Reinhard Wonner
Orakel am groĂ&#x;en Kulturhintern unserer Zeit Die Zeit vor dem ZKM
Soll man zu Kreuze kriechen oder lieber hinten rein? Es kĂśnnte dunkel, stinkig und schmierig werden. Dahinter steckt ein generelles Dilemma kĂźnstlerischer Berufe. Arbeitsfoto
Reinhard Wonner
Orakel am großen Kulturhintern unserer Zeit Ein Rückblick zwischen Ahnung, Mahnung, Kommentar und Glosse
Bild und Textbuch anlässlich der Ausstellung „Vor dem ZKM“‚ „Projekt 99,9 % und Kunst im Hallenbau 1980 – 1994“ vom 03.10.2010 bis 09.01.2011 im ZKM und MNK 2. OG
www.rwonner.de
Dank an Prof. Peter Weibel für sein Engagement, die Zeit vor dem ZKM in die ZKM-Geschichte und die Jubiläumsausstellung „20 Jahre ZKM“ mit einzubeziehen. Dank an Herrn Dr. Andreas F. Beitin und sein Team für das Zustandekommen und Kuratieren der Ausstellung „Vor dem ZKM, Projekt 99,9% und Kunst im Hallenbau 1980-1994“ im ZKM/ MNK. Dank an Dr. Julia Nill und Hans Rothgerber für die umfangreiche praktische und moralische Unterstützung bei der Realisation dieser Broschüre.
Redaktion: Reinhard Wonner / Fotos: Renate Regner / Layout, Grafik und Satz: Hans Rothgerber Druck: NINO Druck GmbH in Neustadt
Inhalt
Vorwort 5 Die Zeit vor dem ZKM (1980-1993) 7 Die erste Vertreibung 10 Was geblieben ist 11 Projekt 99,9999999999999% 12 Beiträge zur Ausstellung „Vor dem ZKM“ 14 Oberflächenkosmetik und Wellnessmassage 16 Hat sich der Geist vom Fuße des Parnass an den Oberrhein verirrt? 18 Zeiten im Wandel Teil 1 20 Zeiten im Wandel Teil 2 22 Die 80er Jahre 24 Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte 25 Der Traum vom goldenen Westen 26 Brot und Kunst, deutsch-rumänisches Kunstprojekt 34 Brot und Wein, deutsch-rumänisches Kunstprojekt 36 Nach der IWKA - Bilder und Objekte 38 Das Schwarze Loch 45 Teilaspekte 46 Epilog 54 Anekdote und Vita 57
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Neun nach zwölf - Teilansicht aus „Episode und Exodus“ IWKA, Letzter Arbeitsbericht, Mai 1986
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„Nichts hat eine zum Anachronismus gewordene Gesellschaft mehr zu fürchten als die Erkenntnis ihres inneren Zusammenhangs durch diejenigen, die das Interesse und die Macht haben, die Fesseln des Gegenwärtigen zu sprengen und sich ein besseres, den Erfordernissen der Zeit angemessenes Leben einzurichten“ (Friedrich Tomberg, 1970).
Vorwort Die Kunst als Ausdrucksform und Teil der Gesellschaft kann man nicht losgelöst von den ökonomischen Verhältnissen betrachten und auch nicht losgelöst von ihrer Vermittlung oder ihrer Rolle, noch von ihrer Anwendung. Die Kunst kann man auch nicht trennen von der jeweils herrschenden Ideologie der Gesellschaft, deren Teil sie ist. Gegenwärtig könnte man sogar vom Kapitalismus als Religion sprechen, wobei die Kunstmacher die Bischöfe wären und die Künstler die Priester, die die Messe nach vorgegebenem Ritus abhalten. Dieser niedere Klerus ist auch nicht „frei“. Die Künstler sind nur Gäule im Rennstall der anderen.
es nicht mehr an. Wo ein Trend den anderen jagt und ein Mainstream dem anderen folgt, spielt dies keine Rolle. Wo die Vermittler der Kunst, die Kunsthändler und die offiziellen Stellen unermüdlich auf der Suche nach immer neuen Ausgeburten der angestachelten Phantasie Ausschau halten, originelle Einfälle gerühmt werden, der Ruhm den Preis steigert und dieser wiederum den Ruhm, ist das gute Geschäft das angestrebte Ziel. Auf diesen Zug gilt es auf zu springen. In diesem Konzept ist jedoch für Meisterschaft weder Zeit, Platz noch Raum und deshalb auch nicht zu erwarten.
Die jahrhundertelange narrative Tradition in der europäischen Malerei wurde durch die westlichen Modernismen nach dem zweiten Weltkrieg verstärkt abgelehnt und abgelöst. Anhänger der abstrakten, konkreten, Minimal-, und Konzeptkunst etc. wollen keine Geschichten erzählt bekommen, sondern das Kunstwerk selbst-reflexiv in den Mittelpunkt stellen, um dann selber Geschichten darüber zu erzählen. Eine Gegenposition zum sozialistischen Realismus. Mein Zyklus „Zeiten im Wandel“ ist nicht narrativ und erzählt dennoch Geschichten. Als Maler kann man gut oder schlecht malen, aber auch gut und schlecht gleichzeitig. Doch darauf kommt
Meine Beiträge zur Ausstellung mit Material, Pinsel und Farbe sind während der Zeit ihrer Entstehung ohne jede Absicht rein intuitiv passiert. Die schriftlich formulierten Beiträge entstanden erst im Nachhinein beim Reflektieren und Betrachten dessen, was entstanden war. Das Unterbewusstsein mischt und malt mit. Für das, was dabei herauskommt, ist man nicht unbedingt in vollem Umfang verantwortlich. Das von mir schriftlich Formulierte ist nur eine von vielen Möglichkeiten, mit dem von mir im Bild und als Bild Formulierten umzugehen. Reinhard Wonner, im Januar 2010
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Installation (diverse Materialien und Utensilien, 10x50x100m) im Herbst 1986 gewidmet meinem Zweifeln und Verzweifeln an der Kunst- und Kulturszene, sowie der lokalen Kulturpolitik mit ihren getarnten Unterdrückungs- und Disziplinierungsmechanismen. Eine Huldigung an das ewige Gerangele um die „Schürfrechte“ am großen Kulturhintern unserer Zeit..
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Zur Problematik des Schürfrechteerwerbs am großen Kulturhintern unserer Zeit Vom 29. Mai bis 1. Juni 1986 fand im Badischen Kunstverein in Karlsruhe ein Kolloquium zum Thema „Rolle der Akademien und kulturelles Bewusstsein in unserer Gesellschaft“ statt. Geladen hatte Herr Professor Hajek, zu Wort kamen namhafte Vertreter der Kunst- und Kulturszene des ganzen Bundesgebiets sowie auch internationale Kapazitäten. Bemerkenswert war, dass fast auf der ganzen Linie die Eitelkeit über die Zeitgenossen siegte. Besonders viel Mühe gaben sich die Kulturpolitiker, und es war geplant, dieses Kolloquium aufzuzeichnen und zu veröffentlichen. Weil alles so schön war, drängte es mich zu einer Neuinszenierung mit einer Auswahl selbst aufgezeichneter Vortrags- und Diskussionsbeiträge. So entstand auf dem IWKA-Gelände im Herbst 1986 meine Installation „Zur Problematik des Schürfrechteerwerbs am großen Kulturhintern unserer Zeit“ (Abbildungen S. 6-10). Im Anus war ein Lautsprecher installiert. Am 28. September 1986 kamen dann all diese eitlen Zeitgenossen durch den sprechenden Kulturhintern ein zweites mal zu Wort, und sie hatten hier viel mehr Publikum als ein halbes Jahr zuvor bei ihrer eigenen Veranstaltung im Badischen Kunstverein. Aus einem der schönsten Beiträge der Veranstaltung vom 29.5. bis 1.6.1986 möchte ich hier repräsentativ einen Ausschnitt wiedergeben: „...Laut Artikel 5 des Grundgesetzes ist die Kunst frei ... der Staat ist danach verpflichtet, die Autonomie der Kunst und des Kulturbereichs zu achten und in Ausübung eines Wächteramtes vor unrechtmäßigen Eingriffen Dritter zu schützen ... ich meine, dass die Kunstförderungspolitik, wie sie unser Land betreibt, eine legitime Entwicklung darstellt, in der neben die Neutralität des Staates gegenüber der Kunst, die Solidarität des Staates mit der Kunst gestellt wird. ... Will der Staat auf jede Art der Kunstförderung verzichten, wäre die Kunst dem ihr wesensfremden Prinzip der ökonomischen Rentabilität ausgeliefert. Weite Bereiche der Kunst, die keinen Markt finden, könnten sich gar nicht entwickeln, oder sie
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müssten früher oder später untergehen. Dem kann nur durch eine Solidarität des Staates mit der Kunst abgeholfen werden. Zwischen diesen beiden Prinzipien der Neutralität und der Solidarität besteht ein dialektisches Spannungsverhältnis. Der Staat, der fördert, ist in Gefahr, zum Kunstrichter zu werden, der den Grundsatz der Neutralität eben dadurch verletzt, dass er versucht, über Förderungspolitik inhaltlich auf die Kunst Einfluss zu nehmen. Gerade das darf aber nicht geschehen. Der Staat aber muss der Kunst Freiräume schaffen, er darf nicht in sie eingreifen. ... Die Freiheit, vor allem im Umgang mit sich selbst und der je eigenen Art von Hervorbringungen, diese Freiheit ist die wichtigste Bedingung der künstlerischen Existenz gerade auch dann, wenn deren Hervorbringungen als Einbringungen in die Gesellschaft verstanden werden sollen. ... Ohne die freie Kunst keine freie Gesellschaft, ohne freie Gesellschaft keine Freiheit in der Kunst. Der Freiraum, der der Kunst in einem Staatswesen zukommt, ist eben ein Barometer, an dem besser und exakter als an den meisten anderen Maßstäben abgelesen werden kann, wie freiheitlich ein Staatswesen ist...“ Gustav Wabro, Staatssekretär, Bevollmächtigter des Landes BadenWürttemberg beim Bund am 29. Mai 1986 im Badischen Kunstverein in Karlsruhe.
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8 Installation „Zur Problematik des Schürfrechteerwerbs am großen Kulturhintern unserer Zeit“ Legende 1. Erfolgsleiter 2. Der ausgehauchte „Geist“ kommt aus einem Lautsprecher 3. Grab- und Schürfgeräte stehen bereit 4. Wannen und Eimer 5. Transport- und Schubkarren 6. Siebstationen 7. Haufen und Häufchen 8. Bereits tiefer als 3 Meter in kontaminierten Schichten 9. Schutt und Stützmaterialien bleiben zurück 10. Für Erfolg und Misserfolg stehen Verpackungskisten zum Abtransport bereit
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Ansicht mit Kulturhintern 1986. Foto: Jörg Reimann
Die erste Vertreibung Das Gesamt-Programm hieß „IWKA - Kunstraum bis zum Abriss“ und wurde anschließend weitgehend unbeachtet und unreflektiert nieder gebaggert. Das Problem war aber damit für die Stadtverwaltung nicht gelöst. Mit „99,99% aus leerem Raum“ ging es weiter. Die „Landnahme“ des Hauptgebäudes (Bau A, heute ZKM) wurde vorbereitet.
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Foto: Ansicht heute mit dem Gebäude der Arbeitsagentur (links) und der Generalbundesanwaltschaft (rechts)
Die Gase des Berges, das Stigma der gezogenen Arschkarte und der Geist der Justiz Den Kulturhintern aus dem Weg zu räumen, war einfach. Dem Ort haftet jedoch Orakelhaftes an. Welch ein Zufall, dass exakt hier, wo einst ein Organ „Schürfrechte“ erörterte und kommentierte, heute ein Organ der obersten bundesdeutschen Justiz, die Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, residiert! Genau an der Stelle, an der die Claims abgesteckt waren und wo geschürft, geschaufelt und gesiebt wurde, ist heute ein öffentlicher Raum, ein „Durchgang“ für Passanten (und Studenten der HfG).
Ob man das Orakel zu den Chancen befragen soll? Welch ein Zufall, dass gegenüber - exakt außerhalb der damals abgesteckten „Claims“ - der Neubau der Bundesagentur für Arbeit steht, ein ominöser Ort, an dem Harz IV und Arbeitslosigkeit verwaltet wird. Dort krächzt Pythias Stimme, schon ganz heiser geworden. „Oh Wehe, oh dreimal Wehe, warum musstet ihr bloß diese Arschkarte zieh‘n!“
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Projekt 99,999999999% Die große Maschinenorgel aus dem Projekt „99,9999999999999 % aus leerem Raum“ (18 m breit, 15 m hoch, 3 m tief ) bildete mit ihren Maschinenrhythmen die akustische Basis für die TAMUTETanzperformance*. Sie wurde im Zuge der Umbaumaßnahmen zum ZKM verschrottet. Zunächst war ein Ankauf im Gespräch, später kein Geld für die Einlagerung vorgesehen, dann geriet alles in Vergessenheit. Nach 99,999999999% aus leerem Raum und durch unsere kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit war der Boden für ein Umdenken vorbereitet. Im Herbst 1989 kamen die Etablierten und die Institutionen. Nach dem Verlauf erster Gespräche war mir klar (ich komme schließlich aus dem Osten), dass im neuen Konzept für uns kein Platz vorgesehen war und ich stieg noch im Herbst 1989 aus. Es bildete sich die Initiative „Kunstraum IWKA 1989-1993“ (mehr darüber im Katalog „99,99 % und mehr“). Eine zweite Vertreibung erfolgte 1994. Die „Atelierkünstler“ wurden Hinter den Hauptbahnhof umgesiedelt; ich für meinen Teil vermisste dort die Weitläufigkeit der IWKA und war durch die Enge der neuen Ateliers in meinen Arbeitsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Die dritte Vertreibung fand ca. zwei Jahre später statt. Nach zähem Widerstand wurde Georg Schalla in den ausgedienten Ochsenstall in den Karlsruher Schlachthof verbannt. (In die unmittelbare Nachbarschaft der noch betriebenen Schweineställe!!!) Gustav Wabro und das Orakel lassen grüßen. * Katalog „99,9% und mehr“ von J. Reimann, Künstler Gruppenprojekte „vor“ dem ZKM, Peter Weibel, ZKM (Hg.) ISBN 13978-3-928201-37-7
Die große Maschinenorgel Foto: Jörg Reimann
14 | Beiträge zur Ausstellung „Vor dem ZKM“
Zeiten im Wandel Teil 1 und Teil 2 Polyptychon, zwei mal 18 Leinwände, Mischtechnik, jeweils 100x140 cm Als Beitrag im Rahmen der Ausstellung „Vor dem ZKM“ konnte ich mich weder bezüglich der Maschinenorgel noch bezüglich der Installation zum Thema „Schürfrechte“ auf eine Fotodokumentation beschränken. Hinsichtlich der Maschinenorgel käme das einer mehrfachen Verstümmelung gleich. Sie war ein tragendes, in die Treppenhausarchitektur integriertes, optisches Teil der Gesamtinszenierung und bildete mit ihren Maschinenrhythmen die Im Atelier
akustische Basis zur Tamute-Performance und auch darüber hinaus. Sie wurde im Zuge der Umbaumaßnahmen zum ZKM zerstört. Ähnliches gilt auch für die Installation mit dem Kulturhintern, die das ewige Gerangele um den Erwerb von Schürfrechten in Gesellschaft und Staat thematisiert. Eine Fotodokumentation erschien mir hier viel zu reizlos. Auch die Stimmung und das Ambiente käme dadurch nicht ‘rüber. Die Atmosphäre des Grabungs-
Beiträge zur Ausstellung „Vor dem ZKM“ | 15
feldes mit den abgesteckten Claims, innerhalb derer gegraben, geschaufelt und gesiebt wurde, mit dem als sprechendes Orakel kommentierenden und mahnenden Kulturhintern im Hintergrund, das alles ginge verloren. Deshalb entschied ich mich für eine „Rekonstruktion“ mit Pinsel und Farbe, erweiterte das Thema und schlug einen Bogen zur Situation heute. Ein weiterer Reiz bestand darin, in einem viel zu kleinen Atelier Bilder zu malen, die deutlich größer sind als das Atelier selbst und das Gesamtergebnis selbst nicht früher zu sehen als die Besucher der Ausstellung. So entstand 2008/2009 das 72-teilige Polyptychon „Schürfrechte
und Zeiten im Wandel vom Fall der Mauer bis zur Bauchlandung des Kapitalismus“ (Abbildungen Seite 16, 18, 20, 22). Zweiundsiebzig „Teilaspekte“ fügen sich über vier Bilder, bestehend aus jeweils 18 Leinwänden mit den Maßen 100x140 cm, zu einem Ganzen von 100m² zusammen und sind sowohl inhaltlich als auch formal eine Persiflage. „Dekonstruktiviert“ oder anders zusammengestellt haben die Bilder jeweils andere Titel (siehe auch Seiten 16-22). Zweifellos fehlt uns der Überblick. Die technischen Möglichkeiten übersteigen bei weitem das, was die in unserem Hirn mit eingewachsenen Denkfehler erlauben.
Zum Bild rechts (s. Abb. unten) könnte z.B. der Titel „Dösende Kulturszene im kapitalistischen Herbst“ gut passen. (Entschuldigung, nur ein kleiner Scherz.)
16 | Beiträge zur Ausstellung „Vor dem ZKM“
Der Kulturhintern als Detailansicht Polyptychon, Mischtechnik, 420x600 cm, 18 Leinwände je 100x140 cm Aktiver Künstler betreibt Oberflächenkosmetik und Wellnessmassage Es stellt sich die Frage, ob man sich dabei mit Ruhm bekleckert oder nur schlicht und einfach einsaut.
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Der „Meister“ am Werk Teilaspekt 2B Mischtechnik auf Leinwand 140x100 cm
18 | Beiträge zur Ausstellung „Vor dem ZKM“
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Was hat Kunst und Künstler mit Gold und Goldgräbern zu tun? Wie werden heute die Claims abgesteckt und die Schürfrechte vergeben?
Hat sich der Geist vom Fuße des Parnass an den Oberrhein verirrt? Polyptychon, Mischtechnik, 420x600 cm, 18 Leinwände je 100x140 cm Gesamtansicht mit Hallenbau A im Hintergrund Der Abriss des IWKA-Hallenbaus A war Anfang der 80er Jahre im Rathaus mehrfach und endgültig beschlossen worden. Aufgrund des Drucks durch die künstlerischen Aktivitäten gab es dort zunächst ab 1987 als Zwischenlösung etwa 30 Ateliers für Akademieabsolventen. Nachdem wir, die Projektgruppe 99,9%, den Boden vorbereitet hatten, setzten sich namhafte Persönlichkeiten und Institutionen ebenfalls für den Erhalt und eine interdisziplinäre kulturelle Nutzung des Hallenbaus ein (Heinrich Klotz, Daniel Cohn-Bendit, Wolfgang Rihm, Andreas Vohwinkel, SWR, Deutscher Werkbund - um nur einige zu nennen)*. Unter diesem Druck fand ein Umdenken statt, dem sich die Politik beugen musste. Der Hallenbau A wurde nicht abgerissen. Inzwischen ist er weltbekannt und zum kulturellen Wahrzeichen der Stadt geworden. Er beherbergt heute die Städtische Galerie, das ZKM, die HfG und das MNK. * Weitere Informationen im Katalog „99,9 % und mehr“ von Jörg Reimann, herausgegeben von Peter Weibel anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des ZKM, ISBN-13978-3-928201-37-7
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Zeiten im Wandel Teil 1, die Globalisierung Polyptychon, Mischtechnik, 420x600 cm, 18 Leinwände je 100x140 cm Der Schutzengel des Kapitalismus und der westlichen Zivilisation schwebt auf der Wolke der Rechtsstaatlichkeit und des Glaubensbekenntnisses zum ewigen wirtschaftlichen Wachstum mitten ins Bildgeschehen hinein. Er wirkt im Schlaf unterstützend an der Gestaltung der Weltordnung mit. Der Sozialismus liegt bereits in Trümmern am Boden, die soziale Marktwirtschaft, die (ehemalige) Alternative zum Zustand östlich der Mauer, wird nicht mehr gebraucht und schrittweise „umgebaut“. Die linke Arschbacke ist vom Bagger bereits angeknabbert, die Verankerung aus der Wand gerissen, beim nächsten Stoß kann alles hinter einer Staubwolke verschwinden. Auf der „Baustelle“ gibt es viel um-, ab- und aufzuräumen. Die Globalisierung ist in vollem Gange... Die Justitia in der Engelsfigur ist im Vergleich zur klassischen Darstellung männlicher und korpulenter geworden. Sie steht nicht aufrecht, hat die Augen nicht verbunden, sondern geschlossen. Sie döst auf ihrer Wolke vor sich hin und die Waage des Rechts und der Gerechtigkeit pendelt am dicken Zeh. Sie lässt sich genau an dem Ort einen Palast bauen (siehe Abb. S. 10/11), an dem es einst symbolisch in einem Kunstprojekt um Schürfrechte und um das Abstecken von Claims in einer freien und offenen Gesellschaft ging. Es geht nicht nur um den Kulturhintern an sich, sondern viel mehr um das davor liegende Grabungsfeld, um Gräben, Siebe, Steine, Schutt, um Stacheldraht, Ressourcen, Tendenzen, Bildungschancen etc. Und auch darum, was Künstler mit Goldgräbern verbindet und auch trennt.
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Zeiten im Wandel Teil zwei, die Bauchlandung Polyptychon, Mischtechnik, 420x600 cm, 18 Leinwände je 100x140 cm Die aktuelle und kommende Situation: Der Mauerfall liegt 20 Jahre zurück, die Landschaften haben bereits geblüht, die Globalisierung hat geklappt, die Krise ist zum wiederholten Male dabei, sich selbst zu überwinden. Der Engel hat in der Dynamik des Wirtschaftsbeschleunigungsgesetzes die Flügel verloren und sein Nimbus hat sich leicht verflüchtigt. Dieser Schutzengel ist inzwischen älter, träger und vor allem noch fetter geworden und hat in der Realität des „neoliberalen“, kapitalistischen Herbstes eine auf Daunen gebettete Bauchlandung vollzogen. Wenn er nicht bald die Augen öffnet und in letzter Minute noch heftig die Notbremse zieht, kann es durchaus passieren, dass er vor lauter Schwung über den rechten Bildrand hinaus rutscht und so aus Versehen für immer von der Bildfläche verschwindet... Der Engel präsentiert sich in der Tradition der christlichen Ikonografie als Mensch, so wie Gott ihn schuf (und nicht nur Mc Donalds ihn formte). Die psychische und geistige Deformation fällt dabei nicht geringer aus. Sie hat viele Gesichter und ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
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Die 80er Jahre im Rückblick, die Wende, die Jahrtausendwende und die Wende danach Bereits Anfang der 80er Jahre war für mich als Migrant aus dem Osten und durch die vielen regelmäßigen Besuche dort eindeutig klar (die Symptome waren rein optisch nicht zu übersehen), dass der Sozialismus am Ende war. Dieses Ende wurde dann durch den Fall der Mauer offiziell, und der Kapitalismus feierte sich als der große Sieger. Welch ein Trugschluss! Er war lediglich übrig geblieben und bekam durch die neuen Umstände neuen Auftrieb. Ein System, wo etwa Babys, Kinder, Frauen, Lebern und Nieren als Rohstoff ein ganz normales Handelsgut sind, die Menschen bis an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit eingespannt werden und dabei noch meinen, frei zu sein, und wenn selbst in einem Rechtsstaat die Rechtsprechung zur pekuniären Verhandlungssache wird, spricht zwar für einen Sieg des Kapitalismus; es gibt jedoch keinen wirklichen Grund zum Feiern. Die systemverherrlichenden Parolen des Ostens kannte ich hinreichend. Sie waren plump und haben, wie alles andere dort auch, wegen Qualitätsmangel eigentlich nie richtig funktioniert. Dagegen funktioniert die Propagandamaschinerie des Westens bestens. Äußerst raffiniert und verlogen kommt sie unter einer perfekten Tarnkappe daher, eine gigantische Kampagne, die allumfassend im öffentlichen Meinungsbildungsprozess das Bewusstsein vernebelt. Während man im Osten als Künstler seinen Arsch für die Staatspropaganda hinhalten musste, sind im Westen die Möglichkeiten einer Karriere bedeutend vielfältiger. Die Nähe zum Prostitutionsgewerbe ist jedoch die gleiche. Man wählt sie sogar selbstbestimmt in freier Entscheidung. Die Verheißung von Spaß und Konsum ist enorm. Wenn sich die Kunst und die Künstler widerstandslos auf ein Label reduzieren lassen, die Künstler nur noch in Richtung Weihen des Marktes schielen, ist die Kunst nichts weiter als eine Dienerin im Hause der kollektiven Langeweile auf gehobenem Niveau und eine gefügige Ware für den Markt. Ohne Ambivalenz und ohne jeden Stachel ist sie langweilig und belanglos. Das wirklich Spannende sind hier nur noch die Preise. Sie machen die Kunst.
Die sehr verbreitete Unterwürfigkeit der Künstler unter das Diktat des Marktes und die buckelnde Haltung gegenüber dem Hochmut der Preise und Stipendien vergebenden Instanzen ist ein beklagenswerter Zustand. Diszipliniert steht man vor dem Laden Schlange so wie der schmachtende Ossi, wenn es gelegentlich mal Westware zu kaufen gab. Im Osten gab es die angepassten, hoch dekorierten großen und kleinen Staatskünstler, im Westen gibt es von „groß“ bis „klein“ die privatisierte Variante davon. Die Politik hat lediglich den Spielraum, den die Wirtschaft ihr einräumt. Der Druck wird steigen, das Hamsterrad schneller. Man hört bereits heute schon gelegentlich ein Quietschen. Bald werden die Schmiermittel nicht mehr ausreichen, um das Volk als Verbraucher bei der Stange zu halten und als Stimmvieh der Parteien für die Interessen des Wirtschaftssystems zu funktionalisieren. Es wird auf die Straßen gehen und durch das Kundtun seines Unmuts zum Bürger werden. Leider ist zu befürchten, dass es nicht so glimpflich abgehen wird wie im Osten vor 20 Jahren. Die Mächtigen von heute haben wesentlich mehr zu verlieren als die Ostbonzen von einst. Die Ressource Mensch ist am Limit angekommen, das System auf der ganzen Linie überreizt, das Wachstumsdogma am Ende. Überall ist es zu sehen, aber nirgends zu fassen. Das ist ein Prinzip. Das „DIE DA OBEN“ ist ein schlüpfriges Abstraktum, das nicht konkret festgemacht werden kann und sich geschickt jeder Identität entzieht. Jede Zukunft hat aber eine lange Vergangenheit und abgesehen vom Klimawandel kann man beobachten, dass der Hass der Völker, gegen die der Westen einen immer schärferen wirtschaftlichen Weltkrieg führt, zunimmt und diese sich allmählich zu wehren beginnen. Die Zukunft ist bereits passiert. Reinhard Wonner, Karlsruhe, im Februar 2008
Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte | 25 Aus der Serie
Eine unter dem Druck zu heftigen Denkens geplatzte Idee Acryl auf Leinwand, 100x100 cm
26 | In der IWKA - Skulpturen und Objekte
Sockel 100x100x150 mm Gold 18 Karat, 2045 Gramm HundescheiĂ&#x;e mineralisiert, 69 Gramm Gesamtgewicht 2114 Gramm
Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte | 27
Der Traum vom goldenen Westen Im Dezember 1989, als die letzte Bastion des real existierenden Sozialismus in Europa mit dem Sturz des Ceausescu-Regimes fällt, entsteht die Idee zu diesem Objekt. Persönlich nimmt es auch Bezug zum Exodus der Siebenbürger Sachsen, die Anfang der 1990er Jahre so gut wie alle ihrer angestammten Heimat den Rücken kehrten, eine Kulturlandschaft, die sie über 800 Jahre lang geprägt hatten. Was der Tatarensturm 1241, die osmanische Bedrohung über Jahrhunderte, die so genannten „Agrarreformen“, Russlanddeportation usw. nicht schaffte, das schafften die letzten Jahre eines sprichwörtlichen Hundelebens unter dem sozialistischen Ceausescu-Regime in Verbindung mit den Verwandtenbesuchen aus der BRD und der Verblendung durch die westlichkapitalistische Illusionsindustrie. Es war wie ein Virus und die Flucht vor einer Epidemie. Die Hoffnungslosigkeit war groß, und die Vorstellung bzw. die bildliche Metapher vom Leben als eine Art Hühnerleiter, deren unterste Sprosse in der Hölle stand, die zweite Rumänien war und über die dritte nach Deutschland direkt in den Himmel führt, hatte sich in den Köpfen festgesetzt und keiner wollte bei diesem Lauf in das gelobte Land der Letzte sein. Vor dem Fall der Mauer war es nicht nur der Traum von der Freiheit, der die Menschen im Osten sogar unter Einsatz ihres Lebens zur Flucht trieb, wie es gerne in den westlichen Medien dargestellt wird. Der Faktor ‚kapitalistische Illusionsindustrie’ wird dabei völlig unterschlagen. Nach dem Fall der Mauer setzte allgemein eine Abwanderung, vor allem auch aus der ehemaligen DDR in Richtung Westen ein, und besonders für die daheim Gebliebenen sind viele Hoffnungen und Erwartungen auf der Strecke geblieben. Nicht zu vergessen die Beutezüge der Schnäppchenjäger aus dem Westen, die besonders in Ostdeutschland wüteten und denen so manches zum Opfer fiel... „Der Traum vom goldenen Westen“ fand (sozusagen als „künstlerische Verdichtung“) vor 20 Jahren auch in meinem damaligen Atelier in der IWKA (heute ZKM bzw. Städtische Galerie) über das Material zur Form. Dabei handelt es sich um ein objet trouvé, eine mineralisierte, ca. sieben Dekagramm schwere Hundescheiße aus der Puszta aus „gulaschkommunistischer“ Zeit auf einem gewichtsmäßig ca.
30 mal schwereren Sockel aus 18-karätigem Gold. Der Sockel, 100x100x150 mm ist hochglanzpoliert und stellt im weitesten Sinne ein Spiegelbild dar. Sowohl der Kunstfreund als auch der kritische Betrachter kann sich darin finden. Das Kunstwerk auf dem Sockel und sein Spiegelbild kann je nach Standpunkt von allen Seiten wunderbar in Augenschein genommen werden. Es ist ein Sinnbild pluralistisch-dialektischer, demokratischer Betrachtungsweise. Je nach Klientel sind die Argumente einsichtig oder auch das genaue Gegenteil davon. Erwähnt sei hier am Rande als Beispiel im Kunstbereich die Tatsache, dass alles, was vor der Wende keine Kunst und keine müde Mark wert war, unmittelbar danach, durch einen Ritterschlag des Marktes auf einen Sockel gehoben, plötzlich „Kunst“ wurde. Danach konnte der ganze sozialistisch-realistische Müll auf dem westlichen Kunstmarkt zu Höchstpreisen gehandelt werden - und war dann auch bald vergriffen... Der reine Materialwert des Sockels beträgt bei aktuellem Börsenkurs ca. 60.000 Euro. Unabhängig davon und auch unabhängig einer Bewertung durch Experten jeglicher Couleur wird mittelund langfristig der Wert steigen, selbst wenn ihm der „künstlerische Wert“ vollkommen abgesprochen werden sollte. Dafür sorgt alleine schon der MIF (Material-Input-Faktor, siehe z.B. Friedrich Schmidt-Bleek), der den Naturverbrauch darstellt. (Pro Gramm gewonnenes Gold wird in den derzeitigen Abbaugebieten im Schnitt mehr als 5 Tonnen Erdreich verschoben. Der Großteil der modernen Goldgräber lebt unter erbärmlichsten Bedingungen ein „Hundeleben“; Kilo-Moto, Südostasien etc.) Zweifellos ist auch eine Neubewertung der Leistungen der Natur sowie der Arbeit des Menschen erforderlich und eine radikale Erhöhung der Ressourcenproduktivität unumgänglich. Die formal auf das Wesentliche reduzierte Darstellung des Sujets basiert in der Hauptsache auf einem im „historischen Kontext“ so (sowohl haptisch wie optisch) noch nicht präsentierten Materialkontrast, wobei das, was auf dem Sockel liegt, zweifellos die ästhetisch anspruchsvollere Komponente darstellt. Das Spiegelbild gibt Raum für vielerlei Deutungsansätze.
28 | Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte
FrĂźchte Stahl 3 mm getrieben geschmiedet geschweiĂ&#x;t Finanzamt Ettlingen
Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte | 29
Aus der Serie „Sockelgeschwüre“ Relation zwischen Kunst, Sockel und Geschwüren Vorder- und Rückansicht Stahl 3 mm getrieben geschmiedet geschweißt, 50x50x125 cm
30 | Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte
Doppelform Kupferrelief im Stahlrahmen Kupfer 3 mm, getrieben Stahl 3 mm, getrieben geschmiedet geschweiĂ&#x;t, 70x70 cm Privatbesitz
Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte | 31
Beamtenhintern in Schwarz Rot Gold Beton blattvergoldet, rotes Lederkissen, schwarzer Sockel 50x50x100 cm Das Pendant zum „Betonkopf“ im Osten, ist im Westen der bundesrepublikanische Beamtenhintern. Mit diesem Teil bestreitet man für sich und seine Familie den Lebensunterhalt und wenn es sein muss, kann man damit alle Dienstaltersstufen bis zur Pensionierung aussitzen. Der Horizont („Gesichtskreis“) kann zum Gesäßkreis werden, wenn Weisungsgebundenheit Vernünftiges verhindert. Hier sehen wir den Abdruck eines Hinterteils mitsamt Stuhlumrandung, Kerbe und Bügelfalte. Bei genauem Hinschauen kann man auch sehen, dass irgendwo der Wurm drin ist. Trotzdem ist das alles goldrichtig und Gold wert.
32 | Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte
Phimose am erweiterten Kunstbegriff Hommage an Joseph Beuys Kohle Jute Gummi Luft, 120x120x50 cm als Wandaktie im Goldrahmen
Die Zeit in der IWKA - Bilder und Objekte | 33
Der Trittbrettfahrer vierteiliges Polyptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 150x150 cm
34 | Ost-West-Projekte
An der S채ule des Wohlstands
Ost-West-Projekte | 35
Brot und Kunst Deutsch-rumänische Kunstaktion, Teil 1 am 11.04.1992 in der Waldstraße in Karlsruhe Konzeption und Ablauf Diese Aktion - mit dem zentralen Thema Brot - zeigt die Problematik der im Überfluss lebenden westlichen Konsumgesellschaft auf und stellt ihr die durch Krisen und Misswirtschaft des ehemaligen Systems hervorgerufene Mangelsituation der Gesellschaft im Osten gegenüber. Gleichzeitig greift sie die gegenwärtigen Umgestaltungstendenzen auf. Es ist nicht die Aufgabe der Kunst, hier mögliche Wege aufzuzeigen, sondern über plastische Ausdrucksformen durch individuelle Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung einen Beitrag zu leisten. Der Wohlstandsturm, aus Brot gemauert, zentral platziert, wird zum tragenden Pfeiler der Innenhofarchitektur. Im Hof rund um den Wohlstandsturm (der bereits leicht bröckelt, siehe Foto) liegt auf dem Boden ebenfalls Brot verteilt. In der Ostecke des Hofes steht antithetisch das Symbol des ehemaligen Ostblocks. Während der Performance wird dieses zerstört und mit den noch „brauchbaren“ eigenen Elementen und „Anleihen“ aus dem „Westen“ ein Wiederaufbau-Versuch angedeutet. Parallel dazu findet in der „westlichen Ecke“ eine Versteigerung mit folgendem Inhalt statt: „Die Kunst erhält ihre Form durch die Materie, ihr Inhalt jedoch ist immateriell“. Idee - Gefühl - Zeitgeist. Wir wollen bei dieser Aktion den ideellen Wert der Kunst gegenüber ihrem materiellen betonen. Bei der Versteigerung wird das Brot weder als Lebensmittel noch als ästhetische Ware feilgeboten, sondern symbolisch in seinem weitesten Sinne. Durch den
Erwerb eines dieser Brotlaibe haben die Besucher (die Steigernden) die Gelegenheit, über das Materielle hinaus am Ideellen dieser Arbeit teil zu haben. Dabei handelt es sich trotz des optischen Widerspruchs um „brotlose Kunst“. Der Erlös dieser Auktion soll daher je nach Höhe des erzielten Betrages verwendet werden: DM 0,00 bis DM 500,- Spende an das Kulturreferat der Stadt Karlsruhe. DM 500,- bis DM 1.000,Rückführung der Materie Kunst in den natürlichen Kreislauf, das heißt Verwendung für Künstler und Schweine. über DM 1.000,Spende an „Brot für die Welt“. Redaktionelle Anmerkung nach der Performance: Die Besucher quittierten die „Brotkunst“ mit Aufregung, Schock bis Gleichgültigkeit und von Kopfschütteln bis Fußballspielen - je nach Alter oder eigenem geschichtlichen Hintergrund. Das Geld der Versteigerung landete ganz knapp in Sparte 2. All zu gerne hätte ich dem Kulturreferat eine Spende gemacht, die Künstlerkollegen jedoch steigerten zum Schluss noch kräftig mit, bis der Betrag die 500 DM-Hürde überschritt. Offenbar gönnten viele Kollegen und Kunstfreunde der Stadt und dem Kulturreferat (damals Dr. Michael Heck) für deren praktizierte Kulturförderung keine müde Mark. Karlsruhe, im April 1992, Reinhard Wonner, Marcel Bunea
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Brot und Wein Jenseits von Happening und Performance Deutsch-rumänische Kunstaktion, Teil 2 am 30.10.1992 im Nationaltheater in Bukarest (Reinhard Wonner, Marcel Bunea) Die traditionellen Formen der Kunst haben es sehr schwer, künstlerische Absichten zu vermitteln. Die modernen Formen der Kunst entfernen sich immer mehr vom Leben. Die Präsentationsorte der Kunst nehmen schon fast Bordellcharakter an, bei denen der Besucher den intellektuellen Flirt mit den Ferkeleien des Kunstschaffenden sucht. Unsere Aktion ist ein Versuch, den Tendenzen dieser elitären Spielplätze etwas entgegen zu stellen. Wir wollen sowohl gegen die Mentalitäten der Künstler als auch gegen die der Rezipienten angehen. Wir werfen erneut die Frage auf, was Kunst ist oder nicht ist. Im Ost-West-Dialog versuchen wir, die Grenzen beim Künstler, beim Betrachter und dem Präsentationsort gleichzeitig neu zu definieren. Unser Projekt reiht sich zwar in einen christlichen Rahmen ein, soll aber nicht im Bereich des Dogmatischen stecken bleiben, sondern sich ganz universell öffnen. Der künstlerische Akt wird durch den Bereich des Humanitären und Christlich-Symbolischen, der hier Teil des Künstlerischen ist, erweitert. Ablauf Im großen Ausstellungssaal des Nationaltheaters Bukarest werden 5000 Laib Brot (Speisung der 5000, Math. 14, 13-20) auf einem großen weißen Tuch in Kreuzform gestapelt angeordnet. An der Stirnseite in Verlängerung des Kreuzes (Situation Altar/Altarbild)
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und mit dessen Quermaß von 2 m hängt ein „Pixel-Bild“ aus Weingläsern (365 Gläser , unterschiedlich mit Rot und Rosé gefüllt, in quadratischer Anordnung, gerahmt). Am Abend der „Vernissage“ wird den Anwesenden nach einer Einführungsrede von Calin Dan, Kunstkritiker und Chefredakteur der Zeitschrift Arta, des Schriftstellers Gheorghe Iava, Bukarest, und des Dichters Helmut Britz, Chefredakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, Bukarest, Brot und Wein gereicht. Am nächsten Morgen wird das restliche Brot dem Kinderheim Strada Austrului, Bukarest 2, sowie den Altenheimen Strada Floarea Rosie Nr. 7 A, Bukarest 6, und Strada Barbu Delavrancea, Bukarest 1, überreicht. Rückblick und Resonanz Am 30.10.1992 kamen über 2000 Besucher in den runden Saal zu unserer Vernissage ins Nationaltheater. Neben den offiziell eingeladenen Rednern meldeten sich auch mehrere orthodoxe Priester und der Direktor der Brotfabrik spontan mit beeindruckenden Beiträgen zu Wort. Damals fand parallel dazu eine Etage höher auch die vom Auswärtigen Amt in Bonn finanzierte Ausstellung „12 deutsche Maler, Malerei auf Papier“ (Lüpertz, Klauke, Polke, Penk, Egl, Stöhrer, Graubner, Buthe, Theler, Knöller, Knöbel, Schumacher) statt. Wir hatten den Koryphäen voll die Show gestohlen. Zwei nationale Fernsehsender und über 20 Zeitungen berichteten zum Teil mehrfach darüber und lösten eine unerwartet lebhafte Diskussion aus, die noch Wochen andauerte. Es traf voll den Nerv der Zeit und war, so hieß es damals, das am meisten beachtete Kunstereignis seit der Machtübernahme der Kommunisten (ein halbes Jahrhundert zuvor) in Bukarest.
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Aus der Serie
Amokl채ufe
im Reservat der Rebellion gegen bew채hrte Lebensmodelle Acryl auf Leinwand, 150x280 cm
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40 | Nach der IWKA - Bilder und Objekte
Aus der Serie
Patriarchaler Rest
auf dem feministisch bestellten Acker der fortschreitenden Zivilisation Triptychon, Acryl auf Leinwand 150x300 cm
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42 | Nach der IWKA - Bilder und Objekte
Gealterter Platzhirsch tr채umt dicke Eier und junge K체ken Mischtechnik auf Leinwand 150x100 cm
Nach der IWKA - Bilder und Objekte | 43
Rastloser Zeitgenosse auf eiliger Terminjagd Mischtechnik auf Leinwand 90x120 cm
44 | Nach der IWKA - Bilder und Objekte
Ein Philosoph, ein Wirtschaftsethiker und ein Theologe auf der Suche nach der verborgenen Bedeutung der im Hirn eingewachsenen Denkfehler Mischtechnik auf Leinwand, 110x150 cm
In der IWKA - Skulpturen und Objekte | 45
Das schwarze Loch Ein Flirt des L‘art pour l‘art mit dem Nichts Das schwarze Loch ist ein Begriff aus der Astronomie. In Verbindung mit dem Begriff Sockel und dem hochglanzpolierten Material Gold, steht es als Kurzformel für den Kapitalismus. Es gibt einen Bezug zur Börse, den Banken, den Staatshaushalten, den Steuerverschwendungen für all die internationalenGipfel und Fachkommissionen etc. Es steht für den allgemein geschaffenen Mehrwert, der dann irgendwo privatverschwindet, oder es kann als aktueller Bezug auch das zu erwartende Schwarze Loch im Kulturhaushalt der „Bildungsrepublik Deutschland“ gemeint sein. Der Vanitasgedanke und nicht zuletzt auch unser ganz privates memento mori sind angesprochen. Der Würfel (Stabilität) ist gleichzeitig der „Sockel“, auf dem alles steht (Wohlstand, Demokratie, Rechtsstaat etc.).
Der Sockel ist nicht das Kunstwerk, sondern nur das Loch selbst als Minimal Art, in dem diese selbst verschwunden ist. In diesem Loch ist der Traum vom Kommunismus und der real existierende Sozialismus verschwunden. Es ist das Loch, in dem zunehmend unsere Werte verschwinden, und nicht zuletzt auch der Kapitalismus mit samt seinem Wertesystem und seinen stetig wachsenden Auswüchsen und Exzessen. Die goldene Umgebung und das drum herum dient ausschließlich dem Appetit dieses Loches, in dem all die gut gemeinten materiellen und immateriellen Anstrengungen der Menschheit verschwinden werden.
Würfel mit Bohrloch, 100 mm Kantenlänge aus ca. 2,1 kg 950er Münzgold
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Ausblicke 6-teiliges Polyptychon Mischtechnik auf Leinwand, 420x200 cm („dekonstruktiviert“, Ausschnitte Bild S. 22/23)
Teilaspekte | 47
Lichtblicke Triptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 140x300 cm
Bruchlandung Triptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 140x300 cm
48 | Teilaspekte
Hier wird gesiebt 6-teiliges Polyptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 280x300 cm (Ausschnitt Bild S. 18/19)
Teilaspekte | 49
Siebe, sieben und Gesiebtes Diptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 140x200 cm (Ausschnitt Bild S. 18/19)
50 | Teilaspekte
Siebstationen Triptychon Mischtechnik auf Leinwand, 140x300 cm (Ausschnitt Bild S. 18/19)
Teilaspekte | 51
52 | Teilaspekte
Steinbacke und Backsteine Diptychon, Mischtechnik auf Leinwand 140x200 cm (Ausschnitt Bild S. 16)
Teilaspekte | 53
Die Zeit ist ein Sieb Was darauf liegen bleibt, ist wichtig. Der Rest erledigt sich von selbst. Diptychon, Mischtechnik auf Leinwand, 140x200 cm (Ausschnitt Bild S. 18/19)
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Epilog Trotz meines Studiums der Naturwissenschaften interessiere ich mich auch für Dinge außerhalb des rechten Winkels. So lernte ich Anfang der 80er Jahre Reinhard Wonner kennen, der damals als einziger Künstler im Hallenbau A der IWKA, im jetzigen Bereich der Städtischen Galerie, ein großes Atelier hatte. Teilweise wurde in den IWKA-Gebäuden noch produziert. Das alte Fabrikgebäude war nicht so steril wie ein Labor, dafür atmete es Hitze und Schweiß aus früheren Zeiten, Anfang der 80er Jahre Weitläufigkeit und Verlassenheit. Keine Putzkolonnen säuberten mehr, Tauben eroberten das Terrain. Ebenso staubige und rußige Treppenhäuser sah ich Jahre später nur noch in St. Petersburger Mietshäusern. In diesen frühen 80er Jahren hörten wir Baden Powell und Paco de Lucia in der IWKA, diskutierten mit Künstlern wie Georg Schalla oder Felix Jahraus, die sich ebenfalls im IWKA-Gelände angesiedelt hatten, über Gott und die Welt und natürlich auch über Kunst und Kulturpolitik. Gegen den erklärten Willen der Stadt Karlsruhe entstand – praktisch zeitgleich zum Unglück von Tschernobyl – im Mai 1986 der ‚Letzte Arbeitsbericht IWKA’, in dem Reinhard Wonner als Hommage an die ehemaligen IWKA-Arbeiter in der Jethalle eine über 10 Meter große, von der Decke herab hängende Arbeiterskulptur, gearbeitet aus Spinden, Kranseilen, Fließbandteilen und Ölfässern, darstellte. Hunderte von Arbeiterschuhen wiesen den Weg über Kantinendurchreiche mit Essencoupons und Speisekarte zum Arbeitsplatz mit Stechuhr. Eine übergroße Uhr – die Uhr, die den Arbeitern am Haupttor tagtäglich beim Betreten des Werkgeländes die Zeit zeigte – stand auf 9 Minuten nach 12. Für die IWKA-Gebäude war es ebenfalls schon deutlich nach 12, da der Abriss längst beschlossene Sache war. Dessen ungeachtet veranstalteten die Künstler im Herbst desselben Jahres den ‚IWKA – Kunstraum bis zum Abriss’ – wiederum in verfallenden Gebäuden und wiederum gegen den erklärten Willen der Stadt. Reinhard Wonner stellte durch den überdimensionalen Kulturhintern und die abgesteckten Claims im angrenzenden Gelände das Gerangele um die Schürfrechte im Kulturbereich dar. Aus dieser Skulptur heraus konnten die Besucher die Stimmen honoriger Kulturvertreter und deren Einstellung zur Kunst vernehmen. Beide Veranstaltungen dieser ‚nicht-etablierten’ Kunst hatten ein eklatant gutes Echo bei der Presse*, das auch die Stadtväter nicht mehr ignorieren konnten. Gespräche und Verhandlungen intensi-
vierten sich, ein weiteres Projekt, ‚99,9% aus leerem Raum’, entstand und sollte, dieses mal mit Fördermitteln, 3 Jahre später realisiert werden. Ein ‚Industriealtar mit Bildzyklus’ (Georg Schalla) und die ‚Bestürzten Mienen’ (Uwe Lindau) mit computer aided art (Ralf Bühler) vereinten sich mit der Architektur und der monumentalen Maschinen-Orgel (Reinhard Wonner) zum (Zwangs)Arbeitstempel, in dem das Schweizer Tanztheater Tamute Company den ‚Gottesdienst’ zu Maschinenrhythmen statt zu gregorianischen Klängen zelebrierte. Die Resonanz war gigantisch, bis zu zweitausend Menschen quetschten sich pro Veranstaltung auf den Sitz- und Stehplätzen. Angestoßen durch einen persönlichen Kontakt von Reinhard Wonner zum Architekturbüro Schmitt/Kasimir entwickelten sich nach dem offiziellen Ende des Projektes eine Reihe von Konzerten in diesem Kunstraum (Kammerorchester Cristian Florea, George Angelescu), später folgten (organisiert durch Bühler/Schalla/Reimann) Albert Mangelsdorff und die Straßburger Percussionisten – um nur einige zu nennen, die bis in den kalten Oktober hinein für ein volles Haus sorgten. Dann kamen der Abrissbagger und die Schrotthändler, die auch die überdimensionale, in die Architektur des IWKA-Gebäudes integrierte, Orgel zerstörten. Der Volksmund sagt: „Auf vielbetretenem Fußsteig wächst kein Gras“. Trotzdem neigt eine Gesellschaft immer dazu, das Etablierte höher zu bewerten und mehr zu schützen als das, was sich neu erschafft und um diese Neuerschaffung ständig ringt. Vincent van Gogh glaubte „an die absolute Notwendigkeit einer neuen Kunst der Farbe und der Zeichnung und des künstlerischen Lebens“. Und Peter Weibel sagt im Vorwort zum ‚Künstler-Gruppenprojekt ‚vor’ dem ZKM 99,9 % und mehr’: „Und wir nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass sich diese künstlerischen Großtaten in Karlsruhe ereignet haben, dessen Name ja eher Ruhe verspricht denn Aufruhr.“ Nun, aufrührerisch waren die IWKA-Künstler schon, und insbesondere diesen mutigen Künstlern, die vom ‚Letzten Arbeitsbericht‘ bis zum ‚99,9-Projekt‘ mit ihren künstlerischen Inszenierungen für Wirbel in der Öffentlichkeit sorgten, ist es zu verdanken, dass es heute an diesem denkwürdigen Platz ZKM, MNK, HFG und die Städtische Galerie gibt. Sollte ihnen und ihrer Kunst nicht mehr Förderung zu Teil werden? Dr. Julia Nill, im August 2010
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Anekdote aus meiner Kindheit Mein erstes politisches Kunstwerk im Alter von 12 Jahren in einem „totalitären“ Regime In meiner Kindheit und Jugend genoss ich eine, „den Umständen entsprechend“, hervorragende Ausbildung im Sinne des Sozialistischen Realismus. Als ich 11 war, erhielten wir zum ersten Mal Besuch aus Deutschland. Mein Onkel arbeitete bei Mercedes und brachte auch einige Prospekte von dessen Produktpalette mit. Ich hatte noch nie zuvor einen Mercedes Benz gesehen und hörte diesem Onkel begeistert zu, als er über das Leben in Westdeutschland, die DM und sein Einkommen erzählte. Bei gleicher Qualifikation „verdiente“ er monatlich so viel wie mein Vater im ganzen Jahr! Bei solchen OstWest Lebensstandardvergleichen galt immer der Wechselkurs des Schwarzmarktes. (Der Westbesuch konnte auf diese Art und Weise gut und glaubhaft angeben und der zurückgebliebene „Ossi“ vom „Goldenen Westen“ träumen.) Mein Onkel erzählte auch viel von der Überlegenheit westlicher Technik. Ich bat ihn, mir diese Prospekte zu überlassen und zeichnete und malte zu Hause wie besessen monatelang nur noch Mercedes Benz PKW‘s und LKW‘s in allen Perspektiven und Farbvarianten. In meiner Kunstschule wurde zum Jahresabschluss folgendes Prüfungsthema der Fächer Perspektivisches Zeichnen und Kompositionslehre gestellt: „Sozialistischer Fortschritt und blühendes Vaterland, dargestellt am Beispiel einer Baustelle“. Zuvor fand noch eine Exkursion mit dem Schulbus zum Sadu-Staudamm in der Nähe von Hermannstadt statt. Der Staudamm war gerade im Bau, es war das stolzeste Großprojekt im Kreis. Auf dem größten Malpapier, das ich besorgen konnte, malte ich in meiner kindlichen Begeisterung tagelang ein Panorama-Bild mit Kränen, Betonmischern, Bauarbeitern, Kies und Zementbergen, den Staudamm und auf den Serpentinen der Karpaten in Breugelscher Manier, in einer langen Reihe, viele schwerbeladene Mercedes Benz LKW‘s. Und neben dem Baustellenleiter im Vordergrund eine entsprechende Luxuskarosse... Solche Prüfungsarbeiten waren ihres großen Umfangs wegen „Hausaufgaben“. Als ich meinem Professor dann schließlich das Werk zur Korrektur vorlegte - er war Maler, Rumäne und mit
Sicherheit auch Parteimitglied - schaute er lange hin, kratzte sich hinter dem Ohr, runzelte die Stirn und sagte schließlich mit einem Schmunzeln auf den Lippen, ich solle die Sterne übermalen, solche Autos gäbe es bei uns nicht. Ansonsten wäre es sehr gut, ich hätte im Kompositionsunterricht und im perspektivischen Zeichnen gut aufgepasst, und ich würde auch eine gute Note dafür bekommen. Sein Einwand leuchtete mir ein - zu diesem Zeitpunkt war ich bereits so weit „abgerichtet“, dass ich wusste, über Westbesuch redet man „draußen“ nicht. Ich übermalte die Sterne und gab es zur Jahresausstellung ab. Zum Thema „Fortschritt und sozialistischer Aufbruch“ fanden etwas später auch landesweit „Auslese“-Ausstellungen der Kunstlyceen statt. Mein Mallehrer reichte dieses Bild ein. Die „besten“ dieser Bilder aus der nationalen Ausstellung wurden von der Kunstkommission in Bukarest ausgesucht und nach Ostberlin zu einer „internationalen“ Ausstellung geschickt. Nach etwa einem Jahr, ich hatte bis dahin nichts mehr darüber gehört, erhielt ich als Auszeichnung ein „Diplom über die erfolgreiche Teilnahme an einer internationalen Ausstellung zur „Verherrlichung des Sozialismus in unserem Vaterlande“. Mein Kunstlehrer zitierte mich vor die Klasse und überreichte mir (ohne sich dabei hinter dem Ohr zu kratzen) mit einem Schmunzeln das „Diplom“. Die Mercedesse mit ihrer überlegenen westlichen Technik hatten mich vor allen Dingen wegen ihrer prospektfrischen Ästhetik so fasziniert und waren so passioniert und gut gemalt, dass die Marke auch ohne den Stern eindeutig zu erkennen war. Selbst den Funktionären der Fachkommission, die neben den Künstlern die Jury bildeten, dürfte das nicht entgangen sein. Stolz erzählte auch meine Mutter bei jeder passenden Gelegenheit noch jahrelang darüber: „Der Bub hat es ihnen allen gezeigt, bis nach Ostberlin hat er es ihnen allen gezeigt! Mit Mercedes Benz baut man den Kommunismus auf und nicht mit dem Schrottzeug, das hier so rumfährt!“ So passierte mir versehentlich und ohne es zu wollen mein erstes politische Kunstwerk. Ich hatte keine Ahnung. und mir ging es bereits damals, genau wie heute, allein und ausschließlich nur um „l‘art pour l‘art“.
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Vita Reinhard Wonner 1952 geboren in Hermannstadt (Siebenbürgen/Rumänien) 1965-1969 Lyzeum für Bildende Künste, Hermannstadt 1969 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland 1974 Abitur 1975-1980 Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe, Studium der Malerei (Professor Kögler) und Bildhauerei (Professoren Kindermann, Akiyama und Hajek) 1980-1987 Freie Mitarbeit bei Bühnen, Film- und Fernsehproduktionen 1993 Dozent für Metallbildhauerei an der Kunstakademie Bukarest Seit 1993 Maler mit kontinuierlich steigender Unlust am öffentlichen Kunstgeschehen. Keine Ausstellungen mehr, nur noch Privatverkäufe und Rückzug in eine umfangreiche Biografielücke Bisherige Arbeiten Bildhauerei vorwiegend in Kupfer und Stahl Masse, Trägheit, Impuls, Gravitation im plastischen Ausdruck, Objekte, alle Materialien Kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist Nationale und internationale Ausstellungsbeteiligungen (juriert) 1965 - 1969 Jugendauswahl Hermannstadt, Bukarest, Moskau, Berlin-Ost (mit Auszeichnung) 1980 - 1986 Karlsruhe, Bad Bergzabern, Landau, Stuttgart, Düsseldorf, Köln, Bonn, München, Nancy, Paris Centre Culturel AFSIAS, Paris Grand Palais
1989 IWKA: 99,9999999999999 % aus leerem Raum (Förderung durch das Land Baden-Württemberg, die Stadt Karlsruhe und den Kunstfonds Bonn) 1992 Kunst ohne Grenzen, Karlsruhe 1992 „Brot und Wein“ deutsch-rumänische Kunstaktion Karlsruhe (Teil I), Bukarest (Teil II) Publikationen u.a. Katalog: Salon des Grands el Jeunes d‘Aujourdh‘hui, Grand Palais, Paris 1982, 1983, 1987 Karlsruher Bild- und Textbuch 1982 Katalog IWKA Kunstfonds Bonn 1986 Kunstzeitschrift Bericht 1986 Katalog: 9e Salon Figuration Critique Grand Palais, Paris 1987 Kunstmagazin Zyma Bericht 1989 Kunstzeitschriften Arta und Contemporanul, Bukarest 1992 Fernsehberichte 1986 SWF III, Programm ebbes: „Episode und Exodus“ 1986 Südfunk Stuttgart: Kunstraum IWKA 1989 SWF: 99,9999999999999 % aus leerem Raum (IWKA) 1990 Südfunk Stuttgart: IWKA Situationsbericht 1992 Sat 1: „Kunst ohne Grenzen“, Karlsruhe 1992 Fernsehen Bukarest: Deutsch-rumänische Kunstaktion „Brot und Wein“
Projekte 1986 IWKA Arbeitsbericht 1986 Kunstraum IWKA
www.rwonner.de
www.rwonner.de
Der Traum vom goldenen Westen, Detail