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Billeder Heimatblatt 2005 18. Ausgabe
Dezember 2005
240-Jahr-Feier in Billed
Inhalt Brauchtum und Tradition ............................................................................................ 4 Farbfotos ................................................................................................................... 43 Rückblick .................................................................................................................. 43 Handball - Geschichte .............................................................................................. 80 Geschichte .............................................................................................................. 102 Dialekt .................................................................................................................... 104 Dichtung ................................................................................................................. 106 Aktuelles aus Billed ................................................................................................ 109 Begegnungen .......................................................................................................... 110 Leistung und Würdigung ........................................................................................ 113 Statistik ................................................................................................................... 118 Zeittafel ................................................................................................................... 137 In eigener Sache ..................................................................................................... 141 Inhaltsverzeichnis ................................................................................................... 143 Umschlag U1: U2: Elisabeth Gilde (Haupt), Katharina Gilde (Lahni), Maria Gilde (Steiner), Eins.: Ilse Jochum (Tuttenuit) U3: 18.12.2004 im Haus der Heimat Karlsruhe U4: Fotos G. Kegler und P. Schweininger Redaktion: Elisabeth Martini Layout, Grafik und Satz: Hans Rothgerber Herausgeber: Heimatortsgemeinschaft Billed www.billed.de Herstellung: Präzis-Druck Karlsruhe
Vorwort Liebe Billeder und Freunde! Die Billeder haben dieses Jahr zwei große Feste gefeiert: Den Billeder Heimattag in Karlsruhe und 240 Jahre seit der Grundsteinlegung von Billed mit einem großen Fest in Billed. Der Dichter Adalbert Stifter hat gesagt: „Lass dir die Fremde zur Heimat, nie aber die Heimat zur Fremde werden.“ Unsere Kinder, welche hier geboren sind, halten die Zukunft in ihren Händen. Sie sollen hier ihre Wege finden mit unserer Hilfe und ihrem Verstand. Sie sollen aber auch wissen, wo unsere Wurzeln sind und dass Heimat ein deutsches Wort ist, das sich in keine andere Sprache wirklich übersetzen lässt. Möge dieses Heimatblatt dazu dienen, wach zu erhalten oder neu zu wecken, was sonst verloren ginge, möge es besonders die Jugend ansprechen und ein vertrauter Mittler werden zwischen alter Heimatverbundenheit und der in unserer neuen Heimat aufwachsenden jungen Generation. Die vor vielen Jahren geborene Idee der Herausgabe eines Heimatblattes kommt bei der Mehrheit unserer Landsleute und Freunde gut an. Die achtzehnte Ausgabe des Heimatblattes enthält wiederum zahlreiche Informationen, die sich über alle Bereiche erstrecken, ganz besonders sind in dieser Ausgabe die Jahresfeiern berücksichtigt. Wir sehen, dass wir noch eine lebendige Gemeinschaft sind und teils von anderen sogar etwas beneidet werden. In Zeiten, in denen wirtschaftliche Instabilität besteht und im sozialen Bereich vieles neu überdacht werden muss, ist es umso wichtiger, dass in einer Gemeinschaft das aktive Leben nicht zum Erliegen kommt. Durch viele Aktivitäten unseres Vereins wie: Heimattreffen, Seniorentreffen, Herbstfest in Nürnberg, Schlachtfest Frankenthal, wird das gesellschaftliche Leben, der Zusammenhalt in hohem Maße in positiver Hinsicht geprägt und beeinflusst. Anhand der Berichte, die ein Querschnitt durch unser Billed oder der neuen Heimat widerspiegeln, mögen Sie sich bitte selbst ein Bild verschaffen. Gleichzeitig möchte ich an diese Stelle alle zur aktiven Mitarbeit in unserer Gemeinschaft auffordern. All denen, die durch ihre Mitarbeit zum Entstehen dieses Heimatblattes beigetragen haben, möchte ich meinen, unseren Dank aussprechen. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich im Namen des Vorstandes vor allem Gesundheit und viel Freude beim Lesen des neuen Heimatblattes.
Werner Gilde Vorsitzender der HOG Billed
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Billeder Heimattreffen 2005
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m Samstag vor Pfingsten feierten wir in der Badnerland-Halle in Karlsruhe unser Heimattreffen und Kirchweihfest, das alle zwei Jahre an diesem Tag stattfindet. Morgens um acht Uhr ging es los mit dem Aufstellen des Maibaums und des Fasses (nach alter Tradition) für die Versteigerung des Kirchweihstraußes. Danach trafen auch schon die ersten Gäste ein, darunter unser Landsmann mit dem weitesten Anreiseweg, Hans Blum aus Australien. Im Foyer der Badnerland-Halle wurde eine Ausstellung der Hobbymalerin Barbara Backhaus gezeigt. Ihre Werke, Bilder mit Blumen und Landschaften aus der alten Heimat, wurden von allen begeistert aufgenommen. Gleichzeitig führte Hans Herbst eine Präsentation über die Erfassung der Gräber unserer Heimatfriedhöfe vor, die auf reges Interesse stieß. Am Nachmittag marschierten 19 Kirchweihpaare nach den Klängen der BillederAlexanderhausener Blasmusik unter der Leitung von Jakob Gross junior in unserer schmucken Tracht durch Karlsruhe-Neureut, um den stellvertretenden Ortsvorsitzenden Hans Müller zum Fest einzuladen. Der Festgottesdienst in der St.-JudasThaddäus-Kirche, zelebriert von Heimatpfarrer Peter Zillich und mitgestaltet vom Billeder Kirchenchor unter der Leitung von Hannelore Slavik, begleitet an der Orgel von Magdalene Roos, war vertraut und bewegend wie alle Kirchweih-Gottesdienste. Die beiden Solistinnen Irmgard Holzinger- Fröhr und Melitta Giel trugen das Ave Maria von Schubert professionell vor. Nachdem der Kirchweihstrauß gesegnet und Heimatpfarrer Peter Zillich zum Fest eingeladen war, ging man zum geselligen Teil des Treffens über. Unter Anleitung von Kirchweihvater Johann Mager-Lencesch versteigerten die GeldherrenRobert Rieder und Holger Göpfrich den schön geschmückten Rosmareinstrauß, den Franz Klein für seine Frau Inge ersteigerte.
Elisabeth Jung (geb. Neumann) Das Wetter war etwas regnerisch und so setzte man das Treffen im großen Saal der Badnerland-Halle fort. Werner Gilde, Vorsitzender der HOG Billed e. V., begrüßte die Gäste aus nah und fern, insbesondere die Trachtenträger und die Musikanten. Hans Müller, stellvertretender Ortsvorsteher von Karlsruhe-Neureut, hielt eine kurze Ansprache, in der er sich beeindruckt zeigte „welche Zusammengehörigkeit und Traditionsverbundenheit in Ihrer Ortsgemeinschaft lebendig ist“. Adam Csonti, Vorsitzender des Forums der Deutschen in Billed, überbrachte die Grüße und guten Wünsche der in Billed gebliebenen Landsleute. Er sprach gleichzeitig eine Einladung an alle Billeder aus, im August an der 240-Jahr-Feier in Billed, unserer Heimatgemeinde, teilzunehmen. Mit Musik ging es weiter, es folgte der Straußtanz, Hut und Tuch wurden verlost. Die Gewinner Gisela Nuss und Joseph Schmidt erhielten den üblichen Ehrentanz. Im Laufe des Nachmittags folgte ein kurzes Kulturprogramm anlässlich des 240. Jahrestages der Gründung unserer Heimatgemeinde Billed. Gerlinde Gilde trug ein Gedicht vor, der Chor und die beiden Solistinnen Holzinger-Fröhr und Giel boten Gesangseinlagen dar, Joseph Herbst sorgte mit seiner lustigen Art für Gelächter. Zur guten Stimmung trug vor allem die Blaskapelle bei und zu vorgerückter Stunde sorgte Gerhard Kegler mit seiner Anlage für Unterhaltung. Am Pfingstsonntag traf man sich auf dem Karlsruher Hauptfriedhof am Billeder Denkmal, um sich gemeinsam unserer verloren gegangener Heimat zu erinnern und unserer Toten in aller Welt zu gedenken. In ihrer Gedenkrede zitierte Elisabeth Packi (geb. Hehn) unseren Landsmann, den Schriftsteller Paul Schuster, der Heimat wie folgt beschreibt: „Heimat ist der Kilometer Null, von dem aus der Mensch sich ins Leben hinaus und hinein entfernt. Ohne diesen Kilometer-
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stein kann keiner ermessen, wie weit er gelangt ist. Die auf dem Stein sitzen bleiben, haben umsonst gelebt. Die ihn verleugnen auch. Wenn ich zurückschaue, ist die hinter mir liegende Strecke enorm. Die Heimat ist klein geworden und winzig wenig in der Umgebung dessen, was mir das Leben zugetragen hat. Aber wie klein sie auch sei: sie bleibt heiß und bunt. Und unverlierbar.“ Elisabeth Packi gedachte der großen Verluste aus den Reihen der Billeder Bevölkerung: Der Opfer aus der Zeit der Ansiedlung, der Opfer des ersten Weltkrieges und der Opfer des zweiten Weltkrieges, die auf der Flucht, während der Zwangsarbeit in Russland und während der Baragandeportation ihr Leben ließen. Unter dem Geläut der Billeder Kirchenglocken nahm Joseph Herbst die Totenehrung der 86 verstorbenen Landsleute der letzten zwei Jahre vor und Frau Elisabeth Luckhaub sprach das Gebet. Josef Schackmann und Hans Jobba legten am Denkmal einen Kranz für alle unsere lieben Toten nieder und der
Beim Festgottesdienst in der St.-JudasThaddäus-Kirche, zelebriert von Heimatpfarrer Peter Zillich und mitgestaltet vom Billeder Kirchenchor
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Chor unter der Leitung von Hannelore Slavik sang die bekannten Lieder aus der alten Heimat. Gerlinde Gilde und Heidi Müller trugen Gedichte vor. Das Ganze wurde musikalisch umrahmt von der Billeder- Alexanderhausener Blaskapelle. Bei einem gemütlichen Beisammensein in der Gaststätte des TSV Rintheim fand anschließend die Hauptversammlung der HOG Billed e V. statt. Werner Gilde berichtete über die zahlreichen Aktivitäten der letzten zwei Jahre, Jakob Muttar, der Kassenwart und die beiden Kassenprüfer Jakob Schrottmann und Franz Klein legten ihre Berichte vor. Frau Elisabeth Martini, verantwortlich für die Redaktion des Billeder Heimatblattes, rief zu reger Mitarbeit an demselben auf. Peter Krier, Ehrenvorsitzender der HOG Billed, lud zum 240-jährigen Jubiläum in Billed ein und erläuterte den geplanten Ablauf der Feierlichkeiten. Mit einem Mittagessen ließ man das Billeder Heimattreffen ausklingen. Wir danken allen, die zum guten Gelingen des Festes beigetragen und mitgewirkt haben.
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240-Jahr-Feier in Billed (1765-2005) 3 Tage Feststimmung und Nostalgie
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as in der „Banater Post“ und dem „Billeder Heimatblatt“ angekündigte GroßEreignis fand vom 19. bis 21. August unter besten Bedingungen und zur Zufriedenheit der Beteiligten statt. Zu seinem 240. Jubiläum hat Billed - in der Erinnerung noch unser Billed, in der Realität nicht mehr ganz unser Billed - Vorbereitungen getroffen, um seine zahlreichen Gäste aus dem In- und Ausland gebührend zu empfangen. Etwa 180 ausgewanderte Billeder wurden gezählt, davon sind 39 per Bus (18 Stunden unterwegs) angereist, die restlichen AltBilleder mit eigenen Wagen, und waren erstmal von den überdimensionalen Strohpuppen überrascht, die sie vor dem frisch renovierten, innen und außen super aussehenden Kulturheim begrüßten, wo es übrigens auch die alten Plumpklos nicht mehr gibt. Auch der Zufahrtsweg bis zur Kirche ist erneuert, nicht aber fristgemäß der Kirchensockel, der sie gewiss schöner noch hätte erscheinen lassen! Viele Gäste bestaunten das gepflegte Aussehen des Forumsitzes mit seiner kleinen volkskundlichen Ausstellung, die beiden Friedhöfe, doch vor allem die äußerst gelungene Renovierung der Friedhofskapelle und erfuhren, dass dahinter die organisierende Hand von Adam und Roswitha Csonti erkennbar ist, die volle Anerkennung unsererseits verdienen. Freitagnachmittag war der Himmel wolkenverhangen, gewitterverdächtig und für die meisten bereits angereisten Gäste schien der Regen eine sichere Komponente des nachmittäglichen Friedhofsprogramms. Wessen Gebete oder Wünsche erhört wurden, ist nicht festzumachen, Pfarrer B. Dumea schreibt es seiner Fürbitte zu, wichtig und erfreulich war, dass während der Veranstaltung schönstes Sommerwetter herrschte. Die heimatlichen Glockentöne ergriffen die Gemüter ebenso wie die Blasmusik der angereisten Musiker unter der Leitung von Jakob Groß, altbekannte Töne, die weit über den Friedhof hinaus zu hören waren. Die Ansprache von Werner Gil-
Elisabeth Martini de, dem Vorsitzenden der HOG Billed, war Lob, Dank und Rückblick auf die einschneidendsten Ereignisse und Daten im Leben der Billeder Gemeinschaft seit 1765, dem Gründungsjahr derselben. Er erinnerte dabei an schwere und schwerste Zeiten, an Katastrophen und Erfreuliches, an das Auf und Ab im Verlaufe unserer 240-jährigen Geschichte. Die vom Kirchenchor gesungenen Lieder erfüllten auch diesmal die Herzen der Anwesenden sowohl mit Wehmut als auch mit heimatlicher Geborgenheit. Eine passende Ergänzung zu Ansprache, Chorlieder und Blasmusik waren die von Gerlinde Gilde und Elisabeth Martini vorgetragenen Verse - insgesamt war es ein harmonisches Ganzes als Ausdruck tiefer Heimatverbundenheit und Totenehrung, was durch die Gebete des Pfarrers B. Dumea noch ergreifender, spiritueller wurde. Bei adäquater Blasmusik und stillem Gebet der Anwesenden erfolgte die Kranzniederlegung vor dem Friedhofskreuz durch Josef Herbst. Auf dem Neugässer Friedhof hatten sich inzwischen viel mehr Personen eingefunden, Katholiken und Nicht-Katholiken, gespannt auf das lange schon vorbereitete Ereignis: Die Neu-Weihe der renovierten Friedhofskapelle, die so viele Jahre vernachlässigt und erst jetzt einer General-Renovierung unterzogen wurde. Das Ergebnis ist beachtlich, worauf wir stolz sein können und allen danken wollen, die daran beteiligt waren, vor allem Adam Csonti und dem Bürgermeister Leontin Duta, der der Feier auch beiwohnte. Der Samstag begann für die Gäste beim Sitz des Forums mit einem gemeinsamen Mittagessen: gefülltes Kraut (Kohlwickel) mit Mamaliga (Maisbrei), was allen bestens mundete und nach Belieben mit MineralWasser oder Bier hinuntergespült wurde. Nach kurzen Besuchen oder einem Schwätzchen zwischen alten Freunden oder Bekannten, strömten dann alle zum Kulturheim, um es so, renoviert und neu möbliert, zu bestau-
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Während der Neu-Weihe der renovierten Friedhofskapelle auf dem Neugässer Friedhof
nen, der Blechmusik zu lauschen und die Trachtenträger - in Einwanderer-, Arbeitsund Kirchweihtracht - zu begutachten. Der Umzug erfolgte dann in die vier Hauptrichtungen jeweils bis zur ersten Querstraße, erweckte Interesse, ließ Vorbeifahrende anhalten, staunen und knipsen. Zum anschließenden ökumenischen Gebet füllte sich die katholische Kirche wie selten und vereinte diesmal die Christen der Gemeinde: Katholiken, orthodoxe Christen und Baptisten in der Gestaltung des gemeisamen Gebetes. Es schien als hätte der Papst Benedikt XVI in seinem Bestreben, alle Christen zu einen und alle Religionen einander näher zu bringen, auch Billed erreicht. Es war eine friedlich-einsichtsvolle Stimmung, geprägt durch Gebet und Gesang, der die Kirche widerhallen ließ. Ein absolut gelungenes Experiment. Die Ansprachen der zur Feier des Tages ins Kulturheim geladenen Gäste: der Abgeordneten Ovidiu Gant, Viorel Oancea, Cristian Busoi, des Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Prof. Dr. Karl Singer u. a. unterstrichen die Tatsache,
dass Billed sich in seiner 240-jährigen Geschichte in allen schweren Zeiten bewährt, sich entwickelt hat und diesem Trend auch weiter folgen wird, falls alle hier Lebenden guten Willens sind mitzuwirken. Peter Krier hob hervor, dass wir Ausgewanderte nicht Billeder waren, sondern immer Billeder bleiben, egal, wo wir leben und wirken; unsere Wurzeln sind hier und werden ewig hier bleiben. Anlässlich des Jubiläums stellte Elisabeth Martini (Frick), die von Maria Sandor (Ciobanu) in rumänischer Sprache verfasste Monographie Billeds vor, wobei sie auch den Lebensweg der Autorin nachzeichnete, vor allem hervorhob, dass auch sie Vertreibung aus der Familie kannte und Deportation am eigenen Leib miterlebt hat und deshalb um Objektivität bemüht war. Ihre Hauptquellen waren die Werke unseres Landsmannes Franz Klein: „Billed. Chronik einer Heidegemeinde im Banat in Quellen und Dokumenten. 1765-1980“, „Billed. 222 Jahre Musterdorf Maria Theresias im Banat in Bildern und Dokumenten. 1765-1987“, die volkskundlichen Artikel aus dem „Billeder Heimatblatt“
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Der Umzug erfolgte in die vier Hauptrichtungen jeweils bis zur ersten Querstraße sowie die Gegenwartsdaten seitens des Gemeindevorstandes. Angeregt wurde die Aktion durch den Gemeinderat, das Demokratische Forum der Deutschen aus Billed und die HOG Billed, die auch für die Finanzierung des Projektes sorgten. Vordergründig war die Absicht der Initiatoren eine allgemeinverständliche Arbeit in rumänischer Sprache über das Werden unseres Dorfes in seinem geschichtlich-naturbedingten, sozial-demographischen, politischen Rahmen, ohne Anspruch auf wissenschaftlich-erschöpfende Darstellung. Die Autorin selbst würde es freuen, wenn künftig das Interesse für ortsmonographische Arbeiten zunehmen würde, die die vorliegende ergänzen, untermauern oder auch widerlegen. Zivilcourage beweist die Autorin, indem sie sich bewusst vom falschen Geschichtsbild der Vergangenheit distanziert und Ereignisse aus der Sicht der direkt Betroffenen, vom Schicksal Benachteiligten darstellt, wie z.B. die Deportation der Deutschen in die Sowjetunion, die Enteignung der Deutschen und ihr verzweifelter Kampf ums Überleben, die Baraganverschleppung, die Maria Sandor als Zweijährige selbst miterlebt hat. Es kann festgehalten werden, dass diese Ortsmonographie - übrigens in Billed bei
Adam Csonti bestellbar - mit ihrem optimistischen Blau und dem Ortsemblem auf dem Umschlag alle Bereiche des Dorflebens in ihrem Werdegang veranschaulicht und demzufolge ein buntgefächertes Informationsmaterial enthält, vielleicht sogar Impulse für den dortigen Alltag, für effizienteres Nutzen der dort existierenden Ressourcen. Als Meilenstein in der Billeder Geschichte sollte diese erste rumänische Monographie sowohl durch die Schule als auch durch andere Aktionen vertieft werden, denn nur wer auch die Vergangenheit kennt, meistert besser die Gegenwart und plant sicherer die Zukunft. Lob und Dank gebührt Maria Sandor für ihren Mut und ihren zeitraubenden Einsatz, ebenso allen, die informationelle und finanzielle Hilfe geleistet haben wie Sorin Suporan, Leontin Duta, Gabriela Sandor, Adam Csonti u. a. Für ihr hervorragendes Wirken im Sinne der Billeder Gemeinschaft wurden Wilhelm Weber in Abwesenheit und Sorin Suporan, Ex-Bürgermeister, zum Ehrenbürger Billeds ernannt. Jubiläums-Plaketten wurden verliehen an Werner Gilde, den Vorsitzenden der HOG Billed, Helmut Weinschrott, Direktor der AMG-Stiftung, an die offiziellen Gäste, Sponsoren und Bürgermeister der Nachbardörfer.
Brauchtum und Tradition Anschließend erfolgte bei einem sehr reichen und allen wohlschmeckenden Büfett die „Abschlussbesprechung“ des Tages, mit dem alle recht zufrieden sein konnten, auch wenn Hauptorganisator Adam Csonti sich über den plötzlich einsetzenden Regen ärgerte, der das wunderschön im Grünen aufgestellte Büfett in Gefahr brachte, das aber schnell nach innen verlegt wurde, wonach jeder auf seine Kosten kam. Währenddessen fand im Kulturheim ein rumänischer Folklore-Abend statt. Während am Sonntagvormittag im Schulhof das Handball-Turnier in vollem Gange war, erfolgte die Einladung der Ehrengäste durch den Kirchweihzug und anschließend der Festgottesdienst, der auch diesmal zur Freude des Ortspfarrers die Kirche füllte. Dieser brachte in seiner Predigt Evangelium und Jubiläum in Bezug zueinander, indem er Petrus (Fels) als Grundsteinleger der Kirche mit der Grundsteinlegung des Dorfes, seiner Kirche verglich. Und in Fortsetzung der Idee von Peter Krier, dass wir immer Billeder bleiben, auch wenn wir eine zweite Heimat gefunden haben, fand er, dass hier das Fundament für uns ist, die Wurzeln. „Unser Haus ist die Kirche, wir sind nicht obdachlos“. Die Kirche als Vermittler zwischen uns und Gott bietet Schutz gegen alles Böse; in ihr nimmt
9 man auch Rücksicht auf den andern. Es ist Illusion zu glauben, ein guter Christ auch ohne Kirche und ihre Glaubensgemeinschaft zu sein. Nach der Segnung des Kirchweihstraußes und der gesamten Kirchengemeinde erfolgte die Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer der beiden Kriege und Verschleppungen vor der Kirche, während die Blaskapelle „Ich hatte einen Kameraden“ spielte. In seiner Ansprache ging Peter Krier auf die Opfer der Billeder in schweren Zeiten ein und unterstrich die Tatsache, dass zwar alle in den verschiedensten Teilen der Welt während der Kriege und Deportationen verstorbenen Billeder auf den Gedenktafeln verewigt sind, noch mehr aber in den Herzen derer, die sie gekannt und geliebt haben. Ihr Opfer sollte für alle Zeiten reichen und nie wieder Krieg ermöglichen. Jeder Aufmarsch der Kirchweihpaare veranlasste einen regen Zulauf auf den Gassen, Staunen und Bewunderung. Bei der Straußversteigerung, verbunden mit der Hut-TuchVerlosung, herrschte gute Laune, bedingt auch durch die wechselseitigen Tanzeinlagen der Billeder und Karlsruher Tanzgruppe, wobei die von Edith Barta geleitete Jugendtanzgruppe absolute Spitze war, berechtigt
Den von Alfred Herbst ersteigerte Strauß bekamen die Musikanten, Foto: C. Gruber
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Beim Handballturnier waren sowohl Junioren- als auch Senioren-Mannschaften zugegen. viel Applaus erntete. Der von Alfred Herbst ersteigerte Strauß wurde diesmal keinem Kirchweihmädchen, sondern den Musikanten übereignet, die ihn freudig-überrascht entgegennahmen. Die 14-köpfige Blaskapelle aus Karlsruhe-Frankenthal unter der Leitung von Jakob Groß jun.- auch der 75-jährige AltKapellmeister Jakob Groß war mit von der Partie - brauchte anschließend nicht mehr lange zum Kerweihball aufzuspielen, weil die meisten der Angereisten sich für die Heimfahrt fertig machten, lieber noch mit dem und jenem ein Wort wechselten, sich verabschiedeten. Hauptsponsor war auch diesmal der nicht in Erscheinung getretene Ex-Billeder Nikolaus Mann.
Die Sportwettkämpfe erbrachten folgende Ergebnisse: Mini-Fußball: Avicola Buzias, PNL-Timis, Maracana Biled, Finante Timisoara Beim Handballturnier waren sowohl Junioren- als auch Senioren-Mannschaften zugegen. Nach sehr sportlichen Spielen wurden folgende Ergebnisse erreicht: Junioren: Biled, Arad, Lovrin Senioren: Biled, Arad, Universitatea Timisoara Zugegen war auch eine Handballmannschaft aus Nürnberg. Nach Meinung vieler Anwesenden war das Jubiläum eine rundum gelungene Veranstaltung.
Gemeinsames Mittagessen beim Forum: gefülltes Kraut mit Mamaliga, Foto: C. Gruber
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240 Jahre Billed Ansprache von Peter Krier
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40 Jahre sind eigentlich kein absolut plausibler Grund zur Feier eines Jubiläums, dennoch, so meine Überzeugung, hatte Adi Csonti, der Initiator dieser Feierlichkeit, Recht mit dieser Initiative, in einer so schnelllebigen, so dahinrasenden Zeit soll man die Feste feiern, so wie sie sich ergeben, denn in 10 Jahren kann schon manches anders sein. So muss ich zunächst auch der Gemeinde, Ihnen, Herr Bürgermeister, den Gemeinderäten und der Bevölkerung danken, dass sie diesen Vorschlag aufgegriffen haben, dieses Fest veranstalten und uns als Gäste hier empfangen. Zu danken habe ich auch allen Mitveranstaltern, Ihnen, hochwürdiger Herr Pfarrer, dem Kirchenchor, ganz, ganz herzlich der Jugendgruppe, den Gestaltern des Trachtenzuges und allen Mithelfern und Mithelferinnen, die für unser geistiges und leibliches Wohlbefinden sorgen. Diese Festveranstaltung wurde nur möglich durch die Unterstützung des Regionalforums, insbesondere auch durch die Unterstützung des Minderheitenrates, wofür ich Ihnen, Herrn Abgeordneten Ovidiu Gant, herzlich danke. Ich nehme auch die Gelegenheit wahr, durch Sie, Herrn Konsul Maruhn, der Bundesrepublik Deutschland zu danken für die stete soziale und kulturelle Unterstützung unserer hier verbliebenen Landsleute. Ich darf Ihnen, liebe Freunde, liebe Landsleute und verehrte Gäste die Grüße der über 3000 Billeder überbringen, die heute verstreut über die Welt, vor allem aber in großer Zahl in Deutschland leben. Ganz besonders aber grüße ich Sie seitens der mitgereisten, hier anwesenden Billeder, die aus Deutschland mit zu diesem Fest gekommen sind. Ich darf diese Grüße auch im Namen des Vorsitzenden der Billeder Heimatgemeinschaft Werner Gilde und des Stellvertretenden Vorsitzenden Sepp Herbst aussprechen. Mit uns ist auch eine kleinere Billeder Trachtengruppe aus Karlsruhe angereist und ein Teil der
Billeder-Alexanderhausener Blaskapelle unter der Leitung von Jakob Groß, die diese Festveranstaltungen musikalisch umrahmen. Bei einer größeren Veranstaltung in Deutschland, an der ich als Redner teilnahm, wurde ich als ehemaliger Billeder vorgestellt. Ein guter Anlass für mich festzustellen, dass ich kein ehemaliger Billeder bin, sondern, auch wenn ich heute wo anders lebe, immer noch Billeder bin und dies für die Zeit meines Lebens bleiben werde. Auf die Frage, wo wir herkommen, wird doch niemand von uns sagen, ich komme aus Billed, sondern er wird antworten, ich bin Billeder, mit der Betonung auf ich bin. Und damit kommt zum Ausdruck, dass wir diesem Ort, dieser Gemeinde, zugehörig sind. Billed oder Biled, für Milliarden Menschen ein belangloses Wort, dessen Bedeutung niemand genau kennt, über seine Bedeutung wird nur spekuliert, für uns Heimat, Geschichte, Herkunft, Zuhause für die, die hier leben, für uns alle Wurzel des Seins. Der Ortsname Billyed taucht, wie wir auch aus der anschließend vorzustellenden Monographie von Maria Sandor erfahren, 1462, also vor fast 550 Jahren erstmals in den päpstlichen Steuerregistern auf. Wann diese Siedlung entstanden ist, welchem Volk seine Bewohner angehörten, welche Sprache und welche Religion sie hatten, ist nicht bekannt. Es spricht vieles für die Annahme, dass diese Siedlung, die wahrscheinlich eine Größe von 20-40 Häusern hatte, sich etwa einen Kilometer vom heutigen Dorf entfernt auf der kleinen Anhöhe südlich der großen Schleife des Jer-Baches befand. Während der Türkenherrschaft wurde diese Siedlung vernichtet oder aufgegeben, die Spuren der Lehmhäuser verschwanden, es blieb jedoch der Name des Ortes Billiet als Flurname erhalten. Nach dem Sieg über die Türken und deren Zurückdrängung durch das Kaiserliche Heer wurde unter der Regierung von Maria Theresia, im Zuge des sogenannten Zweiten
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Während der Ansprache von Peter Krier vor dem Billeder Kriegerdenkmal, Foto: C. Gruber Schwabenzuges, im Jahre 1765, also vor genau 240 das neue Billed durch deutsche Siedler gegründet. Es waren mutige, entschlossene und tatkräftige Menschen, die ihre Heimat aufgaben, um hier für sich und ihre Kinder eine neue, segensreiche Heimat zu erwerben. Sie haben ihre Häuser aus dem gebaut, was sie hier vorfanden, aus Lehm, Schilf und einem bisschen Holz. Stefan Heinz Kehrer beschreibt in seinem Gedicht „Mei Vaterschhaus“ dies sehr zutreffend: „Sie stampe, stampe mit arweitssteife Fingre, ich heer die Stamper fluppe und die Männer keiche. Ich gsien de Schweeß die Backe nunerlaafe: Sie stampe Hoffnung in die dicke Wänd und baue for die Ewigkeit.“ Doch außer härtester Arbeit hatten die Siedler noch viele außerordentliche Erschwernisse zu überwinden. Der Kolonistenspruch: „Den Ersten der Tod“ trifft für die Billeder Anfangsjahre voll zu. Die Sterbezahlen sind erschreckend, in den ersten acht Jahren nach der Dorfgründung sind in den damals 250 Häusern 1007 Personen gestorben. Doch andere Siedler kamen nach, zogen in die leergewordenen Häuser. Und die Wiegen in den Lehmhäusern standen nie still. Die Zahl der Neugeborenen stieg stetig an. Im 19. Jahrhundert wurden in Billed durchschnittlich jähr-
lich über 200 Kinder geboren. Billed hatte nunmehr mit 5.000 Einwohnern einen Bevölkerungsüberschuss, der viele zur Aussiedlung bewog. Zwischen 1894 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sind etwa 1.000 Billeder in die USA ausgewandert. Auch der zweite Teil des Kolonistenspruches : „Den Zweiten die Not“ trifft für unser Heimatdorf voll zu. Obwohl es den angesiedelten Bauern und Handwerkern nicht an Fleiß, Können und Einsatzbereitschaft fehlte, war die Umwandlung eines versumpften Weidelandes in ertragreiches Ackerland schwierig. Es fehlte an einer Infrastruktur: an Saatgut, Geräten, Zugtieren, Futter und Nahrungsmitteln für die Menschen. Trockenjahre, Überschwemmungen, Frost und Insektenplagen führten zu Missernten und Not. Allmählich setzte jedoch der Fortschritt ein. Mais und Weizenbau ersetzten Hirse und Korn; Kartoffelanbau, Tabakbau, später Hanf und andere Industriepflanzen brachten gute Erträge. Die vollkommene Befreiung der Bauern 1848, der Ausbau der Schotterstraße, die Eisenbahn und das Marktrecht brachten große wirtschaftliche Fortschritte für Billed. Die Zeit des Brotes war gekommen. Diese Entwicklung setzte sich im 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Zweiten Welt-
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Kranzniederlegung an dem Billeder Kriegerdenkmal, Foto: C. Gruber krieges fort. Die Elektrifizierung der Gemeinde, Direktvermarktung über die Genossenschaften, modernisierte Viehzucht, fast unüberschaubar waren die Viehherden auf den Weiden um das Dorf; kurz vor Kriegsausbruch lieferte die Gemeinde täglich 2-3 Waggons Schweine, mit der mechanisierten Landwirtschaft brachte dies den Bewohnern allgemeinen Wohlstand. Wobei es natürlich nach wie vor soziale Unterschiede gab und dieser Wohlstand nicht gleichmäßig war, aber es hatten alle teil an dem Fortschritt, denn auch Handel und Gewerbe, wie auch die Kleinindustrie-Betriebe hatten sich gut entwickelt. Wer heute durch Billed wandert, kann sich kaum vorstellen, dass es in diesem Dorf einst 18 Geschäfte, darunter zwei größere Kaufhäuser, 15 Metzgereien, 10 Wirtshäuser, Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen, Baustoffhändler, insgesamt 240 Handwerksbetriebe oder selbständige Handwerker gab, dazu kamen Hanffabrik, Sägewerk, Ziegelei, Essigfabrik und zwei große Mühlen. Vielleicht noch erwähnenswert, dass Billed Ende der dreißiger Jahre eine damals moderne Tankstelle hatte, auch ein Kino, damals etwas ganz Neues. Seit der Gründung hatte Billed eine Volksschule, die jetzt noch bestehende alte Schule
wurde schon 1847 gebaut. Kirche und Schule haben bei der Erziehung der Kinder zusammengewirkt. Insbesondere waren die vielen Vereine, es gab 18 Vereine hier am Ort, alle kulturell oder sportlich tätig, so konnte sich im Dorf auf entsprechendem Niveau eine reiche Kulturtätigkeit entfalten. Hier kann ich gerade mit der Blasmusik ein Beispiel nennen. Unsere Kapelle konnte vor zwei Monaten das 155-jährige Bestehen der Billeder Blasmusik begehen. Billed war um die vorletzte Jahrhundertwende eine Hochburg der Blasmusik. Von hier aus sind Jugendblaskapellen fast um die ganze Welt gezogen. Die Kapellen unter der Leitung der Kapellmeister Steiner, Schilzony, Nussbaum und anderer haben auf Konzertreisen in Wien, Berlin und Hamburg, in Kapstadt, Sankt Petersburg, Stockholm, Bremen, New York, San Francisco, Los Angeles und anderen Großstädten Konzerte gegeben. Gerade auch in diesem Saal hier hat sich ein großer Teil des Billeder Kulturlebens abgespielt. Stefan Heinz-Kehrer schreibt in dem schon erwähnten Gedicht „Mei Vaterschhaus“ in der vierten Strophe, bezugnehmend auf den Häuserbau für die Ewigkeit: „Die Ewigkeit is rum! Zwaa große Kriche han se abgekerzt“. Zwei große Kriege haben alles verändert. 381
Brauchtum und Tradition Kriegsopfer in den zwei Kriegen des vergangenen Jahrhunderts. Enteignung, Entrechtung, Russlandverschleppung, Baragandeportation, Diktatur, Ausbeutung, Unfreiheit folgten dem Zweiten Weltkrieg, die dann Ursache für den Exodus der Mehrheit der deutschen Bevölkerung waren. Dennoch das Leben ging weiter. Billed bekam allmählich eine rumänische Bevölkerungsmehrheit. Generationen wuchsen heran, gaben das Leben weiter. Freundschaften und Ehegemeinschaften entstanden. Man arbeitete zusammen in der Kollektivwirtschaft, in der SMT, Hanffabrik und anderen Betrieben; man ging zusammen in die Schule, spielte Fußball und Handball: Die Gemeinde wuchs zusammen. Zusammen wartete man auf die große Änderung nach der sich die Mehrheit, gleich welcher Volkszugehörigkeit, sehnte. Es dauerte lange, allzu lange, bis endlich mit dem Weihnachtsfest 1989 die Freiheit kam. Es war sehr spät, für viele längst zu spät. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung Billeds hatte den Heimatort schon verlassen, allein 1990 sind 583 Personen ausgewandert. Dieser Realität haben wir uns zu stellen. Bekanntlich lässt sich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Aber die Verbindung
14 zurück, zur eigenen Vergangenheit, lässt sich auch nicht lösen. Wer diese gewaltsam kappt, fällt ins Leere und wird vom Winde verweht wie ein fallendes Blatt im Herbst. Siegfried Lenz schreibt in seinem Buch „Heimatmuseum“: „Heimat ist als Ort der unausgesprochenen Verbindung zu verstehen: Verbindung zu Brauchtum, Sprache, Landschaft und zu den erkennbaren Leistungen vergangener Generationen“. Ich füge hinzu: die Verbindung zu den Menschen. Wir sind Ihnen dankbar für die Einladung zu dieser Begegnung, wir sind gerne und in guter Freundschaft gekommen zu Ihnen und in unser Heimatdorf. Wir wünschen Ihnen, den Bewohnern der Gemeinde, eine gute Entwicklung, Prosperität, Fortschritt und Wohlergehen. Wir wünschen, dass Billed eine lebenswerte Gemeinde wird und bleibt und wir wünschen, dass Sie alle diese Heimat Billed so lieben, wie wir diesen Ort lieben. Wir können zwar Billed verlassen, doch Billed verlässt uns nicht, weil wir es im Herzen mit uns tragen. In diesem Sinne, liebe Freunde, wünsche ich uns allen weitere schöne Festtage und Gottes Segen für die Zukunft.
Beim Fest-Gottesdienst in der katholischen Kirche, Foto: C. Gruber
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Während der Festreden im frisch renovierten Billeder Kulturhaus, Foto: C. Gruber
240 Jahre Billed Ansprache von Werner Gilde
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eine Damen und Herren, liebe Gäste, liebe Landsleute, im Namen des Vorstandes der Heimatgemeinschaft Billed begrüße ich Sie recht herzlich. Ich begrüße alle Billeder, die noch hier leben und alle, die von weit hergereist sind, um zusammen mit uns der Gründung unseres Geburtsortes und gleichzeitig auch der Menschen: der Mütter, Väter, Großväter, Brüder, Schwestern und Verwandten zu gedenken, die auf diesem Gottesacker ihre ewige Ruhe gefunden haben. Denn sie haben durch ihr Wirken die Geschichte dieses Landstriches mitgeprägt. An einem Tag wie heute ziehen unsere Gedanken zurück in die Vergangenheit, in eine Zeit, als dieser Ort unsere Heimat war. Und heute feiert unser Billed seinen 240. Geburtstag, die Heimat, die unsere Vorfahren aus der Öde und dem Überschwemmungsgebiet der Theiß, Donau, Temesch und Bega zum besten Ackerboden machten. Über Generationen schufen sie hier durch harte Arbeit die Kornkammer Europas. Weizen- und Maisfelder, ein schmuckes Dorf, eine Kirche, die schon von weitem zu sehen ist, gehörten
zur christlichen, glücklichen Gemeinschaft der Billeder. Liebe Landsleute, genau wie es üblich ist bei einem Menschen, an seinen bedeutsamen Geburtstagen Rückschau zu halten, so wollen wir auch heute, an diesem großen Tag, einen Rückblick werfen auf wichtige Ereignisse unserer Gemeinde...(Sind in der Zeittafel nachzulesen!) Das größte Anliegen aller Billeder ist, dass die Gräber unserer Ahnen auch in Zukunft Bestand haben; dass die Grabstätten als Ort des Gedenkens an sie, als Stätte des Gedenkens an unsere frühere Heimat, an unser zurückliegendes Leben in der alten Heimat Billed erhalten bleiben. Hier ruhen Menschen, die Billed mitgeprägt und uns Werte vermittelt haben, die man braucht, um erhobenen Hauptes durchs Leben gehen zu können. All denen, die sich an der Grabpflege und der Instandhaltung der Friedhöfe beteiligen, möchte ich unseren Dank aussprechen, besonders Roswitha und Adam Csonti, aber auch denen, die sich für das Gelingen dieser Feierstunde eingesetzt haben.
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Rumänische Ortsmonographie von Billed Elisabeth Martini (Frick)
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nlässlich der 240-Jahr-Feier seit der Grundsteinlegung unserer Heimatgemeinde begrüßen wir heute mit besonderer Freude und Genugtuung das Erscheinen der ersten rumänischen Monographie dieses Ortes. Es ist das Werk der am 8. April 1949 in Billed geborenen Maria Sandor (Ciobanu), die zweijährig mit den Eltern - Ioan Ciobanu aus Bessarabien und Gertrude Podgorski aus der Bukowina stammend - in den Baragan verschleppt wurde. Dort beendete sie unter schwersten Bedingungen in Latesti die ersten 3 Grundschulklassen, nach der Rückkehr in Billed sowohl die Allgemeinschule als auch das Lyzeum. Bis 1971 studierte sie am dreijährigen Pädagogischen Institut der Philologischen Hochschule zu Temeswar und begann ihre berufliche Laufbahn als Rumänisch-Lehrerin an der Allgemeinschule Marin, Kreis Salaj, wo sie bis 1974 blieb, ihren künftigen Ehemann kennen und lieben lernte, nach ihrer Rückkehr nach Billed 1976 auch heiratete. 30 Jahre war sie an dieser Schule tätig, in der sie Jahre vorher selbst die Schulbank gedrückt hatte und unterrichtete Rumänisch sowohl an der deutschen als auch an der rumänischen Abteilung. Auch als junge Rentnerin stellt sie ihre Liebe zur Schule und ihre Heimatverbundenheit unter Beweis. In der für Billed typischen Zweisprachigkeit aufgewachsen, studierten ihre beiden Töchter Mihaela (1977) und Gabriela (1980) an der Philologischen Hochschule zu Temeswar Germanistik und sind z.Z. ebenda als Assistentin bzw. Präparatorin mit viel Erfolg am Deutschkatheder tätig. Nach ergebnislosen Anläufen anderwärts ist man seitens des Gemeinderats - jedoch reichlich spät - mit dem Anliegen, eine Monographie für die rumänische Bevölkerung der Gemeinde zu verfassen, an Frau Maria Sandor herangetreten, die, obwohl es einen immensen Arbeitsaufwand bedeutete, das bibliographische Material zu sichten, auszuwählen, zu übersetzen usw., die Aufgabe
Die Festtagsmedaille übernommen und mit der computer-technischen Unterstützung ihrer Tochter Mihaela nach bestem Wissen und Können bewältigt hat. Vordergründig war die Absicht der Initiatoren - des Gemeinderates, des Demokratischen Forums der Deutschen aus Billed und der HOG Billed - allgemeinverständlich für die rumänischen Bürger das Werden unseres Dorfes in seinem geschichtlich-naturbedingten, sozial-demographischen Rahmen zu veranschaulichen, ohne Anspruch auf wissenschaftlich-erschöpfende Darstellung. Die Autorin selbst würde es begrüßen, wenn künftig das Interesse für monographische Arbeiten zunehmen würde, Arbeiten, die die vorliegende ergänzen, untermauern oder auch widerlegen. Die wichtigsten bibliographischen Quellen waren die Werke unseres 86-jährigen in Österreich lebenden Landsmannes Franz Klein: Billed. Chronik einer Heidegemeinde im Banat in Quellen und Dokumenten. 17651980; Billed. 222 Jahre Musterdorf Maria Theresias im Banat in Bildern und Dokumenten. 1765-1987; sowie das „Billeder Heimat-
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Barbara Backhaus – eine Billeder Hobbykünstlerin (rechts im Bild) vorgestellt von Brigitte Hehn (links im Bild). Ausstellung anlässlich des Billeder Heimattreffens zu Pfingsten 2005 in der Badnerlandhalle Karlsruhe. Eines der beliebtesten Motive von Frau Barbara Backhaus ist die Natur in ihrer ganzen Vielfalt. Sie malt Landschaften ebenso gerne wie Blumen und Stillleben: So sind in dieser Ausstellung vor allem Ölgemälde mit Heidelandschaften, Blumenbilder mit Rosen, Veilchen, Sonnenblumen, ja sogar ein Distelbild, vertreten.
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Billeder Heimattreffen 2005. Am Nachmittag marschierten 19 Kirchweihpaare nach den Klängen der Billeder-Alexanderhausener Blasmusik unter der Leitung von Jakob Gross junior in unserer schmucken Tracht durch Karlsruhe-Neureut, um den stellvertretenden Ortsvorsitzenden Hans Mßller zum Fest einzuladen.
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Billeder Heimattreffen 2005. Mit der Billeder-Alexanderhausener Blasmusikkapelle geht es in die Kirche. Heute zählt die Kapelle 29 Mann. Sie hat sich mit ihrem besonderen Sound nicht dem allgemeinen Trend des in Deutschland gespielten Egerländer-Klangs angepasst. Es ist der unverkennbar heimatliche Klang, der fasziniert.
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Billeder Heimattreffen 2005. Der Festgottesdienst in der St.-Judas- Thaddäus-Kirche wurde von Heimatpfarrer Peter Zillich zelebriert und mitgestaltet vom Billeder Kirchenchor unter der Leitung von Hannelore Slavik. Die beiden Solistinnen Irmgard Holzinger- FrÜhr und Melitta Giel trugen das Ave Maria von Schubert vor.
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Billeder Heimattreffen 2005. Unter Anleitung von Kirchweihvater Johann Mager-Lencesch versteigerten die GeldherrenRobert Rieder und Holger Göpfrich den schön geschmückten Rosmareinstrauß, den Franz Klein für seine Frau Inge ersteigerte. Hut und Tuch gingen an Gisela Nuss und Joseph Schmidt.
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Billeder Heimattreffen 2005. Im Laufe des Nachmittags folgte ein kurzes Kulturprogramm anlässlich des 240. Jahrestages der Gründung unserer Heimatgemeinde Billed. Gerlinde Gilde trug ein Gedicht vor, der Chor und die beiden Solistinnen Holzinger-Fröhr und Giel boten Gesangseinlagen dar.
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Am Tag der Heimat 2005 in Karlsruhe. Fototermin der Banater Trachtengruppe mit dem neuen Ministerpräsidenten Günther Öttinger und dem Stadtrat Günter Rüssel. Es sind jedesmal dieselben Billeder, die sich um die Krone des Billeder Kirchweihbaumes kümmern: „Hoch soll’n sie leben!“
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240-Jahr-Feier in Billed (19. August, Gedenkveranstaltung auf dem Sauerländer Friedhof). Die heimatlichen Glockentöne ergriffen die Gemüter ebenso wie die Klänge der angereisten Musiker, die weit über den Friedhof hinaus zu hören waren. Die Ansprache von Werner Gilde war Lob, Dank und Rückblick auf die einschneidendsten Ereignisse und Daten im Leben der Billeder Gemeinschaft seit 1765.
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240-Jahr-Feier in Billed (19. August). Auf dem Neugässer Friedhof hatten sich viele Personen eingefunden, Katholiken und Nicht-Katholiken, zur Neu-Weihe der renovierten Friedhofskapelle. Das Ergebnis ist beachtlich, worauf wir stolz sein können und allen danken wollen, die daran beteiligt waren, vor allem Adam Csonti und dem Bürgermeister Leontin Duta, der der Feier auch beiwohnte. Fotos: Hans Martini und Werner Gilde
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240-Jahr-Feier in Billed Nach dem Umzug, zum anschließenden ökumenischen Gebet füllte sich die katholische Kirche wie selten und vereinte diesmal die Christen der Gemeinde: Katholiken, orthodoxe Christen und Baptisten in der Gestaltung des gemeisamen Gebetes.
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240-Jahr-Feier in Billed. Jeder Aufmarsch der Kirchweihpaare veranlasste einen regen Zulauf auf den Gassen, Staunen und Bewunderung. Bei der StrauĂ&#x;versteigerung, verbunden mit der Hut-Tuch-Verlosung, herrschte gute Laune, bedingt auch durch die wechselseitigen Tanzeinlagen der Billeder und Karlsruher Tanzgruppe, wobei die von Edith Barta geleitete Jugendtanzgruppe absolute Spitze war, berechtigt.
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240-Jahr-Feier in Billed. Aufmarsch und Gruppenfoto der Teilnehmer am Festumzug. Paprika-Bewässerung mit „Gepel-Know-how“ 1963, v. l. Klein Hans, Großvater Schaljo Friedrich, Mutter Klein Anna, geb. Schaljo. Eins.: Klein Hans
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Schlachtfest am 29. Oktober in Frankenthal im Donauschwabenhaus. Die Mannschaft um Sepp Dinjer, Franz Klein und Hans Muhl hat wieder ihr Bestes gegeben, um dieses Fest wieder so richtig schรถn werden zu lassen. Es hat wieder alles bestens geklappt. Das Paprikasch am Mittag hat hervorragend geschmeckt und die Schlachtplatte am Abend erst richtig. Dazwischen gab es Kaffee und Kuchen.
Begegnungen
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Jahrgang 1934 mit Ehepartnern: Vordere Reihe: Magdalena Muttar, Maria Schweininger, Elisabeth Schmidt, Anna Gilde, Maria Braun, Maria Leidecker, Anna Holz, Maria GroĂ&#x;, Hans Holz. Hintere Reihe: Peter Schweininger, Josef Schmidt, Michael Braun, Nikolaus Gilde, Jakob Muttar, Willi GroĂ&#x;, Werner Zimmermann mit Frau, Foto: Walter Muhl Jahrgang 1935 mit Ehepartnern: Untere Reihe: Maria Klein, Hans Klein, Ingeborg Erhardt, Maria Muhl, Elisabeth Wagner. Mittlere Reihe: Anna Zippel, Maria Kilzer, Katharina Stadtfelder, Elisabeth Rieder, Katharina Hahn, Regina Braun, Maria Mincu, Margarethe Lahni, Margarethe Pritz. Hintere Reihe: Hans Muhl, Mathias Kilzer, Peter Linster, Barbara Krier, Peter Krier, Karl Zippel, Hans Braun, Hans Hahn, Hans Mincu, Josef Lahni, Josef Erhardt, Nikolaus Pritz. Eins.: Maria Muhl
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Jahrgang 1936 mit Ehepartnern: Vordere Reihe: Katharina Schiller, Elisabeth Krogloth, Magdalena Müller, Margarethe Pritz, Regina Braun, Nikolaus Pritz; Mittlere Reihe: Katharina Keller, Elisabeth Tobias, Eva Jakob, Katharina Thöresz, Barbara Franz, Hans Braun; Hintere Reihe: Adam Tobias, Hans Krogloth, Robert Braun mit Freundin, Jakob ........., Josef Keller, Hans Müller, Hans Franz, Hans Schiller. Foto: Walter Muhl
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Jahrgang 1950* v. l: Katharina Maurer, Margarethe Bojar, Peter Mayer, Heidrun Faller, Anna Hartmaier, Ilse Slavik, Hans Frank, Erika Hehn, Katharina Schiller, Hedi Ballmann, Jakob Mager, Annemarie Benz, Josef ThÜres, Anna Ochsenfeld, Franz Lauer, Jakob Breitenbach, Hannelore Lahni, Hans Undi, Josef Hahn, Lehrer: Hans Gehl, Hans Rade-macher, Michael Jung, Hans Gallo * Die Frauen sind mit ihren Mädchennamen aufgelistet Jahrgang 1960
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Umzug der Landarbeiter, Foto: C. Gruber blatt“ der Jahre 1988-2004, vor allem die aufschlussreichen Artikel unseres Heimatforschers Wilhelm Weber; aktuelle Daten lieferten Frau Sandor Gemeinderatsvertreter sowie Privatpersonen. Von der geographischen Lage ausgehend, umreißt die Monographie die Zeit vor und nach der Türkenvertreibung aus dem Banat, die Besitzansprüche und Namensdeutung von Billyed/Billiet (slawisch: weißes Eis), hebt jedoch auch hervor, dass die eigentliche Entwicklung erst mit der Besiedlung durch deutsche Kolonisten einsetzt vom theresianischen Musterdorf über wirtschaftlich-demographische Tiefs zur wohlhabenden, vielseitig interessierten Großgemeinde des Banats. Liest man heute über die durch große Armut und Krankheiten bedingten Anfangsschwierigkeiten der Erstsiedler, so erscheint es einem unglaublich, dass zwischen 1765 und 1771 in Billed von den etwa 1000 Angesiedelten 936 auf den Friedhof getragen wurden, so dass es sogar 5-6 Beerdigungen pro Tag gab. Auch 1878 war ein Negativ-Rekordjahr mit 283 Todesfällen. Abhilfe schufen die Neu- und Umsiedler, vor allem aber der reiche Kindersegen; so gab es zum Ausgleich 1880 - 276 Geburten, was Billed vor der Entvölkerung bewahrte.
Die Monographie weist unter anderem auch hin auf den Einfluss der europäischen Politik auf das Leben der Billeder: Die 1848Revolution, der erste Weltkrieg, die Teilung des Banats, die vom ersten und zweiten Weltkrieg, von der Nachkriegszeit geforderten Opfer, verewigt auf dem Denkmal vor der Kirche. Zivilcourage beweist die Autorin, indem sie sich vom falschen Geschichtsbild der Vergangenheit distanziert und Ereignisse aus der Sicht der direkt Betroffenen, vom Schicksal Benachteiligten darstellt, wie z.B. die Deportation der Deutschen in die Sowjetunion, die Enteignung der Deutschen und ihr verzweifelter Kampf ums Überleben, die BaraganVerschleppung, die Maria Sandor als Kind selbst miterlebt hat. Die Bevölkerungsentwicklung infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs im 19. und 20. Jahrhundert veranschaulicht die Arbeit ebenso wie die Rolle der langsam einsetzenden Mechanisierung der Landwirtschaft, die in den 40-er Jahren ihren Höhepunkt erreicht, aber auch die Bedeutung der Handwerker wird deutlich, die in ihrer Vielfalt und Anzahl - für uns heute unverständlich - doch alle ihr Auskommen in Billed fanden, egal ob Schmied, Wagner, Bäcker, Fleischer, Rasie-
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Alexanderhausener
Festumzug mit der Billed -Alexanderhausener Blaskapelle, Foto: C. Gruber rer oder Weber, Hutmacher, Kammmacher, die allein die Jugend von heute zu Kämpfen Seiler, Sattler, Gerber, Drechsler usw. und Siegen motivieren können und das GeAuch die Industrie mit Mühlen, Ziegelei, meinschaftsgefühl fördern. Sägewerk, Hanffabrik (Rösterei), ElektrogeSchlussfolgernd kann festgehalten werden, neratoren... hat die Lebens- und Denkart der dass diese Ortsmonographie in rumänischer Billeder verändert, wie auch der Handel, der Sprache - auch für deutsche Leser empfehExport von landwirtschaftlichen Produkten, lenswert, die seinerzeit die Monographie von wesentlich erleichtert durch die Eisenbahnli- Franz Klein nicht ergattern konnten - in ihnie Temeswar - Großsanktnikolaus (1895), rem optimistisch-klaren Blau, mit dem Ortswobei anfangs lange nicht alle Billeder vom emblem auf dem Umschlag alle Bereiche des „Dampfross“, das die Tiere erschreckte, be- Dorflebens in ihrem Werdegang veranschaugeistert waren. Nachlesen kann man auch licht und demzufolge ein buntgefächertes Inüber das Sanitäts- und Bankwesen, über Post formationsmaterial enthält, vielleicht sogar und Feuerwehr, über traditionelle und neopro- Impulse für den Alltag liefert, für effizientetestantische Kirchen, Friedhöfe, Schulwesen, res Handeln im Sinne der Gemeinschaft. über die erste Billeder Samstags-Zeitung, die Denn nur, wer die Vergangenheit kennt, meierste deutsche Feuerwehr-Zeitung des Banats. stert besser die Gegenwart und plant sicherer Das sozial-kulturelle Leben in Billed war die Zukunft! in zahllosen Vereinen und Verbänden straff Dank und Glückwunsch gebührt der Autoorganisiert, wobei der Musik und dem Gesang rin Frau Maria Sandor für ihren Mut und ihre eine große Bedeutung zukam, zumal viele Arbeit - ein Meilenstein in der Billeder GeDorfkinder ein Instrument spielen lernten; schichte, die erste Monographie Billeds in manche Orchester mit ihren begabt-begnade- rumänischer Sprache, die auch vermittels der ten Kapellmeister sogar Weltruhm erlangten Schule vertieft werden sollte. Schilzony, Nussbaum, Steiner...). Heute hinDank auch der Tochter Mihaela für ihren gegen muss die Blechmusik aus Rekasch an- selbstlosen Beitrag, ebenso dem Rat der Narücken, wenn etwas gefeiert wird, oder aus tionalen Minderheiten, Herrn Sorin Suporan Karlsruhe-Frankenthal, wenn etwas ganz Be- und Leontin Duta für ihre Unterstützung und sonderes gefeiert wird. finanzielle Hilfe; Familie Adam und RoswiAuch der Billeder Sport wird entsprechend tha Csonti sowie allen anderen, die durch ihr gewürdigt, vor allem der Hand- und Fußball, Mit-Tun das Vorhaben ermöglichten.
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Allerheiligen in Karlsruhe
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005. Es ist wieder Herbst, der Sommer vorbei, goldener Oktober vorbei (und das war einer), die Vögel ‘gen Süden gezogen, Enkel im Kindergarten und auch Erntedank schon fast vergessen. Manchmal habe ich dienstlich die Gelegenheit, über eine der schönsten Parkanlagen der Stadt zu gehen, ich meine den Friedhof. Hier bestaune ich neben einem Blumenmeer die farbenfrohe, noch üppige Blätterpracht der Bäume. Kein Wunder also, wenn neben den vielen Menschen, die kommen, um ihre Angehörigen zu „besuchen“, andere die Ruhe und ungestörte Weitläufigkeit der Anlage einfach als Naherholungsgebiet nutzen. Heute fällt mir auf: Frauen reinigen Gräber, schmücken sie mit Blumen und Kränzen, es wird liebevoll gegärtnert, geschwätzt und gestaltet; hier wird bestimmt auch manch bittere Träne geweint, so manch schmerzliche Frage gestellt. Diese emsige Betriebsamkeit kenne ich! Sicher, es naht Allerheiligen, auf den Friedhöfen des Banats war es nicht anders. Die Inschriften auf vielen Grabsteinen habe ich gelesen, manche ist mir bekannt, viele der eingemeißelten Namen klingen vertraut, kenne ich. Meine Vorfahren aber und die Mehrzahl der Menschen, auf deren Lebensweg auch ich ein Stück mitgetrippelt bin, haben ihre Steine und Grabhügel dort, wo der Zahn der Zeit sich unerbittlich zeigt, im Banat, in Billed, in der alten Heimat. Es gibt sie: Die alte Heimat, die neue Heimat und eine dritte, die endgültige Heimat, auf die wir alle hoffen. Das vorletzte Blatt wird vom Wandkalender abgerissen und hier steht’s: 1. November 2005, Allerheiligen. Auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe am Billeder Kreuz gedenken wir der alten, danken für die neue, beten um das Geschenk der ewigen Heimat, für ein Wiedersehen mit den uns Vorangegangenen. Wir, das sind alle Billeder, Banater, Badener, die sich um diesen Gedenkstein geschart haben, um Allerheiligen würdevoll zu begehen. Für uns steht das Billeder Kreuz stellver-
Peter Neumann tretend für alle nicht erreichbaren und alle nicht gesetzten Kreuze in aller Welt. Wir, das sind alle, - die voller Ehrfurcht den dank Alfred Herbst zum Tönen gebrachten Billeder Friedhofs- und Kirchenglocken lauschen, - die aufhorchen, wenn der Chor der Banater Schwaben Karlsruhe in Gemeinschaft mit dem Chor „Lieb Heimatland“ der Deutschen aus Russland unter der Leitung von Hannelore Slavik seine Lieder erklingen lässt: „Abendruhe“, „Da unten ist Frieden“, „Glocken der Heimat“, - die ergriffen sind, mitsummen oder mitsingen: „Wer singt, betet zweimal“, - die die Ansprache von Werner Gilde mit Interesse und Zustimmung verfolgen, einen Seufzer ausstoßen, wenn er die unschuldigen Opfer von Krieg und Vertreibung würdigt, wenn er die Bedeutung der zurückgelassenen Friedhöfe unterstreicht und deren Zukunft anmahnt, - die im Inneren Beifall spenden, wenn Heidi Müller das Gedicht „Allerheiligen“ vorträgt, - die sich der von Josef Herbst verlesenen Liste mit 43 seit dem 1. Nov. 2004 verstorbenen Landsleute erinnern und Amen sagen, wenn er für alle um Gottes Frieden und ewige Ruhe bittet, - die Elisabeth Luckhaubs Gebeten und Fürbitten mit unserer Stimme Stärke verleihen, - die Herrn Herbst Recht geben, wenn er allen Mitwirkenden dankt, - die zur anschließenden gutbesuchten ökumenischen AllerheiligenFeier am 2000 neu errichteten VertriebenenDenkmal mit evangelischer Pfarrerin, katholischem Priester, Banater und Russlanddeutschem Chor, Bläserquartet, Oberbürgermeister-Ansprache und „Großer Gott, wir loben dich“- Ausklang, wandern. Wir, das sind auch alle, die dankbar und gestärkt den Heimweg antreten durch den ältesten Parkfriedhof Deutschlands, der vor 129 Jahren entstanden ist. Schon der Eingang des größten Friedhofs in Karlsruhe erinnert an eine Schlossanlage; die Gesamtanlage gleicht bewusst einem Park. Ganz sanft gelingt es dieser schönen Stätte, uns oft an die Grenzen des Lebens zu führen. Nachdenken erlaubt.
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Allerheiligen 2005 Billeder Gedenkstein Ansprache von Werner Gilde
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ir haben uns heute hier versammelt, um mit dieser kurzen Feier unseren Toten zu gedenken. Der Billeder Gedenkstein steht für Billed, für unsere Kirche, für die Friedhöfe, aber auch symbolisch für das ganze Banat. Dieser Gedenkstein lässt Erinnerungen in uns wach werden. Es sind schöne Erinnerungen, aber auch traurige und bittere. Die ältere Generation unter uns hat die Heimat verlassen, weil sie für sich und vor allem für ihre Kinder keine Zukunft mehr sahen. Es ist uns schwer gefallen, unsere Verstorbenen zurückzulassen. Viele haben die Gräber in der alten Heimat mit einer Betonplatte abgedeckt, in der Hoffnung, die Ruhestätte der Ahnen so vor dem Verfall schützen zu können. Wie schön war es doch, wenn an Allerheiligen alle Gräber mit Blumen und Kränzen geschmückt waren! Und der Friedhof abends durch die vielen Kerzen einem Lichtermeer ähnlich schien! Aber nicht nur zu Allerheiligen wurden die Gräber gepflegt, sondern das ganze Jahr hindurch wurde von unseren Landsleuten Grabpflege betrieben. Die ersten deutschen Friedhöfe wurden gleichzeitig mit der Gründung neuer Ortschaften angelegt. Dass dies notwendig war, sagt schon der Spruch, „Die Ersten hatten den Tod“ oder das Banat des 18. Jahrhunderts wurde als „Grab der Deutschen“ bezeichnet. Auch heute stehen noch Grabsteine aus dieser Zeit auf unseren Friedhöfen. Als wir im Jahre 2004 die Gräber auf unseren beiden Friedhöfen in Billed erfasst haben, wurden auch einige Siedlergräber gefunden. Ich erwähne hier das Grab von Braun Mathias, geboren 1752, gestorben 1830. Auch Friedhöfe und Grabstätten leben nur so lange, wie sie gepflegt werden. Sich allein überlassen, verwildern sie und kehren langsam in den Kreislauf der Natur zurück. Die wenigen Landsleute, die noch in den Banater Ortschaften leben und die dafür
bezahlten Friedhofsaufseher geben sich Mühe, die Friedhöfe vor dem Verfall zu schützen, aber auf Dauer werden auch sie diese nicht retten können. Es sei denn, sie werden von den jetzt dort lebenden Menschen anderer Nationen genutzt. Es ist - glaube ich umso wichtiger, dass Intellektuelle, Heimatforscher und Volkskundler die Friedhöfe im Banat in Wort und Bild festhalten, um sie so künftigen Generationen zugänglich zu machen. Wir sollten auch nicht vergessen, unseren Kindern und Enkelkindern über die schlimmen Zeiten des 20. Jahrhunderts zu berichten. Gerade wir, die Banater Schwaben, haben viele Tote zu beklagen. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg, als Menschen in der Blütezeit ihres Lebens gestorben sind, aber auch die Toten bei Flucht und Zwangsdeportation in die Sowjetunion oder in die Baragansteppe dürfen wir nicht vergessen. Wir Billeder beklagen 124 junge Männer, die im Ersten Weltkrieg gestorben sind. Im Zweiten Weltkrieg sind 22 Billeder beim rumänischen Militär gefallen. Von den 369 Billeder als Angehörige der deutschen Streitkräfte haben 84 ihr junges Leben geopfert. Billed hat aber auch 19 Zivilopfer bei Kampfhandlungen oder durch Partisanenhand zu beklagen. Vor 60 Jahren wurden 556 Billeder zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert, von denen 76 die Heimat nicht wieder gesehen haben. Stellvertretend für diese Opfer möchte ich Josef Laut erwähnen, der schon am 26.01.1945 starb. 1951 - sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg - wurden 529 Billeder in die Baragan-
Brauchtum und Tradition steppe deportiert. Nach fünf Jahren kehrten 58 Menschen nicht mehr nach Billed zurück. Weite Felder voll Wind und Gras wurden den Gefallenen und einem Teil der Verschleppten zur letzten Ruhestätte und diese tragen Namen wie: Stalingrad, Jenakiewo, Stalino, Frumusita, Dilga oder Olaru. Wir stehen heute hier, vor diesem Gedenkstein und zünden Kerzen für unsere Verstorbenen an. So wie dieser Gedenkstein symbolisch für unser Heimatdorf Billed im Banat steht und etwas über dessen Geschichte erzählt, so sind auch all die Kreuze auf den Friedhöfen der einzelnen Banater Ortschaften Gedenksteine. Man kann sagen, es ist eine in Stein geschriebene Ortschronik, ein aufgeschlagenes Buch der Familiengeschichten. Denn mit den
37 Namen, die in die Steine eingemeißelt sind, erzählen sie über unseren Volksstamm. Aber es sollte uns bewusst bleiben, dass unser Verhältnis zu unseren Vorfahren und zu unserer Herkunft sich auch in unserer Beziehung zu den Gräbern und Friedhöfen widerspiegelt. Es sollte unser aller Pflicht sein, die Friedhöfe so lange wie möglich zu pflegen und zu erhalten. Wie schreibt doch der Hatzfelder Heimatdichter Peter Jung: „Der Ahnen Hügel sind Altäre, dass sie der spätere Enkel ehre“. Obwohl „ unner eem Friedhofshiwel net viel leit“, wie Josef Gabriel der Jüngere es ausgedrückt hat, so leben die Verstorbenen doch in uns weiter. Und wer in der Erinnerung lebt, der ist nicht to, sondern nur fern.
Jakob Martini und Jakob Muttar bei der Reinigung des Billeder Denkmals
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Jakob Fuss geb. 1879 mit Ehefrau Margaretha Fuss, Nr. 250, geb. Fischer 1883, mit Tochter Maria Fuss geb. 1902 und verheiratete Mann Maria Nr. 212 Billed. Das Foto wurde 1905 in New-Brunswick aufgenommen. Eins.: Anna Martini geb. Fuss
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155 Jahre Blasmusiktradition aus dem Banat Adam Tobias
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or 12 Jahren beim Billeder Treffen hielt ich es noch nicht für möglich, dass eine Kapelle sich wieder zusammenfinden würde. Zuerst waren es fast ausschließlich Billeder in der Kapelle, aber im Laufe der Jahre kamen dann immer mehr Leute aus Alexanderhausen dazu. Und das ist gut so, denn nur gemeinsam sind wir stark. Jetzt steht eine 29 Leute zählende Kapelle da, so zahlreich wie noch nie. Über die 155 Jahre Billeder Blasmusiktradition hat Herr Pollmann, Vorsitzender des Freundeskreises donauschwäbischer Blasmusik, in der „Banater Post“ ausführlich berichtet. Ich will daher nur noch von unserem Fest berichten. Unser 10jähriges Jubiläum haben wir am 21. Mai, also eine Woche nach unserem Ortstreffen, in Frankenthal im Donauschwabenhaus gefeiert. Mehr Interesse an unserer Veranstaltung haben wir uns erhofft aber es kamen, wie üblich, die, die schon immer gekommen sind. Denen wollen wir auch herzlich danken für ihre Treue. Uns ist es jedoch bewusst, dass viele ältere Billeder nicht dabei sein können, alters-, krankheits- und entfernungsbedingt, die aber „ihre Blechmusik“ wieder hören und auch sehen wollen. Da müssen wir uns noch etwas einfallen lassen, um auch diese Leute zu erreichen. Wir erfreuen uns aber immer größerer Beliebtheit bei Schwaben aus anderen Ortschaften aus dem
Banat. Die kommen zu uns nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen den kulinarischen Genüssen, die an vergangene Zeiten erinnern. Nun zu unserem Fest. Unser Programm fing an mit einem Video-Vortrag über die 155jährige Blasmusiktradition mit Auszügen aus dem Video „Billeder Denkmal“ von Hans Rothgerber und Hans Herbst, was mich dazu bewegt hat die, Kapelle wieder ins Leben zu rufen, die erste Probe vor 10 Jahren im Donauschwabenhaus in Frankenthal und die Präsentation der aktuellen Kapelle von Adam und Michael Tobias. Es gab auch noch andere Darbietungen, wie von dem Gesangsduo Elisabeth Rieder und Maria Muhl, die ohne jede Begleitung sangen. Der „Rotschnauzer“, ein Gedicht, vorgetragen von Josef Herbst. „Was mer in Deitschland so alles annerscht soot“ vorgetragen von Manfred Haupt. Für die gute Küche war wieder Sepp Dinjner mit seiner Mannschaft zuständig. Es wurden „Steaks“ und „Mici“ gegrillt, die wieder hervorragend geschmeckt haben. Für diesen einzigartigen Einsatz bedankt sich jeder von uns Musikanten bei jedem von den Helfern. Natürlich insbesondere bei Sepp, der jeden Einsatz leitet. Eines muss ich noch unterstreichen: Diese Einsätze sind ehrenamtlich und nicht, wie so manch einer glaubt, um ein Geschäft zu machen. Ich will betonen, dass
Brauchtum und Tradition unsere Feste nicht ausschließlich für Billeder sind, sondern für alle, die an unserem Tun Gefallen finden. Es gab noch eine Ausstellung: Sternstunden Billeder Blasmusik im selben Haus im 1. Stock. Da habe ich zusammengetragen, was zu finden war an alten Noten, Bildern und sogar alte Instrumente und das Ganze so inszeniert, als ob die Musikanten gerade zuvor noch gespielt hätten. Da durfte natürlich auch das Gläschen Wein nicht fehlen. An unsere Kleinen haben wir auch gedacht, und eine Spielecke eingerichtet. Geleitet von Johann Tobias gab es dann Geschicklichkeits-
40 und Denkspiele für kleinere und größere Kinder. Vielen Dank für den Einsatz. Am Abend haben dann die Rosenkavaliere zum Tanz aufgespielt. Meine Kollegen haben aber schon am Nachmittag unsere Kapelle tatkräftig unterstützt. Die Sängerin Rose hat sich wiedermal in so manches Herz gesungen. Und wenn es am schönsten geht, muss man aufhören. Es gab aber noch die ein oder andere Zugabe, bis dann nach einer halben Stunde Zugaben um 2.30 Uhr Schluss war. Nochmals will ich allen danken, die mitgewirkt haben und unseren Gästen.
Schlachtfest der Trachten-Blasmusikkapelle Billed-Alexanderhausen
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m 29. Oktober war es wiedermal soweit: Schlachtfest in Frankenthal im Donauschwabenhaus. Die Mannschaft um Sepp Dinjer, Franz Klein und Hans Muhl hat wieder ihr Bestes gegeben, um dieses Fest wieder so richtig schön werden zu lassen. Es hat wieder alles bestens geklappt. Das Paprikasch am Mittag hat hervorragend geschmeckt und die Schlachtplatte am Abend erst richtig. Dazwischen gab es Kaffee und Kuchen. Auch der „Griewekuche“ von Dinjers hat den Weg zu uns gefunden. Ein kleines Programm gab es mit dem Billeder Chor (Die Hälfte davon stammte aus anderen Ortschaften aus dem Banat). Duette mit Maria Muhl und Elisabeth Gaug (Frau Elisabeth Rieder konnte wegen eines Trauerfalls leider nicht dabeisein). Gedichte gab es, vorgetragen von Maria Muhl und Leni Müller aus Nitzkidorf, die schon seit ein paar Jahren fester Bestandteil des Küchenpersonals ist. Das Gedicht, das sie geschrieben hat, handelt auch vom Schlachtfest. Es gab da noch einen ganz besonderen Punkt in unserem Programm: den Straußtanz. Zur Erläuterung: Wie ja schon ein jeder von uns Billedern weiß, waren wir bei der 240Jahr-Feier in Billed dabei. Am Tag darauf war Kirchweih. Den Strauß hatte Fredy Herbst ersteigert und uns Musikanten geschenkt. Ich
Adam Tobias glaube, das gab es zum ersten Mal in den 240 Jahren. Nun haben wir gedacht, wir machen was Besonderes daraus, nämlich einen Straußtanz in Frankenthal und spenden einen Teil der Einnahmen der Tanzgruppe in Billed. Vortänzer waren Jakob Groß sen. und Maria Muhl, die „jüngsten“ Vortänzer aller Zeiten. Geldherren waren Sepp Stadtfeld und Sepp Müller, der Kirchweihnarr war Hans MagerLentschesch. Die „Kirchweihpaare“ waren die Musikanten, die beim ersten Mal ohne Instrumente einmarschierten, da ja Gerry Kegler, unser „DJ“ (Plattenaufleger), den Marsch aufgelegt hatte und beim 2. Mal haben wir uns dann selbst den Marsch geblasen. Dank an jene, die den Spaß mitgemacht haben und zum Straußtanz gekommen sind. Den Strauß hatten wir aus Billed mitgebracht, den hat Ingrid Csonti geschmückt und in Frankenthal hat die Mutter Anna Just die vertrockneten Rosmarinzweige fachmännisch mit frischen aus dem Garten von Familie Schiller ausgetauscht. Ausdrücklich wollen wir uns bei den zahlreichen Kuchenspendern bedanken, bei den Helfern und Metzgern. Bedanken wollen wir uns auch bei den Spendern: den Organisatoren des Sommerfestes in Nürnberg, der HOG Billed und der HOG Alexanderhausen.
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Zweites Billeder Musikantenfest in Nürnberg
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oppelt genäht hält besser, sagten sich die Billeder-Alexanderhausener Musikanten und feierten ihr Jubiläum zum 155. Gründungsjahr der Billeder Blasmusik, nach Frankenthal, ein zweitesmal in Nürnberg. Wie beim Sommerfest im Vorjahr, waren auch diesmal Lissi Follmer, Familie Grapini, Familie Pritz und andere Landsleute aus Nürnberg die Organisatoren der Veranstaltung am 10. September im Genossenschaftssaal in der Bauernfeindsiedlung in Nürnberg. Auch diesmal hatten sich mit den Billedern und Alexanderhausenern aus Nürnberg Blasmusikfreunde aus anderen Heimatgemeinden eingefunden. Einige Liebhaber der Kapelle waren aus Karlsruhe und Frankenthal angereist. Und sie wurden nicht enttäuscht. Auch diesmal bot die immer besser werdende Kapelle erstklassische Banater Blasmusik. Man fühlte sich in alte Zeiten in den Saal im Großen Wirtshaus in Billed versetzt. Längst ist die Billeder-Alexanderhausener Blaskapelle ein Begriff unter den Liebhabern unserer heimatlichen Blasmusik. Auch diesmal konnten die Teilnehmer diesen originellen Klangkörper der 24-Mann- Kapelle genießen und bewundern: Die Kapelle hat sich mit ihrem be-
Peter Krier sonderen Sound nicht dem allgemeinen Trend des in Deutschland gespielten EgerländerKlangs angepasst. Es ist eben der unverkennbar heimatliche Klang, der fasziniert. Vergleiche zu den Billeder Alten Musikanten kamen auf und man denkt an Zeiten, als Billed die dominante Gemeinde der Banater Blasmusik war. Die Zeiten sind vergangen und die Alten leben längst nicht mehr, doch ihre Musik lebt fort. Hoffentlich noch lange. Ländler, Walzer, Polka, Schnellpolka wechselten im genussvollen Vortrag, nur der „Schwarze Zigeuner“ klingt bei unserer Blasmusik nicht besser als früher, aber ohne den geht es nicht, er gehört dazu. Doch sitzen und zuhören konnten die Gäste nicht. Die Musik riss mit. Und so tanzten, tobten, sprangen, stampften, drehten, sangen und jauchzten die Billeder bis zum letzten Stück. Um 12 Uhr sollte das schöne Fest enden. Dann gab es noch eine Zugabe, noch eine Polonaise, ein allerletztes und noch ein allerallerletztes Stück. Dann war Schluss, für dieses Jahr. Aber so wie unsere Musikanten jetzt drauf sind, sehen und hören wir sie bestimmt im nächsten Jahr wieder in Nürnberg. Ich bin bestimmt dabei.
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Foto: Elisabeth Follmer
Herbstfest in Nürnberg Heidi Müller
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nd die Musikanten kamen wieder nach Nürnberg! Diesmal feierten die Nürnberger zwar kein Sommerfest, sondern Herbstfest und weil die Blaskapelle dieses Jahr ihr 10 - jähriges Bestehen in Deutschland feierte, sollte an die Feier vom Mai in Frankenthal hier angeknüpft werden. Umso mehr freuten sich alle, die Billed – Alexanderhausener Blaskapelle in Nürnberg zu haben. Mit viel Engagement bereiteten die Organisatoren und Helfer Elisabeth Follmer, Herbert Preisach, Hedi und Heinrich Grappini, Grete und Josef Hipp das Fest vor. Der Saal wurde wieder gemietet, der Termin mit der Kapelle abgesprochen, Werbung gemacht, das Kuchenbacken besprochen, das Essen wurde bestellt. Am 10. September war es dann soweit: Mit großer Hoffnung und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, ob der Saal auch wieder voll wird, erwarteten die Organisatoren die Besucher. Leider mussten sie einige Absagen verzeichnen, weil die öffentlichen Verkehrsmittel ausgerechnet an dem Samstag streikten. Aber sie gaben die Hoffnung nicht auf.
Und es wurde wieder ein Erfolg. Der Kuchen, die Torten, die Kipfeln, gebacken und gespendet von den Nürnberger Billedern, warteten einladend und schmeckten hervorragend. Das Essen, welches der Wirt vorbereitet hatte, auch wenn er kein Billeder ist, schmeckte, auch der Wein und das Bier (Cola und Sprudel natürlich auch!) Und so wurde, trotz des trüben und regnerischen Tages, trotz einiger Absagen, ein schönes und stimmungsvolles Herbstfest. Die Musikanten spielten bis in die späten Abendstunden. Die Gäste: Billeder, Alexanderhausener, Banater Schwaben aus anderen Orten tanzten unermüdlich zu den alten, heimatlichen und vertrauten Melodien. Als die Zeit des Abschieds kam, wollte niemand so recht nach Hause gehen. Zufrieden mit dem gelungenen Tag plante man schon für nächstes Jahr. Da soll auf jeden Fall wieder ein Fest stattfinden. Ein herzliches Dankeschön an die Organisatoren und macht weiter so! Die, die da waren, kommen nächstes Jahr bestimmt wieder und hoffentlich kommen noch mehr.
Rückblick
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Durch Europa, aber nicht als Tourist Wunden heilen, Narben bleiben; 3.Teil
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m 1. Nov. 1944 wurde ich in der Nähe von Szolnok (Ostungarn) verwundet. Während der Bataillonsarzt mich notdürftig verband, diktierte er einem Schreiber: 1. Streifschuss rechter Kiefer, 2. Streifschuss rechte Schulter, 3. Streifschuss linkes Handgelenk. Mehr als 2 Stunden waren schon seit meiner Verwundung vergangen und ich hatte noch nicht schlapp gemacht. Während der Fahrt zum Hauptverbandsplatz bei Abony machte ich mir Sorgen darüber, ob meine Kameraden noch rechtzeitig herauskommen, bevor die Russen ihnen den Weg abschneiden; vor der Verwundung hatte ich ja ihre Bewegungen und Überzahl erkannt. Weniger Sorgen machte ich mir um meinen eigenen Zustand: Irgendwie war ich zufrieden, dass das für mich das Aus an der Front war. Da ich vor einiger Zeit beim Versorgungsamt Stuttgart alle meine Frontpapiere einsehen und kopieren konnte, stimmen die von mir gemachten Orts-, Zeit- und Handlungsangaben ziemlich genau. Noch auf der Trage wurde ich betäubt, danach wurde das grob zerfetzte Gewebe an Wange und Schulter entfernt und ich auf eine Kiefer-Zahn-Station verlegt. Erst beim Verladen in den Zug bin ich - nur mit Hemd bekleidet - aufgewacht. Uniform, Soldbuch und Sonstiges waren vertauscht worden, waren auch nicht mehr aufzufinden. Nur meine Uhr hatte ich noch, die unter dem Kopfkissen lag, weil ich am linken Handgelenk einen Verband trug. Jetzt aber war ich ziemlich fertig, konnte nicht mehr klar denken, habe auch nur noch verschwommene Erinnerungen daran. Und während ich schlief, verschwand auch noch die Uhr,wahrscheinlich weil der Sanitäter dachte: „Der geht sowieso hopps, da braucht er keine Uhr mehr!“ Gegen Abend waren wir in Budapest und nach langem Hin und Her auf der Kieferstation; eine Röntgen-Aufnahme der Schulter war erforderlich. Vom Fieber getrieben, lief ich unruhig auf dem Flur herum, so dass die
Sepp Breitenbach Kameraden mich zurück bringen mussten. Am nächsten Morgen schrie mich der Arzt im Behandlungszimmer immer wieder an, den Mund aufzumachen, mir jedoch fielen nicht nur der Mund, sondern auch die Augen immer wieder zu. Weil die Russen schon so nahe waren, hat man die belastbaren Verwundeten verlegt, wobei die Fahrt - unterbrochen durch Fliegeralarm - langsam erfolgte und lange dauerte. Als wir in Wien ankamen, fand das Sanitätsauto der bombardierten Straßen wegen nur schwer den Weg nach Stammersdorf, wo ich gleich ins Bad gebracht und gereinigt wurde; auch verabreichte man mir ein stark juckendes Mittel gegen Krätze, die ich hatte, weil wir uns an der Front wochenlang nicht richtig waschen konnten; auch Läuse hatten wir. Der Befund vom 07.11.44: „Die rechte Unterlippe fehlt vollkommen (eigentlich nur die rechte Hälfte), ein weit klaffender Defektspalt in seinem lateralen Teil an der rechten Wange, fast bis vor den rechten Kieferwinkel, wird noch durch eine kleine Gewebsbrükke gehalten. Die Wundränder des LippenWangen-Defektes klaffen unregelmäßig bogenförmig. Durch die Wunde hindurch ist der Unterkieferknochen von links unten 2 bis rechts unten 5 sichtbar, er erscheint teils in Stücke gebrochen, größtenteils seiner ihn überziehenden Schleimhaut beraubt, schmierig eitrig belegt. Ein Kinnfragment mit einigen Frontzähnen hängt völlig beweglich an einigen restlichen Schleimhaut- und Muskelstücken. Beiderseits sind die malzahntragenden Fragmente des Kiefers stark beweglich, im Ober- und Unterkiefer eingebundene einfache Drahtschienen.“ Am nächsten Morgen wurde unter starker Narkose die Drahtschiene im Unterkiefer entfernt, „Knopfbänder an den beiderseitig distalen Unterkieferfragmenten werden angefertigt und aufzementiert, Abdruck für Scharnierschiene angefertigt. Das völlig bewegliche Kinnfragment wird von den wenigen Schleimhaut- und Muskelstücken gelöst und
Rückblick in toto entfernt. Versorgung der Achselwunde durch Kramerschienen-Korbverband.“ (Ein kleiner Korb aus Draht war über der Wunde, damit die Wunde frei von Verbandmaterial bleibt.) Als ich aufwachte, hat sich ein Landsmann aus Schöndorf viel um mich gekümmert, doch ich weiß leider seinen Namen nicht mehr. Außerdem hat mich ein Mädchen aus Billed besucht, von dem ich nur noch weiß, dass es blond war. 09.11.44: „Untere Scharnierschiene wird eingesetzt, Kinnkappe und Kopfhaube werden angefertigt; um den rechten Mundwinkel wird ein Entlastungsschnitt nach Ganzer gemacht und mit Bleiplättchendrahtnaht die Wundfläche situiert. Am tiefsten Punkt wird zum Sekretabfluss ein Gummidrain eingeführt ... Die Ernährung erfolgt durch die Lükke im Frontzahnbereich, flüssige Kost. Mundspülung mittels Spritze täglich.“ Metalldraht wurde verwendet, weil herkömmliche Mittel vom vielen Eiter schnell verfault wären; die verschieden großen Bleiplättchen waren nötig, damit der Draht nicht in die Haut schneidet. Essen konnte ich nur Flüssiges, da beide Kiefer fest aufeinander gebunden waren. Wo im Unterkiefer die Zähne fehlten, war ein Spalt von etwa 2mm; nur was da durchging, konnte ich essen: Suppe mit dem Löffel eingeflößt und täglich eine kleine Flasche Wein. Vielleicht war ich auch davon etwas benebelt, denn ich weiß so wenig von dem, was um mich herum geschah. Gefüttert haben mich die Schwestern, weil ich den rechten Arm nicht bewegen konnte und mit dem linken schaffte ich es nicht in meinem Zustand, erst als ich kräftiger wurde, vermochte ich es. Am 10.11.44 wurde ich zur Behandlung der Schulter in ein chirurgisches Lazarett in die Große Mohrengasse in Wien verlegt. Auch mit einer Schnabeltasse konnte ich nicht gut trinken, weil ich mit dem Mund saugen musste und so Luft mit Eiter kam, zumal die Wunde hier nicht täglich gespült wurde. Das Schulterblatt war verletzt, der Knochen über der Oberarmkugel zertrümmert und ein Teil des Schlüsselbeins fehlte, doch ich hatte kein
44 Fieber, mein Allgemeinbefinden war gut. Das Anlegen des Gipsverbandes war umständlich, aber notwendig, wobei der ganze Brustkorb und der rechte Arm umwickelt wurden, nur ein eingeschnittenes Fenster ermöglichte den Verbandwechsel der stark eiternden Wunde. Auch nach drei Wochen musste ich noch im Bett liegen, konnte aber wenigstens mein Umfeld richtig wahrnehmen, hören, aber nicht sprechen mit aufeinander gebundenen Kiefern. Der Schulterverband musste täglich einmal, der Kinnverband sogar zweimal täglich gewechselt werden, weil die Wunde stark eiterte. Pinkeln konnte ich im Bett in die Flasche, für den Stuhlgang wurde ich alle paar Tage auf die Toilette gebracht, weil es bei der flüssigen Nahrung nicht öfter notwendig war. Eine Nasensonde habe ich zur Ernährung nie gebraucht, sondern mich immer mit dem Löffel füttern lassen. Nach Stammersdorf rückverlegt, teilte ich das Zimmer mit einem bei Nebel abgestürzten Piloten, der wegen seiner Unterkieferverletzung auch schlecht essen konnte. Laut ärztlichem Bericht war bei mir die Bleiplättchennaht am Mundwinkel noch vorhanden, der rechte Mundwinkel war schon verheilt, weil weniger eitrig, wogegen im Kieferknochen die Knochensplitter herauseitern mussten. Weil die Hälfte der Unterlippe weggerissen war, ist der Mund durch das Zusammenziehen der Ober- und Unterlippe kleiner geworden. Durch eine kleine Drehung der Oberlippe von rechts oben nach links unten kam ein wenig von der Außenhaut der Oberlippe nach innen, so dass ich jetzt zwar keine Haare auf den Zähnen, dafür aber welche im rechten Mundwinkel habe, die ich von Zeit zu Zeit auszupfe. Oft kam es vor, dass der Eiter schon vor dem zweimaligen Verbandswechsel heraustropfte; täglich wurde der Mund mit Kochsalzlösung ausgespült. Weil sich die russische Front Wien näherte, wurden viele Verwundete verlegt, auch ich, obwohl ich bis dahin nur im Bett gelegen hatte. Da ich mich fürs Mitfahren entschied, musste ich erst eingekleidet werden, da meine eigenen Sachen ja verloren gegangen waren und ich nur im Hemd dalag. Im
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Diese Fotos wurden in Bad Harzburg gemacht und ich bekam sie ohne Wein. In dieser Phase war das untere Ende des Lappens auf die wieder wund gemachte Narbe aufgenäht, bekam die Blutzufuhr vom Halsende her. Gut angewachsen, konnte man die Rolle vom aufgenähten Stück trennen, auseinander rollen und wieder an der alten Stelle am Hals annähen. Gardeuniformrock mit Stulpen an den Ärmeln sah ich schon komisch aus. Auch im Zug wurden wir gut betreut, mussten im Sitzen schlafen, sodass ich bei der Ankunft ziemlich mitgenommen war und auf der Trage weitergebracht wurde. Wir kamen in eine ehemalige Irrenanstalt, wo anfangs in meinem Zimmer sogar ein Klavier stand, auf dem ein Sanitäter „Unter der roten Laterne von Sankt Pauli“ spielte und ein Mädchen mitsang. Auch dergleichen Nebensächliches blieb in der Erinnerung haften. Hier jedoch herrschten noch strenge militärische Sitten: Wenn die Ärzte zur Visite ins Zimmer kamen, wurde „Achtung“ gerufen und diejenigen, die nicht im Bett lagen, mussten stillstehen, die im Bett lagen sollten die Hände anlegen. Da ich bisher gut mit Schienen und Gipsverband versorgt worden war, brauchte vorerst weiter nichts getan zu werden als den Verband zu wechseln und täglich den Mund zu spülen. Auch versuchte man, mich aufzupäppeln: 5mal täglich bekam ich Suppe mit einem Stück Butter, öfter auch Biersuppe mit Butter, sodass ich mich zusehends erholte.
Bald konnte ich tagsüber für längere Zeit aufstehen, konnte auch mit der Linken schon selber löffeln. Zwar war die Rechte noch in Gips, aber schreiben konnte ich damit doch, z.B. an die Kompanie, um nach meinem Soldbuch und nach meinen persönlichen Sachen zu fragen, eine Antwort bekam ich jedoch nicht. Gewogen wurde ich öfter, ansonsten musste man warten, dass die Wunden heilten. Behandlung nach Röntgenaufnahme der Schulter: „Der Arm ist soweit freigelegt, dass aktive und passive Bewegungen in Ellenbogen und Hand sowie leichte passive Bewegungen im Schultergelenk täglich ausgeführt werden können, danach muss der Arm mit Binden wieder festgelegt werden.“ Die Übungen taten weh, zumal der Gips fast 2 Monate drauf und nun alles steif war. Zufällig sah ich dabei durchs Fenster die Banater Flüchtlinge aus Orzidorf vorbeifahren, konnte aber den Kontakt zu ihnen nicht aufnehmen, nur Wehmut überkam mich. Durch die Behandlung fühlte ich mich immer besser, Bier gab es kistenweis. In der Kantine traf ich Hans Ballmann, den Sohn vom Ballmann-Müller, tranken ein Bier zusam-
Rückblick men, verloren uns aber dann aus den Augen, weil er geheilt entlassen wurde. Die Tage vergingen mit Verbandwechsel, Mundspülen und Bewegungsübungen, gegen die Langeweile rollten wir gewaschene Müllbinden mit einem Gerät auf, es wurden Volkslieder gesungen, während es draußen kalt war und schneite. Verglichen mit der Situation unserer Kameraden an der Front, konnten wir in unseren weißen Betten im geheizten Zimmer mit unserem Schicksal sehr zufrieden sein. Einmal bin ich mit meinem Bettnachbarn ins Kino gegangen „Kauf dir einen bunten Luftballon“ und hatte dabei eine sonderbare Begegnung: Jemand rief meinen Namen und ich erkannte den Kameraden, der in Pesak schwerverwundet geborgen wurde, als die Russen sich zurückziehen mussten, wodurch er gerettet wurde, ich ihn aber tot glaubte. Meine Wunde an der Schulter war verheilt, der ganze Gips abgenommen, auch die Wunde am Kinn war verheilt, nachdem ein letzter Knochensplitter herausgeeitert war, sodass nichts mehr verbunden werden musste. Im Februar nach Bad Nauheim verlegt, wurden mir gleich - scheinbar verspätet - die Ober- und Unterkieferschienen herausgenommen. Nach 3 ½ Monaten konnte ich wieder normal sprechen, wurde mit drei Kameraden privat untergebracht; das Mittagessen bekamen wir im Kurhaus, die kalte Verpflegung nach Hause. Den Mund konnte ich nur wenig öffnen, musste Bewegungsübungen mit dem Unterkiefer machen. Am 10.März wurde ich operiert: „Lappenbildung an der rechten Brusthalbseite mit Zwischenstielung und Doppelung des unteren Lappenendes durch Umklapplappen entnommen aus der seitlichen Brusthaut. Schließung des entstandenen Hautdefekts durch Zusammenziehung mit ?? und Außennähten. Verlauf der Operation normal, in Lokalbetäubung ... Lappen sollen zur Deckung des rechten Mundwinkeldefektes dienen.“ -13.03.45 - „Lappen sieht gut aus. Zustand nach Operation gut.“ Weil die Westfront näher kam, wurden wir aus taktischen Gründen wieder mal verlegt
46 und zwar nach Bad Harzburg. Jeder bekam einzel einen Marschbefehl, seine Krankenpapiere, Verpflegung für drei Tage, ich eine Luftwaffenuniform. Wir konnten jedes Transportmittel nutzen, gruppierten uns und zogen los. Meine Siebensachen hatte ich in einer Pappschachtel: Ich besaß nicht viel: Zahnbürste, Rasierzeug ... An einem Gürtel zog ich die Schachtel auf der wenig befahrenen Autobahn hinter mir her. Auf einem getarnten Tankwagen der Feuerwehr kamen wir bis in die Nähe von Gießen und gingen zu Fuß in die zerbombte Stadt. Kein Zug fuhr weiter und wir mussten mit Flüchtlingen und Ausgebombten per Anhalter weiter bis Marburg, wo ich rumänisch sprechende ungarische Soldaten aus Siebenbürgen traf, bereit sich bei Feindberührung sofort zu ergeben, um nicht noch in den letzten Tagen das Leben für eine verlorene Sache zu riskieren. Übernachten mussten wir in einem Treppenhaus; es war eine lange, unbequeme Nacht, aber doch nicht im Freien, wo wir doch keine Mäntel hatten. In Fritzlar bekamen wir trotz großen Durcheinanders für drei Tage Marschverpflegung bis Bebra, wo wir einen Eintopf und Übernachtung hätten haben können, aber auch das Risiko, mit Volkssturmleuten und 16-Jährigen in den schon verlorenen Kampf geschickt zu werden. In Erfurt erlebte ich im überfüllten Wartesaal die Panik bei der Explosion einer Luftmine auf dem Bahnhofsgelände. Vor der Weiterfahrt nach Nordhausen sind wir noch ins Kino gegangen und fanden sogar bei unserer Rückkehr in den Bahnhof unsere in einer Ecke abgestellten Habseligkeiten. Vom 24. bis 30. März waren wir von Bad Nauheim nach Bad Harzburg unterwegs; das Hotel „Haus Schmelzer“ war Lazarett und 1990 bei meinem erneuten Besuch wieder Hotel, ist danach aber abgebrannt ... 30.04.45 „Aufnahme im Luftwaffenlazarett ... Teilung des Zwischenstieles und Verbreiterung der unteren Basis.“ Die Ärzte kamen einfach herein, grüßten „Guten Morgen“ und beim Hinausgehen sagten sie „nen Morgen“, ohne Drill und dergleichen. Vom Balkon aus konnten wir beobachten, wie auf der
Rückblick Straße amerikanische Soldaten von links auf uns zukamen und von der Querstraße ein LKW mit einigen deutschen Soldaten. Vor unserem Lazarett trafen sie zusammen: Die Deutschen hatten wir nicht mehr warnen können, sie warfen jedoch ihre Waffen gleich weg und erhoben die Hände. Ein Ami durchsuchte ihr Auto, fand ein Brot, gab es ihnen und nahm sie dann im eigenen Auto mit, das deutsche ließen sie stehen. Um die Abschiebung ins Gefangenenlager hinauszuschieben, wurde die Heilung verzögert, Operationen verschoben; auch die Amerikaner schickten von hier aus niemanden ins Gefangenenlager, zumal man schon begonnen hatte, welche zu entlassen. Solange wir von ihnen bewacht wurden, bekamen wir sehr gutes Essen, als jedoch Deutschland in Zonen aufgeteilt wurde und wir zu den Engländern kamen, war es mit dem guten Essen vorbei. Die hatten für sich selber wenig und waren froh, wenn sie etwas von unserer Küche bekamen. In Bad Harzburg wurden wir anfangs sehr streng bewacht, doch mit der Zeit lockerte sich das Verhältnis, so dass man auch ins Kino gehen konnte; Karten wurden bis 2, 3 Uhr nachts gespielt. 24.07.45 „Umschneidung des Lappens an seinem unteren Pol. Druckverband, Bettruhe“ „Entfernung der Fäden“ 02.08.45 „Abdrucknahme im Unterkiefer“ Ich fragte mich, wie die aus den Scherben etwas Brauchbares zusammenkriegen können. Doch es wurde ein Meisterstück: Die Kunstharzprothese, die die Zähne 1-5 unten rechts und 1 unten links ersetzte. Sie passte genau und ich konnte bald gut damit essen. Nachdem die Narben abgeschält, dadurch wieder wund gemacht wurden, hat man das am unteren Ende des „Nauheimer Würstchens“ ovale Stück ganz herausgeschnitten und auf die Wunde am Kinn aufgenäht. 22.08.45 „Entfernung der Fäden, Lappen sieht gut aus.“ 24.09.45 „Durchschneidung des Lappenstieles und Einnähen der Lappenenden.“ Das „Würstchen“ wurde bis zu seinem Anfang am Hals der Länge nach an der Nar-
47 be aufgeschnitten und wieder auseinandergerollt, die Narbe am Hals auch aufgeschnitten, auseinandergezogen und die Haut an ihren alten Platz zurückgenäht. 02.10.45 Entfernung der Fäden 06.10.45 Verdünnung des Lappens vom oberen Rande her; damit waren die Operationen abgeschlossen. Jakob Otto (Maurer) von Billed kam Banater suchen und fand mich, er gab mir auch Adressen von anderen Billedern, die in einem UNRA-Lager waren: Michael Klein (Tritz) und seine Frau Maria, Mathias Just und Nikolaus Wolz, von denen ich nach meiner Entlassung aufgenommen wurde. Ende Oktober waren wir endlich frei! Der im Entlassungsbefund gemachten Feststellung, dass die Mundöffnung ausreichend groß ist, möchte ich hinzufügen, dass ich nur von schmalen Stücken etwas abbeißen kann, am besten geht es, wenn ich alles in kleinere Stücke zerschneide. Zuhause geht das gut, doch im Zug, wo ich keine Möglichkeit zum Schneiden habe, gibt es schon beim Abbeißen Schwierigkeiten. Die Prothese ist sehr gut, den Unterkiefer kann ich normal bewegen, auch seine Stellung zum Oberkiefer ist sehr gut, wofür ich den Ärzten ein großes Lob ausspreche. Die Weichteilverletzung hätte der Nauheimer Arzt wahrscheinlich besser hinbekommen, dann würde sich die Oberlippe beim Öffnen des Mundes nicht so nach unten und innen verziehen. Am 28.01.46 wurde ich als geheilt und bedingt arbeitsfähig bei entsprechendem Einsatz entlassen. Mit dem Umzug zu den Billedern Mathias Just und Nikolaus Wolz in Wattenstet war meine Lazarettzeit zu Ende. Nachtrag: In Harzburg hatte ich einen guten Freund, Walter Guder aus Braunschweig. 1990 habe ich im Telefonbuch seine Nummer gesucht, angerufen und seinen freudigen Aufschrei: „Mensch Seppel, wo bist du dran?“ gehört. Später habe ich ihn besucht, weil er als Rollstuhlfahrer nicht zu mir kommen kann. Nur drei Worte hatten genügt, um an die gemeinsame Zeit zu erinnern und das nach 45 Jahren! Stuttgart, Frühjahr 2003
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Auch er war ein Billeder Kind Helene Neumayer (Feiler)
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ie Kriegs- und Nachkriegsereignisse, von denen man in diesem Jahr so oft eingeholt wurde, riefen immer wieder düstere Erinnerungen wach. Über die eigenen Erlebnisse der Russlandverschleppung hinweg wurden wir mit Berichten und Tatsachen konfrontiert, die unsere Erlebnisse an Grausamkeit sogar übertrafen. Heute, 60 Jahre danach, wissen wir es zu schätzen, dass uns ein ruhiges Alter beschieden ist, in dem wir mit unseren Kindern und Enkelkindern in eine friedvolle Zukunft blicken können. Zweifellos war 2005 das Jahr der Besinnung; immer wieder blieben unsere Erinnerungen irgendwo haften. Aber manchmal konnten wir über diese furchtbaren Jahre hinweg Brücken schlagen, zurück in unbeschwerte Kindertage, in unser friedliches Billed. Einige Fotos zeigen Lichtblicke davon. Ich erkenne sie alle wieder, die einstigen Spielkameraden von damals: Die Leni, die Lissi, die Marischka und ihr Bruder Pischta, der bei den Spielen immer so gute Ideen hatte. Auch er, Pischta, war ein Billeder Kind. Am Rande von Billed stand die Schrotmühle und Mästerei meines Großvaters, wo ich die schönsten Kindertage verbrachte. Pischtas Eltern kamen am Ende der 20-er Jahre aus der Slowakei mit ihren 3 Kindern nach Billed. Sie sprachen nur slowakisch, die Eltern noch ein bisschen ungarisch. Im Schulalter kam es bald anders, die Kinder sprachen untereinander in Billeder Mundart und haben sich problemlos in der Schule eingegliedert. Pischta gehörte auch bald zu den Spitzenschülern in seiner Klasse. Auch seine Eltern waren mit ihrer Bleibe zufrieden. Herr Jacsanski wurde in der Mühle Maschinist, beaufsichtigte den ganzen Verlauf in der Mühle und wurde bald zum Obermüller ernannt. Die Familie erhielt im Mühlengebäude eine kostenfreie Wohnung mit großer Küche und Speisekammer und auf dem Gelände der Mästerei einen kleinen Schweinestall mit vorliegendem kleinen Geflügelhof. Es waren
dies für die Jacsanskis ruhige, zufriedene Jahre in Billed. Anfang der 30-er Jahre kam es dann anders. Auch die Billeder Schrotmühle fiel der einbrechenden Wirtschaftskrise anheim. Der Großvater starb und die Mühle schloss ihre Tore. Die Angestellten der Mühle wurden arbeitslos. Für die Jacsanskis ergab sich jedoch eine günstige Lösung: Der Sohn des Großvaters Josef Sladek - Ing. Adalbert Sladek, der inzwischen in die Muschong-Ziegelfabrik in Lugosch einheiratete und dort Mitinhaber wurde, nahm Herrn Jacsanski mit nach Lugosch, wo er ihn als Maschinenschlosser einstellen konnte, denn er erfüllte alle Bedingungen: Er war fleißig, tüchtig und katholisch. (So war es damals noch, später kam es dann anders!) Die Jacsanski-Kinder gingen in Lugosch in die deutsche Schule und hatten den langen Schulweg von der Fabrik in die Stadt täglich zu bewältigen. Pischta gehörte auch hier zu den besten Schülern und wurde für eine weiterführende Schule vorgeschlagen. Die katholische Kirchengemeinde in Lugosch finanzierte jährlich das Schulgeld für 3 begabte Schüler im deutschen Gymnasium. Pischta gehörte zu ihnen! Hier absolvierte er 4 Klassen mit Erfolg. Danach nahm ihn sein Vater mit ins Maschinenhaus der Ziegelei. So wurde er ein guter Maschinenschlosser und der ganze Stolz seines Vaters. Es folgten die Jahre des Aufbruchs. Pischta verkehrte mit seinen einstigen Schulkameraden und meldete sich freiwillig - offensichtlich aus Solidarität - und wurde 1943 zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Er kam mit seiner Einheit an die Ostfront. Einmal noch kehrte er mit seiner schmucken Uniform im Urlaub heim. Dann musste er wieder zurück zu seiner Truppe. Kurz danach erreichte die Familie eine niederschmetternde Nachricht: „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland.“ Familie Jacsanski war untröstlich und am Boden zerstört. Heute stellt man sich die Frage: Gefallen für welches Volk? Für wel-
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Jahrgang 1926 mit Lehrerin Elisabeth Szimits, Eins.: Karl Filippi. ches Vaterland? Die Millionen Tränen, die damals unzählige Eltern vergießen mussten, können wir jetzt, 60 Jahre danach, immer noch gut nachvollziehen. Heute sind wir dafür dankbar, dass wir unsere Söhne behalten
durften und nicht in einen unsinnigen Krieg schicken mussten. Möge dieser Zeitgeist - in Frieden miteinander zu leben - für alle künftigen Generationen erhalten bleiben!
Gegen das Vergessen 60 Jahre seit der Russlanddeportation Elisabeth Packi (Hehn)
Historisch-politische Hintergründe
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as Jahr 1945 bedeutete nicht nur das Ende des 2. Weltkrieges, sondern auch den Beginn des Leidensweges der Deutschen in Ost- und Mitteleuropa. Nach Angaben der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“ wurden mehr als 350.000 deutsche Zivilisten zum Arbeitseinsatz in die Sowjetunion verschleppt. Betroffen waren alle Rumäniendeutschen, die Deutschen aus Ungarn, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und die aus den deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße. Von den Verschleppten waren 130.000 Deutsche aus Südosteuropa. Aus Rumänien wurden 75.000 in die sowjetischen Arbeitslager deportiert.
Nach den Aussagen des stellvertretenden sowjetischen Außenministers, J. W. Maisky, waren für die Deportation „Kriegsverbrecher“ und „aktive Nazis“ zur „Wiedergutmachung, Bestrafung und Umerziehung der Deutschen“ vorgesehen. Tatsächlich wurden weitgehend Männer und Frauen, die keine direkte Verantwortung für den Krieg trugen, deportiert. Die Deportation war eine systematisch betriebene Aktion, die von der obersten sowjetischen Führung geplant und in allen deutschen Ostgebieten in gleicher Weise gehandhabt wurde. Die Alliierten hatten auf der Konferenz in Jalta (4.-11. Februar 1945) den sogenannten „Reparationsleistungen“ („reparations in
Rückblick kind“) an die Sowjetunion zugestimmt. Dieser Begriff schloss außer Lieferungen Deutschlands aus der laufenden Produktion und den Demontagen deutscher Industrieanlagen auch die Verwendung deutscher Arbeitskräfte ein. Es war eine verschleierte Abmachung über Verschleppung, für die der britische Premier Winston Churchill und der US-amerikanische Präsident Franklin Roosevelt mitverantwortlich sind, da sie ihr zugestimmt haben. Sie legitimierten dadurch nachträglich die zum Großteil abgeschlossene Verschleppungsaktion in Rumänien, Ungarn und Jugoslawien und die laufende Deportation in Polen, Ostbrandenburg, Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen. Warum die Sowjets nach Beendigung des Krieges die geplanten Massendeportationen in den besetzten Gebieten Deutschlands und Österreichs nicht fortgesetzt haben, ist nicht geklärt. Sie haben sich lediglich mit 26.000 Facharbeitern begnügt. Kurze Vorgeschichte der Deportation in Rumänien Am 23. August 1944 beendet König Michael I, ein Hohenzollernprinz, völlig unerwartet sein Waffenbündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Die königliche Palastgarde verhaftet Marschall Antonescu, Hitlers treuesten Verbündeten. Rumänien kämpft an der Seite der Alliierten weiter bis zur endgültigen Kapitulation Deutschlands. Die Sowjets überfluten das Land. Als die Deportation in Gang gesetzt wurde, war Rumänien aus Sicht der Alliierten ein „besetztes Land“. So schrieb Winston Churchill am 19. Januar an das Foreign Office [das britische Außenministerium]: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir versprochen haben, das Schicksal Rumäniens in der Hand der Russen zu belassen“. Infolge der von Winston Churchill und dem Sowjetdiktator Josef Stalin getroffenen und von den Amerikanern akzeptierten Vereinbarung war Rumänien 1945 Bestandteil des sowjetischen Imperiums. Die rumänische Regierung stand also praktisch allein da, ohne jegliche Unterstützung seitens der Alliierten. Es muss auch in Betracht ge-
50 zogen werden, dass im Januar 1945 der Krieg noch voll im Gange war, und dass sowjetische Truppen auf dem gesamten Territorium Rumäniens stationiert waren. Die rumänische Regierung wurde vom sowjetischen Deportationsbefehl völlig überrascht. Erst am 6. Januar erfuhr die Regierung von General Nicolae Radescu – die letzte nichtkommunistische Regierung Rumäniens - offiziell von den Plänen der Sowjets. Am 16. Januar hat Premierminister Radescu eine Protestnote an General Vinogradov, den stellvertretenden Vorsitzenden der Alliierten Kontrollkommission, geschickt. In dieser Protestnote wies Nicolae Radescu auf „die Pflicht der rumänischen Regierung, die Interessen aller ihrer Untertanen ungeachtet ihrer ethnischen Abstammung zu schützen“ hin. Die Protestnote blieb allerdings ohne Erfolg. Schon unmittelbar nach der rumänischen Kapitulation am 23. August 1944 war gelegentlich von einer bevorstehenden Deportation der Volksdeutschen die Rede. Es fanden allerorts Registrierungen der Deutschen statt. Neben anderen Reparationsleistungen forderte Stalin angeblich 100.000 rumänische Staatsbürger als freiwillige Arbeitskräfte für den Wiederaufbau seines Landes. Gegen Ende des Jahres verstärkten sich die Gerüchte über eine bevorstehende Verschleppung. Ende Dezember 1944 gingen einige Transporte mit Volksdeutschen aus Jugoslawien zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Die Verschleppung der Deutschen im Sathmar-Gebiet [im Nordwesten Rumäniens] begann schon am 2. und 3. Januar 1945. Am 10. und 11. Januar ist die Aktion in Siebenbürgen und Bukarest angelaufen. Die Deportation verlief nach einem sorgfältig vorbereiteten Plan seitens der rumänischen Behörden in enger Zusammenarbeit mit den sowjetischen Besatzern. Die Ortseingänge wurden von Militär und Polizei abgeriegelt. Der Telefon-, Telegraf- und Eisenbahnverkehr wurde lahmgelegt. Es wurden Listen mit den Betroffenen erstellt. Gemischte rumänisch-sowjetische Patrouillen gingen von Haus zu Haus, um die Betroffenen auszuheben. Manche versuchten sich zu verstecken, doch die Drohung, Eltern
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Stalino 1946: Julius Hager, Josef Ballmann, Hans Gehl und Karl Packi beim Abschied von Hans Alexius. oder Verwandte als Geiseln zu verhaften, zwang so manchen, sich freiwillig zu stellen. Die politische Haltung des Einzelnen spielte bei der Aushebung keine Rolle. Es reichte, Deutscher zu sein. So wurden selbst aktive deutsche Kommunisten oder Deutsche, die in der rumänischen Armee dienten, ausgehoben. Als die Aktion nach mehreren Wochen abgeschlossen war, waren 75.000 Volksdeutsche aus Rumänien deportiert. Die Deportation im Banat bzw. in Billed Am 14. Januar, es war ein Sonntag, zog das Militär mit Listen von Haus zu Haus und forderte alle Männer im Alter von 17 bis 45 und alle Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren auf, sich in der Schule zu versammeln. Übergriffe nach oben oder nach unten waren nicht selten. Nur Frauen mit Säuglingen unter einem Jahr blieben zu Hause. Die Ausgehobenen wurden angewiesen, Lebensmittel für 14 Tage und Kleidung mitzubringen. Wohin es gehen soll, erfuhren sie nicht.
Am nächsten Tag ging es zu Fuß in das 20 km entfernte Perjamosch. Das Gepäck wurde mit Wagen nachgebracht. Hier wurden die zu Verschleppenden wieder für ein paar Tage in der Schule einquartiert, bis die Transporte zusammengestellt waren. Je 30 Leute, Männer und Frauen, kamen in einen Viehwaggon, versehen mit Pritschen und einem Ofen. Für sonstige menschliche Bedürfnisse war ein Loch in den Boden gesägt. Als alles verladen war, wurden die Türen von außen verriegelt und der Zug setzte sich in Bewegung in Richtung Temeswar, wo zum ersten Mal gehalten wurde. Danach ging es in Richtung Siebenbürgen weiter bis nach Iasi. Unterwegs wurde in regelmäßigen Abständen angehalten, um Wasser nachzufüllen. In Iasi fand die Verladung in russische breitspurige Waggons statt. Noch immer wusste niemand, wohin es ging. Ab da waren 50-60 Leute in einem Waggon. Unsere Billeder Landsleute wurden vorwiegend in Arbeitslager in die südliche Ukraine gebracht, nach Stalino, Jenakjewo,
Rückblick Dnjepropetrowsk, Slowjansk und Tschasowjar. Aus unserer Heimatgemeinde wurden 556 Personen in die Sowjetunion zwangsverschleppt. Schon auf der Hinreise verstarben unsere Landsleute Franz Slavik, Josef Lauth und Hans Bohn. Am Bestimmungsort angekommen, ging es zu Fuß ins Lager. Das Gepäck wurde transportiert. Danach wurden die Zimmer zugeteilt. Es waren etwa 40 Leute in einem Zimmer, versehen mit Etagen-Eisenbetten und einem gemauerten Ofen. In Jenakjewo schliefen je 2 Frauen in einem Bett, in Stalino gab es keine Strohsäcke und es wurde auf dem Brettergestell geschlafen. Die Pritsche war Schlafstelle und Sitzgelegenheit zugleich. Sie diente auch als Tisch. Die Pritsche war das einzige, was man sein eigen nennen konnte. Die unteren Schlafstellen waren am bequemsten. Um in die oberen Betten zu gelangen, musste man hinauf klettern. Dafür waren sie im Winter wärmer. Nach der Zuteilung der Zimmer ging es zu der Entlausung. Jeder musste seinen Beruf angeben und wurde einer Arbeit zugeteilt. Das Lager war von Stacheldraht umzäunt und über die vier Wachtürme ständig bewacht. Zur Arbeit ging es in Marschkolonnen unter militärischer Bewachung. Die Arbeit fand unter schwersten Bedingungen statt, bei bis zu -40°C: auf dem Bau, in der Fabrik oder in der Kohlengrube. Am 9. Mai 1945 kam der Natschalnik [Aufseher] in der Früh und verkündete: „Dewotschki, wojna kaputt! Skoro pajedete domoj.“ [Mädchen, der Krieg ist zu Ende! Bald geht es nach Hause.] Doch es sollten noch viereinhalb Jahre verstreichen, bis dies in Erfüllung ging. Im Dezember 1946 ging der erste Krankentransport nach Hause. Erst dadurch erfuhren die Daheimgebliebenen, wohin ihre Angehörigen verschleppt worden waren und wie es ihnen ging. Das Essen war von einer erschreckenden Eintönigkeit: morgens Tee mit der Brotration für den ganzen Tag, mittags Krautsuppe mit Kascha [Grütze] und abends wieder Krautsuppe. Tagaus, tagein Kohl. Wenn man ein Stück Kartoffeln in der Suppe fand, so war das eine Sondermeldung. Einziges Essbesteck
52 war der Löffel. Für das Essen wurden monatlich Essensmarken ausgegeben. Der Handel mit den Essensmarken entwickelte sich zu einer regelrechten Börse. Für den Erlös kaufte man sich auf dem Markt andere Lebensmittel, um seine Ernährung abwechslungsreicher zu gestalten. Ein viel begehrter Artikel war Zucker. Meistens gab man dafür Brot oder Essensmarken. Die Brotration war verschieden und hing von der Schwere der Arbeit ab. Die normale Ration war 700 g, Schwerarbeiter erhielten 1.000 g, für Kolchosarbeit gab es 500 g. Das Brot war schlecht, zäh und nie richtig durchgebacken. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. Es wimmelte nur so von Ungeziefer: Läuse, Wanzen, Flöhe. Wasser und Seife waren Mangelware. Einmal pro Woche ging es ins Dampfbad zur Entlausung. Es wimmelte überall von Wanzen. Die Wand war übersät mit diesen ekelhaften Biestern. Am Tag hielten sie sich verborgen, aber sobald es dunkel wurde, krochen sie zu Hunderten aus ihrem Versteck hervor. Sich ihrer zu erwehren, war praktisch zwecklos. Sie quälten einen bis zum Morgengrauen. Die seelischen Qualen waren das Schlimmste. Die Ungewissheit machte das Leid fast unerträglich. Hätte man gewusst, wie lange man bleiben musste, hätte man sich innerlich darauf einstellen können. Aber man wusste nicht einmal, ob man überhaupt noch einmal nach Hause kommen würde. Ab und zu kam ein Brief von zu Hause. So ein Brief bildete dann tage- und wochenlang das Gesprächsthema im Lager. Endlich wusste man, wie es den Daheimgebliebenen ging. Wie viel Ungewissheit und Zweifel konnten diese Briefe zerstreuen, wie viel Licht und Hoffnung in ungezählte Herzen pflanzen! Der Tod war ein ständiger Begleiter im Lager. Immer wieder kam es vor, dass ein Kamerad starb. Die Sterbeziffer stieg ständig an. Die meisten starben wegen der Unterernährung an Wassersucht und Typhus. Etwa 15 % der Russlanddeportierten starben während der Deportation. Von Billed haben 76 Personen ihr Leben in den sowjetischen Arbeitslagern verloren. Ihnen zu Ehren wurde vor der
Rückblick Billeder Kirche eine Gedenktafel errichtet, in der die Namen aller in Russland Verstorbenen eingemeißelt sind. Späte Rehabilitation Am 16. Oktober 1990 fasste die rumänische Regierung den Beschluss, dem Parlament einen Gesetzesentwurf zur Entschädigung jener Personen, die unter der kommunistischen Diktatur verfolgt oder deportiert wurden, vorzulegen. In der Begründung hieß es: „Nach dem 23. August wurde eine große Anzahl rumänischer Staatsbürger deutscher Nationalität zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert. Die Deportation erfolgte willkürlich, allein auf der Basis der Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit […]. Diese diskriminierende, widerrechtliche Maßnahme aufgrund ausschließlich ethnischer Kriterien löste den Prozess der Auswanderung der Deutschen aus […].“ Aufgrund dieses Gesetzentwurfes wurde das Dekret Nr. 118 im Jahre 1990 erlassen, durch welches die Jahre der Zwangsarbeit und die der Deportation als Dienstjahre bei der Berechnung der Rente angerechnet werden, wobei jedes Haft- und Internierungsjahr als ein Jahr und sechs Monate Dienstzeit zählt. Am 1. Mai 1997 hat sich der damalige rumänische Außenminister Adrian Severin bei dem deutschen Außenminister Klaus Kinkel für das Unrecht, das der deutschen Bevölkerung während der kommunistischen Diktatur zugefügt worden ist, entschuldigt. In dieser Erklärung verurteilte er sowohl das den Deutschen zugefügte Leid in der Nachkriegszeit wie die Verschleppung der Deutschen zur Zwangsarbeit in sowjetische Arbeitslager und die Deportation der Banater Schwaben in die Baragan-Steppe, wie auch den entwürdigenden Tauschhandel in den 70er und 80er Jahren, als erhebliche Finanzleistungen bei der Familienzusammenführung der ausreisewilligen Deutschen gefordert wurden, das so genannte „Kopfgeld“. Dabei verurteilte er zutiefst diese traumatischen Praktiken und sprach seine Entschuldigung für das Gesche-
53 hene aus „als eine Geste der moralischen Wiedergutmachung an jenen Bürgern Deutschlands, die früher Bürger unseres Landes waren, deren Schicksal von solchen verdammenswerten Taten bleibend geprägt ist.“ Diese von dem Außenminister abgegebene und schon längst fällige Erklärung wurde von den Betroffenen mit Genugtuung aufgenommen, kann jedoch das Geschehene nicht ungeschehen machen. Danksagung: Mit der Deportation nach Russland wurde ich schon in meiner Kindheit konfrontiert. Meine Mutter, Elisabeth Hehn, geborene Mann, wurde als 18-Jährige nach Jenakjewo deportiert, wo sie fünf Jahre verbrachte. Zeitlebens hat sie dieses traumatische Erlebnis aufzuarbeiten versucht, indem sie ständig und immer wieder darüber sprach. Ohne es zu ahnen, hat sie uns Kindern dadurch ein enormes Wissen an gelebter Geschichte unserer Volksgruppe vermittelt, ein Reichtum, den wir erst heute so richtig zu schätzen wissen. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei ihr dafür bedanken. Ohne ihre ausführlichen Schilderungen wäre dieser Beitrag nie zu Stande gekommen. Weitere Quellen: - „Deportiert und repatriiert: Aufzeichnungen und Erinnerungen 1945-1947, von Daniel Bayer“, München 2000, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk - „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, Band III, „Das Schicksal der Deutschen in Rumänien“ - „Deportation der Südostdeutschen in die Sowjetunion 1945-1949“, München 1999, Haus des Deutschen Ostens - „Billed, Chronik einer Heidegemeinde im Banat“ von Franz Klein, Wien 1980 - „Über uns der blaue endlose Himmel“, von Wilhelm Weber, München 1998 - „Donbass-Sklaven. Verschleppte Deutsche erinnern sich“, von Günter Czernetzky, 1992 ARD
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Erlebnisbericht Helene Neumayer (Feiler)
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ie Gedenkfeier, die seitens unserer Landsmannschaft im Frühjahr in Ulm stattfand, erinnerte an die größte Tragödie in der Geschichte der Banater Schwaben: die Verschleppung nach Russland vor 60 Jahren! Die Heimatglocken - durch Tonband übertragen - die Hunderte Landsleute beim schwersten Gang ihres Lebens begleiteten, lösten im Saal ein Schluchzen aus. Als dann die Trachtenträgerinnen in Reihen durch den Mittelgang nach vorne kamen, in den Händen Kreuze tragend, worüber Schleifen mit den Namen der einzelnen Lager gelegt waren, lief es auch mir kalt über den Rücken: Es war ein unheimlich ergreifender Augenblick. Wir sind eigentlich nicht mehr viele Zeitzeugen des Geschehens von damals. Im Grunde genommen waren die Schicksale aller Verschleppten gleich: Aushebung in den frühen Morgenstunden, die lange Fahrt in Viehwaggons, Hunger und Entbehrung, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Trotzdem differenzieren sie sich in ihrer Einzelheit. Dazu ein Aspekt meiner Erlebnisse in meinem Lager Wolodarka. Gleich am Anfang wurden wir zur Arbeit in verschiedenen Kohlengruben zugeteilt. Ich erhielt meinen Arbeitsplatz oben im Schacht beim Entleeren der Loren, die mit Kohlen aus den Schächten gefördert wurden. Immer dasselbe. So vergingen Wochen und Monate. Der Druck wurde größer und größer. Als wir in der Heimat einwaggoniert wurden und uns von einigen unserer Angehörigen verabschiedeten, waren die letzten Worte meines Vaters: „Lern schnell die Sprache!“ Ich befolgte seinen Rat. Ende des zweiten Jahres konnte ich „Anna Karenina“ schon russisch lesen. Aber mein Eifer wurde mir - so unglaublich es klingt - fast zum Verhängnis. Im Lager wurden Tonia, eine Temeswarerin, und ich einmal plötzlich ins Verwaltungsgebäude gerufen. Hier saß mir ein neuer Offizier gegenüber und führte belanglose Gespräche: Wo wir herkommen? Was wir zu Hause gearbeitet
haben, usw. Wir waren beide ahnungslos und wussten nicht, wem wir gegenübersaßen. Später erfuhren wir: Es war Oberstleutnant Luzenko, ein Geheimpolizist des NKWD, der testen wollte, wer von uns beiden die Sprache schon besser beherrscht, den er als Dolmetscher gebrauchen konnte. Luzenko entschied sich für Tonia, wohl die robustere von uns beiden; vielleicht sprach sie auch wirklich schon besser russisch als ich. Sie wohnte mit mir in einem Raum. Auf den oberen Pritschen hatten wir unser Lager zurechtgemacht. Nun begann ihr furchtbarer Dienst. Fast täglich kam in den frühen Morgenstunden zwischen 2 und 3 - das waren die üblichen Stunden der Aushebung im totalitären kommunistischen Regime - ein Wachposten, weckte sie aus dem Schlaf und führte sie hinüber ins Verwaltungsgebäude. Hier wartete Luzenko mit seinem Opfer und sie sollte dolmetschen. Anfangs erfolgten banale Gespräche und dann ging es immer heftiger zu. Das Opfer, ein männlicher Lagerinsasse, sollte bekennen, dass er persönlich gegen die Sowjetunion gekämpft hatte. Weil er dies nicht zugeben konnte und verneinte, begannen die Hiebe. Gewöhnlich ergriff Luzenko den Riemen und schlug gnadenlos und brutal auf sein Opfer ein. Das ging fast täglich so. Jedesmal war ein anderer Mann von unserem Lager dran. Immer die furchtbaren Schmerzen, Geschrei und Wehklagen, die Tonia miterleben musste. In Wirklichkeit waren die Männer unseres Lagers niemals Soldaten gewesen. Die meisten hatten bis zur Aushebung das Militäralter noch gar nicht erreicht. (Zitat 1,2,3) Ich hatte inzwischen meinen Arbeitsplatz gewechselt und kam in das Krankenrevier, wo ich der Feldscherin Anna Romanovna half, die Kranken zu versorgen. Ich war froh, dass ich um Haaresbreite einer großen Gefahr entkommen war. Für Tonias Klagen und Verzweiflung behielt ich aber immer ein offenes Ohr. Sie hatte die Grenzen ihres Durchhalte-
Rückblick vermögens erreicht, war nervlich total zerrüttet und wusste keinen Ausweg. Zweifellos hatte sie die schwerste Arbeit im Lager. Nach mehreren Monaten dieser schrecklichen Arbeit, in die Tonia geschlittert war, erfuhren wir, dass Tonia im Karzer hinter Schloss und Riegel saß. Das war ein Verlies im Keller, eine 1,5 m große, betonierte Fläche, wo man nur stehen konnte, eine Möglichkeit zum Liegen gab es nicht. Wir hatten keinen Zugang zu ihr. Ein Mal täglich ließ ein Wachposten sie heraus zur Latrine. Ich nahm versteckt die Gelegenheit wahr, ihr unbemerkt etwas Brot und eine Konservendose Wasser zuzustecken. Nach etwa 4 Tagen ließ man sie frei. Sie konnte kaum noch auf den Beinen stehen, ist völlig zusammengebrochen. Meine Frage „Warum?“ durfte sie nicht beantworten. Immer hinter vorgehaltener Hand: “Er droht, mich zu erschießen“, war die Antwort. Das Menschliche, das wir in der russischen Seele manchmal schon erleben konnten, kam hier nicht zur Geltung. (Zitat 4) Erst viel später wurde Tonias Karzeraffäre transparent. Offensichtlich hatte sie damals Luzenko ihre Schwangerschaft offenbart und er wusste, dass nun auch seine Stunde schlagen wird und ergriff daher diese abscheuliche Maßnahme gegen sie. Jahre nach der Heimkehr konnte ich einiges über Tonia erfahren. Sie wurde mit einem Krankentransport 1947 nach Frankfurt/Oder entlassen, wo sie bald - trotz zurückliegender Hungerphasen - einem gesunden Jungen namens Ludwig das Leben schenkte.Noch im gleichen Jahr gelang ihr die Heimkehr nach Temeswar, wo die Eltern ihre einzige Tochter freudig in die Arme schließen konnten wenn auch mit Anhang. Ludwig kam später in die deutsche Schule, danach ins LenauLyzeum, wo er zu den Spitzenschülern seiner Klasse zählte. Tonias Fall ist ein Beispiel für so viele sittlich wohlerzogene Mädchen, die durch die Wirren und Grausamkeiten des Krieges in eine ungewollte Situation gezwungen oder gesteuert wurden. Heute, wo wir schon 1718-jährige Enkelinnen im zarten Mädchenalter haben, stellen wir uns die Frage, wie die
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„Skoro domoi“ - „Bald nach Hause“, das oft nur zur besseren Normerfüllung antreiben sollte, stärkte zum Durchhalten. Grafik von Viktor Stürmer Geschichte so grausam sein und unschuldige junge Menschen in so einen dunklen, schwarzen Schlund werfen konnte. Anerkennung gebührt den Veranstaltern der Ulmer Gedächtnisfeier, wo wiederholt der vielen unschuldigen Opfer gedacht wurde, die das Glück, in Frieden und Freiheit zu leben, nicht mehr erleben konnten und so jung ihr Leben lassen mussten. Mussten zwei schreckliche Weltkriege über unsere Länder toben, bis die Menschheit zur Vernunft kam, dass man Konflikte auch an grünen Tischen lösen kann? Mögen all diese bitteren Wahrheiten dazu beitragen, dass die jetzige und alle künftigen Generationen alles tun, um Diktaturen und Kriege zu verhindern. Der Friede möge erhalten bleiben, das ist unser aller Wunsch!
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„Die späte Heimkehr“ von Josef Bergmann (alias J. Hornyatschek)
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itat 1: „Eine Woche danach, man schrieb den 11. Januar 1946, war es wieder so weit. Ein zweites Verhör stand mir bevor, und das hatte es in sich. Sein dramatischer Verlauf ließ mir die vierstündige Dauer wie im Fluge vergehen. In dem großen Raum des Verwaltungsgebäudes stand bloß ein kleiner Tisch, an dem saßen wir uns gegenüber: Der Offizier und ich - Auge in Auge. Dazwischen lag eine Pistole, wohl zur Einschüchterung gedacht. Denn wie sollte ich, ein 18-jähriger, schmächtiger Junge, für den gut genährten, kräftigen Mann in den besten Jahren eine Gefahr darstellen?“ Zitat 2: „Als ich mich noch immer abweisend und für ihn ‘uneinsichtig’ zeigte, verließ ihn anscheinend die Geduld: ‘Rasdet!’ (Ausziehen) befahl er plötzlich in barschem Ton. Ich zögerte und er wiederholte den Befehl mit Nachdruck: ‘Rasdet, no bystrej!’ (Ausziehen, aber dalli!) Und ich zog mich aus und stellte mich splitternackt in eine Ecke des Zimmers, die er mir zuwies. Er näherte sich mir, mit drohender Gebärde brüllte er mich an: ‘Ty faktischeski nitschewo ne snajesch?’ (Du weißt wirklich nichts?) Als keine Antwort über meine Lippen kam, versetzte er mir einen Faustschlag, dass ich sogleich zusammensackte. ‘Nadet!’ (Anziehen!), sagte er nach einer Weile.“ Zitat 3: „...rot vor Wut befahl er mir, mich erneut auszuziehen und mich mit dem Gesicht gegen die Wand zu stellen. Ein Schreck fuhr mir
durch die Glieder. Ich konnte nur erahnen, was mich erwarten würde. Der Offizier entledigte sich seines Leibriemens und schlug ein ums andere Mal auf mein nacktes Hinterteil ein. Was für eine Demütigung! Ich war unfähig, die Zahl der Schläge zu zählen. Ich fühlte nur einen unerträglichen Schmerz, und Tränen rannten mir ungehemmt über die Wangen. ‘Memme!’, höhnte er und ließ mich anziehen und an den Tisch kommen.“ Zitat 4: „Ich flüchtete 2 Monate später aus dem Lager und er selbst soll - wie man mir später erzählte - wegen seines Verhältnisses zu der Dolmetscherin, die er geschwängert hatte, und wegen Übergriffen an Zivilisten in einem Straflager gelandet sein.“ „Normen“ - Ein Wort, das zum Alptraum geworden war. Grafik von Viktor Stürmer
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Wassersuppe im Lager 1004 Waltraud Schwarz - Suedkurier. de, 03.06.2005
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ür den Banater Schwaben Jakob Müller aus Singen war der Krieg erst nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Zwangsarbeit vorbei. Ungläubig, zumindest sehr skeptisch reagierten die Gefangenen im Lager 1004 im ukrainischen Donez-Becken, als ein sowjetischer Offizier am 9. Mai 1945 antreten ließ, um zu verkünden, der Krieg sei zu Ende, Hitler besiegt. „Propaganda“, dachten die ein Vierteljahr zuvor zur Zwangsarbeit verschleppten Deutsch-Rumänen aus dem Banat. Einer von ihnen, der heute in Singen lebende Jakob Müller, schildert, wie er und seine Landsleute Hoffnungen auf den Endsieg Deutschlands mit kuriosem Selbstbetrug nährten: Sprengungen in den Kohlegruben, die in den folgenden Jahren für viele unter grausamen Bedingungen den Tod bedeuten würden, hielten sie für deutsches Artilleriefeuer und warteten auf die Befreiung durch die Wehrmacht. Doch Jakob Müller musste noch viereinhalb Jahre auf sein Kriegsende warten: Erst am 22. Dezember war der damals 22-Jährige wieder frei und zu Hause in Billed, einem Dorf in der Nähe von Temeswar, dem Zentrum des Banats. Wenn er heute von dieser Zeit erzählt, ist „das Leid von damals mehr oder weniger vergessen“. Doch nach einem langen Abend ist es für ihn „ergreifend“, wenn man die Vergangenheit bildlich vor sich sieht. Viele dieser Bilder sind der reine Horror. Jakob Müller berichtet von einer unbeschwerten Jugend, der Konditor-Lehre in Temeswar und vom Traum von der Selbständigkeit in diesem Beruf. Der wurde zerstört, als gegen Kriegsende die Rote Armee vorrückte. „Es lag was in der Luft, als immer mehr leere Güterwaggons ankamen.“ Die Banater Schwaben, die sich mit deutschem Nationalstolz auf Treue zur Hitler-Diktatur eingeschworen und dem Terror-Regime Soldaten gestellt hatten, ahnten dunkel, sie würden nach „Russland“ gebracht. (...) Die De-
portation begann bei -18° mit einem 25-kmMarsch zu einer Sammelstelle. Wenn Jakob Müller davon erzählt, wird vor allem die Erinnerung daran wach, wie er die Mutter, die mit anderen Frauen diesem Zug folgte, anflehte, nach Hause zu gehen, die aber in der grimmigen Kälte die Nacht in der Nähe verbrachte. Sie wollte bei ihrem einzigen Kind bleiben - Jakobs Bruder war im Sommer 1943 als Kriegsfreiwilliger bei Narvik gefallen. (...) Im Lager- einem zerstörten Theater - fanden sie unter einem durchlöcherten Dach Holzpritschen vor, die mit einer Eisschicht überzogen waren. Von dort aus ging es zur mörderischen Arbeit in die Kohlegruben. Jakob Müller sieht noch die Frauen vor sich, die mit kiloschweren Brechstangen Gestein zertrümmern mussten. Sein Überlebenswille ließ den damals 19Jährigen zu einem äußerst harten Menschen werden. Der junge Mann verlegte sich aufs Schuften. Schnell wurde er zu einer Art Vorarbeiter, der seine Leidensgenossen ebenfalls zu Höchstleistungen antrieb. Den Hass, den er dafür auf sich zog, nahm er in Kauf, weil er hin und wieder ein Stückchen Butter bekam - lebenswichtig bei einer Ernährung, die hauptsächlich aus wässriger Suppe bestand. „Ich wollte überleben“, rechtfertigt er sein Handeln. Ständig schwebte über den Geknechteten das Schreckenswort „Sibirien“. Die Verlegung vom Don in die berüchtigten Straflager wurde oft willkürlich angeordnet. Jakob Müller erinnert sich an seinen Landsmann Tröndle, der sich die Hände in einem Walzwerk verletzte. Selbstverstümmelung wurde ihm unterstellt. Aus Sibirien kam er erst 1953 zurück. Auch Jakob Müller litt jahrelang an den Folgen der Quälereien, die er im Lager durchgemacht hatte: Erfrierungen ließen immer im Frühjahr und im Herbst Hände und Füße anschwellen und die Haut aufplatzen. Jascha, wie er im Lager genannt wurde, hatte einer Aufseherin eine Ohrfeige verpasst. Dafür
Rückblick wurde er bei -30° in eine Holzkiste gesperrt, in welcher er nur stehen konnte. Zwei Brüder aus einem Nachbarsdorf im heimischen Rumänien steckten ihm heimlich Holzspäne und Streichhölzer zu, damit er sich wenigstens die Hände wärmen konnte. Als die Hilfsaktion aufflog, folgte ein Verhör des Geheimdienstes NKWD und die - in diesem Fall unbegründete - Angst, nach Sibirien deportiert zu werden. Noch heute klingt Entsetzen mit, wenn Jakob Müller von den alten ostpreußischen und schlesischen Leidensgenossen berichtet, die er als lebende Skelette in Erinnerung hat. Für einen dieser geschundenen 60-70-jährigen Männer musste er einmal dolmetschen. Splitternackt sei der Mann vor einem Aufseher gekniet und habe diesen um ein Gewehr und eine Kugel angefleht. „Der liebe Gott wird es
58 dir lohnen“, hat Jakob Müller noch im Ohr. Viele dieser geschundenen, alten Menschen hätten sich aus Verzweiflung aufgehängt. Genauso gut wie die entsetzlichen Erlebnisse hat Jakob Müller auch die Frau in Erinnerung, die eines Tages an den Zaun des Lagers kam und ihm eine Kanne mit Suppe gab. Schnell klärte sich auf, warum gerade er die Hilfe bekam: Die Frau zeigte ihm ein Bild ihres gefallenen Sohns, der dem jungen Banater ähnlich sah. Erzählt der 78-Jährige diese Episode, ist Dankbarkeit herauszuhören, diese furchtbaren Jahre überhaupt überlebt zu haben. Das Schicksal Jakob Müllers wird auch erzählt von Bruni Adler: „Bevor es zu spät ist“, Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen, 520 Seiten, 29 Euro.
Der lange Weg nach Hause Frankfurt/Oder, Tor zur Freiheit und Endstation für viele Peter Krier Die Verschleppung on allen Ereignissen, die das zwanzigste Jahrhundert über uns und unsere Heimat gebracht hat, war, mit den beiden Weltkriegen, die Verschleppung zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion mit die größte Härte, die uns in unserer Geschichte auferlegt wurde. Im 60. Jahr der Russlanddeportation sei nochmals an das große Trauma und das damit verbundene menschliche Elend erinnert. Eindeutig steht fest, dass die Deportation der Deutschen aus Rumänien, Ungarn, dem ehemaligen Jugoslawien und anderen deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa, wie zum Teil auch aus den östlichen Reichsgebieten, zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion Reparationsleistung für die Kriegsschuld Deutschlands war. Wie auf der Alliierten-Konferenz von Teheran im Oktober 1943 gefordert, setzte Stalin dies, neben den geforderten Reparationsleistungen in Devisen, Rohstoff und Industrieanlagen, gegen den zaghaften Widerstand der Alliierten durch.
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Nach gründlicher Vorbereitung, auch durch die Mitwirkung der Rumänen, kam es im Dezember 1944 und Januar 1945 zur Deportation der Deutschen aus Südosteuropa. Pavel Poljan, ein russischer Wissenschaftler, gibt für die Sammelstellen der Provinz Timis, also für das Banat, 31.992 Deportierte an, wobei spätere Großrazzien, vor allem in den Städten, „gute Ergebnisse“ brachten, die Zahl der Aufgegriffenen ist nicht bekannt. Nachdem auch die Erfassung und Hochrechnung der Landsmannschaft auf 32.000 bis 35.000 kommt, kann von mehr als 32.000 Deportierten aus dem Banat ausgegangen werden. Aus unserem Heimatdorf Billed wurden 556 Personen verschleppt, davon 264 Frauen der Jahrgänge 1914 bis 1927 und 292 Männer der Jahrgänge 1899 bis 1928. Peter Weber hat in einem Tagebuch Folgendes notiert: „17.01.1945 Verhaftung in Billed, Aufenthalt in der Schule, 19.01. Fußmarsch nach Perjamosch, 23.01. Erfassung durch die
Rückblick Sowjets und Einwaggonierung, 24.01. Abfahrt von Perjamosch, 31.01. Umladung in Atjud, 12.02. Ausladung in Jenakievo, 16.02. erster Arbeitstag in Jenakievo.“ Die Fahrt in den unbeheizten Viehwaggons, 40 Personen zusammengepfercht, z.T. ohne Wasser und ohne Verpflegung, ohne primitivste Sanitäreinrichtungen und ohne medizinische Betreuung, forderte erste Opfer. Vier Billeder Männer sind schon auf der Hinreise gestorben. Etwa drei Viertel der Zwangsarbeiter wurde im Donez-Gebiet in der SüdUkraine in Kohlengruben und in der Stahlindustrie eingesetzt, andere Lager waren im Nordkaukasus, am Ural und östlich des Urals, wie auch um Moskau. Neben der Schwerindustrie waren die Zwangsarbeiter auch auf Baustellen oder bei der Land- und Waldarbeit eingesetzt. Unter schwierigsten, unmenschlichen Bedingungen hatten die Verbannten harte Sklavenarbeit zu leisten. Hunger, ewiger Hunger, selbst Wassermangel, Kälte, Seuchen und Misshandlungen rafften die Menschen dahin. Von Heimweh geplagt, lebten und arbeiteten sie unter unzumutbaren hygienischen Verhältnissen. Läuse und Wanzen erschwerten das Leben, die medizinische Versorgung war, wenn überhaupt vorhanden, äußerst primitiv. Nach Angaben des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten), der für die Deportation und den Einsatz der Zwangsarbeiter über Berija direkt Stalin unterstellten militärisch-politischen Unterdrückungsorganisation, sind schon im ersten Jahr 7.553 Zwangsarbeiter gestorben. Im folgenden Jahr 1946 sind noch 35.485 Deportierte gestorben. In einer Statistik des NKWD vom 20.12.1949 werden bei einer Gesamtzahl von 205.520 Deportierten 40.737 Todesfälle angegeben, was zu einer Todesrate von 19,8% führt. Es gibt Gründe zur Annahme, dass bei den Banatern die Todesrate etwas geringer war. Dennoch kann, nach genaueren Zählungen der Heimatgemeinden in letzter Zeit und der dar-
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aus erfolgten Hochrechnungen die Zahl von 6.000 für die in Russland verstorbenen Banater Zwangsarbeiter angenommen werden. Die Zahl der auf der Heimreise und unmittelbar an den Folgen der Deportation Verstorbenen ist nicht bekannt, es kann aber von mehreren Hundert ausgegangen werden. Von den 556 Billeder Verschleppten sind: 1945: 27 Personen verstorben 1946: 31 Personen verstorben 1947: 16 Personen verstorben 1948: 2 Personen verstorben insgesamt 76 Personen, 13,7% der Verschleppten. Davon waren Frauen 10 Personen, 13% der Verstorbenen; dies sind 3,8% der verschleppten Frauen. Männer 66 Personen, 87% der Verstorbenen; dies sind 22,6% der verschleppten Männer. Davon verstarben in Russland 66 Personen, auf der Hinreise 4 Personen: alle Männer, älter als 40 Jahre. Auf
Rückblick der Heimreise 10 Personen, alle Männer, älter als 40 Jahre. Die Heimkehr „Skoro domoi“ – „Es geht bald heim“, waren die ersten russischen Worte, die die Verbannten gelernt haben. Mit „Skoro domoi“ hat man sie vertröstet, eines Tages wieder heimzukehren; „Skoro domoi“ war die Hoffnung, die ihnen Kraft gab, das Elend zu überstehen. Diese Hoffnung erfüllte sich für die Überlebenden erst nach fünf schweren Jahren, im November, Dezember 1949, einige mussten länger bleiben. Die große Zahl der verstorbenen und arbeitsunfähig gewordenen Zwangsarbeiter veranlasste die Sowjetführung, schon im Spätherbst 1945 unheilbar Kranke, Invaliden, Frauen mit Säuglingen und Männer über 50 zu entlassen. So kamen kurz vor Weihnachten 1945 die ersten Verschleppten über Focsani und über Sighet in Billed an. Ihre Körper waren ausgemergelt, erwachsene Frauen wogen weniger als 40 kg, Männer hatten weniger als die Hälfte ihres Normalgewichtes. Elisabeth A. erzählt: „Ich kam auf einem Güterwaggon von Temeswar nachts an und ging zuerst auf den Friedhof um zu sehen, ob keiner aus meiner Familie gestorben war.“ Nicht alle Entlassenen erreichten den Heimatort: Georg Rosani und Hans Filippi sind in Sighet gestorben. Laut einer von Stalin unterzeichneten Verordnung sollten in den Folgejahren jährlich bis zu 25.000 arbeitsunfähige Zwangsarbeiter „repatriiert“ werden. Die Deutschen aus Rumänien wurden jedoch ab 1946 bis Mitte 1948 nicht in ihre Heimat, sondern in die damalige Sowjetzone entlassen. Doch auch diese Verordnung kam für viele zu spät. So standen unsere schwererkrankten Landsleute Peter Mumper, Nikolaus Zimmer und Franz Krogloth zwar auf der Heimkehrerliste und man legte sie, wie Jakob Braun berichtete, am Vorabend der Abfahrt noch in den Zug. Am nächsten Morgen, 17.12.1946, wurden sie jedoch als Leichen wieder ausgeladen, bevor der Zug abfuhr.
60 Frankfurt/Oder war schon unmittelbar nach Kriegsende zum gigantischen „Menschenumschlagplatz“ bestimmt worden. Über Frankfurt gingen Hunderttausende Kriegsgefangene, ehemalige Zivilinternierte und Zwangsarbeiter wie auch zwangsrepatriierte Russen ostwärts in sowjetische Lager. Andererseits kamen Hunderttausende entlassene Kriegsgefangene, Flüchtlinge, Vertriebene und Zwangsarbeiter über Frankfurt/Oder westwärts nach Deutschland. Peter Weber beschreibt in seinem Tagebuch seine Rückreise: Am 9.09.1946 Einwaggonierung in Jenakievo, am 10.09. 15:30 Uhr Beginn der Heimfahrt, über Nebalso, Kaia, Slaviansk, Kiew, Baranovitsch, Brest. In BrestLitovsk Umladung, von da weiter über Warschau und Posen nach Frankfurt; Ankunft am 21.09. abends um 9 Uhr. Am 22.09. früh Ausladung zum russischen Lager, dort endlich was zum Essen, eine warme Suppe. Das russische Lager in Frankfurt befand sich in der Hornkaserne am Nuhnenhof und gehörte dem NKWD, es war der einzige Entlassungsort für Kriegsgefangene und Zivilinternierte. In der Hornkaserne wurde die Identität der noch Gefangenen geprüft, sie wurden gesundheitlich untersucht, entlaust und erhielten den SPRAVKA, ihren langersehnten Entlassungsschein. Doch für viele kam dies zu spät. Nicht wenige waren während der Fahrt gestorben; wenn man sie nicht irgendwo in Polen herausgelegt hatte, kamen sie als Leichen in Frankfurt an. Jakob Braun berichtet, dass man in Brest-Litovsk mehrere Tote aus seinem Transport in einem Granattrichter verscharrt hat. Mathias Werle, der am 26.12.1946 in Brest-Litovsk zum Wasserholen ausstieg, ist dort verschollen. Andere kamen in Frankfurt schwer erkrankt an, viele sind dort verstorben. In Frankfurt mussten Ausweichfriedhöfe am „Kiesberge“ und in einigen Vororten eingerichtet werden. Ein ehemaliger Angestellter des Durchgangslagers erzählte mir: „Wir hatten an manchen Tagen über Hundert Bestattungen.“ Auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt sind auch unsere Landsleute Nikolaus Bier und Anton Hell be-
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Entlassungsschein von Elisabeth Braun am 04.01.1947 im NKWD-Lager Frankfurt/Oder erdigt. Ungeklärt ist die Grabstelle unserer Landsleute Karl Steuer, Wilhelm Groß und Nikolaus Schneider, die ebenfalls auf der Heimreise gestorben sind. 1957-1958 wurden die Gebeine von den Heimkehrer-Friedhöfen Kiesberge, Hohenwalde, Nuhnenfriedhof u. a. umgebettet in ein Massengrab auf dem Hauptfriedhof. Unter dem großen Hügel auf dem Hauptfriedhof Frankfurt/Oder sind 7.610 Heimkehrer beerdigt, insgesamt sind in Frankfurt über 12.700 Kriegsopfer beigesetzt, davon 9.000 mit dauerndem Ruherecht. Frankfurt war das Tor zur Freiheit für über 1,25 Millionen entlassene Kriegsgefangene und Hunderttausende Flüchtlinge und Zwangsarbeiter, darunter auch etwa 10.000 Banater, aber auch Endstation für Tausende Heimkehrer. In der Hornkaserne, heute Polizeipräsidium, haben beherzte Menschen eine Dauerausstellung eingerichtet, die an die Heimkehrer erinnert. Ausgestellt sind Kleidungsstücke wie russische „Bufaikas“, aus Konservedosen oder Blechstücken gefertigtes Essbesteck u.v.m. Beeindruckend ist der kleine Holzkoffer der 16-jährigen Eva-Maria Stege, mit einem spartanischen Inventar und
einem Papierblatt, worauf steht: „Skoro domoi“. Sie kam nicht mehr nach Hause, sie ist im Lager verstorben. Diese Ausstellung im Polizeipräsidium Frankfurt/Oder ist sehenswert. Von den Russen in der Hornkaserne wurden die Entlassenen den deutschen Behörden im Lager Gronenfelde in Frankfurt/Oder überstellt. Dort wurde erneut ihre Identität und ihr Gesundheitszustand geprüft, in Westdeutschland Beheimatete kamen nach Friedland, die anderen wurden in eines der 65 Heimkehrerlager der Sowjetzone überführt. Schwerstkranke kamen in ein Krankenhaus in Frankfurt oder in der Umgebung. Vielen konnte durch engagierte Ärzte und Pflegepersonal geholfen werden. Hans Martini hat berichtet, dass er schwerst erkrankt an Ruhr von einem internierten Arzt in einem Krankenhaus in Dresden gerettet wurde. Nach einiger Zeit im Lager konnten die Arbeitsfähigen, sofern sie genommen wurden, Arbeit bei den Bauern der Umgebung aufnehmen. Damit nahm das Lagerleben für die meisten ein Ende.
Rückblick Peter Weber beschreibt seinen weiteren Weg wie folgt: Vom NKWD-Lager am 23.09.46 Abgang in das Lager Gronenfelde, von da am 24.09. über Cottbus nach Torgau in das Brückenkopflager in Quarantäne, von da am 22.10. in das Marienlager LeipzigDelitsch, danach ins Lager Bitterfeld. In Bitterfeld notiert Peter Weber die Namen von über vierhundert Banatern, darunter 30 Billedern, die mit ihm im Lager waren. Er hat auch die Ortschaften um Bitterfeld notiert, wo die Heimkehrer Arbeit und Unterkunft gefunden hatten. In seinem Notizbuch erscheinen nun immer mehr Anschriften von Landsleuten aus Westdeutschland. Hauptgespräch unter den Landsleuten war natürlich die Heimkehr nach Billed. Fünf Grenzen waren dabei zu überqueren und etwa 1.500 km ohne Geld und entsprechende Papiere zu bewältigen. Peter Weber hat dazu eine Route notiert: Über Halle, Weissenfels, Naumburg, bayerische Grenze, Stockheim, Nürnberg, nach Schalding, von da nach Passau, unbedingt zu Fuß nach Rohrbach, nachts oder sehr früh über die österreichische Grenze, St. Valentin, Wien, Schaltendorf, über die ungarische Grenze, Ödenburg, Budapest, Kecskemet, Szeget, eine Station vor Kis-Sombor aussteigen, nur abends oder nachts über die rumänische Grenze nach Tschanad, von da über Großsanktnikolaus nach Billed. Die Landsleute haben sich gruppenweise auf die lange Reise gemacht. Peter Weber hat den Aufbruch einiger Gruppen Billeder notiert. Er selbst blieb bis Juni 1947 in Bitterfeld und ging von dort mit seiner Frau in den Westen. Von den etwa 180 Billedern, die über Frankfurt/Oder entlassen wurden, sind 29 in den Westen gegangen und für immer dort geblieben. Bei vielen hat es dann Jahrzehnte gedauert, bis sie mit ihren Familien vereint waren. Indes war die Heimreise sehr beschwerlich und auch sehr gefährlich. Die Amerikaner sperrten die Grenzgänger ein und schoben sie zurück. Katharina Schmal, die sich krank auf den Weg gemacht hatte, wurde an der Grenze gefangen, kam in ein Lager in Bayern, wurde nach Thüringen abgeschoben, wo sie
62 in verschiedenen Lagern bleiben musste, bis sie 1949 legal, die Rumänen hatten mittlerweile Repatriierungsbüros eingerichtet, mit einem Transport in die Heimat kam. Andere Heimkehrer berichten, dass hilfsbereite Menschen sie zwischen Vieh versteckten und über die Grenze brachten. Nicht wenige waren in Österreich und auch in Ungarn wegen illegalem Grenzübertritt eingesperrt. Katharina Tröster erzählt, dass sie ohne Geld wochenlang, teils zu Fuß, mit Lastwagen und mit dem Zug unterwegs war. Im Banat, wo sie ebenfalls zu Fuß unterwegs war, haben ihr Landsleute aus Triebswetter Geld zur Weiterfahrt geschenkt. Die mittellosen Heimkehrer waren auf Hilfsbereitschaft angewiesen, die ihnen oft in Form von Schlafplatz, Essen oder Mitnahme auf Zügen und Lastwagen gewährt wurde. Am gefährlichsten war das Überqueren der rumänischen Grenze. Damals herrschte Schießbefehl an der Grenze, mehrere Heimkehrer wurden an der Grenze erschossen, auch standrechtliche Erschießungen sind bekannt. Andere wurden gefangengenommen und eingesperrt. So geschah es unseren Landsleuten Maria Mann, Barbara Schäfer, Hans Frank und Hans Martini, die an der Grenze in Tschanad am 23. August 1948 gefangen wurden und von der Securitate über Großsanktnikolaus in das berüchtigte Gefängnis Jilava kamen, wo sie bis zu ihrer Amnestie am 8. Mai 1949 inhaftiert waren. Im Sommer 1949 beschlossen die Machthaber in Moskau, alle zivilen Zwangsarbeiter frei zu lassen, sofern sie nicht unter Strafe standen. Schon im Herbst 1948 hatte man nach einem NKWD-Bericht 11.446 Kranke und Männer der Jahrgänge 1899 und 1900, wie auch Frauen des Jahrganges 1914, aus Rumänien freigelassen. Im November und Dezember 1949 kamen dann die letzten 20.804 Zwangsarbeiter aus Rumänien frei. Ab Herbst 1948 durften die Heimkehrer wieder über Focsani und Sighet direkt nach Rumänien, wo sie ihre Entlassungsscheine erhielten. Fünf Jahre Zwangsarbeit, nur weil sie Deutsche waren. Fünf Jahre der Lebens- und
Rückblick
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Heimkehrerdenkmal vor dem ehemaligen NKWD-Lager Frankfurt/Oder. Foto: Peter Krier Jugendzeit hatte man ihnen genommen, etwa 6.400 Banater haben dabei ihr Leben verloren. Für die Männer der Jahrgänge 1926, 1927 und 1928 waren damit Fron und Elend nicht vorbei. Sie wurden in der Folge zu rumänischen Arbeitsdienst-Einheiten eingezogen
und mussten in Kohlegruben und auf Baustellen nochmals, wenn auch unter leichteren Bedingungen als in Russland, drei Jahre Zwangsarbeit leisten. Einen Teil der Russlandverschleppten traf auch noch die Baraganverschleppung 1951 bis 1956; sie mussten, ohne eigene Schuld, 11 Jahre in Unfreiheit verbringen.
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Letzter Lebensabschnitt eines Verschleppten in Brieffolge Peter Krier
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ikolaus Welter H.Nr. 587, am 14. Janu ar nach Stalino zur Zwangsarbeit verschleppt, schreibt an seine Mutter Maria Welter in Billed. Kurze Auszüge aus den erhaltenen Briefen und Karten: Stalino, 8.09.1946 Liebe Mutter, mit schwerem Herzen teile ich Dir mit, dass wir noch gesund sind (...) Gräme Dich nicht liebe Mutter, wenn wieder Kameraden nach Hause kommen und wir sind nicht dabei (...) L.M. schreibe mir doch eine Rot-Kreuz-Karte, vielleicht findet eine den Weg zu mir. Wir hoffen und harren auf unser einstiges Wiedersehen. Stalino Liebe Mutter, (...) mache Dir keine Sorgen (er zählt den Verlust der Enteignung auf) wenn uns Gott die Gnade schenkt, dass wir uns wiedersehen, wird schon alles gut. L.M.
vertraue auf Gott, denn er ist unser Beschützer(...) Stalino 3.10.1946 (...) Ich habe neue Wäsche gefasst. Nur meine Hose und Rock sind fertig, total zerrissen, auch meine Schuhe.(...) Vielleicht hilft uns der liebe Gott, dass wir bald die Heimat wiedersehen. Löbau 14.04.1947 Mein liebes gutes Mutterl, (....) ich bin gesund, habe keine Angst, ich bin nur ein wenig müde, ich sehne mich so nach Dir und den Lieben in der Heimat. Lager Löbau 15.04.1947 Liebe Mutter, einen schönen Gruß aus dem fernen Deutschland.(...) besorge mir alle Papiere, damit ich schnellstens heimkehren kann. In der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen.
Brief von Peter Slavik mit der Nachricht vom Tod von Nikolaus Welter
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Gedenkstätte für die Billeder Opfer der Kriege des 20. Jhd und ihrer Folgeerscheinungen Lager Löbau 19.04.1947 Liebe Mutter, zum drittenmal schreibe ich Dir aus Sachsen. Ich hoffte, zu Ostern zu Hause zu sein, wir sind am 25.03. von Stalino abgefahren. Leider hat Gott es anders gewollt. Nach 4-5 Tagen geht es zum Bauern, dann geht es bestimmt besser. Grüße alle, die nach mir fragen, ich hoffe, Dich und die liebe Heimat bald wieder zu sehen. St. Michaelis 3.05.1947 Liebe Mutter, endlich habe ich einen Platz zum Schlafen, sonst noch nichts. Wir sind zu dritt in zwei Betten. Wir bekommen unsere (Lebensmittel) Karten (...). Wir hätten zu Ostern zu Hause sein können, doch das Schicksal hat es anders gewollt, scheinbar ist das Maß noch nicht voll, wir fügen uns und hoffen auf den Tag der Erlösung. L.M. pflege das Grab meiner lieben verstorbenen Frau, bete auch in meinem u. ihrem Kind seinem Namen. Schmücke es mit Blumen, so oft Du welche hast; weiß der liebe, Gott ob wir es noch mal sehen können.(...) Wir sind frei und können nicht nach Hause. L.M. bete zum lb. Gott, dass er uns erlöst, vergebe mir alles, sollte ich Dich betrübt haben. St. Michaelis 7.05.1947 Liebe gute Mutter, einen schönen Gruß aus
weiter Ferne.(...) Ich bin sehr krank. Ob ich noch einmal die Gnade habe aufzukommen? Liebe Mutter, falls mich das Los trifft, fern der Heimat zu sterben, so denke ich, es war Gottes Wille, lasse dann eine Stillmesse lesen. Ich habe mir immer versprochen, wenn ich nach Haus komme, eine Messe lesen zu lassen u. nach Radna zu gehen, nur scheinbar hat der liebe Gott es anders bestimmt. Liebe Mutter, nicht traurig sein, ich werde von meinem schweren Erdenlos erlöst, das nichts als Kampf war. Nur eines tut wehe, dass ich die liebe Heimat und Dich, liebe Mutter, nicht mehr sehen konnte und an der Seite meiner geliebten Frau in der Heimat ruhen darf. (...) Lebe wohl, lebe wohl. Am 3. Juni 1947 schreibt Peter Slavik aus St. Michaelis an Maria Welter in Billed: Gestern fuhr ich mit größter Freude nach Freiberg, meinen Kameraden Nikolaus Welter zu besuchen. Doch meinen Kameraden habe ich tot gefunden. Die Schwestern sagten, er sei am 31. Mai um 5 Uhr gestorben. Doch macht Euch stark, er ist nicht der Erste und nicht der Letzte der stirbt; solange wir nicht alle zu Hause sind, sterben noch. Ruhr und Typhus haben Euer Kind zum Tod gezwungen.
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Gedanken eines Außenstehenden beim Lesen im Billeder Heimatblatt
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unächst geht der Blick zurück zu den er sten Siedlern, die Billed im Jahre 1765 gründeten. Sie kamen überwiegend aus Südwestdeutschland und den benachbarten Regionen. Zusammen mit vielen anderen Auswanderern hatten sie sich in verschiedenen Städten entlang der Donau gesammelt und waren dann von dort zu Schiff in die künftige Heimat weitergereist. Diese Wanderungsbewegung, die sich über den Zeitraum von 1763 bis 1772 erstreckte, führte die Auswanderer 1500 bis 2000 km von der alten Heimat weg. Sie ist als großer Schwabenzug in die Geschichte eingegangen. Ausgelöst wurde diese Unternehmung durch die Kaiserin Maria Theresia. Sie wollte das Banat als dünn besiedeltes Grenzgebiet im Südosten der Donaumonarchie durch die Ansiedlung von Bauern und Handwerkern besser wirtschaftlich erschließen und damit auch in seinem Bestand sichern. Die Auswanderer erhielten dadurch die Chance, als freie Bauern mit ausreichender Ackerfläche eine tragfähige ökonomische Grundlage auch für die nachfolgenden Generationen aufzubauen. Damit unterschied sich diese Situation sehr vorteilhaft von der räumlichen Enge und den oft bedrückenden Feudalstrukturen, unter denen sie im westlichen Mitteleuropa gelebt hatten. Die Schwabenzüge in das Banat gehören damit zu den letzten Ausläufern einer weiträumigen, von West nach Ost gerichteten Wanderungsbewegung, die im 9. Jahrhundert begann und bis ins 18. Jahrhundert - also beinahe 1000 Jahre lang - andauerte. Wie bei den Schwabenzügen ging es insgesamt bei der Auswanderung in das östliche Europa immer darum, durch die Ansiedlung von Bauern, Handwerkern, Kaufleuten und technischen Experten, wie Wasserbauspezialisten und Baumeistern, dünn besiedelte, oft sogar kaum erschlossene Gebiete wirtschaftlich voranzubringen. Es war in der Regel so, dass die Siedler dabei den Angeboten östlicher Landesherren folgten. Denn diese konnten an vielen Beispielen die Beobachtung machen, dass ein
Hans-Peter Geserich solcher Transfer von Wissen, Fertigkeiten und Arbeitskraft in vielen Regionen tatsächlich zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung führte. Daher wurden diesen Siedlern oft bedeutende Privilegien zugestanden. Besonders gut ist das am Beispiel der Russlanddeutschen dokumentiert, die nach Ende des Siebenjährigen Krieges - also ebenfalls nach 1763 - auswanderten. Neben der großzügigen Zuweisung von unbebautem Land erhielten sie von der russischen Zarin Katharina II. Weitere Zusicherungen, wie eine Steuerbefreiung über mehrere Jahre, die Befreiung vom Wehrdienst, freie Religionsauübung, kulturelle Autonomie und kommunale Selbstverwaltung. Sie besaßen damit Rechte, die zur damaligen Zeit in den deutschen Ländern alles andere als selbstverständlich waren. Wie erfolgreich dieses Ansiedlungsprojekt war, zeigte sich darin, dass es bis weit in den asiatischen Teil des Russischen Reiches ausstrahlte. Während die ersten Siedlungen - Kolonien genannt - im Bereich der Wolga, des Schwarzen Meeres und in der Region nördlich des Kaukasus lagen, entstanden daraus einige Tausend Tochterkolonien, einige davon sogar im Amurgebiet. Da die Idee des Nationalstaates erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts Bedeutung erlangte, stellte der Unterschied in der Nationalität zwischen den Zuwanderern und den alteingesessenen Bewohnern bei diesen WestOst-Wanderungen kein Problem dar. So haben vor allem im 12. und 13. Jahrhundert slawische Landesherren, wie die Piastenfürsten Schlesiens oder die pommerschenHerzöge größere Kontingente deutscher Bauern und Handwerker ins Land geholt, die dann eigene Dörfer gründeten, teilweise in der Nachbarschaft der älteren slawischen Siedlungen. Auch zur Gründung von Städten wurden oft Deutsche geholt, sodass bis weit in das polnische Kernland Städte nach Magdeburger Recht entstanden, die oft einen hohen deutschen Bevölkerungsanteil hatten. Entlang der
Rückblick Ostseeküste war es vor allem die Hanse, die Handelsniederlassungen mit größeren deutschen Kolonien schuf. Schon früher hatten einige slawische Landesherren auch deutsche Missionare, wie z.B. Otto von Bamberg, zur Christianisierung ihrer Untertanen ins Land geholt. Bei dieser Zuwanderung von Westen her kamen jedoch nicht nur Deutsche nach Osteuropa. Wegen ihrer Wasserbaukenntnisse waren besonders Holländer gefragt oder Italiener als Baumeister. Es kamen aber auch Schweden und Schotten. Dazu gab es eine bedeutende jüdische Einwanderung. Von Osten her wanderten Armenier, Tataren und andere Volksgruppen ein. Weite Teile Osteuropas entwickelten sichdadurch zur Heimat eines bunten Völkergemisches, wobei viele Zuwanderer in eigenen Siedlungen oder Quartieren lebten und deswegen meist auch an ihrer angestammten Sprache und Kultur festhielten. Im Allgemeinen lebten die verschiedenen Volksgruppen friedlich neben- und miteinander. Zwar wurden zwischen den Territorialherren auch Kriege geführt, aber dabei ging es nicht um nationale Grenzen und schon gar nicht um die Umsiedlung oder Vertreibung von Volksgruppen. Für das Zusammenleben so vieler verschiedener Volksgruppen im östlichen Europa besaß die Idee des Nationalstaates - also die Vorstellung, dass Staatsgrenzen mit Sprach- und Volkstumsgrenzen zusammenfallen sollten natürlich eine ungeheure Sprengkraft. Sie führte vielfach zur Ausgrenzung oder Unterdrückung von ethnischen Minderheiten oder zu ihrer zwangsweisen Assimilierung. In vielen Fällen führte sie auch zur Forderung nach einer Revision der Staatsgrenzen. Dabei konnte es geschehen, dass nach der Verschiebung von Grenzen eine zuvor unterdrückte Minderheit sich in einer Mehrheitsposition wiederfand und nun selber andere Minderheiten unterdrückte. So brachte auch die völlige Neuordnung der Staatsgrenzen in Osteuropa nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges keinen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation. Die in ihren Zielen und Methoden maßlose und verbrecherische Politik einer deutschen Reichsregierung führte schließlich zur
67 Eskalation des Nationalitätenproblems in Osteuropa. Zu den vielen Opfern dieser Politik gehörten auch die Auslandsdeutschen. Jedoch sollte die Antwort Stalins auf diese Politik, nämlich die fast völlige Vertreibung der Deutschen aus Gebieten, in denen sie Jahrhunderte lang in guter Nachbarschaft mit anderen Völkern gelebt hatten, nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Gerade für Osteuropa bietet die politische Vereinigung Europas in Gestalt der Europäischen Union die historische Chance, die durch das Nationalstaatskonzept hervorgerufenen Spannungen und Konflikte zu überwinden. Damit sind wir in der Gegenwart angekommen und die Gedanken gehen wieder nach Billed und zu den Banater Schwaben. Die enge Verbindung der jetzt in Deutschland lebenden - teilweise auch weltweit verstreuten - Billeder untereinander, aber auch die heute noch existierende enge Verbindung mit der Banater Heimat lassen auch Hoffnungen für die Zukunft keimen. Dazu passt ein Satz, den ich in diesen Tagen gelesen habe: „Man kann den Banater Schwaben aus dem Banat vertreiben, nicht aber das Banat aus dem Banater Schwaben.“ Dies könnte ein gutes, in die Zukunft gerichtetes Motto für alle aus den östlichen Regionen Europas stammenden oder sonstwie mit Osteuropa verbundenen Menschen sein. Nicht im Sinne eines Revisionismus, sondern im Sinne einer gemeinsamen Aufbauarbeit. Denn auch heute ist in Osteuropa wieder viel Aufbauarbeit zu leisten. Wie vor Jahrhunderten ist dazu auch wieder Pioniergeist gefordert. Und warum sollte es nicht wieder im Westen Europas Menschen mit einem solchen Pioniergeist geben, die an einem Aufbauwerk im Osten Europas mitwirken möchten? Dabei wird das östliche Europa immer einen Kontrast zum westlichen Europa bilden. Auf der einen Seite die räumliche Weite, die z.B. die Möglichkeit bietet, auch in Zukunft großräumige naturnahe Landschaften zu erhalten. Auf der anderen Seite das dicht besiedelte Westeuropa mit seinen doch oft recht beengten Verhältnissen. Erst beide Teile zusammen spiegeln die Möglichkeiten unseres Kontinents wider.
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1. Reihe v.l.n.r. Anna Müller, Elisabeth Schwendner, Anna Frauenhoffer, Katharina Gilde, Engel Klein, Juliane Packi, Wilhelmine Popovici; 2. Reihe: Elisabeth Hilarius, Barbara Schubert, Johann Hahn, Barbara Hahn, Maria Gilde, Braun, Elisabeth Lauer, Wetti Popovici, Katharina Lenhardt, Barbara Lenhardt, Jakob Lenhardt; 3. Reihe: Nikolaus Seibert, Jakob Mann, Adam Kneip, Michael Schwendner, Adam Wagner, Adam Undi, Karl Packi, Josef Schöplein
30 Jahre Rentnerverein in Billed Katharina Nothum (Stadtfelder)
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or 30 Jahren, im Dezember 1975, wurde auf Anregung des 80-jährigen Hans Müller und des 63-jährigen Jakob Lenhardt der Rentnerverein Billed gegründet. Dieser, auch Pensionistenclub genannt, ist der einzige Verein dieser Art, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Billed und wahrscheinlich auch im Banat gegründet wurde. Als Präses wurde Jakob Lenhardt gewählt, Vorstandsmitglieder waren: Hans Müller, Adam Kneip, Nikolae Simoc, Jakob Mann. Bürgermeister Hans Schmidt stellte den Rentnern einen Raum im ersten Stockwerk des Kulturheims zur Verfügung. Infolge der steigenden Mitgliederzahl kam dann noch ein weiterer Raum im Anbau des Kulturheims (Groß Wertshaus) hinzu. Im Clubraum standen ein Billardtisch und weitere Tische zum Kartenspielen und sonstigen Tätigkeiten. Am Anfang hatte der Verein nur acht Mitglieder, im Juli 1979 waren es bereits 107. Die Clubtage waren Dienstag, Donnerstag, Sams-
tag und Sonntag. Zu den eifrigsten Clubgängern gehörten: Matthias Hahn, Nikolaus Seibert, Georg Schütz, Karl Packi, Jakob Lenhardt, Adam Wagner, Sebastian Hammer, Hans Klein und Theresia Weber. 1979 fand ein Billard-Freundschaftsturnier statt, an dem sich 24 Konkurrenten beteiligten. Gewonnen hat Karl Packi, Zweiter wurde Jakob Zimmer und Dritter Jakob Mann. Im Rahmen der Vereinstätigkeit wurden von Jakob Lenhardt auch zahlreiche Ausflüge organisiert, an denen sich die Mitglieder auch in großer Zahl beteiligten. Per Bus ging es nach Turnu-Severin, zum Wasserkraftwerk nach Orsova, nach Herkulesbad, Ada Kaleh, Busiasch, zur Glasfabrik Tomesti, zum Schweinemastbetrieb Beregsau. Durch die Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen im Jahre 1990 wurde der Rentnerverein Billed aufgelöst, sein letzter Vorsitzender war Jakob Zimmer.
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Im Rahmen der Vereinstätigkeit wurden von Jakob Lenhardt auch zahlreiche Ausflüge organisiert, an denen sich die Mitglieder auch in großer Zahl beteiligten. Per Bus ging es nach Turnu-Severin, zum Wasserkraftwerk nach Orsova, nach Herkulesbad, Ada Kaleh, Busiasch, zur Glasfabrik Tomesti, zum Schweinemastbetrieb Beregsau.
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Neue Berichte über den Auftritt der Schilzonyi Kapelle in den Staaten Peter Krier
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er unermüdliche Forscher Donauschwä bischer Blasmusik Robert Rohr, hat im Internet neue Berichte über den Auftritt des Billeder Kapellmeisters Nikolaus Schilzonyi gefunden. Auf einem Plakat über die Eröffnung der Saison 1907, am 30 Mai im „Eichenpark“ (The Oaks), dem Unterhaltungspark West von Chicago, wird als Starauftritt Schilzonyis „Hungarian Hussars“ Kapelle genannt. In einem Bericht darüber ist folgendes zu lesen: „Niklas Schilzonyis Österreichische Militärkapelle, 1907. Die vierzig ’Imperial Hungarians Hussars’ (Kaiserlich Ungarische Hussaren), wie sie sich selbst nannten, zogen bereits Mengen an die Tore bevor der Park überhaupt eröffnet war, die Leute wollten der Band bereits beim Proben zuhören“. In einem anderen Zeitungsartikel war folgendes über Schilzonyis Kapelle zu lesen: “Die Ungarn scheinen tief von dieser musikalischen Inspiration zu sein, was Ihnen scheinbar angeboren ist. Die Ungarn stehen in Bezug auf Orchester- und Musikkapellenarbeit hoch über anderen Nationen“. Bei solcher Einschätzung der Ungarn ist es kein Wunder, dass die Schwabenkapellen sich als Ungarn ausgaben und Hussarenuniformen trugen. Während die Biographie Schilzonyiss einige Fragen aufwirft, ist uns die von Michael Nussbaum bekannt. Er wurde am 30. 01. 1866 in Billed geboren. Hat dort am 07.02. 1888 die Billederin Elisabeth Gängler geheiratet. Sie hatten drei Kinder. Nussbaum hatte schon 1889 in Billed eine Knabenkapelle gegründet, mit der er auf Tournee in den Staaten war und Kontakte zu Konzertagenturen aufgenommen hatte. Kapellmeister Nussbaum war dann 1893-1996 mit einer 40 Bläser starken Knabenkapelle nochmals drei Jahre auf Tournee in den USA. Wann Nussbaum seine dritte und letzte Tournee in den Staaten begann ist ungewiss, sicher war er 1910, wahrscheinlich schon 1909, in den Staaten.
Auf der Heimreise 1911 hat er sich während eines Konzertes auf dem Schiff bei kaltem feuchtem Wetter eine Lungenentzündung geholt, die, wie in der Familie Thöres-Vastag überliefert wurde, nach einigen Wochen zu seinem Tode führte. Er ist am 13.08.1911 in Billed gestorben Es scheint sicher zu sein, dass Nikolaus Schilzonyi 1893 in den Staaten war. Vieles spricht dafür, dass er mit Michael Nussbaum, wohl als dessen Partner oder Juniorpartner konzertierte. Belegt ist auch, dass Nikolaus Schilzonyi 1905 mit einer Knabenkapelle aus Freidorf in den Staaten war. Wie einige Quellen angeben, war Schilzonyi auch 1897 in den Staaten, sicher aber war Schilzonyi als Kapellmeister der Hungarian Boys Military Band 18991901 auf großer Amerikatournee. Wie aus dem Tagebuch von Mathias Hirsch hervorgeht, war die Abfahrt von Bremen am 3. Juni 1899, wobei die Kapelle schon eine Woche in Bremen und vorher in anderen Städten konzertiert hatte. Die Kapelle blieb bis März 1901 in den Staaten. In diesen drei Jahren ging die Tournee kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten und durch Kanada. Die Hungarian Boys konzertierten dabei unter anderen, im Empire Theater in Cleveland, in den Operhäusern in New York und Claverville, in der Grand Oper von Syracuse oder auf der Heimreise im Opernhaus in Amsterdam. Von dieser Tournee steht eine 1900 handgeschriebene Teilnehmerliste im Internet worauf folgende Namen zu lesen sind: Schilzony Nicholas 35, Schilzony Anna 32, Bojar Johann 11, Uitz Lambert 13, Federspiel Johann 14, Schuz(g) Peter 14, Schneider Johann 12, Donawell Johann 11, Stahl Peter 13, Schwarz Peter 15, Rintyo? Peter 15, Thierjung Mathias 16, Majer Sebastian 15, Steier Nikolaus 10, Tittel Nicholas 14, Lind Peter 16, Rieder Mathias 11, Braun Mathias 12, Olinger Se-
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„The Oaks“(Eichenpark) der Unterhaltungspark West von Chicago
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Die Schilzony-Kapelle 1909 bastian 12, Rotschink Nicholas 13, Schulz Johann 12, Haas Michael 11, Till Johann 12, Christ Nikolaus 11. Mehrere dieser Musiker haben später bei den „Alten Musikanten“ in Billed mitgewirkt. Nikolaus Schilzonyi (Schilzong) war dann nochmals 1909 auf einer Amerika Tournee und 1915 erscheint sein Name und ein Foto mit seiner Kapelle in der amerikanischen Presse. Er wurde am 25.01.1872 in Billed geboren, wo er auch am 11.02.1899 Antonia Bader aus Anina geheiratet hat. Sie hatten zusammen einen Sohn namens Johann geb. 12.01.1915, der noch im gleichen Jahr gestorben ist. Robert Rohr hat auch den Beleg für eine Tournee Schilzonyis nach Norwegen gefunden. Antonia Bader verh. Schilzonyi hat am 15.11.1916 in Billed nochmals einen Johann Schmidt „nur civil“ geheiratet. Ob sich die Eheleute getrennt hatten oder Nikolaus Schilzonyi damals schon gestorben war konnte nicht eruiert werden. Es spricht jedoch vieles dafür, dass er kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Sommer 1914, nach Amerika ging und dort 1915 eine Kapelle geleitet hat. Danach verliert sich seine Spur, die Zeit der Kaiserlichen Ungarischen Hussaren war mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorbei. An den dritten und erfolgreichsten der großen Kappelmeister Billeds, Lambert Steiner, sei in diesem Jubiläumsjahr der Billeder Blasmusik nur noch kurz erinnert. Auch Steiner wurde in Billed geboren (09.03.1837) und ist
72 dort aufgewachsen. Er konzertierte noch vor den Amerikareisen, ab 1872 mit seinen Knabenkapellen in vielen Städten Ungarns, in Deutschland und Holland, in London, in Südafrika, in Kappstadt, in St. Petersburg, Stockholm, in den USA und auch in Maroko, wie kürzlich festgestellt wurde. Von ihm ist belegt, das in bad Ems vor Kaiser Wilhelm I. konzertiert hat und 1877 Kaiser Franz Josef in Wien ein Geburtstagsständchen gespielt. Seine Konzertreisen gingen rund um den Erdball, wobei er nicht in Hinterhöfen sondern in Konzert- und Opernhäuser ersten Ranges mit seinen Kapellen gespielt. Wir können heute nur staunen, wie diese Billeder Dorfkinder es zu solchen Leistungen gebracht haben. Welch große Organisationsleistung haben sie bewiesen, auch wenn Agenturen dahinter standen. Aber woher hatten diese Dorfmusiker, Steiners Vater war Schuster und Messner in Billed, Schilzonyi und Nusbaum waren Kinder von Kleinhäußler, ihre musikalische Ausbildung? Wie konnten sie mit Kindern und Jünglingen solche Leistungen vollbringen? Wir wissen dass sie, besonders Steiner, nicht nur Walzer und Polkas gespielt haben, sondern auch echte konzertante Musik, Operetten und auch klassische Musik. Stellen wir uns mal diese Billeder Buben, es waren überwiegend Neugässer, auf der Bühne der Oper in London oder in New York vor! Wir können uns heute nur Wundern über diese Leistungen und die, die sie vollbracht haben bewundern. Und Stolz darauf dürfen wir auch sein. Der Tubist Mathias Hirsch aus meiner Verwandtschaft aus der Schilzonyi Kapelle von 1899, der das Tagebuch geschrieben hat, ist als 16jähriger 1901 in Amerika geblieben und hat als Berufsmusiker in einer Theaterkapelle gespielt, ich glaube auch in einem philharmonischen Orchester? Ob er drüben noch eine weitere Ausbildung gemacht hat, weiß ich nicht.
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„Schilzonys Hungarian Military Band 1915“ Die Zeit der Kaiserlich-Ungarischen Husaren war mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorbei. Auf einem Plakat über die Eröffnung der Saison 1907, am 30. Mai im „Eichenpark“ (The Oaks), wird als Starauftritt Schilzonyis „Hungarian- Hussars“- Kapelle genannt.
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74 Der Tubist Mathias Hirsch aus der SchilzonyiKapelle von 1899 ist als 16-Jähriger 1901 in Amerika geblieben und hat als Berufsmusiker in einer Theaterkapelle gespielt. Mit seinen Eltern Mathias und Margarethe Hirsch und seiner Schwester Susanne. Foto ca. 1907, Eins.: Peter Krier
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Wie ich meine Vorfahren ausfindig machte Margarethe Weber (Divo)
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ie Frage nach seinen Vorfahren stellt sich fast jeder früher oder später. So wie der Mensch aufwächst, sich in seiner nächsten familieren Umgebung wohlfühlt und die Seinigen äußerlich und in ihrem tiefsten Inneren kennenlernt, kommt in ihm irgendwann mal diese Frage hoch: Wer sind denn meine Eltern, denen ich so ähnlich bin, von denen meine Augen- und meine Haarfarbe stammt? Von wo kommen sie denn? Wer sind denn meine Großeltern? Und wer war vor ihnen da? Sie sprachen von Urgroßeltern, die ich nicht kannte. Diese und noch viele andere Fragen gingen mir als Kind und Jugendliche durch den Sinn. Als ich so 10-12 Jahre alt war, stand ich einmal - wie so oft - bei meinem Großvater mütterlicherseits an der Hobelbank und schaute ihm beim Tischlern zu. Er erzählte nämlich gerne während seiner Arbeit aus seinem Leben. So nannte er mir einmal einige Namen aus seiner Familie: Mumper, Fischer, Hergatt, Henz, Minninger aus den Ortschaften Warjasch, Perjamosch, Marienfeld u.a. Da sagte ich: „Ota, das musst du aufschreiben, das kann ich mir nicht merken.“ Nach einiger Zeit, als wir wie jedes Jahr an Allerheiligen-Abend den von vielen Kerzen erleuchteten Friedhof verließen, sprachen wir auf dem Heimweg über die Gräber unserer Toten. Da erzählten uns unsere Eltern von den Urgroßeltern, wie sie lebten und wie früh sie starben. Und weil wir so viel fragten, machte sich mein Vater so nach und nach dran, notwendige Daten aus Pfarr- und Gemeindeämtern zu erfahren und aufzuschreiben. Er zeichnete alles übersichtlich auf, kam aber nur bis zu den Groß- und teilweise Urgroßeltern. Überraschenderweise ereignete sich 1934 Folgendes: Als uns an einem Ausgehsonntag unser Vater in der Klosterschule besuchte, teilte er mir und meiner Schwester mit, dass ein gewisser Peter Diwo aus Deutschland ihn, auch Peter Diwo, verständigt hatte, dass er ihn an diesem Sonntag in Temeswar, im Vorraum
des Hotels Europa erwarte. Wie dieser Herr meinen Vater ausfindig gemacht hatte, weiß ich heute nicht mehr. So begaben wir uns, recht neugierig, zu dem fremden Namensverwandten, der uns vermutlich ebenso neugierig erwartete. Wenn uns auch keine Blutsverwandtschaft verband, so verstanden sich mein Vater und dieser Herr sehr gut und durch die Visitenkarte, die der liebe Onkel meinem Vater gab, erfuhren wir, dass das Herkunftsgebiet der Diwos im Saargebiet, in Fürweiler bei Saarlautern sei. Er, Peter Diwo aus Deutschland, war Bankdirektor in Herford, einer Stadt, die nur 20 km von Bielefeld, unserem jetzigen Wohnort, entfernt liegt. Schon kurz nach unserer Ankunft in Bielefeld im Januar 1986 ermöglichte uns ein Bekannter ein Telefongespräch mit der Familie Diwo in Herford. Leider war zu diesem Zeitpunkt Herr Diwo schon verstorben. Seine Witwe war überrascht und wollte uns gerne kennen lernen, doch lag sie krank im Bett und einige Wochen danach brachte uns der Postbote die Todesanzeige dieser Frau Diwo. Nun war unsere Hoffnung, mehr über unsere Vorfahren zu erfahren, dahin. Es vergingen Jahre, doch der Gedanke weiter zu machen ließ mich nicht los und ich begann mit weiteren Recherchen, indem ich an die Pfarrei in Fürweiler im Saarland schrieb und um Auskunft bat. Ich wartete gespannt auf Antwort - ein, zwei, drei Monate, aber vergebens, es kam nichts. Im März 1996 klingelte das Telefon und es meldete sich ein Georg Diwo, genauso wie mein Großvater väterlicherseits hieß. Es lief mir heiß und kalt über den Rücken, so ergriffen war ich. Der Herr am anderen Ende der Leitung war in Ibbenbüren. Er teilte mir mit, dass mein Brief ihm aus Fürweiler zugeschickt wurde, weil man wusste,dass er sich mit der Erforschung aller Diwo-Namensträger befasst. Auch die bekannte Familie Diwo aus Herford war schon in seinem Computer gespeichert. Im Glauben, alle Diwos aus allen
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Kontinenten erfasst zu haben, auch die aus den Ortschaften St. Andres, Deutsch-Sankt-Michael, Uiwar, Sackelhausen, Gertjanosch und anderen Orten des Banats, gab Georg Diwo sein Buch mit 2500 Diwos heraus, die von einem Spitzenahnen stammen. Auch teilte mir Herr Diwo mit, dass Fürweiler kein eigenes Pfarramt mehr habe und darum mein Brief auf Umwegen zu ihm gelangt sei. Er bat um die Daten meiner Familie und kurz danach bekam ich aufgelistet alle meine Vorfahren rückwirkend bis zum Jahre 1678, in welchem mein Urahn Servatius Diwo in Fürweiler geboren wurde und dort im Jahre 1700 Gertrude Petry geheiratet hat. Ihr Sohn Johann Diwo ist 1714 in Fürweiler zur Welt gekommen, war Schneider in Cottendorf und heiratete dort 1740 Maria Wagner, die aber schon 1744 starb. Ihr Sohn Johann wurde am 2. Mai 1743 in Cottendorf geboren, heiratete 1764 Christine Schuster und wanderte mit ihr und seinem verwitweten Vater im Mai 1767 über Wien ins Banat aus. Zunächst nach Hatzfeld, wo sein Vater am 23. Dezember 1780 ver-
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starb. Er selbst starb am 12. Januar 1784 in Großjetscha; seine Frau Christine zog nach Gertjanosch und verstarb dort am 4. Oktober 1793. Wir alle waren Herrn Georg Diwo (jetzt 87 Jahre alt) sehr dankbar und seit dann schickte ich ihm alle mit dem Namen Diwo, die bei Familiennachrichten in der Banater Post angeführt waren, um seine Familienforschung zu vervollständigen. Jedenfalls wunderten wir uns sehr, dass der Name Diwo in der Welt und auch im Banat so stark vertreten ist, wo wir anfangs dachten, wir wären die Einzigen mit diesem Namen. Heute betreiben viele solche Familienforschungen innerhalb der Wissenschaft, die Genealogie genannt wird, um ihre Wurzeln zu suchen. Diese Forschungen beanspruchen und rauben viel Zeit, aber es lohnt sich zu suchen, denn der Erfolg macht zufriedener. Anbei ein verästelter Baum aus dem Familienbuch des Herrn Georg Diwo, ein Baum, in dessen Ästen die verschiedenen Formen des Namens stehen, aus welchen sich schließlich Diwo herausgebildet hat.
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5. deutsche Schulklasse 1932 mit Lehrer Johann Rieder Margarethe Weber (Divo) s ist wohl ein Gotteswunder, wenn man nach 73 Jahren noch unter den Lebenden dieser 5. Volksschulklasse weilt, deren Schüler damals 12 Jahre alt waren. Dafür sind wir dankbar und gedenken aller, die uns vorausgegangen sind, auch unseres Lehrers Johann Rieder. Von den 45 Schülerinnen und Schülern auf dem Foto sind 28 gestorben, 17 leben noch hier im Westen oder in Billed. 1. Reihe v.l.n.r.: Franz Tobias, Mathias Noll+, Johann Rieder, Josef Reiter+, Johann Fischer+, Michael Reichert+, Franz Schultz+, Anton Vollmer+
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2. Reihe: Maria Heinz verh. Thöreß+, Margarethe Klein, Barbara Zimmer verh. Hahn+, Elisabeth Mager verh. Rieder, Margarethe Diwo verh. Weber, Lehrer Johann Rieder+, Anna Lichtfuß verh. Slavik+, Vilma Schubert verh. Popovitsch+, Katharina Pritz verh. Büchler+, Magdalena Reiter verh. Pilli, Anna Mann verh. Schiller+ 3. Reihe: Agnes Klein verh. Gilde+, Maria Groß, Josef Krutsch+, Johann Welter+, Johann Geiß+, Nikolaus Stumpf+, Barbara Ballmann verh. Bohn, Margarethe Thöreß 4. Reihe: Barbara Hilarius verh. Schulz, Barbara Thöreß+, Maria Braun verh. Just+, Anna Rugel verh. Frauenhofer, Maria Gilde, Elisabeth Dix verh. Schütz+, Susanna Würtz verh. Schuster+, Maria Klein verh. Hehn, Katharina Lichtfuß verh. Kreis+, Katharina Muhl 5. Reihe: Nikolaus Wilhelm+, Johann Steiner+, Johann Jobba, Wilhelm Schiller+, Johann Metzger, Nikolaus Mann+, Mathias Fischer+, Josef Steiner+, Johann Lauth
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Wie ich unsere amerikanische Verwandtschaft fand Erika Weith, geb. Leidecker
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eit vielen Jahren ist in unserer Familie bekannt, dass wir Verwandtschaft in Amerika haben. Doch wie soll man an diese Menschen gelangen, wenn man keine Ahnung hat, wie viele lebende Verwandte es noch gibt und vor allem wo sie wohnen. In Amerika gibt es keine Meldepflicht und Telefonbücher von allen Orten der USA durchzusuchen ist unmöglich. So kam mir die Idee es mal im Internet zu versuchen. In der Vorweihnachtszeit 2003 gab ich also den Namen unserer Verwandtschaft ein: Vormittag. Die Schwester meines Dumelle-Opas hatte einen Vormittag geheiratet und war nach Amerika ausgewandert. Ich war gespannt, ob mir das Internet weiterhelfen würde. Und tatsächlich hatte ich einen Treffer, der mich auf eine amerikanische Ahnenforschungsseite führte, auf der man nach Verwandtschaft suchen konnte. Dort war die Mail eines Jack Vormittag aus Lynchburg, Virginia verzeichnet. Die Angaben, die er machte schienen auf meine Familie hinzuweisen. Ich schrieb sofort zurück, in der Hoffnung auf eine baldige Antwort. Doch er meldete sich nicht. Aber einige Zeit später erhielt ich eine Mail von Sharon Pierce aus New York. Ihre Angaben passten sehr gut zu meinen Kenntnissen über die Dumelle- und Vormittag-Familie. Wir tauschten alles aus, was wir über unsere gemeinsamen Vorfahren wussten: Sharons Urgroßmutter war eine Rosalia Vormittag, geb. Dumelle. War sie tatsächlich die Schwester meines Opas, Jakob Dumelle? Die Antwort war schwierig, denn diese Geschwister haben sich nicht gekannt. Mein Opa war Jahrgang 1909 und seine Schwester emigrierte genau in jenem Jahr nach Amerika, im Alter von 17 Jahren. Sie kam nie wieder nach Billed oder Glogowatz (von dort stammte mein Opa; er war jedoch bereits 1921 nach Billed gekommen). So konnten sie sich nie persönlich kennen lernen. Heute wirklich sehr schwer vorstellbar! Aber sie hatten brieflichen Kontakt und meine Familie erhielt auch
Pakete aus Amerika. Doch als Rosalia im Jahre 1959 starb, riss auch der Kontakt zu ihrer Familie ab, immerhin hatte sie 7 Kinder. Die Kinder sprachen kein Deutsch und ohne gemeinsame Sprache gibt es keine Kommunikation mehr. Ich stand nun in regem Kontakt mit Sharon und auch Jack hatte sich zwischenzeitlich gemeldet. Sie schrieben mir, dass ihre Tante Kathy Vormittag in Kalifornien sich sehr mit ihren Vorfahren beschäftigt und sie unheimlich gut über die Dumelles und Vormittags Bescheid wüsste. Bald war ich auch mit Kathy in Mail-Kontakt und nun gelangte eine unglaubliche Fülle an Fakten über unsere Familie zu uns. Diese Kathy Vormittag ist die Frau von Paul Vormittag, einem Sohn von Rosalia Vormittag. Er ist damit ein Cousin meiner Mutter! Durch diese genauen Angaben von Kathy war nun zweifelsfrei erwiesen, dass wir wirklich verwandt sind. Unsere Freude war riesengroß, denn es stellte sich heraus, dass Paul noch zwei lebende Brüder in Las Vegas (John, mit dessen Sohn Jack alles begann) und Florida hat. Außerdem gibt es noch sehr viele Nichten und Neffen, darunter eben jene Sharon. Kathy und ich tauschten Bilder von uns und unseren Vorfahren aus. Und sie schickte mir ein richtig dickes Heft mit den Ergebnissen ihrer Beschäftigung mit den Vorfahren. So erfuhren wir, dass der erste bekannte Dumelle-Vorfahr 1721 geboren (leider konnte sie noch nicht herausfinden wo) und 1808 in Glogowatz gestorben war. Zu unserer Überraschung stellte sich heraus, dass wir auch mit den Vormittags verwandt waren, denn meine Dumelle-Urgroßmutter war eine geborene Vormittag. Die Urahnen der Vormittags kommen eindeutig aus Fulgenstadt, heute ein Stadtteil von Bad Saulgau in Baden-Württemberg. Plötzlich hatten wir soviel Verwandtschaft in ganz Amerika, wie wir nie zu träumen gewagt hätten. Die Verbindung per E-Mail zu
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v. l. n. r. Hannah Jenson (meine Nichte), Siegfried Weith, Erika Weith, Paul Vormittag (Cousin meiner Mutter), Michelle Ois (Pauls Enkelin) Kathy Vormittag (Pauls Frau) Kathy riss nun nicht mehr ab. Wir schickten uns aktuelle Bilder unserer Familien. So konnten wir feststellen, dass Paul, also der Cousin meiner Mutter, meinem Dumelle-Opa ähnlich sieht. Im Dezember 2004 beschlossen wir, mit meiner Nichte Hannah und ihrem Freund nach Amerika zu fliegen und ihnen dieses unglaubliche Land zu zeigen. Und wenn wir schon dort wären, könnten wir doch auch unsere neue Verwandtschaft besuchen. Ventura, dort wo die Vormittags wohnen, liegt in Kalifornien, ca. 1 Stunde von Los Angeles entfernt und dort wollten wir sowieso hin. Als ich Kathy davon schrieb, war sie sofort begeistert und lud uns herzlich ein. Also machten wir unseren Traum wahr und fuhren heuer im September für 2 Wochen nach Amerika. Und tatsächlich besuchten wir Paul und Kathy Vormittag, Es war unbeschreiblich. Wir wurden sehr herzlich empfangen. Es sind zwei wirklich reizende Menschen. Wir waren ca. 4 Stunden bei ihnen und
unterhielten uns, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Wir lernten auch noch eine Tochter und Enkelin kennen und machten viele Bilder. Leider werden sie uns wohl nicht mehr besuchen können, denn Paul ist gesundheitlich angeschlagen und wird demnächst 80 Jahre alt. Vielleicht werden ihre Töchter uns eines Tages mal besuchen. Eine wichtige Frage konnten wir vor Ort auch noch klären: Wie spricht man eigentlich Vormittag auf Englisch aus? Wormittäg! Leider können sie kein Deutsch mehr. Beide sprachen es als Kind noch. Auch Kathys Eltern stammen aus Glogowatz. Aber einige schwowische Gerichte sind noch übrig geblieben: Äpplstrudel, Quetscheknedle, Krumbeersupp un Keesnudle. Zum Schluss möchte ich noch auf die Internetseite hinweisen, mit der unser Verwandtschaftsabenteuer begann: http://boards.ancestry.com
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1938: Eine neue Sportart fasziniert die Jugend Jakob Ballmann bringt als Gymnasiast das Regelwerk des Carl Schelenz von Schäßburg nach Billed Seither wird mit Unterbrechungen im Dorf Handball gespielt Von Johann Steiner
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ie oft ist Michael Mutters Schlachtruf über dem Handballplatz auf dem Hof der Billeder Schule erschallt. Wie oft hat er mit seinen humorvollen Einlagen Spieler angefeuert und unter den 200 Zuschauern auf den Tribünen für Heiterkeit gesorgt? Doch das ist Geschichte und wird so nie mehr sein. Die Billeder Handballerfamilie der 1970er und 1980er Jahre ist in alle Winde zerstreut. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen eine aus Banater Schwaben bestehende Auswahl, wäre sie denn je möglich gewesen, jede Nationalmannschaft dieser Welt hätte besiegen können. Von den vielen Guten, die in Banater Dorfmannschaften, in Schulen und Klubs in den Städten herangewachsen sind, seien nur die zur absoluten Weltklasse gehörenden genannt: Mischi Redl, Hans Moser, Hansi Schmidt und Josef Jakob. Inzwischen fehlen den Banater Dörfern Handballer und Mannschaften. Mit den Deutschen sind auch sie von der Bildfläche verschwunden. In der Banater Heide existiert die letzte Kreismeisterschaft Rumäniens. Darin machen drei Mannschaften mit: Billed, Hatzfeld und Lowrin. „Wir haben keine Gegner mehr“, sagt Adam Csonti. Begeisterung schwingt in diesen Worten nicht mit. Csonti gehört zu den letzten Handballbesessenen, die noch in den Banater Dörfern eine Tradition fortsetzen wollen: Adam Csonti hat sich dem Sport verschrieben wie einst sein Lehrer und Trainer Hans Pierre. Keiner hat dem Billeder Handball so lange gedient wie die beiden: Der aus Alexanderhausen stammende und zum Billeder gewordene Turnlehrer Pierre fast 20 Jahre lang, von 1963 bis 1982. Danach trainiert Nikolaus Frecot kurze Zeit die Seniorenmannschaft, die Jugend übernimmt Helmut Hehn. Auf sie folgt der am 28. Dezember 1957 geborene Csonti, er trainiert beide Teams. Heute hat Billed zwei Mannschaften.
Adam Csonti ist Spieler, Trainer und Klubvorsitzender in einer Person. Der Handball war in Billed einmal eine deutsche Domäne. Die heutigen Spieler tragen kaum noch deutsche Namen. Der am 27. März 1932 geborene Pierre hat es in kommunistischen Zeiten als Deutscher oft schwer, und Csonti hat es nach der Wende nicht einfach. Denn mit der Liquidierung der kommunistischen Landwirtschaftsbetriebe sind auch die Sponsoren verschwunden. Den Klubs fehlt die Unterstützung. Trotzdem versucht Csonti die Fahne weiter hochzuhalten. Sein Lehrmeister Pierre ist stolz auf ihn. Der Sportlehrer, der heute in Langenfeld bei Leverkusen lebt, weiß: „Adi war ein williger Spieler, den ein Trainer immer wieder aufbauen und aufrichten konnte.“ Dass Adi einmal in seine Fußstapfen treten würde, hätte Pierre nie gedacht. Heute steht dem Autodidakten Csonti all die Handballfachliteratur zur Verfügung, die Pierre sich in Rumänien und später in Deutschland zugelegt hat. Der Lehrer hat sie seinem Schüler geschenkt. Handball wird in Billed seit 1938 mit kurzen Unterbrechungen gespielt. Das Regelwerk des als Vater des Handballspiels bekannt gewordenen Carl Schelenz bringt Jakob Ballmann (geboren am 9. August 1920) aus Schäßburg mit, wo er als Gymnasiast mit Edmund Schiffbäumer in einer Mannschaft spielt. Schiffbäumer wird 1939 mit dem Turnverein Bistritz rumänischer Handballmeister. Unter Ballmanns Anleitung versuchen sich Billeder Jugendliche erstmals als Handballspieler auf dem Fußballplatz neben der Hanffabrik. Die Billeder Jugend fährt meist mit Pferdewagen zu Spielen nach Bogarosch, Alexanderhausen oder Neusiedel. Zu den Spielern der ersten Stunde gehören Hans Sla-
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Das Handballspiel löste eine Welle der Begeisterung aus, vor allem nach der Gründung der Deutschen Jugend. vik (Lange), Peter Schwartz, Hans Frank, Hans Sauer (Bäcker), Jakob Lahni (Stickels), Jakob Billinger, Nikolaus Mann, Hans Welter (Siwasche) und Hans Steiner (Lange). Einen Klub oder eine feste Mannschaft gibt es in jenen Jahren nicht, so Jakob Ballmann. Im Winter stellt Stefan Unger seinen Kinosaal für Krafttraining zur Verfügung. Auf dem Programm stehen Gymnastik, Übungen zur Kräftigung der Brustmuskulatur an von der Decke herabhängen Seilen und Würfe mit schweren Lederbällen. Der wichtigste Unterstützer der Handballer in jenen Jahren ist Jakob Lenhardt (Altgasse).
wegen Fliegeralarms nicht fährt, machen sich die Spieler zu Fuß auf den Weg ins Nachbardorf und kommen auch rechtzeitig an. Das Spiel kann um 15 Uhr angepfiffen werden. Es endet 2:2. Mit der Russland-Deportation im Januar 1945 verliert die Billeder Mannschaft eine Reihe von Spielern. Dazu gehört auch ihr Kapitän Hans Schmidt. Er wird im Oktober 1949 aus Russland zurückkehren und erneut zur Mannschaft stoßen. Doch kaum ein Jahr später ist er schon wieder weg, er wird Arbeitssoldat in Kronstadt. Trotz des Aderlasses geht es weiter.
Wie Hans Slavik (Lange) berichtet, löst das Handballspiel eine Welle der Begeisterung aus, vor allem nach der Gründung der Deutschen Jugend. Im Krieg ist der Spielbetrieb eingeschränkt. Die jüngeren Jahrgänge machen aber weiter. Slavik bestreitet sein erstes Handballspiel 1944 in der Billeder Mannschaft, in der Jugendliche der Jahrgänge 1927 und 1928 mitmachen. Mannschaftskapitän dieser Truppe ist Hans Schmidt (Altgasse). Ferner gehören ihr an: Adam Rothgerber, Peter Gilde (Altgasse), Janni Braun (Kirchengasse), Jakob Müller (Kirchengasse) und Jakob Rieder (Hauptgasse). Das Spiel wird in Alexanderhausen ausgetragen. Weil der Zug
Von 1945 bis 1950 ist Jakob Ballmann Mannschaftskapitän. Die Mannschaft trainiert dienstags und freitags von 19 bis 21 Uhr. Obwohl die meisten Spieler täglich nach Temeswar zur Arbeit fahren, sind sie schon um 18 Uhr auf dem Sportplatz, erinnert sich Ballmann. Im Winter halten sich die Spieler mit Lauf-, Kraft- und Geschicklichkeitstraining in Form. Hinzu kommen Turnübungen im kleinen Sportsaal der alten Schule. Die Billeder treten gegen Mannschaften aus Hatzfeld, Bogarosch, Lenauheim, Perjamosch oder Warjasch an. In einer Meisterschaft müssen die Billeder neun Monate lang ihre Heimspiele in Neubeschenowa austragen,
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Zu den Spielern der ersten Stunde gehören Hans Slavik (Lange), Peter Schwartz, Hans Frank, Hans Sauer (Bäcker), Jakob Lahni (Stickels), Jakob Billinger, Nikolaus Mann, Hans Welter (Siwasche) und Hans Steiner (Lange). weil ein Handballanhänger einem Schiedsrichter nach einer vermeintlichen Fehlentscheidung einen Tritt versetzt hat. 1947 hören die meisten der älteren Jahrgänge auf zu spielen. Kurze Zeit trainiert Lehrer Hans Gehl die Mannschaft, dann gründet Hans Slavik (Lange) eine neue Mannschaft. Ihr gehören an: Hans Muhl, Hans Trendler, Jakob Helfrich, Franz Herrenreich (Tor), Nikolaus Mann, Adam Rothgerber, Hans Trendler, Hans Braun, Jakob Billinger, Jakob Braun, Nikolaus Gilde, Adam Schaljo, Peter Slavik, Jakob Rieder, Hans Schmidt (Altgasse), Georg Neumann, Franz Krogloth, Nikolaus Ballmann, Matthias Rieder, Hans Slavik (Hermskellersch), Iancu Legendi und Jakob Klein (Vertgass). Doch 1950 wird Trainer Slavik als Arbeitssoldat eingezogen. Er spielt Handball bei Santierul Ploiesti. Mit dieser Mannschaft nimmt er an den Qualifikationsspielen für die erste rumänische Liga teil. Nach 38 Monaten ist er 1954 wieder zu Hause. Er macht weiter. In jene Zeit fallen auch die ersten Versuche, auf dem Kleinfeld zu spielen. Mit der Verschleppung eines guten
Teils der Spieler in den Baragan 1951 leidet der Handballbetrieb in Billed erneut. Hans Slavik berichtet weiter: „Weil wir keine Sponsoren hatten, mussten wir uns selbst helfen. Die Einnahmen reichten gerade aus, um die Richter zu bezahlen. Deshalb sammelten wir im Dorf für die eine oder andere Tombola, die auf Sportlerbällen abgehalten wurde. Aus den Erlösen konnten wir uns von Franz Rollinger zwölf Paar Schuhe anfertigen lassen. Die Konsumgenossenschaft stellte uns billige Leinwand zur Verfügung, aus denen Mädchen, die Schneiderinnen waren, die nötige Kleidung fertigten. Aber auch Bälle mussten wir kaufen.“ Zu Auswärtsspielen ging es meist mit Pferdefuhrwerken. Der Direktor der Hanffabrik pflegte nur dann ein Lastauto bereitzustellen, wenn die Mannschaft vorher zwei Waggon Hanf zum Bahnhof transportiert hatte. Gut hatten es die Handballer, wenn Josef Steiner sonntags Zeit hatte. Er hat die Spieler stets kostenlos mit dem Lastwagen der Konsumgenossenschaft befördert. Das war auch nur möglich, weil Hans Neumann, der Buchhalter der Genossenschaft, mit im Boot
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Die Mannschaft von 1948: (stehend von rechts) Jakob Klein, Jakob Braun, Josef Lauth, Hans Slavik (Lange), Jakob Lahni, Georg Neumann, Jakob Helfrich, (liegend) Peter Hehn, Franz Krogloth, Hans Slavik (Puste), Jakob Mumper und Hans Trendler saß, so Hans Slavik. Als der Sportplatz neben der Hanffabrik aufgegeben wurde, mussten die Spieler einen neuen neben der Ziegelei anlegen. Sowohl auf dem Groß- als auch auf dem Kleinfeld kommen die Billeder Mannschaften nie über die Kreisliga hinaus. Zu den erfolgreichsten Spielern, die der Billeder Handball hervorgebracht hat, gehören Peter Schwartz und Raimund Steiner. Beide spielen auf dem Großfeld im rumänischen Oberhaus: Schwartz als Student für Stiinta Temesvar und Steiner für Bogarosch. Anfang der 1960er Jahre, als schon feststeht, dass der Rumänische Handballverband die Meisterschaft auf dem Großfeld 1963 einstellen wird, ergreifen Peter Mellinger (12. Februar 1931 – 30. Dezember 1989) und Hans Slavik die Initiative und formen eine Kleinfeldmannschaft. In dem parkähnlichen Gelände neben dem Neugässer Friedhof legt die Jugend einen Schlackeplatz an. „Die Zeitung Neuer Weg hat uns damals als Parkzerstörer angeprangert“, sagt Hans Slavik. In
jener Mannschaft machen mit: Hans Trendler, Jakob Lahni und natürlich die beiden Trainer. 1963 machen Mellinger und der Sportstudent Raimund Steiner auf dem Kleinfeld weiter. In jener Mannschaft spielen unter anderen: Hans Herbst (Milche), Helmut Pilli, Peter Keller, Wilhelm Thöreß, Richard Hehn, Hans Schubert und im Tor Josef Thöreß (Altgasse). Im September 1963 tritt Hans Pierre seinen Dienst an der Billeder Allgemeinschule an. Er setzt fort, was er schon als Turnlehrer in Triebswetter 1953 begonnen hat: Er gründet und trainiert ab sofort Schüler-Handballmannschaften. Die Liebe zum Sport entwikkelt Pierre schon als Junge. Er wohnt nicht weit vom Sportplatz in Alexanderhausen. Sein Großvater drechselt ihm eine Handgranate. Damit und mit einer Kanonenkugel übt er auf eigene Faust immer wieder. Als Schüler an der Pädagogischen Schule in Temesvar trainiert er weiter. Anfang der 50er Jahre nimmt er mit der Schülermannschaft sogar an einem Landeswettbewerb in Bukarest
Handball-Geschichte teil. Er erzielt mit der Granate eine Landesrekordweite, doch er tritt leicht über, der Rekord wird nicht anerkannt. Als er 1953 in Triebswetter als Lehrer anfängt, will keiner Sport unterrichten. Das ist die Chance für den sportbegeisterten Pierre. Er wird Sportlehrer, Handballtrainer und Konditionstrainer der Fußballmannschaft in Triebswetter. Er legt mit Schülern und deren Eltern einen Kleinfeldhandballplatz an. Die gesammelten Erfahrungen werden ihm später in Billed zugute kommen. Auch in Billed fehlt 1963 ein Sportlehrer. Hans Pierre greift erneut zu und absolviert ein Fernstudium an der Temeswarer Sporthochschule. Der Kampf beginnt von vorn. Die Billeder Schule hat keinen Sportplatz. Wenn es regnet, ist kaum Unterricht möglich. Pierre gründet die ersten Schülermannschaften. Die Idee reift, einen Platz anzulegen wie in Triebswetter. Um sie verwirklichen zu können, braucht die Schule ein größeres Gelände. Ein Stück Kirchgarten würde reichen. Der Turnlehrer verhandelt mit Pfarrer Ladislaus Dittrich, der sagt nach anfänglichem Zögern ja. Die Schule bekommt einen Teil des Kirchgartens. Schüler, Eltern, aber auch Lehrer arbeiten und legen den Platz an. 1974 ist der Handballplatz fertig. Die schwarze Schlacke dafür wird aus einer Nachbargemeinde besorgt. „Nach dem Sportunterricht haben die Schüler wie Schornsteinfeger ausgesehen“, erinnert sich Pierre. Doch keiner hat geklagt, alle haben es hingenommen, wie es war. Aber Pierre gibt sich nicht zufrieden. Er setzt durch, dass Duschräume gebaut werden. Später erhält der Sportplatz einen roten Schlakkebelag. 1975 oder 1976, Pierre weiß es nicht mehr genau, folgt der nächste Schritt: Der Platz wird asphaltiert. Tribünen werden gebaut. „Hans Eichert und seine Handwerker von der Gemeinde mit vielen anderen Helfern leisten Großartiges“, sagt Pierre. 1977 wird die Flutlichtanlage gebaut. Hauptakteure sind Walter Rieder und Hans Frank. Immer zur Stelle ist in jener Zeit Nikolaus Tasch. Die Glühbirnen besorgen Nikolaus Teiber und Liviu Pop. Eingeweiht wird die Flutlichtan-
84 lage mit einem Spiel gegen Lowrin vor 200 Zuschauern und einem Sieg, der den Spielern viel Applaus einbringt. Die Billeder Vointa ist in jenen Jahren die einzige Dorfmannschaft, die über eine Flutlichtanlage verfügt. 1966 ist Raimund Steiner zurück in seinem Heimatdorf Billed, von dem der Handballweltmeister und gegenwärtige rumänische Nationaltrainer Peter Ivanescu sagt, er verstehe eine Menge vom Handball. Nach dem Sportstudium tritt Raimund Steiner seine erste Lehrerstelle in einem Dorf bei Schäßburg an. Sein Wechsel nach Billed wird möglich nach einem zufällig zustande gekommenen Gespräch in den Ferien an der Schließ. Er erhält eine Stelle als Sportlehrer an der Traktoristenschule. An dieser Berufsschule gründet er eine Handballmannschaft und baut auf deutsche Kinder, die bei Hermann-Horst Niesz, der Lowrin in die erste rumänische Liga geführt hat, und bei Manfred Fassel eine gediegene Sportausbildung erhalten haben, und auf rumänische Schüler, Rohdiamanten aus allen Landesteilen. Mit der Mannschaft der Traktoristenschule gewinnt Raimund Steiner 1967 den vom Landwirtschaftsministerium ausgeschriebenen Landesmeistertitel. Nächste Station des am 31. August 1941 geborenen Sportlehrers und Trainers ist das Billeder Gymnasium, an dem er eine Mädchenmannschaft gründet. Raimund Steiners Leben ist eng mit dem Handball verbunden. Wo immer er auch als Lehrer tätig sein wird, der Handball spielt immer eine Rolle in seinem Leben. In Kontakt kommt er mit der Sportart nach der Entlassung aus dem Zwangsaufenthalt im Baragan 1956, als er Schüler am Gymnasium in Hatzfeld wird. Strenge und angesehene Lehrer wie Hans Bräuner, Helmuth Schwarz, Nikolaus Neuhaus und Josef Schäfer prägen ihn und machen ihn zum Feldhandballer. Unter Trainer Roland Wegemann spielt Raimund Steiner für die Hatzfelder Ceramica, später wechselt er nach Bogarosch, wo er unter Trainer Walther Maiterth ins Handballoberhaus aufsteigt.
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Die Billeder Mannschaft 1950: (von rechts) Franz Herrenreich (Tor), Hans Schmidt (Stürmer), Josef Lauth (Verteidiger), Hans Slavik (Verteidiger/Verbinder), Georg Neumann (Stürmer), Jakob Helfrich, Jakob Mumper (beide Verteidiger), Hans Welter (Stürmer), Franz Krogloth (Verteidiger), Jakob Rieder und Hans Neumann (beide Stürmer) Während des Studiums an der Temeswarer Sporthochschule kommt er durchs ganze Land, lernt die schönen siebenbürgischen Städte kennen und lieben. 1968 heiratet er die Kronstädterin Siglinde Dietrich, eine ehemalige Handballerin. Weil er in Kronstadt in seinem Beruf und Hobby Handball eher und besser weiterkommen kann, wechselt er 1969 an eine Kronstädter Berufsschule. Er hat wieder Glück und bekommt einen Stelle an der Sportschule in Kronstadt, wo er drei Mädchenmannschaften betreut und einen Landesmeistertitel erringt. Doch den schätzt er nicht so hoch ein, weil es eher ein zweitklassiges Championat war. Nach einem Jahr wechselt Raimund Steiner an die HonterusSchule, die anfangs noch Volksschule ist, später aber wieder zum Gymnasium erweitert wird. 1972 siedelt er mit Frau und dem 1969 geborenen Sohn Ingo nach Ratingen bei Düsseldorf um. Der Handball hilft ihm erneut weiter. Nachdem er zufällig ein Handballspiel leitet, weil ein Schiedsrichter ausgefallen ist,
lädt der Ratinger Bürgermeister Ernst Dietrich, ein ehemaliger Handballer aus der DDR, ihn ein. Der Bürgermeister möchte, dass er in Ratingen als Handballtrainer und Lehrer tätig wird. Raimund Steiner wird am TheodorHeuss-Gymnasium Sport- und Biologielehrer und trainiert die Jugendhandballer des Turnerbundes Ratingen. Nach einer gewissen Anlaufzeit ist der Verein mit Mannschaften in allen höchsten Spielklassen vertreten. Anfang der 80er Jahre wechselt er an die Städtische Gesamtschule in Gummersbach, wo er noch heute als Lehrer tätig ist. Im Laufe der Jahre betreut Raimund Steiner folgende Senioren-Mannschaften: TV Mettmann, Turnerbund Ratingen (beide Oberliga), SC West Düsseldorf (Verbandsliga), DSC Düsseldorf, SSV Marienheide (Regionalliga/Damen), SSV Marienheide (Verbandsliga/Herren) und TuS Derschlag (2. Bundesliga). „In dieser Sportart bin ich gefeiert und gefeuert worden, ich habe gefeiert und gefeuert, und habe nie aufgegeben“, sagt Raimund
Handball-Geschichte Steiner. Doch all das sei nur möglich gewesen, weil seine Frau mitgemacht und alles akzeptiert habe. „Sie hat das Familienleben organisiert und sich um die Kinder gekümmert.“ Nachdem Raimund Steiner Billed in Richtung Kronstadt verlassen hat, macht der Billeder Handball, abgesehen von den Schülermannschaften Pierres, erneut ein Tief durch. 1972 bitten Hans Frank junior und Josef Thöreß den Sportlehrer Pierre, sich der Handballmannschaft anzunehmen. Die Arbeit, die Pierre an der Allgemeinschule und am Gymnasium in Billed leistet, aber auch das Wirken von Raimund Steiner als Sportlehrer an der Traktoristenschule machen sich jetzt bezahlt. Pierre kann auf gute Spieler bauen. Dazu gehören Georg Frecot als Kreisläufer und Hans Neiß als Spielmacher, die Pierre die beiden talentiertesten Spieler nennt, die er je trainiert hat. Schütze vom Dienst in dieser Mannschaft ist Hans Frank. Zu diesen Spielern stoßen weitere junge Billeder, die das Publikum immer wieder beigeistern. Dazu gehören: Helmut Hehn, Werner Billinger, Adam Csonti, Michael Klein-Sortoc, Dietmar Welter, Hans Hora, Peter Hehn, Werner Steiner, Josef Ballmann, Helmut Faller, Constantin Deleanu, Peter Gilde, Nikolaus Andre, Adam Rugel und als Torsteher Jakob Klein, Jakob Groß, Werner Rieder, Robert Fischer, Werner Gilde, Hans Klein, Ioan Petolescu, Sandu Naidin, Mircea Draia und Cornel Cretu. Im Laufe der Jahre kommen hinzu: Roland Ruß, Harald Ballmann, Hans Hehn (Neugasse), Egon Gilde, Hans Koch, Liviu Pop, Horst Alexius, Horst Neumann, Alfred Engrich, Dumitru und Mircea Gorea und Damian-Peter Dumitru-Braun. In den ersten Jahren ist Hans Slavik Co-Trainer. In dieser Funktion unterstützt er Pierre tatkräftig. In der Kreismeisterschaft belegt die Billeder Mannschaft stets einen Platz unter den ersten sechs Teams. Unter Hans Pierre qualifiziert sich die Mannschaft bis auf ein Mal stets für die Endrunde um den von der Neuen Banater Zeitung gestifteten Pipatsch-Pokal. Doch gewinnen kann sie ihn nie, dazu ist die Konkurrenz aus der zweiten Liga zu stark.
86 Selbst als Ausrichter von zwei Endrunden schafft es die Mannschaft nicht. Besser als die Billeder sind in jenen Jahren nach Einschätzung Pierres lediglich die Mannschaften aus Hatzfeld, Großsanktnikolaus und Technometal Temeswar. 1974 wird bei der Vointa in Billed eine Jugendmannschaft ins Leben gerufen. Matthias Landgraf und Hans Slavik junior betreuen sie. Sie bilden junge Spieler aus, die in die erste Mannschaft wachsen werden. Dazu gehören: Günther Neisz, Marius Mocioiu, Hans Lay, Horst Breitenbach, Hans Koch, Walter Muhl, Hans Werhof, Hans Frank, Adi Frank, Eduard Schortje und Walter Engrich. Im Rückblick sagt Pierre, er habe Glück gehabt, dass seine Schüler trotz seiner „nicht immer humanen Methoden stets sehr lernwillig waren“. Heute tue es ihm leid, dass er nicht habe akzeptieren wollen, dass es im Sport auch Antitalente gibt. Von den Talenten habe er stets sehr viel verlangt, aber er habe sie auch gefördert. Er sei wegen seiner Arbeit bewundert, aber auch beneidet worden. „Ich habe stets den Ehrgeiz gehabt, zu beweisen, dass wir besser sind als die anderen.“ Der Handball hat Pierre nicht nur Freude, sondern auch einigen Ärger bereitet. Im Finale der Juniorenkreismeisterschaft spielt die Mannschaft des Billeder Gymnasiums nach einem grandiosen Halbfinalsieg über Hatzfeld in Temesvar gegen Detta und führt kurz vor Schluss mit drei Toren. Der Schiedsrichter verpfeift die haushoch überlegene Billeder Mannschaft, die das Spiel durch ein Siebenmetergeschenk in letzter Minute verliert. Nach dem Strafwurf geht der überragende Billeder Torwart Cornel Cretu, der schon im Halbfinale ein halbes Dutzend Strafwürfe gehalten hat, spontan auf den Schützen los. Die ganze Mannschaft tut es dem Torwart gleich. Es kommt zur Schlägerei. Nach dem Spiel erfährt Pierre erst, dass rund um den Platz geäußert worden war: „Diese Deutschen aus Billed dürften um keinen Preis gewinnen“. Dabei hat die Mannschaft nur zur Hälfte aus Deutschen bestanden. Ergebnis: Die Polizei verhört Pierre und Deutschlehrer Franz
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Stehend von links: Georg Frecot, Helmut Hehn, Werner Billinger, Josef Thöreß, Trainer Hans Pierre, Hans Neiß, Hans Frank, Jakob Klein, (hockend) Hans Klein, Adam Csonti, Hans Schmidt, Werner Steiner, Jakob Groß, Michael Sortoc-Klein, Nikolaus Frecot, Dietmar Welter, Peter Hehn, (liegend) Werner Rieder und Hans Klein Trendler. Pierre muss 1000 Lei Strafe bezahlen, Trendler 1500. Nach einem Turnier in Billed, an dem 1974 auch eine Mädchenmannschaft von Empor Rostock teilnimmt, muss sich Pierre sogar vor der Securitate rechtfertigen. Alle Mannschaften hatten Blumen bekommen, lediglich die Mädchen der Temesvarer Sportschule nicht. Ein Versehen, von dem der Trainer nichts weiß. „Ein netter Lehrerkollege“ zeigt ihn an. Doch Pierre hat Glück, das Verhör endet glimpflich. Denn er hat im Dorf auch Fürsprecher. Dazu zählt Pierre den inzwischen gestorbenen Gemeindesekretär Liviu Margan und Bürgermeister Hans Schmidt, aber auch die vielen Helfer, deren Zahl Pierre mit wenigstens 100 angibt. Größte Probleme der Mannschaft sind Geldmangel und fehlende Transportmittel. Die Mannschaft muss mit dem Eintrittsgeld zurechtkommen. Ab und an gehen Trainer und Helfer von Haus zu Haus, um für den Handball und die Mannschaft zu sammeln.
„Wir haben regelrecht gebettelt. Traurig, aber wahr“, sagt Pierre heute. „Ich habe mich manches Mal geschämt.“ Einem Einzigen gelingt es jedoch, den Trainer zu erniedrigen, das ist der inzwischen gestorbene LPG-Vorsitzende. „Für 90 Prozent der Ausfahrten mit der Mannschaft musste ich ihn in einem der Wirtshäuser suchen und anflehen, der Mannschaft ein Auto oder einen Traktor mit Anhänger für die Fahrten zu Auswärtsspielen zur Verfügung zu stellen. Er hat mich zur Sau gemacht, und ich musste lächeln. Er hat mich auch abgewiesen wie einen Bettler.“ 1982 wirft Pierre das Handtuch, er will mit der Familie Rumänien verlassen. Das gelingt ihm auch 1983. Nach ihm übernehmen für kurze Zeit Nikolaus Frecot und Hans Hehn die beiden Mannschaften. Sie übergeben sie später Adam Csonti, dem vorerst letzten Handballverrückten in Billed. Hans Pierre ist stolz auf seinen Schüler.
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Handball-Geschichte(n) aus Siebenbürgen und dem Banat ADZ-Verlag, Bukarest 2003. 334 S. Helmut Heimann (KK)
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it sieben Weltmeistertiteln gehört Rumänien zu den erfolgreichsten Handballnationen der Welt. Obwohl der Glanz vergangener Zeiten mittlerweile ziemlich verblasst ist, genießt die rumänische Handballschule nach wie vor einen hervorragenden Ruf. Maßgeblich dazu beigetragen haben zahlreiche Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Sie machten das in Deutschland erfundene Handballspiel in Rumänien populär, legten das Fundament für zahlreiche Erfolge bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen und Europapokal-Wettbewerben. Vielen von ihnen hat der Banater Journalist Johann Steiner mit seinem Werk „Handball-Geschichte(n)“ ein würdiges und bleibendes Denkmal gesetzt. Steiner war geradezu prädestiniert, dieses Buch zu schreiben, gehört der Billeder doch zu den besten Kennern des rumänischen Handballs. Acht Jahre lang begleitete er diesen als Redakteur der ehemaligen Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg“ und erlebte seinen letzten Höhenflug hautnah mit. In der rumänischen Hauptstadt trat Steiner in die Fußstapfen von Hans Frank. Mit dem Perjamoscher hatte er einen hervorragenden Lehrmeister beim „Neuen Weg“ gefunden. Frank zählt nämlich zu den absoluten Insidern des rumänischen Handballs. Kein Wunder, dass Steiner bei der Herausgabe des Buches intensiv mit Frank zusammenarbeitete. Erschienen ist es im Verlag der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ (früher „Neuer Weg“), wo Hans Frank als stellvertretender Chefredakteur sowie Chef vom Dienst tätig ist und den Erscheinungsprozess des Werkes überwachte. Die Einleitung dazu stammt vom weltberühmten späteren „Bomber der Nation“ Hansi Schmidt. „Die Leistungen unserer Landsleute können sich sehen lassen, ich bin stolz, einer von ihnen zu sein“, schreibt der gebürtige Marienfelder darin. Wie recht er mit die-
sem Satz hat, beweist Hans Steiner anschließend. In kurzen geschichtlichen Abrissen und mehr als siebzig akribisch recherchierten Porträts lässt der Autor die Leser teilhaben an der Einführung des Handballspiels in Rumänien und an seinen großartigen Erfolgen, von denen viele auf das Konto unserer Landsleute gehen. Übrigens: Schmidt war letztendlich der Auslöser für das Erscheinen des Buches, wie Steiner im Vorwort schreibt: „Im Juni 2001 ist es endlich soweit. Im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf treffe ich Hansi Schmidt, den Gummersbacher aus Marienfeld. Er ist mit Frau und Freunden gekommen, weil ihn das Thema interessiert, das an diesem Tag behandelt wird: die Verschleppung eines Teils der Banater Schwaben 1951 in die Donautiefebene. Kaum habe ich meine Verbannungs-Geschichte vorgelesen, spricht Schmidt mich an. Er will eine Kopie des Vortrages haben, die den Titel ‚Wie dem Hund im Brunnen’ trägt. Dann sprechen wir kurz vom Handball. Ein paar Wochen später bin ich bei Schmidts in Gummersbach. Die erste von mehreren Dutzend Geschichten steht.“ Man kann das Erstlingswerk Steiners nur schwer aus der Hand legen. Der Leser taucht ein in eine längst vergangene Welt, die die Jüngeren unter uns nur vom Hörensagen kennen, nimmt Anteil an so manchem Triumph, aber auch an zahlreichen Tragödien, an viel Freud und nicht selten auch Leid. Beim Lesen rollen die großen Siege und denkwürdigen Wettkämpfe wie in einem spannenden Film vor unseren Augen ab. Dazu trägt auch der flüssige Stil bei, in dem das Buch geschrieben ist. Damit fesselt Steiner den Leser von den ersten Zeilen an. Aufgelockert wird das Geschriebene durch so manche Anekdote, die zeigt, dass große Sportler auch Menschen sind wie du und ich. Leider konnten nicht alle Schmankerl veröffentlicht werden, weil der (die) eine oder andere Handballer(in)
Handball-Geschichte damit nicht einverstanden war. Eigentlich schade. Ein weiterer kleiner Wermutstropfen ist die drucktechnisch mangelhafte Wiedergabe der Fotos. Nichtsdestotrotz: „HandballGeschichte(n)“ ist ein nicht nur für Sportbegeisterte lesenswertes Buch.
89 Das Buch kann beim Autor bestellt werden unter den Rufnummern 0 22 46 / 21 66 und 01 71/8 31 12 22 sowie über Internet unter waltraud.steiner@t-online.de. Es kostet 19,90 Euro, zzgl. 2,10 Euro für Verpackung und Porto.
„Hansi Schmidt. Weltklasse auf der Königsposition“ Der Billeder Johann Steiner legt nach einjähriger Arbeit die Biographie des aus Marienfeld stammenden Handballers vor. Das Geleitwort stammt aus Hans-Dietrich Genschers Feder
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orliegende Biographie ist zustande ge kommen, wie das meiste bei Hansi Schmidt vor sich geht. Eine Sache will wohl überlegt sein, er lässt sich meist viel Zeit, wägt ab, überlegt immer wieder. Mit der Biographie hat er sich sehr viel Zeit genommen. Man könnte sagen: Er hat alles auf die lange Bank geschoben. Doch zu spät ist es immer noch nicht. Im Sommer 2004 meint Hansi Schmidt, der richtige Mann habe bei ihm angeklopft. Er sagt ja, die Biographie soll geschrieben werden. Als Autor will Hansi nicht auftreten. Er will sich nicht mit fremden Federn schmükken. Er überlässt das Schreiben lieber anderen. Die Wahl ist auf Johann Steiner gefallen, einen Landsmann aus Billed. Im August 2004 beginnt alles in der Klosterstraße im zu Gummersbach gehörenden Derschlag im Hause Schmidt. Hansi Schmidt und der Biographieschreiber sitzen wegen dieses Vorhabens zum ersten Mal zusammen. Ein Jahr später, im September 2005, liegt das 352 Seiten starke, reich bebilderte Buch (112 Fotos) vor. Hansi Schmidt hat Sportgeschichte geschrieben. Und Geschichte schreibend ist er zur Legende geworden. Für viele ist der Erfinder des verzögerten Sprungwurfs ein Idol, für andere wieder ein rotes Tuch. Doch wie immer man zu diesem Ausnahmesportler stehen mag, an einem kommt man nicht vorbei: Mit seinem Namen ist der steile Aufstieg einer Provinzmannschaft zum weltbesten Hallenhandballteam verbunden. Der VfL Gum-
Hansi mit dem Europapokal der Landesmeister mersbach ist mit zwölf gewonnenen Titeln deutscher Rekordmeister. Auf Platz zwei folgt THW Kiel mit elf gewonnen Meisterschaften vor Frisch Auf Göppingen mit neun. Zu sieben der zwölf VfL-Erfolge in der Bundesli-
Handball-Geschichte ga hat Hansi Schmidt als Torschütze vom Dienst und Spielmacher entscheidend beigetragen. Für den Gewinn dieser sieben Titel brauchte er elf Anläufe. Zehnmal hat er im Finale um die deutsche Meisterschaft gestanden. Zu den sieben deutschen Meistertiteln kommen drei Vizemeistertitel hinzu. Als sich Hansi nach dem 12:11-Sieg über Grün-Weiß Dankersen im Endspiel um die deutsche Meisterschaft am 16. Mai 1976 als Titelträger aus dem Handballoberhaus verabschiedet, sagt der junge Jimmy Waltke: „Wenn du aufhörst, werden wir im nächsten Jahr Meister.“ Und tatsächlich: Der deutsche Meister 1977 heißt Dankersen. Den darauffolgenden Titel eines deutschen Meisters wird der VfL erst 1982 gewinnen. Hansi hinterlässt eine Lücke, die nicht nahtlos geschlossen werden kann. Von 1967 bis 1971 wird Hansi fünfmal hintereinander Bundesliga-Torschützenkönig. 1972 und 1973 belegt er den zweiten und 1974 den dritten Rang in der Torjägerliste. 1975 ist er zweitbester Schütze mit einem Tor Rückstand auf den späteren Bundestrainer Simon Schobel, der 122 Treffer erzielt. 1976 belegt er den 18. Rang in der Torjägerliste mit 65 Treffern. Hansi verlässt den VfL nicht, weil ihn die Zuschauer wegen schwacher Leistungen ausbuhen, sondern als Leistungsträger einer mit ihm immer noch erfolgreichen Mannschaft. Er bestimmt den Ausstieg selbst. Fünfmal steht Gummersbach in der Liste der Gewinner des Europapokals der Landesmeister. Bei vier Erfolgen ist Hansi Schmidt dabei. Die Spiele mit dem VfL in der ausverkauften Westfalenhalle in Dortmund vor fast 15000 Zuschauern sind manchem alten Handballliebhaber noch in guter Erinnerung. Es sind Erfolge, die für sich sprechen. Hansis Leistungen haben ihn zu einem der erfolgreichsten deutschen Sportler werden lassen. Er hat im Handball das geleistet, wozu ein Overath oder Beckenbauer im Fußball fähig waren. Hansi Schmidt spielt 18mal für Rumänien. In 98 Länderspielen für Deutschland wirft er 484 Tore. In der Bundesliga trifft er mehr als tausendmal. Er ist nicht nur der Superstar der 60er und 70er Jahre, sondern auch ein Unbequemer, der seine Meinung sagt und sich mit
90 Trainern und Funktionären anlegt. Der inzwischen zur Legende gewordene Weltklassespieler hat seinen Wert gekannt und auch das eine oder andere Mal seinen Willen durchgesetzt. Deshalb ist er auch noch heute für manch einen eine Reizfigur. Dass sich andere seinem Spiel anpassen mussten, liegt auf der Hand. Das wäre auch in Bukarest nicht anders gewesen. Manche behaupten, sie hätten für ihn spielen müssen. Hansi Schmidt war nicht nur Schütze vom Dienst, sondern hat auch das Spiel des VfL gemacht, wovon andere Spieler wieder profitiert haben. Hansis größte Widersacher, die in seinem langen Schatten Meister und Europapokalsieger geworden sind, dreschen auch heute noch auf ihn ein. Sie lassen dazu kaum eine Gelegenheit aus, obwohl oder weil sie wissen, dass er darauf nicht eingeht. Ihnen ist noch immer unerträglich, dass sie sich Hansis Spiel unterordnen mussten. Sie haben es noch immer nicht verdaut, dass der Mann, der fast bis zum Ende seiner Karriere beim VfL Gummersbach auf die Kapitänsbinde verzichtet hat, nicht nach ihrer Pfeife getanzt hat. Hansi Schmidt ist im Besitz einer Autogrammkarte seines ehemaligen Mannschaftskollegen Gheorghe Gruia von Steaua Bukarest. Der Halbrechte, der mit Rumänien Weltmeister und mit seinem Klub EuropapokalSieger geworden ist, schreibt darauf in typisch südländischer Art: „Damit Du es weißt. Sie hätten Dich gebraucht. Ich küsse Dich.“ Diese beiden Klasseleute hätte der Präsident des Rumänischen Handball-Verbandes, Johnny Kunst-Ghermanescu, gerne über das Jahr 1963 hinaus in der Mannschaft des Bukarester Armeesportklubs Steaua spielen sehen. Mit Hansi und Gruia wäre diese fast unschlagbar gewesen. Doch weil es anders kommt, ist aus Europapokal-Spielen einmal der eine, das andere Mal der zweite als Sieger vom Platz gegangen. Und deshalb hat keiner Hansis Flucht mehr bereut als Kunst. Am Rande eines Interviews im Sommer 1974 sagt Kunst: „Wenn dieser Schmidt nicht durchgebrannt wäre, hätten wir die Weltmeisterschaft 1967 in Schweden nie verloren.“
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Im Geißbockheim, dem Klubhaus des 1. FC Köln, stellen Hansi Schmidt und Wolfgang Overath das Buch vor. Foto: Uli Bauer Die Flucht 1963 verzeiht Johnny Kunst seinem Schüler nie. Es ist reine Spekulation zu behaupten, der VfL Gummersbach wäre auch ohne Hansi Schmidt in die Weltklasse vorgestoßen. Tatsache ist, dass der VfL mit Hansi Schmidt in der Handballwelt und ein wenig darüber hinaus bekannt geworden ist. Das untermauert auch Johnny Kunst, wenn er 1978 als Präsident der Trainer- und Methodikkommission der Internationalen Handball-Föderation schreibt: „Der internationale Handball kann von dem Namen VfL Gummersbach nicht getrennt werden… Der deutsche Handball hat von der Existenz des VfL Gummersbach viel Nutzen gezogen. Der europäische Handball wäre nicht so fortgeschritten, hätte es keinen VfL Gummersbach gegeben.“ Johnny Kunst weiter: „Die internationalen Erfolge dieser Mannschaft können nicht vom Namen Eugen Haas getrennt werden…“ Seinen ehemaligen Schüler Hansi Schmidt erwähnt er allerdings nicht. Das darf und will er auch nicht. Hansi
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Das Buch kann bezogen werden direkt beim Verlag Gilde & Köster, Am Wassergraben 2, 53842 Troisdorf, Telefon: 0175/6094431 und 02246/2166 oder 02246/168655, E-Mail: verlaggilde@web.de. Preis 19,90 Euro plus 2,10 Euro Versand ISBN 3-00-016717-X Schmidt hat ihm mit seiner Flucht geschadet, aber dem VfL zu Ruhm verholfen. Von diesem Ruhm, aber auch von Niederlagen eines Superstars handelt die vorliegende Biographie. Sie will dem Leser vor Augen führen, welchen Preis ein Spitzensportler für den Erfolg zahlen muss, was er nach gewonnenem Abstand denkt, wie seine Familie empfindet. Das Geleitwort stammt aus Hans-Dietrich Genschers Feder. Ein Dutzend Zeugen und Wegbegleiter kommen zusätzlich in gesonderten Beiträgen zu Wort: Vlado Stenzel, ehemalige Handballer, darunter Bernd Munck, Klaus Kater, Josef Jakob und Roland Gunnesch, Studienkollegen, der Fernsehjournalist Herbert Kranz, seinerzeit Vorsitzender der Technischen Kommission des Deutschen Handball-Bundes, die Frau, die Söhne und die Schwester.
Handball-Geschichte Was hier zusammengetragen wurde, ist nicht nur die Geschichte eines großen Sportlers, sondern zu einem guten Teil die des VfL Gummersbach und somit auch ein Teil der deutschen Handballgeschichte. Die Deckel dieses Buches sind bewusst blau-weiß gehalten. Die Hansi-Schmidt-Story wird erzählt in engem Zusammenhang mit der deutsch-habsburgisch-europäischen Geschichte. Der geschichtliche Teil führt dem Leser vor Augen, warum selbst ein verhätschelter Spitzensportler in den 60er Jahren seiner Heimat den Rük-
92 ken kehrt und einen Neuanfang im freien Westen wagt. Warum er das hinter sich lässt, was seine Vorfahren in Lenauheim und Marienfeld in mehr als 200 Jahren geschaffen haben. Im Anhang des Buches sind enthalten: Alle Ergebnisse des VfL in Hansi Schmidts Zeit; die Abschlusstabellen, die Torschützenlisten für jene Jahre, die in keiner heutigen Statistik zu finden sind. Was heute im Internet oder anderswo steht, beginnt mit der eingleisigen Bundesliga 1977.
Leseprobe aus der Schmidt-Biographie Hans Steiner Sonne über Marienfeld s war ein wunderschöner Herbsttag, der 24. September 1942. Viktoria Junker erinnert sich noch genau. Über dem Südosten der Pannonischen Tiefebene steht die Sonne. Ihre Strahlen wärmen die Banater Heide aber noch genau so gut wie im Spätsommer. Rund um Marienfeld ernten die Bauern den ersten Mais und die ersten Zuckerrüben. Der Hanf und die Kartoffeln sind eingebracht. Mit der Weinlese warten sie noch ein wenig. Die Trauben sollen noch etwas reifen. (…) Mehr als ein Jahr kämpft die rumänische Armee nun schon in den Weiten Russlands, auch Dr. Hans Schmidt ist seit Anfang 1942 als Offizier in der Nachhut dabei. Seine Truppe liegt vor Odessa. Im Haus Nummer 741 in der Hintergasse in Marienfeld hat sich ein freudiges Ereignis angekündigt: Rosa, die Frau des Arztes Hans Schmidt, erwartet ihr zweites Kind. Es hat sich angesagt. (…) Der 24. September 1942 wird im Hause Schmidt ein langer Tag. Rosa muss sich gedulden. (…) Erst um 23.30 Uhr ist der Stammhalter Hans-Günther da, den alle Hansi rufen werden. Mit Verspätung ist er gekommen. Verspätung soll noch so etwas wie ein Markenzeichen des Neugeborenen werden. Fünf bis zehn Minuten werden Hansi Schmidt ein ganzes Leben lang zur Pünktlichkeit fehlen. Hansi ist schon als Neugeborener ein Mordskerl.
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Die in der Banater Hauptstadt erscheinende gleichgeschaltete „Südostdeutsche Tageszeitung“, die kurz vorher die fast hundert Jahre alte liberale „Temesvarer Zeitung“ abgelöst hat, macht an diesem 24. September die Titelseite auf mit dem Bericht „Angriffe im Kaukasus-Gebiet fortgesetzt“. In der Unterzeile heißt es: „Trotz hartnäckiger Gegenwehr weiterer Raumgewinn im Zentrum von Stalingrad“.(…) Im Thalia-Kino in Temesvar wird der Film „Hitlerjunge Quex“ mit Heinrich George gezeigt. Das Capitol-Kino hat „das äußerst gelungene“ Lustspiel „Der Florentiner Hut“ mit Heinz Rühmann und Herti Kirchner auf dem Programm stehen. (…) Der Vater der Brüder Hans und Sepp Schmidt wird am 16. Mai 1884 in Tschatad geboren, das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich-Ungarn gehört und 1920 zu Ehren des Dichters Nikolaus Lenau in Lenauheim umbenannt wird. Der Metzgermeister Johann Schmidt und seine Frau Elisabeth geborene Wilhelm, die im ebenfalls in der Banater Heide gelegenen Klein-Jetscha zur Welt kommt, bringen es zu beachtlichem Wohlstand. Sie mästen jährlich an die 1500 Schweine. Was nicht in der eigenen Fleischerei verarbeitet werden kann, wird verkauft. Die Lieferungen gehen bis nach Wien. Elisabeth und Johann Schmidt können es sich leisten, ihre Söhne in Österreich studieren zu
Handball-Geschichte lassen: Hans Medizin, Sepp Tiermedizin. Lothringer Wurzeln Die Vorfahren der Lenauheimer Schmidts stammen aus Lothringen. Zu den Neusiedlern, die sich 1767 im neu gegründeten Tschatad niederlassen, gehört auch Christian Schmidt aus dem lothringischen Wirmingen, das zum Kreis Chateau-Salins und dem Kanton Albesdorf gehört. Er ist Hansis Ururururgroßvater. (…) Hansis Großvater mütterlicherseits, Ernest Günther, (…) gehört zu den reichsten Landwirten in Marienfeld. Er und seine Frau sind Eigentümer von 50 Hektar sehr ertragreichem Boden, etwas mehr als die Hälfte mit Weinreben bepflanzt. (…) Kein Winzer im Dorf hat einen größeren Weinkeller als Ernest Günther… Von den Großeltern lernt Hansi Schmidt lediglich Oma Katharina kennen. Sie wird in der frühen Kindheit eine seiner wichtigsten Bezugspersonen sein. 1951 werden die Kommunisten sie in die Donautiefebene, unweit des Schwarzen Meeres, verbannen. Im September 1944 holt die Geschichte die Marienfelder ein. Auch Rosa Schmidt und ihre Mutter Katharina Günther packen die wichtigsten Sachen auf einen Pferdewagen und begeben sich im Schutz des deutschen Militärs nach Westen. (…) Sie gelangen nach Sieghartskirchen bei Wien, wo sie bis im Frühjahr 1945 bleiben. Als sich die Sowjetarmee Wien nähert, begeben sie sich wieder auf die Flucht. Doch sie haben keinen Wagen mehr, und von den vier Pferden ist nur noch Tante Reinleins Norma übrig. Viktorias Mutter gelingt es mit viel Geschick, einen Kälbertransportwagen zu kaufen. Darauf finden die drei Kinder Helga, Hansi und Helmut und der behinderte Onkel Friedel Platz. Sie spannen Norma davor. Viktoria Junker lenkt das Pferd und bremst, Rosa Schmidt schiebt den Wagen. Die anderen müssen gehen. Donauaufwärts geht es bis nach Eggenfelden in Bayern. (…) Am 2. September 1945 sind Helga, Hansi und Rosa Schmidt mit Uroma, Oma, Onkel, Tante Reinlein, Tante Viktoria und Vetter Helmut Junker in Eggenfelden mit einem 80 Waggon langen Zug abgefahren, und am 16.
93 September 1945 sind sie in Marienfeld. (…) Den dritten Geburtstag wird der kleine Hansi genau wie den zweiten zu Hause in Marienfeld feiern. Mit elf Jahren, wir schreiben das Jahr 1954, steht der großgewachsene, kräftige Hansi schon in der zweiten Marienfelder Handballmannschaft. Sein Entdecker und Förderer ist Turn- und Klassenlehrer Nikolaus Schreyer. (…) Mit der zweiten Marienfelder Mannschaft tritt Hansi als Elfjähriger eines Tages im benachbarten Tschanad an und verliert 1:17. Das Spiel läuft an Hansi vorbei, ein junger Mann namens Mischi, er ist 18, erzielt den Marienfelder Ehrentreffer. Und trotz der haushohen Niederlage hört er prophetische Worte. Der Tschanader Dorfwirt sagt zu Hansi: „Aus dir wird einmal ein ganz Großer.“ An diesen Satz des unbekannten Mannes wird sich Hansi immer wieder erinnern. Ja, er wird ihn sogar zu besseren Leistungen anspornen. Mit zwölf rückt Hansi in die erste Marienfelder Mannschaft auf. (…) 1956, im Jahr als seine Oma aus der Verbannung heimkehrt, kommt Hansi nach Temesvar aufs Gymnasium. Am wichtigsten für seine Zukunft ist Turnlehrer Adam Fischer aus Triebswetter. Bei Adam Fischer kommt Hansi mit dem Hallen- und Kleinfeldhandball in Berührung. (…) Juniorenlandesmeister Als Gymnasiast spielt Hansi Schmidt sowohl in der Mannschaft des Josefstädter Gymnasiums als auch im örtlichen Schülersportklub Banatul. 1959 erringt er seinen ersten nennenswerten Erfolg. Mit dem Temesvarer Schülersportklub Banatul gewinnt er den von der Bukarester Zeitung Sportul Popular veranstalteten Wettbewerb, eine inoffizielle Landesmeisterschaft für Juniorenmannschaften in der Halle. Das Finale in der ausverkauften Bukarester Floreasca-Halle ist eines der schönsten Erlebnisse Hansis. Die Temesvarer Mannschaft um Hansi geht am 15. März 1959 als krasser Außenseiter in die Begegnung. (…) Doch die Mannschaft kämpft hervorragend und setzt sich gegen den Bukarester Schülersportklub durch. Die Bukarester deutsche Zeitung Neuer Weg
Handball-Geschichte schreibt: „Nach einem dramatischen Spiel, das die Zuschauer begeisterte, siegten die Temesvarer knapp mit 19:17 (10:9)…“ Der Erfolg wird in Temesvar zum Stadtgespräch. Das Foto der siegreichen Mannschaft hängt jahrelang in einem Schaufenster der alten Sporthalle, der ehemaligen Reithalle aus Kaisers Zeiten. Es wird 1963 entfernt, nachdem sich Hansi in der Bundesrepublik abgesetzt hat. Es landet auf dem Müll, doch Hansis Mannschaftskollege Edwin Sauer rettet es. (…) Hansi will eigentlich Leichtathlet werden. Professor Cornel Iovanescu prophezeit, Hansi werde der erste Mann sein, der den Speer über 80 Meter wirft. (…) Die Leichtathletikkarriere des Hansi Schmidt hat aber kaum begonnen, so ist sie auch schon zu Ende. 1958 kugelt sich Hansi die rechte Schulter beim Handballspiel aus. Zwei Gegenspieler hängen an seinem Arm. Einen hätte er geschafft, der zweite ist zu viel. Er muss eine dreimonatige Trainingspause einlegen. (…). Eine neue Wurftechnik Die Schulterverletzung zwingt ihn, den linken Arm zu trainieren und anschließend mit Rechts eine neue Wurftechnik zu entwickeln: Es entsteht der verzögerte Sprungwurf, den ihm wenige Spieler in der Perfektion nachmachen können. Weil er mit beiden Händen werfen kann, ist er für Torsteher noch viel unberechenbarer als andere Spitzenhandballer. Hansi erinnert sich noch gern an ein Spiel gegen TuS Wellinghofen, in dem er mit 16 Toren seinen eigenen Bundesligarekord von 13 Treffern verbessert. Vier der 16 Tore wirft er mit Links. (…) Mit 17 wechselt Hansi 1959 zum Erstligisten Stiinta Temesvar. Hansi ist noch Gymnasiast. Das erste Spiel im Trikot des Temesvarer Studentenklubs bestreitet Hansi gegen den Lokalrivalen Technometal, in dessen Reihen die ehemaligen Fischer-Zöglinge Ernst Pflanzer und Hans Neusatz stehen. Stiinta Temesvar spielt zum ersten Mal ohne den Weltklassemann Hans Moser, der eben zu Dinamo Bukarest gewechselt ist. Hansi soll die entstandene Lücke im Rückraum schließen. Das Spiel gegen Technometal entschei-
94 det Hansis Stundententeam mit 19:18 für sich. Obwohl Pflanzer und Neusatz ihn in Manndeckung nehmen, erzielt Hansi 18 Tore. Ein Erstliga-Einsatz nach Maß, erinnert sich sein ehemaliger Mitspieler Hjalmar Sauer. „Das Spiel war ein reines Vergnügen“, sagt Hansi heute, „Ich habe getroffen wie selten zuvor.“ Die Handballanhänger in Temesvar sind begeistert. Mosers Nachfolger auf der Königsposition ist gefunden. (…) Mit Stiinta Temesvar erringt Hansi den Titel eines rumänischen Vizemeisters 1961. Meister wird der Bukarester Polizeiklub Dinamo. Es ist ein Riesenerfolg angesichts der Übermacht der Bukarester Klubs. Platz drei belegt der Temesvarer Lokalrivale Technometal. (…) Im Herbst 1961 wechselt Hansi an die Sporthochschule Bukarest, wo er ein paar Monate für die Studentenmannschaft Stiinta spielen wird. Kaum ist er in Bukarest, hat Johnny Kunst, der Trainer des Bukarester Armeeklubs Steaua, ihn schon im Visier. Nach einem Spiel am 17. Dezember 1961 in der Bukarester Dinamo-Halle um den sogenannten Winterpokal, praktisch eine Hallenmeisterschaft, in der Hansi 14 Treffer gegen Steaua wirft, kommt Johnny Kunst auf ihn zu mit den Worten: „Ich hätte nicht gedacht, dass du uns allein besiegst.“ Johnny Kunst macht Hansi auch gleich das Angebot, den Klub zu wechseln. Unter vier Augen rät Kunst dem 19-Jährigen, er sollte einen Antrag ans Kriegsministerium stellen, dass er als ordentlicher Student für den Armeeklub spielen wolle. (…) Mit 18 wird Hansi zum ersten Mal in die rumänische Nationalmannschaft berufen. (…) Steaua und das Klubhaus in der StefanFurtuna-Straße in Bukarest sind Hansis zweites Zuhause. Er ist als 19-Jähriger auf sich allein gestellt, kann sich aber bei Steaua voll auf den Sport konzentrieren und dazu noch studieren. Der Armeeklub ist für ihn ein Riesengewinn und auch das Tor in die Freiheit. Die Freiheit ist etwas, was ihn nicht mehr los lässt. Auf das Glück muss man zugehen, sagt er sich. Deshalb ist er auch zum Armeeklub gewechselt. Für die Freiheit ist er bereit, alle
Handball-Geschichte Vorteile aufzugeben, die ihm der Sport beim Armeeklub in Bukarest bietet. (…) 1963 ist ein erfolgreiches Jahr für Hansi. Er erringt mit Steaua Bukarest in der letzten rumänischen Meisterschaft auf dem Großfeld den Vizemeistertitel und in der Halle den Meistertitel. Hansi ist Stammspieler in der Nationalmannschaft geworden. (…) Am 17. November 1963 heiratet Hansis Schwester daheim in Marienfeld. Trainer Johnny Kunst lässt ihn nicht zur Hochzeit fahren, obwohl er im bevorstehenden Spiel der Nationalmannschaft nicht eingesetzt werden kann. Hansi hat sich einen Finger verletzt. Das ist ein weiteres Erlebnis, das ihn in dem Vorhaben bestärkt, Rumänien den Rücken zu kehren. Einige Tage nach der Hochzeit der Schwester, am 23. November 1963, soll die rumänische Studentenauswahl unter dem Namen Stiinta Bukarest zu einer Deutschland-Tournee aufbrechen. Doch am 22. November beginnt das große Zittern. Die Tournee wird in Frage gestellt, als die Nachricht von der Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy (1917-1963) durchkommt. Hansi hat schon alles gepackt. In seinem Koffer ist auch ein Fläschchen mit Bukarester Wasser, das er auch heute noch ungeöffnet aufbewahrt. Den Rumänen muss die Weltlage trotz des Mordes in Dallas nicht so gefährlich erscheinen, sie lassen die Mannschaft abfliegen. Hansi Schmidt, Valentin Samungi und Gheorghe Gruia sind als Verstärkung zur Studentenauswahl gestoßen. Die drei sind seit Monaten im Trainingslager mit der Nationalmannschaft, die sich für die HallenhandballWeltmeisterschaft 1964 in der Tschechoslowakei vorbereitet. Trainer der Studentenauswahl sind Johnny Kunst und Eugen Trofin. (…) Der 23. November 1963 ist ein trüber Samstag. Als Hansi und die rumänische Mannschaft in Hamburg landen, regnet es. Es ist der Tag, an dem der deutsche Fußballnationaltrainer Sepp Herberger nach dem 2:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen Schottland im Niedersachsenstadion in Hannover seinen Rücktritt zum Ende der Saison bekannt gibt. (…)
95 Hansi lernt in Hamburg Hermann Gajewski kennen. Es ist ein Handballbesessener, er ist der Mitorganisator des Spiels in Hamburg und der Begleiter der rumänischen Mannschaft. Gajewski setzt sich für den Hamburger Sportverein ein, der wieder eine Spitzenmannschaft formen möchte. Von Hamburg über Kiel, Essen und Rheinhausen geht es nach Köln. In jeder Stadt ist ein kleines Turnier angesetzt. Die rumänische Mannschaft geht in Essen und Köln als Sieger hervor und beendet die Deutschland-Tournee ungeschlagen. (…) Am Nachmittag des 30. November packt Hansi seinen Koffer, legt alles bereit für die Flucht, auch einen in Bukarest maßgeschneiderten grauen Mantel mit schwarzen Karos. Sein Zimmerkollege Gruia hält ein Nachmittagsschläfchen und merkt nichts. Für den Weg in die Sporthalle zieht Hansi einen leichten Plastikmantel an, wie er in jener Zeit Mode ist. In der Halle spricht Hansi kurz Hermann Gajewski, den Hamburger. Hansi fragt ihn, ob er ihm nach dem Spiel helfen kann, er könnte ihn vielleicht brauchen. Gajewski sagt ja. Die rumänischen Studenten gewinnen das Endspiel gegen den VfL Gummersbach. Trotz schlafloser Nächte bringt Hansi das Turnier mit sehr guten Leistungen zu Ende. Nach dem Finale treffen sich die vier Mannschaften im Schlachthofrestaurant in Köln-Ehrenfeld an der Liebig-Straße. Um 2 Uhr sollen die drei Nationalspieler Schmidt, Samungi und Gruia mit Trainer Johnny Kunst Richtung Bukarest starten, um zur Nationalmannschaft zu stoßen, der Rest der Mannschaft soll noch bleiben. Wieland Lassotta Nationaltrainer Johnny Kunst hat das Séparée der L-förmigen Gaststätte für die rumänische Mannschaft ausgesucht. Die anderen Mannschaften sitzen draußen im großen Saal. Durch den Séparée-Eingang hat der Bukarester Handball-Papst auch den Ausgang der Gaststätte im Blick. Hansi muss ständig den Raum verlassen, um Brotnachschub zu holen. In Rumänien wird fast zu allem Brot gegessen, wenn nicht Maisbrei serviert wird. An der Theke, die aus dem Séparée nicht zu sehen ist,
Handball-Geschichte steht Wieland Lassotta, der Torwart des HSV Köln-Bocklemünd, gegen den Stiinta Bukarest angetreten ist. Hansi fragt ihn, ob er mit dem Auto gekommen ist und ihn wegfahren kann. Der nickt. Die Mannschaft braucht kein Brot mehr, aber Samungi ein Ersatzteil für ein Tonbandgerät. Hansi ist wieder gefragt und geht zum letzten Mal aus dem Séparée. Samungi und Gruia bauen sich in der Tür des Séparées auf, damit Johnny Kunst nicht sehen kann, wenn er die Gaststätte verlässt. Lassotta folgt Hansi und fährt ihn ins Hotel der rumänischen Mannschaft. Hansi holt Koffer und Mantel, dann bittet er Lassotta, ihn in ein einfaches Hotel zu bringen. Es geht ins Hotel Vierbaum an der Stammstraße 8 in Köln-Ehrenfeld. In der Nacht plagen Hansi Zweifel, ob er das Richtige getan hat. (…) Während Johnny Kunst und Hansis beide Mannschaftskollegen ins Flugzeug Richtung Bukarest steigen, richtet sich Hansi auf eine unangenehme Nacht im Hotel Vierbaum ein. Die Rechnung des Hotels Vierbaum bewahrt Hansi noch immer auf. Unter „Rechnung für Herrn Schmidt“ steht: 1 Einzelzimmer 8,50. Mehr konnte und wollte er sich nicht leisten. Die Felder Bedienung, Frühstück, Bad und Telefongebühren sind frei gelassen. Fluchthelfer Wieland Lassotta ist am 27. Juli 1990 gestorben. Seine Frau Therese lebt noch in Köln. Um 10 Uhr kommt Gajewski ins Hotel mit der Nachricht, dass die Rumänen Detektive beauftragt hätten, Hansi zu finden. Gajewski bringt Hansi zu einem jungen Ehepaar, zu Marion und Hans Reiser in der Unteren Dorfstraße 60. Hermann Gajewski holt ihn dort um 16 Uhr ab. In einem Bus geht es nach Hamburg. (…) Im Hause Gajewski schläft Hansi im Wohnzimmer. Am letzten Sonntag im Dezember 1963 läutet das Telefon unaufhörlich bei Gajewski. Bis zu diesem Tag ist Hansi noch nie ans Telefon gegangen, aus Angst. An diesem Morgen hebt er den Telefonhörer im Wohnzimmer auf, weil keiner sonst in der Nähe ist, weder der Hausherr, noch sein Sohn Peter oder Gajewskis Frau. Der Anrufer stellt sich
96 mit Schmidt vor und spricht rumänisch. Das hat Hansi noch gefehlt. Sein erster Gedanke: Jetzt haben sie mich. Der Mann am anderen Ende der Leitung meint, Hansi mit Rumänisch beeindrucken zu können. Der hat aber kaum Zeit, weiter zu sprechen, ihm wird der Hörer aus der Hand gerissen: Jetzt meldet sich Bubi Wolf, den Hansi von der StudentenWeltmeisterschaft in Schweden her kennt. (…) Bubi Wolf teilt Hansi mit, er will ihn in Hamburg abholen. Wolf kommt, Gajewski ist nicht begeistert. Er sieht seine Felle fortschwimmen. Der Winter hat Deutschland fest im Griff. Hansi und Bubi Wolf fahren auf der eisglatten Straße bis Hannover. Dort lässt Wolf den Wagen bei seinen Eltern stehen. Die beiden gelangen mit dem Zug nach Hagen, wo Eugen Haas sie schon erwartet und in seinem alten Mercedes Diesel mitnimmt. Im Auto sagt Hansi zu Haas: Fahren Sie bitte etwas weiter rechts. Haas will wissen, warum. Worauf Hansi antwortet, ein Radfahrer will uns überholen. Hansi weiß heute nicht mehr, ob er das tatsächlich gesagt hat, jedenfalls wird Eugen Haas diese Geschichte jahrelang immer wieder zum besten geben. Haas soll an dem Tag sehr langsam gefahren sein. Was Hansi beeindruckt, sind die vielen Lichter am Straßenrand. Er staunt, weil er nicht weiß, dass es auch Begrenzungspfähle mit Leuchten gibt. Später wird ihm ein Licht aufgehen. Den Glücksgriff, den Eugen Haas mit Hansis Verpflichtung macht, wird der Hamburger Handball-Nationaltorwart Hans-Jürgen Bode so ausdrücken: „Der Verein, in dem Hansi spielt, wird deutscher Meister.“ (…) Hansi kommt mit Haas und Wolf am 30. Dezember 1963 in Gummersbach an. Es ist ein Montag. Das Oberbergische Land ist eingeschneit. Nach dem Besuch in der Firma geht es zu Eugen Haas ins Jägerhaus nach Wildbergerhütte, Heimat des VfL-Bosses. Heute gibt es den Ort nicht mehr, weil dort eine Talsperre das Wasser der Wiehl zum See staut. Dabei ist auch VfL-Trainer Dr. Horst Dreischang (1921-1997). Familie Haas nimmt Hansi liebevoll auf …
Handball-Geschichte Die Silvesterfeier findet am nächsten Tag im Hause Haas statt. Dabei sind Meta, Eugen, Gisela, Martha und Hartmut Haas, ferner Käte und Alfred Demant, Christa, Horst und Roland Dreischang, Günter Raabe, Dieter Gerold. Sie alle haben sich in Hansis Tagebuch eingetragen, auf der ersten Seite, die das Datum 1. Januar 1964 trägt. Das Jahr beginnt im Jägerhaus, hält Hansi fest. Doch Hansi ist es nicht so recht zum Feiern zumute. Er ist erst 21 Jahre alt, ist zwar liebevoll aufgenommen worden, er sieht aber kein vertrautes Gesicht, alles ist fremd, er weiß nicht, wie seine Zukunft aussehen wird. Die versammelte Gesellschaft versucht, ihm über die schweren Momente hinwegzuhelfen. Am Neujahrstag macht Haas, der Hansi sofort das Du anbietet, Nägel mit Köpfen. Haas fährt in seinem alten Mercedes mit Hansi nach Hamburg zu Gajewski, um seine Sachen abzuholen. (…) Haas bringt Hansi in seinem Jägerhaus in Wildbergerhütte unter. Er quetscht in das Zimmer des 14-jährigen Hartmut Haas ein zweites Bett für Hansi. Das Zimmer unter dem Dach ist vorerst seine Bleibe. (…) Eugen Haas hat gerufen, und Hansi ist gekommen. Hansi weiß als Flüchtling nicht so recht, wo er einen Neuanfang wagen soll. Er hätte auch nach Göppingen gehen können. Doch er wollte wegen der Sporthochschule in der Nähe von Köln bleiben. Er vertraut Eugen Haas und geht nach Gummersbach, um in einer unbekannten Mannschaft Handball zu spielen. Hätte ein einheimischer Spitzenspieler das getan? Als Haas mit Trainer Dr. Horst Dreischang und Hansi die ersten großen Erfolge eingefahren und Gummersbach weltbekannt gemacht haben, ist es ein Leichtes, Leute wie Joachim Deckarm oder Erhard Wunderlich für den VfL zu begeistern. Und ohne Rückraumspieler wie Hansi ist in jenen Jahren nichts zu gewinnen, da konnten die anderen in der Mannschaft noch so gut sein. Ohne einen wurfgewaltigen Spieler kann eine Mannschaft in den 60er Jahren nicht einmal einen Blumentopf gewinnen. Der VfL und seine Spieler konnten nur mit Hansi erfolgreich werden, ohne ihn wären sie Mittelmaß, zum Teil Unbekannte geblieben. Ein Welt-
97 klassespieler kommt ohne Klassespieler nicht aus, um erfolgreich zu sein. Klassespieler allein können eine Mannschaft nicht zur erfolgreichsten der Welt machen. Und so gesehen, dürfte sich auch die Frage erübrigen, wer für wen in Gummersbach zu spielen hatte oder konnte. Sicher gehören zu einer Spitzenmannschaft auch eine gute Abwehr, gute Kreisläufer und Flügelstürmer, aber auch gute Torsteher. Aber erfolgreich sind im Handball der 60er und 70er Jahre nur die, die einen Superstar in ihren Reihen haben. Gummersbach hat ihn in Hansi, ihm kann damals in Deutschland, wo der Feldhandball noch dominiert, keiner das Wasser reichen. Manch einer seiner Wegbegleiter wäre nie ohne ihn auf ein Siegerpodest gestiegen, er hätte nur vom Meistertitel träumen können. Hansis größte Widersacher, die in seinem langen Schatten Meister und Europapokalsieger geworden sind, dreschen auch heute noch auf ihn ein. Sie lassen dazu kaum eine Gelegenheit aus, obwohl oder weil sie wissen, dass er darauf nicht eingeht. Ihnen ist noch immer unerträglich, dass sie sich Hansis Spiel unterordnen mussten. Sie haben es noch immer nicht verdaut, dass der Mann, der fast bis zum Ende seiner Karriere beim VfL Gummersbach auf die Kapitänsbinde verzichtet hat, nicht nach ihrer Pfeife getanzt hat. (…) Als Hansi in Gummersbach ankommt, hat der bundesdeutsche Handball den schon mit Volldampf in Richtung Halle fahrenden Zug verpasst. In Gummersbach erkennt Eugen Haas jedoch die Zeichen der Zeit. Dr. Horst Dreischang, der 1956 aus Greifswald in den Westen gekommen ist, betrachtet die Großfeldsaison als gute Vorbereitung auf die Hallenmeisterschaft. Auf dem Großfeld wird der VfL keine Bäume ausreißen. (…) Dreischang hat einen sehr großen Anteil am kometenhaften Aufstieg des VfL. Zusammen mit ihm führt Hansi das ein, was schon längst im Ostblock die Regel ist, was er von seinen Lehrern in Temesvar und Bukarest gelernt hat. Hansi pfropft dem VfL-Spiel einen Teil der rumänischen Handballschule auf. Im Juli 1964, ein halbes Jahr nach Hansis Flucht, stellt sich der erste Erfolg ein. Hansi
Handball-Geschichte wird mit dem VfL auf dem Großfeld westdeutscher Meister. (…) Am 4. September 1965 beschließt der Erweiterte Vorstand des Deutschen HandballBundes einstimmig, eine oberste Spielklasse für die Meisterschaft in der Halle und auf dem Feld unter der Bezeichnung Bundesliga einzuführen. (…) Mit Hansi zur deutschen Meisterschaft Anfang Februar 1966, nur zwei Wochen nach dem Aufstieg in die Bundesliga, der erste Titelgewinn mit Hansi in der Halle: Vor 12000 Zuschauern in der Westfalenhalle wird der VfL Gummersbach westdeutscher Meister. Im Turnier 1966 wird die letzte Begegnung zwischen dem VfL Gummersbach und Wellinghofen zum alles entscheidenden Spiel. Der vermeintliche Rivale Grün-Weiß Dankersen hat in diesem Turnier nichts zu bestellen. Von den 22 Gummersbacher Toren in dieser Endrunde erzielt Hansi Schmidt 17, einige Siebenmeter, der Großteil aber aus der zweiten Reihe hochaufspringend, über die Köpfe der Gegner hinweg haargenau in die Torecken zielend. (…) Der 26. März 1966 ist der große Tag des VfL. Tausende treten an diesem Samstag mit dem Zug die Reise nach Essen an. Hansi und der VfL kommen zum ersten Mal ganz groß heraus. Hansi führt die Mannschaft zum ersten deutschen Meistertitel. Im Endspiel gegen Leutershausen läuft es anfangs nicht meisterhaft. (…) In der Pause: nachdenkliche Mienen, lange Gesichter in der Riesenkolonie der oberbergischen Schlachtenbummler. (…) Aber … die Gummersbacher Spieler glauben noch an den Sieg. Das zeigt sich schon bald. Nach dem 6:8 trifft Hansi besser. Sein nächster Sprungwurf jedoch klatscht gegen die Latte. Aber das kann den Riesen im blau-weißen Trikot mit der Nummer 9 nicht beeindrucken. Er kämpft weiter, wirft das siebte Tor, und auch das achte. Die Uhr zeigt die 47. Minute. Zum ersten Mal ist Gleichstand: 8:8. (…) Als Hansi zehn Minuten vor Schluss das 10:9 gelingt, sind die Gummersbacher nicht mehr zu halten. Sie steigern sich in einen wahren Rausch und kämpfen die mehr und
98 mehr nachlassenden Süddeutschen regelrecht nieder. (…) 14:9 für Gummersbach zum Schluss. Sieben Tore hat Hansi Schmidt zu diesem Erfolg beigesteuert. Diese zwei Zentner Kraft und Moral haben auch dieses Finale entschieden. Die Gummersbacher sind verdient Meister geworden, der unbestrittene Höhepunkt in der bisherigen Vereinsgeschichte. Hansi Schmidt und seine Mannschaftskameraden haben die SG Leutershausen auf die Verliererstraße geschickt. Die Freude schäumt über. Die ersten Gratulanten bringen vor Rührung kaum ihre Glückwünsche an den Mann. Schlachtenbummler liegen sich freudentrunken in den Armen. Derweil knallen im Oberbergischen die ersten Böller. (…) Gummersbach rüstet sich zu einer langen Nacht, zum Empfang seines ersten deutschen Handballmeisters. (…) Erster Doppelerfolg Mit der neuen Saison 1966/1967 bricht für den VfL auch das Europapokal-Zeitalter an. (…) Das erste Finale der neuen, zweigeteilten Bundesliga wird zu einer einseitigen Sache. In der mit 8000 Besuchern besetzten Dortmunder Westfalenhalle besiegt der amtierende deutsche Meister VfL Gummersbach den Ersten der Südstaffel, den TV Hochdorf, mit 23:7. (…) Der neue und alte Meister kann 1967 eine Mannschaft präsentieren, der kein westeuropäisches Team das Wasser reichen kann. Im Angriff ist Hansi ein Ass. Mit seinen nicht zu überbietenden Sprungwürfen entfacht er Begeisterungsstürme auf den Rängen. Hansi steht in diesem Finale wiederholt förmlich in der Luft, hält den zu großer Form auflaufenden Torwart Becker zum Narren und wirft mit geradezu unwahrscheinlicher Präzision ins Tor. (…) Und dann der 28. April 1967: Der zweifache deutsche Hallenhandballmeister VfL feiert seinen bis dahin größten Triumph. Der VfL Gummersbach ist nach dem verdienten 17:13-Erfolg über die Weltklassemannschaft von Dukla Prag im Hexenkessel der Dortmunder Westfalenhalle Europapokalsieger
Handball-Geschichte
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Sobald die Spieler des VfL Gummersbach in den 1960er Jahren auf dem Parkett standen, zogen sie stets an einem Strang der Landesmeister geworden. In diesem 7. offiziellen Europapokal-Endspiel der Landesmeister wächst der VfL Gummersbach über sich hinaus. Die 15000 Zuschauer treiben die Blau-Weißen zum Sieg. (…) Das Spiel am 28. April in der Westfalenhalle gilt als „Finale der Superlative“ im internationalen Handballsport, es ist das größte Handballereignis 1967 nach der Weltmeisterschaft in Schweden. (…) Im Finale um die 20. deutsche Hallenmeisterschaft stehen sich 1969 wie im Vorjahr der VfL und Leutershausen gegenüber. Die beiden Mannschaften sind zum dritten Mal Finalgegner. (…) Mit einer eindrucksvollen Leistung nimmt Gummersbach im Finale gegen Leutershausen Revanche für die herbe 13:20-Endspielniederlage von Böblingen im Vorjahr und wird zum dritten Mal deutscher Meister. 12700 Zuschauer feiern in der Westfalenhalle einen VfL Gummersbach, der mit einem 21:13 (9:5) über die SG Leutershausen triumphiert. Es ist ein Sieg der Kameradschaft, ein Erfolg der Intelligenz, heißt es in der Kölnischen Rundschau. „Schnell, klug, konsequent, das war Gummersbach.“ Erstmals wird im Winter 1969/1970 die deutsche Meisterschaft der Männer nach einem neuen Modus bestritten. Die Tabellenzweiten beider Staffeln bekommen Gelegen-
heit, in den Kampf um den Meistertitel einzugreifen. Das bedeutet in der Weihnachtszeit volle Häuser und viel Geld für das Endrundenquartett: Titelverteidiger VfL Gummersbach, Südstaffelsieger Frisch Auf Göppingen, SG Leutershausen und Hamburger SV. Das 2l. Endspiel um die deutsche Hallenhandballmeisterschaft der Männer am Freitag, 2. Januar 1970, in der Frankfurter Festhalle hat einen ganz attraktiven Anstrich mit der „großen Nummer“ VfL Gummersbach gegen Frisch Auf Göppingen, es ist das Duell der Europapokalsieger. (…) Der VfL sucht den offenen Schlagabtausch und geht in einer hektischen Schlacht, die nicht mehr an den einst so schönen Hallenhandball erinnert, mit fliegenden Fahnen unter. (…) Endstand 22:18. (…) Wiedersehen in Bukarest Einmal muss es ja kommen. Eines Tages muss Hansi zurückkehren nach Bukarest, wo er am 23. November 1963 ins Flugzeug gestiegen und in die Freiheit geflogen ist. Ausgerechnet Steaua Bukarest, sein ehemaliger Klub, ist VfL-Gegner im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister 1970. Für Hansi ist dieses Spiel ein besonderes Erlebnis, er tritt gut sechs Jahre nach seiner Flucht zum ersten Mal in Bukarest an. (…) Ein wenig Angst hat Hansi vor seinem ersten Besuch in Bukarest: Wie werden die Zu-
Handball-Geschichte schauer ihn aufnehmen? Werden sie ihn auspfeifen? Das sind Fragen, die ihn vor dem schweren Europa-Pokalspiel bewegen. In der Floreasca-Halle gibt es ein freudiges Wiedersehen mit Dieter Christenau, mit dem er schon in Temesvarer Zeiten rumänischer Juniorenlandesmeister in derselben Halle wurde, in der jetzt das Halbfinalspiel angesetzt ist. Ferner mit seinen Freunden Josef Jakob und Gheorghe Gruia, aber auch mit einer Reihe von anderen Steaua-Akteuren, mit denen er seinerzeit zusammengespielt hat. All seine Befürchtungen sind umsonst: Selbst in der Halle wird Hansi freundlich empfangen. Ein Unteroffizier der rumänischen Armee ist so erfreut, dass er mit Tränen in den Augen während des Aufwärmens auf dem Spielfeld auf Hansi zugeht und ihn umarmt. „Ich hoffe, ihm ist deswegen nichts Böses widerfahren“, sagt Hansi heute. Im Hexenkessel der mit fast 3000 johlenden und pfeifenden Zuschauern voll besetzten Bukarester Floreasca-Halle unterliegt der VfL dem Pokalverteidiger Steaua mit 13:16 (9:9). (…) Im Rückspiel vor 12500 leidenschaftlich mitgehenden Zuschauern in der Westfalenhalle überrennt der VfL Steaua Bukarest und qualifiziert sich mit einem eindrucksvollen Auftritt fürs EC-Endspiel gegen Dynamo Ostberlin. Mit dem 15:8 (10:2) gegen den Bukarester Armeeklub erreichen die BlauWeißen zum zweiten Mal das Finale des Hallenhandball-Europapokals. (…) Das Europapokal-Finale 1970 wird zu einem rein deutschen Duell: VfL Gummersbach gegen Dynamo Ostberlin. Kurz nach dem knapp verlorenen Spiel bei der Hallenhandball-Weltmeisterschaft gegen die DDR kommt es erneut zu einer deutsch-deutschen Begegnung, dieses Mal in einem Endspiel. Hansi Schmidt spricht noch heute von einer deutsch-deutschen Meisterschaft. In der Nacht vor dem Endspiel in der ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle am 14. April kann Hansi nicht schlafen. Er hat das erst vor kurzem gegen die DDR knapp verlorene Spiel bei der Weltmeisterschaft in Frankreich noch in guter Erinnerung. Und die
100 Mannschaft von Dynamo Ostberlin ist fast identisch mit der Nationalmannschaft der DDR. Hansi wälzt sich im Bett. Er überlegt, wie der Gegner am besten zu packen, zu überraschen ist. Nach reiflichen Überlegungen zieht er den Schluss, er muss sich in diesem Spiel etwas Außergewöhnliches einfallen lassen. Denn die Ostberliner Mannschaft kennt sein Spiel und wird sich bestimmt darauf einstellen. Die Überlegungen sind richtig. Hansi wird Dynamo am anderen Tag regelrecht „erschießen“, nicht mit seinen gefürchteten verzögerten Sprungwürfen, nein, mit Hüftwürfen. Er täuscht immer wieder Sprungwürfe an, zieht dann aber aus der Hüfte heraus ab. Die DDR-Spieler sind überrascht. Hansi wirft neun Tore zum 14:11 (8:5)-Sieg des VfL. Nach dem Spiel kommt der Ostberliner Kapitän Werner Senger auf Hansi zu und sagt in seinem Berliner Dialekt: „Hansi, det haste janz alleene jemacht.“ Ein dickes Kompliment nach einem der schönsten Siege. (…) Nach dem Weggang von Klaus Brand, Bernd Podak und Hans-Gerd Bölter nach Derschlag und von Helmut Kosmehl nach Fulda am Ende der Saison 1970/71 wendet sich Eugen Haas an Hansi mit den Worten: „Das muss deine stärkste Saison werden. Jetzt kannst du zeigen, was in dir steckt.“ Hansi enttäuscht den Handball-Abteilungsleiter nicht. Das waren die richtigen Worte. Das war sein angeborener pädagogischer Takt, dessen er sich gar nicht bewusst war, so Hansi. In diesem Jahr (1971) wird der VfL zum dritten Mal den Europapokal der Meister gewinnen. Und dann folgt eine Serie, die fast ohnegleichen ist: 1972 wird der VfL Vizemeister, von 1973 bis 1976 viermal in Folge deutscher Meister und 1974 wieder Europapokalsieger. Diese Siegesserie wird Nationaltorwart Bode zu der Aussage veranlassen: „Der Verein, in dem Hansi spielt, wird deutscher Meister.“ (…) 1971 gibt es eine Neuauflage des Zweikampfs der Torschützenkönige Hansi Schmidt und Gheorghe Gruia, ehemalige Freunde und Mannschaftskameraden bei Steaua Bukarest. Der Halblinke und der Halbrechte stehen sich am 2. April 1971 im Finale des Europapokals der Meister in der Dortmunder Westfalenhalle
Handball-Geschichte gegenüber. 14000 begeisterte Zuschauer erleben den knappen, aber verdienten 17:16 (7:6)-Erfolg des VfL Gummersbach über Steaua. Es ist die Wiedergeburt einer schon abgeschriebenen Mannschaft. Der VfL steigt auf wie Phönix aus der Asche. Mit diesem schwer erkämpften Sieg über die Handballstars des rumänischen Armeeklubs tragen sich die Gummersbacher als erste Mannschaft ein drittes Mal in die Liste der Gewinner der heißbegehrten Trophäe ein. Aber sie beweisen auch: Mit Einsatz, Kampfgeist und letzter Entschlossenheit kann man Berge versetzen. Die Kölnische Rundschau titelt: „Der große Sieg eines großen Teams. Das Husarenstück einer Mannschaft, deren Uhr abgelaufen schien. 17:16 über Steaua“. Der Reporter lobt vor allem Hansi: „Schmidt warf nicht nur neun Tore, er war auch in der Abwehr selten so wirkungsvoll wie am Freitag.“ Doch geprägt wird das dramatische Ringen von den großen Zweikämpfen der weltbesten Scharfschützen Schmidt und Gruia. Obwohl Hansi Schmidt, von Gatu hautnah gedeckt, das Duell der beiden Wurfgiganten mit vier Fehlversuchen beginnt, entscheidet er es eindeutig für sich. Am Ende stehen neun Treffer bei acht Fehlversuchen auf Hansis Konto. Gruia aber gelingen aus 18 Versuchen nur sechs Tore und vier Pfostentreffer. Spontan umarmt Gruia seinen Widersacher nach dem Abpfiff und meint: „Hansi, du bist doch der Größte.“ (…) Kampf der Giganten Die Deutsche Handballwoche weiter: „Steaua und der VfL bedurften ihrer Scharfschützen im großen Finale, die sechzig Minuten bestätigten die Ausnahmestellung von Gruia und Schmidt. Die Nebenspieler wurden mehr und mehr, was das Toreschießen anbelangt, in eine Statistenrolle gedrängt.“ Beide wuchten die Bälle aus der zweiten Reihe ins Tor. Gruia startet von rechts, ein wenig geduckt, dann nach vorn schnellend im fast schleichenden Gang eines Indianers. Gruia, zunächst mit dem vorgeschobenen Mann der VfL-Deckung, Helmut Kosmehl, konfrontiert, beschleunigt seinen Lauf, er sucht die Rampe für seinen Sprung, der den
101 Wurf nach sich zieht. Er zieht schnell ab und feuert wie ein Wildwest-Held, wobei er das Überraschungsmoment ausnutzt. Der Torwart reagiert meistens erst dann, wenn der Ball schon im Tor ist. Hansi Schmidt macht seine Tore anders. Sein Spiel lebt nicht vom Tempo, sondern von einer hervorragenden Körperbeherrschung und Sprungkraft. Sie ermöglichen es ihm, wie ein Hubschrauber in der Luft zu stehen. Die Hundertstelsekunden bringen Hansi Schmidt den entscheidenden Vorteil. Mühelos kann er auch die hochgereckten Arme der Gegenspieler ausrechnen. Der Torwart ist mit einer fast ausweglosen Situation konfrontiert, wenn er abzieht. Doch die beiden Ausnahmehandballer unterscheiden sich nicht nur durch die Art, wie sie ihre Tore werfen. Während Gruia sich fast ausschließlich aufs Torewerfen konzentriert und einen Gatu das Ballverteilen überlässt, ist Hansi auch ein Spielmacher und Regisseur par exellence. Spieler wie Gruia und Schmidt zählen zu den Attraktionen des Handballspiels, sie sind die Zugnummern. Der Handballanhänger liebt die Spielweise solcher Männer, die bei den vielen Peinigungen durch ihre Gegenspieler manchmal zurückschlagen. Das trägt ihnen wiederum keine Sympathien ein. Scharfschützen sind nicht überall beliebt. Spieler, die in einer Mannschaft eine Ausnahmestellung besitzen, gehen einen dornenvollen Weg. Sie leben im Zwiespalt der Gefühle. Werden sie dem Ruf als Vollstrecker gerecht, werden sie in den Himmel gehoben, versagen sie, werden sie mit Schimpf und Schande in die Kabine entlassen. Wer den Kampf der beiden Scharfschützen gesehen hat, kann nachvollziehen, warum der frühere Trainer von Steaua Bukarest und der rumänischen Nationalmannschaft, Johnny Kunst, es Hansi nie verziehen hat, dass er ihm und Rumänien den Rücken gekehrt hat. Hansi auf der Königsposition und Gruia auf Halbrechts, die beiden Scharfschützen in einer Klub- und in einer Nationalmannschaft Seite an Seite, welche Truppe dieser Welt hätte Steaua und Rumänien Paroli bieten können? Mit zwei Spielern der absoluten Weltspitze?
Geschichte
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Billeder im 61. und 29. k.u.k. Infanterieregiment Peter Krier, nach Anton Krämer Nach allerhöchster kaiserlichen Entschließung vom 25. April 1798, wurde die Errichtung des „neuen hungarischen InfanterieRegiment Nr.61“ angeordnet, das in Temeswar stationiert war und im Banat seinen Rekrutierungskreis hatte. Das k.u.k Infanterieregiment 29 mit der Garnison Groß-Betschkerek wurde erst 1853 erreichtet. Billed gehörte bis zur Auflösung der Monarchie 1918 zum Rekrutierungsbereich der 61. in Temeswar, wobei jedoch auch viele Sergeanten und Unteroffiziere aus Billed bei den 29. dienten. Die erste Nachfolgegeneration unserer Ansiedlervorfahren wurde demnach schon zum Kriegsdienst herangezogen. Rund 120 Jahre haben die Schwabensöhne für das Kaiserreich Militärdienst geleistet, haben auf allen Kriegsschauplätzen der Monarchie gekämpft und sind in unzähligen Schlachten gestorben. 1798 gab es noch keine Wehrpflicht, diese wurde erst 1867 eingeführt. Die Rekruten wurden „geworben“, sie folgten Versprechungen und beugten sich auch den angewandten Druckmittel, den zimperlich waren die Werber nicht. Es waren meist Kinder der ärmeren Leute, die den Werber folgten. Dennoch waren die „Assentierten“ stolz darauf, bei den 61. dienen zu dürfen. Sie bekamen ein Handgeld, feierten ihren Rekrutenball und „rückten ein“. Die Dienstzeit betrug damals 10 Jahre, später wurde sie reduziert. Ab 1867 hatten die Soldaten 3 Jahre aktiven Dienst zu leisten und standen 7 Jahre jederzeit einrufbereit zu Hause in „Reserve“. Bei den 61. dienten sowohl Deutsche als auch Rumänen, Ungarn und Angehörige anderer Ethnien, Komando- und Umgangssprache waren Deutsch. Der Regimentsgeschichte des 61. k.u.k. Infanterieregimentes ist zu entnehmen, wo die 61. in den 120 Jahren ihrer Existenz im Einsatz waren. Schon nach dem ersten Jahr kam das junge Regiment von 1799 bis 1815 in den Kriegseinsatz gegen die Franzosen. Kämpfe hatten sie in der Schweiz und vor allem in Italien zu bestehen. Von heldenhaften Kämpfen berichtet die Regimentsgeschichte, doch
in der Erfolgphase der Expansion Napoleons erlitten die Kaiserlichen meist Niederlagen. Denkwürdig und rühmlich bleibt die Schlacht bei Sacile, wo die 61. einen glänzenden Sieg erfochten, dem Gegner einen Verlust von 5000 Gefallenen und 6000 Gefangenen zufügten, bei nur 241 Mann eigenen Verlusten. Der Geist von Sacile wurde bei den 61. immer wieder beschworen, wenn es in den Kampf ging, von Mailand nach Venedig, nach Wagram, Pressburg oder Raab, von Wallstatt zu Wallstatt. Im Vorkampf zur Völkerschlacht von Leipzig, die den Auftakt zur Befreiung Europas von Napoleon war, am 26. August 1813 bei Dresden, hielten die 61. mit großer Tapferkeit ihren Kampfabschnitt. Die dort eingesetzten zwei Bataillone erlitten jedoch die größten Verluste des Regiments in seiner Geschichte, 1083 Mann blieben auf dem Schlachtfeld. Auch nach dem Sieg über Napoleon gab es immer wieder Kämpfe in Italien, oft Siegreiche unter Feldmarschall Radetzki, aber auch die herbe Niederlage bei Solferino 1859, mit dem Gemetzel, das Henry Dunant bewog das Rote Kreuz zu gründen. Auch im deutschen Bruderkrieg Preußens gegen Österreich 1866 kämpften die 61. tapfer und wurden bei Königgrätz fast total aufgerieben. Nach nur drei Friedensjahren stand 1870 ein erneuter Krieg gegen Frankreich an. Allein in den Jahren 1895 bis 1899 hatte das Regiment ein gutes Los. Die 61. waren in Wien Kaserniert und hatten mit der Teilnahme an den großen Paraden und Manövern Repräsentationsaufgaben. Zum 100. Jubiläum des Regiments, im September 1899, fanden besondere Feierlichkeiten statt, sowohl in Temeswar als auch in Wien. Zu diesem Jubiläum komponierte Regimentskapellmeister Sommer den 61. Jubiläumsmarsch, der zum Regimentsmarsch der 61. wurde und im ganzen Banat von den Blaskapellen gespielt wurde. Bekannter Weise kam die Böhmische Blasmusik über die Militärkapellen in den Siedlungsbereich der Donauschwaben. Die 61. hatten stets eine
Geschichte ausgezeichnete Musikkapelle die zum Kulturgeschehen in der Garnisonsstadt viel beigetragen hat, Mitglieder der Kapelle bildeten den Kern der Musiker bei der Gründung der Philharmonie in Temeswar. Im ersten Weltkrieg waren die 61. sowohl an der Ostfront als auch an der Südfront im Einsatz. Als am 3. November 1918 die Wiener Reichsregierung den Waffenstillstand mit den Alliierten abschloss, hatte sich die k.u.k. Monarchie schon aufgelöst. Kroaten, Serben, Tschechen, Slowaken, Ungarn hatten eigene Staaten ausgerufen, ihre Soldaten waren
103 heimgekehrt. Die Banater Schwaben hatten bis zum Schluss Schulter an Schulter mit ihren deutsch-österreichischen Kameraden an der italienischen Front für einen Staat gekämpft, den es faktisch nicht mehr gab. Am Ende hatten 14.000 Banater Schwabensöhne, darunter 124 Billeder, ihr Leben in diesem Völkerringen im I. Weltkrieg verloren. Das Sterben an der Front für „Gott, Kaiser und Vaterland“ war vergebens. Der Kaiser und das alte Vaterland waren verloren, Rumänien wurde das neue Vaterland für die Schwaben im östlichen Teil ihrer nun geteilten Heimat.
Billeder Gefallene im 19. Jahrhundert von Hans Wikete aus den Verlustlisten der Banater k.u.k. Infanterieregimenter 61. und 29. von Dr. David Dreyer Stamm Nr. a67.7 e76.3 e136.8 f214.1 f378.8 f511.1 g432 g94.5 h224.9 h238.0 h714.3 k116.3 l337 l465.3
Name
Alexius Nikolaus Eisenbarth Daniel Engrich Kaspar Fischer Peter Frey Lambert Fundenberger J. Glass Franz Göttert Anton Haus Adam Hauster Georg Hubert Georg Kaiser Konrad Leblang Stefan Lichtfuß Nikolaus Lind Josef L466.6 Lichtfuß Nikolaus m349.6 Maurer Josef m348.9 Maurer Josef m47.2 Mager Adam n48.1 Neusz Johann Pick Christoph r5 Rapp Michael r444 Roth Peter s71.5 Schackmann Josef s298.5 Schmidt Lambert s491.6 Schön Jakob s495.9 Schortje Nikolaus s601.1 Schulz Johann s1097 Steuer Josef f100.5 Frebach Wendel
Geburtstag von 23.05.1836 Bi 12.02.1792 Bi 23.02.1834 Bi 02.02.1787 Bi 18.05.1813 Bi 30.12.1820 Bi 09.04.1791 Bi 07.03.1826 Bi 24.12.1836 Bi 09.02.1804 Bi 07.02.1839 Bi 30.11.1834 Bi 1870 30.06.1842 Bi 1824 Bi 28.04.1830 Bi 16.04.1830 Bi 15.03.1842 Bi 03.05.1835 Bi 14.07.1839 Bi 1806 Bi 1822 Bi 30.01.1794 Bi 14.01.1829 Bi 22.10.1893 Bi 02.12.1827 Bi 08.08.1844 Bi 16.01.1804 Bi 1817 Bi 29.12.1827
Sohn Traureg. Todestag St. Nr. a67 a79 01.03.1859 e76 e75 16.12.1825 a136 e138 24.06.1859 f214 f216 1831 f378 l841 02.12.1849 l832 08.01.1840 k333.3 23.03.1830 g94 1850 h224 h226 29.12.1864 h238 09.01.1833 h714 22.03.1864 k116 k118 03.07.1866 26.10.1829 l465 02.07.1852 l466 30.04.1850 m349 12.01.1864 m348 m47 16.04.1863 n48 13.05.1862 30.06.1834 11.01.1849 r360 21.06.1822 27.05.1835 s298 22.06.1866 s491 02.11.1850 s495 s524 1867 s601 16.04.1835 s1097 14.07.1849 f100 24.09.1855
Ort
Reg. Rang
Venedig Bergamo Solferino
61. 61. Corporal 61. Corporal 61. Feldwebel Temeswar 61. Verona 61. 61. Corporal 61. Feldwebel 61. Mantua 61. 61. Königrätz 61. 61. 61. 61. 61. Kl.St.Niko. 61. 61. 61. Kl.St.Niko. 61. Brescia 61. Mantua 61. Urlaub Bi 61. Tennanna 61. 61. Tapferkeitsm. 61. Tyrnau 61. Temeswar 61. Temeswar 61. Urlaub Bi 61.
(Fortsetzung der Liste auf Seite 142)
Dialekt
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Franzesische Grumbiere un Englisch Reiterei Erika Weith (Leidecker) „Kommen die französischen Kartoffeln von hier?“ fragte unvermittelt unser 10-jähriger Neffe David als wir mit ihm vor dem Eiffelturm in Paris standen. Leider konnten wir diese Frage nicht wirklich zufrieden stellend beantworten. Unsere ganze Familie isst Franzesische Grumbiere sehr gern. Aber keiner hat bisher darüber nachgedacht, woher dieses Gericht seinen Namen hat. Also machte ich mich auf die Suche nach dem Ursprung dieses Ausdrucks. Ich suchte im Internet und in verschiedenen Büchern und Zeitschriften, aber ich fand keine Antwort auf diese Frage. Lediglich auf einer Internetseite des Radiosenders SWR 4 bin ich auf das Rezept „Französische Kartoffeln“ unter der Rubrik „Kochen mit den Donauschwaben“ gestoßen. Es scheint also ein unter de Schwowe verbreitetes Gericht zu sein. Ich denke, es hat seinen Namen tatsächlich von den Franzosen oder Elsaß-Lothringern, die ja in nicht geringer Zahl in das Banat eingewandert sind. Wenn es also französische Einwanderer ins Banat gab, muss es doch auch französischstämmige Wörter im Schwowischen geben. So machte ich mich auf die Suche und fand eine beachtliche Menge solcher Wörter. Die Herkunft des französischen Wortgutes stammt aus zwei Quellen: von den französischsprachigen Ansiedlern und aus der deutschen Amts- und Militärsprache des 18. Jahrhunderts. Französisch war in Deutschland im 18. Jahrhundert die Sprache des Adels und der Verwaltung. So sprach zum Beispiel Friedrich der Große, der alte Fritz, wesentlich besser französisch als deutsch. Von den Beamten und Soldaten wurden viele Wörter in die Mundarten übernommen und auch weitergepflegt. Die französischen Ansiedler assimilierten sich in der deutschen Mehrheitsbevölkerung, spätestens als sie keine Lehrer und Pfarrer mehr in ihrer Muttersprache hatten. Aber viele Wörter blieben erhalten.
Das wunderbare schwowische Wort Phans für Bauch kommt von dem französischen Wort Panse = Bauch, Wanst. Die Agratzle stammen von groseille = Stachelbeere. Wenn es regnete, benutzte man zu Zeiten meiner Großeltern den Parapli, von Paraplui = Regenschirm. Männer ließen sich balweere. Das kommt von ébarber = Bart abschneiden. Fuhr man mit dem Fahrrad, so benutzte man das Bizikl, das kommt von bicyclette. Eine Bluse konnte Schampodle (Rüschen) haben. Dieses Wort kommt von chapeau = Hut, Deckel und hat wohl im Lauf der Zeit einen Bedeutungswandel erfahren. Wenn man sich eine Brosche ansteckte, wurde sie aangespengelt, das kommt von épingle = Stecknadel. War jemand besonders schwungvoll, so hatte er Ambaschur, von ambition = Ehrgeiz. Ist jemand aufgeregt, so ist er deschperat, von désespérer = verzweifeln. Im Garten gedeiht das Spalierobst am Spalier, das kommt von espalier = Gitter. Will ich etwas unbedingt, dann will ich es egsgepress, von expresse = ausdrücklich. Wunderbare Wörter im Billedrischen sind auch: faudle (schwindeln), von fauter = einen Fehltritt begehen ; fuckeie (herumlaufen), von fougade = Flucht, Verschwinden ; flettiere (schmeicheln), von flatter = beschönigen ; schappiere (entwischen), von échapper = entlaufen. Bin ich müde, so ruhe ich mich auf dem Rekame aus und schaue an den Plafon, von Plafond = Zimmerdecke. Das Wort Rekame kommt von dem Personennamen Madame Récamier, nach der ein Liegebett benannt ist. Wenn ich gezwickt werde, „gen ich gepetzt“. Das kommt von pincer = zupfen, zwikken. Das Pendel der Uhr heißt im Schwowischen Partikl, das von Particule = Teilchen kommt.
Dialekt Der Kirchweihstrauß wird verletzitiert. Verletzitierung kommt von licitation = Versteigerung. So gibt es viele Beispiele für Wörter französischen Ursprungs im Schwowischen und Billedrischen. Doch auch das Englische hat eine kleine Spur im Billedrischen hinterlassen. Die Englisch Reiterei, ein Kinderkarussell das mit Pferden und Kutschen bestückt war, ist zwar eine türkische Erfindung, die ihre erste Erwähnung im 17. Jahrhundert in einem englischen Reisebericht findet. Aber die wirkliche Verbreitung des Karussells ging von England aus. So ist die Englisch Reiterei dann auch zu ihrem Namen gekommen. Auch aus dem Sportbereich gibt es englische Wörter im Schwowischen. Da der Fußball aus England kommt, hat man auch englische Fachbegriffe teilweise übernommen. So rief man nicht Tor sondern Gol. Im Englischen heißt es goal. In Billed selbst hieß Fußball Fotball, vom englischen football. Eine weitere Spur führt uns zu Path und Goth. Die Paten zählen bei de Schwowe zu den wichtigsten Verwandten. Das Wort Pate
105 stammt zwar vom lateinischen Wort Pater ab. Aber es gibt im Kölnischen bereits das Wort Gode, das wiederum vom englischen Wort godmother abgeleitet ist. Dieses Wort Gode verbreitete sich weiter ins Elsaß, nach Baden und Württemberg. Und so kam die Goth auch ins Banat. Und bei meiner Goth, Katharina Schiller, möchte ich mich auch für viele Hinweise zum Schwowischen bedanken. Ebenso möchte ich auch Peter Klein, der mich immer wieder mit ungewöhnlichen schwowischen Wörtern versorgt, meinen Dank aussprechen. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Mutter, die mit uns schwowisch spricht und so die Mundart am Leben erhält. An den Schluss möchte ich einen Satz meines leider viel zu früh verstorbenen Gschwister Engel, Seppi Leidecker, stellen. Mit ihm habe ich mich oft lange über das Billedrische und seine Ausdruckskraft unterhalten. Er sagte: „Beim Billedrische kann mer et Maul so richtig voll holle“. Nun sage ich atje, das übrigens von à Dieu kommt und das bedeutet: mit Gott, auf Wiedersehen. Bis zum nächsten Mal. Eure Wortschatzsucherin
De Spitzwaaner un sei Lissi Sepp Herbst De Spitzwaaner war e ingfleischte Junggsell un do war nix zu rudle, nitmol et schenscht Mädche hat ne intressiert. Sei Lewe war sei Ziehharmonika un sei StammtischKumrade im Nothum-Wertshaus. Un wie et schun bei dene Junggselle passeert: Wann et do inschlaat, no is de Teiwl los. Unsrem Vedr Johann is et in Tribsweder passeert. Do hat ne et Lissi gsien un et hat ingschlaa wie de Blitz aus heitrem Himml. Aa beim Lissi muss et gfunkt han, weil in zwaa Wuche war Handstreich in Billed. Natierlich war das in Tribsweder, so wie in Billed, wie e Laaffeier, wie mr saat et Tagesgspräch. Wie de Spitzwaaner noml am
Stammtisch ufgetaucht is, do han sei Kumrade gfoppt un gfrotzlt. Äne wollt wisse, ob et aa scheen is; de anre, ob et reich is, aus was for e Familie usw. Do schlaat de Vedr Johann uf de Tisch un schreit: „Ja, glaabt der, ich loss mich mit etwas Ixbeliwiche in? Mei Lissi is äns vun de erschte Mädcher im Dorf. Wie ich et et erschte Mol mit meim Sandlääfer abholle war, sin alle große Buwe bis uf die Stroß nohgelaaf.“ Do menne die Kumrade: „Was han se dann wille, die bleede Franzose? Sie han doch gewisst, dass et versproch is.“ „Na freilich han se gewisst, awer sie sin nohgelaaf un han halt geruf: Awer, Vedr, do losst et doch noch än Nacht do!“
Dichtung
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Billedrisch Korzsproch De Hansi setzt im Tirtche und esst Fettbrot. Kommt de Gemeindedienr un froot: Es die Vatr drhem? Ähä (Kopfnicken nach unten) - Ja, er ist daheim. Hat dr e Hund? Hä? (Kopfnicken nach oben ) -Was bitte?Ob dr e Hund hat? M-hä (langsames Kopfnicken von oben nach unten) – Ja, und was für einer! -
Beißt eier Hund? Ä-ä (leichtes Kopfschütteln) – Nein, nicht unbedingt Wanne awer doch beißt? Phä! (Kopf schräg nach oben gehoben) – Meinetwegen, ist doch mir wurscht! -
Hansi hat für diesen Dialog vier Buchstaben und vier Laute gebraucht
Zur Weihnachtszeit Magdi Roos Ich wollt’, ich könnt’ an Engel glauben, die mich als Kind im Schlaf bewacht. Die mich beschützten vor Gefahr und was da sonst noch alles war. Im Laufen, Springen, Fahrrad-Fahren sie über mir stets sorglich waren.
Das Wohlgefühl von der Geborgenheit, wie ist die Zeit heut’ doch so weit! Die Eltern längst in süßer Ruh’, die kühle Erde deckt sie zu. Ich steh’ vorm Grab, leis’ weht der Wind, fängt sich im Haar und singt ein Lied: „Die Kindheit dein, die war einmal!“ Dezember 1997
BILLED - KARLSRUHE Allerheiligen Hans Jobba
Wir wollen heut’ an dieser Stelle uns erinnern an unsre Toten, die von uns gegangen sind, gefallen oder sonst zu Tod’ gekommen sind, uns bleibt allein an dieser Stelle das Erinnern.
weist nur ein Kriegsgräberkreuz noch hin.
So viele Billeder hat man zu Grabe schon getragen in Würde, Ehre auf den Gottesacker hin; auf die im Feld Gefallenen, Vermissten, Unbekannten
Verneigen wir uns vor der Allmacht dieser Erde in der Hoffnung, dass es Frieden werde. Denn nur so kann unsre Welt bestehen, sonst wird sie vielleicht bald untergehen!?
So viele unsrer toten Billeder Leut’ sind in der ganzen Welt zerstreut, begraben dort in fremder Erde ohne Segen, auch ihnen möge Gott die ew’ge Ruhe geben!
Dichtung
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Hoffen und Warten (Portal einer Seele) Elke Knöbl
Ich sehe dich auf der Straße schüchtern und allein. Wartest du auf jemanden?! Du siehst wie ein Engel aus, im goldenen Sonnenschein. Unruhig läufst du auf und ab. Siehst abwesend auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Wen erwartest du?! Ich wüsste es nur zu gerne. Die Arme vor der Brust verschränkt, als müsstest du dich selbst schützen. Du fragst einen Passanten nach der Zeit. Deine Haare werden vom eisigen Wind zerzaust. Wer bringt dir nur schamlos solches Herzeleid? Jetzt stehst du unbeweglich da. Nur noch ein paar Minuten, dann bricht die Nacht herein. Die Lichter gehen an. Du siehst blass aus, in ihrem unwirklichen Schein. Und ich weiß, wenn die Nacht kommt, gehst du. Wenn die Sonne versinkt, kommt deine Zeit zu gehen. Du siehst zu meinem Fenster und lächelst verträumt.
Ich sehe dir in der Gewissheit nach, du wirst morgen wieder hier stehen. Morgen, ja morgen - so nehme ich es mir vor werde ich dich endlich fragen: „Warum und auf wen?!“ Und ich hoffe, du wirst mir sagen: „Ich warte auf dich!“ Die letzten Sonnenstrahlen genießend, stehe ich jeden Tag hier. Wartend in die Ferne sehend, spüre ich intensive Blicke auf mir. Ich umarme mich selbst, denn ich fühle mich allein. Die Zeit rast an mir vorbei, doch ich weiß nicht, wohin sie eilt. Der Wind umweht mich. Es ist, als wäre ich zerteilt. Die Nacht ist verschwiegen, und ich höre mein Herz nur allzu deutlich weinen. Mit der Sonne ziehe ich mich zurück und gebe mich meinen Träumen hin verfolgt von deinem fragenden Blick. Morgen, ja morgen - so nehme ich es mir vor werde ich dir sagen, was du wissen willst. Und ich hoffe, du wirst mich fragen: „Wartest du auf mich?!“
Dichtung
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Alles hat seine Zeit Arlene Hell (Mann)
Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben. Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben. Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen. Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken, nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken. Ich wünsche dir Zeit, nicht zum Hasten und Rennen, sondern die Zeit zum Zufrieden-sein-Können. Ich wünsche dir Zeit, nicht nur so zum Vertreiben. Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben.
Als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertrauen, anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schauen. Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen, und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen. Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben. Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben. Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden, jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden. Ich wünsche dir Zeit, um auch Schuld zu vergeben. Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben.
Ich bin nicht alleine Karl Balogh Heute sind wir uns begegnet, Aug in Auge, ich und sie. Endlich...!
niemand wollte mich...!“ „Aber wer bist du eigentlich? Wie heißt du?“
Ich glaube, öfters ihre Anwesenheit gespürt zu haben. Aber ich tat so, als ob ich sie nicht sehe.
„Ich bin deine Einsamkeit!“ Oje, leid tat es mir um sie. Sie hoffte unter Tränen, dass ich ihr Einlass gewähre in mein Haus, an meinen Tisch.
Sie stand an meiner Tür und wartete auf irgendjemanden. „Weißt du, ich kam zurück, um auch mal bei dir zu sein. Niemand, wo ich auch wanderte,
„Ich kann dich nicht empfangen in meinem Haus, an meinem Tisch: Ich bin nicht mehr alleine! In meinem Leben ist Gott bei mir und die Familie sitzt am Tisch!“
Aktuell
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Aktuelles aus Billed
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as Jahr 2005 war ein sehr niederschlagreiches Jahr, deshalb stieg der Grundwasserspiegel und die Leute hatten Wasser im Keller, im Garten und auf dem Feld. Das Hochwasser führte dazu, dass viele landwirtschaftliche Flächen nicht oder nicht richtig genutzt werden konnten. Die Ernten waren trotzdem nicht so schlecht: Bei Weizen gab es 4000 kg/ha, bei Körnermais 50007000 kg/ha. Auch die Rüben brachten eine gute Ernte. Schlecht sind im Moment die Preise beim Getreide: Während 2004 der Preis des Weizens bei 3800 Lei/kg und der des Maises bei 2400 Lei/kg lag, liegt er dieses Jahr bei 2500 Lei/kg bzw. 1800 Lei/kg. Im Gegensatz zu diesen Getreidepreisen steigt der Preis für Diesel, Dünger, Saatgut und Maschinen, daher stehen viele Bauern vor dem Bankrott. Andererseits entstehen mit Hilfe von EUGeldern und -Programmen wie Phare und Sapard landwirtschaftliche Betriebe in einer Größe von über 30.000 ha. In der Viehzucht geht es noch: Der Preis bei fetten Schweinen ist 50.000 Lei/kg. Da Rumänien 2007 wahrscheinlich zur EU gehören wird, wurde auch die Quotenrechnung bei Kuhmilch eingeführt. Die Quotenverteilung erfolgt in der Zeitspanne 01.04.2005 - 31.03.2006 Der Milchpreis bei der Direktvermarktung im Dorf ist 12.000 Lei/l, der Milchverarbeitungsbetrieb „Friesland“ kauft in Billed die Milch mit nur 4.000 Lei/l; Subventionen gibt es nur für Milch, Brotweizen und Schweinefleisch, aber diese nutzen meistens nur den Milchverarbeitern, Mühlen und Schlachthöfen, nicht den Bauern. Mit dem Beitritt Rumäniens zur EU kommen wahrscheinlich schwere Zeiten auf die Bauern zu. „Bauer, Bauer, dei Lewe das is sauer. Von der Feldmaus iwer die Woo bis zur Bank all sauge dei Blut, mache dich schwach un krank. Bauer, Bauer, dei Lewe das is sauer.
Von deiner Arweit Frucht so sieß die ganz Welt dervon genießt; du bescht von jedem Volk die Worzel; wo du verschwinscht, de Stamm de porzelt.“ Erwin Csonti Peter Trendler informiert, dass zur Zeit in unserem Heimatdorf noch 91 Deutsche oder Kinder aus Mischehen leben. Davon waren 9 in Russland, 10 im Baragan, 3 in Russland und im Baragan, eine Person in der deutschen Armee. Wie jedes Jahr hat Peter Trendler auch heuer eine genaue Übersicht über das Storchenvolk in Billed: Über ihre Nistplätze auf Rauchfängen (genaue Hausnummer) oder Elektro-Masten; über Anzahl der Jungstörche (73) und Gesamzahl (123), zumal es in diesem Jahr den Störchen durch das Hochwasser keinesfalls an Nahrung gefehlt hat. Bürgermeister-Wahlen Der im Vorjahr gewählte Bürgermeister Sorin Supuran legte sein Amt vorzeitig nieder, da ihm seine Partei ein Amt auf Kreisebene anvertraute. Beim I. Wahlgang am 30. Oktober erzielten die 7 Kandidaten folgende Stimmenzahl: Constantin Glodeanu - PSD ( Partidul Social Democrat) - 583 Stimmen Leontin Duta - DA ( Partidul National Liberal + Partidul Democrat ) - 477 Adam Csonti - Demokratisches Forum der Deutschen - 242 Mircea David - PNT ( Partidul National Taranesc ) - 53 Daniel Dan - PIN ( Partidul In. Nat.) - 33 Rudolf Werle - Partidul Conservator- 30 Gigi Boldura - PRM (Partidul Romania Mare ) - 22 Als Folge der vom Landesforum eingegangenen Allianz mit dem Regierungsbündnis stellte sich das Forum auf die Seite des liberalen Kandidaten. Demzufolge besteht die Möglichkeit, dass das Forum den Vizebürgermeister stellt. Da dieser jedoch vom Gemeinderat gewählt wird, gibt es z.Z noch keine Sicherheit, zumal viel von dem, was die Partei-
Begegnungen en im Wahlkampf vor dem II. Weltkrieg kennzeichnete, verstärkt wieder auflebte: uneinlösbare Versprechungen, Einschüchterungen, Bestechungen usw. Im II. Wahlgang erzielten die 2 Kandidaten: L. Duta - 986 ; C. Glodeanu - 818 Stimmen Kulturtätigkeit Im Rahmen des am 14.-15. Oktober im Temeswarer AMG-Haus organisierten Symposions „Mundarten im Blickpunkt“ fand auch die Lesung bekannter rumäniendeutscher Mundartautoren statt, bei der auch Billeder zum Zuge kamen wie Erwin Csonti und
110 Brunhilde Klein und gut bei den Hörern ankamen. Der Theaterabend bot auch Auszüge aus „Meister Jakob und seine Kinder“, dramatisiert von Hans Kehrer nach Adam MüllerGuttenbrunn in banatschwäbischer Mundart unter der Regie von Dr. Karl Singer. Allround-Talent Adam Csonti - Bürgermeisterkandidat - hat einfühlend und überzeugend die Rolle Meister Jakobs gespielt, seine Tochter Melitta Csonti ebenso überzeugend und talentiert die Rolle der Susi wie Egon Nachram den Johann.
Vom Seniorentreffen „Billeder unr sich“
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ie im „Haus der Heimat“ schon zur Tra dition gewordenen Seniorentreffen der Billeder gab es auch in diesem Jahr mit reichlicher Teilnahme. Beim Frühjahrstreffen waren nur 36 Personen anwesend, vielleicht auch wetterbedingt, dafür waren aber im September 47 Landsleute dabei. Wie schon gewohnt, waren es wieder viele der Billeder Hausfrauen, die für frische Bäckkipfeln und selbstgebackenen Kuchen sorgten; Kaffee und Getränke wurden nach Wunsch vom Hauswirt gereicht. Nachdem beim April-Treffen die Bewirtung noch von Herrn Blum und Bors getätigt wurde, war es beim Herbsttreffen das Ehepaar Friedhelm und Katharina Krisch, die herzlich begrüßt wurden und als neue Hauswirte für die Bedienung sorgten. Beim SeptemberTreffen wurde wegen der Berichte vom 240-
J.Gehl jährigen Ansiedlungs-Jubiläum Billeds die übliche Gestaltung zu Gunsten dieses Ereignisses geändert. Werner Gilde, der Vorsitzende der HOG Billed, und sein Vize Sepp Herbst schilderten den Verlauf der Reise sowie der Feierlichkeiten in Billed. Anschließend wurde noch eine Video-Kassette mit den Höhepunkten dieses Jubiläums gezeigt. Erinnerungen an die Heimat wurden dabei geweckt und lebhafte Aussprachen gab es bis zum Ausklang der Begegnung. Für das Jahr 2006 wurden folgende Termine festgelegt: Frühjahrstreffen: Mittwoch, den 26.April und Herbsttreffen : - Mittwoch, den 20. September jeweils um 14 Uhr. Dazu sind alle unsere Stammteilnehmer als auch noch zögernde Landsleute herzlich eingeladen, um sich ein paar Stunden in heimatlicher Umgebung wohl zu fühlen.
Begegnungen
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KLASSENTREFFEN des Jahrgangs 1960 in Karlsruhe Erika Redinger (Otto)
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inder, wie die Zeit vergeht!, hat man oft von den Eltern gehört, jetzt sind wir selber soweit. Bei dem dritten Klassentreffen des Jahrgangs 1960 am 16. Juli 2005 gab es ein fröhliches Wiedersehen. Es war wie immer alles gut organisiert. Schade, dass nicht alle hier sein konnten! Auch auf unsere ehemalige Klassenlehrerin Frau Martini mussten wir verzichten, weil sie zu dieser Zeit in Rumänien war. Aber unser Katalog war hier zum Nachlesen unser schulischen Leistungen. Da hörte man manchmal den Ausruf: „Das dürfen die Kinder aber nicht wissen, dass du solche schlechte Noten hattest!“ Es hat jedoch jeder der Kollegen seinen Weg gemacht, jeder auf seine Art. Wir haben uns alle in der neuen Heimat vieles neu aufgebaut, einen Beruf erlernt, eine Familie gegründet und neue Freundschaften geknüpft. Als wir 1995 das erste Mal Klassentreffen hatten, wurde beschlossen, dass wir uns alle 5 Jahre treffen. Auch diesmal wurden Erinnerungen aus der Schulzeit ausgetauscht,
Fotos von früher und von heute gezeigt. Viele von uns haben schon erwachsene Kinder, woran man erkennt, dass die Zeit immer weiter geht. Zumal wir beim Treffen herrliches Wetter hatten, konnten wir ein Superfoto machen (Wie man feststellen kann!). Zum Kaffee gab es leckeren Kuchen und Gebäck. Vielen Dank an Werner Gilde und die anderen Organisatoren des Klassentreffens. Ich bin sehr froh, dass ich zu dieser Klasse gehöre und freue mich jedesmal - wie auch mein Mann - , wenn wir uns alle wiedersehen. Es wäre schön, beim nächsten Mal alle zu sehen. Bemerkenswert finde ich es, dass unser Klassenkamerad Erwin Rieder extra aus Rumänien kommt. Das Band unserer Freundschaft hält ewig und so soll es auch bleiben. Mit Versen schließe ich, wünsche allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für das Jahr 2006! „Ein Kommen und Gehen ist unsere Welt, die Erinnerung bleibt und die Freundschaft hält.“ (Farbfoto auf Seite 32)
Leistung und Würdigung
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Mädchen und junge Frauen beim Schwabenball 1940. Eins.: Helga Ritter geb. Nothum
Treffen der Jahrgänge 1934, 1935, 1936 Barbara Franz
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a es immer schön ist, wenn viele zusam men feiern, hatten wir beschlossen, wieder ein Treffen unserer Jahrgänge zu veranstalten. Maria Muhl hatte eine solche Zusammenkunft schon vor zehn Jahren in Frankenthal sehr gut organisiert und somit hat sie sich auch diesmal bereit erklärt, es wieder zu tun. Es wurden sehr viele Einladungen verschickt und insgesamt sind 61 Personen gekommen. Zu Beginn unseres Festes sangen wir alle zusammen das Lied zum 70. Geburtstag. In ihrer Ansprache begrüßte Maria Muhl alle Gäste und dankte für das zahlreiche Erscheinen. Wir gedachten auch der Verstorbenen unserer Jahrgänge. Nach einem guten Mittagessen, welches Josef Dinjer zubereitet hatte wofür wir uns alle nochmals bedanken wollen - folgte die Unterhaltung. Da wir sangesfreudige Jahrgänge sind, wurde viel gesungen; Lissi Rieder und Maria Muhl sangen auch im Duett, Maria hat auch noch allerhand Humoristisches vorgetragen. Wir haben auch unserer alten Heimat mit Liedern und Gedichten gedacht, dazu hat auch Nikolaus Thöresz seinen Beitrag geleistet. Es waren auf den Tag
fast genau 55 Jahre, seit viele von uns die 7. Klasse abgeschlossen hatten. Auf einer Schautafel mit Fotos aus unserer Schulzeit und von unserer Erstkommunion hat so mancher gesucht... und gestaunt, wie viel Zeit seit damals vergangen ist und wie wir uns doch verändert haben! Nach Kaffee und Kuchen hat Peter Krier in seiner Rede - ausgehend von dem Jahreslauf und den Jahreszeiten - darauf hingewiesen, dass auch der Herbst und der Winter des Lebens noch schöne Tage haben können. Wichtig ist es, dass der Mensch zufrieden und dankbar ist für das, was ihm das Leben noch bietet. Der Zusammenhalt der Kameraden habe die Zeiten überdauert und sei ein Wert an sich. Nach einem guten Abendessen wurde noch getanzt und bis Mitternacht gefeiert. Schweren Herzens haben wir uns getrennt und beschlossen, uns in 5 Jahren wieder zu treffen. Im Namen aller Teilnehmer sage ich Maria Muhl ein herzliches Dankeschön für die Organisation sowie für die Frankenthaler Gastfreundschaft. (Farbfotos auf S. 30-31)
Leistung und Würdigung
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Empfang des Bayerischen Landesvorsitzenden Peter Krier bei Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber um die Jahreswende 2002
Peter Krier zum Siebzigsten Dipl.Ing. Helmut Schneider
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ein lieber Peter, sehr geehrte Geburts tagsgäste, liebe Landsleute, wir sind heute hier zusammengekommen, um dir, lieber Peter, von Herzen zu deinem runden Geburtstag zu gratulieren und Dank zu sagen. Herzlichen Glückwunsch zum 70-sten! Der große Kreis der Gratulanten aus der Familie, dem Freundeskreis, aus der Nachbarschaft und aus der Landsmannschaft liefert den Beweis, dass es sich keiner nehmen lassen wollte, den Festtag mit dir zu begehen, mit dir zu feiern. Nimm es zur Kenntnis, dass der hier versammelte Freundeskreis dir Zeichen herzlicher Verbundenheit und Wertschätzung entgegenbringt. Leider ist es mir nicht gegeben, mit wenigen Worten das zu sagen, das zu vermitteln, was man an einem solchen Ehrentag im Rückblick auf Geschaffenes, auf gemeinsame Erlebnisse auszutauschen hätte. Man zehrt von der Köstlichkeit des Lebens, auf dass vieles von dem, was du für andere getan hast, an Dank und Zuneigung wieder an dich zurückfließt...
Ein Tour d’orizont über dein Umfeld von Interessenten und Neidern wird dir beweisen, dass viele von ihnen dankbar und glücklich wären, wenn sie ihr Leben und ihr Sein so meistern hätten können, wie du’s geschafft hast; wenn sie auf der politisch-wirtschaftlich-sozialen Leiter vergleichbare Höhen erklommen und sich ungefährdet auf der hohen Leistungsplattform über Jahre hätten behaupten können, was niemals der Fall war. Mangelnde Fähigkeiten und mangelnde Leistungsbereitschaft waren und sind der Nährboden für Missgunst und Neid, unschöne Lebensäußerungen, mit denen du mehrfach konfrontiert wurdest und zu deren Abwehr du Ecken und Kanten hervorgekehrt und als Waffe eingesetzt hast. Peter, es bleibt festzuhalten, dass dein vielseitiges Schaffen, deine Leistungen in den zurückliegenden Jahrzehnten alles Überkommene, alle gegnerischen Leistungsmaßstäbe überflügelt und übertroffen haben... Die Ankunft im Jahre 1970 des Spätaussiedlers Peter Krier mit seinen Familienange-
Leistung und Würdigung hörigen in der alten, hauptsächlich Eisen verarbeitenden Industriestadt Schweinfurt war die Geburtsstunde der Banat-schwäbischen Landsmannschaft in dieser Stadt und im Regierungsbezirk Unterfranken. Schritt um Schritt haben die in Schweinfurt und in Unterfranken angesiedelten Banater schwäbischen Landsleute die Tüchtigkeit und die hervorragenden Führungseigenschaften des hilfreichen Billeder Schwabensohnes erkannt und vertrauten ihm nach und nach alle Führungspositionen der Landsmannschaft an: 1976 wählte man ihn zum Kreisvorsitzenden Schweinfurt und anschließend zum Landesvorsitzenden Bayern. Auch wurde er in den Bundesvorstand gewählt, zuerst als Referent für die Jugendarbeit, dann als stellvertretender Bundesvorsitzender und schließlich als geschäftsführender Bundesvorsitzender. Insgesamt 25 Jahre lang hat Peter Krier die Geschicke der Landsmannschaft entscheidend mitgestaltet. Mit lobenswertem Elan hat er auch das Wachsen und Werden der Heimatortsgemeinschaft Billed in Deutschland vorangebracht, sie organisatorisch und publizistisch mittels „Heimatblatt“ und durch die Errichtung eines Billeder Totendenkmals sowie durch HeimatFilmaufnahmen mit der Medienwelt unserer Tage vertraut gemacht. 27 Jahre lang hat er die HOG als Vorsitzender mustergültig durch die Klippen von Widersachern gesteuert. Bundesweit und darüber hinaus hat sein Bekanntheitsgrad nach den landesweiten Protestkundgebungen sprunghaft zugenommen, durch die Ceausescu, seine Schergen und Machenschaften in Sachen Kopfgeld für Ausreisepapiere angeprangert wurden. Seit der Kundgebung von 1983 vor dem Kölner Dom, jener von 1985 in München und 1989 am Odeonsplatz in München für die Solidarisierung mit dem rumänischen Freiheitstreben, für das Abschütteln des kommunistischen Jochs ist Krier immer bekannter geworden, das Gewicht seiner Aussagen nahm zu, nicht nur in Franken, sondern auch weit darüber hinaus... Um dem ärgsten Elend und katastrophalen Entwicklungen begegnen zu können, sind
114 Hilfswerke geschaffen worden, zu deren Leitung Peter Krier selbstverständlich auch gehörte: das Hilfswerk der Banater Schwaben mit Sitz in Schwabach, das Sankt Gerhardswerk mit Sitz in Stuttgart. Im Bund der Vertriebenen, Vereinigte Landsmannschaften, ist er auch tätig als Vorstandsmitglied im Landesverband Bayern, Vorstandsmitglied im Bezirksverband Unterfranken, Kreisvorsitzender im Kreisverband Schweinfurt. Eine wichtige Rolle spielen für ihn kulturelle Bauten, Einrichtungen und Vereine, kulturelle Aktivitäten. Die Instandsetzung und Instandhaltung alter schwäbisch-österreichischer Bauten im Banat nach einem halben Jahrhundert kommunistischer Herrschaft und Verwaltung war für unseren Billeder eine reizvolle Aufgabe, deren Durchführung er schon bald nach dem Umsturz in Angriff nahm: die Dreifaltigkeits-Säule am Domplatz, das Stefan-Jäger-Haus in Hatzfeld, die Adam-Müller-Guttenbrunn-Gedenkstätte in Guttenbrunn, das Nikolaus-Lenau-Denkmal und das Geburtshaus des Dichters/Lenauheim Peter Krier: Initiator zur Gründung des Kulturverbandes der Banater Schwaben, Mitveranstalter der bundesweiten und bayrischen Heimattage, Organisator von volksmusikalischen Konzertabenden in Ingolstadt, Zirndorf, Augsburg. Initiator von Konzerten des Schubert-Chors, Initiator von Ausstellungen Banater Maler oder dem Banat verbundene Maler. Er ist Inhaber folgender Auszeichnungen: Bundesverdienstmedaille, Bundesverdienstkreuz am Bande, Ehrenbürger der Gemeinde Billed, sonstiger Medaillen und Ehrenzeichen... Mein Bericht über Peter Kriers Bemühen und Schaffen ist verständlicherweise unvollständig, dem geburtstäglichen Rahmen angepasst. Dein Tun, lieber Peter, als verlässlicher, vorausschreitender Weggefährte mögest du fortan mit Rücksicht auf deine Familie, deine Gefährten, deine Banater Landsleute von nah und fern, insbesondere die Senioren des AMG-Altenheims und die Bewohner des Josef-Nischbach-Seniorenzentrums planen und gestalten.
Leistung und Würdigung
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Wilhelm Weber - Ehrenbürger von Billed Laudatio von Adam Csonti
H
err Wilhelm Weber, der einer Kaufmannsfamilie entstammt, wurde am 29.August 1924 in Temeswar geboren. Im Anschluss an die Allgemeinschule und das Pädagogische Lyzeum erfolgte ein Praktikum in Alexanderhausen und Rekasch. 1944 einberufen, kam er an die Front, 1945 in Kriegsgefangenschaft und in sowjetische Arbeitslager. Vom Oktober 1949 war er Mathe-Lehrer in Billed, heiratete 1950 Margarethe Divo, wurde Vater zweier Töchter. Mit der ganzen Familie wurde er 1951 in den Baragan verschleppt. Heimgekehrt war er bis 1972 als Lehrer und Bibliothekar in Billed tätig. Durch sein vorbildliches Wirken hat er seine erzieherische Aufgabe gewissenhaft erfüllt und dadurch einen festen Platz in den Erinnerungen vieler Generationen von Schülern und Landsleuten. Durch sein leidenschaftliches Interesse für die Erforschung alter Quellen und Dokumente und die sich daraus ergebenden Artikeln und Bücher hat er auch Vorarbeit für die
Ortsmonographie von Billed geleistet. Auch nach der 1986 erfolgten Auswanderung nach Deutschland setzte Wilhelm Weber seine Forschungstätigkeit fort, veröffentlichte seine Erkenntnisse in zahllosen Artikeln, wofür er zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen erfuhr. Herr Wilhelm Weber, wir danken Ihnen, auch im Namen der kommenden Generationen, und als Zeichen unserer Dankbarkeit und Anerkennung ist der Beschluss des Billeder Gemeinderats zu verstehen, Sie zum Ehrenbürger Billeds zu ernennen. Im Namen ihres durch Krankheit verhinderten Vaters dankte seine Tochter Erna Paler (Weber) für die hohe Auszeichnung und nahm tief gerührt das Ehren-Diplom entgegen. Die Billeder Landsleute und die HOG Billed begrüßen diese anerkennende Auszeichnung von Wilhelm Weber, beglückwünschen ihn dazu und wünschen ihm auch weiterhin Gesundheit und Arbeitsfreude im Sinne der Gemeinschaft, aber auch private Freuden und Genugtuung.
Leistung und Würdigung
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Ein Billeder Urgestein wird 75
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akob Groß, besser bekannt als „de Glaaser Veder Jokob“, hat über viele Jahre das blechmusikalische Geschehen in Billed bestimmt bzw. am Leben erhalten. Vom Jahre 1972, als er die Leitung der Kapelle übernahm, bis1990, als er aussiedelte. 1995, als ich die Kapelle wieder ins Leben rief, war er wieder dabei als Kapellmeister. Nun haben wir unser 10-jähriges Jubiläum gefeiert und Jakob Groß seinen 75-sten. Wie schnell die Zeit doch vergeht! Nun aber zu den Anfängen seiner musikalischen Karriere: Als Siebenjähriger (1938) fing er an, bei Kapellmeister Jakob Schilling das Klarinettenspiel zu erlernen. Nach dem Krieg, im Jahre 1948, spielte er in der Tanzkapelle, geleitet von Michael Braun. Als im Jahre 1956 eine Blasmusikkapelle mit dem Kapellmeister Wilhelm Hirth gegründet wurde, war er dabei und spielte die B-Klarinette. Erst 1972, als er die Kapelle weiterführte, spielt er die alles durchdringende und weit hörbare Es-Klarinette, die den Billeder Sound (musikalische Eigenschaft), wie manche Leute sagten, prägte. Die Billeder würden heute noch ihre Kapelle (aus 10) heraushören. Das waren auch die Stücke,
die den Billedern wie eingebrannt sind, denn es waren jahrzehntelang dieselben. Das ist es aber jetzt, das uns das Heimatgefühl wiedergibt und die Erinnerung an unsere Jugendzeit. Alles Gute und noch viele Jahre in unserer Mitte. Deine Kapelle (Adam Tobias)
Hofrat Dr. Josef Reiter - neuer Super-Chef
R
ied: Im Rahmen der Neuorganisation der Finanzverwaltung in Österreich wurden mehrere Finanzamtsvorstände neu bestellt. Der bisherige Vorstand des Finanzamtes Ried, Hofrat Dr. Josef Reiter, hat jetzt einen größeren Zuständigkeitsbereich: Er ist jetzt Vorstand des Finanzamtes Braunau, Ried, Schärding mit Sitz in den drei Bezirksstädten. Die Bestellung zum Vorstand der zusammengelegten Innviertler Finanzämter wurde ihm in Salzburg überreicht, als er eben 50 Jahre alt wurde. In die Finanzverwaltung war Hofrat Dr. Josef Reiter, Jahrgang 1954, verheiratet mit Dr. Elisabeth geb. Dullinger, Vater von vier Kindern zwischen 16 und 24 Jahren, 1983 eingetreten, war an verschiedenen Finanzämtern tätig, bevor er 1988 als Amtsvorstand zum Finanzamt Ried kam. Die HOG Billed gratuliert zum beruflichen Aufstieg und wünscht weiterhin berufliche und private Erfolge.
Leistung und Würdigung
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Dank an gute Freunde Kathi Keller geb. Lichtfusz mit Tochter Erika und Familie
W
ie lange hält eine gute Freundschaft? Seit 50 Jahren verbindet uns eine wahre Freundschaft. Auch mein verstorbener Mann hatte die Familie Heinrich ins Herz geschlossen und sagte des öfteren: „Das sind gute Freunde!“ Vor 30 Jahren, als wir noch daheim waren in der alten Heimat, haben wir uns immer gern besucht. In guter Erinnerung ist mir heute noch, dass Kathi, wenn sie in die Maiandacht gegangen ist, uns vorher oder nachher besucht hat und wir glücklich zusammen waren. „Kathi, du bist ein Schatz, beispielhaft anständig, ehrlich und freundlich, was man mit Geld nicht bezahlen kann. Du bist lieb und man hat dich lieb; man fühlt sich gut bei euch allen im Haus. Viele schöne Familienfeste haben wir miteinander gefeiert. Auch Tochter Maria und alle anderen sind gute Freunde für uns.
Vielen Dank, liebe Familie Heinrich, für eure Freundschaft!“
Die Großfamilie Breitenbach 1929. Eins. Maria Filippi, geb. Breitenbach, USA.
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Inhalt ................................................................................................................................... 2 Vorwort ............................................................................................................................... 3
Brauchtum und Tradition Billeder Heimattreffen 2005, Elisabeth Jung (geb. Neumann) ........................................... 4 240-Jahr-Feier in Billed (1765-2005), Elisabeth Martini (Frick) ....................................... 6 240 Jahre Billed, Ansprache von Peter Krier .................................................................... 11 240 Jahre Billed, Ansprache von Werner Gilde ................................................................ 15 Rumänische Ortsmonographie von Billed, Elisabeth Martini (Frick) .............................. 16 Farbfotos ........................................................................................................................... 17 Allerheiligen in Karlsruhe, Peter Neumann ...................................................................... 35 Allerheiligen 2005 ............................................................................................................ 36 Billeder Gedenkstein, Ansprache von Werner Gilde ......................................................... 36 155 Jahre Blasmusiktradition aus dem Banat, Adam Tobias ............................................. 39 Schlachtfest der Trachten-Blasmusikkapelle Billed-Alexanderhausen, Adam Tobias ...... 40 Zweites Billeder Musikantenfest in Nürnberg, Peter Krier .............................................. 41 Herbstfest in Nürnberg, Heidi Müller ............................................................................... 42
Rückblick Durch Europa, aber nicht als Tourist, 3.Teil, Sepp Breitenbach ........................................ 43 Auch er war ein Billeder Kind, Helene Neumayer (Feiler) .............................................. 48 Gegen das Vergessen - 60 Jahre seit..., Elisabeth Packi (geb. Hehn) ................................ 49 Erlebnisbericht, Helene Neumayer (Feiler) ...................................................................... 54 „Die späte Heimkehr“, von Josef Bergmann (alias J. Hornyatschek) ............................... 56 Wassersuppe im Lager 1004, Waltraud Schwarz - Suedkurier. de, 03.06.2005 ................. 57 Der lange Weg nach Hause, Peter Krier ........................................................................... 58 Letzter Lebensabschnitt eines Verschleppten in Brieffolge, Peter Krier .......................... 64 Gedanken eines Außenstehenden beim Lesen im Billeder H., Hans-Peter Geserich ....... 66 30 Jahre Rentnerverein in Billed, Katharina Nothum (Stadtfelder) .................................. 68 Neue Berichte über den Auftritt der Schilzonyi Kapelle in den Staaten, Peter Krier ....... 70 Wie ich meine Vorfahren ausfindig machte, Margarethe Weber (Divo) ............................ 75 5. deutsche Schulklasse 1932, (Foto) Margarethe Weber (Divo) ...................................... 77 Wie ich unsere amerikanische Verwandtschaft fand, Erika Weith, geb. Leidecker ........... 78
Handball-Geschichte 1938: Eine neue Sportart fasziniert die Jugend, Von Johann Steiner ................................ 80
Handball-Geschichte(n) aus Siebenbürgen und dem Banat, Helmut Heimann (KK) ........ 88
Inhaltsverzeichnis
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„Hansi Schmidt. Weltklasse auf der Königsposition“ Pressemitteilung ........................... 89 Leseprobe aus der Schmidt-Biographie, Hans Steiner ...................................................... 92
Geschichte Billeder im 61. und 29. k.u.k. Infanterieregiment, Peter Krier ....................................... 102 Billeder Gefallene im 19. Jahrhundert, Hans Wikete ...................................................... 103
Dialekt Franzesische Grumbiere un Englisch Reiterei, Erika Weith, ( Leidecker) ...................... 104 De Spitzwaaner un sei Lissi, Sepp Herbst ...................................................................... 105 Billedrisch Korzsproch ................................................................................................... 106
Dichtung Zur Weihnachtszeit, Magdi Roos .................................................................................... 106 BILLED - KARLSRUHE, Hans Jobba .......................................................................... 106 Hoffen und Warten, (Portal einer Seele), Elke Knöbl ..................................................... 107 Alles hat seine Zeit, Arlene Hell (Mann) ........................................................................ 108 Ich bin nicht alleine, Karl Balogh ................................................................................... 108 Aktuelles aus Billed ........................................................................................................ 109
Begegnungen Vom Seniorentreffen „Billeder unr sich“, J.Gehl ............................................................ 110
Klassentreffen des Jahrgangs 1960 in Karlsruhe, Erika Redinger (Otto) ......................... 111 Treffen der Jahrgänge 1934, 1935, 1936, Barbara Franz ............................................... 112
Wüdigung und Leistung Peter Krier zum Siebzigsten, Dipl.Ing. Helmut Schneider .............................................. 113 Wilhelm Weber - Ehrenbürger von Billed, Adam Csonti ................................................ 115 Ein Billeder Urgestein wird 75, Adam Tobias ................................................................. 106 Hofrat Dr. Josef Reiter - neuer Super-Chef, .................................................................... 116 Dank an gute Freunde, Kathi Keller (Lichtfusz) mit Tochter Erika und Familie ............ 117
Statistik Unsere Landsleute in der alten Heimat, Josef Herbst ..................................................... 118 Statistik unserer Billeder Landsleute weltweit, Josef Herbst .......................................... 120 Zeittafel, Elisabeth Packi (Hehn) u.a. ............................................................................. 137 Spenden und Nachtrag für Kriegsopferdenkmal 2005 .................................................... 140 Das „Billeder Heimatblatt“ ............................................................................................. 141 Der Vorstand der HOG Billed, gewählt am 07.06.2003 .................................................. 141 Weihnachtsgedanken, Hermine Schnur ........................................................................... 142