Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre 15.09. – 02.10. 2016 Atelierzentrum Ehrenfeld Hospeltstr. 69 50825 Köln
»Stadtrandkinder«, Foto: Gernot Huber
»Karneval in Köln, 1981-1983«, Foto: Wolfgang Zurborn
Editorial
Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre
»Fotos für eine Ausstellung zusammenzustellen, ist eine Reise in die Vergangenheit. Erinnerungen an Situationen und Ereignisse, das sind immer auch Geschichten, die uns Fotojournalisten in irgendeiner Weise bewegten. Manche machten uns zornig, andere traurig; sie trieben uns in Wut oder verursachten unbändiges Gelächter. Wenn uns etwas kalt ließ, kamen stets die Fragen auf: Haben wir etwas falsch gemacht oder waren wir nicht nah genug dran? Es geht um die Darstellung der Gesellschaft – als Schicksalsgemeinschaft, als Verhältnis von Widersprüchen, als Kampf um Liebe, Macht und Ohnmacht. Kurt Tucholsky sagte einmal: ‚So wie es auf der Welt nichts Unpolitisches gibt, so gibt es auch keine unpolitische Fotografie.’« Diese Grundgedanken des Initiators Guenay Ulutunçok standen am Anfang des Ausstellungsprojekts »Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre«. Die Ausstellung zeigt Fotografien jener Fotojournalisten, die politisch, künstlerisch und ästhetisch mit ihren Bildern Eindrücke dieser Zeit in Köln festhielten. Sie standen mit ihren Kameras mitten im Geschehen – Demonstrationen, Hausbesetzungen, Streiks, Nachtleben oder der Kölner Karneval – sie waren aktiver Teil einer Protestbewegung und der Kölner Subkulturen. Sie arbeite-
»Hausbesetzer Zülpicher Straße«, Köln 1981, Foto: Manfred Linke Nach der zweiten Räumung eines besetzten Hauses in der Heinzbergstraße, blockieren die Hausbesetzer aus Protest die Zülpicher Straße.
»Archie Shepp, Dom Hotel« Foto: Wolfgang Burat, 1982
ten als Bildjournalisten für alternative und linke Magazine. Ihre fotografischen Arbeiten sind mehr als Reportagen. So berühren uns heute auch jene Bilder am meisten, die den Zeitgeist besonders spürbar machen. Sie können Erinnerungen hervorrufen, oder aber als Fragmente vergangener Augenblicke in die Gegenwart leiten. Für uns ist die Ausstellung daher nicht nur ein Ausschnitt der bewegenden Zeiten in den 70er und 80er Jahren in Köln, sondern auch ein Blick in die Gegenwart. Themen wie die Auseinandersetzungen um Stadt-, Kultur- und Wohnräume, Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit haben an Aktualität nicht verloren und lassen sich als Neues im Alten erkennen. Der vorliegende Essay zeigt erste fotografische Impressionen der Ausstellung »Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre. Mit seinem Text »Bewegung im Blick« ergänzt Jürgen Raap die Kölner Geschichten der Fotojournalisten und lässt die Eindrücke von damals erneut aufleben. Wer tiefer in die Geschichte dieser Zeit eintauchen möchte, ist herzlich zur Ausstellung eingeladen. Die Eröffnung findet im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln 2016 am 15. September statt (www.artrmx.com).
»Rückkehrer«, Foto (rechts): Guenay Ulutunçok /DOMiD Türkische Gastarbeiter bekommen ihren Rentenbeitrag (ohne Arbeitgeberanteil) ausbezahlt, müssen aber Deutschland verlassen. Köln Mülheim, 1984
Ein Ausstellungsprojekt zur Internationalen Photoszene Köln 2016 präsentiert von artrmx e.V. mit Bernd Arnold, Jürgen Bindrim Wolfgang Burat Gernot Huber Manfred Linke Elmar Schmitt Guenay Ulutuncok Manfred Wegener Eusebius Wirdeier Wolfgang Zurborn und der Kölner Wochenschau Ausstellungsdauer: 15. September bis 2. Oktober Öffnungszeiten: Do. – Sa.: 16 – 20 Uhr, So.: 13 – 17 Uhr
Veranstaltungen: Do., 15.09.16, 19 Uhr Vernissage »Bewegung im Blick« Reden, Trinken und Musik von »Blind Horses with no Name« Fr., 30.09.16, 19 Uhr Talkrunde »Bewegung im Blick« mit Fotografen und Gästen über das Köln von damals und heute Moderation: Jürgen Raap Ort: Atelierzentrum Ehrenfeld Hospeltstraße 69, 50825 Köln
Einladung
Bewegung im Blick Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre
Bewegung im Blick
15.09. – 02.10. 2016 Atelierzentrum Ehrenfeld Hospeltstr. 69 50825 Köln
Zehn Fotografen und das Videoprojekt Kölner Wochenschau dokumentieren die Fotografenszene der 1970er und 1980er Jahre in Köln. Sie verstanden sich damals als Teil der linken und alternativen sozialen Bewegungen und hielten im Bild fest, was es in der etablierten Lokalpresse nicht zu sehen gab: die Tristesse der Stadtrandsiedlungen, die Parolen der Hausbesetzer und Demonstranten, Läden und Wohnungen türkischer Gastarbeiter, Travestiekünstler, die Protagonisten der Musikszene und den Abriss der legendären Stollwerck-Fabrik. Von Jürgen Raap Am 24. August 1973 legte bei den Kölner FordWerken aus Protest gegen die fristlose Entlassung von 300 türkischen Arbeitskräften, die verspätet aus dem Urlaub zurück gekommen waren, die gesamte Spätschicht mit 8.000 türkischen und deutschen Arbeitern die Arbeit nieder. Dies war der erste größere Arbeitskampf in der Geschichte der alten BRD, der hauptsächlich von Arbeitsmigranten getragen wurde. Gernot Huber hat diesen Streik bei Kölns größtem Arbeitgeber im Bild festgehalten, in Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die eindringlich und unprätentiös zugleich sind: Flugblätter, die aus einem Auto heraus geworfen
werden. Klaus der Geiger spielt aus Solidarität vor dem Fabrikzaun auf. Der Kabarettist Heinrich Pachl tritt vor den protestierenden Arbeitern mit Theatermaske auf. Die BILD-Zeitung hetzte gegen die Betriebsbesetzung und die revoltierenden »Gastarbeiter« in gewohnt krawalliger Weise: »Das sind keine Gäste mehr!« Zwar benannte »Der Spiegel« (37/1973) ausdrücklich »rechtliche und menschliche Diskriminierung« der Arbeitsmigranten in der Autofabrik als die Ursache dieses Streiks, aber den oppositionellen Journalisten und Fotografen in der Stadt wurde dennoch die Notwendigkeit bewusst, eine Gegenöffentlichkeit zur bürgerlichen Presse herzustellen. Deren Gazetten verschwiegen nämlich einfach zu oft Ereignisse oder stellten sie völlig verzerrt dar. So wurde Gernot Huber schließlich zu einem der Mitbegründer des Kölner Volksblatts, das von 1974 bis 1982 erschien. Es war bundesweit eine der ersten Stadtzeitungen überhaupt. 1976 gingen
»Demo gegen den Stollwerk-Abriss, Köln Schildergasse«, Foto: Manfred Wegener, 20. Mai 1980
dann auch die »StadtRevue« als alternatives Stadtmagazin und das Videoprojekt »Kölner Wochenschau« an den Start. Zu dessen Mitgründern zählten Christian Maiwurm, Jochen Fischer, Monika Minzlaff und Heinrich Pachl. Von 1980 bis 1985 folgte dann das Stadtmagazin »Schauplatz«.
Huber und weitere Personen dazu. Die laif-Mitglieder traten damals mit dem Anspruch an, sich als alternative Photographenagentur profilieren zu wollen. »laif« zählt heute noch zu den wichtigsten Bildagenturen in Europa und vertritt über 400 Fotografen weltweit.
1976 begann der damalige Eigentümer Preußen Elektra mit dem Bau der Kernkraftanlage in Brokdorf (Schleswig-Holstein). Gegen die Baupläne gab es bereits in jenem Jahr die ersten Demonstrationen der Anti-AKW-Bewegung. Im September 1981 produzierten die damaligen Mitglieder der »Kölner Volksblatt«-Fotogruppe, Günter Beer, Jürgen Bildrim und Guenay Ulutunçok, gemeinsam mit Manfred Linke, der als festes Redaktionsmitglied für den »Schauplatz« fotografierte, eine Broschüre mit ihren Fotos von der großen AntiAKW-Demo in Brokdorf. Diese gemeinsame Publikation war sozusagen die Geburtsstunde der »Photographenagentur laif«. Später kamen auch Alexander Goeb als Journalist, Gernot
Alle diese Bildjournalisten, die in den 1970er und 1980er Jahren für die linken und alternativen Kölner Stadtmagazine arbeiteten und jetzt in dieser Ausstellung vertreten sind, verstanden sich als »Gegenöffentlichkeit«. Sie tauchten tiefer und intensiver in das Leben der Hausbesetzer, Bürgerinitiativen, Travestiekünstler und der Milieubarone im Friesenviertel ein, als ihre Kollegen der etablierten Lokalblätter sich dies damals trauten. Und da sie nicht nur ein rein reportagehaftes Interesse an den Situationen und Ereignissen hatten, sondern sich gleichzeitig als aktiver Teil einer Protestbewegung und Mitbegründer einer Alternativkultur mit all ihren Utopien und Gegenentwürfen verstanden, entwickelten sie in ihrer fotografi-
»Ford-Streik, Flugblätter«, Foto (links): Gernot Huber Am 24. August 1973 legte bei den Kölner FordWerken die gesamte Spätschicht mit 8.000 türkischen und deutschen Arbeitern die Arbeit nieder. Aus Protest gegen die fristlose Entlassung von 300 türkischen Arbeitskräften, die verspätet aus dem Urlaub zurückgekommen waren. Dies war der erste größere Arbeitskampf in der Geschichte der alten BRD, der hauptsächlich von Arbeitsmigranten getragen wurde.
»Macht und Ritual Nacht im Milieu«. Ein dokumentarischer Blick ins Köner Nachtleben. Diskothek »Titos« am Hohenzollernring, Friesenviertel. Foto: Bernd Arnold, Köln
Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre
schen Arbeit auch eine spezifische Ästhetik. Damit knüpfen sie an eine Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie an, die Anfang der 1970er Jahre erneut eine Zeithöhe gewann, als sich in verschiedenen Städten »Arbeiterfotografie«-Initiativen bildeten, so 1973 auch in Köln.
»Zuschauer bei der AntiVietnamkrieg Demo in Bonn« 10. April 1973 Foto: Manfred Wegener
So bilden in dieser Ausstellung die Fotos vom »Leben in Köln« eben nicht jene kölschtümelnden Klischees ab, die Heinrich Böll in einem seiner Essays einmal als eher »schreckenerregend« beschrieb. Stattdessen sieht man Aufnahmen von Koffern am Bahnhof als Symbol des Reisens und der Migration – denn die erste Generation der »Gastarbeiter« aus den Mittelmeerländern verbrachte ihre Freizeit häufig auf dem Bahnhofsvorplatz, in kleinen Grüppchen herum stehend, wie auf der Piazza oder Plaza zu Hause - ein zentraler Platz, mit dem Bahnhof als emotionalem Bindeglied zur alten Heimat. Die heute übli-
chen italienischen Cafés und türkischen Teestuben als Treffpunkte entstanden erst viel später. Guenay Ulutunçok durchstreifte die Weidengasse, wo das Leben der türkischen Einwohner sich in den 1970er Jahren noch viel isolierter abspielte, bevor Alfred Biolek dort medienwirksam in den Gemüseläden exotische Gewürze für seine TV-Kochsendungen einkaufte und das (inzwischen geschlossene) »Bosporus« noch nicht in den einschlägigen Restaurant-Führern als »Weltstadt-Restaurant mit orientalischer Note« gefeiert wurde. Junge Türken posieren in ihrer Freizeit vor
einer Kneipe und wirken dabei ein bisschen gelangweilt. Guenay Ulutunçoks Aufnahmen von den Arbeitern im Kabelwerk und am Fließband bei Ford, ebenso jene von Gernot Huber von einer türkischen Metzgerei mit Bildteppichen über den aufgereihten Würsten und Konservendosen und Jürgen Bindrims Porträt des Lebens am Kalscheurer Weg, im Volksmund wegen der selbst errichteten Bungalows »Indianersiedlung« genannt, wo manche Kinder schon früh eine Härte des Daseins erfuhren und wo ihre Mütter gegen die Tristesse des Ambientes einer dunklen, langweilig gekachelten Küche mit Ofenrohr ankämpfen, indem sie liebevoll die Troddeln einer Zierpuppe auf dem Bett zurecht zupfen: All diese Fotos zeigen eine Welt, die dem deutschen Durchschnittsbürger und Boulevardblattkonsumenten seinerzeit verschlossen blieb. Denn die soziale Realität dort taugte nicht zu jenen Vorstellungen von Exotik, wie sie damals die Musiker der »Neuen Deutschen Welle« besangen, und wenn eine oder zwei Generationen später heute sich an solchen Orten in Bocklemünd, in Gremberg oder Finkenberg jene Parallelgesellschaften bilden, die die Politiker immer wieder lauthals beklagen, dann hat das auch sehr viel mit der jahrzehntelangen Ab- und Ausgrenzung zu tun.
Über den StadtRevue-Fotografen Manfred Wegener und seinen Bildband »Schöne Aussichten« urteilte die »FAZ«, er stelle »das Köln der Klischees« in Frage: »Ist das noch unser Köln oder schon eine beliebige Globalisierungsgroßstadt... mit griesgrämigen Narrenkappenträgern?« Wegener hielt den brutalen Wasserwerfereinsatz bei einer Demo im Bild fest, eine Saxophonspielerin im Rollstuhl in einer staubigen Fabrikruine und eine Anti-Papst-Aktion vor dem Dom mit einem nackten Mann. Manfred Linke dokumentierte die Hausbesetzerszene und zeigte unter anderem, wie sie mit Matratzen die Straßenbahnschienen der Zülpicher Straße blockierten und wie Jürgen Becker mit Punk-Perücke als »Irokesen-Heinz« den Präsidenten der »Stunksitzung« spielte und zusammen mit dem Ensemble die frech-subversiven Ursprünge des Karnevals »von unten« wieder aufleben ließ. Auch Wolfgang Zurborns Aufnahmen vom Straßenkarneval im Jahr 1981 folgen ganz bewusst nicht einer Ästhetik, wie wir sie sonst aus den konventionellen Lappenclown-Motiven der offiziellen Verkehrsamtsreklame kennen. Wir blicken stattdessen aus einer völlig ungewöhnlichen Perspektive auf einen Prunkwagen vom Rosenmontagszug und in die stoischen Gesichter der Prin-
»Indianersiedlung«, Foto: Jürgen Bindrim, Köln Leben am Kalscheurer Weg, im Volksmund wegen der selbst errichteten Bungalows »Indianersiedlung« genannt.
»Karneval in Köln, 1981-1983«, Foto: Wolfgang Zurborn
zengardisten, deren Mimik ahnen lässt, was Trude Herr in ihrem Song »Ming Stadt« mit der Liedzeile meint: »Mer sin em Fiere noch immer de Beste, dat met dä Heiterkeit nemme mer änz«. Zurborn zieht heute selber mit der Blaskapelle »Kwaggawerk« an den tollen Tagen bei Veedelsumzügen mit und betreibt zusammen mit Tina Schelhorn in Nippes die Fotogalerie »Lichtblick«. Guenay Ulutunçok porträtierte auch die Szene der Travestiekünstler im Leopardenkostüm und opulentem Dragqueen-Outfit, als diese noch nicht durch Auftritte in Alexandra Kassens »Senftöpfchen«-Theater fürs bürgerliche Publikum salonfähig war, und kurze Zeit später dann im »Hotel Timp« am Heumarkt sogar zum »Kult«Faktor der Nachtschwärmer avancierte. In Bernd Arnolds Reportagen über die »Nacht im Milieu« posieren bekannte Szenetypen mit ihrer zeitmodischen Minipli-Frisur und mit machohaft entblößter Brust vor den Eingängen der Lokale im Friesenviertel. Diese trugen so schwülstige Namen wie »Cabaret Madame«, oder sie hießen »Goldfinger Bar« und »Café Kontakt«. Arnolds Bilder zeigen diese Halbwelt jedoch eben nicht aus jener folkloristisch-sentimentalen Perspektive, mit der die heutige Tagespresse aus der Rückschau gerne die einstigen kölschen Milieu-
größen und ihre Welt plüschiger Animier-Bars und zwielichtiger Zockerbuden verklärt. In jener Zeit bekam man im Friesenviertel nach der Sperrstunde nachts um eins allenfalls im »Wienerwald« noch warmes Essen oder beim Straßenimbiss am Klapperhof »Willis Knacker«. Wolfgang Burat warf einen Blick in das unaufgeräumte Büro der Musikzeitschrift „Spex“, zu dessen Mitbegründern und Herausgebern er von 1980 bis 1990 gehörte. Burat dokumentierte gerne die lokale und internationale Musikszene und arbeitet als Fotograf auch heute noch häufig mit Künstlern, Museen und Galerien zusammen. Rio Reiser, Texter und Sänger von „Ton Steine Scherben“, taucht auf einem seiner Fotos auf. „Die Hornissen“ mit dem Musiker und Maler Walter Dahn, heute Professor an der Kunstakademie Braunschweig, springen in einem düsteren, schmalen Hinterhof und Dave Kusworth („The Jacobites“) ließ sich von Burat in der U-Bahn fotografieren. »Bewegung im Blick« der Kameralinse – das war eine Bewegung zwischen Kölsch und Kebap, Südstadt-Punks und internationaler Musikszene. Davon kann diese Ausstellung nur einen begrenzten Ausschnitt bieten, denn ein solches Projekt kann nicht den Anspruch haben, wie ein Archiv alle damals wichtigen Themen zu erfassen.
15.09. – 02.10. 2016 Atelierzentrum Ehrenfeld Hospeltstr. 69 50825 Köln
»Macht und Ritual Nacht im Milieu« Foto: Bernd Arnold, Köln
Bei vielen dieser Fotografen führte die weitere berufliche Laufbahn schließlich in internationale Gefilde: Guenay Ulutunçok dokumentierte mit seiner Kamera unter anderem den Unabhängigkeitsprozess in Ländern wie Eritrea und Namibia sowie den Völkermord in Ruanda. Als Mitglied von »Reporter ohne Grenzen« und anderer Organisationen war er auch im Libanon, Zypern, Afghanistan und in Ländern südlich der Sahara. Gernot Huber, der heute in der Nähe von Bonn lebt, fotografierte desgleichen für viele Magazine und NGOs in Afrika, Asien und Südamerika, und Manfred Linke publizierte Reportagen u.a. über ein Umweltprojekt im brasilianischen Regenwald. Jürgen Bindrim war ebenfalls für viele Magazine und Hilfsorganisationen in Bolivien, Angola, Mozambique, Algerien und in der West-Sahara unterwegs. Der Künstler Elmar Schmitt, der damals zusammen mit Cornel Wachter in der Kölner Kunstszene als »Unterbezirksdada« auftrat, war mit der Kamera zur Stelle, als die Abrissbagger im Severinsviertel 1987 die Schokoladenfabrik »Stollwerck« dem Erdboden gleich machten. Er konzentrierte sich bei seinen Aufnahmen vor allem auf skurrile Details: Ein Parkverbotsschild informiert mit dem Zusatz »Wegen Abbrucharbeiten«
über den Grund seiner Aufstellung. Auf einen Betonbalken der Fabrikruine hatte einer in großen Buchstaben geschrieben: »Liebe ist wirklich«. Auch Eusebius Wirdeier dokumentierte die kulturelle Blüte und die Zerstörung der Schokoladenfabrik. Er rückt in seinen Bildern die ruhige, poetische Seite gesellschaftlicher Umbrüche in den Blick und hat sich auch in vielen anderen Reportagen auf den öffentlichen Raum und den Alltag spezialisiert. Der Unternehmer Hans Imhoff hatte die Süßwarenproduktion aus dem Severinsviertel nach Porz-Westhoven verlegt. Das alte Gelände im Severinsviertel kaufte der Immobilienhändler Dr. Renatus Rüger auf und diesem dann die Stadt Köln für 40 Mill. DM ab, um dort Wohnungen zu bauen. 500 Hausbesetzer versuchten im Mai 1980, den Abriss der alten Fabrik zu verhindern. Während der Entwurf der beauftragten Architekten einen Abriss von 60 Prozent der Bausubstanz vorsah, wollten die »Arbeitsgemeinschaft Wohnen im Stollwerck« und die »Bürgerinitiative Südliche Altstadt« (BISA) die Gebäude hingegen komplett erhalten. Sie richteten in einem Fabrikriegel eine »Musterwohnung« ein, die zeigen sollte, dass ein Umbau durchaus als Alternative zum Abriss in Frage käme.
»Kinderladen«, Foto (oben): Eusebius Wirdeier, Köln 1984
Foto: Eusebius Wirdeier, Köln, 28. Dezember 1986 »Maschinenhalle auf dem ehemaligen StollwerckGelände. Öffentliche Probe des »Intermission Orchestra« unter der Leitung von Frank Köllges.«
Zu den Höhepunkten der Bewegung einer alternativen Gegenöffentlichkeit gehört das Video der »Kölner Wochenschau« mit dem Titel »Besuch beim Stadtdirektor«, als Martin Stankowski den Stadtdirektor Baumann über den Verkauf des Stollwerck-Geländes interviewt, Heinrich Pachl dazu die Kamera bedient und festhält, wie der Verwaltungsbeamte sich in seinen Zahlenangaben gründlich verheddert: Stankowski konnte aufdecken, dass sich die Stadt von Dr. Renatus Rüger gründlich über den Tisch ziehen ließ. Heute tritt der Stadthistoriker Martin Stankowski auch schon mal zusammen mit dem Bonner Kabarettisten Rainer Pause in Trauerhallen und Bestattungsunternehmen auf und referiert dort über den »Tod im Rheinland«. Während ein Teil der Fabrik dennoch alsbald abgerissen wurde, konnten der »Annosaal« und die »Maschinenhalle« noch bis 1987 für kulturelle Aktivitäten genutzt werden. Außerdem gab es hier einige Künstlerateliers. Anfang der 1980er Jahre hatte auch der Zirkus Roncalli sein Winterquartier auf dem Stollwerck-Gelände. Da fanden auf dem Gelände türkische Hochzeiten und Punk-Konzerte nebeneinander statt; der Galerist Ingo Kümmel ließ die Karnevalskapelle der Kölner Hunnen-
horde zusammen mit einer Opernsängerin auftreten und holte aus New York den Fluxus-Künstler Al Hansen ins Stollwerck, wo dieser als Happening aus dem dritten Stock des Fabrikgebäudes ein Klavier kippte. Hansen war von der vitalen Kölner Off-Szene so angetan, dass er bis zu seinem Tod 1995 in Köln leben blieb. Mit typisch kölscher Doppelmoral genossen die Stadtoberen im Rathaus einerseits den internationalen Ruf, den ihnen diese lebendige Kunstszene verschaffte – als Kulturstadt sah sich die Prominenz der Lokalpolitik nun auf Augenhöhe mit New York. Aber andererseits schaffte es die städtische Verwaltung dann doch äußerst trickreich, den endgültigen Abriss durchzusetzen. Ein Teil der Stollwerck-Künstler durfte schließlich als Ersatz Ateliers im Kunsthaus Rhenania im Rheinauhafen beziehen. Als eben solchen »Ersatz« für die anderen sozio-kulturellen Aktivitäten in der Fabrik wurde von der Stadt Köln in der Dreikönigenstr. das »Bürgerhaus Stollwerck« eingerichtet. Doch beide Maßnahmen konnten nie wieder an diese Vitalität der Szene in den 1980er Jahren anknüpfen. Heute erinnert nur noch an der Annostraße am Zugang zur neu gebauten Siedlung das Straßenschild »Ingo-Kümmel-Platz« an die einstigen wilden Zeiten.
»Brucharbeiten, Stollwerck 1987« Foto: Elmar Schmitt »Du warst unser Lebensraum, für einen Teil von uns ein Lebensgefühl. Daß Du ein Ort der Impulse und Anstöße, sogar eine unentbehrliche Quelle für die moderne Kunst warst, das konnten sie nicht begreifen, diese Großen, die Kunst, Leben und Wirtschaft so voneinander trennen, als hätte man für jeden dieser drei Aspekte ein eigenes Leben zu leben.« – Angie Hiesl, Performancekünstlerin
Impressum: »Bewegung im Blick – Die Kölner Fotografenszene der 70er und 80er Jahre« Ein Ausstellungsprojekt zur Internationalen Photoszene Köln 2016, präsentiert von
Hospeltstraße 69, 50825 Köln Vereinsregister: 15221, Amtsgericht Köln USt.-IdNr.: DE286233531 Vorstand: Iren Tonoian | Margrit Miebach Gefördert durch: Landschaftsverband Rheinland LVR, Kulturamt der Stadt Köln, Bezirksvertretung Köln-Ehrenfeld Kooperationspartner: StadtRevue Mit freundlicher Unterstützung von: AkzoNobel, GAG, Internationale Photoszene Köln, laif, Galerie Kunstwerk Nippes, Kılıc-Bierverlag, fineartdigital, Filos, COMMERCARS
Redaktion: Iren Tonoian, Margrit Miebach Guenay Ulutunçok (Bildredaktion), Jan Krauthäuser (Grafik), Jürgen Raap Kuration: Guenay Ulutunçok (Konzeption), Iren Tonoian, Jan Krauthäuser, Margrit Miebach, Janine Koppelmann, Peter Bitzer, Tina Schelhorn Fotografen: Bernd Arnold, Jürgen Bindrim, Wolfgang Burat, Gernot Huber, Manfred Linke, Elmar Schmitt, Guenay Ulutunçok, Manfred Wegener, Eusebius Wirdeier, Wolfgang Zurborn, Kölner Wochenschau (Alle Bildrechte liegen bei den Fotografen) Titelfoto: »Stadtrandkinder«, Gernot Huber
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Bunt und bewegend. So sollen Städte sein.
Mit unserer Human Cities-Initiative setzen wir uns dafür ein, das Leben in Städten menschlicher und lebenswerter zu gestalten. Dazu gehört für uns auch, die Identität einer Stadt zu stärken, Erinnerungen sichtbar zu machen und zu zeigen, wie bunt, vielfältig und engagiert das Leben dort war und ist. Die Ausstellung „Bewegung im Blick“, die wir gerne unterstützen, bietet in Köln dafür eine perfekte Plattform. Wir wünschen ihr viel Erfolg.
www.akzonobel.de
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Human Cities – die Initiative für lebenswerte Städte.