivenbäumen, dem pinkfarbenen Baldrian, den Strelitzien und dem weithin glitzernden Meer ging‘s heimwärts, dieselbe Route lang, doch vieles schien uns von der Gegenseite her ein bisschen anders, vielleicht noch schöner! Gewiss sind alle Mitgereisten der Meinung, dass sich die Reise gelohnt hat, auch wenn es für manchen recht anstrengend und ermüdend war. Die einmaligen Ausblicke, Eindrücke, Gerüche und Informationen bleiben uns sicherlich Fotos: Cornel Gruber

121 noch lange erhalten, vor allem auch gestützt durch die Fotos, die tausendfach gemacht wurden und hoffentlich jedem zukommen. Dafür und für all das, was hier nicht erwähnt wurde, sprechen wir den Organisatoren Gerlinde und Werner Gilde, unserer äußerst netten Reiseleiterin Roselina, der Firma Mayer-Reisen und ihrem großartigen Fahrer Norbert unseren Dank aus und hoffen auf weitere derartig informative Reisen, die noch lange unsere Träume und Wachträume verschönen.


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Begegnungen

Bildergallerie. Die frisch renovierte Kirche. Foto unten. Die Gedenkstätte fßr die Billeder Opfer der Kriege des 20. Jahrhunderts und ihrer Folgeerscheinungen


Statistik

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Nachtragsliste der Spender für die Kirchenrenovierung (Reihenfolge nach Bankeingang 1. Nov. 2008 – 1. Nov. 2009 Angaben der Spendesumme ab 50 € oder $) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Peter und Maria Wogh Nikolaus und Antoinette Flesch Nicolas und Monika Flesch Katharina Done, geb. Schank Barbara Hartmayer Maria Ruppert, geb. Braun Edith Hehn-Murray Jack und Nanette York Matthew und Rita Rugel Hans und Helene Mumper Ignatz und Margarete Rauscher Nikolaus und Martha Kasper Theresia Stoika, geb. Keller Adriana Bec Theresia Backes Frank und Jo Lynn Backes Bob und Linda Spenden aus Billed Maria Szlavik Nikolaus Faur Anna Lay, geb. Heiberger Erich Johannes Storch Barbara Szögi, geb. Laub Katharina Szombati, geb. Ruppert

455 547 547 728 760 19 458 10 630 668 533 538 533 708 474 474 474

100 $

393 625 814 825 641 19

200 Lei 50 Lei 20 Lei 30 Lei 20 Lei 30 Lei

50 € 50 $

200 $ 100 $ 200 $ 200 $ 200 $

Allen Spendern ein „Vergelt’s Gott!“ Innenansicht der Kirche im Sommer 2009

Taylor/USA Kingersheim/Fr. Kingersheim/Fr. Hunedoara/Rum. Karlsruhe Billed/Rum. Ajax/Kanada Smithfield/USA Buttler/USA Creston/USA Cary/USA Kendel Park/USA Geneva/USA Bramton/Kanada Cincinnati/USA Cincinnati/USA Cincinnati/USA Bakowa Billed Billed Billed Billed Billed


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Bildergalerie

Schnappschüsse aus Billed 2009 von Hans Rothgerber. Oben: Abenddämmerung im Zentrum. Links das Gebäude der ehemaligen Konsumgenossenschaft, rechts der „Dorfblock“ aus dem „Goldenen Zeitalter“, links oben ein Banner mit dem Slogan der Partei, die gerade das Sagen hat. Foto unten: Verschiedenste Strommasten dokumentieren die Geschichte der Elektrifizierung.


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Foto oben. Hans Lay, vielleicht der letzte Kuhhirte der Gemeinde. Nächstes Jahr soll die aus der Wirtschaft des Mittelalters stammende Tradition des Weideganges abgeschafft werden. Foto unten. Altgasse, die 35 m breiten Gassen aus der Zeit der Ansiedlung mit ihrer üppigen Vegetation laden zur Ziegenhaltung (früher „die Kuh der armen Leute“) ein.


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Bildergalerie

Bildergalerie Foto oben. Die Sauerländer Brücke im Sommer 2009. Vor einem halben Jahrhundert wegen dem Fischreichtum hier ein Geheimtipp für „Profi-Fischer“ aus Temeswar und Umgebung. Damals sind in der sogenannten „Marrasch“ noch Menschen ertrunken. Foto unten. Die Sauerländer Brücke 1985.


Bildergalerie

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Farbfotos von früher. Foto oben. Bei der Bewässerung der Paprika-Plantage im Garten der Familie Horbert (Nr. 66) Ende der 60er Jahre. Dabei wurde das Wasser durch Ofenrohre geleitet. Foto unten. Eine „echipa“ Tabakbauern der Billeder Kollektivwirtschaft mit „Fuhrmann“ im Jahr 1967. Mit dem Tabakbau waren meistens Frauen beschäftigt, die selbst nicht rauchten.


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Bildergalerie

Foto oben: Die Geschwister Katharina und Maria Gilde, zusammen 178 Jahre alt, zählen zurzeit zu den ältesten Billedern in Billed. Foto unten: Billeder in Kopenhagen. Einsender: Peter Neumann


Leistung und Würdigung

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Ein Banater „Finne“ Ein Temeswarer Agronom: Von Cociohatul Vechi zum Polarkreis Hermann Schulze Niehues

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ipl. Ing. agr. Hans Neumann, 1952 in Temeswar als Sohn eines gebürtigen Warjaschers geboren, besuchte ebenda die Volksschule und das deutsche Lyzeum Nr. 10. Nach dem Besuch der Landwirtschaftshochschule begann Neumann als angehender Agronom 1975 in der Billeder LPG, wo er die Gemüsefarm und das Gewächshaus mit einer Brigade von 30 Mitarbeitern leitete. Hier heiratete er auch die Lehrerin Margarethe Weber, eine Billederin. 1977 erhielt Neumann eine Anstellung beim SLB Dudestii Vechi. 1978 wurde ihm die Verantwortung der Farm 4 „Cociohatul Vechi“ übertragen. 3000 Hektar Ackerland, ein 15 Kilometer langer Grenzstreifen zu Jugoslawien, vorwiegend schwerer Lehmboden, mit nur 12 aus vier Dörfern stammenden Traktoristen zu bewirtschaften, waren nicht gerade ermutigende Voraussetzungen für einen Anfänger. Der Maschinenpark war veraltet, teilweise Schrott, auf der Farm gab es keinen Strom. Die Dorfbewohner aus Dudestii Vechi, größtenteils Bulgaren, bezeichneten die Farm als „Straflager“. Allein die Fahrt mit Traktor und Anhänger vom Dorf bis zur Farm dauerte gut eine Stunde. Mit Fachwissen und Kompetenz, Fleiß und Willen, aber vor allem mit Hilfe der Traktoristen, die einen frischen Wind verspürten, ist es dem jungen Ingenieur gelungen, die heruntergekommene Farm in eine Musterfarm zu wandeln. Erstaunt über dieses „Wunder“ kommandierte der SLB-Direktor alle Farmleiter, neun an der Zahl, mit Traktor und Anhänger nach Cociohatul Vechi, um das hier entstandene Wunder als nachahmenswertes Beispiel zu veranschaulichen. 1980 ergab sich für Neumann die Möglichkeit, sich hauptberuflich seiner „alten Liebe“, dem Schreiben, zu widmen. Als Redakteur

für Landwirtschaft bei der „Neuen Banater Zeitung“ in Temeschburg begann für die Familie ein neuer Lebensabschnitt. Die journalistische Tätigkeit erfüllte ihn ganz und brachte berufliche Erfolgserlebnisse. Neben dem rein Fachlichen stand der schwäbische Bauer im Mittelpunkt, den er in der Reihe „Dorf und Mensch“ porträtierte. Parallel zu seiner beruflichen Laufbahn nahm er an der Abendhochschule das Studium Fachrichtung Politologie und Journalistik auf. 1982 erhielt Kollege Neumann seitens der LZ Rheinland in Bonn, vom damaligen Chefredakteur Dr. Pacyna, eine Einladung zu einer Studienreise in die Bundesrepublik Deutschland. Kein leichtes Unterfangen, das durch die Unterstützung des damaligen Chefredakteurs der NBZ, Nikolaus Berwanger, möglich wurde. So brach Kollege Neumann mit seinem Dacia am 29. März 1982 Richtung Deutschland auf. Nach Ablauf des Studienaufenthalts in Bonn entschloss er sich, in Deutschland zu bleiben. Steißlingen am Bodensee wurde seine Wahlheimat. Im Dezember 1982 erhielt er einen „Job“ beim Dr. Neinhaus Verlag, Herausgeber der Landpost und des Landpost-Magazins, in Konstanz. Sein Einsatz und Fachwissen, aber vor allem sein Engagement wurden vom Herausgeber ein halbes Jahr später mit der Ernennung zum Chefredakteur honoriert. Im Oktober 1983 ist die Ausreise von Ehefrau Margarethe mit den beiden Kindern, nach vielen erlittenen Repressalien, gelungen. 1984 übergab man Neumann am Rande einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main die Leitung der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Absatzförderung beim Mähdrescherhersteller Sperry New Holland in Bielefeld. Dies bedeutete für die Familie ein Umzug vom Bodensee an den Teutoburger Wald, nach Biele-


130 feld, wo das Unternehmen seinen Hauptsitz hat. Bielefeld wurde damit zur zweiten Heimat der Familie Neumann, der Mähdrescher für Neumann zum ständigen Begleiter in seiner weiteren beruflichen Laufbahn. Die Wende in Osteuropa bringt 1990 für unseren Kollegen neue Aufgaben. Seine guten Sprachkenntnisse (Rumänisch, Russisch, Ungarisch) waren plötzlich gefragt. Er wurde nach Osteuropa delegiert, um hier für Ford New Holland ein Vertriebs- und Servicenetz für Mähdrescher aufzubauen. Präsentationen, Vorführungen, Messen in Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Ukraine, Kasachstan waren eine große Herausforderung, brachten aber gleichzeitig auch viel Genugtuung. 1993 veräußerte Ford Motor Company die Tochterfirma Ford New Holland an den Fiat-Konzern. Ein neues Unternehmen mit Stammsitz in Heilbronn entstand. Ein trauriger Abschied von den Kollegen, die man in 10 Berufsjahren liebgewonnen hat. Nach einer kurzen Zwischenstation beim Handelshaus Beinecke in Osnabrück fand Kollege Neumann in Finnland, 450 Kilometer vom Polarkreis entfernt, in Pori, beim Mähdrescherhersteller Sampo Rosenlew seine „dritte“ Heimat. Seit 1996 ist Kollege Neumann bei Sampo Rosenlew, dem „nördlichsten Mähdrescherhersteller der Welt“ als Marketing- und

Leistung und Würdigung Vertriebsdirektor für Zentral- und Osteuropa verantwortlich. In Rumänien hat er 1997 in Temeswar eine Tochtergesellschaft, Sampo Rosenlew Romania, gegründet. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, in den ersten drei Jahren ist die Zahl der Sampo- Mähdrescher in Rumänien auf 50 Einheiten gestiegen. Wöchentliche sogenannte „Finanzkontrollen“ mit horrenden Strafen führten letztendlich dazu, dass man 2003 den Laden dichtmachen musste. Seit nunmehr zehn Jahren ist Kollege Neumann zwischen Bielefeld, Pori, Prag, Bratislava, Budapest und Kiew für Sampo unterwegs und hofft, dass die Gesundheit es ihm erlaubt, die nächsten zehn Jahre bis zu seiner Rente diesen Job erfolgreich ausüben zu können. Bei diesem Arbeitspensum bleibt nicht viel Zeit für Privates oder Hobbys. Zu Hause in Bielefeld freut er sich über seinen schönen Blumengarten und den Fischteich. Spielt am Wochenende Arminia auf der „Alm“, so hält ihn nichts davon ab, seine „Schwarzblauen“ lautstark zu unterstützen. Ist er in Finnland, so ist es der F.C. Jazz Pori, dem seine Leidenschaft gilt. Zusammen mit Ehefrau Margarethe reist er einmal im Jahr in die ferne, weite Welt. Davon hat er als junger Agraringenieur auf der Farm 4 Cociohatul Vechi in Dudesti Vechi immer schon geträumt.

Aus der Forschung in die Automobilindustrie – gebürtiger Billeder erreicht Doktorgrad in der Nachrichtentechnik Thorsten Hehn “Gleich in die Industrie oder noch eine Weile an der Uni bleiben?” – diese Frage stellte ich mir nach dem Studium und ich habe lange hin und her überlegt. Mein Fach, die Nachrichtentechnik, machte mir sehr viel Spaß und ich wollte eigentlich nichts lieber als die neuen Fähigkeiten auch mal in der Realität anwenden. Dennoch hatte mich aber meine Studienarbeit geprägt: Diese durfte ich an der Uni Vancouver

in Kanada schreiben. Da ich dort keine Verpflichtungen neben dieser Arbeit hatte, konnte ich vollkommen ins Forscherleben eintauchen und fand Spaß daran. So entschied ich mich, zum Januar 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg zu beginnen. Wissenschaftliche Mitarbeiter übernehmen Aufgaben aus dem Bereich der Lehre, d.h. sie halten


Leistung und Würdigung Übungen und Praktika ab, erstellen Prüfungen und betreuen Studenten bei ihren Abschlussarbeiten. Die Hauptaufgabe besteht jedoch in der eigenen Forschung, in der der sogenannte Doktorand beweist, dass er das eigenständige wissenschaftliche Arbeiten beherrscht. Wichtig dabei ist, dass bei der Arbeit neue, bislang unbekannte Sachverhalte aufgedeckt werden. Ist ein Teilerfolg erzielt, so wird dieser auf einer Fachkonferenz oder in einem Zeitschriftenbeitrag veröffentlicht. Gerade die Konferenzen sind dabei interessant, da man Kollegen kennenlernt und auch etwas von der Welt sehen darf. So führten mich die Ergebnisse meiner Arbeit nach Chicago, San Francisco, Nizza, Paris, Dubai und auch in einige deutsche Städte. Ein großes Highlight ergab sich auf einer Konferenz im Jahr 2005. Dort traf ich einen ehemaligen Studienkollegen wieder, der eine ähnliche Tätigkeit wie ich an einer amerikanischen Universität ausführte. Aufgrund der Themenüberschneidung bewarb ich mich für einen Forschungsaufenthalt und konnte auf diese Weise zwei Monate lang den Alltag an der University of Colorado in Boulder miterleben. Ähnlich wie an der deutschen Uni, nur etwas intensiver, wird hier rund um die Uhr mit Hochdruck geforscht: Neue Ideen werden diskutiert, oftmals verworfen und Computersimulationen programmiert. Mit großer Spannung werden die Ergebnisse erwartet, denn nur diese zeigen, ob man einen Vorteil gegenüber einem bereits bestehenden System erreichen konnte. Da ich von diesem Aufenthalt viele Arbeitsergebnisse mitbringen konnte, wurde die Zusammenarbeit nach meiner Rückkehr per Telefon und E-Mail fortgeführt. Die betreuende Professorin aus den USA wurde letztendlich die Zweitgutachterin meiner Doktorarbeit. Entstanden ist in dieser Arbeit ein optimiertes Verfahren für die Decodierung von digitalen (Funk)-Signalen. Ein Decodierprozess dieser Art wird in jedem Empfänger (z.B. TV-Receiver oder Handy), aber auch in informationsspeichernden Geräten (z.B. DVD-Player, Fest-

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platten) durchgeführt. Durch das vorgestellte Verfahren lassen sich stark verrauschte Nachrichten rekonstruieren, die mit Standardmethoden nicht mehr decodierbar wären. Möglich macht dies ein Diversitätsansatz im Decoder. Die Promotion hat mich fachlich wie auch persönlich sehr viel weitergebracht. Ich habe gemerkt, dass sich Beharrlichkeit und Geduld auszahlen und nur ein detailliertes Verständnis von Sachverhalten zu neuen Erkenntnissen führt. Opfer sind in der Forschung vor allem in langen “Schichten” und vielen Wochenendüberstunden zu erbringen. Ich freue mich, dass meine Freundin Vera das alles mitgemacht hat und ich auf diese Weise nun gut bei meinem neuen Arbeitgeber durchstarten kann. Ich wünsche allen, die auf einem ähnlichen Weg sind, viel Durchhaltevermögen und Erfolg. Zum Autor: Thorsten Hehn, geboren am 23.03.1979 in Billed, wohnte bis 1982 in der Klarigasse 804. Seine Eltern sind Magdalena Hehn (geb. Leidecker) und Peter Hehn. Er hat im Mai 2009 unter der Betreuung von Prof. Johannes Huber (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Prof. Olgica Milenkovic (University of Illinois at Urbana-Champaign) in Erlangen promoviert. Bereits seit Februar 2009 wohnt er mit seiner Freundin Vera in Wolfsburg, wo er für die Volkswagen Konzernforschung im Bereich “Car Connectivity” tätig ist. Seine Doktorarbeit ist im Juli 2009 im Buchhandel erschienen und z.B. bei amazon.de erhältlich.


Leistung und Würdigung

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10 Jahre Banater Seniorenzentrum Josef Nischbach in Ingolstadt Peter Krier

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rsprünglich wollten wir in unserer Patenstadt Ingolstadt ein Banater Kulturzentrum errichten. Dessen Finanzierung war jedoch nicht realisierbar, so entschieden wir uns 1997 für den Bau eines Seniorenzentrums. Finanziert wurde das Projekt durch Zuwendungen der Stadt, des Landes Bayern und des Bundes. Den größten Finanzierungsbeitrag leisteten jedoch die vielen Spender, sodass unser Seniorenzentrum hauptsächlich eine Eigenleistung der Banater Schwaben ist. Das Heim, bestehend aus zunächst drei Häusern, wurde im Herbst 1999 fertig gestellt und bezogen. 2006 wurde dem Zentrum ein weiteres Haus hinzugefügt. In den nunmehr 4 Häusern befinden sich 50 Einzimmer- und Zweizimmerwohnungen für betreutes Wohnen, die Abteilung für stationäre Pflege verfügt über 40 Betten in Einzelzimmern. Im Haus befindet sich ein Team für die ambulante Pflege der Bewohner im betreuten Wohnen. Das Zentrum verfügt über eine Produktionsküche und alle nötigen Einrichtungen zur Pflege, Betreuung und Versorgung der Bewohner. Zurzeit leben in dem Heim 106 Personen, weitere 164 Bewohnerinnen und Bewohner haben in den vergangenen 10 Jahren in der Einrichtung gelebt. Sie alle werden oder wurden

im Josef-Nischbach-Heim betreut und gepflegt, verbringen oder verbrachten hier wohlversorgt in einem heimatlich-familiären Ambiente ihren letzten Lebensabschnitt. Das Heim wurde von den Landsleuten angenommen, war in den vergangenen 10 Jahren immer voll belegt und steht heute auch wirtschaftlich auf einer guten Basis. So gab es denn auch Grund zur Feier des 10. Jubiläums der Eröffnung des Heimes. Die Feierlichkeit fand am 19. September d.J. statt. Sie begann mit einem von Msgr. Andreas Straub zelebrierten Dankgottesdienst, dem sich eine Feierstunde anschloss, der ein gemütlicher Nachmittag mit den „Lustigen Donauschwaben“ aus Landshut folgte. Nahe 400 Gäste hatten sich zu dieser Jubiläumsveranstaltung eingefunden. Der Bayerische Ministerpräsident, Horst Seehofer, der unser Haus gut kennt, es schon dreimal besucht hat und uns als seinerzeitiger Gesundheitsminister eine hohe Bundeszuwendung vermittelte, hatte ein persönliches Grußwort zu diesem Jubiläum gesendet. Die bayerische Sozialministerin, Christine Haderthauer, überbrachte ihre Grüße persönlich. Sie hatte ihre Festrede unter das Motto des Hauses „Soviel Selbständigkeit wie möglich und soviel Hilfe wie nötig“ gestellt. Auch


Leistung und Würdigung

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Oberbürgermeister Dr. Alfred Lehman und Regierungsvizepräsident Ulrich Böger überbrachten Glückwünsche zum Jubiläum. Ebenso überbrachten der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Bernhard Krastl, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Prof. Karl Singer, und der Leiter der Adam-Müller-Guttenbrunn Stiftung, Helmut Weinschrott, Grüße und Glückwünsche. Dem Berichterstatter war es dann vorbehalten festzustellen, dass das Hilfswerk der Banater Schwaben mit den Einrichtungen im Banat, wo täglich 430 Landsleute verpflegt und 140 in Heimen gepflegt werden, mit dem Seni-

orenzentrum in Ingolstadt, wie auch mit den anderen Hilfeleistungen, zurecht als soziales Gewissen der Banater Schwaben bezeichnet werden kann. Es bleibt jedoch unsere Aufgabe, weiter zu helfen. Ihre Spenden auf das Konto 204080 bei der Raiffeisenbank Schwabach BLZ 76460015 nehmen wir dankbar an. Weitere Informationen über das Heim in Ingolstadt erhalten Sie über Tel.: 0841 96435400; wir freuen uns auch über Besucher. Informationen über das Hilfswerk können sie unter www.hilfswerk-der-banater-schwaben.de im Internet abrufen.

Johann Mathis ein erfolgreicher Musiker, Texter und Komponist Geschichten, die das Leben schreibt Peter Krier

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ie interessantesten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst, wenn es auch nicht immer schöne Geschichten sind und nicht alle am Schluss ein Happy End ha-

ben. Die Geschichte der Kinder des Wagnermeisters Adam Lind aus Billed gehört zu denen, die ein gutes Ende gefunden haben. Die Story begann 1937: Die Nachbarskinder, der junge Wagnergeselle Adam Lind und die schöne Kaufmannstochter Anna Mathis, hatten sich ineinander verliebt. Heiraten durften sie jedoch nicht, auch dann nicht, als Anna guter Hoffnung war und ein Kind erwartete. Ob die unnachgiebige Mutter Annas oder der verletzte Stolz des selbstbewussten jungen Mannes letztlich zum Abbruch der Beziehung führten, ist heute nicht mehr bedeutsam. Das Paar ging getrennte Wege. Anna brachte 1938 einen Sohn zur Welt, der auf den Namen Johann getauft und Hansi gerufen wurde. Adam Lind, der sich eine selbständige Werkstatt einrichtete und ein angesehener Wagnermeister war, heiratete 1939 Elisabeth Pritz. Der Ehe entsprossen der Sohn Hans, geboren 1940, und die Tochter Katharine, verheiratete Muttar, geboren 1944. Die Familie Lind blieb in Billed, hat dort Krieg,


134 Enteignung, Kollektivwirtschaft miterlebt und konnte 1986 geschlossen auswandern. Ihre neue Heimat fand sie in Karlsruhe und Nagold. Anna Mathis heiratete später den Jahrmarkter Michael Schlauch. Beziehungen zwischen den Familien oder den Kindern gab es keine. Während der Kriegsereignisse, im Herbst 1944, flüchtete Anna Schlauch mit ihrem 6-jährigen Sohn Hansi nach Österreich, wo die Familie in Ried, im Innkreis, ein neues Zuhause fand. 1964 heiratete Hansi seine große Liebe Anka. Diese schenkte ihm drei Kinder: Sabine (1965), Christian (1966) und Stephan (1970). Bald stellte sich heraus, dass Hansi musikalisch sehr begabt ist. Als Autodidakt hat er sich das meiste selbst beigebracht. Es begann eine Musikerkarriere, die sehr erfolgreich werden sollte. Schon während der Schulzeit begann er mit einem Trio in Bars zu spielen, um sich etwas Taschengeld zu verdienen. 1959 gründete er die mit fünf Musikern besetzte Tanzkapelle „Melodia“, die viel auf Bällen und Hochzeiten spielte. 1965 wurde die Formation durch seine Schwester Anneliese Schlauch als Sängerin verstärkt. Der Name wurde auf „Johann Mathis-Combo“ geändert und bestand bis 1990. Seither spielt er im Duo hauptsächlich auf Seniorenbällen. Schon von Anfang an hat er Lieder komponiert. Vorerst nur für die eigene Kapelle. Später immer öfter für andere Kapellen und Sänger, darunter Jahn Berthold, („Abschied von der Mutter“) die Blaskapelle „Linzer Buam“, die „Kasermandln“ („Bergkameraden“) und die „Original Donauschwaben“ München bis zu den „Zillertaler Schürzenjäger“ („Ich lieb die Berge meiner Heimat“), den „Kastelruther Spatzen“ („Die Frau von einem Musikant“) und viele andere. Johann Mathis hat bisher schon über 2000 Lieder komponiert und viele Liedtexte geschrieben. Seine Lieder wurden mit über 30 goldenen Schallplatten ausgezeichnet. In den letzten 20 Jahren wurden jährlich drei bis vier Lieder von ihm in verschiedenen Fernsehsendungen vorgetragen: im Musikanten-

Leistung und Würdigung stadl, Hansi Hinterseer Open Air, Kastelruther Spatzenfest, Zillertaler Schürzenjäger Open Air, in der Musikantenscheune und weiteren Sendungen des WDR, SWR, BR und anderen. Seine Lieder „Bergkameraden“ oder „Abschied von der Mutter“ sind mittlerweile so bekannt, dass eine Zeitung schrieb, sie wären Volkslieder geworden. Natürlich ist Johann Mathis, der nur 6 Jahre seiner frühen Kindheit in Billed verbracht hat, Österreicher geworden. Aber auch zum Banat und zu Billed hat er durch seine Kindheitserinnerung und durch die Vermittlung seiner Mutter eine enge Beziehung, er fühlt sich auch als Billeder. Für die Billeder hat er ein Lied mit dem Titel „Ich denk so gerne an daheim, an Billed im Banat“ komponiert und getextet, das, 1981 erstmals vorgetragen, zur Hymne der Billeder geworden ist. Mit diesem Lied, vorgetragen von Irmgard Holzinger-Fröhr, Melitta Giel und Sepp Herbst wurden die Billeder beim diesjährigen Heimattreffen zu Pfingsten in Karlsruhe begrüßt. Ganz besonders galt dieser Gruß dem Komponisten Johann Mathis, der Gast des Heimattreffens war und in Karlsruhe das erste Mal seinen Bruder und seine Schwester getroffen hat. Die Geschwister wussten voneinander, aber begegnet waren sie sich noch nie. Da die Eltern Adam Lind, Elisabeth Lind und Anna Schlauch, geb. Mathis, auf die man bisher Rücksicht genommen hatte, mittlerweile verstorben waren, haben die Geschwister nun zusammengefunden und sich in Karlsruhe das erste Mal getroffen. Wie wir erfuhren, war das Zusammentreffen ein Wunsch aller drei Kinder des Adam Lind. Es war ein herzliches Treffen, bei dem die geschwisterliche Zusammengehörigkeit besiegelt wurde. Zur Freude des Komponisten und aller Anwesenden spielte die Billeder-Alexanderhausener Blasmusik noch einen Marsch aus der Feder von Johann Mathis, mit dem auch zum Ausdruck kam, dass wir alle ein bisschen stolz darauf sind, den erfolgreichen Musiker zu uns zählen zu dürfen.


Leistung und Würdigung

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Peter Gutekunst mit seinen Jungs auf der Schager Kirchweih 1930, darunter auch Josef Schortje, ganz rechts, dritte Reihe von unten.

Josef Schortje, ein zu früh verstorbener junger Musiker Adam Tobias

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osef Schortje wollte ein großer Musiker werden, leider verstarb er mit 26 Jahren viel zu früh. Seine Hinterlassenschaften (aus musikalischer Sicht) sind recht zahlreich. Gelernt hat er, das Flügelhorn zu spielen bei Kapellmeister Gutekunst. Später hat er dann eine Kapelle gegründet. Dazu brauchte er Noten, viele Noten, die er vom Musikverlag Morawetz aus Temeswar bezog oder von Bekannten abschrieb. Oft auch ohne Notenpapier, da es zu teuer war oder nicht zur Hand. Es sind Noten aus mehreren Ortschaften aus dem Banat. Wie es dazu gekommen ist, ist nicht mehr bekannt. Es sind Noten aus: Deutsch Sankt Michael, Moritzfeld, Merczydorf, Zilasch, Mehala, ja sogar aus Satu-Mare und aus Düsseldorf. Diese Noten und auch das Flügelhorn, das Josef Schortje gespielt hat, hat seine noch in Billed lebende Schwester Maria Schortje 2005, als wir zum 240sten Jubiläum von Billed bei ihr waren, freigegeben. Man muss sich das mal vorstellen: Seit 1938, als Josef Schotje ver-

starb, haben diese Sachen auf dem Dachboden gelegen. 67 Jahre lang. Bei den vielen Noten waren auch ein paar Neuentdeckungen dabei. Meist sind es Walzer und Polkas, die ich gefunden habe, aber auch ein Tango, ein Csardas, die Schwäbische Volkshymne, kirchliche Gesänge und Signale für Signalhörner (etwas sehr Ungewöhnliches, diese Signale, die wohl aus dem ersten Weltkrieg stammen?) Die „Billeder Polka“ und die „Billeder Kerweih-Polka“ haben wir da noch entdeckt. Leider gab es nur noch eine bzw. zwei Stimmen. Etwas ganz Besonderes, finde ich, ist da eine Einladung zu einem Cabaret-Abend mit Tanzunterhaltung aus dem Jahre 1929, deren Rückseite er ein Jahr später als Notenpapier nutzte. Sonst wäre diese Einladung wohl nicht erhalten geblieben. Diese belegt die rege kulturelle Aktivität zwischen den Kriegen in Billed, die fast immer von der freiwilligen Feuerwehr ausgeführt oder unterstützt wurde.


Leistung und Würdigung

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Hans Martini zum 75.

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arum soll ich nicht helfen, wenn ich kann?“, könnte als Motto über seinem Leben stehen, fast ein Helfersyndrom könnte man meinen, das zeitweilig alles andere überschattet und vergessen lässt zum Leidwesen der Allernächsten. Natürlich hat er selbst im Laufe seines Werdens auch Hilfe gebraucht und denkt dabei ganz besonders dankbar an seine Großmutter, die dann, als andere ihn gesundheitlich schon aufgegeben hatten, energisch eingriff und ihm so wahrscheinlich das Leben rettete. In ihrer Obhut wuchs er umsorgt heran; auch wenn der Großvater streng und fordernd war, glättete sie immer wieder die Wogen. Sie half ihm durch ihr geschicktes Taktieren auch dann, als er, herangewachsen, als Student von der „wohlwollenden Gemeindeobrigkeit“ als „Chiaburensohn“ gestempelt, vermutlich den 3-jährigen Militärdienst hätte leisten müssen statt der Offiziersprüfung. Am 15. Juli 1934 geboren, war es rückblickend wahrscheinlich die Zeit der Hochblüte der Gemeinde Billed, wo Arbeit, Fortschritt und Wohlstand Hand in Hand gingen, die Zeit, in der das bäuerliche Leben Anstrengung und Verzicht, aber auch Lebensfreude und Zuversicht bedeutete. Jedoch Landwirt wollte Hans Martini nie werden. Durch den Großvater angeregt, las er schon früh sehr viel Geschichtliches, das er auch heute noch im Gedächtnis hat. Auch erfuhr er durch den Großvater viel Hintergründiges, Wahres über den I. Weltkrieg, in dem dieser 4 Jahre gekämpft hatte und mehrfach ausgezeichnet wurde, aber auch zur Einsicht gekommen war, dass der Krieg den Menschen nur Unheil bringt. In der Schule gehörte Hans Martini stets zu den besten Schülern, erlebte aber durch die politische Wende 1945 die Zäsur seines Lebens durch den plötzlichen Übergang von Deutsch als Unterrichtssprache zu Rumänisch. Doch 3 Klassen in Deutsch haben ihm offensichtlich nicht gereicht, um ihm später auch die erfor-

derliche Sicherheit im Hochdeutschen zu geben wie in der Mundart oder in Rumänisch. In der 4. Klasse kannten er und seine Kollegen kaum mehr als mama, tata, apa und wurden erst durch Privatunterricht auf das erforderliche Niveau gebracht, um dann abwechselnd in Temeswar und Billed weiter zu lernen. Leicht war es bestimmt nicht, doch mit der Zeit, die auch materielle Armut, Verzicht auf vieles für die enteigneten, rechtlosen Deutschen bedeutete, mauserte sich Hans Martini nicht nur zum Besten seiner Klasse in Geschichte, Chemie, Mathemathik, sondern auch in Rumänisch, was ihm besonderes Lob seiner Lehrerin einbrachte. Natürlich half es ihm auch beim anschließenden Hydrotechnik-Studium, das er aufgrund seiner Bestnoten ohne Aufnahmeprüfung beginnen konnte, jedoch auch jedesmal, wenn es im Büro um strittige Probleme der rumänischen Orthografie ging. Auch heute sind für ihn offizielle Schreiben in Rumänisch überhaupt kein Problem, während die meisten Landsleute sich schwer damit tun. Gern hilft er jedem, der Hilfe braucht. Das Auswandern fiel ihm und seiner Frau Elisabeth, die er ausgerechnet am 1. April 1967 ehelichte, nicht leicht, weshalb es auch erst 1991 erfolgte, nachdem auch seine Eltern in Karlsruhe eine Bleibe gefunden hatten. Altersund gesundheitsbedingt konnte er beruflich als Hydro-Bauingenieur nicht mehr tätig werden, dafür aber half er, wo er nur konnte. Schon früher als Abteilungsleiter der Kreis-Bauinvestitionen in der staatlichen Landwirtschaft verhalf er vielen ausreisewilligen Landsleuten zu den offiziellen Belegen ihrer beruflichen Qualifikation am Arbeitsplatz und so zu einer gemäßeren Rente. Er agierte eigentlich immer mehr im Hintergrund, unauffällig, aber effizient.So z.B. bei der Erstellung des Billeder Sippenbuches, indem er die im Billeder Register fehlenden Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden im Temeswarer Staatsarchiv kopierte und


Leistung und Würdigung so zugänglich machte. Beihilfe hat er auch zur Erstellung des Denkmals für die Opfer des II.Weltkriegs, der Russland- und Baragan-Verschleppung in Billed geleistet, ebenso bei der Renovierung des Kalvarienbergs. Auch bei der Inventur der Gräber auf den beiden Billeder Friedhöfen war Hans Martini maßgeblich mit dabei, kam nach getaner Arbeit der großen Hitze wegen mit Sonnenbrand an den Händen heim, aber überzeugt, etwas Wichtiges für spätere Generationen geleistet zu haben. Vielen Landsleuten war er auf Ansuchen des Billeder Gemeinderats behilflich bei der Erstellung der erforderlichen Unterlagen zwecks Rückerstattung von Immobilien in Billed und Umgebung. Auch um das Forums-Haus hat er sich all die Jahre bemüht, zuletzt technischberatend beim Neubau der Küche und der Unterbringungsmöglichkeiten für die BilledBesucher.

137 Fachmännische Beratung leistete er auch bei der jüngst abgeschlossenen Renovierung unserer Heimatkirche, die nun, von weitem sichtbar, in neuem Glanz erstrahlt. Mitorganisator der von der Karlsruher Feuerwehr unternommenen Schenkungfahrt nach Billed war er auch und sehr beeindruckt von der Begeisterungsfähigkeit der Menschen über Grenzen hinweg. Außerdem war und ist Hans Martini Landsleuten behilflich, die für ihre Rente erforderlichen Belege für die in Rumänien geleistete Arbeitszeit zu besorgen, zeitsparend und wie hier verlangt. Bei all seinen Bemühungen für die Gemeinschaft hatte und hat er stets die volle Unterstützung seiner Ehefrau Elisabeth. Dem Jubilar kann man nur Gesundheit und Schaffenskraft wünschen, damit er auch weiterhin unserer Gemeinschaft von Nutzen sein kann, was er gerne tut, ohne ein Aufsehen daraus zu machen.

Nachruf für Dr. Susanne Reichrath

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ach einem bewegten und erfüllten Leben hat Frau Dr. Susanne Reichrath, geboren am 10. April 1920 in Billed, am 22. Juni 2009 in Isny ihren ersehnten Frieden gefunden, nachdem sie als langjährige geschätzte Mitarbeiterin der Abteilung Medizin die NaturwissentschaftlichTechnische Akademie mit ihrem fachlichen Wissen bereichert hat und alle stets an ihrer wahren Menschlichkeit teilhaben ließ. Für das Deutsche Rote Kreuz war sie Initiatorin und Motor der Hilfsprojekte Rumänien, indem sie Spenden in der Region gesammelt hat für die Armenküche und das Kinderheim in Temeswar. Dank ihrer großzügigen Unterstützung konnte jedes Jahr die Not der dortigen

Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Gerät gelindert werden. Sie war ein Vorbild für die Menschen in ihrem Umfeld, weshalb viele sich ihr gegenüber zu Dank verpflichtet fühlen und sie lange in guter, liebevoller Erinnerung bewahren werden. Selbst ihre Beerdigung gestaltete sie als Hilfsprojekt, indem sie statt Blumen Spenden für die Temeswarer Armenküche erbat. Aus ihrer selbstverfassten Grabrede „Letzte Rechenschaft“ nur Einiges: „ Ich erinnere mich der religiösen Begeisterung, als ich den Satz fand: ‚Es geht ein roter Faden durch alle Religionen und dieser Faden ist die Liebe.‘ Heute weiß ich auch, wie leicht es ist, irregeführt zu werden und wie leicht selbst edle Gefühle zum Bösen gewendet werden. In Isny hat man mich zu den humanitär denkenden Menschen gezählt. Doch Näch-


138 stenliebe übersteigt meist unsere Kräfte; zur allumfassenden Liebe aller Kreaturen sind nur Heilige oder Genies der Menschlichkeit wie Mutter Theresa oder Alfred Schweitzer fähig. Bleiben müsste jedoch aktive Hilfsbereitschaft für den Nahen, den Nächsten sowie Solidarität, Verantwortung und Achtung vor den anderen, besonders auch Verantwortung

Leistung und Würdigung für das bedrohte Leben auf der Erde. Es ist zwar schwer, bei seinem eigenen Begräbnis dabei sein zu wollen, doch ich habe den Glauben an das Gute im Menschen und die Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit nicht aufgegeben. Wann immer jemand auf seine Weise freundschaftlich an mich denken wird, dem bin ich schon jetzt auf meine Weise dankbar.“

In memoriam Jakob Martini

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iefe Trauer lag auf den Gesichtern der vielen, vielen Menschen, die am 5. Juni gekommen waren, um für immer Abschied zu nehmen von dem Menschen, der für viele so unerwartet und zu früh Familie und Gemeinschaft verlassen musste, der schweren Krankheit unterlag. Am 26. Februar 1937 in Billed geboren, war Jakob Martini einer jener Banater Schwaben, die es nicht immer leicht im Leben hatten, aber denen dafür Familienglück und wahre Freundschaft beschieden waren. Seiner Heimat, dem Banat, hat er sich stets verbunden gefühlt, dem Banat, das durch ein Vierteljahrtausend zielstrebigen Schaffens unserer Vorfahren aus Sumpf und Gefahr entstanden war. Schul- und Arbeitskollegen, Freunde, Nachbarn, Landsleute, vor allem aber die Familienmitglieder schätzten an ihm Zuverlässigkeit, Offenheit, Hilfsbereitschaft, seine freundlichhumorvolle Umgangsart mit den Menschen, oft bis ins Ironische, seinen gesunden Menschenverstand. 1984 nach großen Schwierigkeiten mit der Familie in die Bundesrepublik ausgewandert, wurde Jakob Martini Gießer in Karlsruhe, erarbeitete sich mit Ehefrau Anna ein eigenes

Heim, in dem sich die Kinder Hannelore und Hans wie auch die Eltern und Schwiegermutter wohlfühlten. Stets war er auch bemüht, die alten, in alle Richtungen zerstreuten Freunde aus Billed hier in in der BRD wieder zusammen zu bringen durch organisierte Klassentreffen und viele andere Begegnungen. In den Vorstand der Billeder HOG gewählt, hat er immer im Sinne der Satzungen dieser Gemeinschaft, zum Wohle derselben gestimmt und gehandelt, war tiefgründig und verantwortungsbewusst dem Heimatlichen gegenüber, vor allem die Kirche und die beiden Friedhöfe betreffend wie auch die Menschen hier und dort. Auch die Mitarbeit am Billeder Heimatblatt war ihm ein wichtiges Anliegen, wobei er weder Zeit noch Mühe scheute, originelle Ideen hatte. Für sein unermüdliches Bemühen um das Wohl unseres Banater Volksstammes wurde ihm zum Dank der Ehrenbrief der Landsmannschaft der Banater Schwaben verliehen. Im Namen des Vorstandes der HOG Billed soll ihm hiermit auch Dank zuteil werden und das Versprechen, dass man sich seiner oft und gern erinnern, dass man ihn bei wichtigen Beschlüssen vermissen wird, aber auch dass man sich rückblickend darüber freut, dass er da war, dass er war, wie er war und deshalb unvergessen bleibt.


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Inhaltsverzeichnis

Vorwort................................................................................................................................................................3 Billeder Heimattreffen 2009, Brigitte Hehn.................................................................................................. 4 Das Billeder Info-Blatt „MONITORUL primariei Biled“...........................................................................12 Traditionelles Handballturnier in Billed 2009, Michael Rieder.................................................................. 14 Auf Besuch in der ehemaligen Heimat, Margarethe und Wilhelm Weber ................................................ 16 Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erzählen, Maria Schortje-Sommer .....................................20 Heimat hier und dort, Barbara Franz.......................................................................................................... 22 Billeder holen den Waldkraiburger Kirchweihstrauß, Hilde Prutean geb.Reiser...................................... 23 Unser Heimathaus in Billed, Peter Krier.................................................................................................... 24 Ein Wochenendausflug nach Temeschburg – Billed, Johann und Katharina Hahn................................. 28 Der Heimat verbunden bis zum Lebensende, Peter Krier.......................................................................... 30 Die Glocken der Heimat, Hermine Schnur.................................................................................................. 32 Ansprache am Billeder Gedenkstein, am 31.05.2009, Werner Gilde.........................................................34 Allerheiligen 2009, Josef Herbst..................................................................................................................40 Wer erkennt sich und die Spielkameraden auf dem Foto? K. Thöreß und E. Herrenreich...................... 42 Erlebnisse einer Zwangsarbeiterin............................................................... 45 Die Gräber schweigen, Buch von Johann Steiner....................................................................................... 55 Ein Stück Berliner Mauer via Temeswar nach Karlsruhe, Elisabeth Martini (Frick)............................... 70 Zeitzeugen erinnern sich, Elisabeth Packi...................................................................................................73 20 Jahre danach..., Elisabeth Martini...........................................................................................................75 „Wir sind das Volk“ - die Wende vor 20 Jahren, Peter Krier...................................................................... 79 Freiwilliger Arbeitseinsatz - Munca patriotică, Wilhelm Weber..................................................................82 Ich wünsche dir Zeit, Elli Michler............................................................................................................... 85 Glocken meiner Heimat, Gisela Umbach (Steineberg).............................................................................. 86 In glücklichen Tagen..., (eingesendet von Jakob und Lissi Müller)........................................................... 86 Weihnachtsgedanken, Hermine Schnur....................................................................................................... 87 Noch hält die Gemeinschaft uns fest, Gertrud Kopp-Rüb.......................................................................... 89 Kannscht du dich noch erinnre? Mathias Kandler (Johannisfeld)............................................................ 89 De Ota un de Tierpark, Otto Aczel............................................................................................................... 90 Wann de Stollemunges un de Hillseblitz Broikes mache, Erika Weith, geb. Leidecker............................ 91 Gnä` Frau, de gnä‘ Rock es..., Elisabeth Martini (Frick)........................................................................... 93 Schmunzle (odr lache), Franz Gebel................................................................................................ 96 Billeder Rentnertreffen 2009, Jakob Muttar................................................................................................ 97 10 Jahre Schlachtfest, Adam Tobias.............................................................................................................98 Sommerfest des Kreisverbandes Karlsruhe, Kerstin Klein.......................................................................102 Herbstfest in Nürnberg, Renate Frombach............................................................................................ 104 Erinnerungen an mein Klassentreffen, Marlene Slavik............................................................................ 106 Klassentreffen der Jahrgänge 1944, 1945 und 1949, Katharina Senn (Jobba)....................................... 110 Städtereise der Karlsruher Landsleute, Irmgard Triess............................................................................. 114 Von Karlsruhe nach Portofino durch 260 Tunnels, Elisabeth Martini (Frick).........................................118 Nachtragsliste der Spender für die Kirchenrenovierung ...........................................................................123 Ein Banater „Finne“, Hermann Schulze Niehues......................................................................................129 Aus der Forschung in die Automobilindustrie, Thorsten Hehn (804)................................................... 130 10 Jahre Banater Seniorenzentrum Josef Nischbach in Ingolstadt, Peter Krier..................................... 132 Johann Mathis - ein erfolgreicher Musiker, Texter und Komponist, Peter Krier....................................133 Josef Schortje, ein zu früh verstorbener junger Musiker, Adam Tobias................................................... 135 Hans Martini zum 75. ...................................................................................................................................136 Nachruf für Dr. Susanne Reichrath ..............................................................................................................137 In memoriam Jakob Martini .........................................................................................................................138 Statistik unserer Billeder Landsleute in Rumänien, Josef Herbst............................................................ 139 Statistik unserer Landsleute weltweit; Dem Alter die Ehre 2009, Josef Herbst ......................................141


Foto oben: Aufnahme aus dem 5-Uhr-Zug von Temeswar im Sommer 2009 Foto unten: Bahnübergang an der ehemaligen „Zootechnie“



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