Billeder HEimatblatt 2020

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Billeder Heimatblatt 2020

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Die Billeder Kirchenglocken 1918 hatte die Billeder Kirchengemeinde 3 Glocken an die Kriegsindustrie abgeliefert. 1924 wurden 3 neue erworben. 1. Die kleine Ziehglocke (Sterbeglocke), 105 kg, gewidmet von der Schwäbischen Zentralbank A.G. 2. Die Halbmeß-Glocke (Wandlungsglocke), 173 kg, gespen-

det von den Landsleuten aus den USA 3. Die Mittagsglocke (Groß-Neu), 340 kg, Geschenk der Gemeinde Billed. 4. Die Große Glocke (Sonn- und Feiertage) „Die Alte“, 792 kg, von Anton Novotny 1890 in Temeswar gegossen. Quelle: „Billed-Chronik“ von Franz Klein

Billeder Heimatblatt 2020 heimathaus-billed.de

Herausgegeben von der HOG Billed


Kirchweih-Festgottesdienst mit der Billeder Heiderose am 4. Oktober 2020. Foto Adi Ardelean

Die beleuchtete Billeder Hauptgasse in Richtung Alexanderhausen in der Morgendämmerung


Billeder Heimatblatt 2020

heimathaus-billed.de

Dezember 2020 | 33. Ausgabe

Inhalt 4 33. Ausgabe: Schnappszahl–Ausgabe! E. Martini 8 Erfassung der Friedhöfe, Werner Gilde 9 Billeder Friedhöfe digitalisiert ..., Ralf Gilde 12 75 Jahre seit der Deportation in die Sowjetunion, Ines Szuck 16 Erlebnisbericht, Johann Gehl 22 Banater Zeitung-Fest mit schmackhaften Würsten, Siegfried Thiel 28 Stimmen zur WKP 2020, Balthasar Waitz 30 Pipatsch Brotworscht Olympiade, NBZ-Pipatsch 32 Allerheiligen 2020, Elisabeth Martini 34 Gedenkansprache, Karin Müller-Franzen 36 Münchner Tanzgruppe vermittelt Kindern Banater Brauchtum, Victoria Ziegler 40 Lavendelanbau in Billed, Werner Gilde 44 Schwäbische Wurzeln durch Ahnenforschung gefunden, Katharina Martini-Cherchi 52 „Liebe Elsa, kédvés Imré“, M. A. Astrid Ziegler 66 Auswanderungen aus dem Veischedetal in das österreichisch-ungarische Banat 1 763-1788 (Teil 1), Walter Stupperich 78 Banater und Billeder Schatzkästchen im Sauerland, Peter Krier 84 Buwe, was ham-mer heit? Peter Krier 110 Ein Stadtmobil in Oxford? Hans-Dieter Hartmann 114 Fischfang im Hausgarten im Hochwasserjahr 1970, Roland Roos 117 Der „kleine Emil“ und der Adam-Onkel, Emanuel Knöbl

121 Ein Tag in Billed, Emanuel Knöbl

1 26 128 132 133 134 137 139 142 144 146 147 148 150 152 154 157 158 159 160 162 164

Der alte Schrank und mein 60. Geburtstag, Hermine Schnur

Wer kennt ihn nicht, den Japanischen Schnurbaum? Werner Tobias Unvergessliches Erlebnis, Erika Redinger Immer wann ich Paprika ess, Erika Weith Luschtiche Gschichte (billedrisch), Alfred Selpal Eiskeller in Billed, Werner Gilde Billed - Karlsruhe - Australien, Elisabeth Martini Werner Gilde - ein Billeder mit viel Herz und Gemeinschaftssinn, E. Martini, H. Müller Die „Gottlower Goth“ ist 100 Jahre alt, Anna Schütz

Nachruf: Hundert gelebte Jahre, unsere Susanne Weber, Elisabeth Schulz Eva Thöres 100 Jahre alt, Elisabeth Luckhaub Theresia Weber zum 100. Geburtstag, A. Csonti Nachruf für Magdalena Roos, Elisabeth Luckhaub Sepp Herbst - Nachruf, Peter Krier Josef Herbst - unser lebendiges Einwohneramt, Hans Rothgerber

Nachruf Josef Herbst, Werner Gilde Josef Herbst zum Abschied und Gedenken, Elisabeth Martini

Josef Herbst war Gründungsmitglied des Chores der B.S. aus Rastatt Dr.-Ing. Norbert Neidenbach Die Zeit beim Chor der Banater Schwaben Karlsruhe, Dietmar Giel Schachmeisterschaft 2020, Alfred Selpal Statistik, Hans Herbst

Impressum Herausgeber: Heimatortsgemeinschaft Billed e.V. | heimathaus-billed.de Redaktion: Elisabeth Martini | Bildredaktion, Grafik, Layout und Satz: Hans Rothgerber | Auflage: 1.350


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In eigener Sache

Unser Heimatblatt

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rundsätzlich wird das Billeder Heimatblatt allen Landsleuten kostenlos zuge­stellt. Da wir für Druck und Versand je Buch 10.- € leisten müssen, bitten wir Sie, eine Spende auf das Konto der HOG Billed, IBAN: DE95661900000000111791 BIC: GENODE61KA1 zu überweisen, ein entsprechender SEPA-Überwei­sungsschein ist beigelegt. Achtung, er muss entsprechend ausgefüllt werden! Um ihre Überweisung einordnen zu können, schreiben Sie bitte auf den Überweisungsschein Vorname (auch der E­he­frau), Fami­lienname, Ortschaft und Zweck. Wir erwarten keine Spende von Landsleu­ten mit geringer Rente, von Arbeitslosen und von den Landsleuten aus Billed. Wir freuen uns, dass wir Ihnen unser Heimatblatt als Zei­ chen unserer Verbundenheit übermitteln können. Wir bitten jedoch um Verständnis dafür, dass wir wohlsi­ tuierten Landsleuten ohne Ge­genleistung die nächste Ausgabe nicht mehr zusenden. Landsleute, deren An­schrift sich geändert oder in deren Familien ein Ereignis (Geburt, Hochzeit, Todesfall) stattgefunden hat, bitten wir um Mitteilung an Hans Herbst, Freiligrathweg 14, 76571 Gaggenau Tel. 07225-77233, hans.herbst@billed.de Ihre Meinungen und Äußerungen zum Heimatblatt, Ihre Vorschläge und Ideen richten Sie bitte an die Redaktion: Elisabeth Martini, Kronenstraße 36, 76133 Karlsruhe, Telefon 0721/379214 Druckfehler, Änderungen und Irrtümer vor­behalten. Autorenbeiträge sind namentlich gekennzeichnet und die

inhaltliche Verantwortung liegt bei diesen. Die Redak­ tion dankt allen diesjährigen Mitarbeitern für ihre Beiträge und Bilder und möchte gleichzeitig alle Landsleute auffordern, Artikel bzw. Anregungen für das Heimatblatt auch im nächsten Jahr zu senden. Der Vorstand der HOG Billed Gewählt am 8.06.2019 bei der Hauptversammlung in Karlsruhe Ehrenvorsitzender: Peter Krier Vorsitzender: Werner Gilde, Tel. 0721-863891 Stellvertreter: Ralf Gilde: ralf.gilde@googlemail.com Schriftführer: Adelheid Müller, Tel. 0721-1331547 Kassenwart: Jakob Muttar, Tel. 0721-784177, Email: j.muttar@web.de Beisitzer: Elisabeth Martini, Tel. 0721-379214, Email: emartini@gmx.net Hans Rothgerber Email: joharo@gmx.de Hans Herbst, Tel. 07225-77233 Email: hans.herbst@billed.de Adam Tobias, Tel. 0721-865315 Email: ea.tobias@web.de Werner Tobias, Tel. 06138-941031 Email: wernertobias83@web.de Mitglieder unserer HOG, die auch nach Weihnachten das Heimatblatt nicht erhalten haben, mögen sich unmittelbar an Werner Gilde oder Hans Herbst wenden.


Vorwort

3 Liebe Landsleute, liebe Freunde!

das Jahr 2020 geht zur Neige und wird wohl in die Geschichte als das Corona-Jahr eingehen. Wer hätte sich beim Lesen der letztjährigen Ausgabe des Billeder Heimatblattes vorstellen können, was das folgende Jahr 2020 so mitsichbringt. Das Corona-Virus beeinflusst zurzeit das Leben der Menschen auf der ganzen Welt und am meisten betroffen ist wohl der europäische Kontinent. Täglich neue Zahlen von Infektionen, leider inzwischen auch immer mehr Tote, verursacht durch das neuartige Virus. Trotz größter Bemühungen scheint ein Gegenmittel noch nicht gefunden zu sein. Sowohl Bundes- als auch Landesregierung versuchen der neuartigen Pandemie zu begegnen, Erfolg oder Misserfolg aller Bemühungen werden sich erst in der Zukunft erweisen. Als Anfang März die ersten Lockdown-Maßnahmen verordnet wurden, hatte ich Zweifel, ob wir überhaupt ein Heimatblatt herausgeben können. Es hatte sich ja schnell abgezeichnet, dass unsere geplanten Veranstaltungen nicht stattfinden konnten. Nun steht es fest. Da viele Billeder Beiträge gesendet haben, ist es uns gelungen, ein neues Heimatblatt zu veröffentlichen. Es sind viele abwechslungsreiche Themen zum Lesen zu finden. Ich bedanke mich bei allen, die dazu beigetragen haben. Auch im kommenden Jahr stehen wieder große Veranstaltungen an. Ganz besonders möchte ich hier das Heimattreffen in Karlsruhe am 22. Mai 2021 hervorheben. Das alle zwei Jahre stattfindende Heimatreffen ist und bleibt eine der bedeutungsvollsten Veranstaltungen unserer Gemeinschaft, die in dieser Form unter den Heimatortsgemeinschaften eine Seltenheit geworden ist.

Wir arbeiten gemeinschaftlich darauf hin, dass auch das nächste Billeder-Treffen wieder ein ganz besonderes Erlebnis wird. Ich lade Sie alle ganz herzlich zu Pfingsten in den „Kühlen Krug Karlsruhe“ ein, natürlich in der Hoffnung, dass Corona-bedingt unser Fest dann stattfinden kann. Wie üblich, erhalten Sie unser Heimatblatt kostenlos. Spenden sind natürlich immer willkommen und notwendig, um den Fortbestand unseres Heimatblattes zu gewährleisten. Ich danke allen, die uns durch eine derartige Spende jedes Jahr unterstützen. Im Namen des Vorstandes der Heimatortsgemeinschaft Billed e.V. wünsche ich allen Billedern, Landsleuten, Leserinnen und Lesern ein fröhliches Weihnachten sowie ein gutes, glückliches und vor allem gesundes Jahr 2021. Bleiben Sie gesund und halten Sie durch, es kommen auch wieder bessere Tage! Werner Gilde Vorsitzender der HOG Billed

PS: Falls Sie in den Statistiken Fehler auftauchen, würde es uns sehr freuen, wenn Sie uns diese mitteilen. Teilen Sie uns auch Ihre Geburten, Eheschließungen und Todesfälle mit. Ansprechpartener sind: Hans Herbst: hans.herbst@billed.de Werner Tobias: wernertobias83@web.de


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33 x Heimatblatt

33. Ausgabe: Schnappszahl–Ausgabe! Jünger und schöner als je zuvor?

Elisabeth Martini

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ein Heimattag in Ulm, kein Sommerfest in Karlsruhe, kein Herbstfest in Nürnberg, kein Seniorentreffen in Karlsruhe, kein Schlachtfest in Frankenthal, kein Busausflug der Banater, kein Traubenball usw., kein normales „Banater“ Leben hier und dort, scheinbar in der ganzen Welt – allein wegen dieser Corona-Pandemie! Es liegt nun an uns allen, diese Treffen, ihre Bedeutung, Eindrücke und Nachwirkungen durch interessante, ansprechende Artikel wettzumachen, ohne Qualität und Effekt einzubüßen. Die seit 1987 an unsere Landsleute – und nicht nur an sie – verschickten Billeder Heimatblätter boten auf rund 4500 Seiten viel Wissenswertes, Interessantes über unsere Herkunft, über unser Dorf, seine Ansiedlung und Entwicklung, über Tradition und Neuerungen, über Wirtschaft, Kultur, menschliche Leistungen, über Opfer und Schwierigkeiten im Laufe der Zeit, jedoch auch LustigUnterhaltsames in Hochsprache und Dialekt, den viele Billeder – solange sie leben – sprechen. Unser Heimatblatt war immer und ist es geblieben: Das umfassendste Bindeelement unserer Gemeinschaft, das alljährlich zur Weihnachtszeit auf 4 Erdteilen und in zahllosen Niederlassungen unserer Landsleute mit Spannung und Freude erwartet wird. 1987 war es zwar ein schüchterner Anfang, wo selbst die optimistischsten Initiatoren kaum mehr als 5-6 Ausgaben voraussahen, zumal die Quelle des zu vermittelnden Informationsmaterial dann wahrscheinlich versiegt wäre. Diese sprudelte jedoch Jahrzehnte weiter und soll es auch noch lange tun, zumal sich scheinbar immer mehr

Vertreter der mittleren und jüngeren Generation um die Belange unsere Gemeinschaft bemühen und so ihren Fortbestand sichern. Hunderte Artikel, hunderte Autoren – Billeder und Nicht-Billeder – und noch mehr Fotos: sehr alte, alte und aktuelle, Informationen von historischer Bedeutung, Zeitzeugnisse, die es verdienen, ab und zu wieder hervorgeholt, durchblättert und gelesen zu werden. Verständlicherweise können nicht alle Beitragsleister hier namentlich erwähnt werden, jedoch allen gilt unser besonderer Dank, verknüpft mit der Bitte, durch Informationen jedwelcher Art mitzuhelfen, unser Billeder Heimatblatt am Leben zu erhalten. Besonderen Dank schulden wir denen, die den Grundstein legten, den Mut hatten, etwas sehr Wichtiges für ihre Landsleute zu tun: Peter Krier, Jani Gehl, Wilhelm Weber, Margarethe Pierre, Josef Herbst, Brigitte Hehn, Hermine Schnur, Werner Gilde, Margarethe Weber, Nikolaus Thöresz u.a. Wieviel Wissenswertes hat uns nicht – solange seine Kräfte reichten – Wilhelm Weber über die Herkunftsorte der Billeder Erstansiedler-Familien, die ersten Petschaften, die Sauerländer in Billed, die Hausnummern 1774, 1833, 1927, die große Not 1863, den I.Weltkrieg, über Billeder Persönlichkeiten, Kalvarienberg, Feuerwehr, Baragan-Verschleppte, Ansichtskarten usw. hinterlassen? Peter Krier, der unermüdlich Tätige, war und ist der Initiator vieler Aktionen der Billeder, aber auch stets bei der Ausführung derselben mit dabei. Er hielt bis heute viele dokumentierte Reden, verfasste für jede Ausgabe


Artikel zum Geschehen hier und im Banat, in Billed (um nur einige weit zurückliegende zu erwähnen): Hilfsgüter für Billed, Kriegsfolgebereinigungs-Gesetz, Sozialstation in Billed, Kalvarienberg restauriert, Kürzungen der Fremdrente, Aufnahmen mit dem Billeder Kirchenchor, Außenrenovierung der Kirche, Billeder Familienbuch, Billeder Wegkreuze, Unsere Friedhöfe, 240 und 250 Jahre Billed, 20 Jahre Billeder Heimatblatt und so weiter und so fort bis heute und, hoffentlich, noch manches Jahr weiterhin. Ausgezeichnet und geehrt von unserer Gemeinschaft, von lokalen und staatlichen Gremien, soll er uns noch lange Stütze sein. Unser unlängst aus dem Leben geschiedener, unermüdlich für seine Landsleute agierende Josef Herbst hat jede der 32 Ausgaben unseres Heimatblattes durch informative, unterhaltsame Beiträge mitgestaltet, jedoch vor allem hat er strikt und mit viel Takt und Menschenkenntnis die Statistik unsere Landsleute in aller Welt geführt, was ihm deren Dank und die anerkennende Bezeichnung „lebendiges Billeder Meldeamt“ einbrachte. Das macht ihm sobald keiner nach!! Vergelt‘s Gott! Seit mehr als 25 Jahren bemühen sich Hans Rothgerber und Elisabeth Martini (Frick), das weiterzuführen, was 1987 unter beschwerlichen Bedingungen begonnenen wurde. Computer haben ihre Arbeit erleichtert, aber auch die Ansehnlichkeit der Ausgaben von Mal zu Mal gesteigert: sie – für Auswahl und sprachliche Gestaltung zuständig, er für Format, Grafik, Layout und Satz – ein eingespielts Duo, das es vermag, immer neue Mitgestalter des Heimatblattes zu mobilisieren, es jung und ansprechend zu erhalten, als unsere Spur in der alten und neuen Heimat, solange noch Billeder Nachkommen den Hauch der Verbundenheit spüren, stolz sind, Billeder Vorfahren zu haben.

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Jahr

Heimatblätter1988-2020

Inhaltsseiten

Diagramm Anzahl der Inhaltsseiten der Heimatblätter 1988-2020


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33 x Heimatblatt


Heimatbl채tter1988-2020

Abb. links und oben: Heftumschl채ge der 33 Heimatbl채tter. Abb. unten: insgesamt 26 cm Heftr체cken im Regal

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Rückblick

Mittagspause im Forumshof, v.l.n.r.: Peter Trendler, Hans Weber, Ioan Andras, Adam Csonti, Hans Muhl, Jakob Muttar, Roswitha Csonti, Josef Herbst. Foto: Werner Gilde

Erfassung der Friedhöfe

Werner Gilde (aus dem Heimatblatt 2004)

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ach 15-stündiger Fahrt, am 14. Juni, kamen wir um 18 Uhr in Billed an und gingen - nach einer herzlichen Begrüßung durch Familie Csonti - auf den Sauerländer Friedhof, um mit der Nummernvergebung zu beginnen. Am Dienstag um 8 begannen wir die Erfassung auf 5 Arbeitsgruppen verteilt: Die 1. Gruppe war zuständig für die Nummernvergabe, die 2. für die Reinigung der von Moos befallenen Kreuze, die 3. für die Erfassung der Inschriften, wobei alle Daten in eine Kartei eingetragen wurden; die 4. Gruppe übernahm die bildliche Erfassung der Gräber, die 5. hat alle Karteikarten und Bild-Daten gesammelt und auf dem Computer gespeichert... Gearbeitet wurde täglich von 8 bis 13 Uhr, wonach wir gemeinsam das Mittagessen beim Forumssitz einnahmen; Frühstück und Abendessen stellten unsere Gastfa-

milien. 2 Stunden Mittagspause waren nötig, in der Mittagsglut war es unmöglich zu arbeiten. Mit dem Wetter hatten wir großes Glück: nur blauer Himmel und Sonne! Nach den 10 Tagen in Billed sahen alle aus, als hätten sie Urlaub am Meer gemacht. Mitgearbeitet haben: Josef Herbst, Johann Martini, Jakob Muttar, Werner Gilde, Hans Muhl; ferner die Billeder: Adam und Roswitha Csonti, Brunhilde Klein, Peter Trendler, Hans Weber, Ioan Andras. Die Bleistift-Zeichnung der beiden Friedhöfe fertigte Tiberiu Neu an, die Überarbeitung derselben übernahm Isolde Hehn, was mit einem CADProgramm erfolgte und jede Grabstätte eine Nummer erhielt. Die Heimatgemeinschaft Billed bedankt sich bei allen, die bisher an diesem großen Vorhaben mitgearbeitet haben.


Aktuell

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Mathias Braun, geboren 1754, als Billed noch nicht gegründet war, älteste Inschrift auf dem Neugässer Friedhof.

Billeder Friedhöfe digitalisiert und durchsuchbar

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er HOG Billed ist es gelungen, die Billeder Friedhöfe digital zugänglich zu machen. Unter www.heimathaus-billed.de/friedhof befindet sich die digitale Erfassung der beiden Billeder Friedhöfe. Ein Projekt, das bereits 2004 seine Anfänge fand, als alle Gräber der beiden Friedhöfe erfasst und fotografiert wurden. Nach Überlegungen, die Informationen in einem Buch oder auf CD zu verbreiten, wurden nun die gesamten Daten aufbereitet und in digitaler und einfach zu durchsuchender Form online zur Verfügung gestellt. In diesem wertvollen Datensatz lässt sich stöbern, recherchieren und vielleicht noch die ein oder andere Erinnerung an von uns gegangene Lieben wecken. Das Projekt umfasst Datensätze zu 4283 Verstorbenen, 2149 Gräbern, 2503 Kreuzen und ein Archiv von 2259 Bildern. Was ist möglich und wie funktioniert es? Aufgelistet finden sich die Verstorbenen mit Namen, Geburts- und Sterbedaten, Nationalität und auf welchem Friedhof sie

Ralf Gilde

ihre letzte Ruhe gefunden haben. Es lässt sich nach Namen und Vornamen suchen und filtern. Mit Click auf die Zeile des Verstorben erhält man eine Luftaufnahme des Friedhofs mit markierter Parzelle, in der sich das Grab befindet. Außerdem gibt es detailliertere Informationen zum Grab und Kreuz, wie der Zustand oder die Anzahl der Kreuze und Personen. Und, soweit vorhanden, werden Bilder zum Grab und Kreuz angezeigt, die sich durch anclicken vergrößern lassen. Recherchiert man nach Verstorbenen oder möchte die Informationen zu Vorfahren abspeichern, so kann man über den Click auf „Grabinformationen als PDF“ eine PDF-Datei öffnen, die sich speichern und ausdrucken lässt. Wir hoffen, dass wir mit der Friedhofssuche ein nützliches Tool geschaffen haben. Um dieses Angebot auch in Zukunft weiter verbessern zu können, freuen wir uns deshalb über Feedback und Hinweise, falls sich an der einen oder anderen Stelle ein Fehler eingeschlichen hat.


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Veranstaltungen


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Die Gedenkveranstaltung am Billeder Denkmal auf dem Karlsruher Hauptfriedhof am 18. Januar 2020. Foto: Cornel Gruber


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Veranstaltungen

75 Jahre seit der Deportation in die Sowjetunion Kurzbericht über die Veranstaltung

Ines Szuck

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nlässlich des 75. Jahrestages der Deportation von rund 70.000 Deutschen aus Rumänien fand am 18. Januar eine sehr würdevolle Totengedenkfeier am Billeder Denkmal auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe statt. Dr. Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, der Generalkonsul der Republik Rumänien, Radu Florea, der Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch sowie der siebenbürgische Priester Hermann Kraus überbrachten Grußworte. Zudem berichteten die beiden Priester als Zeitzeugen über das Miterleben der Deportation im Januar 1945. Die Hauptansprache hielt der Landesvorsitzende der Banater Schwaben aus Baden Württemberg, Richard Sebastian Jäger, er erinnerte an das erlittene Unrecht und bewertete die Deportation und Verschleppung seiner Landsleute als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Fürbitten wurden von Ralf Gilde, Holger Giel, Theresia Jäger und Jasmin Muth vorgetragen. Die Jugendlichen haben sich darin für eine Zukunft in Frieden, Mitmenschlichkeit, Versöhnung und Freiheit ausgesprochen. Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch, selbst Zeuge der unmenschlichen Deportation in Jugoslawien, sprach ein Gebet für die Verstorbenen in der Verbannung. Der Kreisvorsitzende von Karlsruhe Werner Gilde und der Landesvorsitzende Richard S. Jäger legten am Denkmal einen Kranz für die Toten nieder. Das Totengedenken trug Gerlinde Gilde vor und erinnerte an die rund 13.000 Tote in der sowjetischen Verbannung. Der Kirchenchor der Heimatortsgemeinschaft Neupanat sang drei Russlandlieder, die während der Verbannung getextet und gesungen wurden. Zudem begleitete

das Musikensemble Quintessenz die Gedenkfeier musikalisch und spielte bekannte Trauermärsche und Lieder. Auch beteiligten sich sieben Fahnenabordnungen von Untergliederungen. Die Gedenkfeier im Gemeindesaal St. Bernhard war mit 200 Besuchern sehr gut besucht. Nach der Begrüßung durch den Kreisvorsitzenden Werner Gilde, bewies der Chor des Kreisverbandes Karlsruhe sein Können in mehreren Liedbeiträgen. Der Bundesverband war durch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Jürgen Griebel, vertreten, der Grüße des Bundesverbandes übermittelte. Obwohl er auf der Fahrt nach Karlsruhe einen Autounfall hatte, ließ es sich der Generalkonsul Rumäniens Radu Florea nicht nehmen und kam trotzdem zur Feier in den Saal. Er brachte einen Kranz für unsere Verschleppten mit, der am Denkmal auf dem Friedhof abgelegt wurde. Im Zentrum der Feier standen die Zeitzeugen Johann Gehl, Mathias Mitschang, Maria Albrecht, Maria Dreier und Adam Hubert. Alle waren von Januar 1945 bis im November 1949 in der Sowjetunion als Zwangsarbeiter deportiert. Sie bekamen den Raum, über das schreckliche Erlebte zu sprechen. Johann Gehl, 94 Jahre alt, wohnhaft in Karlsruhe, berichtete über die Deportation in allen Einzelheiten, besonders bewegend waren die Schilderungen der Mitmenschlichkeit von Ukrainer und russischen Menschen, die ihn vor dem Hungertod gerettet haben. Der 91-jährige Mathias Mitschang, ebenfalls in Karlsruhe wohnhaft, sprach erstmals nach 75 Jahren über das in der Deportation Erlebte. Bewegend waren auch die kurzen und rührenden


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Gedenkveranstaltung ab 15:00 Uhr im Gemeindesaal St. Bernhard in Karlsruhe mit dem Chor der Banater Schwaben Karlsruhe Worte der Kinder von Deportierten Elisabeth Bartl, Anna Martini und Ingrid R. Melcher. Ingrid Melcher berichtete über ihre Mutter, die mit 12 Jahren zusammen mit der Großmutter und weiteren drei Banater Familien nach „nur“ 10 Monaten dem Hungertod in der Deportation entkommen sind, indem sie bettelten. Nach einer kurzen Pause folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Nur die Wahrheit schafft Gerechtigkeit“, modertiert von Ines Szuck. Der Generalkonsul Radu Florea entschuldigte sich dabei im Namen Rumäniens für

dessen Mitschuld an der Deportation und dem damit verbundenen Schicksal der Deutschen in Rumänien, Peter Krier sprach über die politischen Forderungen der Landsmannschaft und des Hilfswerkes der Banater Schwaben, Stadtrat Tom Hoyem, Fraktionsvorsitzender der FDP in Karlsruhe, betonte die Wichtigkeit der Erinnerungskultur und der Landesvorsitzende der Banater Schwaben Richard S. Jäger sprach über den Umgang mit diesem Vermächtnis in der Zukunft. Die Veranstaltung ging erst gegen 19 Uhr zu Ende.


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Abb. oben Malerei von Juliana Rausch aus der Nachbargemeinde Sankt­andres. Die „Aushebung“ der Zwangsarbeiter verlief vielerorts nach demselben Muster. Die Gelisteten wurden von russischen und rumänischen Militärangehörigen mit Waffengewalt von ihren Angehörigen, darunter viele Kleinkinder, getrennt, und, bis alle restlos „ausgehoben“ waren, in Sammelstellen, das waren oft die Dorfschulen, zusammengepfercht eingeschlossen.

Veranstaltungen

Im Bild die zur Deportation Gelisteten auf dem Weg zum Abtransport in Eisenbahnwaggons. Die Billeder, über 500 Personen, mussten bis nach Perjamosch laufen. Abb. rechts Die Veranstaltung war mit 200 Personen sehr gut besucht.


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Zeitzeuge Johann Gehl beim Vortrag seines Erlebnisberichtes im Gemeindesaal St. Bernhard in Karlsruhe

Erlebnisbericht

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ch bin Johann (Jani) Gehl, wurde Ende Oktober 1926 in meinem Heimatort Billed im Banat geboren und musste aufgrund des Jahrgangs zwar nicht mehr zum deutschen Militär, dafür aber nach Russland (Ukraine) ins große Koks- und Chemiekombinat. Von meinem Heimatort hatte ich wenig, denn schon mit zehn kam ich nach Temeswar in die Banatia und ab dann verbrachte ich nur noch die Ferien in meinem bäuerlichen Elternhaus. Im vorletzten Jahr der Katholischen Lehrerpräparandie in Temeswar ging es dann für fünf Jahre nach Stalino (heute Donezk), über die ich später berichten möchte.

Johann Gehl

Nach den Russlandjahren kam ich zuerst als Hilfslehrer für russische Sprache nach Lippa, heiratete, kam später als Schuldirektor nach Blumenthal und nach drei Jahren wieder zurück nach Lippa. Danach war ich sechs Jahre als Lehrer in Billed tätig, anschließend als Bibliothekar an der Universität, später dann Sportlehrer an der Allgemeinschule Nr. 8 in Temeswar, bis ich 1984 mit der Familie als Aussiedler nach Karlsruhe kam. Unsere gesamte Familie und über 400 Billeder Landsleute sind froh und zufrieden, hier in dieser schönen und freundlichen Stadt, die uns das Gefühl einer „neuen Heimat“ gab, zu leben. Karlsruhe ist Patenstadt unserer Bana-


Veranstaltungen ter Hauptstadt Temeswar und für die Billeder ist es jene Stadt, in der alle zwei Jahre das Heimattreffen stattfindet und wo, bei gegebenen Anlässen, am Billeder Denkmal auf dem Hauptfriedhof der alten Heimat und der Toten gedacht wird. Ich selbst bin vielen bekannt, weil ich über 20 Jahre im „Haus der Heimat“ tätig war. Und jetzt über unsere Deportation vor 75 Jahren. Am 14. Januar 1945 erschienen ein Milizmann und zwei Soldaten auf unserer Straßenseite und nahmen recht unfreundlich meinen Vater und mich und an der Ecke den Vetter Friedl und Klos Gilde (Werner Gildes Großvater und Onkel) mit in die Schule, zur Sammelstelle für den Weg in die Deportation. Inzwischen hatten sich hier schon viele Freunde und Bekannte eingefunden und die Angehörigen versorgten uns mit Essen und Trinken. Nach zwei Tagen ging es nach Perjamosch, wo der Bahntransport ins Unbekannte vorbereitet wurde. Unvergessen ist dieser Abgang von über 500 Billedern. Kinder liefen ihren Müttern nach, Mütter und Väter ihren Söhnen - weinend, oft schreiend und jammernd. Gestern waren sie noch anerkannte Bürger ihres Vaterlandes, heute wurden sie wie Verbrecher behandelt. Von Billed aus folgten der Kolonne die Pferdewagen beladen mit Lebensmitteln und Kleidern bis zur Sammelstelle. Die Betroffenen mussten alle vor die ärztliche Kommission, wo mein Vater als „untauglich“ befunden wurde und heim durfte. So blieb ich allein, aber es war eine gute Entscheidung, denn er hätte die Deportation nicht überlebt. Von Perjamosch ging es dann in vorbereiteten Viehund Güterwaggons auf die streng bewachte Reise und nach fünf Tagen waren wir dann in Râmnicu Sărat, die Umladestation in die russischen Breitspur-Waggons. So

17 kam es, dass Landsleute auseinandergerissen wurden, manchmal sogar Familien. Ab da übernahm der russische Wachdienst das Kommando und keiner durfte mehr aus den Waggons. Da wir nur kaltes Essen und unterschiedliches Wasser hatten, bekamen viele Durchfall und Fieber, und nach 2-3 Tagen gab es schon die ersten Toten. Sie wurden irgendwo neben der Bahnlinie abgelegt (Billeder Sepp Lauth). Der Transportzug wurde dann nach 3-4 Tagen Fahrt wieder geteilt und so kamen die Billeder nach Jenakijewo, Smolensk und Stalino. Inzwischen wurde es winterlich kalt und viele unserer Lebensmittel sind gefroren und mussten weggeworfen werden. Nach 12-13 Tagen waren dann unsere Waggons in Stalino und wir kamen in das Lager Nr. 1010, direkt am Südeingang des „Koksochim Zawod“, wo ich fünf Jahre arbeitete. Umzäunt war das Lager mit einem hohen Bretterzaun und Stacheldraht. An der Südseite war ein Tor und das Wächterhäuschen. Diesen Durchgang musste jeder benutzen, bei Ein- und Ausgang. Im Lager war bei unserer Ankunft schon Bewegung, denn die Siebenbürger Sachsen waren schon 2-3 Tage vor uns angekommen und halfen uns bei der Unterbringung. In dem einstöckigen Hauptgebäude waren die Schlafstellen untergebracht: für Männer im Erdgeschoss und für Frauen im Obergeschoss. An den Seiten standen die 3-4 stöckigen Bettgestelle, in der Mitte war ein breiter Gang, in welchem Herde und Öfen standen. Im hinteren Teil des Hofes standen Waschräume und Latrinen. Die Küche/Kantine „Stolovaja“ (das wichtigste Wort!) mit Essräumen und Brotausgabe lagen im Innenteil des Werkes ca. 800-1000 m vom Lager entfernt - den Weg,


18 den man 2-3 mal am Tag gehen musste. Außerhalb des Lagers, ca. 400-500 m, lag die Krankenstation „Isolator“ genannt, mit einem direkten Weg ins Werk. Nach einigen Tagen hieß es dann „Antreten zur Arbeit“. Anfangs kamen in der Früh einige Meister und Brigadiere ins Lager, um sich Leute zur Arbeit zu holen. Ich hatte Glück, weil der schon ältere Meister S. Spiridonovici mich und 3-4 Kollegen zum Sektor Telefonleitungen mitnahm, gleich neben dem Eingangstor ins Werk. Ende des Jahres 1945 kam ich dann ins Heizhaus (Parakatelnaja Zech), ein Nebensektor des Chemiewerks (Dampferzeugung) zu Ing. S. Baranzow, als Schlossergehilfe bei Meister Nowitzki, wo ich bis zu meiner Heimreise im November 1949 tätig war. Ich war die gesamte Zeit mit meinem Arbeitsplatz zufrieden. Allein in der Werkstatt mit meist jungen russischen Kollegen lernte ich schnell die russische Sprache, denn wo mehrere unserer Landsleute beisammen waren, wurde doch meist Deutsch gesprochen und so das Russische vernachlässigt. Weil das Heizhaus Teil des Chemiewerks war und dadurch giftstoffgefährdet, gab es bei uns regelmäßig gute Arbeitskleidung und Schuhe, sowie Sonderzulagen an Essensmarken für die Werkskantine. Gleich wurden überall Handwerker gesucht - Tischler, Maurer, Maler, Schneider und sogar Friseure konnten sich dann nach ihrer Arbeit im Werk gutes Geld und Essen in der Stadt bei Privathaushalten verdienen. Schlecht hatten es anfangs die Frauen und Männer, die im Werk noch nicht untergekommen waren und für Aufräumarbeiten eingesetzt wurden; denn da war kein Verdienst, wenig und schlechtes Essen, man war der Kälte und Hitze ausgesetzt.

Veranstaltungen Im Werk gab es verschiedene Abteilungen - z. B. die Frauenbrigade im Heizhaus war eine Gruppe von ca. 1214 Frauen aus Siebenbürgen, die in drei Schichten mit Schubkarren die Kohle an die Heizöfen fuhren und die Schlacke in die Waggons. Die Freizügigkeit in unserem Lager ermöglichte es später auch jenen ohne Anstellung im Werk, nach ihrer Arbeitszeit frei in der Stadt ein bisschen Geld zu verdienen oder im Sommer 3-4 Monate auf den Kolchosen unterzukommen. Bestverdiener, meistens waren es junge, gesunde und kräftige Männer, Kohlenschaufler und Transportarbeiter hatten 1.200 g Brot pro Tag, Zusatzleistungen, guter Lohn bei Normerfüllung - mussten dafür aber in drei Schichten und oft unter ungesunden Bedingungen arbeiten. Die Lagerleitung bestand aus 3-4 Offizieren, allen voran unser Major, der Lagerkommandant. Kriegsinvalide mit Armprothese, ein gutgesinnter Mensch und Ratgeber. Sein Motto: Macht eure Arbeit, geht frei herum, wohin ihr wollt, aber lauft nicht weg - denn im Straflager gibt´s eine andere Behandlung und nicht „Skoro domoi“. Dieser Rat galt uns allen als Mahnung und wurde auch angenommen. Seitens unserer Lagerleitung wurde wenig auf Ordnung gegeben, dafür aber konnte jeder seine Freizeit organisieren, wie er wollte und überall hin sich frei bewegen (schlampig und leger). Im 1001- Lager z. B. war Ordnung, dafür aber auch sehr streng und es gab keine Freiheiten. Schon im August 1946 starb mein Klassenkamerad und Freund Hans Alexius, auch Arbeitskollege im Chemiewerk, mit 20 Jahren. Es gelang mir mit unseren Freunden, ihm eine Beerdigung auf dem Friedhof mit Sarg und


Veranstaltungen

Abbildung Stalino 1946: Julius Hager, Josef Ballmann, Johann Gehl und Karl Packi am Grab ihres Kameraden Hans Alexius. Johann Gehl: „Schon im August 1946 starb mein Klassenkamerad und Freund Hans Alexius, auch Arbeitskollege im Chemiewerk, mit 20 Jahren. Es gelang mir mit unseren

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Freunden, ihm eine Beerdigung auf dem Friedhof mit Sarg und Kreuz zu organisieren (nicht einfach damals). Unser evangelischer Pfarrer Hr. Erwin Barth (katholischer war ja keiner mitgekommen) war auch dabei, sprach die Trostworte und machte das bekannte Foto, welches ich den Eltern zuschickte. Später erschien das Bild auch in Fernsehsendungen und verschiedenen Publikationen.“


20 Kreuz zu organisieren (nicht einfach damals). Unser evangelischer Pfarrer Hr. Erwin Barth (katholischer war ja keiner mitgekommen) war auch dabei, sprach die Trostworte und machte das bekannte Foto, welches ich den Eltern zuschickte. Später erschien das Bild auch in Fernsehsendungen und verschiedenen Publikationen. Nach der Heimkehr war mein schwerster Weg zu seinen Eltern, um ihnen Näheres über seinen Tod zu berichten. Für sie war es eine besonders traurige Lage, denn die beiden älteren Söhne überlebten den Krieg, blieben aber in Deutschland, und der jüngste musste in Russland sterben. Es gab dabei viele Tränen, Schluchzen und Schweigen. 1947 erkrankte auch ich an Typhus und kam im komatösen Zustand ins Epidemie Spital, wo ich in diesem Zustand 10-12 Tage lang lag. Nach drei Wochen wurde ich dann sehr geschwächt und mit einer großen Rückenwunde wieder ins Lager entlassen. Aber mit Hilfe von Freunden erholte ich mich schnell und kam nach nur dreimonatiger Pause an meinen Arbeitsplatz zurück. Weil ich mich schon so gut erholt hatte, kam ich nicht mehr in den Krankenrücktransport, sondern wurde wieder als „arbeitsfähig“ eingestuft. Anfang 1948 wurden die Rationalisierungen aufgehoben und sofort verbesserte sich unsere allgemeine Lage. Brot und andere Lebensmittel konnte man frei kaufen, Basare besuchen und einkaufen. Das wirkte sich aber auch auf unser Lagerleben positiv aus. Die Antifa-Komitees wurden gewählt, Freizeitveranstaltungen organisiert wie: Sprachkurse, Teilnahme an kulturellen und sportlichen Aktivitäten, Theaterbesuche, Tanzunterhaltungen, Schachwettbewerbe u.a. Da war unser Lager gefragt, denn wir hatten eine gute Musikkapelle und zu den Tanzunterhaltungen kamen auch Kriegsgefangene und unsere Freunde aus dem 1001- und dem

Veranstaltungen Batschkalager. Es begann Leben einzukehren, die Jugendlichen freuten sich, wollten sich nach schwerer Arbeit unterhalten und unser Major und die Offiziere erlaubten dies mit Genugtuung. Freund Matz Kandler, ich und einige Siebenbürger spielten Fußball auf dem berühmten „Schachtjor“ Fußballplatz. Der Anfang war für alle schwer, aber im Allgemeinen war uns die russische Bevölkerung nicht falsch gesinnt, sie waren gute Arbeitskollegen. Ihre eigene Situation war ja auch nicht rosig und so hatten die meisten ein gutes Verständnis für uns, oft waren sie auch hilfsbereit in Notfällen, wie mein Meister Spiridonovitsch. Für die ledigen jungen Männer und Frauen wurde es immer leichter, sie beherrschten schneller die Sprache, beteiligten sich an den organisierten Aktivitäten im Lager und die Lagerleitung förderte diese Initiativen. Schwerer hatten es diesbezüglich die älteren Frauen und Männer, die daheim Familie und Kinder hatten und es ihnen nicht so an Unterhaltung lag und immer nur dieses „domoi-nachhause“ im Sinn hatten. Viele versuchten den Krankentransport zu erreichen, indem sie sich selbst gesundheitlich ruinierten, z.B. durch exzessiven Salzkonsum. Oft aber erreichten sie den Transport nicht mehr oder starben auf der Reise nachhause. Schon von Anfang an hieß die Losung immer: „Skoro domoi“. Für mich wurde sie erst November 1949 wahr, als ich im zweiten und letzten Transport die Lagertür zuschlug und über Sighetu Marmației das Heimatland erreichte. Hier kamen wir vor die Entlassungskommission, alles russische Offiziere, die jeden Einzelnen befragten, wohin er möchte. Unser politischer Hauptmann war Transportbegleiter und saß auch am Tisch. Als ich an der Reihe war, stellte er mir die Frage: Na Iwan, ti kuda chotschisch - wohin willst du? Germania? Ich darauf: Njet! - Nein! Chatschu


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domoi! Ruminja - Ich will nachhause! Rumänien. Er darauf: Charascho! Nachdem ich den Entlassungsschein hatte, ging meine Fahrt nach Billed, in mein Heimatdorf, weiter. Zu dem Zeitpunkt sprach ich besser Russisch als Rumänisch … Nachdem mir der Tabak ausgegangen war, bat ich einen rumänischen Grenzer um eine Zigarette: „Dă-mi să fum!

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Abbildung Podiumsdiskussion im Gemeindesaal St. Bernhard zum Thema - Nur die Wahrheit schafft Gerechtigkeit - moderiert von Ines Szuck Von links: Richard S. Jäger, Landesvorsitzender der Banater Schwaben, Radu Florea, Generalkonsul Rumäniens, Ines Szuck, Peter Krier und Tom Hoyem, Fraktionsvorsitzender der FDP in Karlsruhe. Foto: Cornel Gruber


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Banater Zeitung-Fest mit schmackhaften Würsten

Billeder waren gerne Worschtkoschtprob Gastgeber Siegfried Thiel, ADZ 18.02.2020

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ortschtkoschtprob“1 ist fast zu einem magischen Begriff geworden, wenn in den ersten Monaten jeden neuen Jahres die Vorbereitungen für das Fest der Banater Zeitung anstehen. Tradition, Pflege einer altherstammenden Ess- und Versorgungskultur im Banat, Musik, Tanz und geselliges Beisammensein – all dies nimmt sich das Redaktionskollektiv vor, wenn es die Wurstverkostung plant. Es möge dieses Fest so lange geben, wie Wurst im Banat gemacht wird und jeder Siebenbürger Sachse schaue bestimmt an diesem Tag mit etwas Weh1 „Wortschtkoschtprob“, Wurstprobe

Abbildungen 1. Wurstproben von 41 teilnehmenden Wurstmachern müssen bewertet werden 2. „Kalte Platte“ mit Happen rund um die Wurst in vielen Va­rianten für zahlreiche Gäste 3. „Tischlein deck dich“ für den kleinen und großen Hunger 4. Bratwurst ohne Wein, das kann nicht sein 5. Für süße Erinnerungen bieten sich zum Abschluss „Minis­ terkrappe“ an, eine unwiderstehliche Verführerin der Banater „Klähnmehlspeiß“ Fotos: Adi Ardelean


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Veranstaltungen mut ins Banat, so in etwa der Wortlaut von Benjamin Jozsa, Geschäftsführer des DFDR vor versammelter Kulisse im Kulturheim der Gemeinde Billed, nur 30 Kilometer von Temeswar entfernt. Was es denn Neues gäbe, bei der jeweiligen Auflage, werden die Redakteure der Banater Zeitung vor allem von Pressekollegen gefragt. Immer gibt es Neuigkeiten, zumal die Banater Zeitung seit Jahren - mit 1-2 Ausnahmen - in den Dörfern und Kleinstädten des Banates zu Gast war und jede Ortschaft hat ihre Eigenheiten, ihr Spezifikum und nicht zuletzt schalten sich immer mehr Institutionen ein, um dem Fest einen besonderen Kick zu geben. Diesmal hatte sich das Bürgermeisteramt mit Ortsvorsteher Cristian David bemüht, den gastronomischen Teil besonders gut aussehen zu lassen und ein Schwein geschlachtet, das Ortsforum zeigte, dass die deutsche Gemeinschaft in Billed eine lebendige ist, und zum ersten Mal hatte eine Heimatortsgemeinschaft aus Deutschland die Veranstaltung materiell unterstützt und über ihren Vorsitzenden Werner Gilde aus Karlsruhe per Telefon wenige Minuten vor Beginn des Festes gute Wünsche ausrichAbbildungen Abb. links oben: Eröffnungsansprache von Adam Csonti, einer der Organisatoren, im Hintergrund die „Banater Musikanten“ Abb. links unten: Hohe Gäste des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) sowie der Konsul Deutschlands in Temeswar, Ralf Krautkrämer Abb. rechts: Die Jury bei der Mammutaufgabe, die besten unter den guten Bratwürsten herauszukosten Fotos: Adi Ardelean

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ten lassen. Von der Bühne des Kulturheims sprach dann der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Ganț von der „Bedeutung eines Gastronomiefestes für das Banat“, der Konsul Deutschlands in Temeswar Ralf Krautkrämer („Cholesterol und Triglyzeride könn’ uns den Schmaus heut’ nicht verbiete“) und der DFDB-Vorsitzende Johann Fernbach sprach von einem „Fest des Wohlbefindens“, der Bürgermeister Cris­tian David hob die lange Tradition des Wurst-

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machens und das gute Zusammenleben zwischen Deutschen und Rumänen in Billed hervor. Für die Gewinner unter den 41 teilnehmenden Wurstmachern gab es wie immer Trophäen und Diplome, und sie zeigten, dass auf den Dörfern, in den Kleinstädten des Banats und auch in der Stadt Temeswar Rezepte traditioneller Hauswurst weiterhin aufbewahrt und eingehalten werden.


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Es war eigentlich das, was sich die Banater Zeitung mit diesem Fest vorgenommen hatte: Ein Fest für die Leser, für die Unterstützer jeder Art, für die deutsche- und nicht zuletzt gesamte Dorfgemeinschaft des Gastgebers. Unvorhersehbar, aber symbolträchtig ist wohl auch die Tatsache, dass bei der Verlosung von drei ADZ/ BZ-Jahresabos zwei davon an Bewohner von Billed gingen.

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Abbildungen Abb. links: Der Imbiss mit verschiedenen Wurstsorten sowie Beilagen für die zahlreichen Gäste aus nah und fern ist nach den Ansprachen eröffnet, dazu spielt die Blaskapelle. Abb. oben: Inzwischen sind auch die besten Wurstmacher ermittelt und ausgezeichnet. Fotos: Adi Ardelean Bildunterschriften: Redaktion


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Stimmen zur WKP1 2020

Nostalgische Erinnerungen an das banatschwäbische Schweineschlachten Balthasar Waitz, ADZ 18.02.2020

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rwin Csonti, Landwirt und Kleinunternehmer Billed: „Als ich ein Kind war, war die Schweineschlacht bei uns Banater Schwaben, bei Groß und Klein, nicht nur das größte Dorffest nach der Kerwei, sondern auch etwas Wichtiges und Notwendiges für jedes Haus. Da wurde immer eine Grundlage für die Essensvorräte des nächsten Jahres für die gesamte Großfamilie geschaffen. Es war also eher etwas Praktisches. Trotzdem wurde dabei immer zum Jahresende groß gefeiert.“ Dozent Nicolae Țăran, Wirtschaftsexperte: „Als langjähriger Freund der Banater Zeitung hab ich mich im Laufe der Jahre an etlichen Auflagen dieses Festes beteiligt. So in Lugosch, Großsanktnikolaus, Sanktanna. Dass die WKP heuer in Billed veranstaltet wird, erweckt bei 1 „Wortschtkoschtprob“, Wurstprobe

mir nostalgische Erinnerungen: Für mich als frischgebackener Ingenieur war die Mühle in Billed für einige Monate mein erster Arbeitsplatz.“ Nikolaus Faur, Billed: „Dankeschön Banater Zeitung! Es macht schon eine Freude, an so einem echten Banater Fest teilzunehmen. Man erinnert sich an die traditionelle Banater Schweineschlacht. Es war ja ein beliebtes Treffen im Dezember, vor Weihnachten für die Familie, die Verwandtschaft und die Freunde. Und es ging dabei nicht nur um das jeweilige Hausschwein, sondern auch um das Kesselfleisch, die abendliche Worschtsupp, den frischgemachten Hauswein, den Pflaumenschnaps und die folgende Kartenpartie bis spät in die Nacht. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vom Kiebitz zum Gehilfen beim Fleischmahlen avanciert wurde, dann später durfte


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Abb. oben: Der Auftritt der Billeder Trachtengruppe „Heiderose“ mit banatschwäbischen Tänzen bei Veranstaltungen in der Gemeinde ist schon seit Langem Tradition. ich auch selbst beim Wurstmachen mitmachen.“ Edwin Zaban, Teilnehmer aus Lippa: „Ich komme aus Lippa. Die Leute bei diesem Fest kennen mich schon seit Jahren als festen Teilnehmer beim jährlichen Wettbewerb der Banater Würste. Und ich war bei den Festen an allen Ecken und Enden des Banats dabei. Es geht mir dabei erstens um die Einhaltung der alten Familienrezepte, doch ich hab diese im Laufe der Jahre verfeinert und sozusagen modernisiert. Diesmal nehme ich mit Bratwürsten am Wettbewerb teil. Zum Kosten für alle habe ich da noch zwei Arten Salami, Leberwurst, „Schwartelmagen“ und Wildschweinkotelett aufgeschnitten. Dazu gibts noch hausgemachten Pflaumenschnaps. Ich bin mir sicher, dass den Leuten auch alles schmecken wird.“ Roswitha Csonti, Leiterin der Sozialstation Billed: „Es ist für uns alle eine besondere Freude, dass dieses

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Fest der Banater Zeitung nun zum ersten Mal im Billeder Kulturheim veranstaltet wird. Und ich glaub, dass es alle sehen können, dass es hier eine gute Zusammenarbeit des Deutschen Forums mit der Gemeindeverwaltung und der HOG gibt. Unser Forum hat gemeinsam mit der HOG eigene Wurst speziell für dieses Fest gemacht. Zehn Mitglieder haben aktiv an zwei Tagen die Vorbereitungen durchgemacht. Die Gemeinde Billed hat zudem ein Schwein geschlachtet, und ein Team, mit dem Bürgermeister an der Spitze, hat frische Wurst gemacht.“ Die Banater Zeitung dankt ihren Sponsoren und Unterstützern: DWC Banat, Temeswar, DRW Arad, Heraeus Rumänien, Netex Consulting, DI & SI Panif Perjamosch, Enoteca de Savoya, Gemeindeverwaltung Billed, HOG Billed, DFD Billed, Edwin Zaban, Lippa, Banater Musikanten, Billeder Heiderose. Die „Wortschtkoschtprob“ wurde vom Departement für Interethnische Beziehungen über das Demokratische Forum der Deutschen im Banat finanziell unterstützt.


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Pipatsch Brotworscht Olympiade

Auszuch der driwert aus der NBZ-Pipatsch (30. Jänner 1972)!

Erschte Wettbewerb vum schwowische Weltblatt ir mache uns vor allem mol e scharfi „Autokritik“, weil unser Weltblatt eens vun dene weniche is, wu noch ke Wettbewerb organisiert hat. Vun heit an ännert sich des vun Grund aus: was annri kenne, des kenne mir ach! Seit dass Schwowe im Banat lewe, were natierlich ach Schwein gschlacht. Am Schwein wiederum is am wichtichschte de Brotworscht un in dem han mir Spezialiste, hiner deni sich Fachleit un sogar Salamifabrikante ruhich versteckle kenne. So a echte, geraachte schwowische Brotworscht, der macht kranke Leit xund un bringt xunde uner die Erd. Weil awer in dere Hinsicht e jeder de greeschte Spezialist sin un de beschte Brotworscht im Dorf han will, muss doch endlich mol offiziell feschtgstellt were, wie des in Wirklichkeit is. Un drum ufgepasst: Regulament Jeder, der wu bei unsrem Wettbewerb mithalle will, schickt in eem kleene Paket e Stickl geraachte Brotworscht uf die Adress der NBZ. Un nit vergesse: Pipatsch-BrotworschtOlympiade druf schreiwe. Wer sei Worscht perseenlich abgen will, der kann des ach mache, awer nor une beim Portier, weil mir jo nit im vorhinein wisse wille (un ach net derfe), wem de Worscht gheert. Die Worschtsticker misse wenschtens zehn Zenti lang sen, for dass jeder vun uns sieweni e Maul voll for koschte kriet. (Wann die Sticker etwas länger ausfalle sellte, dricke mer alli zwaa Aue zu!) In dem Paket muss e zugephickte Zettl sin, uf dem wu em Absender sei Name un genaui Adress zu lese is. Letschter Termin for inschicke is de 15. März 1972. Die Pa-

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keter were, gleich wann se ankumme, numeriert un inregistriert. De Name vun de Brotworschtmacher bleibt streng geheim. Am 16. März kummt die Kummission zamm, derzu gheere alli siewe Pipatsch-Redakteere. E jeder „Schiedsrichter“ kriet so e „Borderou“ un drei dinni Sticker vun dem Worscht, de wu grad verkoscht werd, schreibt die Nummer uf un gebt dann Punkte, so ähnlich wie bei der EiskunschtlaafWeltmeisterschaft. 10 – 20 Punkte for die, die nix gschickt han 21 – 30 Punkte for Worscht, wu „SCHLECHT“ is 31 – 40 Punkte for solche, wu GUT is 41 – 50 Punkte for ARICH GUTE un 51 – 60 Punkte for „AUSGEZEICHNETE Worscht Mer weess doch, dass Gusta un Ohrfeije verschieden sin un dem eene Richter werd der gsalze ne, dem anre de gephefferte un dem dritte de mit oder ohne Paaprika schmecke. Des is ke Unglick, ja, um des geht’s jo grad: dass mer mol gsiehn, wer sich ufs Worschtmache versteht, de wu alli oder doch de meischte Leit schmecke tut. Wann alli Paketer an der Reih ware, were die Punkte zammgezählt un de Nummre, wu die meischte Punkte hat, hat gewunn. De Zettl werd vor alli Richtre ufgemacht un so feschtgstellt, wer de Gewinner is. Preise Erschte Preis: „De GOLDENI BROTWORSCHT“ mit Ehrendiplom als beschter Brotworschtmacher im ganze Banat un e Prämie vun 10.000 Lei. (Es Geld bleibt awer bei der Radektzion!) Zweite Preis: „DE SILWERNE BROTWORSCHT“ mit Diplom un 7.000 Lei. (Es Geld bleibt awer bei der Radektzion!)


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Abbildung: Erinnerungsfeier an die Schlachtfeste in Franken­thal am Hausgrill im Oktober 2020 mit Entertainer Edimann und einer Helfermannschaft Dritte Preis: „DE BRONZENE BROTWORSCHT“ mit Diplom un 5000 Lei. (Es Geld bleibt awer bei der Radektzion!) Die Gewinner were dann abfotografiert un in der Pipatsch vereffentlicht. Derjenichi, wu de „Goldeni Brotworscht“ gewinnt, muss e Brotworschtowet organisiere, alli Pipatsch-Redakteere derzu inlade un aach´s Getränk stelle. Wie mer gsieht, is des netmol so billich, do de erschte Preis zu gewinne! Die Krakeler – weil solchi gibt’s jo immer – were jetz saan: „Schau, die schlaue Pipatsch-Redakteere wille uf so e billichi Art zu Brotworscht kumme“! Eensteels han se vielleicht a recht, in anrer Hinsicht awer net. Weil, un-

ser Scheef hats an der Gall, de Trum-Pheder am Maa, de Michl Gradaus an der Lewer, de Jakschi am Herz, de Vetter Matz an de Niere un de Kumediante-Franzl muss uf sei schlanki Linie ufpasse. Bleibt also nor noch de Radio-Pheder, der was mit Passion in dere Kummission drin is. Alli anri misse sich un ihre Xundheit opfre for ihre Dienscht. Awer for uns geht de Dienscht iwer alles un mir verspreche uf unser „schwowisches Ehrewort“, dass alles legal vor sich gehn werd un dass mer unser Beschtes mache were, sogar, wann mer noher alli im Spital lande! DIE RADEKZION


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Allerheiligen auf dem Karlsruher Hauptfriedhof und in Billed auf dem Neugässer Friedhof

Elisabeth Martini

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oldenes Laub allüberall – auch dort, wo manch einer es sich nicht wünschte – und frostverschonte Blumen in voller Pracht: Allerheiligen in Karlsruhe, wie auch in Billed. Der Unterschied lag allein im Wetter: Während es hier am Morgen sogar regnete, war es dort sonnig und warm, wie in den meisten Jahren zur Gedenkzeit an die lieben Toten. Zum Glück erbarmte sich die Natur auch hier, der Regen hörte auf, nur noch ein böiger Wind erschwerte das Kerzen-Anzünden und ihr Brennen. Zur Gedenkfeier am Billeder Gedenkstein um 14 Uhr fanden sich gemäß BP-Anzeige diesmal scheinbar weniger die CoronaGefährdeten, sondern mehr Jüngere ein, zwar mit Maske und auf Abstand, vielleicht auch etwas weniger. Werner Gilde, Vorsitzender der HOG Billed hatte organisatorisch dafür gesorgt, dass die Feier im üblichen Rahmen verlief, auch wenn kein Chor live da war, auch kein Bläser-Quartett. Dafür gab es die aufgenommenen Billeder Kirchenlieder per Lautsprecher. Mich persönlich

haben „Die Glocken der Heimat“ am tiefsten berührt. In Vertretung der durch Pandemie-Restriktion verhinderten Karin Müller-Franzen verlas Gerlinde Gilde deren Gedenkrede, die im Namen der HOG Neubeschenowa den Zusammenhalt in der Gemeinschaft und das gemeinsame Gedenken unserer Toten als wichtig hervorhob, sowie die Verbundenheit per moderner Mittel mit der alten Heimat. Allerheiligen aus der Perspektive der jüngeren Generation präsentierte Melanie Bednar in einem Gedicht. Werner Tobias verlas, in Vertetung des unlängst verstorbenen Josef Herbst, die sehr lange Liste der seit dem vorigen Allerheiligen- Gedenktag aus dem Leben Geschiedenen. Ihnen und allen vorher Verstorbenen, sowie den noch Lebenden, galten – wie jedes Jahr - die von Elisabeth Luckhaub dargebotenen Fürbitten wie auch die Gebete der versammelten Landsleute. Es war diesmal eine stillere, aber nicht weniger feierliche Gedenkstunde für all unsere dahingegangenen Lieben. Das ewige Licht leuchte ihnen!


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An Allerheiligen 2020 auf dem Neugässer Friedhof in Billed. Foto: Roswitha Csonti

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Gedenkansprache am Billeder Denkmal

Karin Müller-Franzen

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iebe Landsleute, sehr geehrt fühlte ich mich vor zwei Jahren, als mich Werner Gilde angesprochen hat, im Namen der HOG Neubeschenowa an Allerheiligen nach Karlsruhe zu kommen und hier eine Ansprache zu halten. Noch mehr beeindruckt war ich von dem Ritual, das die HOG Billed alljährlich am Gedenkstein in Karlsruhe zu Allerheiligen plant, gestaltet und durchführt. Meine mit Dank erfüllte Hochachtung ergeht an Werner Gilde als Vertreter der gesamten HOG Billed. Ludwig Thoma sagte: „Es gibt Berge, über die man hinüber muss, sonst geht der Weg nicht weiter.“ Das Corona-Virus hat die ganze Welt fest im Griff, dies sehe ich als Berg. Um ihn überqueren zu können, hat sich eine Möglichkeit gefunden, bei Ihnen zu sein, wenn auch nicht persönlich. Im Namen der HOG Beschenowa und ihres Vorsitzenden Ewald Müller begrüße ich alle Banater Landsleute und ihre Angehörigen und bedanke mich dafür, dass ich bei dieser Feierlichkeit mitgestalten darf. Auch in diesen besonderen Zeiten möchten wir unserer Toten in der alten und neuen Heimat gedenken. Wir alle haben jemanden in der Heimat verloren oder zurückgelassen. Viele von uns haben das Land, welches wir gewählt haben, als neue Heimat ins Herz geschlossen, ganz nach dem Motto: Heimat ist dort, wo die Familie ist, wo die Freunde sind, die über schwere Zeiten hinweghelfen, gerade in diesen schweren Zeiten sind arm jene ohne Freunde, aber reich jene, die Freunde, Familie und Landsleute haben, mit den gleichen Werten, der gleichen Gesinnung, den gleichen Erinnerungen. In der neuen Heimat wollten wir zuerst materielle Stabilität errei-

chen, aber je mehr Jahre vergingen, umso mehr gewinnen wir die Erkenntnis, dass die inneren Werte: Freundlichkeit, Sicherheit, Zugewandtheit mehr Bedeutung haben als die materiellen Werte. Deshalb ist es uns so wichtig, dass wir uns hier zusammenfinden und gemeinsam unserer Verstorbenen gedenken. Sie sind nicht vergessen, sie sind uns nur vorausgegangen. Bestimmt kennt ihr auch die Situation, dass man bei einer Familienfeier über die Altvordern spricht, Anekdoten erzählt oder der schweren Zeit gedenkt, die sie in der Russland-Verschleppung oder im Baragan erlebt haben. Lasst uns eine Schweigeminute einlegen und uns an unsere Verstorbenen erinnern. „Die Zeit bewegt sich in eine Richtung, Erinnerungen in eine andere.“, sagt William Gibson, ein amerikanischer Autor. Wer hätte gedacht, dass sich die Zeit soweit fortbewegt, dass wir alle Zeugen einer Veränderung wurden, die es ermöglichte, dass ein Schwarzwälder junger Mann, Dominic Fritz, Bürgermeister unserer alten Kreisstadt Temeswar wurde. Der Schwarzwald ist das Ursprungsland vieler unserer im 18. Jahrhundert ins Banat ausgewanderten Ahnen. Für mich schließt sich ein Kreis. Die Vorboten durch den deutschstämmigen Präsidenten Rumäniens, Klaus Johannis, haben die Veränderungen angekündigt, doch, dass Europa tatsächlich positiv gelebt werden kann, haben bestimmt viele bezweifelt. Wir hoffen, dass Dominic Fritz der Stadt Temeswar und seinen Bürgern, im Speziellen unseren dort verbliebenen deutschen Landsleuten, Glück und Wohlstand durch Augenmaß und weise Entschlüsse bringt.


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Abb.: Werner Tobias verliest die Liste der 2020 Verstorbenen. Foto: Cornel Gruber Die neuen Technologien geben uns die Möglichkeiten, weiter in Kontakt zu bleiben über Telefon, E-Mail, WhatsApp oder Videokonferenzen, niemand muss alleine bleiben, wenn er die Technik verwendet. Aber der Mensch als soziales Wesen vermisst doch die Nähe, die Berührung, die Wärme – zumindest geht es mir so! Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass das Friedhofsbuch für Neubeschenowa erschienen ist, beim Verfasser und Herausgeber, Familie Friedrich, in Mainz

erworben werden kann und Näheres darüber auf unserer Homepage erwähnt wird. Gute Reden sind kurze Reden, darum wollen wir mit dem Zitat von Erich Kästner schließen: „Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es eiliger. Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns.“ Wie unsere Erinnerungen wollen wir heute an Allerheiligen insbesondere unsere Ahnen und Verstorbenen in Ehren halten und ihrer gedenken, denn solange sind sie unter uns.


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Münchner Tanzgruppe vermittelt Kindern Banater Brauchtum

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ein Name ist Victoria und ich wohne mit meiner Familie, zu der auch unsere Tiere gehören, in München. Von meinem Opa weiß ich, dass er aus Billed stammt. Schon seit vier Jahren tanze ich mit viel Freude in der Banater Tanzgruppe München. Als ich damals mit meiner Mutter auf der Weihnachtsfeier war, wurden wir gefragt, ob ich in der Tanzgruppe mitmachen will. Eigentlich wollte ich nicht zustimmen, aber als ich von meiner Mutter hörte: “Vicky, du wirst auch so eine schöne Tracht bekommen wie die anderen Kinder dieser Tanzgruppe!“, konnte ich gar nicht nein sagen. Seitdem habe ich bei vielen Auftritten mitgemacht und richtig schöne Tänze gelernt. Ganz besonders hat mir das Fest gefallen, bei dem wir zusammen mit den Schäfflern, einer Münchener Tanzgruppe von Fassmachern, vor dem Haus meiner Münchner Großeltern getanzt haben. Dort konnten wir Banater und Münchner Tradition vereinen. Aber auch die Schwabenbälle sind immer wunderschön. Meine ganze Familie begleitet mich dorthin und ich glaube, dass vor allem Waltraut-Oma und Hansi-Opa (Waltraut und Hans Roman) sich sehr über mein Mitmachen freuen. Toll war auch unsere Teilnahme 2018 am Trachten- und Schützenumzug anlässlich des Oktoberfestes. Stellt euch vor, obwohl die Familie meines Vaters seit Generationen in München wohnt, war ich die Erste, die in der Banater Tanzgruppe mitmarschieren durfte.

Victoria Ziegler

Abb. oben: Victoria Ziegler, 10 Jahre Hobbies: Tanzen!!! Lesen, Tiereversorgen, Inlineskaten Lieblingstanz: Donauschwäbische Tanzfolge Abb. rechte Seite: Schäfflertanz 2019 mit den Kindern der Banater Tanzgruppe München


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Unseren letzten großen Auftritt hatten wir im Juni 2019 bei den Temeswarer Heimattagen, auch das ein besonderes Highlight. Leider wurde diese schöne Folge von Zusammenkünften plötzlich und unerwartet durch die Corona-Pandemie unterbrochen. So wurden alle schon geplanten Auftritte im Jahr 2020 abgesagt. Zwar konnte ich meine Freunde zum Glück manchmal treffen; ich leide aber sehr darunter, dass ich nicht mehr mit meiner schönen Tracht durch die Säle wirbeln kann. Hoffentlich ist die Pandemie bald vorbei, sodass unsere Aufführungen wieder stattfinden können. Vielleicht ergibt sich sogar die Gelegenheit, auf einem Billeder Heimattreffen zu tanzen. Denn auch drei weitere Mädchen aus der

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Tanzgruppe, nämlich Adelheid, Mechthild und Theodelind Türk haben Billeder Vorfahren (aus der Hahn-Sippe). Über einen Auftritt würden wir uns sehr freuen. Viele Grüße von Victoria Abb. links: Victoria Ziegler mit ihrem Großvater HansHerbert Roman Abb. oben: Trachten- und Schützenumzug 2018 Abb. rechts: Heimattage der Banater Schwaben in Temeswar im Juni 2019 mit dem Leiter der Banater Tanzgruppe München und Vorsitzenden des Landesverbands Bayern der Banater Schwaben, Harald Schlapansky


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Rückblick

Lavendelreihen in voller Blüte im Garten der Familie Hora in der Sauerländer Gasse. Foto: Adam Csonti

Lavendelanbau in Billed

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in Bild auf Facebook hat mich auf die Idee gebracht, etwas über den Billeder Lavendelanbau zu schreiben. Auf dem Bild sind Lavendelreihen in voller Blüte im Garten der Familie Hora in der Sauerländer Gasse zu sehen. Früher wohnte dort Familie Katharina und Josef Mark. Das Bild stammt von Adam Csonti. Bei einem Telefongespräch hat er mir gesagt, dass er beeindruckt war von dem Duft und dem Blütenmeer und darum dieses Bild gemacht hat. Auf Nachfrage bei Adam Csonti habe ich von ihm Folgendes erfahren: Dana Ardelean, Tochter von Traian und Carolina Hora, baut den Lavendel an und verarbeitet die Ernte

Werner Gilde

zu Hause. Es wird Lavendelöl, Lavendelseife, Lavendelsäckchen usw. produziert und auf lokalen Märkten verkauft. Mir fiel beim Anblick dieses Bildes die Lavendel- und Tabakplantage hinter dem Sauerländer Friedhof ein. Gegründet wurde dieser Betrieb 1948, mit einer Gesamtfläche von 35,26 Hektar, als Zentrum zur Erforschung und Verwertung von Heilpflanzen für die Medizin. Der Gründer war der Ingenieur Matei Angheluţa. Ab dem Jahr 1950 wurde vermehrt Lavendel und Tabak angebaut. Wahrscheinlich waren das die ertragreichsten Pflanzen, auch in finanzieller Sicht. Nach dem Ausscheiden von In-


Rückblick

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Lavendelernte 1966, in der Bildmitte mit weißem Kittel Ing. Angheluţa. Fotos aus dem Nachlass von Ing. Angheluţa. genieur Angheluţa wurde der Betrieb bis zu seiner Auflösung im Jahr 2005 von Agraringenieur Ioan Bogdan geleitet. Es haben einige unserer Billeder Landsleute dort einen guten Arbeitsplatz gehabt. Die Arbeit war körperlich bestimmt nicht leicht, aber man war ja froh, einen Arbeitsplatz zu haben. Sowohl die Tabakblätter als auch die Lavendelblüten wurden in Handarbeit geerntet. Dabei wurden die Tabakblätter vom Stock händisch abgebrochen, bei der Lavendelernte wurde eine Sichel als Werkzeug verwendet. Ich kann mich noch gut erinnern, dass in den Sommerferien einige Schüler bei der Lavendel- und Tabakernte ihr Taschengeld aufgebessert haben. Bei diesen saisonal anfallenden Arbeiten waren viele Hände notwendig. Ich habe

noch das Bild vor meinen Augen mit den Erntehelfern mit großen Strohhüten zwischen den Lavendelreihen, mit der Sichel in rhythmischen Bewegungen die Lavendelbüschel abschneidend. Die abgeernteten Lavendelblüten wurden in die Hanffabrik gebracht und dort durch Destillation Lavendelöl gewonnen. Die Anlage wurde sehr streng bewacht, damit niemand von dem gut riechenden Öl etwas verschwinden lassen konnte. Lavendel ist reich an ätherischen Ölen. Daher duftet er auch so herrlich und ist ein beliebter Inhaltsstoff in Schönheits- und Kosmetikartikeln. Gleichzeitig hilft Lavendel auch bei Unruhe, Einschlafstörungen, Verspannung und Erschöpfung. Ein Kissen mit Lavendelblüten kann aber nicht nur für einen entspannten Schlaf sorgen,


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Rückblick

Der Lavendelkessel der Billeder Hanffabrik

sondern auch Motten im Kleiderschrank vertreiben! In der heutigen Zeit ist der Trend zurück zur Natur verstärkt zu beobachten. Nicht nur bei uns in Deutschland, sondern europaweit, weltweit. Medizin direkt aus der Natur: Lavendel, Baldrian, Johanniskraut und viele weitere Pflanzen werden schon seit Jahrhunderten in der Medizin eingesetzt. Aktuell verwenden immer mehr Menschen Pflanzen zur Behandlung von Krankheiten und Alltagsproblemen wie Schlafmangel oder Stress. Baldrian und Lavendel sollen zur Beruhigung führen und Knoblauch den gesamten Körper stärken. Thymian, Fenchel, Estragon und Majoran können nicht nur zum Kochen verwendet werden, sie finden ihren Einsatz auch in der Medizin. In der Medizin verwendete Pflanzen und Kräuter sollen eine sanfte Verbesserung und Heilung der verschiedenen Krankheiten bewirken. Schon seit dem Mittelalter gilt der Lavendel als wahres Wundermittel. Dank seiner antiseptischen, antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften verschonte er die Parfümeure in Grasse vor dem Schwarzen Tod, der Pest. Ich habe mich erinnert, dass die Tante von Nikolaus Faur dort gearbeitet hat, sodass ich ihn gebeten habe, aus seiner Erinnerung und dem Erzählten in der Familie etwas zu schreiben. Niki ist der Bitte gefolgt und hat Folgendes niedergeschrieben: Der Betrieb war Versuch-Station Billed und hat zu Bukarest gehört. Es wurde Lavendel und Tabak als Hauptkultur angebaut sowie Mais, Hafer und Klee als Nebenkultur, hauptsächlich als Futter für die Pferde. Die Pferde wurden zum Transport und zum Berarbeiten des Feldes eingesetzt. Die Setzlinge (Planze ) für den Lavendel und den Tabak wurden in Mistbeeten ge-


Rückblick

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Ing. Angheluţa in der Tabakplantage Anfang Juni 1960 züchtet, aber nicht pikiert. Tabaksetzlinge wurden nach Sorten gesät und auch gepflanzt. Der Samen für den Tabak wurde im Sommer selbst gemacht. Wenn der Tabak Blüten hatte, wurden diese künstlich bestäubt und dann stülpte man Kalkpapiertüten über die Blüten, damit die Sorte erhalten bleibt. Aus Lavendel wurde Öl gepresst. In der Hanffabrik stand zu diesem Zweck der Kessel, weil es dort Dampf gab. Die Lavendelblüten wurden geschnitten, mit dem Pferdewagen in die Hanffabrik gebracht, wo die Blüten in einen Kessel kamen, in dem unter Dampf destilliert wurde.

Der Betrieb hatte 5 bis 7 Mitarbeiter (Dauerangestellte). Im Sommer, wenn Tabak zu ernten war, kamen noch ein paar Saisonarbeiter hinzu. Beim Lavendelschneiden waren meistens Schüler beschäftigt (bis zu 10), die mit der Arbeit ihr Taschengeld aufbesserten. Es wurden so um die 400 bis 600 Liter Lavendelöl destilliert, es kam auf das Wetter und die Blüten an. Tabak wurde sortenweise geerntet, auf Schnüre eingereiht und zum Trocknen aufgehängt. Im Winter wurde er gebüschelt und zu Ballen zusammengefügt, dann an die Zigarettenfabrik verkauft.


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Ahnenforschung

Schwäbische Wurzeln durch Ahnenforschung gefunden Katharina Martini-Cherchi

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aria Theresia wollte das Banat nach den Türkenkriegen besiedeln und warb Menschen aus deutschen Gebieten an. Das war alles, was ich bis vor einigen Jahren von meiner Abstammung wusste. Klar, ich kannte meine Urgroßeltern in Neubeschenova, Großonkel aus Betschkerek und ich wusste, dass mein Vater in Großjetscha geboren wurde. Ich selbst bin in Billed geboren und ich war „Billederin“, bis man mir das durch den Satz nahm: „Was wollt ihr denn hier, ihr seid doch keine Billeder!“ Meine Eltern besuchten das Schlachtfest in Frankenthal. Mein Vater war fassungslos und ich mit ihm, als er es mir erzählte. Nun, ich hatte ja seit 1974 meine neue Heimat hier im Stuttgarter Raum. Ich ging in Schorndorf zur Schule, erlernte einen Beruf, heiratete einen wunderbaren Mann, bekam meine geliebten Kinder, wurde Schwiegermutter, bin Oma von zehn tollen Enkelkindern. Aber, mir fehlten die Wurzeln. Durch Auswanderung lebt ein großer Teil meiner Familie in Philadelphia, St. Louis, Chicago, Los Angeles. Ich hatte 2017 ein Familientreffen in Los Angeles und drei Wochen später in St. Louis, wohin mein Urgroßvater Johann Martini (Hebbesch) 1903 ausgewandert war, 1922 aber wieder nach Großjetscha zurückkehrte. Mein Opa, John Peter Martini, ist 1961 in St. Louis gestorben und auf dem Friedhof „Peter und Paul“ begraben. Wenn ich mich in den USA aufhalte, besuche ich sein Grab. Alle meine Cousinen in den Staaten betreiben Ahnenforschung und sie überzeugten mich mitzumachen. Ich erfuhr, dass meine Ahnen mütterlicherseits auf Lebens-

zeit verbannte Salpeterer aus dem Hotzenwald waren. Der „Sapetererhans“, Hans Fridolin Albiez (Hons Fridlin alt büetz), mein Urgroßvater 9. Grades, geboren 1654 in Rickenbach - starb 1727 im Gasthaus „Zum roten Bären“ in Freiburg, wo er 9 Monate unter Arrest stand. Er bewirtschaftete den „Getsteinhof“ auf dem Estelberg in Buch-Albbruck. Albiez war Redmann und kämpfte gegen die Leibeigenschaft der Bevölkerung zu St. Blasien. Persönlich war er als St. Blasianischer Eigenmann nicht betroffen. Doch als Vertreter aller Bauern, also der freien und unfreien, die als Einungsgenossen alle gleiche Rechte und Pflichten hatten, wollte er die Macht der Mönche begrenzt wissen. Im Sommer 1726, mit 71 Jahren, machte er sich auf den Weg nach Wien, um mit dem Kaiser direkt zu verhandeln, was für die damalige Zeit ein ungeheuerliches Ereignis war. Er hatte keinen Erfolg und wurde im Gasthof „Zum roten Bären“ in Freiburg unter Arrest gestellt, wo er am 29. September 1727 um 10 Uhr, im Beisein seiner Frau Maria Enderlin und des Abtes Franziskus von St. Blasien verstarb. Der Abt schrieb: „deß verstorbenen Eheweib bis auf den letzten abtruckh zugegen geweßen (sei) undt habe guethe und sorgfältige abwarthung von selbsten mit augen gesehen.“ Generallandesarchiv Abt.113/224. In der Zeit des Arrestes von Albiez wanderte eine treue Magd, das „rote Maidli“, die ledige Anna Wasmer aus Buch-Heide, häufig nach Freiburg und zurück und brachte ihm frische Wäsche und schmuggelte Botschaften.


Ahnenforschung Aus dem Verhörprotokoll ist überliefert (GLA Abt. 113/224): „Ich bi z‘Friburg im Bärewirtshuus hinterem Huus uff ere Bank g‘sesse und do isch so e Zettel vu de Laube obea keith. Dä han ich dann uffg‘hebt und bi gange...Ich hab aber not g‘wüsst, wer dä Zettel vu de Laube abeg‘kheit hät“. Es gab immer wieder schlimme Unruhen im Hotzenwald gegen das Kloster St. Blasien von Seiten der Salpeterer, den „Unruhigen“. Es gab auch die „Ruhigen“. Da möchte ich einfügen: Mit meinem Mann reiste ich letztes Jahr zweimal in den Hotzenwald, um in Birndorf in den Kirchenbüchern nachzuschlagen. Ich war eine der Letzten, die das noch durften. Neben der Kirche befindet sich die Gaststätte „Hirschen“. Wir buchten dort unsere Übernachtungen. Auf dem Weg dorthin fragte ich meinen Mann, ob er wüsste, wie die Besitzer heißen. Er verneinte. Ich hatte so eine Ahnung, da wir bei unserem letzten Besuch dieser Gegend am Gasthof vorbeifuhren und ich las an der Hausfront: Historischer Landgasthof „Bläsi-Stube“ im Familienbesitz seit 1866. Gründung als Lehenhof des Klosters St. Blasien -1351-. Und siehe da, es waren die Ebners. Neben dem Gebäude sah ich einen sehr alten Grabstein und ich wusste sofort, das ist meine Familie. Zum Abendessen kam der Seniorchef an unseren Tisch, wobei ich ihm mitteilte, dass wir aus derselben Familie stammen. Es stimmte... Fridolin Ebner, geb.1651 in Birndorf - gest.1711 in Steinbach und Maria Leber, geb. 1656 in Birndorf, waren unsere gemeinsamen Urgroßeltern, ich hab‘ Familie gefunden. Die Salpeterunruhen entzweiten aber diese Familie. Seine Familie gehörte zu den „Ruhigen“, meine nicht. Georg Ebner, geb. 7.4.1701 in Steinbach - gest. 20.8.1763 in Neubeschenova, gehörte zu den 27 Salpeterer, die Maria Theresia 1755 auf Lebenszeit ins Banat verbannte.

45 Die­se Salpeterergeschichten sind im Hotzenwald noch sehr präsent, auch an vielen Häuserfronten zu lesen. Der Senior brannte Schnaps und wir verkosteten seine Sorten. Leutselig sagte er mir, er wäre Salpeterer. Ich nickte und sagte vergnügt: Ich auch und was für eine!!! Meine Vorfahren waren keine Abnicker, sagte ich ihm. Er meinte, es wäre ja um die Existenz gegangen. Ja, richtig, meine Familie bezahlte mit Verbannung. Maria Theresia beschloss als abschreckende Maßnahme im Jahr 1755, 27 Familien zu lebenslanger Verbannung aus dem äußersten Westen des Habsburgerreichs bis an dessen östliche Grenze, nach Ungarn, zu schicken. Darunter waren neben Georg Ebner, zwei Söhne des Hans Fridolin Albiez, Martin Artzner, Michael und Fridle Eckert, Stritmater, die alle zu meiner Familie gehören. Ein Gedicht, das an der Wand im Gasthof „Hirschen“ hing, möchte ich gerne weitergeben: DER HOTZ Koi gotzig Menschli häts no gebe uf dere krumme Welt, Do hät der Herrgott allewege die Engel zammegschellt. „Jetzt gönnt er uf de Schwarzwald aba und klopfet Felse chlai. Was Großes will i jetzt go mache. I bin nit gern alai“ Und flugs sind sie ins Albtal cho, wo d`Felsa stönd im Hag. Sie sind dabei grad Fürecho, wod`Felsachuchi lag.


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Abb. oben: Meine Mutter Katharina Martini, geb. Ditschinger in der Ausstellung der Billeder Heimatstube anlässlich unseres Besuches 2018.

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Abb. unten: Meine GroĂ&#x;mutter Ida Wiedmaier verh. Martini, mein Vater Johann Martini und mein GroĂ&#x;vater John Peter Martini 1943. Das Foto entstand bevor mein Opa zum Regiment Prinz Eugen eingezogen wurde.


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Do hent se klopfet `s Albtal na, das ganze Tal hät gsunge. Und was ma it fast glaube cha: sind Mensche usa gschprunge. Und obsi, absi sind sie grennt uf Schluchsee und i d`Schwitz. Sie sind da us da Felsawänd geschosse wie de Blitz. Uf eimol bleibt des Chlopfe stoh, de Engel stönd am Rai. An dicke Felse isch no do, Sie bringe ihn nit chlai. Fast Angst hent sie do übercho vor some grobe Chlotz, den hent sie einfach liege loh und gseit: „Du bist en Hotz!“

Silvester Ebner

Eine Linie meiner Mutter, Katharina Ditschinger, möchte ich kurz beschreiben. Mein Ururgroßvater Mathias Ditschinger (1848-1889) Neubeschenova (ein Hotzenwälder) heiratete Barbara Wersching (1854-1942) in Neubeschenova. Bei meinen Recherchen der Familie Wersching stieß ich bei meinem Urgroßvater Nikolaus Wersching auf den Geburtsort Dösterhof. Geboren 1729, gest. in Neubeschenova 1771. Er heiratete Anna Till (1742-1768). Zur Geschichte des Hofgutes Dösterhof fand ich Folgendes: Bereits in der Römerzeit befand sich vermutlich ein römischer Pachthof (sogen. „Villa“) bei Altland gelegen. Bruchstücke eines römerzeitlichen Mühlsteins wur-

den im Bach unterhalb des Dösterhofes gefunden. Dieser lag an einer Römerstraße, die von Trier über Zerf, Weiskirchen, Bahnhof Wadern über den Dösterhof und Altland nach Tholey führte. Auf dem Hofgut Dösterhof befand sich während des gesamten 18. Jh. eine Schäferei. Diese hatte von 1718 bis 1760 eine Familie Wersching ( auch Wirschem/ Würschem ) aus Boppard gepachtet. Ein Auszug aus dem Pachtvertrag: Der Schäfer muss mit 300 Schafen anfangen. Zu seinem Unterhalt werden dem Pächter die drei Weiher bei und hinter Schwarzenburg, der alte Brühl (Wiese) unter dem Schwarzenburger Weiher, der herrschaftliche Brühl zu Lockweiler mit dem Heu, das die Lockweiler Untertanen an der Fron machen mussten. Der Schäfer hat freie Wohnung auf dem Hof, muss aber die Gebäude unterhalten und „einen Hauptbau“ der gnädigen Herrschaft zukommen lassen. Von der Herrschaft erhält er jährlich 4 Fass Weizen und 6 Malter Korn und darf jährlich 4 Fass abwechselnd Korn und Hafer auf herrschaftlichen Feldern säen. Außerdem darf er 4 Stück Rindvieh und 10 Schweine halten. Für die vierjährige Pacht muss er eine einmalige Zahlung von 200 Talern leisten. (Pachtvertrag von Michaelis 1753 bis Michaelis 1757) Der Pächter vom Dösterhof Johann Wersching, geb.1678 in Boppard - gest.1755 Dösterhof, heiratete Apollonia Spengler, geb. 1685 Burg Balduinseck, Buch, Hunsrück - gest.1758 Dösterhof. Der Vater von Apollonia war Burggraf, Hofpächter auf Balduinseck. Die Ruinen stehen noch heute. Johann und Apollonia hatten 10 Kinder. Als Johann Wersching 1755 starb, versuchten die Söhne den Hof zu halten. Es misslang und so entschieden sich Nikolaus, geb.1729 Dösterhof- gest.1771 Neube-


48 schenova, und Johann, geb.1719 Dösterhof- gest. 1791 Neubeschenova, zur Auswanderung. Die restlichen Kinder blieben in der Umgebung vom Dösterhof. Im März dieses Jahres hatten wir vor, den Hof und die Umgebung zu besuchen. Ich hatte schon mit dem Verwalter des Hofes telefonisch einen Termin ausgemacht. Leider kam uns die Pandemie dazwischen. Ich hoffe sehr, dass wir bald die Gelegenheit zu einer kleinen Reise in die Vergangenheit bekommen. Durch Ahnenforschung erfuhr ich, dass meine Vorfahren von drei Linien aus der Gegend von Trier, Koblenz, Belgien, Luxemburg, Elsass, Böhmen und dem Südschwarzwald ausgewandert sind. Aber da war noch meine Oma Ida Maria Wiedmaier, verheiratete Martini. Sie wurde in Mannsburg, Bessarabien, geboren. Anfang der dreißiger Jahre floh sie aus privaten Gründen ins Banat, wo sie in Grossjetscha Zuflucht, Arbeit und ihren Ehemann fand. Ihre Linie ist besonders interessant. Meine Urgroßmutter war Anna Maria Rath, geborene Bohnet. Christian Rath, mein Urgroßvater 5. Grades, geb. 1766 in Pfalzgrafenweiler, gest. 1834 in Kulm Akkermann, Bessarabien hatte die Salzdomäne in Pfalzgrafenweiler. Schon sein Opa war der „Salzhans“. 24. April 1798: Ein Großbrand vernichtete fast den ganzen Ort. Das war einer der Gründe, warum viele Menschen 1799 nach Preußisch Polen, Nähe Lodz, ausgewandert sind. Christian Rath leitete den Treck nach Preußisch Polen. Sie gründeten die Kolonie Rathenfeld, wo mein Urgroßvater Bürgermeister und Richter war. Man hatte den Auswanderern Ackerland versprochen. Was sie vorfanden, war Wald, der erst gerodet werden musste. Ein hartes Unterfangen. Die Sterberate war hoch, bedingt durch ungewohnte Arbeit und Krankheiten.

Ahnenforschung Nach der territorialen Neugestaltung der Grenzen durch Napoleon I. ab 1806, entstand das Herzogtum Warschau. Die Siedler verloren alle ihre Privilegien und hatten unter den Großgrundbesitzern Polens und dem katholischen Klerus sehr zu leiden. Dazu kam 1812 der Feldzug Napoleons nach Russland, wodurch dieses Gebiet in große Mitleidenschaft gezogen wurde. In dieser Situation kam den Menschen die Einladung von Zar Alexander I. zur Weiterwanderung nach Bessarabien sehr entgegen. Mein Urgroßvater 5. Grades Bernhardt Bohnet, geb. 1778 in Untermusbach bei Freudenstadt, wanderte 1803 nach Preußisch Polen aus, wo er in Grömbach, Polen, ansiedelte. Ihn erreichte das gleiche Schicksal und so kam es, dass sie dem Ruf des Zaren folgten. Der russische Regierungskommissar Krüger, mein Urgroßvater Bernhardt Bohnet und Martin Vossler führten 1814 einen Treck von 134 Familien nach Bessarabien. Alexander I wollte das Gebiet bei Odessa besiedeln. Sie waren Mitgründer der Kolonie Wittenberg/Bessarabien. Die Familie meiner Oma lebte dort bis 1940. Sie wurden mit insgesamt 900.000 Volksdeutschen in den polnischen Warthegau in Lager und auf Bauernhöfen von zuvor vertriebenen Polen angesiedelt, wo sie die „Eindeutschung“ vorantreiben sollten. Nach dem II. Weltkrieg wurden diese Menschen zu Flüchtlingen, die zurück nach Deutschland kamen. Meine Oma sah ihre Familie 1974 das erste Mal wieder, als wir zusammen aus dem Banat nach Deutschland auswanderten. Es war ein Glück, dass wir nur 15 km entfernt von der Familie meiner Oma eine neue Heimat fanden. Abb. rechts: Die Hauensteiner Flagge mit Tanne im „Einungszimmer“ im „Gasthaus Hirschen“ in Dogern (Hotzenwald).


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50 Wenn ich die Linie meiner Oma väterlicherseits in meinem Stammbaum anschaue, der bis zum Jahr 967 zurückgeht, bin ich sehr stolz, welche Personen darin vorkommen. Die Orte, aus denen meine Familie stammt, sind: Pfalzgrafenweiler, Musbach, Nagold, Calw, Sindelfingen, Stuttgart ... Die Namen sind: Wiedmaier, Dahlinger, Rath, Leitz, Bohnet, Roller, Teufel, Vaut, Stickel, Fruoth, Hayr ... Johannes Vaut, genannt zum Stock, (Bürgermeister von Zuffenhausen), geb. 1414 in Zuffenhausen, und seine Frau Elisabeth, Edle von Plieningen, geb. 1419 in Wangen im Allgäu, sind Stammeltern vieler bedeutender Familien Württembergs. Friedrich von Schiller, 10.11.1759 in Marbach geboren, hat in dieser Linie einen gemeinsamen Vorfahren mit mir. Genauso Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Friedrich Hölderlin u.a. Besonders stolz bin ich darauf, dass ich in dieser VautLinie drei Generationen Ahnen gemeinsam mit Grace Kelly (später Fürstin Gracia Patricia von Monaco), geb. 12.11.1929 in Philadelphia/USA, habe. Burkhard Stickel, geb.1500 in Stuttgart, (Sohn von Barbara Vaut und Johann Stickel) heiratete Anna Fürderer von Richtenfels, geb. 1508 in Stuttgart, sind meine Urgroßeltern 14. Grades. Burkhard war Kammerrat in Stuttgart, 1522 Kanzleischreiber, 1527 Kastkeller, 1531 Rentkammerkanzlist, 1541 geistlicher Verwalter, 1547 Burgvogt in Schorndorf. Das Schloss in Schorndorf steht heute noch. Darin befindet sich das Amtsgericht. Im Schlosspark ist ein schöner Kinderspielplatz. Mit meinen Kindern bin ich gerne auf diesen Spielplatz gegangen, nichtsahnend, dass dieses alte Gemäuer von meinen Vorfahren bewohnt wurde. Das Epitaph der beiden befindet sich in der Leonhards-

Ahnenforschung kirche in Stuttgart, rechts hinter dem Altar. Bin ich in Stuttgart, besuche ich es immer wieder gern. Ein weiterer Urahn von mir ist Jakob Heerbrand, geb. 12.8.1521 in Giengen an der Brenz. Er heiratete Margarete Stammler. Er besuchte die Lateinschule in Giengen, dann das Gymnasium in Ulm. Als begeisteter Student saß er in Wittenberg (1538-1543) zu Füßen Luthers und Melanchtons. Magister in Wittenberg 1540, Dr. theol. Tübingen 1550, bis 1556 Dekan und Stadtpfarrer in Herrenberg. Anschließend war er ein Jahr beim Markgrafen Karl von Baden, um dort die Reformation einzuführen. Er wird der Reformator Badens genannt. Gehe ich weiter in der Linie Stammler, finde ich meinen Urgroßvater 21. Grades Ulrich Portner von Habsburg und Wellenburg, geb. 1214. Die Ruinen seines Geburtsortes Schloss Limburg-im-Breisgau befinden sich in der Nachbarschaft des Wohnortes meiner älteren Tochter. Diese Reihe meiner Ahnen endet mit meinen Urgroßeltern 27. Grades: mit Radbot Graf von Habsburg, geb.970 in Habsburg, Aargau, Schweiz und seiner Frau Ida von Lothringen, geb. 970 in Metz, Moselle, France, sowie Eberhard dem IV von Nellenburg, geb. 971 in Nellenburg, Rheinland. Er heiratete Hedwig von Lothringen. An meinem Stammbaum arbeite ich seit 4 Jahren fast täglich. Im Moment sind es 13 546 Personen, die ich gefunden habe, natürlich mit Nebenlinien. Meine ersten Schritte in der Ahnenforschung machte ich mit meinen neu gefundenen Cousinen aus den USA. Inzwischen helfe ich in verschiedenen Gruppen anderen Ahnenforschern: • Donauschwaben Villages Helping Hands • St. Louis Genealogical society • Neubeschenowa/Ujbesenyo • Bessarabiendeutsch und stolz darauf


Ahnenforschung

Dorris Keeven-Franke, Ahnenforscherin und Autorin aus St. Louis, Missouri, USA, fand für mich die ersten Martinis, die zu meiner Familie gehörten, in Los Angeles und St. Louis. Klara Bollinger, Ahnenforscherin und Autorin aus Wittenberg, Bessarabien, sandte mir Unterlagen zu den Familien Bohnet und Rath. Durch diesen Bericht möchte ich andere Personen dazu ermutigen, nachzuschauen, wo ihre Wurzeln sind. Es fühlt sich gut an, herauszufinden, dass man ein Teil der Geschichte Deutschlands ist und nicht nur auf die Auswanderung ins Banat reduziert ist. Da meine Forschungen 27 Generationen enthalten, ist der Teil der Auswanderung ins Banat für mich zu einem Lidschlag geworden. 32 Jahre konnte ich mich nicht überwinden, das Banat zu besuchen. Zu belastend waren für mich und meinen Mann die Erlebnisse an der rumänischen und unga-

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Abb. oben: Gruppenbild der Martinis bei unserem Familien­ treffen in Los Angeles 2017. Der zweite von links ist John Muck. Er ist der Enkel der Schwester meines Urgroßvaters. Ganz rechts außen steht Julie Cleaver, die Tochter von John, meine Cousine 3. Grades. Sie ist die erste Person, die Dorris Keeven-Franke aus St. Louis für mich über Ancestry fand. Mit der ganzen Familie sind wir in engem Kontakt. rischen Grenze im Jahr 1985. Wir waren für ein Wochenende nach Neubeschenova gefahren, um an der Hochzeitsfeier meiner Cousine teilzunehmen. Seit zwei Jahren waren wir dreimal dort. Cousinen aus St. Louis und Chicago wollten sehen, woher sie stammen. Auch mit drei Enkelkindern sind mein Mann und ich ins Banat gefahren. Ich war glücklich, alte Gräber meiner Familie wiederzusehen. Traurig macht mich der Zustand der Friedhöfe in Neubeschenova, Großjetscha und Kowatschi.


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„Liebe Elsa, kédvés Imré“ Die Postkartensammlung meiner Billeder Urgroßmutter als Spiegel von Geschichte im Alltag M. A. Astrid Ziegler, geb. Roman Als Kind im Billeder Haus Nr. 346 enn ich als Kind bei meinen Billeder Großeltern zu Besuch war, spürte ich, dass ihr großes Haus ein ganz besonderer Ort war. Ich schritt ehrfurchtsvoll durch die großen Zimmer, bestaunte die schweren Eichenmöbel im Wohnzimmer, die ewighohen Doppeltüren, deckenhohe Bücherregale und den riesigen Schreibtisch meines Urgroßvaters, auf dem der Panzer einer Schildkröte stand. Spielsachen gab es im ganzen Haus nur wenige, dafür einen Flügel, auf dem ich herumklimpern durfte, ohne dass es die Erwachsenen gestört hätte. Und wenn doch, dann waren sie froh, dass ich beschäftigt war und ließen sich nichts anmerken. Am liebsten aber hielt ich mich im Omalein-Zimmer auf, dem Reich meiner Urgroßmutter Elsa. Sie war damals schon über 80 1, wirkte jedoch noch wunderbar mädchenhaft mit ihrer zierlichen Gestalt, dem verschmitzten Lächeln und den langen, noch dunklen, durch einen Kamm hochgesteckten Haare. Ich wusste damals noch nicht, dass sie ihren Sohn im Krieg und ihren Mann im Baragan verloren hatte. Mit Kindern wurde darüber nicht gesprochen. Elsa hatte einen Schaukelstuhl im Zimmer, in dem ich eine gefühlte Ewigkeit sitzen konnte. Das ganze Zimmer wirkte wie verzaubert, als sei die Zeit in ihrer Jugend stehen geblieben. An den Wänden hing ein selbstgemaltes Still-Leben, in der Vitrine glitzerte Kristall und auf der Kommode standen Fotografien aus vergangenen Jahren:

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1 Elsa Pierre, geb. Kleitsch ist am 13.12.1893 in Lowrin geboren

Elsa mit ihren Geschwistern, als schöne junge Frau, als glückliche Braut und schließlich mit der eigenen Tochter, meiner Großmutter. Alles war schön, doch auf der Kommode, oder war es in der Vitrine, lag ein ganz besonderer Schatz: Das Album mit der Postkartensammlung, die unser „Omalein“ seit ihrem 11. Lebensjahr angelegt hatte. Es war das kostbarste und feinste Buch, das ich bis dahin gesehen hatte. Der Deckel war massiv und mit dem Relief eines Mädchens verziert. Im Inneren steckten kunstvoll bemalte Karten in Schlitzen, so dass man sie vorsichtig entfernen und auch die Kehrseite ansehen konnte, die meist beschriftet war. Das Postkartenalbum as damals für mich als 10-Jährige das schönste Kinderbuch der Welt darstellte, ist heute für mich ein Dokument der Familiengeschichte und ein einzigartiges historisches Zeitzeugnis. Gerade die Rolle meiner Urgroßmutter als Sammlerin und damit Bewahrerin der Kultur dieser speziellen Epoche ist mit dieser Untersuchung zu würdigen. Das Sammeln und Erforschen von Postkarten nennt man Philokartie. Der Begriff wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts geprägt, nachdem die Ansichtskarte als Kommunikationsmittel einen großen Aufschwung erlebt hat und bezeichnet ein Phänomen zwischen (Sammel-) Leidenschaft und Wissenschaft. Besonders in Deutschland, aber auch in anderen deutschsprachigen Ländern

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Abb. 1, 2: Das Haus Billed Nr. 346, StraĂ&#x;enansicht Die Hauptgasse mit dem Haus Nr. 346 in der Bildmitte


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Abb. 3: Das Postkartenalbum, Deckblatt wie z.B. Österreich, waren Anfang des 20. Jahrhunderts Ansichtskarten-Alben so modern geworden, dass dieses Sammelfieber als „Deutsche Epidemie“ bezeichnet wurde. Meine Urgroßmutter stellte also keine Ausnahme mit ihrem Postkartenbuch dar, sondern lag voll im Trend. Dass die Sammlung jedoch trotz Krieg, Flucht und Deportation erhalten geblieben ist, zeigt deren große Bedeutung für die ganze Familie.

Heimatforschung Alte Ansichtskarten sind heute nicht nur wegen ihrer Briefmarken begehrt, sie dienen auch als Belegstücke und Hilfsmittel für andere Forschungsbereiche. Inwieweit die Postkarten von Elsa Pierre für die Banater Heimatforschung oder darüber hinaus bedeutend ist, bedarf noch intensiverer Beschäftigung. Die Sammlung, die meine Urgroßmutter hinterlassen hat, umfasst 147 Ansichtskarten, etwa die Hälfte davon beschrieben. In dem schon stark beschädigten Album war ursprünglich Platz für weitere, die im Lauf der Jahre verloren gegangen sind. Die älteste Karte stammt aus dem Jahr 1901, die letzten im Konvolut wurden in den 20er Jahren verschickt. Adressaten sind verschiedene Mitglieder der Familie Kleitsch und Pierre, die Absender bilden ein Netzwerk von Verwandten, Bekannten und Freunden. Deren Mitglieder reisten z.B. bis nach Pullach i. Isartal, Tschechien oder Dalmatien und sendeten Grüße, Glückwünsche oder Lebenszeichen nach Billed. Die größte Entfernung hat eine Postkarte aus Kairo zurückgelegt, die Elsas Bruder Imré (oder Emmerich, wie er in manchen Schreiben genannt wurde) im Jahre 1911 an seine Angehörigen geschickt hatte. Auch über Geburten und Todesfälle in der Familie, die immer weiter verzweigt auch in Ungarn lebte, wurde per Postkarte informiert. Blättert man in dem dicken Sammelalbum, fällt auf, dass die Bildmotive thematisch sortiert waren. Da gab es „Kinderkarten“ mit süßen Haustieren, Blumenmotive, Jagdszenen, Landschaftsbilder oder sehr ästhetische Frauendarstellungen. Diese sind wie Mannequins in der damaligen Mode gekleidet, oft mit floralem Schmuck versehen, Ikonen des Jugendstils und muten wie Ahninnen der heutigen Supermodels an. Anhand der wunderschönen Karten kann man sich vorstellen, wie behütet meine Urgroßmutter in Billed in


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Abb. 4: Ikonen des Jugendstils der Vorkriegszeit aufgewachsen ist. Es spiegelt sich darin zuerst das Leben einer gutbürgerlichen Familie, die trotz des frühen Todes des Vaters2 zusammenhielt und 2 Elsas Vater Johann Kleitsch war Amtsarzt in Lowrin gewesen und starb schon kurz nach der Geburt seiner jüngsten Tochter an einer Blutvergiftung

sich häufig per Post austauschte. Viele Karten sind in ungarischer Sprache geschrieben, die meisten müssten aufgrund der schwer leserlichen Handschrift noch entziffert werden. Doch der Kinderwortschatz an die kleine Sammlerin ist leicht zu verstehen: Der lieben Elsa werden viele Grüße, Küsse und Glückwünsche gesendet.


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Abb. 5: Ikonen des Jugendstils

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Der 1. Weltkrieg im Spiegel der Postkarten inen großen Raum nehmen Postkarten des Ersten Weltkriegs ein, was die Frage aufwirft, wie sich das Thema Krieg in die Sammlung eines jungen, romanti­ schen Mädchens einfügt. Neuere Studien zu Bildpostkarten im Ersten Weltkrieg weisen auf deren zentrale Rolle als Propagandamedium hin3. 4 Durch die Kombination von qualitativ hochwertigen Bildern und eigenen Texten entwickelte sich eine große emotionale Durchschlagskraft. 10 Milliarden Karten, die als Feldpost kostenlos befördert wurden, hielten den Kontakt zwischen den Soldaten an der Front und der Heimat aufrecht. Auch im Sammelalbum meiner Urgroßmutter finden sich Karten, die an den Verlobten oder den Bruder als Feldpost geschickt wurden. Betrachtet man die Karten, die in unserer Billeder Sammlung den Weltkrieg zum Thema haben, fallen eine Reihe von sehr ästhetischen Stücken ins Auge, die wie auf der Rückseite gekennzeichnet, von dem Maler Brynolf Wennerberg gestaltet und im Verlag Albert Langen gedruckt wurden. Dieser schwedisch-deutsche Künstler war Mitarbeiter der bekannten Satirezeitschrift „Simplizissimus“ in München gewesen. Nach Ausbruch des Krieges 1914 schuf er im Zuge der allgemeinen nationalen Kriegs­ begeisterung eine Serie von patriotischen Postkarten in denen er sein Lieblingsmotiv aufgriff, nämlich die Darstellung von jungen schönen, modisch gekleideten Frauen. In Kombination mit den Soldaten in makellos-schnittigen Uniformen und stilvollem Ambiente entstehen idealisierte Szenen, die mit der grausamen Kriegsrealität nichts zu

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3 Jost Siebolds:Propaganda in Bildpostkarten, feldpost.hypothese.org/ tag/propaganda 4 Sabine Griesbrecht: Musik und Propaganda: Der erste Weltkrieg im Spiegel deutscher Bildpostkarten, epOS-Verlag, 1. Edition (1. März 2014)

Abb. 6: Feldpost von Elsa an ihren zukünftigen Mann Johann Pierre. Die Karte wurde ohne Briefmarke kostenlos befördert


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Abb. 6 und 7 Propagandapostkarten von Brynolf Wennerberg

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Heimatforschung tun haben. In dem schönen Album von Elsa fügen sich solche Idyllen perfekt in die Sammlung der romantischen jungen Frau ein. Anders verhält es sich jedoch mit der Serie der österreichischen Postkarten, die laut Rückseite 1916 zum Wie­ deraufbau zerstörter Karpatendörfer und zur Unterstützung von Witwen und Waisen gedruckt worden waren. Hier befinden sich Soldaten in K.u.K. Uniformen in heroischer Pose im Eifer des Gefechts. Wenngleich die Darstellung auch hier nicht viel mit der tatsächlichen, sinnlosen Brutalität des Krieges zu tun hat und z.B. Gefallene oder Verstümmelte, derer es ja viele Millionen gegeben hat, nicht gezeigt werden, so finden wir doch Szenen, in denen Soldaten unter großer Anstrengung für Kaiser und Vaterland kämpfen.

Abb. 8 und 9 Österreich-ungarische Propagandapostkarten


Heimatforschung Damit findet die Kriegsrealität ihren Niederschlag in der Postkartensammlung und man kann sich die Sorge vorstellen, die die Frauen zu Hause um ihre Freunde, Brüder oder Verlobte empfunden haben. Elsa zumindest hatte Glück, ihr zukünftiger Ehemann, mein Urgroßvater Johann Pierre, der auch als Offizier im Krieg gewesen war, kehrte zurück, die beiden hatten noch vor Kriegsende am 29.06.1918 geheiratet. Das Trauma der Inflation: Ein Vermögen für eine Briefmarke uch ein weiteres Phäno­ men von welthistorischer Bedeutung spiegelt sich in dem Billeder Postkartenalbum, nämlich die Inflation. Auf einer Karte, die an Johann Pierre adressiert und auf den 23.08.1923 datiert ist und deren Ansicht die schöne Kirche in Pullach im Isartal zeigt, finden sich äußert interessante Briefmarken. Über das ursprünglich geringe Porto von 25 Mark ist in dicken schwarzen Zahlen und Buchstaben ein neuer Betrag gedruckt, nämlich die unvorstell-

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Abb. 10, 11, 12 (links und oben) Hochzeitsbild von Elsa und Johann Pierre, Elsa als junge Frau, Elsa mit ihrer Tochter Mitzi

Abb. 13, 14 (rechte Seite) Karte aus Pullach im Isartal mit Briefmarken der Inflation


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bare Summe von 20 tausend Mark pro Marke. Die Geldentwertung hatte sich im Laufe des Jahres 1923 immer weiter beschleunigt. Wer seinen Lohn nicht gleich nach Erhalt wieder ausgab, konnte sich schon Tage, manchmal Stunden später kaum mehr etwas davon kaufen. Die

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Menschen rechneten bald in Bündeln statt in Scheinen. Ich stelle mir vor, wie man mit der Schubkarre zum Briefmarkenkauf gehen musste. Erst Ende 1923, nach der Einführung der „Rentenmark“ durch die Währungsreform, wurde die Inflation beendet. Alle Bildpostkarten im Album haben gemeinsam, dass es sich um hochwertige Drucke von Gemälden oder Fotos handelt, die als künstlerisch wertvoll einzustufen sind. Das verbindende Element nach dem gesammelt wurde, ist die Qualität der Objekte.


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Banater Idylle ines der zauberhaftesten Motive der Sammlung zeigt Haus und Hof eines typischen Anwesens im Banat mit zwei in Tracht gekleideten Frauen. Im Hof stehen Oleanderbäume, die in hölzerne Kübel gepflanzt sind. Der Titel des Bildes „Der Sonntagsbesuch“ lässt mich wieder an das Billeder Haus und seine damaligen Bewohner denken. Auch dort gab es noch in meiner Kindheit neben vielen anderen exotischen Pflanzen Oleander.

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Ich stelle mir vor, wie Geselligkeit und Gastfreundschaft das Leben dort vor dem ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit geprägt haben. Die hohen Räume erfüllt von Betriebsamkeit und den Stimmen von Elsa und ihrer, meiner Familie. Ich würde mich gerne dazugesellen bei einem Glas Rosenwasser (ein Getränk, das ich seit meiner Kindheit im Banat nie mehr getrunken habe) und ihren Erzählungen lauschen. Ich würde vielleicht auf meine Identität zu sprechen kommen. Dass ich auch nach so vielen Jahren in München auch ein bisschen Bil-


Heimatforschung lederin bleiben werde. Das würde sie bestimmt freuen, waren doch auch sie sowohl Billeder Schwaben und Banater Deutsche, patriotische Kinder Österreich-Ungarns und gleichzeitig reisefreudige Europäer. Heimatverbundenheit und Weltoffenheit stellten für sie keine Gegensätze dar. Ich lege das Album – unseren Familienschatz- zur Seite und denke an meine Urgroßmutter, die liebe Elsa, die das Buch in glücklichen Jugendtagen im Banat, in Unkenntnis der schweren Schicksalsschläge, die kommen sollten, angelegt hatte. Es wurde bei uns trotz turbulenter Zeiten von Generation zu Generation weitergegeben, so wie es später auch meine Kinder bekommen werden.

Abb. 15 (linke Seite) Postkarte mit Banater Anwesen Abb. 16 (rechts) Laubengang im Billeder Haus 346 mit exotischen Pflanzen

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Auswanderungen aus dem Veischedetal in das österreichisch-ungarische Banat 1763 – 1788 (Teil 1)

Walter Stupperich

Vorwort erne komme ich dem Wunsch des Vorstandes der Heimatortsgemeinschaft Billed e.V. nach, meinen Artikel über die Auswanderungen aus dem Veischedetal, in dem der Verfasser wohnt, im Billeder Heimatblatt 2020 zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung soll auch gleichzeitig ein Dank sein an den Vorsitzenden der HOG, Herrn Werner Gilde, der mich bei meinen Recherchen sehr unterstützte. Dieser Beitrag über die Auswanderungen wurde von mir verfasst zur Veröffentlichung in den „Südsauerland – Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe“. Er erschien in dieser Vierteljahreszeitschrift in den Heften 1 – 3 /2020, Folgen 278 – 280. Der Grund für meine Arbeit war die 1000-Jahrfeier des Ortes Kirchveischede, dem Mittelpunkt des Veischedetales, aus dem seinerzeit sehr viele Auswanderer in das Banat zogen. Ich wollte mit dieser Veröffentlichung den Bewohnern des Veischedetales vor Augen führen, wie die wirtschaftliche Situation vor 250 Jahren im hiesigen Raum war, die so viele Einwohner bewog, in ein fremdes und unbekanntes Land zu ziehen. Es war mein Bestreben, den heimischen Lesern aber auch vor Augen zu führen, in was für ein Land diese Menschen damals zogen. Es erwartete sie nicht nur ein „Land, wo Milch und Honig flossen“, sondern auch ein Land mit viel Leid und einem großen Sterben. Das Veischedetal liegt im südlichen Teil von Nordrhein-Westfalen, dem Sauerland. Die Veischede, ein kleines Flüsschen mit einer Länge von 16,5 km, entspringt ober-

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halb Oberveischede und mündet bei Grevenbrück in die Lenne. Der Ort Bilstein mit seiner Burg war über Jahrhunderte hinweg Sitz der Regierenden, die über Teile des südlichen Westfalens herrschten. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts waren es die Edelherren von Gevore, die hier die oberste Gerichtsbarkeit Walter Stupperich, ausübten. Später kam Bilstein unter Heimatforscher aus die Herrschaft Kurkölns. Mit dem Grevenbrück Übergang des Herzogtums Westfalens von Hessen-Darmstadt an Preußen wurde dieses Gebiet dem Regierungsbezirk Arnsberg in der Provinz Westfalen zugeordnet. Einer der neu gebildeten Kreise hatte 1817 seinen Sitz in Bilstein. Der Sitz des Kreises wurde aber 1819 dann nach Olpe verlegt. Wie der bekannte Banat-Forscher Friedhelm Treude festgestellt hat, sollen es wohl um die 2000 Personen gewesen sein, die sich seinerzeit in das Banat aufmachten, um eine neue Heimat zu finden. Insbesondere war Billed ein Ort, das vielen Auswanderern damals zur Ansiedlung zugewiesen wurde. Zeugnis hiervon geben sowohl die von Treude erstellte Tabelle über die Sauerländer Erstsiedler in der „Sauerländer Gasse“ von Billed, als auch der von Wilhelm Weber erstellte Dorfplan von Billed aus dem Jahr 1774 mit den von Sauerländern in Billed bewohnten Häusern.


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Möge dieser Artikel auch ein Beweis sein für die Nachkommen der Sauerländer Siedler aus dem Veischedetal, die sich eventuell in ihrer HOG Billed zusammengefunden haben, dass sie und ihre Vorfahren hier im Land ihrer Ahnen nicht vergessen sind. Abbildungen 1. Oberveischede / Sauerland: Dorfansicht von der Schlaah aus um 1960 (Quelle: Archiv Heimatfreunde Oberveischede) 2. Ausschnitt aus der Landkarte des Kreises Olpe von 1950 (Quelle: Stadtarchiv Olpe)

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68 Einführung .000 Jahre Kirchveischede! Der Ort feierte in 2019 die erste urkundliche Erwähnung im Jahre 1019. Der ehemalige Kreisheimatpfleger Günther Becker hatte die entsprechende Urkunde in den Akten der Abtei KölnDeutz entdeckt. Für das Dorf war das Grund genug, dieses Jubiläum groß zu feiern. Zwischenzeitlich hat sich Kirchveischede - mittlerweile ein Ortsteil der Stadt Lennestadt (Kreis Olpe) - zu einer rund 1.000-EinwohnerGemeinde entwickelt. Aber nicht nur der Ort Kirchveischede, sondern auch die beiden Nachbarorte im Tal der Veischede, Bilstein und Oberveischede, haben eine durchweg positive Entwicklung in den letzten Jahrhunderten gemacht. So zählt Bilstein, ebenso wie Kirchveischede, ein Ortsteil von Lennestadt, derzeit rund 1.100 Einwohner. Oberveischede gehört zur Stadt Olpe und hat rund 800 Einwohner. Alle drei Orte des Veischedetales haben eine hervorragende Infrastruktur und ein sehr gutes Touristikmanagement. Heimische Firmen und Gewerbebetriebe sind Zugkräfte und sorgen für eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung. Das war nicht immer so!

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Rund 250 Jahre ist es her, dass Menschen aus den kurkölnischen, luxemburgischen, trierischen und kurmainzischen Gebieten ihre Heimat verließen, um sich im österreichisch-ungarischen Banat anzusiedeln. Auch aus unserer Region, dem Veischedetal, machten sich viele auf den Weg, um dort ihr Glück zu versuchen. Wenngleich auch der Großteil der Banat-Auswanderer aus Süddeutschland kam, so war doch die Auswanderungsgeneigtheit im damaligen Herzogtum Westfalen nicht unerheblich. Das Schwergewicht der Wanderungsbewegung lag hier im Sü-

Heimatforschung den des Sauerlandes. Der Raum Olpe/Drolshagen stellte mit seinen vielen kleinen Ortschaften einen beträchtlichen Anteil. Über das Veischede- und Repetal gab es dann eine Verbindung zu den Räumen Oberhundem/ Hochsauerland, die einen weiteren Schwerpunkt bildeten. Insgesamt sollen es wohl um die 2.000 Personen aus dem Sauerland gewesen sein, die sich im Banat ansiedelten. Was war das für ein Land, das in jener Zeit so magisch die Auswanderer anzog? Friedhelm Treude schreibt dazu: „Im Frieden von Passarowitz wurde 1718 das Banat, d.h. jener Teil der niederungarischen Tiefebene, der durch die Flüsse Marosch im Norden, Theiß im Westen und Donau im Süden sowie die Ausläufer der Südkarpaten im Osten begrenzt wird, nach 164jähriger Türkenherrschaft von Österreich in Besitz genommen. Bis zur Rückgabe an Ungarn 1778 wurde es (…) als kamerale Reichsprovinz von Wien aus verwaltet; von hier aus wurde der Wiederaufbau des verwüsteten und entvölkerten Landes getreu den Grundsätzen des deutschen Merkantilismus betrieben; nur über eine Vermehrung der Bevölkerung war die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit die Macht des Staates zu steigern. Eine schnelle und umfassende „Populierung“ musste daher im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Die damit eingeleitete Besiedlung und gleichzeitige Entwicklung von einem gänzlich verwahrlosten Landstrich zu einer der Kornkammern Europas vollzog sich in drei deutlich voneinander abgesetzten Abschnitten.“ 2 Im Rahmen der „Karolinischen3 Banatbesiedlung“ kamen im sogenannten „1. Schwabenzug“ 1722 – 1726 1

1 Treude, Friedhelm: Die Auswanderungen aus dem kurkölnischen Sauerland im Zuge der theresianischen Banatbesiedlung 1763 – 1772, S. 11ff (Schriftenreihe des Kreises Olpe Nr. 14). 2 Ebenda, S. 1ff. 3 Benannt nach Karl VI., 1711 bis 1740 römisch-deutscher Kaiser und Erzherzog von Österreich und Herrscher über die anderen habsburgischen Erblande


Heimatforschung rund 15.000 deutsche Siedler aus den Kleinstaaten Westund Südwestdeutschlands in das Banat. Man holte sich aber auch Bulgaren, Spanier und Italiener. Einen empfindlichen Rückschlag erhielt das Aufbauwerk durch den Türkeneinfall von 1737/39 und den gleichzeitigen Ausbruch einer Pestepidemie. Soweit die Siedler nicht umkamen, räumten sie fluchtartig ihre Dörfer. Die Thronbesteigung Maria Theresias 1740 leitete die zweite, die sogenannte „Theresianische Banatbesiedlung“ (1740 –1778) ein. Ihren Höhepunkt erreichte die Einwanderung dieser Periode im „2. oder Großen Schwabenzug“ (1763 – 1772), durch den rund 40.000 Deutsche ins Banat gelangten. Nach der Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 erfolgte im Zuge der „Josefinischen4 Ansiedlung“ der „3. Schwabenzug“. Die Zuwanderung von Deutschen fiel aber zahlenmäßig nicht mehr so stark ins Gewicht. Der Begriff „Schwabenzüge“ für die umfangreichen Siedlerströme in das Banat hat sich eingebürgert, obwohl nur sehr wenige Aussiedler wirklich aus Schwaben kamen. Die Bezeichnung wurde von dem Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn geprägt und hat sich seitdem im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Die Bezeichnung „Schwabe“ für einen Deutschen ist auch heute noch auf dem Balkan sehr verbreitet. Literatur und Dokumente en zentralen Registrierungen aller Auswanderer in das Banat ist es zu verdanken, dass mit ziemlicher Sicherheit die Namen des größten Teiles der Einwanderungswilligen des zweiten theresianischen Siedlungsab-

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4 Josef II., Sohn Maria Theresias, von 1765 – 1780 Mitregent, 1780 – 1790 römisch-deutscher Kaiser

69 schnittes im Jahre 1763 erhalten geblieben sind. Ab 1764 wurde gemäß Hofkammerbefehl zudem noch der frühere Wohnort des Einwanderers festgehalten. Eine weitere wichtige Zugabe erfuhren die Listen, als seit dem 1. Mai 1768 dem Namen des auswandernden Familienvaters dessen Beruf und die Kopfzahl aller mitauswandernden Mitglieder der Familie hinzugesetzt wurden. Eine Auswertung dieser „Wiener Listen“ nahmen im Auftrage der Deutschen Akademie und des Gesamtvereines der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine im Jahr 1936 Dr. Franz Wilhelm und Dr. Josef Kallbrunner vor; die Auswertung wurde unter dem Titel „Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa“ veröffentlicht.5 Dieses Buch ist das Standardwerk der Banatforschung. Die in diesem Werk erfassten deutschen Siedler haben alle eine separate Kenn-Nummer. Diese besteht aus der Seitenzahl des Buches und der lfd. Nummer, davorgesetzt „WK“ (für: Wilhelm u. Kallbrunner). Ein weiteres Standardwerk für die Banatforschung der Sauerländer ist neben der Dokumentation von Wilhelm und Kallbrunner natürlich das Werk von Friedhelm Treude zur Auswanderung aus dem kurkölnischen Sauerland: „Die Auswanderung aus dem kurkölnischen Sauerland im Zuge der theresianischen Banatbesiedlung 1763 – 1772.“ (s. Fußnote 1). Treude legt hier die wissenschaftliche Arbeit seines Vaters Friedhelm Treude aus den Jahren 1938/39 vor mit nur wenigen erforderlichen Veränderungen. Treude nimmt bei seinen akribischen Ausführungen über die Ansiedlung im Banat in den Jahren 1763 bis 1772 immer Bezug auf die Banater Kirchenbücher, die 1940 von seinem Vater Friedhelm Treude im jugosla5 Wilhelm, Franz; Kallbrunner, Josef: Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa mit einer statistischen Tabelle und einer Karte. München 1936.


70 wischen und rumänischen Banat fotografiert wurden. In den letzten Jahren haben nun etliche Familienforscher aus dem Banat, die wohl überwiegend jetzt in Deutschland ansässig sind, für die zahlreichen Orte der früheren deutschen Siedlungsgebiete eigene Ortsfamilienbücher auf Grundlage der Kirchenbucheintragungen erstellt. Zwischen diesen neueren Ortsfamilienbücher und den Erfassungen von Treude bestehen leider oft unterschiedliche Auslegungen bzw. Angaben. Um sicher zu gehen, sollte der interessierte Forscher die verfilmten Banater Kirchenbücher selbst einsehen, die in Kopie im Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in 70173 Stuttgart, Charlottenplatz 17, vorhanden sind. Von großer Wichtigkeit für jeden Banatforscher ist weiterhin das neunbändige Werk von Stefan Stader „Sammelwerk donauschwäbischer Kolonisten“; dieses umfangreiche Werk ist weltweit einmalig in der Familienforschung. Stefan Stader legte anhand des umfangreichen Materials an Listen und Aufzeichnungen eine donauschwäbische Gesamtkartei an, in der er für jeden erfassten Einwanderer eine Karteikarte anlegte, in der er alle bekannten Daten aus der alten und der neuen Heimat festhielt. Neben den Einwanderungslisten gibt es weitere zahlreiche Listen und Akten, die sich mit der Banat-Forschung beschäftigen, die sogenannten „Banater Akten“. Sie werden verwahrt und verwaltet vom Finanz- und Hofkammerarchiv des Österreichischen Staatsarchivs. Im Archiv der Hofkammer werden die Unterlagen über die Besiedlung des Südostens und des Nordostens der Monarchie verwahrt. Darunter befindet sich auch eine alphabetisch angelegte Ansiedlerkartei. Das Österreichische Staatsarchiv teilte aber auf Anfrage mit, „dass bei Recherchen über bestimmte Familien(namen) keine über die von Wil-

Heimatforschung helm/Kallbrunner veröffentlichten Listen hinausgehende Informationen (z.B. bezüglich des Herkunftsortes) zu erwarten sind.“6 Sicherlich besteht die Möglichkeit, in diesen Listen nach den Ansiedlungsorten der deutschen Auswanderer zu suchen. Wie das Staatsarchiv weiter mitteilt, ist bei dieser mit erheblichem Aufwand durchzuführenden Recherche, die auch mit einem negativen Ergebnis enden kann, auch mit erheblichen Kosten zu rechnen. Eine solche Recherche wäre daher meines Erachtens nur bei Nachforschungen zu einigen wenigen bestimmten Personen sinnvoll. Weitere Listen, die für die Banat-Forschung interessant sein dürften, liegen im Ungarischen Nationalarchiv. Hier liegen die Original-Listen mit den Angaben über diejenigen Auswanderer, die im Zuge des „3. Schwabenzuges“ nach Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 in das Banat kamen. Zu diesen Auswanderern gehört auch die höchst wahrscheinlich aus Oberveischede stammende Reisegruppe, die sich am 16. Juni 1786 in Wien registrieren ließ (s.u.). Für eine effektive Familienforschung gehören neben den zuvor genannten Listen und Akten aus der Einwanderungszeit auch weiterführende Quellen, die zum Teil bis in die heutige Zeit reichen. Der Arbeitskreis donauschwäbischer Familienforscher e.V. (AKdFF), Sindelfingen, gegründet 1975, hat sich u.a. die Beschaffung und Erschließung der Quellen zur donauschwäbischen Familienforschung zur Aufgabe gemacht. Hervorgegangen sind nun zahlreiche Familien- und Ortssippenbücher über die vielen Banater Ortschaften, die für die Familienforschung unerlässlich sind. Neben dem AKdFF hat sich die Landsmannschaft der 6 Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Finanz- und Hofkammerarchiv, Schreiben vom 30.07.2019


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Banater Schwaben e.V., München, auch die Erforschung und Dokumentation der Geschichte der Banater Schwaben sowie die Brauchtumspflege zu einer ihrer Aufgaben gemacht. Wertvolle Dokumente wie Aufsätze, Fotos u.a. sind eine wesentliche Hilfe bei der Erforschung Banater Familien. Auswanderungsgründe as aber hat damals die Leute bewogen, sich in so großer Zahl zur Auswanderung in ein völlig unbekanntes, weit entferntes Land zu entschließen, kurzerhand ihr Bündel zu schnüren, die angestammte Heimat zu verlassen und so alle Brücken hinter sich abzubrechen? Fakt ist, dass sich seit über tausend Jahren Auswanderungen aus deutschen Landen nach Ungarn nachweisen lassen. Aber erst nach Beendigung der Türkenkriege wurde durch die Kaiserin Maria Theresia (1740 – 1780) eine groß angelegte Offensive zur Besiedlung des verwüsteten Landes eingeleitet. Sie erließ sogenannte „Ansiedlungspatente“ (zuerst 1755) in Form von Druckschriften, in welchen die Vergünstigungen und Verbindlichkeiten für die Auswanderungsinteressierten bekannt gegeben wurden. Eigene Werber mit umfassenden Vollmachten wurden eingesetzt. Diese Berufswerber stießen mit ihren großen Versprechungen gerade auch hier im Sauerland auf große Resonanz. Den potenziellen Ansiedlern wurde eine sechsjährige Steuerfreiheit im Banat versprochen, freies Bau- und Brennholz, 24 Joch (1 Joch = 5.755 m2) Acker, 6 Joch Wiesen und 1 Joch Hausgrund. Handwerker erhielten sogar eine 10jährige Steuerfreiheit. Im Zeitraum der Auswanderungen aus dem Veischedetal war der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) gerade beendet. Auch unsere Region hatte unter diesem Kriege

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Bilsteiner Fuhrmann unterwegs um 1700 (gez. von Leo Bittner, Schmallenberg) schwer zu leiden. Kurfürst Max Heinrich von Köln als Herzog des damaligen kurkölnischen Herzogtums Westfalens kämpfte auf Seiten Österreichs unter der Kaiserin Maria Theresia neben den Franzosen und den Bayern und anderen deutschen Fürsten gegen die Preußen unter ihrem König Friedrich dem Großen. Truppendurchzüge und Einquartierungen der Franzosen sowie dem Lande auferlegte schwere Schatzungen (Umlagen, Kopfsteuern) und Kontributionen steigerten das Leid bis ins Unermessliche7. Aber auch nach Beendigung des Krieges wurden zur Deckung der rückständigen erheblichen Kriegsschulden im Jahr 1764 eine abermalige Kopfsteuer sowie verschiedene indirekte Steuern erhoben. Dem Wohlstand des Landes waren auch durch die endlosen Fouragelieferungen (= Lebensmittellieferungen) schier unheilbare Wunden geschlagen8. 7 Wiemers, Fritz: Einquartierungen im Amte Wenden während des 7-jährigen Krieges (1756 – 1763). In: HBO (Heimatblätter für den Kreis Olpe) 14. Jahrg. Nr.5/6, (1937), S. 49ff. 8 Forck, H.: Geschichte der Stadt Olpe. 1911, S. 236


72 Dementsprechend sahen die Wohn- und Lebensverhältnisse der hiesigen Bevölkerung aus. Aus den verschiedensten Registern jener Zeit über Kopfschatz, Viehschatz oder Herd- und Rauchschatz geht zumeist hervor, dass die, die schließlich auswanderten, in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten. Zu jener Zeit war im Sauerland, wie in ganz Westfalen, das Anerbenrecht gültig, das die geschlossene Übertragung des Grundbesitzes auf einen Erben unter Abfindung der Miterben vorsah. Der Sinn dieses Anerbenrechts lag in der Erhaltung eines Bauernhofes als Ganzes. Eine Realteilung in der Erbfolge führte zu einer fortschreitenden Zerstückelung des Anwesens. Die Höhe der Abfindung an die übrigen Erben musste auf die Leistungsfähigkeit des Hofes Rücksicht nehmen, sie konnte nie dem Wert des Kindteils bei einer Realteilung entsprechen. Je schwieriger die finanzielle Lage eines Hofes, desto bescheidener die an sich in dieser Zeit schon geringe Abfindung der Geschwister des Hoferben. Die durch den Anerben ausgeschlossenen Erben wurden zumeist weit unter dem wirklichen Wert abgefunden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die bäuerlichen Betriebe durch die kriegerischen Auseinandersetzungen während des Siebenjährigen Krieges und auch in der Folgezeit stark in ihrer Existenz bedroht waren. Den Miterben boten sich als Alternative der Erwerb eines eigenen Betriebes durch Kauf oder Einheirat, die Arbeit als Knecht oder Magd, die Erwerbstätigkeit in einem Handwerk oder aber eben die Auswanderung in ein anderes Land an. Die erste in dieser Zeit erkennbare Auswanderung aus Westfalen nach Ungarn fällt in die Mitte des Jahres 1764 mit fünf Familien noch zahlenmäßig gering aus. Ein geradezu sprunghaftes Anschwellen gab es dann 1765 mit 122 Familien. Den Höhepunkt der westfälischen Auswande-

Heimatforschung rung brachte das Jahr 1766 mit 204 Familien. Ähnlich dem raschen Anwachsen folgte ein rasches Abschwellen der westfälischen Auswanderungsstärke. 1767 befanden sich noch 24, 1768 nur noch 21 Familien westfälischer Herkunft im großen Auswanderungsstrom.9 Die erste Auswanderungswelle hatte der Kurfürst von Köln als Landesherr von Westfalen noch hingenommen. Als aber nach der immer stärker werdenden Abwanderungsbewegung im Jahr 1765 sich doch ein drohender Bevölkerungsverlust andeutete, befasste sich die erzbischöflich-kurfürstliche Landesregierung mit den Möglichkeiten der Abwehr. Am 3. Februar 1766 erschien eine erste Verordnung gegen die westfälische Auswanderung. Von den Kanzeln wurde sie verkündet und überall angeschlagen. Der Kurfürst verordnete darin die Androhung des Einzugs eines fünften Teils des Besitzes der Emigranten, weil sich „...die junge Leuth in unserem Herzogtum Westphalen in solcher Anzahl ihr dasiges Vaterland verlassen und sich in andere fremde Lande hinbegeben, daß auf die Dauer im gantzten Lande fast kein Knecht mehr zu gehaben seyn dörfte...“ Eine Verordnung vom 12. Juli 1766 setzte die Auswanderung schließlich unter Strafe. Aufgrund der scharfen Strafbestimmungen gingen die Abwanderungen schlagartig zurück. Nur noch wenigen Familien gelang die Ausreise. Aufgrund dieser Verordnung setzte 1766 der Baron von Fürstenberg eine Auswanderergruppe aus Oberhundem kurzzeitig fest, der sich auch Familien aus dem Veischedetal angeschlossen hatten. Später in Wien angekommen, wandten sich die Auswanderer mit einer Beschwerde und Bittschrift an die Kaiserin. Der Baron von Fürstenberg habe sie acht Tage aufgehalten und ihre „Bagage mit Gewalt hinwekgenohmen, mit Vermelden: es 9 Treude: Auswanderungen. S. 12ff.


Heimatforschung soll Niemand mehr in Hungarn raysen...“ Die Beschwerde hatte Erfolg. Die Hofkammer in Wien ersuchte nun die Fürstenberger, den Beschwerdestellern „das ihrige zukommen zumachen und dieselbe überhaupt zufrieden zu stellen“.10 Das Banat liegt heute im Dreiländereck Rumänien, Ungarn, Serbien, zwischen Donau, Theiß, Marosch und den Ausläufern der Südkarpaten. Es umfasst ca. 28.526 km². Nach dem Vertrag von Trianon vom 4. Juni 1920 wurde dieses geschlossene deutsche Siedlungsgebiet dreigeteilt. Der größere östliche Teil mit Temeswar und dem Arader Komitat (66,5% = 18 966 km²) kam zu Rumänien, der südliche Teil (32,5% = 9 276 km²) zum Königreich Serbien (das 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde, heute Serbien) und der nördliche Teil Marosch – Theiswinkel (1% = 284 km²) zu Ungarn.11 Die Auswanderungen ie nachweislich ersten Banat-Auswanderer aus der Veischede-Region wurden am 15. März 1765 in Wien registriert. Sie kamen aus Kirchveischede. Es waren Joannes Jostes 1 Pers. WK 36/31 Friedrich Jostes 3 Pers. WK 36/32 Joannes Coers ? WK 36/33 Valentin Bense ? WK 36/34

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Mit größter Wahrscheinlichkeit gehörten sie einem größeren Treck aus dem Sauerland an, der aber erst am 25. und 27. März 1765 in Wien registriert wurde. Neben acht Familien aus Oberhundem und elf Familien aus Saalhausen kamen elf Familien aus Oberveischede. 10 Ebenda, S. 21ff 11 Vgl. www.banater-schwaben.org

73 Die Oberveischeder wurden am 27. März 1765 in Wien registriert.12 Es waren dies: Valentin Bense ? WK 36/34 Johann Rump 6 Pers. WK 37/2 Johann Kebbekus 2 Pers. WK 37/3 Johann Heinrich Schneider 3 Pers. WK 37/4 Heinrich Springer 2 Pers. WK 37/6 Johann Peter Sieler 3 Pers. WK 37/7 Johann Roth ? WK 37/8 Jakob Rump 10 Pers. WK 37/9 Matthias Kuse 6 Pers. WK 37/10 Fridrich Hipper ? WK 37/11 Hermann Foch (Vogt) ? WK 37/12 Franz Bendre (Bender) 2 Pers. WK 37/13 Auch Bilsteiner machten sich auf den Weg in die Ferne. So langten am 30. April 1765 folgende Personen/Familien in Wien an: Johann Fischler WK 38/20 Friedrich Bender WK 38/20 Es folgten dann am 14.Mai 1765 aus Bilstein: Alexander Bauermann WK 39/93 Anton Schuhmacher WK 39/94 Johann Schultz WK 39/95 Johann Rulach WK 39/96 Fraz Göckel WK 39/97 Caspar Bruma WK 39/98 Andreas Mosbauer WK 39/99 Eine große Truppe aus dem Sauerland wurde in Wien am 29. Mai 1765 registriert. Aus Bilstein waren dabei Johann Peter Korek WK 43/34 Bernard Fohs WK 43/35 12 Wilhelm, Kallbrunner: Quellen, S. 36ff.


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Am 10. Juni 1765 kamen noch aus Bilstein in Wien an: David Vaso (Voss) WK 44/69 Heinrich Fochs WK 44/70 Johann Degenhart WK 44/71 Auch 1766 kamen noch vereinzelte Bilsteiner, um sich im Banat niederzulassen: am 31. Mai: Johann Weißenfels WK 71/52 Johann Adam Pana WK 71/53 Johann Wilhelm Nebeling WK 71/54 und am 5. Juni 1766: Johann Lekers (Lucke)

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Zu dem Registrierungsvorgang in Wien ist zu bemerken, dass die Notierung der Namens- und Ortsangabe zumeist wohl nach der Phonetik erfolgte. So wurde der Joannes Coers aus Kirchveischede als „Johann Ker aus Kirchweisede“ notiert. Aus dem Ortsnamen „Bilstein“ wird in der Wiener Registrierung vielfach „Wildstein“. Der Johann Peter Sieler aus Oberveischede wird in den Banater Akten als „Johann Petersiller aus Oberfeiskede“ geführt. Zumeist setzte sich diese in Wien vorgenommene Schreibweise des Hausnamens auch bei den jeweiligen Nachkommen fort. Ferner wurde bei dem Registrierungsvorgang auch nicht immer festgehalten, wie viele Personen einer Familie unter dem Namen des Ehemannes die Einwanderung beantragten. Es könnten zum Beispiel 10 Personen gewesen sein, wie bei Jacob Rump aus Oberveischede, oder es war vielleicht nur eine einzelne Person. Es kam bei der Registrierung auch vor, dass unter der Herkunfts-Ortsbezeichnung des Anführers bzw. Wortführers einer Gruppe auch andere Gruppenteilnehmer, die aus einem anderen Ort

stammten, aufgeführt wurden. Dieses macht es besonders schwierig, tatsächlich alle Auswanderer lückenlos zu erfassen. Bei vielen Auswanderern wurde bei der Registrierung auch manchmal nur pauschal dessen Heimatgegend angegeben, wie z. B. „aus Westphalen“ oder „aus dem Kölnischen“. Bei der Ortsangabe wurde aus „Bilstein“ meist „Wildstein“ oder bei „Oberveischede“ notierte man „Oberfleischkette“ oder ähnlich. Hier in den Heimatgemeinden der Auswanderer sind nur wenige Hinweise in den Kirchenbüchern oder anderen Unterlagen über die Namen der Auswanderer bekannt. Im März 1766 landete wieder ein Trupp aus dem Sauerland in Wien. Neben acht Familien aus Oberhundem (10. März 1766) kamen drei Familien aus Rieflinghausen und ein Hermann Krämer aus Oberveischede WK 54/62 Diese Familien wurden am 27. März 1766 registriert; sie gehörten sicherlich zu zwei größeren Gruppen aus unserer Region, und zwar aus Gerlingen, Benolpe/Drolshagen und Berlinghausen, die die Stadt Wien am 1. April und am 8. April 1766 erreichten. Oberveischeder machten sich auch im Jahr 1767 auf den Weg in das Banat.13 Am 1. Dezember 1767 ließen sich in Wien registrieren Heinrich Miller WK 87/58 Johannes Schumacher WK 87/59 Johannes Schmid WK 87/60 Antonius Poff WK 87/61 Ein halbes Jahr später, am 26. März 1768, waren es wieder elf Personen bzw. Familien aus Oberveischede, die sich in Wien anmeldeten: 13 Vgl. ebenda, S. 87 u. 91.


Heimatforschung Johann Hermann Gorthof WK 91/21 Heinrich Schneider WK 91/22 Johannes Rung (wahrscheinlich: Rump) WK 91/23 Adam Hund WK 91/24 Johann Heinrich Bucken WK 91/25 Johannes Gebenbusch (evtl.: Kebbekus) WK 91/26 Johannes Stupperich WK 91/27 Hermann Huber WK 91/28 Adam Schulz WK 91/29 Johannes Heß WK 91/30 Peter Seiler WK 91/31 Diesen Auswanderergruppen aus Kirchveischede, Bilstein und Oberveischede schlossen sich in den Jahren 1765 bis 1766 auch etliche Personen resp. Familien aus Mecklinghausen, Repe, Dünschede, Helden und Niederhelden an. Höchst bemerkenswert ist es, dass nach der Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 weiterhin Auswanderungen auch aus der Veischede-Region zu verzeichnen sind. Die Zuwanderung von Deutschen in diesem sogenannten „3. Schwabenzug“ fiel aber zahlenmäßig nicht mehr stark ins Gewicht. Sie sind von Dr. Friedhelm Treude in seinem schon zitierten Werk auch nicht mehr erfasst worden. Am 16. Juni 1786, also 18 Jahre später als die letzte bekannte Auswanderergruppe aus Oberveischeide, wird in Wien eine Auswanderergruppe registriert, die gemäß Banater Akten „aus dem Kölnischen“ stammt. Da es sich durchweg um seinerzeit in Oberveischede vorkommende Familiennamen handelt, nehme ich mit größter Wahrscheinlichkeit an, dass es sich hierbei um Oberveischeder Familien handelt. Sämtliche aufgeführten Familiennamen sind in der Schatzungsliste von Oberveischede aus dem Jahr 1784 enthalten. Die Auswanderer kamen zumeist mit Ehepartnern und/oder Kindern, insgesamt 25 Per-

75 sonen. Es wurden am 16. Juni 1786 in Wien registriert: Kaspar Kebbekens, Bauer, 2 Pers. WK 289/1 Kaspar Rumpf, Bauer, 3 Pers. WK 289/2 Wilhelm Haacke, Bauer, 3 Pers. WK 289/3 Johann Peter Haacke, Bauer, 1 Pers. WK 289/4 Jakob Lingenhoff, Bauer, 5 Pers. WK 289/8 Kaspar Hacka, Bauer, 3 Pers. WK 289/9 Johann Peter Kramer, Bauer, 2 Pers. WK 289/11 Kaspar Schneider, Bauer, 6 Pers. WK 289/16 Sicherlich waren es die positiven Berichte aus dem Banat von den bereits Ausgewanderten, die noch einmal Einwohner aus Oberveischede bewogen, diesen Schritt nach Ungarn zu vollziehen. Möglich wäre auch, dass wieder Werber über das Land zogen, um die Menschen zu einer Auswanderung zu bewegen. Auszug und Wanderung icher werden sich die Auswanderer ihren Schritt wohl überlegt haben. Denn er bedeutete für die meisten eine Reise ohne Wiederkehr. Der Abschied von zu Hause, von den Eltern und Verwandten und Bekannten war für immer. In kleineren und größeren Gruppen, bis zu 40 Familien, machten sie sich auf den Weg. Bekannte und Verwandte, Menschen aus benachbarten Orten, fanden sich immer zusammen. Zumeist waren es mehrere Familien aus einem bestimmten Ort, denen sich dann einige andere Auswanderungswillige aus umliegenden Ortschaften anschlossen. Aber auch im Zuge der Wanderung stießen oft andere Gruppen hinzu und schlossen sich der größeren Gruppe an. Zu Fuß machten sich alle mit Kind und Kegel auf den großen Marsch. Sicher hatten sie zumeist Karren für Gepäck und Gerätschaften dabei. Von den Anwerbern erhielt jeder Erwachsene je Tag 6 Kreuzer, jedes Kind 2

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76 Kreuzer Zehrgeld. Die Wanderroute der Auswanderer aus dem hiesigen Raum war nicht immer die gleiche. So zog 1766 eine Gruppe aus dem Raum Drolshagen und Rhode in Richtung Mainz. Hier schlossen sich weitere 160 Familien dem Zug an. Von dort ging die Wanderung Richtung Bamberg, Nürnberg nach Regensburg.14 Über eine andere Reisestrecke, über die sicher die Auswanderer aus dem Veischedetal zogen, berichtet ein Auswanderer, ein Mann namens Löcker aus Heinsberg, für das Jahr 1786.15 Durch das Hessische muss der Weg gegangen sein, wohl über Biedenkopf, Alsfeld, Fulda, Bamberg, Nürnberg nach Regensburg. Diese Stadt war Hauptsammelort für die Auswanderer in das Banat. Von hier aus wurde die Reise donauabwärts auf Flößen und Schiffen zunächst bis Wien fortgesetzt. Löcker berichtet dabei von 400 Personen, die seinem Treck angehörten. Die Transportmöglichkeiten auf der Donau waren beschränkt: Ungleiche Wasserstände, Stromschnellen, Sandbänke und Felsen im Fahrwasser waren für tief gehende große Schiffe unüberwindbare Hindernisse. Die „Schiffe“ waren daher leichte, nur für die Talfahrt bestimmte Ruderfahrzeuge. Sie konnten je nach Größe 20, 80 oder bis zu 150 Passagiere befördern. Die auch zum Einsatz kommenden Flöße waren roh gezimmert und nicht geteert. Sie konnte man in Wien auseinandernehmen und die Holzstämme wiederverkaufen. In der Mitte trugen die Flöße eine zehn Fuß hohe hölzerne Hütte für die Aufnahme von Haushalts- oder Ackergeräten der Kolonisten. Wer mitruderte, fuhr umsonst und erhielt kostenlose Verpflegung. Die komplette Fahrt von Regensburg bis nach Wien kostete vier Gulden pro Kopf, viel Geld für die damalige 14 Stracke, Klemens: Zweihundert Jahre Kurkölner Bauern im Banat. In: HSO (Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe) 63 (1966), S. 58ff. 15 Scheele, Norbert: Was Löcker aus Heinsberg 1786 über seine Reise nach Ungarn scheibt. In: HBO 12 (1935), Nr. 10/12, S. 50ff

Heimatforschung Zeit, dazu noch für eine Flussreise, die nicht ohne erhebliche Gefahren war. Zwischen 25 und 27 Tagen dauerte gewöhnlich diese erste Etappe aus dem Sauerland bis Wien. Alle Aussiedler mussten in Wien ihre Pässe vor der Weiterreise in das Banat registrieren lassen. Die Kolonisten hatten bei dieser Aktion wahrheitsgetreue Angaben über ihre Herkunft, über ihren Beruf und ihre Religionszugehörigkeit zu machen. Gab sich jemand als Bauer aus, ohne dies zu sein, wurde er ausgepeitscht und abgewiesen. Auch mit der Religion nahm man es sehr ernst. Als Kolonisten wurden nur Katholiken angenommen. Wurde jemand verdächtigt, evangelisch zu sein, wurde er mit Stockschlägen verjagt oder zum Pfarrer zu einer Katechetisierung geschickt.16 Die Ansiedlung der Auswanderer im Banat ach der Registrierung in Wien bekamen die Auswanderer neben der Auszahlung von 6 Florin Reisegeld auch die erforderlichen Ansiedlungspässe für die Weiterfahrt. Auf Schiffen und Flößen ging es dann auf den letzten Streckenabschnitt donauabwärts über Ofen in Richtung Banat. Die Fahrt auf der unteren Donau war noch gefährlicher als die Fahrt nach Wien, da hier der Wasserweg noch weitgehend unausgebaut war. Dazu kam das ungewohnte Klima. Anhaltender Landregen wechselte mit tropischer Hitze. Sumpffieber in den Überschwemmungsgebieten und die schon erwähnten klimatischen Bedingungen führten schon während der Reise zu zahleichen Todesfällen. Wegen Seuchengefahr musste man oft im Ausbootungshafen Pantschowa eine dreiwöchige Quarantäne über sich ergehen lassen. Für die Jahre 1767 und 1768 ist

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16 Die Kolonisation des Banats nach der Türkenzeit. In: https://triebswetter.net/kolonisation.htm


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bezeugt, dass nur etwa ein Drittel der Auswanderer überhaupt das Banat erreichte. Die niederschmetternden Eindrücke des Landes und die vielen Krankheitsfälle stimmten viele Siedler missmutig. Etliche Familien gaben auf und kehrten heim. Ansonsten dauerte im günstigsten Falle die Reise von Wien bis in das Banat rund 15 Tage. (Teil 2 folgt im nächsten Heimatblatt)

Abbildung Die Wanderung, Ausschnitt aus Teil 1 des EinwanderungsTriptychons (540x210cm) von Stefan Jäger (1877-1962). Bei der Enthüllung 1910 lautete der Bildtitel „Die Einwanderung der Deutschen in Südungarn“. Nach dem Zerfall der Donaumonarchie nannte man es „Die Einwandemng der Schwaben in das Banat“. Das Triptychon gehört dem Banater Museum und befindet sich als Leihgabe im Temeswarer AMG-Haus.


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Banater und Billeder Schatzkästchen im Sauerland

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ahrscheinlich kennen nur wenige unserer Landsleute die recht umfangreiche Sammlung an Banater Volksgut im sauerländischen Hemer (NordrheinWestfalen). In der kreisangehörigen Stadt mit 37.500 Einwohnern ist in einem schmucken Jugendstilbau das Felsenmeer-Museum eingerichtet, zu dem auch eine über mehrere Räume verteilte Banat-Sammlung gehört. Trachten, Bilder, Handarbeiten, Hausrat, Einrichtungsgegenstände, Werkzeuge, Arbeitsgeräte, Schulbücher, Musikinstrumente, selbst ein Kirchweihstrauß aus dem Banat sind dort zu sehen. Das größte Ausstellungsstück ist eine Weinpresse, zu den kleinsten Exponaten zählen Auszeichnungen und Anstecknadeln. Bunt präsentieren sich die Vitrinen mit Kirchweihtrachten aus Lovrin, Billed, Hatzfeld, Guttenbrunn und anderen Banater Dörfern. Sehr gut ausgestattet ist die Ausstellung mit Kartenmaterial und Texten, die die Besucher über die Geschichte der Banater Schwaben, ihre Leistung und ihre Lebensart unterrichten. Mit Geschick und museums-pädagogischer Kenntnis sind aussagestarke Dokumente und Gegenstände platziert, die zum Hinschauen und Verweilen einladen. Es ist unschwer zu erkennen, dass bei der Gestaltung der Ausstellung Kenner, ausgezeichnete Volkskundler, am Werk waren. Man wird sich wohl fragen, wieso eine so breit angelegte Ausstellung gerade im Ruhrgebiet, wo kaum Banater Schwaben oder deren Nachkommen leben, eingerichtet wurde? Es gibt dafür zwei Gründe. Zum einen hängt dies mit der Ansiedlung westfälischer Siedler im Banat im 18. Jahrhundert zusammen, zum anderen gab es hier in der Person von Dr. Friedhelm Treude einen tatkräf-

Peter Krier

tigen, engagierten, heimatverbundenen Volkskundler, der die Umstände der Auswanderung und den Weg der Siedler aus dem Sauerland ins Banat und den Rückweg ihrer Nachkommen erforscht hat. Friedhelm Treude wurde 1908 im westfälischen UnnaKönigsborn als Sohn eines Volksschullehrers geboren und wuchs in Hemer auf. Er studierte Germanistik, Geografie, Geschichte und Volkskunde an den Universitäten in Münster, Wien und Marburg. Seiner erfolgreichen, unermüdlichen Tätigkeit verdanken die Banater Familienforscher wie auch Historiker fundierte Kenntnisse über die Besiedlung des Banats durch Siedler aus Westfalen. Der junge Treude war zunächst Leiter der vom Deutschen Ausland-Institut eingerichteten Forschungsstelle „Westfalen in aller Welt“ in Münster. Ausgehend von den bekannten „Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa“ von Franz Wilhelm und Josef Kallbrunner und den Kirchenbüchern in seiner Heimat begab er sich auf die Spur der ausgewanderten Sauerländer. Bereits in den 1930er Jahren kam er ins Banat, wo er die Kirchenbücher nach Ansiedlern aus dem Sauerland durchsuchte. Als Ergebnis seiner umfangreichen Studien legte er 1937 in Münster seine Dissertation „Westfalen und die theresianische Banatbesiedlung 1763-1772 unter besonderer Berücksichtigung der Kolonisten aus dem oberen Ruhrgebiet“ vor. Die erweiterte Fassung der Doktorarbeit von Dr. Erhard Treude, dem Sohn des Forschers, für die Drucklegung vorbereitet, ist 1988 unter dem Titel „Die Auswanderung aus dem kurkölnischen Sauerland im Zuge der theresianischen Banatbesiedlung 1763-1772“ als Band 14 der Schriftenreihe des Kreises Olpe erschienen.


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Abbildung Kreuzhaufen setzen, Ă–l auf Leinwand, 70x96cm, WV. 323, Standort: Hemer, Felsenmeer-Museum

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Im Museum Felsenmeer befinden sich 4 Ferchbilder, erworben vom Heimatforscher Friedhelm Treude, der auf den Spuren der Sauerländer Auswanderer mehrmals das Banat besucht hatte.


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Abb. links Der Pflüger (1939) von Franz Ferch Öl auf Leinwand 119x100cm,WV. 322 Standort: Hemer, Felsenmeer-Museum (Sauerland)

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Abb. oben Banater Heide, Weizenfeld (1968) von Franz Ferch Öl auf Leinwand, 69x96cm, WV. 147 Standort: Hemer, Felsenmeer-Museum (Sauerland)


82 In den Jahren 1941 und 1942 verfilmte Dr. Friedhelm Treude im Auftrag des Deutschen Ausland-Instituts sys­ tematisch die Kirchenbücher von 137 Pfarreien im rumänischen und serbischen Banat. Zum Glück konnten die 191 Filmrollen noch knapp vor dem Einmarsch der Roten Armee nach Wien in Sicherheit gebracht werden. Von dort gelangten sie nach Stuttgart, ins heutige Institut für Auslandsbeziehungen, wo sie den Forschern bis heute zur Verfügung stehen. In seiner Dissertation stellt Treude fest, dass sich in 15 Banater Dörfern 337 Sauerländer Familien niedergelassen haben. Interessant ist dabei, dass die Sauerländer in Nachbarschaft gesiedelt haben, was die Straßennamen Sauerländer Gasse in Billed, Bruckenau und Deutschsanktnikolaus oder Sauergasse in Hatzfeld, das Sauerländer Eck in Deutschtschanad oder das Sauerland-Viertel in Ulmbach erklärt. In Billed gibt es neben der Sauerländer Gasse noch einen Sauerländer Friedhof, eine Sauerländer Brücke und eine Sauerländer Hutweide. Dr. Treude fand für die Sauerländer Gasse in Billed schöne Worte: „In weit ausholender, ebener Breite, flankiert von Doppelreihen Akazien, hinter denen die langgestreckten, Wohlhabenheit verratenden Häuser aufragen, gibt die Gasse ein lebendiges Bild von dem wirklich großen Wurf der Dorfsiedlung.“ Dr. Friedhelm Treude, der leidenschaftliche Volkskundler, knüpfte viele Kontakte im Banat. Er besuchte die Dörfer und Dorffeste, interessierte sich für die Arbeit der Bauern, ihr Brauchtum und ihre Lebensweise, und er begann Volksgut zu sammeln. Der Zweite Weltkrieg unterbrach zunächst seine Beziehungen zum Banat. Erst 1972 reiste er wieder ins Banat, und zwei Jahre später sollte er erneut, diesmal mit einer Gruppe von Oberstufenschülern des Gymnasiums Hohenlimburg, im Banat

Heimatforschung weilen. Die im Internat der Lenauschule untergebrachte Gruppe konnte damals in Tschanad einen Trachtenumzug und Trachtenball erleben. Treude sammelte bei diesen Fahrten viele Exponate für die von ihm geplante Donaudeutsche Gedenkstätte in Hemer. Dabei wurde er von mehreren Familien unterstützt, in Billed unter anderem von Familie Csonti. Man wundert sich, wie es damals möglich war, die ganzen Exponate nach Deutschland zu bringen. Es ist bekannt, dass Treude bei diesen Aktionen vom Innenministerium Baden-Württemberg unterstützt wurde. Eine weitere Reise war für das Jahr 1975 geplant, sie konnte jedoch wegen des inzwischen eingeführten Devisen-Zwangsumtausches nicht mehr durchgeführt werden. Das Vorhaben, eine Gedenkstätte für die Sauerländer und die Schwaben im Banat zu errichten, verfolgte Dr. Treude konsequent. Seinem Wirken für die Deutschen im Banat war sein großes Engagement für seine westfälische Heimat und seine Heimatstadt Hemer vorausgegangen. Als Vorsitzender des Bürger- und Heimatvereins Hemer setzte er sich mit aller Kraft und mit viel Herzblut für Heimatpflege und Heimatkunde ein. Sein großes Anliegen war die Einrichtung eines Heimatmuseums in Hemer. Dies gelang zunächst 1940 nach dem Erwerb einer alten Schule, die aber bei weitem nicht dem Zweck entsprach. Der Bau konnte die vielen Exponate über die Geschichte der Stadt durch alle Epochen kaum fassen. Erst 1975, nach dem Umzug in das große Gebäude in Sundwig, war genügend Platz für die vielen Vitrinen mit Exponaten und Modellen der alten Hemerschen Industriezweige zur Eisengewinnung und -verarbeitung. Leider hat Dr. Treude, der am 30. Oktober 1975 gestorben ist, die Einrichtung des Felsenmeer-Museums in der Hönnetalstraße nicht mehr erlebt. Wir Banater bleiben ihm für


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83 seine Banat-Forschungen und für die von ihm initiierte und angelegte Banat-Sammlung dankbar verbunden. Für uns Banater birgt das Felsenmeer-Museum fünf weitere kostbare Schätze, es sind Kunstschätze. Dr. Friedhelm Treude, der Kontakte zu Franz Ferch (geboren 1900 in Rudolfsgnad, gestorben 1981 in Freiburg im Breisgau) hatte, erwarb von dem Banater Maler vier große Ölgemälde: „Die Wacht“ (96 x 150 cm), eine Replik zu dem großen Bild, das ehemals in der Banatia hing und später in die Lenauschule kam, „Kreuzhaufensetzen vor dem Sturm“ (52 x 47 cm), „Der Pflüger“ (119 x 100 cm) und „Banater Landschaft – Weizenfeld“ (97 x 70 cm). Im Felsenmeer-Museum steht zudem noch ein besonderes Schatzstück: „Die Garbenbinderin“, eine Bronzefigur (100 x 60 cm) des Banater Bildhauers Sebastian Rotsching (geboren 1898 in Gertianosch, gestorben 1971 in München). Das Felsenmeer-Museum (Hönnetalstraße 21, 58675 Hemer, Tel. 02372 / 16454, E-Mail felsenmeer-museum@web.de) ist sehenswert, nicht nur wegen der Ausstellung über die Banater Schwaben, aber für diese besonders. Abbildung Die Garbenbinderin, (100x 60 cm) Bronzefigur von Sebastian Rotsching


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Buwe, was ham-mer heit?

Vom Ursprung und Inhalt der Banater Kirchweih Peter Krier

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nser größtes Volksfest, die Kirchweih, wurde im ganzen Banat und gleichfalls im gesamten deutschen Kulturraum gefeiert, vom Elsass und Lothringen bis Ostpreußen und von der Schweiz bis Schleswig. Die drei Hauptvarianten des Namens (von Norden nach Süden): Kirmes, (Kirchmesse) Kirchweih und Kirchtag werden dialektal Kerweih, Kirweih, Kirmess, Kermess, Kärm, Kirm, Kilbi, Kärbe oder Kirtag gesprochen, bezeichnen aber immer dasselbe. Auch wenn sich die einzelnen Brauchtumselemente des Festes im Laufe der Zeit geändert haben und es von Gebiet zu Gebiet und von Dorf zu Dorf Unterschiede im Ablauf des Festes gibt, hat es doch zwei Hauptelemente, ein kirchliches und ein weltliches. Bestandteile des Kirchweihfestes Das erste Hauptelement ist der kirchliche Teil. Das Fest der Kirchenweihe oder das Patrozinium (Patronatsfest), der Namenstag des Kirchenpatrons, an dessen Tag die Kirche feierlich vom Diözesanbischof geweiht wurde, wird fortan jährlich begangen und ist der Ausgangspunkt des Festes. (Vgl. dazu Hans Gehl: Donauschwäbische Lebensformen an der mittleren Donau. Marburg 2003, S. 167)

1.

Das kirchliche Fest umfasst ein feierliches Hochamt, zu dem der Ortspfarrer Mitzelebranten aus den Nachbardörfern einlädt. Am Gottesdienst nimmt die Kirchweihjugend mit der ganzen Gemeinde teil. Predigt und Gesang sind dabei heimat- und volksbezogen, am Schluss

segnet der Priester die Kirchweihpaare, den Kirchweihstrauß und den Kirchweihwein. Kirchen wurden von Frühjahr bis zum Herbst eingeweiht; somit gab es eine Vielzahl von Patrozinien und Kirchweihfeiern. Da man auch zu den Verwandten in Nachbarorte fuhr und gewöhnlich drei Tage lang feierte, kam es zur Behinderung der Erntearbeiten. Kaiser Joseph II. wollte 1786 mit der Reduzierung der Feste im Jahreslauf das Kirchweihfest streichen, bzw. alle Kirchweihfeste auf einen Sonntag nach dem Ernteabschluss verlegen. Wie manche seiner anderen Reformen hatte auch diese keinen Bestand. Somit blieb es auch im Banat beim Kirchweihfest, bloß dass man die kirchliche Feier am Patronatstag beließ, jedoch in den meisten Dörfern die weltliche Kirchweih auf den Herbst verlegte. Dagegen konnte die Obrigkeit in Bayern, wegen „überhandgenommenem Alkoholkonsum“ und der großen Anzahl von Kirchweihfesten 1866 durchsetzten, alle Kirchweihfeste im Land auf einen Tag, den dritten Sonntag im Oktober, zu verlegen.

2.

Die weltliche Kirchweih ist das große Volksfest des Jahres, in dessen Mittelpunkt die Kirchweihjugend steht. Zwei junge Menschen finden sich als Paar zusammen, das Mädchen schmückt dem Burschen seinen Hut und dieser schenkt seinem Kirchweihmädchen ein Tuch oder ein Kleid. Arm in Arm treten sie nun in den Kreis der Kirchweihjugend und feiern nach altem Brauch das Fest. Häufig wurde aus dem Kirchweihpaar ein Ehepaar. Gefeiert wurde das Fest jedoch im ganzen Dorf, man lud


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StrauĂ&#x;versteigerung beim Banater Kirchweihfest von Franz Ferch, Ă–l auf Leinwand, 83x107cm, WV. 27


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Straußtanz mit der Vortänzerin nach der Versteigerung Aquarell von Stefan Jäger


Heimatforschung dazu Verwandte und Freunde aus den Nachbargemeinden ein. Auf die einleitenden rituellen Tänze der Kirchweihpaare um den geschmückten Baum und um die Musikanten folgte der allgemeine Tanz. Die drei Kirchweihtage mit Festessen und Verwandtenbesuchen wurden durch Großreinemachen und ein Vorfest eingeleitet, als auch durch die Nachkerweih der Kirchweihgesellschaft abgeschlossen. Das Banater Kirchweihfest war das größte weltliche Volksfest des Jahres in allen Dorfgemeinden und auch in Kleinstädten. Die Bezeichnung Kirmess besagt, dass zum Kirchweihfest auch eine Mess, ein Markt, stattfand. Handwerker boten ihre Waren an, zum Marktbetrieb kam bald ein Rummelplatz mit Verkaufsbuden, Schießständen und Ringelspiel. Motivsymbiose im Kirchweihbrauchtum ls komplexes Fest hat die Kirchweih Brauchtum aus allen Jahreszeiten an sich gezogen. Außerdem hat sich das relativ einheitliche Banater Kirchweihbrauchtum erst mit der Zeit herausgebildet, da die Ahnen der Banater Schwaben und Berglanddeutschen aus ihren Ursprungsländern nicht nur voneinander abweichende Dia­ lekte, sondern auch unterschiedliche Sitten und Bräuche mitgebracht hatten. In jedem Dorf hat sich wohl das kräftigste Element durchgesetzt. Dennoch ist bei genauerer Untersuchung des Banater Kirchweihbrauchtums eine große Vielfalt an kleinen Abweichungen und Bezeichnungen für die Akteure und ihre Handlungen festzustellen, dass ihnen lediglich eine Dissertation oder wenigstens Diplomarbeit, auf der Grundlage von Befragungen in allen Ortschaften und einer inhaltlich-sprachlichen Darstellung in einem besonderen Kirchweihatlas gerecht werden könnte. Dafür ist es jetzt längst zu spät, sodass man sich mit der Darstellung wesentlicher Merkmale begnü-

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87 gen muss. Lokale Besonderheiten sind übrigens in den meisten Ortsmonografien zu finden. Der allgemeine Ablauf der Banater Kirchweih ähnelt in wesentlichen Punkten dem oberfränkischen Ablauf des Festes, wie ihn Eduard Rühl (Sonderformen fränkischer Kirchweihen. Ein Beitrag zur Volkskunde Ostfrankens. Regensburg 1953, S. 115) und Franz Klein (Billed. Chronik einer Heidegemeinde im Banat in Quellen und Dokumenten 1765-1980. Wien 1980, S. 245 ff.) beschreibt und wie er auch meinen Beobachtungen entspricht. Doch manche Kirchweihelemente entstammen auch anderen Gebieten und wandern im Jahreslauf. Wie im Mai werden auf der herbstlichen Kirchweih geschmückte (auch mit Girlanden umwundene) Bäume mit grünem Gipfel (in waldlosen Gegenden eine verzierte Stange) ähnlich wie in Niederösterreich aus dem Wald geholt und als Maibaum auf dem Tanzplatz aufgestellt. Aus Frühlingsbräuchen übernahm die Kirchweih Blumensträuße, Heischgänge wie in Rheinfranken (auch das Einladen der Dorfhonoratioren zum Fest), Lieder, Tänze und das symbolische Ausgraben und Begraben der Kirchweih (Flasche, Puppe), während der Ährenkranz, das Fass neben dem aufgestellten Kirchweihbaum, das Hahnenschlagen (im Banater Bergland, Thüringen und in Semlak) und Bockauskegeln (wie in Niederösterreich) von den Herbstfesten stammen. Dennoch ist die Kirchweih keinesfalls ein Erntefest. Der pfälzische Kerweihstrauß, gewöhnlich Symbol des Festes in verschiedenen Ausformungen, wie der meterhohe, bändergeschmückte Rosmarinstrauß, der in den Banater Heidegemeinden gewöhnlich in einer Quitte steckt und neben Seidentuch und Hut versteigert wird, fehlt dennoch beim Aufmarsch der Glogowatzer Buschebuwe und Buschemaadle. Dagegen fehlt im Alemannen-


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Die Kirchweihgesellschaft 1903 nach dem Festgottesdienst vor der Billeder Kirche. Es ist die älteste bekannte Kirchweih­aufnahme aus der Gemeinde.


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Mit dem Kirchweihstrauß 1929 im Hof von Peter Slavik (Hausnummer 172). In der Zwischenkriegszeit kleidet die Jugend sich auch bei der Kirchweih modisch.

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Üblicherweise speisten an den Festtagen mehrere Kirchweihpaare zusammen, wobei sie sich als Gastgeber abwechselten. Nach dem Fotoshooting geht es am frühen Abend zum Tanz ins „Groß Wertshaus“, wo die Blaskapelle zwischendurch auch für die älteren Jahrgänge zum Tanz aufgespielt hat.


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Kirchweihpaare mit den „Alten Musikanten“ „Alte Musikanten“ nannte man in Billed die ehemaligen Mitglieder der Knabenkapellen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und Amerika auf Konzerttourneen waren.


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Heimatforschung dorf Saderlach der Baum. Die als Kirchweihende begrabene Flasche Wein stammt wohl von den pfälzischen Nachbardörfern und Chilbistruuß ist der geputzte Hut der Chilbijungen. (Gehl: Lebensformen 2003, S. 164-169). Dem Ernst der badischen Kirchweih entspricht der Friedhofbesuch am Festtag, um die Verstorbenen einzubeziehen. Hier fehlt das ausgelassene Treiben der pfälzischen Kerwe. Dazu eine entsprechende Episode aus der Kerweihbeschreibung von Ludwig Schwarz (De KauleBaschtl. Bd. 1, Temeswar: Facla Verlag 1977, S. 243): Ich sin dann – noch immer bloßkoppich – uf de Dollwig Michl zu, un han gsaat: „Michl, dei Großvater is gstorb.“ „Gott gib em die ewichi Ruh“, hat de Michl uf des gsaat, hat uf die Erd gschaut, hat awer dann sei Hut runerghol un noh ihm die Kerweibuwe eene noh em anre, wie se halt erfahr han, was passieert is. Dann is es Bärwl kumm, em Michl sei Kerweihpaar, hat scheen die Streiß, die rosmarinzwacke un die bandle vum Michl seim Hut runerghol, hat de Michl dann an der Hand angepackt un is, ohne aach nor een Wort zu saan, mitm naus uf die Gass. Dort sin die zwei dann bis an de Grawerand, de Michl hat sei Wein aus der Kerweiflasch in de Grawe geleert, dann han se sich scheen an der Hand ghol un sin langsam ufm Michl seim Großvater sei Haus zu. „Dei Schmerz is jetz aach Abb. links oben: Einladung zur Kirchweih in der Bărăgandeportation in Brateș 1953 Abb. links unten: Die Kirchweihgesellschaft 1953 in Brateș, eine der 18 neu erbauten Siedlungen.

93 mei Schmerz“, hat s‘ Bärwl gsaat, „un dei Trauer aach meini.“ Ja, so is des de Brauch geween bei uns in Kleenwalddorf in seler Zeit. De Lewendichi hat mer wohl net immer helfe un schun ganz seltn zu ihrem Recht kumme losse kenne, awer die Toteni, deni hat mer die Ehr angetun, wie’s sich gheert. Brauchtumswandel olange Brauchtum lebt und noch nicht Geschichte geworden ist, finden Änderungen statt. So haben wir die Entwicklung von Trachtenkleid zum Minirock und wieder zurück erlebt. Einige Elemente des Banater Kirchweihbrauchtums haben sich allgemein erhalten: geschmückte Hüte, Kirchweihbaum, gemeinsamer Kirchgang, Umzug mit Musik durchs Dorf, Kirchweihtanz, das Ausgraben und Vergraben der Kirchweih u. a. Manches Brauchtum findet man nur noch selten. Im Thüringer Wald sieht man heute noch das im Banater Bergland geübte Hahnenschlagen (es wird kein wirklicher Hahn mehr erschlagen) oder die spaßige Verurteilung und Hinrichtung eines als Hahn oder Bär verkleideten Jungen oder die Bestrafung einer Strohpuppe. Das auch im Banat bekannte „Bockkegeln“ ist in Geldersheim bei Schweinfurt noch aktives Kirchweihbrauchtum. Der mit Bändern und Blumen geschmückte Schafbock geht dem Kirchweihzug voran, assistiert beim Kegelschieben und kommt dann als Braten auf den Kirchweihtisch. Ein kleiner Schwindel ist schon dabei, denn mit dem Kirchweihzug geht ein altes zahmes Schaf und in die Pfanne kommt ein junger Bock. In einem von Stefan Jäger gemalten Kirchweihzug sieht man, dass der geschmückte Kirchweihbock auch im Banat zum Kirchweihbrauchtum gehörte. Gefeiert wird auf dem Dorfplatz, dem Plan, oder Markt, häufig um eine große Ka-

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94 stanie bei den Evangelischen und unter einer Linde bei den Katholiken. In Oberfranken findet man mancherorts noch eine Plattform im Geäst der Linde, auf der die Musiker sitzen. Einen geschmückten Rosmareinstrauß, so wie es im Banat üblich war, habe ich in Deutschland noch nicht gesehen. Allerdings heißen die Kirchweihburschen im Rheinland „Straußbuwe“, was auf einen Strauß schließen lässt. Mancherorts wird mit einem Blumenstrauß getanzt, der von Paar zu Paar weitergereicht wird, bis ein Wecker klingelt. Mit dem Klingeln ist das Vortänzerpaar erkoren, das dann mit dem Kirchweihzug nach Hause begleitet wird und die ganze Gesellschaft bewirtet. Was wir „amerikanisch Verlezitieren“ nennen, stammt auch vom Rhein. Doch das Versteigern des Kirchweihstraußes und der abgeschnittenen Rosmareinzweige, im Banat Höhepunkt des Festes, fehlt in Deutschland. Unterfränkische Kirchweih in Gochsheim und Sennfeld ach meinen Erkenntnissen ähnelt der Kern der Banater Kirchweih dem Brauchtum in Unterfranken, im Umkreis von Schweinfurt, am meisten. Hier bilden die ehemaligen freien Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld Hochburgen des Kirchweihfestes. Sennfeld war am Ende des 30-jährigen Krieges niedergebrannt und völlig zerstört; von den ehemals 600 Einwohnern lebten zum Kriegsende noch vier Dutzend. Als 1648 endlich die Friedensglocken läuteten, versammelten sich die Überlebenden vor der Ruine ihrer Kirche, berieten sich und beschlossen, ihre Kirm (Kirmes) trotz allen Elends zu feiern. Und so geschieht es in ununterbrochener Tradition seit 364 Jahren. Nachgewiesen ist die Kirm schon im 15. Jahrhundert. Wie im Banat gehen die Gerüch-

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Heimatforschung te und Mutmaßungen, wer wem den „Hut putzt“, schon im Frühjahr los. Zwei Wochen vor dem Fest, um den ersten Septembersonntag, bringt die Lokalzeitung die abgebildeten „Planpaare“, alles ledige Sennfelder, älter als 18 Jahre. Damit ist offiziell, wer mit wem gehen wird. Samstags beginnt das Fest mit dem Aufstellen des Kirchweihbaumes, einer 30 Meter hohen Fichte, die mit einem Pferdegespann, mit Musik und vielen Zuschauern, zum Festplatz gefahren wird. Der kronengeschmückte Baum wird mit Muskelkraft, mittels Leitern, Hebescheren und Seilen hochgeschoben und gezogen. Zwischendurch gibt es immer wieder Trinkpausen, die Stimmung steigert sich, bis der Baum senkrecht steht. Dann bricht der Jubel aus und es wird getrunken. Gleichzeitig fahren die Fichtenburschen und -Mädchen - Jugendliche unter 18 Jahren durchs Dorf und laden die Wirte und die Dorfobrigkeit zur Kirm ein. An den Häusern der Geladenen werden Fichtenbuschen befestigt, die Mädchen und Burschen werden bewirtet und die Musik spielt ein Ständchen. Kirchweihverlauf in Unterfranken m Sonntagvormittag zieht der Kirchweihzug zur Kirche, wo ein feierliches Hochamt stattfindet. Die Planpaare tragen die alte Sennfelder Tracht: schwarze

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Abb. rechts oben: Die Kirchweihgesellschaft 1958, nach 1948 und 1957 das 3. Kirchweihfest in der Nachkriegszeit Abb. rechts unten: Kirchweihfest im Minirock 1968. Politisch korrekt nannte man es damals Erntefest mit Fes­t­umzug. Daher musste die Kirchweihgesellschaft zum Festauftakt zunächst den Ansprachen der damaligen kommunis­tischen Machthaber beiwohnen. Fotos: Jakob Thöreß


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RĂźckblick

Abbildungen: Umzug der Kirchweihbuben mit Kirchweihbaum und Blaskapelle am Vorabend der Kirchweihfeste 1980 und 1981.


Rückblick

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Keine Kirchweih ohne Ringelspiel fĂźr die Dorfjugend. Foto 1983

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Der Kirchweihumzug in Banater Festtagstrachten durch die 33m breiten Dorfgassen auf dem Weg zur Vortänzerin 1977. In den 1970er Jahren entdeckte das kommunistische Regime die Folklore, auch die mitwohnenden Nationalitäten durften Trachten tragen. In der späteren Phase des Nationalkommunismus wurde dies, insbesondere auf lokaler Ebene, nicht mehr gerne gesehen. Foto: Wilhelm Fackelmann


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Ausmarsch der Kirchweihpaare am Sonntagmorgen nach der Einladung zur Kirchweih 1983, die Nachbarsleute stehen Spalier.


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Umzug der Kirchweihgesellschaft zum Einladen der Ehrengäste in der Altgasse 1983. Im Bild die Blaskapelle in geländegängiger Marschformation auf den naturbelas­senen Verkehrswegen des Goldenen Zeitalters (Epoca de aur). Fotos: Hans Rothgerber


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Abbildungen 1. Gruppenbild der Kirchweihgesellschaft 1981 2. Die Kirchweihpaare mit dem Kirchweihstrauß beim Festgottesdienst in der Billeder Kirche 1978 3. Kirchweihstrauß Versteigerung 1978 4. Der Ersteigerer des Kirchweihstraußes schenkt ihn seinem Kirchweihmädchen 1978 Fotos: Peter Schweininger


104 Schuhe, weiße Strümpfe, die Burschen altdeutsche Hosen, rote Westen und blaue Jacken. Auf dem Kopf tragen sie einen mit Blumen und Bändern geschmückten Dreispitz. Die Mädchen tragen dunkelfarbige Röcke, eine dunkle Seidenschürze, Leibchen, Schultertuch und eine schwarze, blumengeschmückte Haube mit Bändern. Im nur fünf Kilometer entfernten Gochsheim, wo die Kirm Kerm heißt, tragen die Mädchen lange, dirndlähnliche Seidenkleider, die Burschen haben einen Gehrock an und tragen einen mit Bändern geschmückten Zylinder. Schon um 13 Uhr marschieren die Burschen wieder zum Plan, wo sie von kleinen Mädchen erwartet werden, mit denen sie tanzend die „Gänsedreckli aushätschen“, in Erinnerung an die Zeit, als der Festplatz noch nicht betoniert war und normalerweise den Gänsen gehörte. Anschließend werden die Kirchweihmädchen abgeholt und die Planpaare ziehen jauchzend zum Plan. Hier haben sich Hunderte Zuschauer versammelt, denn die in den großen Industriestädten lebenden Sennfelder, manche auch von Übersee, kommen zur Kirm nach Hause, dazu auch viele Gäste aus der Umgebung . Der Sprecher der Planpaare begrüßt nun die Ehrengäste, namentlich werden Bürgermeister, Pfarrer, Landrat und andere Persönlichkeiten begrüßt und mit einem Schluck geehrt. Wenn der Ruf erklingt: „Unser Bürgermester vivat, er lebe hoch!“ antworten die Burschen: Hoch, hoch, hoch! und trinken den Begrüßten zu. Häufig ertönt der Ruf: Uner Kirm, mit der dreimaligen Antwort: Sie lebe hoch! Dazu wird gejauchzt wie im Banat. Im Nachbardorf Hambach ruft ein Planbursch: Wam ghört die Kerwa? Worauf geantwortet wird: Uner, uner, uner! Wenn es dann heißt: „War isst die Fisch?“ Kommt die Antwort: „mir“, und: „War kriecht die Heringsschwänz?“ – „Die Dettelbrunner!“ Nach der Begrüßung

Heimatforschung und einer ganz kurzen Ansprache eröffnen die Planpaare den Kirchweihtanz. Auf dem Plan werden nur Rundtänze, d. h. Volkstänze nach strenger Ordnung, getanzt. Die Runde beginnt mit einem Walzer, es folgt ein Rheinländer (zwei Schritte links, zwei rechts und zweimal drehen), danach ein Schottisch (polkaähnlich), je nach Stimmung kann noch ein Dreher (Schnellpolka) folgen. Während der Tanzpause gehen die Tanzpaare im Kreis herum, wenn die Musik anschlägt, bleiben sie stehen, warten vier Takte und beginnen alle auf einmal zu tanzen. Auf der Tanzfläche wird nicht rückwärts oder seitwärts getanzt, sondern nur gleichmäßig im großen Kreis vorwärts. Wie im Banat, tanzt zuerst jeder Bursch mit seinem Mädchen, dann wechseln die Planpaare untereinander. Die Burschen laden danach ihre Mütter zum Tanz, bzw. die Mädchen werden von ihren Vätern zum Tanz aufgefordert, danach folgen die Geschwister und die Verwandtschaft. Die Gäste legen beim Tanz eine Münze in einen Teller. Das Ganze überwacht der „Planhüpfer“ oder „Mundschenk“, der genau dieselbe Rolle hat, welche im Banat der „Kerweihnarr“ oder „Kerweihvatter“ ausübt. In Gochsheim hat der Planhüpfer, der wie im Banat eine weiße Schürze trägt, einen Schellenstock, mit dem er sich Gehör verschafft. Ausklang und Nachkirchweih m Abend verkleinert sich der Gästekreis etwas. Die Planpaare gehen zum Abendessen, wobei die Burschen eingeladen sind, wie bei Adam Müller-Guttenbrunns Susi und Adam Luckhaub, in Meister Jakob und seine Kinder. In der Zwischenzeit gehört die Tanzfläche den Alten. Nach einiger Zeit kommen sie wieder in lockerer Kleidung und feiern bis in den nächsten Tag hinein. Trotzdem geht es am Montag weiter. Am Vormittag

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Heimatforschung werden den Planmädchen Ständchen gebracht und um 13 Uhr marschieren die Paare wieder auf. An diesem Tag tragen die Sennfelder Burschen Gehrock und Zylinder und die Mädchen festliche Kleider, die sie am Abend wieder gegen legere Kleidung tauschen. Auch montags wird bis spät in die Nacht auf dem Kirchweihplatz getanzt. Dienstags treffen sich die Sennfelder Klassen- und sonstige Kameradschaften in verschiedenen Wirtshäusern des Dorfes und feiern dort in kleineren Kreisen. Abends trifft man sich wieder am Plan. Und auch der Mittwoch ist Festtag, der Friedenstag. Die Sennfelder und Gochsheimer hänseln sich, wie die Jahrmarkter und Bentscheker; Klosköpf und Krauthätscher nannten sie sich. Natürlich gab es an der Kirchweih auch echte Streitigkeiten und manchmal auch Keilereien. Nun wurde damit endgültig Schluss gemacht. Die Sennfelder und Gochsheimer haben an ihrer Gemarkungsgrenze einen Friedensstein gesetzt und treffen sich dort am Kirchweihmittwoch zum friedlichen Umtrunk. Am Sonntag darauf findet, wie im Banat, die Nachkirchweih statt. Wieder wird auf dem Plan gefeiert und getanzt, die Planpaare tragen dazu erneut ihre Volkstracht. Erst um Mitternacht ist Schluss; die Kirm wird bis zum nächsten Jahr begraben. Auch das Umfeld ist so wie im Banat; es gibt Ringelspiele, Schießbuden, Zuckerwatte und jede Menge zum Essen und Trinken. Typisch für die beiden Dörfer sind allerdings der wagenradgroße Zwiebelploz in Gochsheim und der Zwetschkenploz in Sennfeld. Wie im Falle des Dorfdialekts ist unser Kirchweihbrauchtum eine Mischung aus verschiedenen deutschen Regionen, der fränkische Anteil scheint dabei zu überwiegen. Unser Kerweihbrauchtum hat alte deutsche Traditionen. Nicht nur weil es sich reimt, wird in den Kirch-

105 weihansprachen immer an die Ahnen erinnert, die den „Rosmarein vom Rhein“ mitbrachten; der Kirchweihstrauß ist pfälzisches Kulturgut. Perspektiven der Banater Kirchweih chon vor Jahren stellte sich die berechtigte Frage, wie sich das wichtigste Banater Fest des Jahres, die Kerweih, nach der gänzlichen Aussiedlung weiterentwickeln wird. Inzwischen scheint eine Antwort darauf möglich zu werden. 1. Die zahlreich ausgetragenen Kirchweihfeiern in Deutschland sind wohl etwas anders geworden, als sie der älteren Generation aus dem Banat in Erinnerung geblieben sind, doch sie begleiten viele Treffen von Heimatortsgemeinschaften, um an die Heimattraditionen zu erinnern. Das Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl rückt hier in den Vordergrund und schafft die Voraussetzungen zum gemeinsamen Feiern der überlieferten und auch erneuerten Bräuche. Ihre soziale Funktion schafft ihnen weitere Existenzberechtigung. Solange begeisterungsfähige Veranstalter die Jugend zum Mitmachen gewinnen, ist die Fortdauer der Banater Kirchweihfeier mit Trachtenpaaren und einigen Kirchweihsymbolen - wenn auch mit veränderter Funktion – gesichert. 2. Noch klingt in der Herbstzeit in einigen Banater Dörfern, wie Pankota, Billed, Neuarad, Sanktanna, Hatzfeld, Großsanktnikolaus u. a. der Ruf „Buwe, was ham-mer heit?“, obwohl in der Gruppe schon überwiegend rumänisch gesprochen wird. Die Kerweih lebt dort noch, sie ist heute eine Begegnung der Ausgesiedelten mit den Daheimgebliebenen und ihren früheren Nachbarn und Arbeitskollegen, eine Begegnung der Gegenwart mit den Erinnerungen. Es ist nur eine Projektion der abgeschlossenen Vergangenheit in die Gegenwart, die so-

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Spontanes Gruppenbild von Kirchweihgesellschaft und Anhang am Kerweih-Dienstag 1976 vor dem Gässchen an der Hauptgasse. Die Kirchweih war eigentlich vorbei, weil es so schön war, wollten aber die wenigsten nach Hause. Unterstützt von hartgesottenen Musikanten wurde daher der Umzug durch die Dorfgassen fortgesetzt.


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lange überleben wird, wie Erinnerungsträger sie bewahren und ihnen neues Leben verleihen. Danach wird das Fest in schriftlichen Aufzeichnungen, in Ton- und Bilddokumenten überleben. Tonträger mit einschlägiger Musik und Textbeschreibungen gibt es bereits viele. 3. Die Feier der Banater Kirchweih rückt heute vorrangig das Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl in den Vordergrund. Das ist ihre Existenzberechtigung, solange ein Interesse der Banater Landsleute daran besteht. Und das ist anscheinend noch bei der Erlebnisgeneration und auch bei unserer Jugend der Fall. So wie die Ahnen das Fest einst aus dem Rheinland, aus Franken oder der Pfalz ins Banat brachten, haben Landsleute unser Kirchweihbrauchtum nach Deutschland, Amerika, Brasilien und sonst wohin in die Welt mitgenommen. Der verstorbene Lehrer Hans Klein hat berichtet, dass im Städtchen Lefort, in Nord Carolina (USA), das von Banatern aus Josefsdorf gegründet wurde, seit 1893 pausenlos Kirchweih nach Banater Art gefeiert wird. Heute noch rufen dort junge Menschen, die der deutschen Sprache kaum mehr mächtig sind: Buwe, was ham-mer heit?“ – „Kerweih!“ Der Ruf wird noch solange erschallen, wie wir dieses schöne Fest erhalten wollen. Wir haben die Freiheit und die Möglichkeit dazu. Und unser überliefertes Brauchtum ist es wert, weiter erhalten und gepflegt zu werden. Eine Kirche, mehrere Kirchweihen Abb. links oben: Kirchweihumzug der Billeder Jugendlichen 2009 in Billed Abb. links unten: Kirchweihumzug Jugendlicher mit Billeder und Banater Wurzeln beim Billeder Heimattag 2009 in Karlsruhe Abb. rechts: Der Kirchweihbaum mit Hut und Tuch 1983

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Ein Stadtmobil in Oxford? Ein Bild und seine Geschichte

Hans-Dieter Hartmann

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ngland ist ziemlich weit weg. Seit dem Brexit sogar noch weiter. Jedenfalls weiß der Festlandeuropäer im Moment nicht so genau, ob er im Vereinigten Königreich gerade willkommen ist oder nicht. Und wenn auch noch Corona mitmischt, wird es nicht einfacher. Als Benita, meine Tochter, mich im Sommer mit der Frage überraschte „Papa, könnten wir vielleicht zusammen mit dem Auto nach Oxford fahren, um meine Sachen aus der WG zu holen?“ war ich erst ein bisschen skeptisch. Mit dem Auto auf die Insel? Es schien mir doch ein recht gewagtes Unterfangen: Den Atlantik durch- oder überqueren, mit einem Transporter in Englands Linksverkehr bestehen und zudem hoffen, dass Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Denn eine Quarantäne in England wäre aus beruflichen und privaten Gründen schlicht und einfach eine mittlere Katastrophe gewesen. Also: Mit einem Transporter von Karlsruhe nach Oxford zu fahren, klingt nicht gerade nach einem lang gehegten Urlaubswunsch. War es auch nicht. Aber die Vorstellung, ein paar Tage mit Benita zu verbringen und mir von ihr Oxford zeigen zu lassen, verwandelte die Skepsis schnell in Vorfreude. Und aus der zweckgebundenen Reise zur Auflösung der Studenten-Wohngemeinschaft wurde ein unvergesslicher Kurzurlaub. Die Spaßbremse namens Eifel Die 13-Uhr-Fähre von Calais nach Dover war für teures Geld fest gebucht, unser Start dementsprechend für 4:00 Uhr morgens geplant. Tatsächlich war es schon fast 4:40 Uhr, als wir losfuhren und das sollte sich später noch rä-

chen. Alles lief gut, wir fuhren staufrei durch die schöne Pfalz, aßen Obst, hörten Musik und unterhielten uns köstlich. Als wir die Eifel erreichten, wurde wie aus dem Nichts das Wetter schlecht und plötzlich war die Autobahn zu Ende! Wir folgten der Umleitung, ich nahm in einem Kreisel die falsche Ausfahrt und schlagartig war der Spaß vorbei und die Stimmung im Auto gedrückt. Denn wir hatten keine Zeit zu verlieren! Wir sahen nur noch Wald und Hügel, durch den und um die sich die schmale Landstraße schlängelte. Kein Mensch weit und breit – bis auf die (zum Glück wenigen) Lkw-Fahrer, die uns mit ihren Ungetümen von der Straße drängen wollten. So fühlte es sich zumindest an, in diesem menschenleeren Landstrich. Apropos leer: Das galt auch für unseren Tank. Bis wir mit dem buchstäblich letzten Diesel-Tropfen eine Dorf-Tankstelle erreichten, hatten wir eine schweißtreibende und sehr beklemmende Odyssee hinter uns. Der Zeitverlust war sogar besorgniserregend, da wir spätestens um 12:15 Uhr an der Fähre sein mussten. Umso schöner ging es nachher weiter. Kaum hatten wir die Eifel verlassen, war auch die Sonne wieder da. Wir fuhren mit gemütlichen 120 km/h über Belgiens erstaunlich leere Autobahnen, waren recht schnell in Frankreich und guter Dinge, dass wir die Fähre sehr wahrscheinlich erreichen werden. Wir fuhren durch Calais, sahen den Hafen vor uns, und das Navi sagte „noch vier Minuten bis zum Ziel“ … als ich wieder die falsche Ausfahrt nahm. Somit waren aus den vier Minuten plötzlich wieder 24 geworden und die Fähre für uns unerreichbar, hätten nicht


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Abbildung: Der Stamm(park)platz des Stadtmobil-Transporters in Oxford war die Howard Street 165. zwei französische Hafenarbeiter uns ermöglicht, über eine Abkürzung auf den rechten Weg zurückzukommen. Nie zuvor waren meine bescheidenen Französichkenntnisse wertvoller und deren Einsatz erfolgreicher gewesen! Über den Atlantik Groß war die Erleichterung, als das Auto auf der Fähre stand und wir beide auf einem bequemen Sofa saßen – direkt vor der riesigen Glaswand (oder wie das in der Seemannssprache heißt). Gemütlich speisend genossen wir die ruhige Überfahrt und den freien Blick auf die berühmten weißen Felsklippen von Dover. Leider konnten wir die ca. 90-minütige Überfahrt nicht ausschließlich entspannt genießen. Es war Ende Juli und die eng-

lische Regierung hatte zum Schutz gegen das Coronavirus gerade die Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden eingeführt – was bei uns schon längst Alltag war. Dementsprechend „gemischt“ sah es auch auf der Fähre aus: Viele Fahrgäste trugen die Schutzmasken korrekt und gewissenhaft, viele aber auch nicht. Trotz der zahlreichen Hinweise auf Plakaten, dass dies eine gesetzliche Bestimmung sei, kontrollierte niemand die Einhaltung derselben. Nicht minder nachlässig – um nicht zu sagen fahrlässig – ging man mit den Abstandsregeln um. Die Bedrohung durch das inzwischen zurecht gefürchtete Virus war groß. Mindestens so groß wie die Unvernunft vieler Menschen um uns herum. Man konnte also nur das Beste hoffen …


112 Und noch etwas beschäftigte mich immer mehr, je näher wir den majestätischen Kreidefels-Klippen kamen: Meine Gedanken ließen sich nicht davon abhalten, immer wieder zu dem Linksverkehr auf den britischen Straßen zurückzukehren. Und das fühlte sich alles andere als ermutigend an. Jedenfalls konnte ich keine deutliche Vorfreude auf die bevorstehende Autofahrt verspüren. Eines war allerdings sicher: Langweilig würde die Fahrt auf englischen Straßen bestimmt nicht werden! Und dann kam der große Augenblick, als wir die sichere Fähre verlassen und uns der – für mein Empfinden – verkehrten Welt der britischen Straßenverkehrsordnung stellen mussten. An der ersten Kreuzung mussten wir links abbiegen, was in England einfach ist und entsprechend reibungslos verlief. Anders das Rechtsabbiegen, denn spätestens hier beginnt für den Festlandeuropäer das große Umdenken: „Gegenverkehr durchlassen, nach dem Abbiegen darauf achten, dass ich auf der linken Seite weiterfahre, und so weiter …“. Was mir Freunde und Kollegen diesbezüglich prophezeit hatten, traf aber tatsächlich ein: Es dauerte nicht lange, und das „verkehrte“ Fahren lief wie am Schnürchen. Und nicht nur das. Als das nötige Sichertheitsgefühl da war, machte es richtig Spaß! Durfte man hier doch (endlich) das tun, was daheim verboten war – zum Beispiel auf der Autobahn rechts überholen oder links herum in den Kreisverkehr einfahren. Eine unvergessliche Erfahrung! Oxford und der elitäre Sonnenbrand Kein Zweifel: Oxford ist und bleibt immer eine Reise wert! Allein schon die alles dominierende Präsenz der University of Oxford ist mehr als beeindruckend. Die Gebäude der 39 Colleges, die vorwiegend aus dem 11. und

Begegnungen 12. Jahrhundert stammen, prägen das Stadtbild und die Erinnerung des Besuchers. Am Abend unserer Ankunft zeigte uns die Stadt allerdings ihre eher abweisende Seite. Es war kalt und corona-bedingt waren sämtliche Restaurants – schon oder überhaupt – bereits geschlossen. Wir irrten eine Weile hungrig und frierend umher, versorgten uns aber letztendlich mit seltsam anmutenden Brötchen, veganem Aufstrich und leckerem Käse aus dem Supermarkt-Regal. Als wollte die City of Oxford uns gleich am nächsten Tag willkommen heißen, wurde das Wetter schlagartig freundlich. Es gab zwar im Haus viel zu tun aber in der Stadt auch viel zu sehen. Die Arbeiten legten wir deshalb auf die späten Abendstunden und genossen tagsüber unsere sommerlichen Erkundungstouren. Das heißt, Erkundungstouren waren das nur für mich. Benita kennt die Stadt wie ihre Westentasche und ich hätte mir keine bessere Fremdenführerin wünschen können. Gemessen an normalen Verhältnissen sei die Stadt gerade ziemlich leer, erklärte mir besagte Fremdenführerin. Studenten waren fast keine da und die Touristen blieben weg – Corona ließ grüßen. Für uns war das kein Nachteil. Wir bewegten uns frei durch die ca. 150.000 Einwohner umfassende Stadt, unsere täglich mehrere Kilometer langen Märsche brachten uns zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten – für mich ein großartiges Erlebnis. Obwohl Museen und ähnliche Orte wegen Corona leider geschlossen waren. Eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt ist das Radcliffe Camera (Camera steht für Raum). Das ursprünglich als Bibliothek genutzte Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist heute ein Lesesaal. Apropos Erlebnis: Bei den langen Fußmärschen zu den


Begegnungen elitären Orten und Wahrzeichen der Stadt zog ich mir einen Sonnenbrand zu, wie ich ihn in England niemals erwartet hätte. Selbst meine Kopfhaut war verbrannt. Die Schmerzen und Folgen fühlten sich natürlich genauso an, wie die eines Karlsruher Sonnenbrandes. Dennoch empfand ich ihn als etwas Besonderes und wir nannten ihn scherzhaft „elitär“. Genau betrachtet, ist es auch gar nicht so einfach, in England einen solchen Sonnenbrand zu erleiden – ein bisschen Dummheit gehört schon dazu. Und davon hatte ich wohl reichlich dabei. Allerdings erfuhren wir danach, dass jener Donnerstag wohl seit Menschengedenken der heißeste Tag in Oxford war. Es war eine sehr schöne und spannende Reise, die ich nie vergessen werde. Aus vielen Gründen. Einer davon ist die schöne, unvergessliche und durch nichts ersetzbare Zeit mit meiner Tochter.

Abbildung Eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt ist das Radcliffe Camera (Camera steht für Raum). Das ursprünglich als Bibliothek genutzte Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist heute ein Lesesaal.

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Fischfang im Hausgarten im Hochwasserjahr 1970

Roland Roos

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as sehr regenreiche Jahr 1970 hatte zur Folge, dass Schleusen geöffnet wurden, um Überschwemmungen zu vermeiden. Dadurch ist das Wasser über die Billeder Dorfkanäle abgeflossen und landete in der Kirchengasse an der Mühle. Dort drang das Wasser in die Gärten ein und verbreitete sich schnell bis zu unserem Garten, der ca. 15 cm tiefer lag als der nachfolgende Nachbarsgarten. Ich beobachtete täglich, wie der Wasserstand im Garten stieg, bis er im Frühjahr eine Tiefe von ca. 1.20 m erreicht hatte. Um die Tiefe des Wasserstandes feststellen zu können, musste ich mich auf dem Gartensee bewegen können. Dazu hatte ich gemeinsam mit meinem Nachbarn Steli (Stefan Stefanescu) einen mit Luft gefüllten Hinterrad-Traktorschlauch, zwei Bretter und eine Holzschaufel zum Paddeln verwendet. Die Tiefe des Wasserstandes stellten wir dann mit einem Stock fest, indem wir die Stelle, bis zu der das Wasser reichte, markierten. Anschließend hatten wir den Stock bis zur markierten Stelle vermessen und zu unserer Überraschung eine maximale Wassertiefe von ca. 1.20 m festgestellt. Bei meinen täglichen Beobachtungen des Gartensees ist mir aufgefallen, dass an manchen Stellen Bläschen an der Oberfläche sichtbar wurden. Daraufhin wollte ich mit einer selbstgebauten Anglerrute feststellen, ob nicht vielleicht Fische in dem Gartensee sind. Tatsächlich habe ich nach ca. 1 Stunde den ersten Fisch, eine Rotfeder, gefangen und anschließend noch eine Karausche. Mit großer Freude zeigte ich sie meinen Eltern und sagte: „Wenn schon kein Garten mehr, dann wenigstens Fische im Gartensee.“ Die Nachricht, dass Fische im Gartensee sind, teilte ich auch Walter Müller mit. Dieser hatte gute Erfah-

rung im Korbfischfangen, da das Fanggebiet - die Kaul - stehendes Gewässer war, und er in unmittelbarer Nähe wohnte. Seine Idee war es, mir seinen Korb zum Stülpen für den Fischfang im Gartensee auszuleihen. Da der Wasserstand noch sehr hoch war und die Höhe des Korbes nicht ausreichte, musste ich warten, bis dieser sich auf ca. 1,00 m senkte. Danach konnte ich testen, ob ich mit dem Korb durch wechselndes Stülpen im Wasser Fische fangen konnte. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten und ich hatte die ersten zwei Fische im Korb. Am ersten Tag hatte ich bereits 1,5 kg Fisch gefangen. Diese wurden anschließend geputzt und in Öl ausgebacken. Zur großen Freude meiner Großmutter und Mutter hatten wir an diesem Tag ein Mittagessen. Da es vom Frühjahr zum Sommer ging und die Tage länger und wärmer wurden, verdunstete auch immer mehr Wasser, so dass ich einen sinkenden Wasserspiegel feststellen konnte. Dieser sinkende Wasserspiegel war mir beim Stülpen ein Vorteil, so dass ich oft drei bis vier Fische im Korb hatte. Dies führte dazu, dass ich eines Tages ca. 15 kg Fisch gefangen hatte. Da stellte sich die Frage, was machen mit so vielen Fischen. Da kam ich auf die Idee, diese zu verkaufen. Der Fisch wurde einzeln gewogen und Tüten mit je 1 kg Fisch für den Verkauf zu einem Preis von 5 Lei/kg vorbereitet. Zuerst hatte ich bei uns in der Nachbarschaft Fisch angeboten, indem ich von Haus zu Haus ging. Danach fuhr ich mit dem Fahrrad in die rumänische Neubausiedlung am Rande des Dorfes und bot den Fisch an, so dass ich am Abend die komplette Menge verkauft hatte. So kam ich mit 14 Jahren an mein erstverdientes Geld.


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Abbildung: Überschwemmung im März 1942 in der Billeder Neugasse. Foto: Archiv der Familie Rademacher

Die Überschwemmungsfläche bei Hochwasser war in Billed zwischen den Weltkriegen noch immer 1.000 bis 2.000 Joch.

Das Fischen im eigenen Gartensee ging bis Ende August, bis das Wasser sich so stark zurückgezogen hatte, dass man nur noch einige Fische im Wasser springen sah. Bis zum Ende der Saison „Fischfang im eigenen Gartensee“ hatte ich von Mai bis August ca. 80 kg Fisch gefangen. Für uns in der Familie war es ein sehr „tragisches“ Jahr, da wir für

den Eigengebrauch im Garten nichts anpflanzen konnten. Ein kleiner Ausgleich war, dass wir uns im Jahr 1970 an frischem Fisch sattessen konnten. Dieser Bericht soll eine kleine Erinnerung an das Hochwasserjahr 1970 widergeben.


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Am „Entelacke“ (Ententeich) am östlichen Dorfrand, erreichbar über die „Vertgass“ (Viertgasse). Im Bild Josef Freer, 3ter von links, mit Spielkameraden der Nachbarschaft. Im Hintergrund der „Mexiko“ genannte Obstgarten der ehemaligen Agramer Herrschaft. Foto von Katharina Muhl, 1965 aus den USA zu Besuch in Billed.


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Der „kleine Emil“ und der Adam-Onkel

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ie kleine Geschichte, die ich erzählen möchte, spielte sich zu der Zeit ab, als man mich noch den „kleinen Emil“ nannte. Damals war ich gerade 9 Jahre jung. Im Rumänien der 1970er Jahre hatten wir so richtig schöne, lange Sommerferien: 3 Monate am Stück! Da konnte man so schön die Schule vergessen und sich den wichtigen Dingen des Lebens widmen. Oft fuhren wir mit den Eltern in die Berge, noch öfter ans Schwarze Meer. Aber 3 Monate sind lang. Trotz der vielen Freunde in der Fabrikstadt, in meinem heiß geliebten Temeswarer Stadtteil, suchten meine Eltern Abwechslung für Ingrid – meine große Schwester, auch Schwesti genannt- und mich. Da war es sehr naheliegend, dass Ingrid und ich einige Zeit auf dem Dorf, in Billed, verbringen. Geboren bin ich zwar in der Fabrikstadt, aber meine Ahnen väterlicherseits kamen aus Billed. Der Bruder meiner Oma lebte mit seiner Familie noch in Billed. Also waren Adam Wagner und seine liebe Frau Elisabeth für uns wie zweite Großeltern. In den langen Ferien waren Ingrid und ich immer 1-2 Wochen bei Adam-Onkel und Lissi-Tante. Was konnte diese für herrliche Kuchen backen! Vor allem die „Philippsschnitte – Keiner konnte und kann die besser backen als Lissi-Tante. Ingrid und ich hatten immer unser eigenes Zimmer, ein großes Bett und eine wunderbare „Bettzich“, eine große mit Gänsefedern gefüllte Decke. Wenn ich nachts – trotz aller Liebe und Fürsorge von Lissi-Tante – großes Heimweh nach meinen Eltern hatte, drückte ich mich ganz fest an Ingrid. Sie war ein Stück „Heimat“, mir sehr vertraut und ich war nicht mehr “woanders“!

Emanuel Knöbl

Ingrid war eine Sammlerin von schönen Servietten. Wir hatten Verwandte in Deutschland und waren daher gut mit diesen begehrten Sammlerstücken ausgestattet. In Billed waren die zwei Tröster-Schwestern: Inge und Gerti, die auch Servietten sammelten und sich mit Ingrid zum Anschauen und Tauschen von Servietten verabredet hatten. Nichts für mich - ich hatte etws anderes vor. Ich ging lieber zum Angeln. Mein Vater hatte mir eine neue Angelrute gekauft, die ich in Billed mit dabei hatte. Die war unglaublich lang, so wie eine Art Bambusröhre, die man ineinander stecken konnte. Schnell waren im Garten paar Würmer gefangen, und ich ging den etwas längeren Weg zum Dorfausgang, wo ein kleiner Weiher und eine darüber führende Brücke mein Ziel waren. Von der Brücke aus wollte ich fischen. Meine Angelrute war sehr lang, also kein Problem. Von da oben konnte ich sehr gut beobachten, wo gerade Fische zu sehen waren – dahin sollte der arme Wurm an der Angel. Die besten Voraussetzungen – es konnte losgehen! Ich hatte kein Glück, noch weniger Können. Kein Fisch wollte meine Würmer! Und wenn doch mal einer dran rumknabberte, konnte ich den Fisch nicht an Land ziehen. Es fehlten einfach Erfahrung und Können. Da kam Werner Braun vorbei, der Nachbarsjunge vom Haus gegenüber dem Adam-Onkel, und schaute mir eine Weile zu. „Das machscht du ganz falsch!“ Er nahm meine Angelrute und schwuppdiwupp zog er auch schon einen Fisch an Land! Gut, Werner war ein Jahr älter als ich, er war erfahrener, auch frühreifer als ich. Sein Talent und sein Können imponierten mir sehr. Und schon hatte er den nächsten Fisch an der Angel, auch den näch-


118 sten. Innerhalb von wenigen Minuten hatte er sechs Fische gefangen. „Siehscht du, so macht mr das. Jetz muss ich awr weidr!“ Ich bemühte mich, ich wollte so wie Werner fischen können, aber leider blieb es bei den sechs Fischen. Und ich wollte doch so gern daheim stolz einen Eimer voller Fische auf den Tisch stellen. Ich wollte hören: „De kläne Emil fischt schon wie e Große!“ Und jetzt stand ich als kleiner Versager da, der nur mithilfe anderer etwas heimbringen konnte. Missmutig trollte ich mich heim. Da stand Adam-Onkel am Gartentor. Ich hob meinen kleinen Eimer und zeigte ihm die sechs Fische. „Das es awer scheen! Hascht du die all gfang?“ Noch bevor mein Gehirn arbeitete, kam auch schon die Antwort: „Ja, die hab‘ ich gefangen!“ „Die hascht du all gfang?“ „Ja, die hab‘ ich gefangen!“ Jetzt wurde mir aber doch recht heiß, ich spürte, dass Adam-Onkel die Wahrheit wusste. Ich spürte, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte, aber zurück konnte ich nicht mehr. Werner hatte ihm bestimmt alles erzählt. Er sagte nichts mehr und ging ins Haus. Mich plagte mein Gwissen, auch eine gewisse Angst. Adam-Onkel war bekannt, dass er jeden Streich und jedes kleinere Vergehen mit einem Lächeln abtun konnte. Aber Lügen konnte er gar nicht ausstehen. Lügen waren so ziemlich das Schlimmste, was man bei ihm „verbocken“ konnte. Da war bestimmt eine saftige Strafe zu erwarten: paar auf den Popo, kein Fersehen, ein kräftiges Schimpfen oder etwas Ähnliches. Aber Adam-Onkel sagte nichts, vergebens wartete ich auf die Aufforderung, die Wahrheit zu sagen. Vergebens wartete ich auf meinen Mut, selber Adam-Onkel die Wahrheit zu gestehen. Es geschah nichts, es ging alles so weiter wie bisher. Er fragte nichts, und ich sagte nichts.

Rückblick Die Ferien neigten sich dem Ende zu, Ingrid und ich wurden abgeholt und hatten zuhause noch ein paar schöne Tage, dann ging auch schon wieder die Schule los. Doch tief drinnen in mir war dieses schlechte Gewissen, das mir keine Ruhe ließ. Hätte mich doch Adam-Onkel in irgendeiner Form bestraft, das wäre mir jetzt das Liebste auf der Welt gewesen. Aber dieses Nichtssagen, dieses in mir erzeugte schlechte Gewissen, war mehr Strafe als alles andere. Nichts. Kein Wort. Kein „Geständnis“ und keine Vergebung. Nichts. Die Jahre vergingen, es kam der Führerschein, es kam die erste große Liebe und die Hochzeit. Es kam die Umsiedlung nach Deutschland und es kam mein Sohn. Die Zeit läuft nur so dahin, und man wird von den Alltagsproblemen voll in Anspruch genommen... Zeit zum Großnach-innen-Horchen? Zeit, nach Verdrängtem im Innern zu vergeuden? Zeit, sich um alte Gewissensbisse zu kümmern? Nein, das schiebt man gerne zur Seite. Wichtig waren nur andere Aufgaben... Ich bin auf Besuch in Rumänien, in Billed. Ich stehe am Grab von Adam-Onkel und Lissi-Tante. Bei herrlichem Wetter stehe ich da und bete für sie und dann nehme ich allen Mut zusammen und erzähle Adam-Onkel die Wahrheit. „Ich weiß, dass du es wusstest, ich weiß, dass du von mir enttäuscht warst, aber dein Schweigen war mehr Strafe als alles andere auf der Welt. Durch dein Schweigen habe ich jahrelang bereut und mich bemüht, nicht mehr zu lügen. Das war mehr Erziehung als jede andere Bestrafung, die mir zugestanden hätte. Ich weiß, mein Geständnis kommt zu spät. Ich weiß, ich hätte viel früher mit dir sprechen müssen. Ich weiß, aber ich kann es leider nicht mehr ändern: Ich muss wohl noch lange damit zurecht kommen.“


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Auf dem Sauerländer Friedhof an Allerheiligen 2020. Foto: Roswitha Csonti Und während ich so mit Adam-Onkel spreche und ihm meine Schuld eingestehe, rinnt mir eine Träne aus dem Auge. Ich wische sie weg, doch es kommt schon die nächste Träne und die nächste und die nächste, aber halt: Das sind gar keine Tränen, das sind Regentropfen. Ein plötzlicher Regenschauer! Ich ließ Kerzen und Erinnerungen zurück und rannte zum Auto. Ich war nass, nicht bis auf die Haut, aber doch nass. Ich stellte das Gebläse ein und trocknete mein Haar. Dabei schaute ich in den Rückspiegel, ich versinke förmlich in dem Spiegel. Meine Gesichtszüge verändern sich und ich sehe – Adam-Onkel! Er lächelt und winkt mir zu. Ich sitze da und weiß nicht, wie mir geschieht. Der Regen hört auf, die Sonne scheint wie-

der. Und ich begreife: Adam-Onkel hat mein Geständnis gehört, mir eine kleine Bestrafung gesendet und nun war mein Gewissen wieder rein. Nach so vielen Jahren kam es endlich zur erhofften und gewünschten Aussprache. Mein Gott, war ich froh! Das Leben kann so schön sein. Endlich befreit vom schlechten Gewissen. Endlich die erhoffte Strafe für mein Lügen. Frei, endlich frei! Die blöden Fische können jetzt „ad acta“ gelegt werden, weg mit den Fischen! Oft habe ich, und hoffentlich werde ich noch oft, Adam-Onkel besuchen. Allerdings habe ich jetzt immer einen kleinen Schirm dabei. Wer weiß, vielleicht gibt es ja noch kleine Sünden, die ich zu bereuen habe?


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Abbildung: Hühner auf dem Misthaufen 1983. Gegenwärtiger BewertungsSprachgebrauch: Ökologisch nachhaltige Verwertung von Bioabfällen aus regionalem Anbau durch Freiland-Federvieh in tiergerechter Haltung auf dem Komposthaufen. Foto: Hans Rothgerber


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Ein Tag in Billed

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igentlich heiße ich ja Emanuel, aber die meisten meiner Freunde kennen mich unter dem Namen Emil. Mein Vater hieß eigentlich Emil, da aber Emanuel zum Rufen zu lang war, rief man mich auch Emil. Um mich aber von meinem Vater zu unterscheiden, war er einfach „der große Emil“ und ich eben „der kleine Emil“. Später ließ man „kleine“ weg und so wurde auch ich zum Emil. Aber die kleine Geschichte, die ich erzählen möchte, spielte sich zu der Zeit ab, als man mich noch „den kleinen Emil“ nannte, damals war ich gerade 7 Jahre jung. Wiedermal verbrachten wir, d.h. Ingrid und ich, ein paar Wochen in Billed bei der Lissi-Tante und dem AdamOnkel. In Billed war es immer sehr schön; es waren noch so richtig heiße, schöne, sonnenreiche Tage. Wir konnten barfuß rum laufen, waren der elterlichen Strenge weit weg und genossen unbeschwerte Tage. Unsere Verwandtschaft aus Deutschland, aus Karlsruhe, war auch da, mit unseren 4 Cousinen und Cousens: Hansi, Karin, Maria und Rolf. Das war lustig! So viele Kinder auf einem Haufen, da konnte man schon sehr viel anstellen. Die Nachbarskinder, Lissi und Schwesti, waren auch stets von der Partie. Wie Schwesti eigentlich richtig hieß? Keine Ahnung. Wir kannten sie nur als Schwesti. Es war wunderschön in der Früh, gleich nach dem Frühstück, raus aus dem Haus und rein in neue, aufregende Abenteuer. Es gab so viel zu erleben, zu sehen, zu erkunden und zu entdecken: die Seidenraupenzucht von Lissi und Schwesti, die vielen Gänse und Hühner, den Berg von Maiskolben , die Eisenschmiede von Adam-Onkel mit dem großen Blasebalg, hinter dem Haus den Re-

Emanuel Knöbl

bengarten, auf dem Dachboden die vielen alten Geräte und die gestapelten Tabakblätter; draußen den Straßengraben, der für diverse Spiele herhalten musste, die Nussbäume vor dem Haus, von deren grünen Schalen wir immer ganz gelbe Finger bekamen, und noch vieles, vieles mehr. Es war ein Tag schöner als der andere! „Lissi-Tante, was sollen wir heute machen? Hast du eine gute Idee für uns?“ „Kläne Emil, nä, ich kann eich nex saan, ter wert awer bschtimmt was fenne, do sen ich ganz sicher. Seid awer zum Mettachesse do, et geft AppelkuseKnedle. On wer die meischte esse kann, es de Sieger on gritt e klän Belohnung.“ Wow, lecker, Aprikosen-Knödel! Und Lissi-Tante kann sehr gut kochen. Dann eventuell auch noch als Sieger da stehen, sehr verlockend. Hauptsache gewinnen, die Belohnung ist nur noch Nebensache. Hansi will lieber mit den großen Jungs Fussball spielen und zieht seiner eigenen Wege, er ist ja auch paar Jahre älter als wir und hat andere Interessen, somit heute nicht mit von der Partie. Zuerst gehen wir 5 Kinder zu Lissi und Schwesti, vielleicht haben die eine gute Idee. „Jo“, sprach Schwesti, „mer gehn heit naus oft Feld geger Andrees, dort sen die große Sonneblume-Felder, mer holle ons 2-3 große „Kepp“ on esse die zeidiche Sonneblume- Käre.“ Das klingt gut, das machen wir, wir ziehen los. Da kommt uns ein Mann entgegen: „Grießgott, Vedder Matz“, rufen Schwesti und Lissi. Ingrid und ich grüßen auch: “Kiss die Hand, Onkel, Kiss die Hand“, Karin, Maria und Rolf: „Hallo“. „Grießgott, Kenner. Eich, Lissi on Schwesti, kenn ich. Wer sen dann die anre Kenner?“ „Na, die Vewandtschaft vom Schaager: Ingrid on de kläne Emil aus Temeschwaar/


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RĂźckblick

Abbildung: Rinder der Billeder Kollektivwirtschaft beim Grasen am Jerbach entlang auf der Sauerländer Hutweide. Foto: Hans Rothgerber, 1983


Rückblick aus dr Stadt, Maria, Karin on Rolf aus Deitschland“ „Ach so, na dann adje.“ Weiter geht’s Richtung Dorfausgang. Rolf, der das Barfußgehen nicht so gewohnt ist, klagt über seine empfindlichen Fußsohlen: „Das ist ja unangenehm, mit den vielen Steinchen, Ästchen und heißen Pflastersteinen!“ “Geh doch ofm Biziklwech, do geht mr leichter.“ Schwesti wusste immer Rat. Am Dorfausgang klagen Maria und Karin: „Ist es noch weit? Uns tun auch schon die Füße weh:“ „Na, dann bleibt do setze, mer gehn weider on brenge eich aa Sonneblume mit.“ Ja, Schwesti wusste halt immer eine Antwort, ich bwunderte sie. Wir kamen endlich zum Sonnenblumenfeld! „Die schenre Kepp sen etwas weider drin, mer misse noch e Stick tiefer ent Feld gehn.“ Ja, die Schwestii wusste Bescheid. Jetzt soll es aber gut sein! Hier sind sehr schöne, reife Sonnenblumenköpfe, jetzt langen wir zu. Nur wollen die Köpfe sich nicht so leicht herunterreißen lassen. Wir hatten kein Messer dabei, unsere kleinen Hände waren da wohl ein bisschen überfordert. Mit Müh und Not gelang es uns, drei Köpfe zu ergattern, da stand er plötzlich vor uns! Ein Zigeunerjunge etwa in unserem Alter schreit uns an: „Was macht ihr da? Ihr stehlt unsere Sonnenblumen! Dafür werde ich euch verprügeln!“ Ha, was sagt der da? Das ist doch Volkseigentum. Alle Felder gehören dem Staat, also allen und niemandem. So hat mein Vati es mir erklärt: Die Bauern wurden enteignet, dieses Feld gehört nun dem Volk und das sind doch auch wir. Nichts anderes habe ich je von meinem Vater gehört. Und nun sagt der Zigeunerjunge, wir klauen? „Ich schlage euch so, dass ihr mich nie vergesst! Das habt ihr nun davon.“ Obwohl er auf Rumänisch fluchte und drohte, verstand Rolf den Sinn und bekam es ordentlich

123 mit der Angst zu tun. Mir ging es genauso. Auch Schwesti sagte nichts, wir waren alle voll eingeschüchtert. Plötzlich und unerwartet holt Ingrid aus, schlägt dem Zigeuner ins Gesicht und ruft: „Du kleiner Dreckskerl, glaubst, wir haben wohl Angst vor dir?“ Vor Schreck fällt der nach hinten auf den Rücken, damit hat er wohl nicht gerechnet. „Schnell jetz awer weg!“ Schwesti war aus ihrer Starre erwacht: „Schnell, holt die Kepp on ab hemzu!“ Wir schnappen uns die Köpfe und laufen los. Rolfi spürt keine schmerzenden Füße mehr, nur weg so schnell wir laufen können. Schon von Weitem rufen wir Maria und Karin laut zu: „Schnell, lauft nur schnell weg von hier, heim zu Adam-Onkel, dem Schaager, der verdrischt alleine die ganze Zigeunerbande.“ Wir laufen, was das Zeug hält, bekommen schon Seitenstechen, spüren keine schmerzenden Sohlen, sind außer Atem. Rolfi ruft mir zu: „Die Ingrid“, (keuch, keuch), „die Ingrid“, (keuch, keuch, husten, keuch), „die Ingrid, die ist die Tapferste von uns.“ (keuch, keuch) Bewundernd schauen wir alle zur Ingrid, sie war die Heldin des Tages! Endlich kommen wir zuhause an, verdrücken uns rasch in den Hinterhof, wo wir von der Straße aus nicht gesehen werden können und erholen uns vom Laufen. „Puh, das war aber knapp!“ Rolfi kommt langsam wieder zu Luft, und wir erzählen Karin und Maria das Erlebte. „Nur gut, dass ich nicht dabei war“, sagt Maria, „ich hätte das nicht überlebt!“ So sitzen wir da und kauen genüsslich die Sonnenblumenkerne . Die Hühner werden auf uns aufmerksam und versammeln sich um uns herum. Auch die sollen sich ein bisschen freuen: Wir brechen große Stücke aus den Sonnenblumenköpfen und werfen die ihnen zu. Das war ein Gackern und ein Gerenne, dass wir köstlich lachen mussten und langsam unseren Schreck vergaßen.


124 „Habt ihr gesehen, wie ich dem voll eine gschmiert habe?“ Ingrid ist in ihrem Element. „Was glaubt der wohl, wir sind Angsthasen?“ Rolfi und ich schauen uns verstohlen an. „Der soll nur kommen, dem haue ich noch eine rein.“ Ja, Ingrid hatte vor dem Kerl keine Angst. So verging die Zeit und unser Interesse an den Sonnenblumen nahm langsam ab. Hansi kam dazu, auch dem erzählten wir ausführlich unser Erlebnis. Na, der machte vielleicht Augen! Lissi-Tante ruft: „Kenner, esse komme.“ Wir laufen zur Küche, jeder wollte der Erste sein. Zuerst aber musste wir uns die Füße und die Hände waschen. Lissi-Tante hatte uns hierfür immer so einen großen „Lavor“ mit starker Kernseife und einem Leinenhandtuch bereitgestellt. Die ersten zwei-drei konnten sich noch damit trocken wischen, bei den anderen war das Handtuch dann schon meist zu nass. Aber egal, an der Hose konnte man sich ja auch noch trocken wischen... Und dann gab es Aprikosenknödel – so echte Lissi-Tante-Aprikosenknödel. Die waren ja nicht besonders groß, aber extrem lecker. Und ich liebte es, die mit viel Semmelbrösel zu verspeisen, dazu gab es etwas zu gewinnen. Man musste nur genügend Aprikosenknödel runter bringen. Jeder achtete penibel auf die Kerne, die waren letztlich der Beweis für die Anzahl der verspeisten Knödel. Ich stopfte rein, so viel wie irgendwie ging und schaute immer rüber zu den anderen: Wie sieht‘s bei denen aus? Noch einen Knödel und noch einen, und noch einen... Bald ging nichts mehr rein. Und noch einen, koste es, was es wolle, und noch einen...Jetzt aber geht nichts mehr, nicht mal ein kleines Stückchen! Das war‘s! Hätte ich bloß nicht so viele Sonnenblumenkerne gegessen, Mist. „Na, Kenner,“ Lissi-Tante blickte uns alle an, „zählt mol die Käre!“ Ich zählte und zählte, aber mehr als 8 konnte ich nicht vorweisen. Rolfi hatte auch 8 Kerne, ebenso Maria.

Rückblick Karin und Ingrid hatten jeweils 10. Das war `ne Leistung! Hansi hatte – man staune – 22 Kerne!! Unglaubliche 22 Kerne! Das war der Hammer. Gut, er war paar Jahre älter, aber das hätten wir ihm doch nicht zugetraut. Das war extrem, er war der Star, der Sieger! „Hansi, jetz kommt die Belohnung: Ich han eich hinne em Hof e alt Baadwann hingstellt, met Wasser. Ter kennt do jetz scheen baade. On du, Hansi, de Sieger, därfscht et erscht en die Wann on e paar Minute die Wann for dich länich han. Dann erscht därfe die anre drzu.“ Lissi-Tante freute sich mit uns. Ach, war das toll! Wir tollten im Wasser rum, spritzten uns an, erfreuten uns an den blauen Lippen der anderen. Unglücklicherweise „stubste“ ich Maria an die Seitenwand der Wanne. Da war ein kleines Loch mit einem weit abstehenden Metallspan. Genau in den fiel Maria und blutete sehr heftig am Rücken. Rolfi lief gleich los, um Hilfe zu holen. „Adam-Onkel, Adam-Onkel, komm schnell! Der kleine Emil hat die Maria in einen Span gestoßen!“ Mist, schon wieder ich! Warum immer ich? Das hätte doch auch einem andern passieren können. Nein, nicht schon wieder ich! Warum muss er auch gleich rufen „der kleine Emil“? Er hätte doch keinen Namen nennen müssen. Mist! Schon wieder ich! Und Adam-Onkel kommt auch schon angelaufen, mit einem großen, schweren Vorschlaghammer in der Hand. Der wird doch nicht auf mich zukommen? Nein, AdamOnkel hat nur den Span mit dem Hammer bearbeitet, damit das nicht nochmal passieren kann. Uff!, Glück gehabt! Maria wurde natürlich gleich verarztet, eine garstige Narbe ist aber geblieben – eine kleine Erinnerung an Billed und die Badewanne. Meine gute Laune war erst mal dahin, aber schon bald wurde ich wieder abgelenkt. Schwesti und Lissi riefen nach uns: „Kommt mit, wir gehen zum Dorfrand, die Kühe kommen heim.“


Rückblick

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Abbildung: Rinderherde vor der Sauerländer Gasse auf dem Heimweg von der Hutweide. Foto: Hans Rothgerber, 2009 Es war so, dass der Kuhhirte die Kühe nur bis zum Dorfrand brachte, ab da ging jede Kuh allein nach Hause. Die Leute standen schon vor den Türen und öffneten diese, sobald die eigene Kuh davor stand. Dieses Schauspiel mussten wir erleben. Diese großen Kühe mit den prallen Eutern, wenn die mal losmuhten, mussten wir uns die Ohren zuhalten. Das waren kräftige, starke Tiere. Wir begleiteten „unsere“ Kuh bis nach Hause, mussten nur aufpassen, in keinen Kuhfladen zu treten. Wir waren ja barfuß, da wollte keiner reintreten. Und da stand auch schon der große „Lavor“ mit Kernseife und Leinenhandtuch. „Sauwermache, Kenner, on kommt zum Nachtesse!“ denn Lissi-Tante war mit der Zubereitung des Abendes-

sens fertig. Danach gingen wir zu Bett; im großen Zimmer waren wir Kinder alle untergebracht, zum Teil auf Luftmatratzen. Das war toll, keiner wollte im Bett schlafen. Und da wurde noch gespielt und rumgetollt. Wir mussten nur aufpassen, dass wir nicht zu laut waren, sonst kam die Lissi-Tante und drohte: „Kenner, seid ruhicher, sonscht kommt de Aadam-Onkl!“ In der Früh krähte der Hahn, mein Gott, war das schön! Und dann führte mich mein erster Weg zur LissiTante: „Lissi-Tante,was sollen wir heute machen, hast du eine gute Idee für uns?“ „Kläne Emil, nä, ich kann eich nex saan, awer ter wert bschtimmt etwas fenne, do sen ich mr ganz sicher.“


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Rückblick

Der alte Schrank und mein 60. Geburtstag

W

ie das nun mal so ist im Leben: Man ist der Meinung, der alte Schrank muss weg und ein neuer muss her. Bestenfalls ist der andere nicht nur neu und modisch, sondern auch praktisch und mit mehr Stauraum. Das waren meine Beweggründe zu diesem Schritt. Frei nach dem Sprichwort, dass es sich besser mit leichtem Gepäck reist, hatten wir uns vorgenommen, den Inhalt des alten Schrankes gründlich zu entrümpeln. Der alte Schrank stand im ersten Stock und wurde zum Aufbewahren von Dingen genutzt, die nicht so oft gebraucht wurden. Das Inventar war breit gefächert, Glühbirnen in Schubladen, alte Bedienungsanleiten von bereits verschrotteten Elektrogeräten, Postkarten aller Art, eine Vitrine mit dem aus der Mode gekommenen Essgeschirr mit Goldrand und plakativem Blumenmuster aus Rumänien. Völlig unbedarft machte ich mich an einem Samstagmorgen an die Arbeit, der neue Schrank würde in zwei Tagen kommen, genau einen Tag vor meinem 60. Geburtstag. Evtl. sollte ich diesen Termin als Zeichen sehen. Dinge, die ich bereits vergessen hatte, dass sie jemals in unserem Besitz waren, tauchten plötzlich auf. Nach dem Motto, was ich die letzten Jahre nicht gebraucht oder vermisst habe, wird gnadenlos dem Müll zugeführt, selbstverständlich sortenrein getrennt. Manches Kuriosum tauchte auf, über dessen Ursprünge ich überhaupt nichts mehr weiß. Bis zuletzt hob ich mir die drei Schubladen mit den Karten und Briefen auf. Ich wusste, dass diese die meiste Zeit in Anspruch nehmen würden und diese Zeit wollte ich mir auch nehmen. Leider war im Laufe der Jahrzehnte an die Stelle einer ursprünglich angedachten Ordnung das Chaos getreten und nur ein einziger Überbegriff war erhalten geblieben: Post in Form von Karten und Briefen. Jedoch ist diese Art der Kom-

Hermine Schnur

munikation sehr aus der Mode gekommen, wo wir doch in Zeiten von What’s app weder Stift, noch Papier, noch Briefmarke besorgen müssen, sondern alles über das omnipräsente Handy erledigen können. Seitdem ist das geschriebene Wort auch flüchtiger geworden, es hängt in irgendwelchen Clouds und verschwindet vor unseren Augen mit der Anschaffung eines neuen Handys. In den Schubladen gefunden habe ich u.a. viele ungeschriebene Weihnachtskarten. Ich muss gestehen, dass ich mir in letzter Zeit auch nicht mehr die Zeit genommen habe, Karten zu schreiben. Weihnachten kommt immer so plötzlich, sollte man meinen. Auch leere Geburtstagskarten für alle Altersstufen sowie Beileidskarten waren vorrätig. Vergilbte Fotos von meinen dreijährigen Kindern, die eigentlich im Album sein sollten, wie die anderen auch, rückblickend, aus einer unbeschwerten, sorgenfreien Zeit. Dann gab es noch einen kleinen Stapel mit Karten, die es wert waren, aufbewahrt zu werden. Beim Lesen war ich einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Da gab es die eine oder andere Karte von einer ehemaligen Lehrerin, die mich geprägt hat. Da gab es den einen oder anderen Brief von ehemaligen Freundinnen aus dem Lyzeum, mit denen man über lange Sommerferien oder Entfernungen hinweg in Briefkontakt war. Da gab es die Briefe meiner Mutter und meiner Schwester, als sie noch hinter dem Eisernen Vorhang lebten, Briefe vollgepackt mit ihren damaligen Sorgen und ihren kleinen Freuden des Alltags. Und dann gab es DIE Karte von meiner früheren bes­ ten Freundin, der ich, obwohl räumlich getrennt, in lebenslanger Seelenverwandtschaft verbunden sein werde, die mich mit dieser Karte an das damals 15jährige Jubiläum unserer Freundschaft erinnerte. Mit ganz viel


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Billeder Schulmädchen auf Ausflug in den 1940er Jahren Empfindsamkeit hat sie über diesen Tag des „Kennenlernens“ während einer Geburtstagsparty in Billed geschrieben. Bei der Lektüre konnte ich die eine oder andere Träne nicht unterdrücken. Die Zeit hat uns viele gemeinsame Erinnerungen bereits genommen, doch ist die­ se Karte ein kleines Hindernis auf dem Wege des Vergessens. Das genaue Datum habe ich vergessen, es war ein Tag im Dezember, das Jahr kann ich nur noch einigermaßen ableiten. Ein ganz denkwürdiges Zitat auf dieser Karte will ich hier wiederholen: „Mit zunehmendem Alter sind viele nicht mehr fähig, aufgrund ihrer Stumpfheit sensitiv wahrzunehmen… Es ist dies kein Alterungsprozess, sondern eine Frage der Lebensführung. Die Seele bleibt immer jung, wenn sie meditativ und sensitiv ist. Denn nur der Körper altert, nicht die Seele.“ (Peter Lauster, Psychologe). Als hätte meine Freundin vorausgesehen, wie sehr dieser Spruch mich kurz vor meinem 60. Geburtstag erneut berührt! Erinnerungen in einer Schuhschachtel, ein halbes Leben in einen Karton verstaut – denn dort habe ich meine wertvollen Briefe und Karten zwischengelagert, bis zum

Einräumen des neuen Schrankes. Dieser Aufräum-Tag war für mich besonders und „merk“-würdig in mancherlei Hinsicht. Zeit zum Entrümpeln, nicht nur in Schränken und Kommoden, sondern auch in seinen Erinnerungen, sich mit seinem Leben versöhnen, das sollten wir öfter einmal. Dunkle Gedanken über Bord werfen, Bewahrenswertes aufheben und auffrischen, Beziehungen und Freundschaften pflegen und sich Zeit nehmen für Erinnerungen. Voraussichtlich werde ich diese Beziehung zum neuen Schrank oder seinem Inhalt nicht mehr aufbauen können. Die Lebenszeit, die mir noch bleibt, ist mit Sicherheit kürzer als die Jahre, die ich bereits hinter mir habe. Die Zeit wird weitere Erinnerungen in meinem Gedächtnis verstauben lassen oder verschütten, sogar ganz nehmen, auch das ist normal. Bis dahin möchte ich aber mein Herz hin und wieder an den Inhalt eines alten Schuhkartons hängen, solange dies noch möglich ist. So richtig ist mir das kurz vor meinem 60. Geburtstag bewusst geworden. Auf die alten Schränke und die Schuhkartons voller Erinnerungen!


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Rückblick

Wer kennt ihn nicht, den Japanischen Schnurbaum?

Werner Tobias

N

atürlich ist jeder, der noch in den 70er und 80er Jahren seine Kindheit und Jugend im Banat verbracht hat, mit diesem Gehölz aufgewachsen… Dieser Laubbaum war damals noch allerorten in unserer Banater Heide anzutreffen, obwohl sein natürliches Verbreitungsgebiet der asiatische Raum, von Japan über Korea bis China ist. Aufgrund der auffallend hellgrün glänzenden Fruchtschoten mit Samen, die durch Einschnürungen getrennt sind - auch Perlschnurbaum genannt, heißt er in der Fachsprache Styphnolobium Japonicum. Auch ist er bekannt als Pagodenbaum und Honigbaum - ein spätblühendes Steppengewächs aus der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler. Ursprünglich gedeiht diese Gattung mit 20 bis 30 Metern Wuchshöhe in Trockenwäldern auf sandigen bis sandig-kiesigen, nährstoffreichen Böden. Da diese wärmeliebende Art sonnige Standorte bevorzugt und nässeempfindlich, aber frosthart ist, fand sie in unserer Heimat wohl optimale Bedingungen. In den ganzen Jahren, die wir schon im Raum Mainz leben, habe ich diesen Baum in Deutschland nie bewusst wahrgenommen. Erst während der Blütenpracht im letzten Spätsommer wurde ich beim Gas-Tanken auf dem Hof der Stadtwerke Rüsselsheim darauf aufmerksam, da er mich sofort an meine Kindheit erinnert hat. Seitdem sehe ich diesen imposanten Baum auch hier überall, auf Schulhöfen, in Parks, auf Straßen und Alleen in Mainz und rundum im Hessischen. Lange habe ich vergeblich im Internet danach gesucht - bis ich auf den Namen Sophora Japonica gestoßen bin.

Der „Sofra-Baum“ ist uns doch allen bekannt. Wie die Akazie (eigentlich Robinie), mit graubrauner, knorriger Borke und einem ähnlichen Blattwerk, aber ohne Dornen, war dieser besonders häufig im Banat anzutreffen. Wir erin­nern uns an dicke Stämme, mit mächtig ausladenden Baumkronen und sattgrünem Laub im Sommer - spätes­ tens zur Blütezeit auffallend in Aussehen und Duft. Unsere Ahnen müssen um den Wert dieser Bäume gewusst haben, als besondere Bienen-Nährpflanze und hervorragenden Schattenspender. Wenn im kontinentalen, trockenheißen Hochsommer alles Blühende verdorrt war, sorgte die reiche Blütentracht des Sophora-Baumes bei den fleißigen Honigsammlern nochmals für Vollbeschäftigung. Zu dieser Zeit summte es nicht nur rundum in den Baumkronen, auch darunter rief der intensiv duftende Blütenteppich, soweit die Äste reichten, emsige Betriebsamkeit hervor. Dann galt es aufpassen, dass die umherschwirrenden Insekten sich nicht mit einem Stich zwischen die Zehen in Sandalen, zur Wehr setzten. Unvergessen auch, wie sich das Rindvieh auf der Sauerländer Hutweide an heißen Sommertagen, nach dem Tränken am Ziehbrunnen, in den wohligen Schatten des SophoraWäldchens zum Wiederkäuen und Ausruhen zurückzog. Seit Jahrhunderten und bis heute werden Gerichte und Tee aus Blüten des Schnurbaumes in der traditionellen chinesischen Medizin als entzündungshemmende und blutdrucksenkende Mittel verwendet. Auch zu unserer Zeit im Banat wurden Sophora-Blüten für medizinische Zwecke gebraucht. Als etwa Zehnjährige haben wir diese damals an der DCA-Annahmestelle bei Familie


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Das Rindvieh auf der Sauerländer Hutweide zog sich an heißen Sommertagen, nach dem Tränken am Ziehbrunnen, in

den wohligen Schatten des Sophora-Wäldchens zum Wiederkäuen und Ausruhen zurück.

Jobba abgeliefert und uns damit die ersten Groschen verdient. Die Blütenstände wurden mit Astscheren auf einem langen Handstiel mit Seilzug geerntet und in Säcken gesammelt. Es kam vor, dass unsere Anlieferung abgewiesen wurde, weil die ‚Ware‘ vom komprimierten Lagern im Hanfsack, über Nacht bräunlich und damit verdorben war. Natürlich gab es auch Konkurrenz durch Sippen aus der nordwestlichen Kaul in Billed, wenn es um die besten Ernteplätze ging. Die haben uns schon mal einen Sack voll Blüten abgenommen und uns davongejagt…

Auch vielen Vögeln diente dieser Baum als Gastgeber und Behausungsspender. Im Geäst der riesigen runden Kronen konnte man oft gleichzeitig mehrere Nester von Wildtauben/Turteltauben (eigentlich Türkentauben) beobachten. Vor allem abends war das Geschwätz der Spatzen in großer Zahl im Laubwerk zu vernehmen. Häufig haben Baumpicker (Buntspechte) ihre Löcher in die dicken Stämme und Äste gehämmert, weithin zu hören an dem knarrenden Geräusch, aber auch erkennbar an den Spänen, die danach haufenweise am Fuße des Stammes lagen.


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Diese Höhlen wurden später gern von Spreewe (Staren) als Kinderstube genutzt. Das hat wiederum Lausbuben auf den Plan gerufen, da die Eier der Vögel seinerzeit als begehrte Sammlerobjekte bei den Jungen im Dorf galten. Jeder wollte Eier von noch mehr unterschiedlichen Vogelarten in seiner Sammlung haben. Diese wurden ausgeblasen und nach Sorte auf Fäden aufgereiht. Dann tauschte man untereinander gegen solche, die einem noch fehlten. Beim Nester-Ausheben hatten wir in kurzen Hosen die Beine immer voller Kratzer, vom Klettern auf die Bäume. Dabei gingen schon mal Eier von Höhlenbrütern zu Bruch, da man die geschlossene Hand mit dem Ei schlecht aus dem Astloch ziehen konnte. Beliebte Praxis war, die Eier einem Kumpel ins ausgebreitete Taschentuch zu werfen - meist ging das auch gut… Ein andermal sollte ein Ei im Mund beim Heruntersteigen vom Baum geschont werden. Leider kam es vor, dass es trotzdem zerbrach. Man erzählte sich, der ein oder andere hätte auch eines verschluckt. Nach der Blüte setzte der Baum gelbgrüne, kahle Hülsenfrüchte an, etwa halb so dick wie Erbsen, mit bis zu sechs Samen. Mädchen im Schulalter hatten zu dieser Zeit ihren Spaß beim Lackieren der Fingernägel. Der ausgedrückte Saft der jungen Fruchtschoten ließ sich wunderbar auf die Nägel streichen und hinterließ nach kurzem Eintrocknen einen schönen Lackglanz. Als Laubbaum hat der Sophora Japonica dunkelgrün glänzende, bis zu 25 cm lange gefiederte Laubblätter, mit bläulich behaarter Unterseite. Diese sind unpaarig, mit sieben bis siebzehn eiförmigen, einzelnen Blättchen besetzt, wie bei der Robinie, was Mädchen zu einem ande-

ren phantasievollen Spiel anregte. Dabei drehte es sich um die Vorhersage des Familienstandes eines Spielkameraden und ging so: Das Blatt wurde mit einer Hand am Stiel gehalten - die beidseitig aufgereihten Blättchen mit der Spitze nach unten. Mit dem gestreckten Zeigefinger der anderen Hand wurde dreimal hiebartig am Stiel entlang gestreift, mit den Worten: verliebt - verlobt - verheiratet, wobei die am Stiel verbleibende Blätterzahl noch die Anzahl der zu erwartenden Kinder „voraussagte“. Im Herbst färbten sich die Blätter des Schnurbaumes leuchtend gelb und sorgten dafür, dass nach den ersten kühlen Nächten überall dicke Laubteppiche entstanden. Im Ort wurden samstags beim Kehren vor jedem Haus Blätterberge aufgetürmt, was den Kindern bei schönem Herbstwetter einen Riesenspaß bereitete, darin herum zu toben und diese auseinander zu trampeln. Diese Blätterhaufen wurden aus Banater Ordnungssinn regelmäßig angesteckt, so dass sich Rauchschwaden über dem ganzen Dorf ausbreiteten. Später hingen die kahlen Bäume voller verschrumpelter Fruchtschoten mit der Konsistenz von Beeren und Rosinen. Diese dienten Staren und Drosseln als Nahrung in der kalten Jahreszeit, bis spät in den Winter. Die nicht verzehrten Samen wurden schwarz-braun und hart, um im nächsten Frühjahr aus der trockenen Schote zu springen und eventuell einen neuen Sämling sprießen zu lassen. Diese Beobachtungen und Erlebnisse dürften die meisten Landsleute mit mir teilen. Wer bis heute möglicherweise bloß nicht darauf geachtet hat, schaut vielleicht ab jetzt besonders hin - ich schätze, dass vielen dieser sympathische Baum in seinem heutigen Umfeld auch auffallen wird.

Abb. links: Überreste des Sofrawäldchens neben der Viehtränke auf der Sauerländer Hutweide

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanischer_Schnurbaum


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Rückblick

Unvergessliches Erlebnis Gemeinschaft ist mir sehr wichtig!

Erika Redinger, geb. Otto

I

m Januar dieses Jahres lernte ich die ehemalige Landtagspräsidentin Frau Barbara Stamm anlässlich ihres Vortrags „Starke Frauen- starke Worte“, den sie vor 150 Frauen hielt, kennen. Man musste sich rechtzeitig anmelden, zumal die Zahl der Personen im Saal – Corona-bedingt - begrenzt war. Frau Stamm erzählte ihre bewegende Lebensgeschichte: Sie hatte es als Kind sehr schwer und musste einige Schicksalsschläge bewältigen. Trotzdem schaffte sie es als Frau in die ganz große Politik. Nach dem Vortrag konnte man sich zu Wort melden. Anfangs traute sich keine, somit meldete ich mich: Im Saal wurde es ganz still, als ich mich vorstellte und einige Fragen stellte. Ich erzählte, dass ich aus Billed im Banat komme. Frau Stamm freute sich sehr, da sie selber schon mal dort war und Kontakte mit Rumänien hatte. Viele Frauen im Saal kannten mich schon lange, wussten aber nicht, dass ich im Banat geboren wurde. Einige kamen auf mich zu und stellten weitere Fragen. Mit Frau Stamm machten wir noch einige Aufnahmen, zumal mich diese Frau schon lange fasziniert, da

auch ich mich in der Politik engagiere: Seit 26 Jahren bin ich Vorsitzende in unserem Obst- und Gartenbauverein und stellvertretende Kreisvorsitzende. In unserem Ort bin ich die einzige Frau im Ortsbeirat; in der Kirche, der Kinderfreizeit-Gestaltung mach‘ ich mit, weil die Gemeinschaft mir sehr wichtig ist, obwohl es in diesem Jahr jedoch sehr schwierig war. Hoffentlich wird es im nächsten Jahr besser! Unser Jahrgang 1960 hatte ein so schönes 60. Jubiläum, schade, dass es nicht alle Klassenkameraden erlebt haben. Optimistisch hoffen wir und freuen uns auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr.


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Immer wann ich Paprika ess

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Erika Weith, geb. Leidecker

n Deitschland kann et un et gefft so herzhaft mer verschiedene Paprischwowisch geredt, dass ka kaafe: rote, gehle, griemir heit noch et Herz ne, spitziche, runde, kläuffgeht. ne, scharfe, siesse un wahrWann ich noot weiter scheinlich noch vill mee. träme tu, gsiehn ich mich Manches Mool kann mit em schwarze Bizikl mer aa weiße Paprika aus dorch Billed faahre, in Ungarn kaafe. Inzwischen der Kondi Gfornes esse, hann ich de aa in unim Mosi ä Film schaue, serem Gaarte. Wann mer im Hoff mit de ville Kinne noot endlich im Auner spille un mei Brugust ernte kann, is das for der, wie ne de Kokosch mich a Feschttaach. Weil fangt. wann ich ne vom Stock Alles is schun so lang abropp un dran riech, her, awwer je älter mer tut sich in meim Kopp ä gefft, um so mee denkt ganz Welt uff. Noot sinn mer an die scheene Kinich nämlich in Billed uff nerzeite. Bei meinen Dumelle-Großeltern im Gang 1972: v.l.n.r.: meiBesuch un ich gsiehn uns So losst mir de Geall bei der Großi un beim ne Kusine Gerlinde Schiller, meine Schwester Monika und mei- ruch vom weiße Paprika Otta im Gang an em lange ne Kusine Erika Schiller. ä ganze Film im Kopp Tisch sitze: mei Eltre, mei ablaafe. Großeltre, mei Gschwistre, die Gothi un de Path un mei Mit Krembitte geht et mer ähnlich. Das is seit ball sechzwaa Kusine. zich Joor mei Lieblingskuche, aa wann ich wie ich so drei, Uff em Tisch gsiehn ich Pardeis, weiße Paprika, Teifls- vier Joor alt waar un mir bei de Schulze maaie waare, knepp, Brinze, Brodworschd, Speck, Zwiwwle, Know- net hann wille ä Stick esse, weil ich Ängschtre ghatt wl, Umorte un ä große Lääb Brot, frisch geback vun der hann, dass ich mei scheen Sunntachsklääd verschnuddle Großi. Dann stehn noch Sodawasserflasche druff un uff kennt. jede Fall aa Miloon. Inzwischen hat sich das awwer geleeht un ich kann zu Kääne is haaklich oder hat ä Allergie, jedem schmeckt jeder Zeit Krembitte esse.


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Mundart

Luschtiche Gschichte (billedrisch) Te Nachtschlappe

I

n te Sommerferien waar te kläne Pankraz immer mit’m Hugo zum Spille gang. Un wann et tuschtrich gen is, hat te Hugo gsaat: „Jetz misse mer hemgehn, sonscht holt uns te Nachtschlappe!“ Awer, wie se etwas greeßer gen sen, sen se, wie et tuschtrich gen is, immer um tie Haiser gezoo un han schon mol was aangstellt. Ämol han se beim Vedder Lutz von te Gartemauer alle losne Stään runer gedrickt. Am näkschte Taach is te Vedder Lutz romfroe komm, wer etwas gsien oder kheert hat. Wie ne te Pankraz froot, saat te: ,,Tas waar bestimmt te Nachtschlappe!‘‘ In te viert Klass Tie Lehrerin hat beim Diktaat-Schreiwe te Schiller immer gsaat, wie mer e Wort trennt, wann äne das net gewesst hat. Awer te Pankraz war do ganz schlau, well er hat aa bei Wärter, wo ne gaar net trenne hat misse, nohgfroot un so rauskritt, ob e Wort änfach oder mit Doppelbuchstaawe gschrieb geft. Awer well ne‘t zu oft gemach hat, es tie Lehrerin misstrauisch gen, hat sei Text gleich angschaut, sei Schwindel gsien, em e kräftich Watsch verpasst un‘ m aa glei e Vierer engetraa. To hat te Pankraz engsien, tass schlau sen, net immer gscheit sen es. Zurucktun es ke Sind Em Pankraz seiner Klass waar te greschte un stärkschte Bu aa te greschte ,,Raafboldog‘‘, er hat jed Gelegenheit ausgenitzt, sei Kumrade zu schlaan un zu raafe. Tas waar em Pankraz awer e Dorn em Au, un wie te ,,Raafboldog‘‘

Alfred Selpal

mol net owachtgen hat, hat ne sich von hinne an ne rangschlich, em e Deck iwer te Kopp gezoo un mit zwaa anre Kumrade feschtghal, so dass jede, wo e Wut of ne ghat hat, ne aa ,,masseere‘‘ hat kenne. Un ab dann es te ,,Raafboldog‘‘ aa vill ruicher gen. Te Pankraz waar dann aa zufriede un hat sich gedenkt: ,,E schlecht Taat kann manchmal aa e gut Taat sen.‘‘ Stolze Bu Te kläne Pankraz hat for tie Sportstun uner te Klotthos sei nei Baadhos anghat, un an dem Taach Weitsprung ghat. Bevor ne drankomm is, hat ne sei owerscht Hos etwas runergezoo, so tass mer sei nei Baadhos gsien hat kenne, un es nor so rumstolziert. Te Xaver aus seiner Klass gsitt tas un froot, was los es? Te Pankraz hat abgelenkt un nor of sei Panz gewies un gsaat: „Mei Leibfehler es rauskomm.“ Tan waar ne aa gleich dran beim Weitsprung. Un wie te Zufall manchmol so will, hat beim Springe sei Spetzje rausgschaut, so tass ne aa gleich verschämt zuruckgelaaf is. Awer te Xaver hat das nateerlich aa mitgritt un, bis an die Ohre grinsend, gsaat: ,,Tei Leibfehler es rauskomm!‘‘ Lächerlich gemach Em Pankraz seiner Klass waare aa die Windmann Brieder, te Elmar un te Alfons, un in te Sportstun han se ins Heft beim Namen zusätzlich immer e A. un e E. dazu gschrieb, tass te Lehrer wääß, um welche Windmann et sich handelt. Wie te Lehrer sich mol tie Hefter ongschaut hat, hat ne sich vor te ganz Klass driwer luschtich gemach, well das


Mundart

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A kennt jo for Aff un das E for Esel stehn. Pankraz ment: ,,Wer es‘n do te Aff un Esel?‘‘ Zu vill Guts In te Musikstun hat te Pankraz mol vorsinge misse, awer, well te nor so flegmatisch rumgsung hat, hat tie Lehrerin em e Watsch verpasst. To hat te aa gleich nohgfroot: ,,Was zum Teiwl soll das?‘‘ Noh hat se em gleich noch e Watsch verpasst. To waar te Pankraz schon ganz wiedich, awer hat sich nor noch gedenkt: ,,Noch e Watsch will ich awer net!‘‘ Rache es sieß Te Pankraz hat mol for tie Sportstun sei Sportsache vergess ghat. Do hat te Lehrer ne for Wächter im „Umziehraum“ engsetzt. Awer no ter Sportstun hat e Schiller em Lehrer gemelt, tass sei Handuhr verschwunn is. Te Lehrer hat gleich te Pankraz verdächticht un ne aa gleich dorchgsucht, hat awer nix gfun, well te Pankraz jo unschuldich waar. Te Lehrer hat awer weiter an seiner Theorie feschtghal un aa ke anre Schiller mee dorchgsucht, so tass em Pankraz sei Stolz nateerlich aarich verletzt waar. Awer, wie te Zufall et so well, hat ne no paar Johr tie Gelegenheit gritt, sich zu revanscheere. Er es nämlich torch e zugenaaglt Hinertier en‘m Lehrer sei Sportraum komm un hat tem sei Stoppuhr mitghol, un tie Tier nochmol scheen zugedrickt. Tie Uhr hat ne dann heimlich verschenkt un sich zufridde gsaat: ,,So mei Lehrer, jetz se‘mer quitt ! Freche Lehrer Te Lehrer Schissler hat mol te Pankraz in Geschichte aus-

gfroot, awer, well te immer nor met te Schultre gezuckt hat, is te Lehrer ausgflippt und schreit: „Du Hornochse!“ Te Pankraz zuckt nochmol met te Schultre un saat ganz ruhig: „Und Sie Waschschüssel!“ Un denkt sich nor: ,,Te hat sich awer was erlaabt!‘‘ Englisch for Fortgschrittne Em Pankraz seiner Klass han se in te Englischstun mol e Aufsatz zu schreiwe kritt un aa glei vorlese misse. Te Pankraz waar aa dran un, wie er of Englisch vorlest: ,,Am Morjet sen ich wackrich gen un han mei Aue gerieb‘‘, hat ne leider das Wort ,,eyes‘‘ (Augen) verwechselt un ,,eggs‘‘ gsaat, was jo Aaier bedeit. Nateerlich han all gut driwe lache kenne, außer em Pankraz! Em Lyzeum Te Pankraz waar schon em Lyzeum, well damals hat noch jede tie 10 Klasse mache misse. Awer te Pankraz hat im Unerricht immer noch net gäre mitgemach un hat tie Lehrerin immer genervt. Ausnahmsweis waar ne mol brav, awer sei Banknochper hat hiner te Lehrerin rumgetuschtert. Do hat sich tie Lehrerin energisch rumgedreht un zieht te Pankraz kräftig an te Hoor. Te waar nateerlich iwerrascht un schreit: „Was, tei Urkukandel, ziescht mich an te Hoor ?!“ Un denkt sich nor: ,,Ich sen doch unschuldich.‘‘ Leicht verdientes Geld Beim Pipatschpokal es immer alles gut gelaaf. In äm Johr waar mol die Musichkapell vom Nochperschdorf drbei. Te Pankraz waar bei te Zuschauer gsetzt un gsitt, tass äne


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Mundart

von te Musikante metm Klarinett jo te Livi vom „Petrol“ es, un te doch gaar ke Instrument spille hat kenne. Bestimmt hat te Bert Kellerer, te Kapellmeister, ihm sei zwett Instrument gen, nor dass se net offalle, well jo in Wirklichkeit e Mann gfehlt hat. Te Pankraz hats mit Humor ghol un gedenkt: ,,Hauptsach, et waare alle Instrumente drbei.‘‘

schiebt weider, sie schreie: „Hoooooooo !!!“, te Meister schiebt noch weider, so tass se schon stark engezwengt waare, un schreie schon verzweifelt: „Stopp, aufhören!!!“ No hat sich rausgstellt, tass te Meister jo net wisse hat kenne, was em Banat un Siebenbürgen ,,hoo‘‘ häscht.

Beim Militär

Te Pankraz waar mol bei seim Neffe of Besuch. To saat te zu‘ m: ,,Onkel, ich hätte mal wieder Lust paar Körbe zu werfen!‘‘ Te Pankraz hat aa glei no‘m Basketballe gschaut. Awer sei Neffe waar schneller un mit‘m Sprung schon vor‘m Computer! Te Pankraz kratzt sich am Kopp, schaut‘m e Weil iwerascht zu un denkt sich nor: ,,Frieher han mer te Sport awer ganz anerscht gemacht.‘‘

Te Pankraz waar schon beim Militär un no ter Grundausbildung waar ne en tie Wach engeteilt gen, manchmol aa am Haupteingang von ter Kasern. To hat ne mol em Instruktionsbuch gelees, tass, wann jemand zu ter Tier renkommt, tie Wach et Gwehr immer schussbereit halle muss. Un am e Tach waar ne mol noml Wache un, wie tie Tier ofgang es, hat ne sei Gwehr gleich schussbereit em stirmische Offizeer unverhofft vor die Naas ghal. Te waar natirlich glei ganz verschrock un schreit te Pankraz aan, was tas soll. Te Pankraz zeigt em, wo tas em Instruktionsbuch gschrieb waar un saat: ,,Herr Offizier, so wurde es geschrieben, so muss es auch eingehalten werden.‘‘ In Billed sen die Päär bei ,,Hoo‘‘ stehngeblieb. Te Pankraz waar schon en Teitschland un hat aa schon e Aarweitsplatz an te Maschin ghat. Am e Taach han se e nei Maschin gritt un tie hat ne mit seim Kumraad aus Siebenbürgen ofstelle misse. Zum Schluss hat se nor noch bis e halwe Meter an tie Maur gschob gen misse. Te Meister waar e zwaa Meter große, starke Mann, so tass te gschob hat un te Pankraz un sei Kumraad han misse hiner tie Maschin un rufe, wann et gepasst hat. Wie te halwe Meter erreicht waar, han se geruf: „Hoo !!!“, awer te Meister

Moderne Sport

Iwung macht te den Meister Te Pankraz hat mol von seiner Aarweit aus zu ter Frankfurter Mess fahre tärfe. To waare vill intressante Sache zu gsien. Am e Stand mit Erfindungen hat jemand e Schlissel mit dem spezielle System vorgstellt un te Leit verzählt, tass ne mit tem Schlissel jed noch so feschtgezone un engeroschte Schraub ofdrehe kann. Er hat tem Publikum angebot, tass jemand e Schraub ganz fescht aanziehe soll. Un to hat sich te Pankraz glei gemeld und mit em Ruck tie Schraub feschtgezoo. Te Erfinder holt sei spezielle Schlissel un will tie Schraub ofdrehe, awer er hat net drmit gerechnet, tass to jemand so viel Kraft kann han un hat tie Schraub beim wiederholte Mol net meh ofgritt, so tass ne te Schlissel en sei Schublad geworf hat un aa nix meh saan hat kenne. Et Publikum hat te Pankraz glei gfroot: „Von wo kommst du denn her und hast so viel Kraft? To hat te Pankraz nor gsaat: ,,Aus‘m Banaat !‘‘


Rückblick

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Der Jerbach auf der Sauerländer Hutweide 2013. Früher war hier ein Teich, wo im Winter das Eis entnommen wurde.

Eiskeller in Billed

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uch als es noch keine Kühlschränke gab, mussten die Menschen ihre Lebensmittel kaltstellen. Es gab aus Holz gebaute Kühlschränke, in denen mit hineingelegten Eisblöcken gekühlt wurde. Dafür brauchte man aber Eis. Dazu dienten in vergangenen Zeiten Eiskeller oder Eisgruben. Dort hat man von Winter bis Sommer Eis aufbewahrt und auch verkauft. In Billed waren solche Eiskeller im ganzen Dorf. Vor dem zweiten Weltkrieg hatte fast jede Metzgerei einen Eiskeller. Die Bauern haben im Winter, wenn die Eis­ decke dick genug war, für den Metzger in ihrer Straße/ Gasse, Eisstücke mit der Axt herausgeschlagen und in die Eiskeller gebracht. Es war eine willkommene Arbeit, da im Winter nicht viel an Arbeit anstand. Natürlich wurde das dann auch mit Wein und Schnaps gefeiert. Kaum einer meiner Generation weiß das noch. Ich kann mich noch erinnern, als wir auf dem Lake hinter der Vorstadt Schlittschuh gelaufen sind, haben Leute von der Kollektivwirtschaft dort Eis geschnitten und es mit Pferdewägen weggebracht. Bei Hochzeiten im Sommer war man froh, Eis zu haben.

Werner Gilde

Statistik der Eiskeller Nr. 112 Maurer Nikolaus, Kneesergasse Eiskeller von Unger Stefi Nr. 114 Schilling Jakob, Vierte Gasse Nr. 136 Hummel Nikolaus, Vierte Gasse 2 Eiskeller Nr. 144 Bohn Johann, Hinten bei Packi Nikolaus gegen Wasser Nr. 241 Weber/Herbst, Kirchengasse Nr. 329 Neiss Johann, Kneesergasse Nr. 338 Steiner Josef, Hauptgasse Nr. 388 Gagstätter Adam, Hauptgasse Nr. 406 Lafleur, Sortoc Constantin, Kleinjetschaer Straße Nr. 407 Rosani Johann, Kleinjetschaer Straße Nr. 417 Kunst Johann, Hauptgasse Nr. 419 Unger Stefi, Bahnhofgasse/Großjetscha Nr. 495 Rathaus, Gelände vom Halterhaus, Altgasse 2 Eiskeller Nr. 614 Vastag Josef, Bahnhofgasse Nr. 628 Neisz Adam, Neugasse Nr. 1028 LPG/Zootechnie


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Rückblick

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Aus dem Fotoalbum von Elisabeth Martini 1. 1955 im Garten von Familie Sehi v. l.; Erika Glaß (Esmann), Elisabeth Frick (Martini), Magdalena Sehi mit Töchterchen Christa, Iren-Tante aus Temeswar, Arntrud Schäfer (Hehn), vorn: Hansi Sehi, Barbara Hackbeil (Bärwi-God) 2. 1955 vor Fricks „Sprauhitt“: Elisabeth Frick (Martini), Erika Glaß (Esmann), Arntrud Schäfer (Hehn) 3. Elisabeth Frick (Martini) und Heidrun Gross (Pfersch) vor dem „Näglcher“-Strauch


Rückblick

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Anna Martini mit Schwiegertochter Roswitha, Enkelin Rebekka und Sohn Hans

Anna Martini mit Enkelin Rebekka vor der Sidney-Oper

Billed - Karlsruhe - Australien

A

nna Martini, die 81-jährig zum 5. Mal die für sie beschwerliche Reise nach Australien angetreten hat, vorausichtlich das letzte Mal. Zweimal war sie bereits mit Ehemann Jakob dort gewesen, bei Sohn Hans, Schwiegertochter Roswitha und Enkelin Rebekka, was auch die Erkundung des Umlands mit sich brachte, Freude für alle, wieder beisammen zu sein, gemeinsam Schönes zu erleben. Besonders schwierig war Annas erster Alleinflug, zumal die Sprachschwierigkeiten (kein Englisch) sogar gesundheit-

Elisabeth Martini

liche Probleme bedingten, ängstigten. Dagegen war der letzte Flug entspannt und angenehm, weil Enkel Patrick Russ als Begleiter jede Angst nahm. Rebekka, inzwischen 14 Jahre alt, der ganze Stolz ihrer Eltern – natürlich auch der Oma - überragt diese bereits jetzt und war auch dabei, als sie vier – trotz Waldbrand und dichtem Rauch – die Sidney-Oper besichtigten, als Erinnerung an das Weihnachtskonzert mit Jakob. An der Ozean- Küste war es windig, für Anna jedoch einmalig, unvergesslich.


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Aus dem Fotoalbum der Familie Lösel (geb. Karl) Im Bild zwei Oldboy-Mannschaften 1932, es geht um eine Wette, die Scheine werden im Hintergrund hochgehalten. Der Fußball war in der Gemeinde stark aufgestellt. Neben der Wettkampf-Dorfmannschaft gab es noch eine Jugendmannschaft und einen Gesellen-Fußballklub.

Rückblick

Der erste und älteste Sportplatz der Gemeinde befand sich hinter der Eisenbahnlinie neben dem Sägewerk und der Holzhandlung, gegenüber der Hanffabrik. Den Sportplatz und die Betriebe gibt es heute nicht mehr. Im Bild hält Josef Scholz den Ball.


Rückblick

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Aus dem Fotoalbum der Familie Lösel (geb. Karl) Im Bild das Wohnhaus mit der Wagnerei-Werkstatt (543) der Familie Scholz/Karl. Davor stehen Josef Scholz mit Tochter Angela und den Enkelkindern Gerhard und Angelika im Herbst 1959 (während Michael Karl fotografiert). 1960 werden sie als eine der ersten Familien in der Nachkriegszeit Rumänien als Aussiedler verlassen und in Freilassing eine neue Heimat finden.


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Leistung und Würdigung

Werner Gilde - ein Billeder mit viel Herz und Gemeinschaftssinn Elisabeth Martini, Heidi Müller

B

ewundernswert der Lebensweg des heute Sechzigjährigen vom Billeder Spitzbub mit der „Gummipuschka“ durchs Dorf auf der Suche nach etwas im Geäst, das seine Treffsicherheit mit der primitiven „Ausrüstung“ unter Beweis stellte, und dem heutigen Mitglied im Bundesvorstand der Banater Schwaben. Leicht war er gewiss nicht immer dieser Weg, doch Zielstrebigkeit, Zuversicht und typisch schwäbische Zähigkeit machten es möglich, so hartnäckig und doch verständnisvoll für seine Billeder wie auch für die Banater Schwaben zu kämmpfen – nicht mit Waffen, sondern mit Ideen, Takt, Toleranz. Geboren am 11.01.1960, besuchte er von 1962 bis 1975 in Billed Kindergarten, Grund- und Allgemeinbildende Schule, wonach er die Aufnahmeprüfung ins Industrielyzeum Nr.1 als Bester bestand. Kein Wunder bei seiner Begeisterung für Mathe und Physik, die ihm Frau Maria Schaljo - seine Lehrerin in diesen Fächern – geweckt und gefördert hat. Ihr gilt auch heute sein Dank für seine Begeisterung im Fach als Mitarbeiter am Institut für Angewandte Physik an der Uni Karlsruhe. Doch dazu waren viele kleine Schritte erforderlich. Auch ohne Studium konnte er ab 1979 als Elektroniker bei AEM Temeschburg als Prüfer arbeiten, Fehler auf elektronischen Platinen suchen, Geräte für Wasser- und Heizkraftwerke sowie große Schiffe justieren und einstellen. Nebenbei fand er auch noch Zeit, Audioverstärker zu bauen, in Billed Radios und Fernseher zu reparieren. Eine Unterbrechung dieser Tätigkeiten brachte der zwischen 1980 und 1981 geleistete Militärdienst mit neuen Erfahrungen und Enttäuschungen. Vielseitig interessiert, war Werner Gilde 1978-1983 auch aktives Mitglied im Billeder Handballverein Voin-

ta Biled, 1981-1983 Mitglied in der Billeder Laien-Theatergruppe, die mit Mundartstücken wie „Iwerraschung for de Vetter Matz“, „Zu viel Weiwer im Haus“ Erfolge feierte - teils auch mit Werner in der Hauptrolle, der zudem Ausfahrten in andere Banater Ortschaften mitorganisierte. Seit der Auswanderung 1984 in die BRD ist er aktiv im Kreisverband Karlsruhe organisatorisch tätig: im Laientheater, der Handballmannschaft, der Tanzgruppe. Beruflich ging es 1984 bei Siemens in der Leiterplattenfertigung und Instandhaltung weiter, nebenberuflich war er auch als Radio- und Fernsehtechniker tätig, bis er 1987 als Mitarbeiter ans Institut für Angewandte Physik an die Uni Karlsruhe kam, wo er auch z.Z. mit Erfolg wirkt, an der Entwicklung von elektronischen Schaltungen für Forschungszwecke, an der Reparatur von Forschungsgeräten und PCs. 1987 ehelichte Werner Gilde die Auserwählte seines Herzens Gerlinde Weldi, eine sehr gute Wahl, da sie – obwohl selbst berufstätig – ihn in all seinem Tun unterstützt, ihm Halt und Sicherheit gibt. Kein Wunder, dass diese Ehe mit so wunderbaren Söhnen Christian und Ralf gesegnet ist, die das große Interesse für die Banater Schwaben, für die Gemeinschaft, in die sie hineingeboren wur-


Leistung und Würdigung den, teilen, mitorganisieren, Dipl. Maschinenbau- bzw. Wirtschaftsingenieure sind. Um nicht zu „rosten“, bildete sich Werner 1988-1992 an der Heinrich-Hertz-Technikerschule (nach der Arbeit) zum staatlich geprüften Nachrichten-Techniker, Schwerpunkt Datentechnik, weiter. 1990 bezieht die junge Familie ihr neues Reihenhaus in Karlsruhe-Oberreut, wohin sie auch heute gerne Gäste einlädt. Werner Gilde und Heidi Müller gründen 1993 die Karlsruher Tanzgruppe, die 1996 durch die Kindertanzgruppe - anfänglich unter Werners Leitung - ergänzt wird. 1998 wird die Trachtengruppe der Erwachsenen gegründet, in der Gerlinde und Werner auch heute beispielhaft mittanzen, Erfolge feiern, unser Volksgut weitergeben an Jüngere. Ein besonderes Erlebnis und zugleich eine organisatorische Leistung war 1997 die dreiwöchige USA-Tournee der Banater Kulturgruppe bei den dortigen Donauschwaben, ein unvergesslicher Austausch von bleibendem Eindruck. In Anerkennung seiner menschlichen und organisatorischen Fähigkeiten wurde Werner Gilde 1999 zum Kreisvorsitzenden des Kreisverbandes der Banater Schwaben Karlsruhe gewählt und 2003 zum Vorsitzenden der Heimatgemeinschaft Billed e.V. Als solcher war er wesentlich an der 250-Jahrfeier seit der Gründung Billeds wie auch an der Organisation der 90-Jahr-Feier derFreiwilligen Feuerwehr Billed beteiligt. Seine Art zu sein und mit den Mitmenschen umzugehen, war ausschlaggebend dafür, dass man ihn 2008 zum Mitglied im Landesverband der Banater Schwaben Baden-Württemberg wählte und 2014 zum Mitglied im Bundesvorstand der Banater Schwaben, was uns Billeder mächtig stolz macht. Viel hat man ihm, der 15 Jahre nach Verschleppung der

143 Deutschen in die Sowjetunion geboren wurde - zufällig im selben Monat Januar – darüber erzählt, weshalb er auch vorbehaltlos die Übersetzung aus dem Rumänischen des Buches „Lungul drum spre nicaieri“ von Lavinia Betea, Cristina Diac, Florin-Razvan Mihai und Ilarion Tiu organisiert und mitgestaltet hat. Herausgegeben von der Landsmannschaft der Banater Schwaben München (2015), erschien sie unter dem Titel „Der weite Weg ins Ungewisse“, eine lesenswerte Lektüre nicht nur für jeden Banater Schwaben. Wenn bisher ersichtlich wurde, dass Werner Gilde vielseitig tätig war und ist, so muss noch erwähnt werden, dass er als Hobby auch angelt, tanzt, Sport treibt, sich in Geschichte dokumentiert – die ihm Geschichtslehrer Friedrich Töpfer schon früh in Billed schmackhaft machte. Ganz besonders aber liebt er die Fahrrad-Touren mit seiner Frau Gerlinde oder mit Freunden und Kollegen. So genossen sie den Donau-Radweg Passau-Wien, den Emsradweg, den Weg Ostsee-Mecklenburgische Seenplatte-Berlin, Hamburg-Tschechien, Nürnberg-Tauberbischofsheim, die Main-, Mosel-, Lahn-, Jagst-Kocher-Tour u.a.m. Zusammen mit den drei Billedern Reinhard Jung, Alfred Herbst und Hans Herbst hat Werner Gilde die Radtour Karlsruhe – Billed unternommen, als sportliche Herausforderung, aber auch aus historischem Interesse, zudem, um einen Brief des Bürgermeisters Eidenmüller aus Karlsruhe an den Bürgermeister von Temeswar zu überbringen. Wichtige Daten für uns Banater lassen ihn voraussichtlich planen, organisieren, Mitwirkende suchen und finden, begeistern – ein organisatorisches Talent mit Einfühlungsvermögen und Takt – ein Mann, der seinen Platz im Leben gefunden hat. Ihm wünschen wir auch weiterhin beste Gesundheit, Freude am Wirken für seine Banater Landsleute, fami­ liäres Glück, denn wir sind stolz, dass wir ihn haben!


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Leistung und Würdigung

Die „Gottlower Goth“ ist 100 Jahre alt

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eit ich denken kann, ist sie für mich die „Gottlower Goth“. „Goth“, weil sie meine „Ferm-Goth“ ist und ihr Vater und mein Backes-Ota Halbbrüder waren. „Gottlower“ Goth, weil sie in Gottlob lebte. Geboren allerdings wurde Barbara Rothgerber am 4. September 1920 in Billed. Denn ihr Vater, Michael Rothgerber, war Billeder; seine Frau Barbara stammte aus Großdorf (Nagyfal bei Perjamosch). Er war Sattler, sie war Malerin. Die Tochter Barbara war ihr einziges Kind. In den 1920er Jahren gab es schon einige Sattler in Billed, daher zog die junge Familie nach Gottlob, wo sie Arbeit und ein neues Zuhause fanden. Die „Gottlower Goth“ wurde Schneiderin. Auf dem Foto sitzt die Puppe auf einem Tuch, damals als Wandschmuck üblich, mit dem Spruch „Zwei Lebensstützen brechen nie, Gebet und Arbeit heißen sie.“ Da sie nie geheiratet hat, lebte und arbeitete sie im Haus ihrer Eltern, am Dorfrand von Gottlob, zum Bahnhof hin. Als ich in der Grundschule war, habe ich jeden Sommer eine Woche der Ferien bei ihnen verbracht. In der Nachbarschaft wohnten zwei Mädchen, die Anni und die Hedi, mit denen ich viel gespielt habe. Wir drei Mädchen hatten etwas gemeinsam, und zwar war die Gottlower Goth die Fermgoth von uns allen dreien. Auf diese Woche habe ich mich immer sehr gefreut. Genauso gefreut hat sich aber auch die „Altgoth“, die keine eigenen Enkelkinder hatte und uns drei Mädchen sehr mochte. Sehr gemocht habe ich im Haus meiner Gottlower Goth auch eine große Jugendstil-Hängelampe mit vielen schönen Glaskugeln und Glasstäbchen. Altgoth und Path hatten sie zu ihrer Hochzeit im Jahr 1919 bekommen.

Anna Schütz

Als wir alle aus dem Banat ausgewandert sind, habe ich meine Goth um diese Lampe gebeten. Zu meiner großen Freude hängt sie nun schon seit vielen Jahren über unserem Esstisch. Einen Ehrenplatz in unserem Wohnzimmer hat auch die Puppe, mit der die Goth als kleines Mädchen gespielt hat. Sie trägt jetzt eine schwowische Tracht, die die Goth ihr genäht hat. Die Lampe und die Puppe erinnern mich immer noch an die schönen Ferienwochen bei ihr in Gottlob. Nach der politischen Wende in Rumänien, als die Nachbarfamilien nach Deutschland übergesiedelt sind, kam im Jahre 1990 auch die Goth nach Deutschland. Die ersten Jahre lebte sie in Worms, danach in Frankenthal in der Nähe des Nachbarmädchens Anni, zu der sie immer sehr engen Kontakt hatte. In den Anfangsjahren in Deutschland hat die Goth mit ihrem Beruf als Schneiderin ihre kleine Rente etwas aufbessern können, indem sie in Worms für eine Kirchengemeinde und in Frankenthal für Bewohnerinnen eines Seniorenheims Kleinigkeiten genäht hat. Vor zehn Jahren zog sie nach Augsburg, wo Moni, eine der Töchter Annis, mit ihrer Familie lebt, erst in eine kleine Wohnung, vor drei Jahren dann in ein Altersheim. Moni und ihr Mann, die selber schon eine kleine Enkelin haben, kümmern sich liebevoll um sie. Deren Besuche zusammen mit dem kleinen Mädchen sind ihre größte Freude.


Leistung und Würdigung

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Die Goth als kleines Mädchen mit ihrer Puppe. Die trägt jetzt eine schwowische Tracht, die die Goth ihr genäht hat.

Die Lampe und die Puppe erinnern mich immer noch an die schönen Ferienwochen bei ihr in Gottlob.

Moni und ihr Mann Egon haben einen sehr schönen Schrebergarten, in welchem sie zum 100sten Geburtstag der Goth ein kleines Fest organisiert hatten. Die Vorsitzende und einige Vertreter des Kreisverbandes der Banater Schwaben Augsburg kamen mit einem sehr schönen, großen Blumenstrauß zum Gratulieren. Die Goth

hat sich über die schön dekorierten Tische und die Feier insgesamt sehr gefreut. Hermann und ich waren auch angereist und haben uns gefreut, sie geistig so wach und froh zu sehen. Ich wünsche der Goth weiterhin Gesundheit und noch viele frohe Tage.


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Leistung und Würdigung

Nachruf: Hundert gelebte Jahre, unsere Susanne Weber

Elisabeth Schulz, geb. Steiner

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s ist Realität geworden, Susanne - „Susi“- Weber wurde im Oktober 2020 100 Jahre alt. Das sollte gefeiert werden, wenn auch etwas kleiner – wegen der noch anhaltenden Pandemie. Am 30.10.1920 als Susanne Glasz in Billed geboren und aufgewachsen, hat sie Kindheit und Jugend hier verbracht. 1937 hat sie ihren Mann Nikolaus Weber geheiratet, schöne gemeinsame Jahre, die jedoch schon bald getrübt wurden: Krieg, Deportation ins Arbeitslager nach Russland (1945) und Zwangsumsiedelung in die Baragansteppe (1951). Zurück in der alten Heimat Billed, ging das Leben weiter bis zur Umsiedelung als Spätaussiedler nach Deutschland, im Jahr 1978. In Haar bei München sind die beiden sesshaft geworden. Die Ehe blieb kinderlos, aber die Familie war ihr immer sehr wichtig und das bis ans Lebensende. Die ersten Jahre waren geprägt vom gemeinsamen Aufbau der Existenz in der neuen Heimat im Kreise der Familie, eine intensive und schöne Zeit. Ein trauriges Jahr – 1984 -, mit nur 70 Jahren stirbt ihr Ehemann Klos, ein harter Schlag für Susi. Es beginnt wiedermal ein neuer Lebensabschnitt, geprägt von Aktivitäten außerhalb der Familie. Ihre offene Art, auf Menschen zuzugehen, bringt ihr neue Kontakte und belebt bestehende. So bringt das Jahr 1996 ihr eine alte Freundin nach München, meine Mutter, und ab diesem Zeitpunkt lerne ich (als erwachsene Frau) die Susi so richtig kennen. Die beiden hatten eine schöne Zeit, mit vielen gemeinsamen Aktivitäten, die von Spaß und Lebensfreude geprägt waren und die ich teilweise auch miterle-

ben durfte. Nachdem ich meine Mutter und Susi ihre gute Freundin verloren hatten, wurde diese Freundschaft nun von uns beiden weitergeführt und gepflegt. Die Offenheit und das Zugehen auf andere Menschen, auch der jüngeren Generation, war so typisch für sie und das machte auch Susanna Weber 2014 auf Beden Menschen Susi aus. such im Heimathaus Auch das Aktiv-Sein und Aktiv-Bleiben hat stets eine wichtige Rolle gespielt, jahrelang waren das tägliche Waldspaziergänge. Diese Gabe ist nicht jedem Menschen beschert und dabei ist sie so wichtig im Leben. Sie hatte einen großen Bekanntenkreis, viele gute Nachbarn und Weggefährten, auch in zweiter Generation, wohlgemerkt (wie mich auch). Gegen Ende, wo der Geist die körperliche Fitness übertrumpfte, beschränkte sie sich auf gemütliche Stunden daheim: Kaffeekränzchen mit selbstgebackenem Kuchen, für Susi selbstverständlich, wie auch die legendären Torten zu ihren Geburtstagsfeiern. Die ungebrochene Spielleidenschaft, mit einem immer noch messerscharfen Gedächtnis, kam zum Einsatz und krönte die geselligen Nachmittage mit dem „Romme-Spiel“. Auch im Krankenhaus äußerte sie zuletzt noch den Wunsch, schneller entlassen zu werden, um die Tor-


Leistung und Würdigung

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te für ihren Geburtstag backen zu können. Geboren in der alten Heimat Billed und Hundertjahr geworden in der neuen Heimat München/Haar. In der Wohnung, die sie gemeinsam mit ihrem Klos in München/Haar bezog, lebte Susi mit etwas Hilfe im Haushalt, ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben bis zuletzt. 100 Jahre, ein langes Leben, mit vielen Facetten, geprägt von Freud und Leid, so wie das richtige Leben es mit sich bringt. Wie heißt es so schön: „Die Wege des Herrn sind uner-

gründlich“ – ihren Geburtstag, im Krankenhaus weilend, hat Susi noch mit großem Interesse verfolgt und paar Tage danach gerade noch geschafft heimzukommen, um friedlich einzuschlafen. Am 4. November 2020 endet ein langes Leben. Die Verwandten, Landsleute, Freunde und Bekannten, liebe Susi, werden Dich in liebevoller Erinnerung behalten. Ruhe in Frieden!

Eva Thöres 100 Jahre alt

Elisabeth Luckhaub

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ank Gottvertrauen und Gottesgnade erreichte Eva Thöres, verheiratet mit Wilhelm Thöres (geborene Maurer) am 17. April 2020 ihren 100. Geburtstag. Wegen der Corona-Pandemie wurde dieser schöne Tag der Jubilarin nur mit dem Pflegepersonal des Heimes gefeiert, die ihn mit viel Freude und Mühe gestaltet haben. Ihnen gebührt großer Dank. Sie sitzt im Rollstuhl und kann nicht gehen. Sie ist eine der ersten Witwen des 2. Weltkriegs Billeds. Sie wurde nach Enakievo im damaligen Russland deportiert, konnte aber glücklicherweise wieder nach Hause kommen. Als alleinerziehende Mutter ist das alles auch nicht spurlos an ihrem Sohn Wilhelm vorübergegangen. Auf eine zum 80. Geburtstag vorbereitete Karte für ihren Sohn Wilhelm, gelang es ihr dem Alter entsprechend noch die Worte „wünscht Dir Deine Mutter Eva Thöres“ zu schreiben. Glücklich und froh sind für sie die Besuche ihres Sohnes, der Schwiegertochter und Lissi‘s, deren Firmpatin sie ist.

Sie nimmt glücklich, demütig und dankbar alles vom Pflegepersonal Geleistete entgegen. Das Personal nennt sie oft ihr „Engel“. Der Herr bleibe bei Dir mit seinem Trost und Segen für das begonnene 101. Lebensjahr. Dies wünschen Wilhelm, Dorina, alle Verwandten und Bekannten, welche Deiner gedachten.


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Leistung und Würdigung

Theresia Weber zum 100. Geburtstag

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ingen gehörte zu den Leidenschaften von Theresia Weber. Im Alter von fünf Jahren ist zum ersten Mal aufgetreten, mit 90 Jahren gab sie im Kirchenchor der Heidegemeinde noch den Ton, heißt es in einem der Billeder Heimatblätter. Heute, am 6. Mai 2020, wird die Billeder Schwäbin Theresia Weber in ihrem Heimatort 100 Jahre alt.

Adam Csonti

Ihr Mann fiel im Zweiten Weltkrieg. Ihre Söhne Hans und Jakob kannten ihn kaum oder gar nicht. So musste sie allein für den Familienunterhalt aufkommen: Zunächst als Tabakbäuerin und später als Postbotin verdiente sie ihren Lebensunterhalt. „Zu ihrem 100. Geburtstag wünscht ihr das Billeder Ortsforum sowie die Belegschaft der Sozialstation alles erdenklich Gute“!


Leistung und Würdigung

Abb. links: Theresia Weber mit ihren Söhnen Hans und Jakob, die heute noch in Billed leben. Abb. oben: Nachbarn-Besuch in der guten Stube 1963 befindet sich Johann Keller, hier nicht im Bild, mit einer Fotokamera und Farbfilm aus den USA zu Besuch bei seinen Angehörigen in Billed. Die sind sozusagen hinter dem

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Eisernen Vorhang im kommunistischen Ostblock eingesperrt. Im Bild Nachbarn und Bekannte von Johann Keller, an den Ofen angelehnt Theresia Keller. Nach 20 Jahren Trennung gab es viel zu erzählen und in Zeiten des Kalten Krieges war es ungewiss, ob man sich jemals wiedersehen wird. Hier entstehen die ältesten, in Billed bekannten Farbaufnahmen.


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Leistung und Würdigung

Nachruf für Magdalena Roos

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it großer Trauer habe ich von dem Tode Eurer lieben Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die am 13.12.2019 verstorben ist, erfahren. Frau Roos war ein Familienmensch, glücklich, alle um sich zu haben und für alle Sorgen zu können. Sie war mit Herz und Seele eine Billederin. Dort hat sie in ihrer Jugendzeit als auch später ganz besondere Dienste als Organistin und Sängerin die Gottesdienste mitgestaltet. Das Spielen auf der Orgel brachte ihr Hager Lehrer während ihrer Zeit als Schulsekretärin bei. Sie liebte mit den Billeder Sängerinnen den Gesang und pflegte, für Beerdigungen Lieder zu komponieren sowie Texte zu schreiben, die den Verstorbenen und deren Familienangehörigen entsprachen. Musik, Dichten und Zeichnen waren Frau Roos große Leidenschaften. Außerdem war die Verstorbene eine sozial eingestellte und hilfsbereite Frau in unserer Gemeinde. Persönlich erinnere ich mich, dass sie oftmals meine alte geschwächte Großmutter (Wes Ilka) die, wenn möglich, an allen Kirchenmessen teilnahm, geduldig und mit tröstenden Gesprächen nach dem Kirchengang nach Hause begleitet hat. In der Bundesrepublik 1982 angekommen, trat sie als eine der ersten Sängerinnen und als erste Organistin dem Chor der Banater Schwaben in Karlsruhe bei. Die Gründung und Beteiligung am Chorleben wurden zur Herzensangelegenheit in ihrer neuen Heimat. Sie hatte mit großem Interesse und Eifer zum Gelingen verschiedener Chorauftritte, heiligen Messen, Feiern, Feste, Beerdigungen, Totenehrungen beigetragen. Dem Chor der

Elisabeth Luckhaub

Banater Schwaben blieb sie über drei Jahrzehnte treu, bis sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die Kraft hatte, an Chorproben teilzunehmen. Die alte Heimat Billed hat sie immer in ihrem Herzen getragen, die Sehnsucht nach dieser brachte sie dazu, immer wieder Gedichte zu schreiben. Frau Roos hat sich mit ihrem Wirken, für die Billeder und für unsere Landsmannschaft, bleibende Verdienste und schöne Erinnerungen erworben. Dafür bin ich sehr dankbar und spreche der Familie tiefe Anteilnahme aus. Abschied am 1. Dezember 1982 Magdalena Roos Angst o Herr liegt heut in jeder Menschenseele. Gib uns Kraft o Herr, damit die Angst uns nicht so quäle! Lass die Menschen nicht so grausam werden! Weck die Sehnsucht nur für Frieden hier auf Erden! Wecke Liebe, Frohsinn, guten Willen! Mög sich dadurch Böses in den Menschen stillen. Wenn die Menschen fürchten Zukunft und Geschick, Wenn Menschen fürchten Menschen, wo bleibt da noch das Glück?


Leistung und Würdigung

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Die Angst, o Herr vor Krieg, Vernichtung, Tod, Sie ist so goß, so groß, so groß. Still beten wir o großer Gott, Stärk uns im Glauben immerfort! --Heimatkirche, von Kindheit an vertraut. Die uns den Glauben an Gott hat aufgebaut. Die mich erquickte mit Orgelspiel, Gesang, Nun kommt der Abschied, der macht das Herz so bang. Priester, Leute, ihr lieben Kinder hier, Nehmt Grüße und Wünsche zum Abschied heut von mir. Und bin ich ferne in einem andern Land, So denkt manchmal meiner, man hat sich doch gekannt. Nie will ich vergessen euch alle hier beisamm. Auch will ich euch besuchen, sobald ich es kann. Behüt euch Gott, geleite mich der Herr! Es stärkt uns der Glaube, dann wird es halb so schwer. November 1982 Beide Gedichte habe ich in meiner Heimatkirche in Billed am 01.12.1982 im letzten Gottesdienst vor der Abreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgetragen. An diesem Tag spielte ich zum letzten Mal in der alten Heimat die Orgel.

Sprache der Natur Magdalena Roos Wenn der Wald in seinem Schweigen kein Blatt rührt an seinen Bäumen: Das ist die Stille der Natur! Wenn Sonnenstrahlen durch die Kronen dringen, sich bis zum Stamme und zur Erde ringen: Das ist die Schönheit der Natur! Wenn Vögel zwitschernd Ast um Ast erschwingen und ihren Jungen Futter bringen: Das ist das kleine Wunder der Natur! Wenn singend sie sich dann entfernen und so die Jungen fliegen lernen: Gehört das nicht zu den Wundern der Natur? Wenn der Bäche Wasser eilig in das Tale rauschen, wenn es regnet und wir lauschen: Das ist die Sprache der Natur! Natur du wunderschöne! Wer hat dich gemacht, in deiner Schönheit, deiner Pracht? 1994


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Leistung und Würdigung

Sepp Herbst - Nachruf

Peter Krier

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iebe Familie Herbst, trauernde Gemeinde, der Tod unseres Freundes Sepp Herbst kam nicht überraschend, in der Familie war man vorbereitet, die Zeit des Abschieds war lang. Sehr lang und schwer und doch hätte man, als die Stunde gekommen war, gerne noch einmal um einen Aufschub gebeten. Es war ein langer und schwerer Kampf, den Sepp Herbst mit Zähheit gefochten hat, bis die letzte Kraft verbraucht war. Seiner Ehefrau, dir liebe Lissi, euren Söhnen Hans und Alfred mit ihren Familien gilt unser Mitgefühl, unser Beileid, sie haben ihn bis zum Schluss liebevoll gepflegt, ihm erleichtert, was sie konnten, bis dann am vergangenen Freitag sein Leben erlosch. Sepp Herbst hatte in seinem Leben viele Kämpfe zu bestehen, er ist aber nach Schwierigkeiten und Niederlagen immer wieder aufgestanden, bereit dem Unbill entgegenzutreten. Eigentlich war er einer von uns, er war so wie wir und doch war er anders als wir, sein Weg mit und unter uns war sehr eigen. 1933 in der Blütezeit unserer Banater Heimat in Billed geboren, erlebte Sepp eine Kindheit wie im Bilderbuch. Er wuchs auf einem großen Bauernhof voller Leben auf, in der Familie, zu der auch seine Schwester Maria gehörte und ein großer Familienverband. Wir sind fast gleichaltrig und kannten uns seit der frühen Kindheit. Wir lebten in einer damals heilen Welt. Unsere Freiheit auf den großen Höfen, breiten Gassen und fast unendlichen Wiesen und Teiche um das Dorf war grenzenlos. Doch diese Idylle wurde bald zerstört. Es kam der Krieg und es kam das, was der Krieg bringt: Tod und Verderben. Sepps Vater wurde zum Rumänischen Heer eingezogen,

im November 1943 brachte der Postbote die schlimme Botschaft, dass Sepps Vater vermisst sei, Genaueres erfuhr man nie. Die beiden Kinder waren nun Halb-Waisen, die Mutter wurde Witwe und musste sehen, wie sie mit dem Hof zurecht kam. Plötzlich waren wir in einer anderen Welt und das Unglück nahm seinen weiteren Lauf. Zwei Jahre später war der Krieg in unserem Dorf. Der Staat, für dessen Interessen unsere Männer und Väter im Krieg gestorben waren, behandelte die Deutschen im Lande wie Feinde, es folgten Enteignung und Unterdrückung der deutschen Minderheit in Rumänien. Und es kam noch schlimmer. Obwohl die Familie Herbst zunächst beeignet worden war, wurde sie im Juni 1951 in die Baragansteppe deportiert, mit fünf Jahren Zwangsaufenthalt in Însurăței. Es waren bittere Jahre in der Steppe. Hart traf ihn auch, dass er wegen der Deportation seine Schulausbildung nicht fortsetzen konnte. Zu


Leistung und Würdigung den fünf Jahren im Baragan gesellten sich zwei weitere Jahre Zwangsarbeit, die er bei einer rumänischen Arbeitseinheit auf einer Baustelle ableisten musste. Mittlerweile schrieb man das Jahr 1956, mit dem wieder eine Zeit der relativen Freiheit kam, soweit dies im Kommunismus möglich war. Nun wurde aufgebaut, Sepp und Lissi gründeten eine Familie, die Söhne Hans und Alfred wurden geboren. Sepp wurde Berufsfahrer beim Sanitätsdienst, wo er vielen Landsleuten helfen konnte. Seine Hilfsbereitschaft war sprichwörtlich, sein sozialer Einsatz beispielhaft. Beachtlich war auch sein Einsatz bei der örtlichen Feuerwehr, deren Zweiter Kommandant er war. Mitgewirkt hat er im Billeder Gemeindechor und in mehreren Volkstheatergruppen. Sepp war von Kindesbeinen auf Ministrant und engagiert in der Kirche. Eigentlich war er überall im Dorf bekannt. Seine Leutseligkeit und Hilfsbereitschaft machten ihn beliebt bei allen, die ihn kannten. Die große Teilnahme an seiner heutigen Beisetzung beweist dies. Nicht bei allen war er beliebt, er hatte auch Feinde. Diese setzten die Securitate auf ihn an, vorgeworfen wurden ihm Beziehungen zu den Landsleuten in Deutschland. Als er dann noch in Beugehaft genommen wurde, reichte es ihm endgültig, wie er sagte. Obwohl er sich der großen Gefahr bewusst war, floh er mit seinem ältesten Sohn und mehreren Landsleuten über die streng bewachten Grenzen nach Deutschland. Die vierte Phase in Sepps Lebensweg war eine erfolgreiche. Bald schon fand die Familie in Gaggenau zusammen. Man fand Arbeit, konnte ein Haus erwerben, die Söhne gründeten Familien, es wuchsen vier Enkelkinder nach, auf die er sehr stolz war. Sepp Herbst hat sich sofort nach seiner Ankunft in Deutschland, in unserer Heimatgemeinschaft engagiert, er hat unsere Heimatkartei

153 mit 2.500 Anschriften geführt und Kontakte zu Billedern über Kontinente aufgebaut. Sepp war auch Mitarbeiter bei der Suche nach Klärung mancher Kriegsschicksale und beim Erwerb von Kriegsschadenrenten. Sepp war auch in der Landsmannschaft sehr aktiv und hat in den Banater Chören in Karlsruhe, Rastatt und Gaggenau gesungen. Nach der Wende 1989 engagierte er sich bei den Hilfsaktionen für die Landsleute im Banat, denen LKW-weise Lebensmittel gebracht wurden. Sepp war immer da, wo er gebraucht wurde. Bei einem letzten Gespräch mit ihm sagte er mir, er würde ohne Zorn auf Rumänien zurückblicken, auf die Zeit, die er dort verbringen und leidvoll erleben musste. Vergessen könne er dies nicht, wie er auch die Banater Heimat nicht vergessen könne, er sehe sich heute aber irgendwie versöhnt mit denen, die dort unseren Platz eingenommen haben. Für sein Wirken für Freundschaft zwischen der Gemeinde Billed und der Billeder Heimatgemeinschaft hat die Gemeinde Billed ihm die Würde eines Ehrenbürgers verliehen. Wir nehmen heute Abschied von dir, lieber Sepp, wir alle sind gekommen, um dir Dank zu sagen, ich darf dir als Nachruf unsere hohe Anerkennung für deine Leistung aussprechen, namens der Billeder und aller Banater Landsleute, die dich gekannt haben. Viele werden in dieser Stunde an dich denken und die Kirchenglocken in Billed werden deinen letzten Gang begleiten. Liebe Landsleute, er ist nicht nur einer von uns, er ist ein Stück von uns, ein Stück Billed, ein Stück Heimat, ein Stück Banat, das wir hier zu Grabe tragen. Und er war wirklich ein guter Kamerad, den wir der Erde übergeben. Möge der Herr dich, lieber Sepp, zu den seinen nehmen! 12.08.2020, Waldfriedhof Gaggenau


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Leistung und Würdigung

Quo vadis? 53 Trachtenpaare, mit Josef und Elisabeth Herbst an der Spitze, beim Umzug durch die Billeder Hauptgasse 1970.

Josef Herbst - unser lebendiges Einwohneramt

Hans Rothgerber

N

ach Enteignung, Entrechtung und Exodus konnten die Billeder Deutschen ihre Nachkriegsgeschichte nur mühselig, und buchstäblich von Haus zu Haus, zusammensuchen. Aufgelistet werden sollten die Dorfbewohner, die zum Kriegsdienst einberufen wurden, die gefallen sind, die wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit enteignet wurden, die wegen ihrer deutschen Nationalität zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden, die als unzuverlässige Elemente in die Baragansteppe verschleppt wurden, die in der Deportation verstor-

ben sind, die jährlich durch Zahlen von Kopfgeld aussiedeln konnten u.a. Solche Fakten, Zahlen und Geschehnisse beabsichtigte das kommunistische Regime Rumäniens und seine Securitate zu vertuschen. Wo sind sie geblieben? Durch Befragungen Betroffener, Angehöriger und Zeugen entstanden genaue Tabellen und Josef Herbst hatte es als seine Pflicht betrachtet, dabei mitzuwirken. Und das nicht als Hobby. Im Alter von 12 Jahren hatte er miterlebt, wie im Januar 1945 die arbeitsfähigen Frauen und


Leistung und Würdigung Männer „ausgehoben” und zu 5 Jahren Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden; wie sein Großvater von der Enteignungskommission zu Tode geprügelt wurde; er selbst wurde mit Mutter und Schwester, der Vater war als rumänischer Militärangehöriger 1943 im Krieg gefallen, für 5 Jahre in die Baragansteppe verschleppt. Heimatforschung im Untergrund Keine einfache Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass im kommunistischen Rumänien jede Schreibmaschine bei der Miliz registriert werden musste. In die Ostzone (spätere DDR) abgeschobene Russlanddeportierte hatten bei ihrer Entlassung gar unterschrieben, nie über das Geschehene zu berichten. Zudem mussten die erfassten Unterlagen durch den Eisernen Vorhang in den Westen geschmuggelt werden. Josef Herbst ist Mitautor der 1980 in Wien erschienenen Billed-Chronik von Franz Klein, mit 640 Seiten damals ein Muster für Dorfmonografien im Banat. In Rumänien gab es rund eine halbe Million Spitzel und es reichte, von einem - wofür auch immer - verpfiffen zu werden. Er geriet ins Fadenkreuz der Securitate, der brutalen Geheimpolizei des rumänischen Kommunismus. 1981 gelingen ihm, seinem ältesten Sohn und weiteren Billedern eine riskante und spektakuläre Flucht über die scharf bewachte rumänische Grenze nach Deutschland. Die Heimatortskartei Die nach 1945 entlassenen Kriegsgefangenen aus Billed, die in Deutschland verblieben sind, weil sie in ihrer alten Heimat verfolgt wurden (133), die 1944 aus Billed Geflüchteten (135), Heimkehrer aus der Russlanddeportation, die im Westen geblieben sind (30), sowie Aussiedler der 1960er und frühen 1970er Jahre (296) gründen beim Heimattreffen 1975 in Karlsruhe die Billeder Heimatsortsgemeinschaft (HOG). Eine HOG hat eine hör-

155 bare Stimme, unterstützt Hilfsbedürftige und dokumentiert Heimatgeschichte. Und vermittelt den Entwurzelten, ähnlich einem Exilamt, ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Herzstück des losen Verbandes ist die Adress-Datenbank. 1984 übernimmt Josef Herbst die von Peter Krier angelegten Karteien. Dadurch ist die Zusendung des jährlichen Heimatblattes seit über 30 Jahren möglich. Und durch die Spenden der Billeder für das Blatt können die Zielsetzungen unserer HOG noch heute aufrechterhalten werden. Wenn man weiß, dass statistisch jährlich ca. 10% ihren Wohnort wechseln, bekommt man einen Schimmer vom Aufwand, rund 1.000 Adressen über 35 Jahre, und das meistens telefonisch, aktuell zu halten. Und Sepp, wie ihn seine Generation nannte, kannte jeden einzelnen Billeder. Im Heimatblatt veröffentlichte er jährlich Listen der Verstorbenen, sowie derer mit runden Ehejubiläen und Geburtstagen. Er wusste, dass nur dieser dünne Faden, die in rund 500 Ortschaften Zerstreuten noch zusammenhält, derweil die Erlebnisgeneration schon abgetreten ist. Vedr Sepp erledigte die statistischen Arbeiten mittels Telefon und Computer von seinem neuen Zuhause in Gaggenau aus und eingebettet ins Familienleben. Und das so selbstverständlich und mindestens so gewissenhaft, wie jemand, der in einem Call-Center tagtäglich seinem Job nachgeht. Glocken der Heimat Freiwillige Feuerwehr, Theatergruppe, Chor, Landsmannschaft, Hilfstransporte - bei unzähligen Veranstaltungen war Josef Herbst ehrenamtlich aktiv. Auch für die heutige Gemeinde Billed, die ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen hat.


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Leistung und Würdigung

Josef Herbst vor dem Denkmal der Billeder auf dem Karlsruher Hauptfriedhof an Allerheiligen 2004 verliest die Statistik der in dem Jahr verstorbenen Landsleute. Über Jahrzehnte meldeten die ausgesiedelten Billeder ihm ihre Todesfälle. Er veranlasste, dass, wie eh und je, die Verstorbenen mit Kreide auf der schwarzen Tafel, am Eingang der Billeder Kirche, vermerkt- und ihr Ableben durch die Kirchenglocken verkündet wurde. Am 7. August 2020, nach 87 Lebensjahren, während die

Glocken läuten, steht auch sein Name auf dieser Tafel. Seine Leistungen für die Gemeinschaft ist weder messbar noch vergleichbar. Sein ehrenamtliches, selbstloses Wirken im Dienst der Billeder kann jedoch treffend umschrieben werden: Josef Herbst - unser lebendiges Einwohneramt.


Leistung und Würdigung

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Nachruf Josef Herbst

U

nd unausweichlich kam vor Kurzem der Tag, an dem die Billeder mit dem Ableben von Josef Herbst einen ihrer Großen verloren haben. Einen, der sein gesamtes Leben hinweg seine Landsleute und seine Heimat aus tiefstem Herzen unterstützt hat. Seine Leistungen und sein Einsatz für die Gemeinschaft bleiben uns allen in Erinnerung. Bereits in Billed hatte Josef Herbst immer eine Arbeitsstelle zum Nutzen der Allgemeinheit. Zuerst war er Fahrer bei einem Betrieb, der Wege und Brücken in Ordnung hielt. Als Fahrer auf einem alten Rot Kreuz Auto, an dem er jeden Sonntag etwas zu reparieren hatte. Ich erinnere mich heute noch gut an den immensen Berg von Ersatzteilen, welche sich unser Sepp - von wo auch immer - organisiert hatte. Später bekam die Gemeinde ein besseres Fahrzeug und so musste sonntags nicht mehr geschraubt werden. Josef Herbst war als stellvertretender Feuerwehrkommandant immer an vorderster Front mit dabei, wenn es einen Brand zu löschen gab. Er war aber auch maßgeblich bei den Festen beteiligt, die die Freiwillige Feuerwehr organisierte. Oder auch bei den Schwabenbällen, bei denen er oftmals im Organisationsteam mitgewirkt hat. Er war überall, wo man seine Hilfe gebraucht hat, zur Stelle. Seit seiner Flucht nach Deutschland und der Ankunft in seiner neuen Heimat in Gaggenau war Josef Herbst Mitglied der Landsmannschaft der Banater Schwaben. Im Kreisverband der Banater Schwaben Rastatt war er ein aktives Mitglied und viele Jahre im Vorstand. Bis zur Auflösung des gemischten Chors war er als Sänger sehr geschätzt. Auch im Chor der Banater Schwaben Karlsruhe war er, solange seine Gesundheit es ihm erlaubte, engagiert.

Werner Gilde

Unser Sepp war offen für alle, die Freude an Kultur, an Gesang und Tradition hatten und Gemeinschaft erleben wollten. Wenn es ihm möglich war, war er bei sämtlichen Veranstaltungen des Kreisverbandes Rastatt und Karlsruhe mit dabei. Als Stellvertretender Vorsitzende der Heimatgemeinschaft Billed e.V. war er mir immer eine große Hilfe bei unseren Billeder Veranstaltungen. Hier erwähne ich die 250 Jahr Feier von Billed, 90 Jahre Billeder Feuerwehr oder unsere Heimattreffen. Bei den Seniorennachmittagen hat unser Sepp die Landsleute mit Nachrichten aus Billed, Deutschland oder dem Rest der Welt informiert. Eigentlich kann man sich die Gemeinschaft der Billeder ohne Josef Herbst nicht vorstellen. So präsent war er zeitlebens in dieser Gemeinschaft. Umso trauriger und betroffener macht uns nun dieser endgültige Abschied. Er ist zwar gestorben, aber in unserer Erinnerung wird er mit uns und mit den Billedern verbunden bleiben. „Nur der ist wirklich tot, der keinen guten Namen hinterlässt“, sagt ein altes persisches Sprichwort. In diesem Sinne werden wir uns an Josef Herbst als großen Billeder und Banater Schwaben erinnern. In großer Dankbarkeit für alles, was er für die Heimatgemeinschaft Billed e.V.und die Banater Schwaben getan hat, nehmen wir von unserem Josef Herbst Abschied und werden seiner stets in Ehren gedenken. Seiner Frau und den Angehörigen gelten unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme. Josef Herbst, lieber Sepp, ruhe in Frieden!


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Leistung und Würdigung

Josef Herbst zum Abschied und Gedenken

J

osef Herbst aus Billed ist am 18. Juni 87 Jahre alt geworden, ohne dass man es ihm wirklich anhörte, wenn er aus innerster Überzeugung ein Problem anging, zumal es bislang für ihn kein unlösbares Problem gegeben hat, bis auf eines, das nun die Natur oder der liebe Gott löste. Als Seppi, Sepp, Vedr Sepp kennen ihn die Billeder, die anderen als Herr Herbst, den man alles, was Billed und die Billeder betrifft, fragen konnte und bestimmt auch manches, was über Billed hinausreicht, unser Banat und die Welt. Er ist das lebendige Einwohneramt Billeds, der Mann, der anhand der rigoros-genau geführten Ortskartei Bescheid weiß über mehr als 3.500 Billeder in der ganzen Welt, auf 4 Erdteilen. Auch über Verwandtschaften, besondere Billeder Vorkommnisse, auch manchen Klatsch und Tratsch. Ersatz für ihn werden wir nur sehr schwer finden. Geboren 1933, erlebte er noch als Kind die Blütezeit banat-schwäbischer Landwirtschaft und Kultur, Billeder Gemeinschaftssinn, das Wirken zum Wohle der Mitmenschen. Immer schon wissbegierig, hat er viel und gern gelesen, aber das Gelesene packend auch anderen mitgeteilt, erzählt, vor allem wenn es um Karl-May-Bücher und Winnetou ging. Doch leider brach auch in die Billeder Schein-Idylle der Krieg ein, führte junge Männer an die Front, in den Tod – so auch den Vater von Sepp, der vor Stalingrad fiel. Da musste Sepp versuchen, in der Bauernwirtschaft die Lücke zu schließen, mitzuhelfen, der Familie die Existenz zu sichern, vor der Zeit aufzuhören, Kind zu sein. Nach der Entrechtung der Deutschen und der Enteignung allen Besitzes war es zusätzlich die schulische Umstellung auf Unterrichtssprache Rumänisch, die allen

Elisabeth Martini

schwäbischen Kindern – so auch Sepp – große Schwierigkeiten bereitete, Ängste, Entbehrungen und doppelten Fleiß erforderte. Private Unterkunft in Temeswar, zu dritt im Bett, meist hungrig und voller Heimweh, Schulstress - das alles ist oft verdrängte Erinnerung, war damals jedoch bittere Realität und nur Winnetou konnte das existierende Elend vergessen lassen – auch wenn Hans oder Peter -seine Billeder Gefährten in der Temeswarer Not lage - vor Müdigkeit inzwischen eingeschlafen waren. Mit der Zeit und mit Fleiß erlernte man Rumänisch, denn auch die härteste Nuss kann mit eisernem Willen geknackt werden. Die weitere berufliche Ausbildung von Sepp Herbst kam zu kurz, denn die Baragan-Verschleppung der Familie, der Kampf ums Überleben zwang zu Schwerarbeit und Verzicht auf vieles. Doch auch unter diesen Bedingungen in der trostlosen Öde und den winterlichen Gefährdungen durch Schneesturm und Eis verlor er weder Hoffnung, noch Witz und Humor. Überstand auch den militärischen Arbeitsdienst, bevor er – nach Billed zurückgekehrt – seine Lissi heiratete. Zwei Söhne haben sie zu aktiven, verantwortungsbewussten Menschen erzogen, die – wie ihr Vater - gern für die Gemeinschaft tätig sind, auch ihre Kinder mit Erfolg in diesem Geiste erziehen. In Billed hat Sepp als Fahrer des Rot-Kreuz-Wagens viele kranke Billeder zum Facharzt in Temeswar gefahren, ins Krankenhaus, war hilfsbereit und prompt. Doch so richtig frei und unbeschwert ließ man auch ihn im sozialistischen Rumänien nicht leben, sodass – nach langem Ringen mit sich selbst – der Wunsch nach Freiheit ihn mit Sohn Hans und Anhang 1981 illegal über die Gren-


Leistung und Würdigung ze trieb. Nach dreiwöchiger Haft in Jugoslawien erreichten alle wohlbehalten Nürnberg, hielten – für später – den erträumten Moment der Ankunft im Foto fest. Nach einem Jahr konnte auch Lissi mit Sohn Alfred auswandern, man ließ sich in Gaggenau nieder, arbeitete und sparte fleißig, sodass bald auch das Eigenheim Realität wurde. Überall, wo Sepp Herbst auftrat, herrschte Bombenstimmung, weil er gerne andere unterhielt, für sie Feste organisierte, bei allen gemeinnützigen Unterfangen aktiv mitwirkte: bei der Feuerwehr, in verschiedenen Chören, bei Fasching- und Kerweihbällen, beim Erfassen der Billeder Friedhofsgräber, als Aussiedlerbetreuer in Rastatt. Als Rentner hatte er die Möglichkeit, fast alle Billeder Verstorbenen auf ihrem letzten Weg zu begleiten; in Billed ließ er für sie die Glocken läuten, an die Banater Post schickte er pünklich die Daten zu Heim und Familie: Geburtstage, Hochzeiten, Geburten, Todesfälle. Ohne ihn und seine nette Art, mit Menschen umzugehen, wären die Billeder – und nicht nur sie – ärmer. Ja, auch in Gaggenau nahm er engagiert am öffentlichen Le-

159 ben teil, war in Vereinen tätig, war beliebt bei seinen Mitmenschen, blieb trotzdem bescheiden und ehrlich, hilfsbereit und entgegenkommend. Kraft und Energie, Witz und Humor reichten zuletzt doch nicht aus im Kampf gegen die unerbittliche Krankheit. Zweimal glaubte er, sie besiegt zu haben, doch sie schlug ein drittes Mal zu – da reichte jedes Ankämpfen und Aufbäumen nicht mehr! Dass er zwischendurch noch fleißig aufschrieb, was er dachte und fühlte, was er seiner Familie und seinen Landsleuten, seinen Billedern, noch mit auf den Weg ohne ihn - , geben wollte, werden wir nach und nach veröffentlichen. Er wird auch weiterhin bei uns sein, vergessen werden wir ihn nie! Zum Abschied dankt der Vorstand im Namen der Billeder Gemeinschaft Josef Herbst für all das, was er mit Herzblut für seine Mitmenschen getan hat, auch seiner ganzen Familie, die ihn immer unterstützt und mit ihm gelitten hat und diese Lücke nur schwer verkraften wird. Wir wünschen Trost und Stärke im Gedanken, dass er da war, wir ihn hatten!

Josef Herbst war Gründungsmitglied des Chores der Banater Schwaben aus Rastatt

D

er Chor der Banater Schwaben aus Rastatt wurde 1989 unter der Leitung von Walter Berberich gegründet, hatte seinen ersten Auftritt bei der Weihnachtsfeier in 1989 und hat über die ganzen Jahre seines Bestehens diese Feiern begleitet - wobei Josef Herbst einer der beständigsten und engagiertesten Mitglieder war.

Dr.-Ing. Norbert Neidenbach

Josef Herbst hat bei allen Auftritten des Chores mitgewirkt - so weit es seine Gesundheit zugelassen hat. Er hat bei den Auftritten bei den Bundestreffen, bei Heimattagen, bei Messen, bei den „Tagen der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen, bei Benefizkonzerten und vielen anderen Auftritten mitgewirkt.


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Leistung und Würdigung

Als der Chor, nach dem Bundestreffen in 2011, wegen der fortgeschrittenen Altersstruktur und auch aus privaten Gründen des Chorleiters, seine Aktivitäten beendete, hat Josef Herbst sich sogleich eine andere Möglichkeit der kulturellen Betätigung gefunden und ist dem Chor der Banater Schwaben aus Karlsruhe beigetreten. Aber Josef Herbst hatte seine Freizeit und seine Energie nicht nur dem Chor, sondern auch der sozialen Rolle des Chores und der Landsmannschaftlichen Organisationen in der Banatschwäbischen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Er war - seit 2012 - Mitglied des Vorstandes des Kreisverbandes der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Rastatt und hat sich auch hier sehr en-

gagiert. Er hat aktiv bei Weihnachtsfeiern mitgewirkt, hat Gedichte und weihnachtliche Texte vorgetragen und seine Hilfe und Unterstützung jederzeit angeboten. Und diese war natürlich auch jederzeit willkommen. In den letzten Jahren konnte er zwar - aus gesundheitlichen Gründen - nicht mehr so aktiv mitwirken, wie er es gewünscht hätte, er war dennoch bei den meisten Veranstaltungen mit dabei und hat unseren Verband nach Kräften unterstützt. Der Vorstand des Kreisverbandes Rastatt der Landsmannschaft der Banater Schwaben e. V. hat mit Josef Herbst ein engagiertes Mitglied verloren und spricht seiner Familie sein innigstes Beileid aus.

Die Zeit beim Chor der Banater Schwaben Karlsruhe

Dietmar Giel

N

achdem der Chor der Banater Schwaben Rastatt aufgelöst wurde, schloss sich Josef Herbst am 1. März 2012 dem Chor der Banater Schwaben Karlsruhe an. Obwohl er mit seinen fast 79 Jahren nicht mehr der Jüngste war, nahm er die fast 35 km zwischen Gaggenau und Karlsruhe in Kauf, um immer wieder pünktlich bei den Proben und Auftritten des Chores anwesend zu sein. Seine außergewöhnlich gute Tenorstimme machte sich schnell auch beim Chor der Banater Schwaben Karlsruhe bemerkbar. Auch seine humorvolle Art, mit den Sängerinnen und Sänger sowie dem Publikum umzugehen, war einzigartig. Seine Vorträge bei den verschiedensten Veranstaltungen sind unvergessen und werden uns für immer

in Erinnerung bleiben. Schweren Herzens musste er sich gesundheitsbedingt Ende 2018 vom Chorgesang verabschieden. Er blieb dem Chor jedoch bis zu seinem Lebensende stets verbunden. Die Mitglieder des Chores der Banater Schwaben Karlsruhe sind unsagbar traurig, denn er wird uns fehlen. Da wird immer eine Lücke bleiben, die er stets ausfüllte. Mit ihm sind wir wunderbare Wege gegangen. Wir haben gelacht, gefeiert und gehofft. Er wird ewig in unseren Gedanken, in unseren Erinnerungen und in unseren Herzen sein. Wir werden ihn nicht vergessen und sind ihm für immer dankbar, dass wir ihn bei uns in der Chorgemeinschaft hatten.


Leistung und Würdigung

Billeder bei den Chören Reutlingen, Rastatt, Traunreut, Frankenthal und Karlsruhe haben beim Chortreffen 2011 in Gersthofen sich für ein gemeinsames Gruppenbild aufgestellt. Auf dem Foto von links nach rechts: 1. Reihe: Ruth Schrottmann, Elisabeth Koch, Susanne Ballmann, Maria Muhl, Elisabeth Braun

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2. Reihe: Maria Donawell, Elfriede Mumper, Katharina Senn, Anna Martini 3. Reihe: Magdalena Roos, Irmgard Holzinger-Fröhr, Elisabeth Schwarz, Marlies Holzinger 4. Reihe: Helmut Slavik, Jakob Schrottmann, Hannelore Slavik, Josef Herbst, Peter Mann


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Statistik

Schachmeisterschaft 2020 der Banater Schwaben

D

ie 2015 unter der Schirmherrschaft der Landsmannschaft der Banater Schwaben gestartete Schachmeisterschaft ist 2020 in die 6. Runde gegangen und wurde erfolgreich abgeschlossen. Im Rückblick auf 2020 ist erwähnenswert, dass wieder neue Spieler hinzugekommen sind. Wegen der Corona-Pandemie konnten die meisten Turniere nicht ausgetragen werden. Das einzige Analogturnier fand noch im Februar in Augsburg statt. Darüber wurde in der Banater Post in der Ausgabe vom April berichtet. Es wurde von Bruno Neusatz gewonnen, der sich damit Platz 2 der allgemeinen Rangliste gesichert hat. Angeführt wird die Rangliste, wie auch schon 2017 und 2019, vom FIDE-Meister Karl-Jasmin Muranyi, der in unserem Wettbewerb noch keine Punkte verloren hat. In der Online-Gruppe wurde der Pokalwettbewerb im Ko. System, wie auch die Meisterschaft, in drei Leistungsgruppen aufgeteilt, ausgetragen. In der Online-Meisterschaft konnte Paul Deme seinen Meistertitel von 2019 mit 8:2 Punkten verteidigen. Das Endspiel im Online-Pokal erreichten erneut Eugen Stein und Paul Deme. Nach dem Zwischenstand von 0,5 – 0,5 konnte für das Rückspiel kein Termin gefunden werden. Statistisch wird aber Eugen Stein, der Gewinner von 2019, als Sieger geführt.

Alfred Selpal

Turniere 2020 und die Plätze 1 bis 4

1. 2. 3. 4.

Augsburg 15.02.

Online-Pokal 2020

Bruno Neusatz Lippa Konstantin Tryfon Temeswar Peter Tillger Temeswar Günter Geis Giulweß

Eugen Stein Tolwad Paul Deme Temeswar Reinhold Becker Lenauheim Reinhard Kaiser Kleinjetscha

Online-Meisterschaft Abschlusstabelle 2020

1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5.

Name

Heimatort

Paul Deme Reinhold Becker Eugen Stein Fabian Kowatsch Reinhard Kaiser Raphael Birg B-Gruppe Franz Labling Konstantin Tryfon Werner Staar Jürgen Reingruber Andreas Mihalko Harald Lenhardt C-Gruppe Alfred Selpal Werner Rollinger Günther Kratochwill Simon Göpfrich

Temeswar Lenauheim Tolwad Temeswar Kleinjetscha Georgshausen

A-Gruppe

Stefan Wohlrab

Temeswar Temeswar Birda/Liebling Paulisch Darowa Billed Billed Warjasch/Bakowa Warjasch Sanktanna

Nürnberg


Statistik

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Schachmeisterschaft der Banater Schwaben - Rangliste 2020 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Name Karl-Jasmin Muranyi Bruno Neusatz Paul Deme Dirk Becker Eugen Stein Reinhold Becker Helmuth Hintyes Raphael Birg Silke Becker Nicolas Neusatz Reinhard Kaiser Peter Tillger Friedrich Holiga Andreas Schmitz Fabian Kowatsch Josef Zammer Franz Labling Konstantin Tryfon (U16) Werner Staar Jürgen Reingruber Harald Lenhardt Andreas Mihalko Josef Hermann Josef Reingruber Werner Rollinger Alfred Selpal Gerhard Keller Günther Kratochwill (neu) Lorenz Klug Franz Wissens (neu) Sven Rollinger Simon Göpfrich (neu) Johann Lux Jakob Lulay Werner Keller Nikolaus Tintoi Adam Nover Johann Oster Günter Geis (neu) Franz Gerber Otmar Metzenrath Stefan Wohlrab (neu)

Heimatort Zipar Lippa, Temeswar I. Temeswar III. Lenauheim Tolwad Lenauheim Giulweß Georgshausen Lenauheim Josefsdorf Kleinjetscha Temeswar IV. Reschitza Arad Temeswar Reschitza Temeswar VI. Temeswar I. Birda, Liebling Paulisch Billed (438) Darowa Mercydorf Glogowatz Warjasch, Bakowa Billed (192) Billed (270) Warjasch Neuarad Nitzkydorf Bakowa, Warjasch Sanktanna Ketfel, Perjamosch Guttenbrunn, Temeswar Billed (270) Bogarosch Jahrmarkt Lenauheim Giulweß Nitzkydorf Nitzkydorf Nürnberg

Wohnort Rockenheim Augsburg Ingolstadt Landau (Pfalz) München Landau (Pfalz) Nürnberg Herxheim Landau (Pfalz) München Karlsruhe München Nürnberg Ludwigshafen Bamberg Augsburg Heilbronn Frankfurt Lauf a.d. Pegnitz Paris Karlsruhe Spaichingen Traunreut Gilching Landshut Manching Baar-Ebenhausen Landshut Ingolstadt Augsburg Landshut Nürnberg Ingolstadt Ingolstadt Baar-Ebenhausen Manching Ingolstadt Augsburg Landshut Augsburg Augsburg Nürnberg

Spiele und Turniere 2021

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ür die Meisterschaft 2021 konnten wegen der Corona-Pandemie leider noch keine Analog-Turniere geplant werden. Aber sobald wieder Turniere beschlossen werden können, werden diese auch im Internet unter: www.banater-schwaben.de bekannt gegeben. Eine gute Gelegenheit zum Schachspielen bietet unsere Online-Meisterschaft, die bereits schon neu gestartet wurde, sowie auch der Online-Pokal, der wieder ab dem 1. März ausgetragen wird. Erwähnenswert ist, dass Günther Kratochwill, Vorsitzender der HOG Warjasch, zugesagt hat, in der Organisation mitzuwirken. Die Betreuung der online-B-Gruppe hat er schon übernommen und hat auch zugesagt, sobald die aktuelle Situation es zulässt, in Landshut ein Analogturnier auszurichten. Weitere Teilnehmer aller Leistungsklassen, sowie auch Landsleute, die bei der Organisation von Turnieren und Treffen mithelfen möchten, werden gebeten, sich bei Alfred Selpal unter der Rufnummer: 08459/593660 oder der E-Mail: alfred-selpal@t-online.de zu melden, damit weitere Schachgruppen gegründet und bestehende ausgebaut werden können. Die Regeln zur Meisterschaft sind im Internet unter: heimathaus-billed.de/410 veröffentlicht.


192 33. Ausgabe: Schnappszahl–Ausgabe! E. Martini.....4 Erfassung der Friedhöfe, Werner Gilde . ....................8 Billeder Friedhöfe digitalisiert und durchsuchbar, Ralf Gilde..................................................................9 75 Jahre seit der Deportation in die Sowjetunion, Ines Szuck................................................................12 Erlebnisbericht, Johann Gehl.....................................16 Banater Zeitung-Fest mit schmackhaften Würsten, Siegfried Thiel .........................................22 Stimmen zur WKP 2020, Balthasar Waitz, ..............28 Pipatsch Brotworscht Olympiade...........................30 Allerheiligen, Elisabeth Martini................................32 Gedenkansprache am Billeder Denkmal, Karin Müller-Franzen..............................................34 Münchner Tanzgruppe vermittelt Kindern Banater Brauchtum, Victoria Ziegler.....................36 Lavendelanbau in Billed,Werner Gilde.....................40 Schwäbische Wurzeln durch Ahnenforschung gefunden, Katharina Martini-Cherchi ...................44 „Liebe Elsa, kédvés Imré“, M. A. Astrid Ziegler........52 Auswanderungen aus dem Veischedetal in das österreichisch-ungarische Banat 1763-1788 (Teil 1), Walter Stupperich.......................................66 Banater und Billeder Schatzkästchen im Sauerland, Peter Krier.............................................78 Buwe, was ham-mer heit? Peter Krier.......................84 Ein Stadtmobil in Oxford? Hans-Dieter Hartmann...........................................110 Fischfang im Hausgarten im Hochwasserjahr 1970, Roland Roos.................................................114 Der „kleine Emil“ und der Adam-Onkel, Emanuel Knöbl......................................................117 Ein Tag in Billed, Emanuel Knöbl...........................121 Der alte Schrank und mein 60. Geburtstag, Hermine Schnur ...................................................126

Inhaltsverzeichnis Wer kennt ihn nicht, den Japanischen Schnurbaum? Werner Tobias................................128 Unvergessliches Erlebnis, Erika Redinger...............132 Immer wann ich Paprika ess, Erika Weith..............133 Luschtiche Gschichte, Alfred Selpal........................134 Eiskeller in Billed, Werner Gilde.............................137 Billed - Karlsruhe - Australien, E. Martini............139 Werner Gilde - ein Billeder mit viel Herz und Gemeinschaftssinn, E. Martini, H. Müller..........142 Die „Gottlower Goth“ ist 100 Jahre alt, Anna Schütz..........................................................144 Nachruf: Hundert gelebte Jahre, unsere Susanne Weber, Elisabeth Schulz .........................146 Eva Thöres 100 Jahre alt, Elisabeth Luckhaub.........147 Theresia Weber zum 100. Geburtstag, Adam Csonti..........................................................148 Nachruf für Magdalena Roos, Elisabeth Luckhaub................................................150 Sepp Herbst - Nachruf, Peter Krier.........................152 Josef Herbst - unser lebendiges Einwohneramt, Hans Rothgerber.....................................................154 Nachruf Josef Herbst, Werner Gilde.......................157 Josef Herbst zum Abschied und Gedenken, Elisabeth Martini...................................................158 Josef Herbst war Gründungsmitglied des Chores der Banater Schwaben aus Rastatt, Dr.-Ing. Norbert Neidenbach..................................159 Die Zeit beim Chor der Banater Schwaben Karlsruhe, Dietmar Giel.......................................160 Schachmeisterschaft 2020 der Banater Schwaben, Alfred Selpal...........................................................162 Statistik unserer Billeder Landsleute in Rumänien, Hans Herbst............................................................164 Statistik unserer Landsleute weltweit, Hans Herbst...........................................................166


Kirchweih-Festgottesdienst mit der Billeder Heiderose am 4. Oktober 2020. Foto Adi Ardelean

Die beleuchtete Billeder Hauptgasse in Richtung Alexanderhausen in der Morgendämmerung


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Billeder Heimatblatt 2020

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Die Billeder Kirchenglocken 1918 hatte die Billeder Kirchengemeinde 3 Glocken an die Kriegsindustrie abgeliefert. 1924 wurden 3 neue erworben. 1. Die kleine Ziehglocke (Sterbeglocke), 105 kg, gewidmet von der Schwäbischen Zentralbank A.G. 2. Die Halbmeß-Glocke (Wandlungsglocke), 173 kg, gespen-

det von den Landsleuten aus den USA 3. Die Mittagsglocke (Groß-Neu), 340 kg, Geschenk der Gemeinde Billed. 4. Die Große Glocke (Sonn- und Feiertage) „Die Alte“, 792 kg, von Anton Novotny 1890 in Temeswar gegossen. Quelle: „Billed-Chronik“ von Franz Klein

Billeder Heimatblatt 2020 heimathaus-billed.de

Herausgegeben von der HOG Billed


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