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Die Schwiegerfamilienbande

Schwierige Von KRISTINA REISS (Text) und SABINE RUFENER (Illustrationen) Schwiegerbeziehung

Auch wenn wir uns für tolerant halten und uns Mühe geben:

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Das Verhältnis zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern ist oft kompliziert. Weshalb eigentlich?

Und lässt sich das ändern?

uf einmal ist da dieses weitere Familienmitglied. Feiert Weihnachten mit, Geburtstage und prägt mit seinen Ansichten das Leben des eigenen Kindes entscheidend. Peter (71) erinnert sich noch genau an den Moment, als er seinen heutigen Schwiegersohn das erste Mal sah. «Offen gestanden war ich ein wenig schockiert», sagt der ehemalige Manager. «Dieser junge Mann war ganz anders, als ich mir den Partner für meine Tochter vorgestellt hatte – mehr Lebenskünstler als zielstrebig; damit habe ich nicht gerechnet.» Tut sich ein Paar zusammen, stossen nicht nur die Kulturen der Herkunftsfamilien aufeinander. Die Massstäbe des Partners und der Partnerin werden für die gemeinsame Lebensführung nun wichtiger als die der Eltern: Tochter und Sohn entwickeln womöglich andere Vorlieben, andere Gewohnheiten. Für Eltern ist dies eine Herausforderung, denn Partnerin oder Partner des eigenen Kindes entsprechen nur selten völlig ihren Erwartungen. «Etwa zwei Drittel der Beziehungen von Schwiegereltern und kindern sind jedoch trotzdem mehr oder weniger intakt», sagt Peter Kaiser, Psychologieprofessor an der Universität Vechta (D), der unter anderem zu Schwiegerbeziehungen forscht. «Nur rund ein Drittel ist konflikthaft – insofern stimmt das häufige Vorurteil der schlechten Beziehungen nicht ganz.» Doch wie entsteht ein möglichst stressfreies Verhältnis zwischen den Generationen? Die Chancen dafür steigen, wenn sich die Herkunftsfamilien recht ähnlich sind – etwa was Bildungsstand, politische Einstellung oder persönliche Werte angehen. Aber auch, wenn Schwiegersohn oder tochter aus einer möglichst intakten Familie stammen. Anders gesagt: «Je grösser die Unterschiede zur Herkunftsfamilie, desto mehr Sollbruchund Konfliktstellen kann es geben», so Kaiser. «Ausserdem ist es wichtig, dass Schwiegerkinder und eltern gegenseitig ihre Paar und Generationengrenzen respektieren.» Das hat auch Peter erlebt. «Nachdem es am Anfang zwischen mir und meinem Schwiegersohn ein wenig geruckelt hat, verstehen wir uns heute sehr gut», sagt der 71Jährige. Gegenseitiger Respekt und Toleranz seien dabei essentiell. Und sich auch mal zurücknehmen zu können. Geholfen hat ihm ausserdem die Erkenntnis: «Meine Tochter muss mit ihrem Partner glücklich sein, nicht ich», so Peter. «Auch wenn es ein wenig gedauert hat, bis ich das erkannt habe.»

NÄHE ANBIETEN «Geben Sie sich Zeit, falls sich zum Schwiegerkind zunächst keine richtige Nähe einstellen will», rät Psychologe Kaiser. «Eine Bindung lässt sich nicht erzwingen. Sie können lediglich Angebote machen, die Vertrauen und Nähe fördern.» Ob diese jedoch angenommen werden, bleibe offen. Besonders störanfällig erweisen sich oft Beziehungen zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn oder Schwiegermutter und Schwiegertochter – vor allem, wenn die Bindungen von VaterTochter oder MutterSohn sehr eng ist. Wichtig ist dann, dass sich die Partner nicht auseinanderdividieren lassen und sich ~

«Je grösser die Unterschiede zur Herkunftsfamilie, desto mehr Sollbruch- und Konfliktstellen kann es geben.»

PETER KAISER, PSYCHOLOGIEPROFESSOR

gegenseitig vor Angriffen oder Übergriffen ihrer Herkunftsfamilien schützen. «Steht die Partnerschaft nicht an erster Stelle und hält das Paar bei Konflikten mit den Herkunftsfamilien nicht zueinander, ist der Partnerschaftserfolg dauerhaft gefährdet», so Kaiser. Wie individuell und unterschiedlich sich dabei Beziehungen gestalten können, erlebte Ursel. Die 70-Jährige ist Mutter einer Tochter und eines Sohnes, die jeweils mit ihren Partnern und zwei Kindern 30 Kilometer entfernt von ihr wohnen. «Ich verstehe mich mit allen sehr gut», sagt die ehemalige Erzieherin. «Allerdings hatte ich zur Familie meiner Tochter und vor allem zu den Enkeln von Anfang an ein engeres Verhältnis.» Was laut Studien nicht verwundert: Tatsächlich ist die Bindung zwischen Müttern, Töchtern und deren Kindern lebenslang am engsten, wie Untersuchungen zeigen. Ursel erklärt sich das so: «Meine Tochter hat viel von meinem Mann und mir übernommen: Was Werte und Erziehung der Kinder angeht oder wie sie mit ihrer Familie Weihnachten und Geburtstage feiert – in all diesen Punkten sind wir uns sehr nah.» Die Familie ihres Sohnes wiederum verfolge andere Ansätze und sei dabei eher von der Herkunftsfamilie der Schwiegertochter geprägt. «Für meinen Geschmack setzen sie ihren Kindern zum Beispiel manchmal zu wenig Grenzen. Aber ich sage dazu natürlich nichts – auch wenn es mir oft schwerfällt.» Tatsächlich wirkt sich die Geburt eines Enkelkindes meist positiv auf die familiären Beziehungen aus: Sie lässt die verschiedenen Generationen oft näher aufeinander zugehen und sich als Angehörige der gleichen Familie akzeptie-

Konkurrenzdenken unter Grosselternpaaren: Wer macht mehr Geschenke?

ren. Was die Beziehung zwischen Alt und Jung intensiviert – manchmal aber auch zu (neuen) Konflikten führt, etwa wenn die Elternverantwortung infrage gestellt wird und sich Grosseltern in das Familienleben der jungen Kernfamilie einmischen. Peter Kaiser empfiehlt Grosseltern deshalb, sich bei Enkeln an die «3 SRegel» zu halten: Staunen, Schenken, Schweigen. «Mit der Geburt eines Kindes übernehmen dessen Eltern die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung», sagt der Psychologieprofessor. «Sie spielen bei allem, was es zu entscheiden gibt, die erste Geige. Das haben Grosseltern zu akzeptieren. Selbst wenn das junge Paar einiges ganz anders macht, als Eltern oder Schwiegereltern es richtig finden.»

DAS ANDERE GROSSELTERNPAAR In Sachen Zurückhaltung kennt Rita sich aus. Die 76Jährige hat zwei Söhne, vier Enkeltöchter, einen Enkelsohn und zwei Schwiegertöchter – mit denen sie sich sehr gut versteht. «Aber die jeweils anderen Grosseltern waren schon immer näher dran an den Enkeln», sagt die ehemalige Floristin. «Das MutterTochterVerhältnis ist wohl einfach enger als das MutterSohn», glaubt sie. «Ich selbst hatte eine furchtbare Schwiegermutter, die mich permanent spüren lies, dass ich in ihren Augen aus einem nicht so guten Elternhaus kam.» Deshalb nahm sich Rita noch als junge Frau vor, sollte sie selbst einmal Schwiegertöchter haben, alles anders zu machen: Nicht einmischen, nicht aufdrängen und im Zweifelsfall lieber auf Distanz gehen. Nicht gerechnet hat die 76Jährige allerdings mit dem erweiterten Familienzuwachs, der sich mit der Heirat ihrer Söhne einstellte: Das jeweils andere Elternpaar auf der Gegenseite, das in unserer Kultur so wenig wichtig genommen wird, dass es gar keine eigene Bezeichnung für diese Verwandtschaft gibt. Dabei spielt es eine grosse Rolle. Schliesslich hat Rita mit den Schwiegereltern ihrer Söhne vieles gemeinsam: All die Besorgnisse und fürsorglichen Bemühungen um das junge Paar zum Beispiel. Gleichzeitig ist das Verhältnis zwischen den Grosselternpaaren oft durch Konkurrenz gekennzeichnet. «Anfangs war es an Weihnachten immer eine regelrechte GeschenkeSchlacht», sagt Rita. «Mittlerweile versuche ich mich dem zu entziehen, indem ich eher Zeit statt Materielles schenke.» Was aus ihrer Erfahrung ausserdem hilft: «Lächeln, tief durchatmen und sich immer wieder sagen: So oft sehen wir uns ja nicht.» «In einer Familie sollte es okay sein, wenn es unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen gibt», findet Peter Kaiser. Im Zweifelsfall helfe es, den Kontakt etwas herunterzufahren und nicht zu viele gemeinsame Berührungspunkte im Alltag zu haben. Seine eigenen Traditionen, Überzeugungen oder Positionen sollte dabei niemand verleugnen müssen. die Kinder sehr gerne, aber einen festen Tag in der Woche können wir uns nicht vorstellen.» Diese Einstellung nahm ihnen vor allem die Schwiegertochter, deren Eltern im Ausland leben, anfangs übel. Es folgten heftige Auseinandersetzungen und kurzzeitige Funkstille.«Ich verstehe, dass sie enttäuscht und verletzt war», sagt Maria. «Das Problem war wohl, dass sie davon ausging, wir würden uns mehr engagieren.»

IM AUSTAUSCH «Generationenkonflikte lassen sich vermeiden, wenn sich alle ernsthaft, achtsam und geduldig über die eigenen und fremden Wünsche und Bedürfnisse austauschen», sagt Peter Kaiser. «Dabei ist es legitim und hilfreich, sich selbst abzugrenzen, die Trennlinie zwischen den Ge

«Meine Tochter muss mit ihrem Partner glücklich sein, nicht ich. Auch wenn es ein wenig gedauert hat, bis ich das erkannt habe.»

PETER (71)

Dies hat auch Maria gelernt. Die 65Jährige ist stolzes Grosi von einem 1 und einem 3jährigen Buben, den Kindern ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter. Ihr gutes Verhältnis wurde allerdings kurzfristig getrübt, als es um das Thema Kinderhüten ging. «Meine Enkel sind mir wirklich sehr wichtig», sagt Maria, «aber für meinen Mann und mich war von Anfang an klar, dass wir uns nicht regelmässig für ihre Betreuung einplanen lassen wollen. Hin und wieder übernehmen wir nerationen zu respektieren und gemeinsam konstruktive Regeln auszuhandeln.» Für Marias Enkelkinder organisierten Schwiegertochter und Sohn inzwischen eine andere Betreuung im Alltag; die Grosseltern engagieren sich dafür mehr an Wochenenden und in den Ferien. Das Wichtigste jedoch: Alle sprachen sich aus und fanden wieder zusammen. Maria ist erleichtert: «Diese Lösung stimmt für alle Beteiligten.» •

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