ART OF ENGADIN ART TALKS
EXTRA / DEUTSCH
Speaker: Igshaan Adams, David Adjaye, David Allemann, Ann Demeester, Chris Dercon, Es Devlin, Souleymane Bachir Diagne, Benjamin Dillenburger, Johannes Gees, Margret Köll, Laurent Le Bon, Armin Linke, Kelian Maissen, Isabelle Mansuy, Camille Morineau, Andrew Morlet, Pamela Rosenkranz, Kenny Schachter. Text by Daniel Chardon
Selten hatten die Engadin Art Talks einen derartigen Aufmarsch der «Giganten der europäischen Kunstszene» erlebt, wie es ein Eingeweihter ausdrückte. Die nicht weniger bekannten Organisatoren, darunter Obrist, Curiger, Bechtler, Baumann und Ursprung, durften ebenso illustre Gäste begrüssen. Der kleinere Rahmen tat der Qualität keinen Abbruch, im Gegenteil. Ein umso regerer Austausch unter Kunstaffinen wurde angereichert mit Gästen aus den Bereichen Nachhaltigkeit oder Architektur.
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Ein strahlend blauer Engadiner Himmel begrüsste an diesem Wochenende die internationale Gästeschar auf dem Zuozer Hauptplatz.
Circular Economy Andrew Morlet
Der Einstiegs-Vortrag von Andrew Morlet, CEO der Ellen Mac Arthur Foundation, war ein Rundumschlag gegen eine kompromisslos auf Ausbeutung der Ressourcen ausgelegte lineare Wirtschaft. Sein Butterfly-Modell der Circular Economy umfasst nicht nur Recycling, Refurbishing oder Sharing Economy, sondern auch erneuerbare Energien, neue Formen der Landwirtschaft oder Verlängerung der Produkt-Lebenszyklen. In der Umsetzung und der Erkennung der Dringlichkeit traut er der Wirtschaft mehr zu als der Politik, wenn gleich es auch Regeln brauche wie die Besteuerung von Plastikabfällen. Unter den fast 1000 Mitgliedern der Foundation findet sich das Who is Who der globalen Wirtschaft. Das stimmt ihn zuversichtlich, dass man schnell den kritischen Schwellenwert in der globalen Wirkung erzielen könne, wie er im anschliessenden Interview gegenüber ARTOFMAGAZINE vermerkte. Der 2016 publizierte Bericht (einer von Dutzenden) sei der meist gelesene Bericht des World Economic Forum gewesen. Aber unsere Recyling-Bemühungen seien zum Scheitern verurteilt, wenn nur 2% der Plastikverpackungen global rezykliert werden! Da braucht es viel mehr Leadership seitens der Grossindustrie und vor allem der Grossverteiler.
Bau und Nachhaltigkeit Benjamin Dillenburger
Nicht weniger beeindruckte im Anschluss Benjamin Dillenburger, Professor für digitale Bautechnologien, von der ETH Zürich. In faszinierenden Bildern zeigte er, wie weit die Bautechnologien schon gekommen sind auf dem Weg, mit einem Bruchteil der Ressourcen statisch funktionale und formal ästhetische Gebäude mit 3D-Technologien zu produzieren. Die Technologie ist längst den Kinderschuhen entwachsen, ihre Umsetzung im grossen Stile eine Frage der Zeit und der Skalierung. Ein konkretes Beispiel, wie moderne Technologien Ressourcen, Energie einsparen können, gleichzeitig aber auch ökonomisch Sinn machen.
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Impressionen Zuoz re. Seite: Hans Ulrich Obrist, Artistic Director der Serpentine Galleries in London und Es Devlin. E.A.T. Organisation: von rechts: Bice Curiger, Hans Ulrich Obrist, Cristina Bechtler, Daniel Bau-mann, Philipp Ursprung.
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Galerie Urs Meile. Ardez. www. galerieursmeile.com unten: Vortragsraum
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re. Seite: Galerie von Bartha & Co
Identität und Ausgrenzung
Igshaan Adamas
Ein Künstler aus Südafrika, der in seiner Person Grenzgängertum in vielen Facetten verkörpert, beeindruckte die Gäste mit seiner Verve, Engagement, Grazie und Mut. Seine filigrane Kunst, welche Aspekte von Weben, Skulptur und Installationen beinhaltet, ist von indigener Tanzkunst inspiriert, adressiert aber zugleich Rassismus, Religion und Sexualität. Gewobene Träume, wie es der englische Observer fomulierte, brachten auch uns zum Träumen.
Museum of the Future
Chris Dercon, Laurent Le Bon, Ann Demeester
Kunst für die Zukunft Es Devlin
Es Devlin, die ARTOF MAGAZINE ebenfalls in einem Interview im Anschluss zur Verfügung stand, war ein Feuerwerk der Inspiration und Leidenschaft. Gelernte Bühnenbildnerin an Oper und Theater avancierte sie bald zu einer der weltweit angesagtesten Stage Designer für Künstler wie Beyoncé, Kanye West, U2 oder Lady Gaga. Ihr Schaffen, welches ihr auch die Gestaltung der Schlusszeremonie von Olympia 2012 in London oder Events von Louis Vuitton ermöglichte, führte sie je länger je mehr zur Künstlerin, zu sich selber. Dabei stellt sie als Mutter die Dringlichkeit in den Vordergrund, dass auch die Kunst einen Beitrag zur Lösung der dringenden Probleme leisten müsse. Am Ende der aktuell in Miami laufenden Ausstellung Superblue (mit James Turrell) wird der Besucher aufgefordert, die Pflanzung eines Baumes zu sponsern. Als erste Frau überhaupt durfte sie den englischen Pavillon an der Expo 2021 in Dubai gestalten. Gekonnt eingesetzte künstliche Intelligenz (AI) führt dazu, dass jeder Besucher sein persönliches Poem (Gedicht/ Strophe) mit nach Hause nehmen kann, das ein Computer aus seinem gespendeten Wort in Kombination mit Millionen von englischen Gedichtstexten erschaffen hat.
Der Sonntagmorgen war dann ein Feuerwerk zum Thema «Museum of the Future». Mit Chris Dercon, Präsident der Vereinigung der nationalen Museen Grand Palais, Laurent Le Bon, Präsident des Centre Pompidou Paris und Ann Demeester, der angehenden neuen Direktorin des Kunsthauses Zürich, war das Podium hochkarätig besetzt. In einer Welt, in der die Bildabfolgen mit Instagram und Twitter laufend an Tempo zulegen, müsse sich das Museum die Frage stellen, ob es ein Platz zum Innehalten bleiben wolle oder auch die junge Generation mit attraktiveren Formaten wie Videos, digitaler Kunst und Events begeistern wolle. Laurent Le Bon erachtet es als überaus wichtig, dass man in jungen Jahren (zwischen 6-10) Kontakt zur Kunst bekomme. Da sei es natürlich extrem wichtig, dass dieser positiv verlaufe, also ein interessantes Erlebnis beinhaltet, welches Sinn und Zweck von Kunst zugänglich macht. In Holland bieten Museen den Schulen z.B. Gratisbusse und – eintritte, damit Schulen diese Gelegenheit wahrnehmen. Ein noch höheres Mass an Kooperation sei zudem nötig, so dass die Millionen in Museen gelagerten Kunstwerke breiteren Zugang finden. Alle waren sich darin einig, dass die Museen die aufgrund ihrer institutionellen Strukturen innewohnende Trägheit überwinden und an Flexibilität zulegen müssten, um nicht nur Ablageorte von Kunst, sondern Erlebnisplätze für Kunst, Inspiration und Quelle neuer die Gesellschaft beeinflussender Ideen zu werden.
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Mindshift Mindshift war ein zentrales Stichwort, welches sich durch alle Beiträge hindurchzog. Welt im Wandel. Die Pandemie, als Wendepunkt, scheint solche Prozesse beschleunigt zu haben, welche dann auch die Brücke zum fulminanten Schlussbouquet mit NFT und Kenny Schachter bildeten, dem Provokateur in der Kunstszene. Er zeigte beeindruckend auf, dass neue Formen der digitalen Kunst oder eben NFT (non-fungible token) eben genau das schaffen: ein neues Publikum anzusprechen. So kämen an entsprechenden Events eben nicht nur Kunstaffine zusammen, sondern hier tummelten sich Mathematiker, Physiker und andere Naturwissenschaftler neben kunstaffinen Geisteswissenschaftlern, was die Diskussion ungeheuer belebe. In einem gewissen Sinne findet hier eine Demokratisierung der Kunst statt, die sich ähnlich den Kryptowährungen in der Finanzwelt ausserhalb der gewohnten Pfade bewegt und damit der Kunstwelt neues Leben einhaucht.
Nachwort Das Wort Demokratisierung hat in den vergangenen Wochen nochmals einen ganz neuen Beiklang erhalten. Mindshift geht, wie der israelische Denker und Historiker Yuval Harari es unlängst formulierte, in die Richtung, dass wir uns durch den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine wieder bewusst werden, was uns unsere Freiheit überhaupt bedeutet. Und wie wichtig es ist, dass wir unsere Erzählungen von Menschheitsentwicklung länderübergreifend verstehen: Frieden war und ist kein Zufallsprodukt, sondern das Resultat bewusster und verantwortlicher Entscheidungen. Der aktuelle Invasionskrieg zerstört viele scheinbare Selbstverständlichkeiten und zwingt uns zu einem umfassenden Mindshift: wir, und dies schliesst die Kunst an vorderster Stelle mit ein, denn dies hat sie immer getan, müssen gefühlte Selbstverständlichkeiten hinterfragen und Verantwortung in einem globalen Sinne definieren und wahrnehmen. Ansonsten drohen die Errungenschaften einer freiheitlichen Weltordnung dem Chaos von autoritären Machtgelüsten zum Opfer zu fallen. Kunst war und ist immer Teil dieses positiven Wandels zu einer offenen und auch selbstkritischen Gesellschaft, weshalb sie in der Geschichte auch oft der Verfolgung anheimfiel. Umso wichtiger, dass wir ihre progressive Rolle würdigen.
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Bild unten und re. Seite: Galerie von Bartha & Co www. vonbartha.com
... sondern Erlebnisplätze für Kunst, Inspiration und Quelle neuer die Gesellschaft beeinflussender Ideen zu werden.
HTTPS://ENGADIN-ART-TALKS.CH E.A.T. / ENGADIN ART TALKS STIFTUNG
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