Nichts getan, nichts gesehen, nicht darĂźber reden
RUANDA
Zehn Jahre seit dem Genozid. Reportagen und Analysen
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17.02.2004
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Claudine lebt noch. Eine Gruppe von Hutu war über sie und ihre Familie hergefallen, hatte die Eltern und fünf Geschwister ermordet und sie als tot zurückgelassen. Der Machetenhieb, der ihr den Kopf abtrennen sollte, traf ihr Gesicht. Das vierjährige Tutsi-Kind, das zum Opfer eines gegen ihr Volk gerichteten Ausrottungskrieges werden sollte, wurde gerettet. Claudine gelangte in ein SOS-Nothilfe-Kinderdorf, und schließlich fand sich ein siebenundsiebzigjähriger Pensionär aus Karlsruhe, der die Operation finanzierte. Ihr Gesicht bleibt gezeichnet für`s Leben.
Claudine Uwimana, nach der Operation 1996 im SOS-Nothilfe-Kinderdorf in Ngarama.
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Heute tanzt und spielt Claudine wie andere junge Mädchen. Doch sie wirkt oft abwesend, und ihr Gefßhlsleben zeigt starke Unausgeglichenheiten. Sie ist traumatisiert, auch die psychischen Wunden verheilen nicht.
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Nichts getan, nichts gesehen, nicht darüber reden
RUANDA Zehn Jahre seit dem Genozid. Reportagen und Analysen
Autoren
Peter Baumgartner Georg Brunold Jean-Pierre Chrétien A l i s o n D e s Fo r g e s Bettina Gaus Philip Gourevitch Jean Hatzfeld Andrea König Samantha Power Guenay Ulutunçok
Herausgeber Georg Brunold Andrea König Guenay Ulutunçok
Schmidt von Schwind Verlag - Köln
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Herausgeber: Georg Brunold, Andrea König, Guenay Ulutunçok Übersetzungen: Michael Bischoff, Bischheim Layout: Hölzel, Müllers, luxsiebenzwo Köln Dokumentation und Recherche: Nadja Gawrisewicz Redaktion: Hans Hübner, Andrea König Copyright © alle Photos: Guenay Ulutunçok/laif Konzeption und Produktion: Media Production-Köln Digitalproof: www.derspringendepunkt.info, Köln Druck: EuroGrafica S.p.A., Marano-Vicenza (Italien) Copyright © 2004 by Schmidt von Schwind Verlag, Köln Alle Rechte ausdrücklich vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgend einer Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften, Zeitungen oder in digitalen Medien, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder im Internet. Dies gilt auch für einzelne Bilder und Textteile. 1. Auflage ISBN 3-932050-24-X
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Inhalt
Vorwort
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Georg Brunol und Andrea König
Zehn Jahre über den Massengräbern
8
Fotografien von Guenay Ulutunçok
Alle wußten, was vorging
29
Alison Des Forges
Hutu, Tutsi und der Rassenmythos
33
Philip Gourevitch
Eine »soziale Revolution« besonderer Art
41
Jean-Pierre Chrétien
Die Intervention, die unterblieb
49
Samantha Power
Eine überlebende Tutsi-Frau aus Nyamata berichtet
57
Aufgezeichnet von Jean Hatzfeld
Die Massenmörder auf der Flucht
61
Georg Brunold
Die Massenmörder wissen sich zu helfen
67
Bettina Gaus
Die Rückkehr aus dem Exil
73
Philip Gourevitch
Täter reden
79
Aufgezeichnet von Jean Hatzfeld
Zwei Gesichter der Gerechtigkeit
83
Samantha Power
Gibt es doch ein Land für alle Ruander?
97
Peter Baumgartner
102
Autoren
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15:59 Uhr
Seite 6
Vorwort Zehn Jahre über den Massengräbern Am 6. April 2004 jährt sich der Beginn des Genozids in Ruanda zum zehnten Mal. Von einer Publikation wie der hier aus diesem Anlaß vorliegenden mag Verschiedenes erwartet werden: eine vorläufige Bilanz der Resultate und Fortschritte dessen, was auf deutsch »Vergangenheitsbewältigung« hieße, ein Zwischenbericht über die »Normalisierung« des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Ruanda und über die neue Koexistenz der überlebenden Opfer mit den Tätern, wie diese sich nach deren Rückkehr aus dem zairischen und tansanischen Exil Ende 1996 gestaltet und in den vergangenen siebeneinhalb Jahren entwickelt hat. Zweifellos wäre es ein großer Gewinn, unter dem Titel »Zehn Jahre danach« eine Bestandsaufnahme ruandischer Gegenwart in Händen zu halten – mit einem entsprechend fundierten Ausblick auf die Zukunft des kleinen Landes in der Region der Großen Seen Afrikas. Doch dafür ist zu wenig Zeit vergangen und die gewünschte Klarheit schon deshalb nicht zu haben. Wie standen die Dinge diesbezüglich in Deutschland 1955? Von »Normalisierung« zu sprechen verbietet der Krieg, in den das Land mit großem Kraftaufwand jenseits seiner Genzen, im Kongo, von 1996 bis noch vor weniger als zwei Jahren verwickelt war, und von dem – zumindest was seine ersten Phasen angeht – niemand behaupten kann, seine neuen Herren hätten ihn gesucht. Allerdings spräche dies noch nicht gegen den Versuch, sich auf die Gegenwart und auf Zukunftsperspektiven zu konzentrieren. Aber hieße das nicht zu unterstellen, daß die Geschichte des ruandischen Genozids – sein Verlauf und wie es dazu kam – verstanden ist und vorausgesetzt werden kann? Eben davon kann, von einem kleinen Spezialistenkreis abgesehen, nicht die Rede sein, und diese bescheidene Einsicht war es, was unserem Buchprojekt eine andere Richtung gegeben hat. Die Arbeit daran frischte zunächst die elementare Erfahrung auswärtiger Journalisten auf, die 1994 aus Ruanda zu berichten hatten: Über
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das Land war – auch ihnen selber – denkbar wenig bekannt, und das beispiellose Geschehen, zu dessen Zeugen sie wurden, war auch für sie sehr schwer zu fassen. Dies blieb die Rahmenbedingung ihres Einsatzes, und – viele waren sie nicht. Anfang Juni 1994, zwei Monate nach Beginn des Massenmordens, dem bereits über eine halbe Million Menschen zum Opfer gefallen waren, trug eine neu ausgestellte Pressekarte der UnoMission UNAMIR (United Nations Assistance Mission for Rwanda), der einzigen Organisation, die auswärtige Journalisten in die umkämpfte ruandische Hauptstadt Kigali brachte, die Nummer 086. Zum Vergleich: Eineinhalb Jahre zuvor bei der Landung der US-Marines in Mogadishu dürfte die Zahl internationaler Medienvertreter, die zur Stelle waren, bei wenigsten 2000 gelegen haben. So kann es wenig verwundern, wenn die wichtigen Bücher über den dritten Völkermord des 20. Jahrhunderts frühestens ab Ende 1997 erschienen, mehrere davon erst in den vergangenen zwei Jahren: Philip Gourevitchs Reportage 1998, Alison Des Forges' großer Bericht 1999, JeanPierre Chrétiens historisches Hintergrundwerk 1998, Samantha Powers bahnbrechendes Genozid – Buch 2002. (Erwähnt werden muß an dieser Stelle Gérard Pruniers Rwanda: le génocide, Nov. 1997, das hier leider keine Berücksichtigung finden konnte.) Es verging Zeit, ehe einigermaßen klar geworden und nachzulesen war, was sich, etwas näher besehen, 1994 in Ruanda überhaupt abgespielt hat. Die erschütternden und ganz neuartigen Augenzeugenberichte von Opfern und Tätern, die Jean Hatzfeld in zwei Büchern gesammelt hat und aus denen wir Auszüge drucken, erschienen erstmals 2002 und 2003. Die verzögerten Erkenntnisse über Vorgeschichte, Verlauf und unmittelbare Hinterlassenschaft des Genozids, denen nachzugehen wir uns verpflichtet fühlten, haben auch unser Buch in seinem Fortgang aufgehalten, so daß der Leser in der Gegenwart, zu schweigen von Ruandas Zukunft, kaum erst anzukommen anfängt – wie es schließlich dem Land und seinen Menschen kaum anders ergeht.
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Nicht nur dem kleinen Land der tausend Hügel haben der Bürgerkrieg und der Genozid von 1994 Tod und Erstarrung gebracht. Die ruandische Katastrophe hat eine ganze Region in den Krieg gestürzt, der im Kongo mehrere Millionen Menschenleben gefordert hat. Dieser grenzübergreifende Konfliktherd – man sprach von »Afrikas erstem Weltkrieg« – war es, der so vielen Beobachtern, Diplomaten und Journalisten den Blick dafür getrübt hat, was Ruandas neue Herren für das Land getan und erreicht haben – von ihrer kompromißlosen Suche nach Recht und Gerechtigkeit einmal abgesehen. Mit ehrgeizigen Visionen einer Zukunft jenseits von ethnischer und ständischer Zerrissenheit und bei äußerst begrenzten Ressourcen lenken sie zwar unübersehbar autoritär, aber auch diszipliniert eine schwer traumatisierte Gesellschaft aus der Starre und haben einen komplexen Auf- und Umbau des Landes in Angriff genommen. Ruanda heute ist ein Projekt, das die Bereitschaft, Flexibilität und Kreativität aller Mitwirkenden erfordert – ein Lernprozeß, der seinesgleichen sucht und dessen Chancen nicht mit besserwisserischem Unverständnis vermindert werden sollten. Danken möchten wir zunächst unseren Autoren, die uns alle, wie ihre Verleger ebenso, für ein symbolisches Honorar das Recht zum Abdruck der ausgewählten Texte überließen. Danken möchten wir dem Übersetzer Michael Bischoff für seine hervorragende und wie immer völlig unangemessen entgoltene Arbeit. Unser größter Dank gilt sodann der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten in Bern, die mit ihrer großzügigen finanziellen Unterstützung die Veröffentlichung dieses Buchs ermöglicht hat. Natürlich trägt die DEZA keine Verantwortung für den Inhalt der Beiträge und die Arbeit der Herausgeber, die in allen ihren Entscheidungen völlig freie Hand hatten. Bei der Suche nach Ideen haben uns unsere Bettina Gaus, Almut und Hans Hielscher, Hans Hübner und Wolfgang Kunath zur Seite gestanden. Georg Brunold und Andrea König
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Musterbeispiel von Ruhe und Ordnung: Das fruchtbare kleine Land wurde gerne die Schweiz Afrikas geheißen. Auf einer Fläche von 26 338 qkm leben 2003 rund 8,7 Mio. Menschen. Volkseinkommen: 220 Dollar pro Kopf (Jahr 2001). 60% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze von ein Dollar pro Tag. 90% Kleinbauern. Alphabetisierungsrate der Bevölkerung über 15 Jahren: 69%. Mittlere Lebenserwartung: 49 Jahre.
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In 100 Tagen werden 800 000 Menschen hingeschlachtet – Tausende von ihnen in Schulen oder Kirchen, wo sie sich in Sicherheit zu bringen suchen. Der Geruch des Todes durchzieht das ganze Land.
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In manchen Gegenden sind neun von zehn Tutsi umgebracht worden. Ein Hutu von f체nf ist zu den T채tern zu z채hlen. Auch aus deren Ged채chtnis lassen sich die Abwesenden nicht wegschaffen.
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Als Mordwerkzeug dienten zum allergrĂśĂ&#x;ten Teil Macheten.
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Nach dem Zusammenbruch des Staats der Massenmörder flüchten dessen Regierung, Armee und Milizen aus dem Land und treiben Hunderttausende von Hutu als Faustpfand nach Zaire und Tansania. Das ausgedehnte Lagerleben, das von der internationalen Gemeinschaft finanziert wird, entfaltet sich – alle entsprechenden Konventionen verletzend – in unmittelbarer Grenznähe, wo die für den Genozid Verantwortlichen die baldige Rückeroberung ihrer Heimat ankündigen.
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Etwas mehr als zwei Jahre später: Ruandas neue Armee hat die Lager in Zaire gewaltsam aufgelöst, ein schier endloser Strom von 1994 Geflohenen und Vertriebenen wälzt sich zurück nach Ruanda, unter ihnen zahllose am Massenmord direkt Beteiligte.
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In vier Tagen überschreiten 600 000 Menschen die Grenze von Goma nach Gisenyi, in Raten von 12 000 pro Stunde. Fünf Tage dauert für viele der Marsch. Was sich tragen läßt, wird mitgenommen. Mehrere Hunderttausend setzen sich tiefer ins Landesinnere Zaires ab, darunter die Spitze des Massenmörderstaates und seiner bewaffneten Kräfte.
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Als Streitmacht des neuen Regimes soll die RPA (Ruandische Patriotische Armee) das Ăœberleben der Tutsi und des neuen Staates sichern. Auch Hutu werden unter dem Kommando von Tutsi-Offizieren in die Pflicht gezwungen. Die RPA wird ihre Feinde mehr als 1 500 km weit, bis in die zairische Hauptstadt Kinshasa, verfolgen.
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Kinder hinter Gittern, auch sie verdächtigt. – Jugendliche, Erwachsene und Greise – Hunderttausende haben gemordet. In Gefängnissen, die für zehntausend Insassen konzipiert sind, drängen sich 120 000 Gefangene, die auf ihr Verfahren warten. Bei 15 Urteilen pro Tag würde die strafrechtliche Bewältigung des Völkermords etwas über 200 Jahre dauern.
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Emanuel bewacht, was von den Opfern des Massakers geblieben ist. Immer wieder erzählt er Besuchern seine Geschichte, wie er davon gekommen ist, wie 45 Mitglieder seiner Familie ermordet wurden und hier liegengeblieben sind. Emanuel hat wieder geheiratet und ist wieder Vater von zwei Kindern. Aus den Tagen des Grauens von 1994 hat er bis heute eine Gewehrkugel im Kopf. Das Leben auf den Knochenbergen der Vergangenheit bleibt Ruandas Alltag.
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Alle wußten, was vorging Die Geschwindigkeit und Zerstörungswut, mit der die Mörder zuschlugen, ließen auf eine Verirrung der Natur schließen. »Ein Volk ist wahnsinnig geworden«, sagten einige Beobachter, während andere »einen neuen Ausbruch ethnischer Gewalt« zu erkennen glaubten. Die rund sieben Millionen Menschen zählende Bevölkerung Ruandas setzt sich aus drei ethnischen Gruppen zusammen. Die Twa sind zu wenige, um politisch eine Rolle zu spielen, so daß Hutu und Tutsi unmittelbar miteinander konfrontiert sind. Die zahlenmäßig weitaus größere Bevölkerung der Hutu hatte die vergangenen Zeiten, in denen sie unter der Fuchtel des Tutsi-Regimes gelebt und Gefühle von Groll und Furcht gegenüber der Minderheit angestaut hatte, nicht vergessen. Die von Hutu geführte Regierung befand sich im Krieg mit der von Tutsi dominierten Rebellengruppe Ruandische Patriotische Front (RPF). Hinzu kam, daß Ruanda – ohnehin eines der ärmsten Länder der Welt – durch Überbevölkrung und fallende Weltmarktpreise für seine Produkte immer tiefer in die Armut geriet. Dürre und Krieg hatten die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigt, so daß 1994 schätzungsweise 800 000 Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren. Doch der Völkermord war beileibe kein unkontrollierbarer Ausbruch der Wut eines von »althergebrachtem Stammeshaß« erfüllten Volkes. Genausowenig war er die vorhersehbare Folge durch Armut und Überbevölkerung entfesselter Kräfte. Der Völkermord war das Ergebnis einer bewußten Entscheidung, getroffen von einer modernen Elite, die sich durch Verbreitung von Haß und Angst den Machterhalt zu sichern suchte. Diese kleine, privilegierte Gruppe brachte zunächst die Mehrheit gegen die Minderheit auf, um der zunehmenden Opposition innerhalb Ruandas Herr zu werden. Dann jedoch, angesichts der sowohl auf dem Schlachtfeld als auch am Verhandlungstisch erzielten Erfolge der RPF, änderten die Machthaber ihre Strategie der ethnischen Diskriminierung und setzten statt dessen auf den Völkermord. Sie glaubten, ein Vernichtungsfeldzug könne die Solidarität der Hutu unter ihrer Führung wiederherstellen und ihnen dabei helfen, entweder den Krieg zu gewinnen oder
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F o r g e s
zumindest ihre Chancen auf ein für sie günstiges Ergebnis der Friedensverhandlungen zu verbessern. Sie rissen die Kontrolle über den Staat an sich und bedienten sich seiner Maschinerie und seiner Autorität, um ihr Blutbad anzurichten. Ebenso wie die Organisatoren des Völkermordes waren auch die Täter keineswegs Dämonen oder Marionetten, die Kräften unterworfen waren, denen sie sich nicht entziehen konnten. Sie waren Menschen, die sich entschieden hatten, Böses zu tun. Zehntausende von Furcht, Haß oder der Hoffnung auf Profit getriebene Menschen trafen eine schnelle und leichte Wahl. Sie begannen zu töten, zu vergewaltigen, zu rauben und zu zerstören. Bis zum Schluß fielen sie immer wieder über Tutsi her – ohne Zweifel oder Reue. Viele von ihnen ließen ihre Opfer entsetzlich leiden und erfreuten sich daran. Hunderttausende andere entschlossen sich nur zögerlich zur Beteiligung am Völkermord, einige unter Zwang oder aus Angst um ihr Leben. Anders als die Eiferer, die ihre erste Wahl niemals in Frage stellten, mußten diese Menschen immer wieder neu entscheiden, ob sie sich beteiligen wollten oder nicht, standen ständig aufs neue vor der Wahl der Vorgehensweise und des Opfers und hatten abzuwägen, ob ihnen eine Beteiligung Gewinn einbringen würde oder eine Weigerung mit Kosten verbunden wäre. Daß vermeintlich legitime Behörden zu Angriffen aufhetzten oder diese anordneten, machte es den Zweifelnden leichter, Verbrechen zu begehen und dennoch zu glauben oder vorzugeben, sie hätten nichts Unrechtes getan. Die politischen Entscheidungsträger in Frankreich, Belgien und den Vereinigten Staaten wußten ebenso wie die Vereinten Nationen von den Vorbereitungen für ein gewaltiges Blutbad, unterließen jedoch die zu seiner Verhütung notwendigen Maßnahmen. Von Anfang an war ihnen bewußt, daß die Vernichtung der Tutsi geplant war, doch die führenden ausländischen Politiker wollten nicht einräumen, daß es sich um einen Völkermord handelte.
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›Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda.‹ Hamburger Edition, Hamburg 2002
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Hutu, Tutsi und der Rassenmythos P h i l i p
»Wir selbst können uns nicht auseinanderhalten«, erklärte mir Laurent Nkongoli, der korpulente Vizepräsident der Nationalversammlung. »Ich bin einmal in einem Bus im Norden gefahren, wo sie alle Hutu waren, und weil ich den Mais aß, den sie essen, sagten sie: ›Er ist einer von uns‹, aber ich bin ein Tutsi aus Butare im Süden.« Dennoch, als die Europäer Ende des 19. Jahrhunderts in Ruanda auftauchten, gewannen sie das Bild einer stattlichen Rasse von Kriegerkönigen, umgeben von Herden langhörnigen Viehs, und einer untergeordneten Rasse kleiner, dunkler Bauern, die Hackfrüchte anbauten und Bananen pflückten. Die weißen Männer nahmen an, dies sei die Tradition des Landes, und sie hielten es für eine natürliche Regelung. In jenen Tagen war in Europa die »Rassentheorie« groß in Mode, und wer sich mit Zentralafrika beschäftigte, kannte als entscheidende Lehre die sogenannte hamitische Hypothese, die 1863 von John Hanning Speke aufgestellt worden war, einem Engländer, der vor allem dafür berühmt wurde, daß er den großen afrikanischen See »entdeckte«, den er Victoria-See nannte und als Quelle des Nil identifizierte. Laut Spekes grundlegender anthropologischer Theorie, die er vollständig aus der Luft griff, war sämtliche Kultur und Zivilisation in Zentralafrika von den größeren Menschen mit schärferen Gesichtszügen eingeführt worden, die er für einen kaukasischen Stamm äthiopischen Ursprungs hielt. Dieser leite sich ab vom biblischen König David und sei folglich eine den eingeborenen Negroiden überlegene Rasse. Ganze Teile seines Journal of the Discovery of the Source of the Nile widmete Speke Beschreibungen der physischen und moralischen Häßlichkeit von Afrikas »primitiven Rassen«, in deren Beschaffenheit er »einen verblüffend aktuellen Beweis für die Heilige Schrift« fand. Für seinen Text griff Speke auf die Geschichte von Noah (1 Moses, 9) zurück: Als Noah gerade sechshundert Jahre alt war und seine Arche sicher an trokkenes Land gebracht hatte, pflanzte er einen Weinberg, betrank sich und schlief nackt in seinem Zelt ein. Als er aus seinem Rausch erwachte, erfuhr er, daß sein jüngster Sohn Ham ihn nackt gesehen und seinen Brüdern Sem und Japhet davon berichtet hatte; diese aber, züchtig
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abgewendet, hatten ihres Vaters Blöße mit einem Gewand bedeckt. Noah verfluchte daraufhin die Nachfahren von Hams Sohn Kanaan: »Er sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte!« Unter den Verworrenheiten der Genesis ist dies eine der rätselhaftesten Geschichten, die viele verwirrende Interpretationen erfahren hat – vor allem jene, daß Ham der erste schwarze Mensch gewesen sei. Für die Grundbesitzer des amerikanischen Südens rechtfertigte die seltsame Geschichte von Noahs Fluch die Sklaverei, und für Speke und seine kolonialistischen Zeitgenossen brachte sie die Geschichte der afrikanischen Völker auf den Punkt. Bei »der Betrachtung dieser Söhne Noahs« staunte er darüber, daß sie »so, wie sie damals waren, noch heute zu sein scheinen.« Speke beginnt einen Absatz seines Journals unter dem Titel »Fauna« mit den Worten: »Bei der Behandlung dieses Zweiges der Naturgeschichte wenden wir uns zunächst dem Menschen zu – dem echten krausköpfigen, plattnasigen, dicklippigen Neger.« In dieser Subspezies sah sich Speke mit einem Geheimnis konfrontiert, das sogar noch größer war als das des Nils: »Wie der Neger so lange ohne Fortschritt gelebt hat, scheint ein Wunder, da alle Afrika umgebenden Länder im Vergleich so weit fortgeschritten sind; und wenn man vom fortgeschrittenen Zustand der Welt ausgeht, wird man zu der Annahme geleitet, daß der Afrikaner entweder bald selbst aus seiner Finsternis heraustreten oder von einem ihm überlegenen Wesen verdrängt werden muß.« Speke glaubte, eine Kolonialregierung – »wie die unsre in Indien« – könnte »den Neger« vor dem Untergang retten, aber im übrigen gestand er dieser Rasse »nur sehr geringe Chancen« zu: »Wie es sein Vater machte, so macht es auch er. Er läßt seine Frau arbeiten, verkauft seine Kinder, versklavt alle, deren er habhaft werden kann, und solange er nicht um das Eigentum anderer kämpft, gibt er sich mit Trinken, Singen und Tanzen wie ein Affe zufrieden, um die dumpfe Sorge zu vertreiben.« Das alles war reinster viktorianischer Jargon, auffallend nur durch die Tatsache, daß ein Mann, der sich solche Mühe gemacht hatte, die Welt neu zu sehen, mit solch abgehangenen Beobachtungen zurückgekehrt war. (Und wirklich hat sich seitdem sehr wenig geändert; man braucht die vorstehenden Passagen nur leicht zu redigieren
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– die kruden Karikaturen zu streichen, die Frage der menschlichen Unterlegenheit und den Hinweis auf den Affen – und erhält jene Art Profil des mißverstandenen Afrika, das bis heute in der amerikanischen und europäischen Presse genauso die Norm geblieben ist wie in den Spendenaufrufen humanitärer Hilfsorganisationen.) Zwischen den jämmerlichen »Negern« fand Speke jedoch eine »überlegene Rasse« von »Männern, die der üblichen Ordnung der Eingeborenen so unähnlich waren wie nur möglich«. Sie besaßen »klare ovale Gesichter, große Augen und hohe Nasen, die das beste Blut Abbessiniens verraten« – das heißt Äthiopiens. Diese »Rasse« umfaßte viele Stämme, darunter auch die Watussi – Tutsi –, die allesamt Vieh hielten und in der Regel über die negroiden Massen herrschten. Am meisten fühlte sich Speke von ihrer »körperlichen Erscheinung« angezogen, die trotz der haarkräuselnden und hautverdunkelnden Auswirkungen der Mischehen »tiefe Spuren asiatischer Züge bewahrt hatte; ein charakteristisches Merkmal ist das ausgeprägte Nasenbein.« Indem er seine Vermutungen in vage wissenschaftliche Begriffe kleidete und sich auf die historische Autorität der Heiligen Schrift berief, verkündete Speke, diese »semi-Semhamitische« Herrenrasse bestehe aus verlorengegangenen Christen, und er gab zu bedenken, mit ein wenig britischer Erziehung könne sie fast so »überlegen in allen Dingen« werden wie er als Engländer. Nur wenige der heute lebenden Ruander haben von John Hanning Speke gehört, aber die meisten kennen die Essenz seiner wilden Phantasien, wonach die Afrikaner, die den Stämmen Europas am ähnlichsten sähen, deshalb auch zur Herrschaft bestimmt seien. Und ob sie das nun akzeptieren oder ablehnen – nur wenige Ruander würden leugnen, daß der hamitische Mythos eine der grundlegenden Ideen ist, mittels derer sie ihren Ort in der Welt begreifen. Im November 1992 hielt der Ideologe von Hutu-Power, Leon Mugesera, eine berühmte Rede, in der er die Hutu aufrief, die Tutsi zurück nach Äthiopien zu schikken, und zwar über den Nyabarongo, einen Nebenfluß des Nils, der durch Ruanda fließt. Er mußte das nicht genauer erläutern: Im April 1994 quoll der Fluß von toten Tutsi über, und Zehntausende Leichen wurden an den Ufern des VictoriaSees angeschwemmt. 1885 waren die Vertreter der europäischen Großmächte zu einer Konferenz in Berlin zusammengekommen, um die Grenzen ihrer neuen
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afrikanischen Besitztümer abzustecken. Ruanda und seinen südlichen Nachbarn Burundi bezeichneten die beiden Länder als Provinzen DeutschOstafrikas. Zum Zeitpunkt der Berliner Konferenz war kein Weißer jemals in Ruanda gewesen. Speke, dessen Rassentheorien von den Kolonisatoren Ruandas als Evangelium betrachtet wurden, hatte nur von einem Hügel im heutigen Tansania über die Ostgrenze des Landes geblickt. 1894 betrat der Deutsche Graf von Götzen als erster Weißer Ruanda und besuchte den königlichen Hof. Im darauffolgenden Jahr stürzte der Tod des Mwami Rwabugiri das Land in politischen Aufruhr, und 1897 richtete Deutschland dort seine Verwaltungsstellen ein, hißte die Flagge des Reichs und begründete eine Politik der indirekten Herrschaft. Offiziell bedeutete dies, ein paar deutsche Vertreter über das bestehende System von Hof und Verwaltung zu setzen, aber die Wirklichkeit blieb weiterhin etwas komplizierter. Rwabugiris Tod hatte einen gewaltsamen Nachfolgestreit zwischen den königlichen Clans der Tutsi ausgelöst; die Dynastie befand sich in einem heillosen Zustand, und die geschwächten Führer der stärksten Fraktionen arbeiteten bereitwillig mit den kolonialen Oberherren zusammen, um sich so deren Schutz zu verschaffen. Die sich daraus ergebende politische Struktur wird häufig als »dualer Kolonialismus« beschrieben: Die Tutsi-Eliten nutzten die ihnen von den Deutschen gewährte Protektion und den Freiraum dazu, um ihre internen Fehden auszufechten und ihre Hegemonie über die Hutu zu festigen. Als der Völkerbund Ruanda als Siegesbeute des Ersten Weltkrieges an Belgien übergab, waren die Begriffe Hutu und Tutsi klar als einander bekämpfende »ethnische« Identitäten definiert, und die Belgier machten diese Polarisierung zum Eckstein ihrer Kolonialpolitik. In seiner klassischen Geschichte Ruandas aus den fünfziger Jahren bemerkte der Missionar Monsignor Louis de Lacger: »Eines der überraschendsten Phänomene der menschlichen Geographie Ruandas ist sicherlich der Kontrast zwischen der Pluralität der Rassen und der Empfindung nationaler Einheit. Die Eingeborenen dieses Landes haben wirklich das Gefühl, einem einzigen Volk anzugehören.« Noch heute ist Kinyarwanda die Sprache aller Ruander. Wie Lacger schrieb: »Es gibt nur wenige Völker in Europa, unter denen man diese drei Faktoren nationalen Zusammenhalts findet: eine Sprache, einen Glauben, ein Recht.« Vielleicht war es gerade
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diese auffallende Eigenart Ruandas, die seine Kolonisatoren veranlaßte, den absurden hamitischen Vorwand zu benutzen, um so die Nation zu spalten. Die Belgier konnten kaum vorgeben, sie würden gebraucht, um Ordnung in das Land zu bringen. Statt dessen suchten sie sich jene Merkmale der bestehenden Zivilisation heraus, die ihren eigenen Vorstellungen von Herrschaft und Unterwerfung entsprachen, und bogen sie für ihre Zwecke zurecht. Kolonisierung ist Gewalt, und es gibt viele Möglichkeiten, diese Gewalt auszuüben. Neben militärischen Führern und Verwaltungschefs und einer wahren Armee von Kirchenvertretern schickten die Belgier Wissenschaftler nach Ruanda. Diese brachten Waagen, Meßlatten und Schieblehren, und damit wogen sie die Ruander, maßen ihre Schädelgröße und stellten vergleichende Analysen über die Form ruandischer Nasen an. Und natürlich fanden die Wissenschaftler heraus, was sie schon immer geglaubt hatten. Die Tutsi wiesen »edlere«, »natürlichere« aristokratische Abmessungen auf als die »groben« und »bestialischen« Hutu. Auf dem »Nasenindex« etwa erwies sich, daß die durchschnittliche Tutsi-Nase etwa zweieinhalb Millimeter länger und fast vier Millimeter schmaler war als die durchschnittliche Hutu-Nase. Monsignor Léon Classe, der erste Bischof von Ruanda, befürwortete überzeugt die Entrechtung der Hutu und die Förderung der »traditionellen Hegemonie der hochgeborenen Tutsi«. 1930 warnte er, jeder Versuch, die Tutsi-Häuptlinge durch »ungehobelte« Hutu zu ersetzen, »würde den ganzen Staat direkt in die Anarchie und in einen erbitterten anti-europäischen Kommunismus treiben«, und er fügte hinzu: »Wir besitzen keine Häuptlinge, die besser qualifiziert, intelligenter und aktiver wären, die den Fortschritt besser verstünden und vom Volke besser akzeptiert würden als Tutsi.« Classes Botschaft wurde gehört: Die traditionellen Verwaltungsstrukturen der einzelnen Hügel, die für die Hutu die letzte Hoffnung auf wenigstens lokale Autonomie bedeutet hatten, wurden systematisch aufgelöst, und die Tutsi-Eliten erhielten fast unbegrenzte Befugnisse, die Arbeit der Hutu auszubeuten und ihnen Steuern aufzuerlegen. 1933/34 führten die Belgier eine Volkszählung durch, um »ethnische« Ausweise auszugeben, die jeden Ruander entweder als Hutu (85 Prozent), Tutsi (14 Prozent) oder Twa (ein Prozent) kennzeichneten. Die Ausweise machten es Hutu praktisch unmöglich, Tutsi zu werden, und erlaubten den Belgiern, die Verwal-
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tung eines Apartheidsystems zu perfektionieren, das im Mythos von der Überlegenheit der Tutsi verwurzelt war. Im Genuß der Macht und voller Angst, sie könnte selbst den Mißbräuchen unterworfen werden, zu denen man sie gegen die Hutu ermunterte, akzeptierte die Oberschicht der Tutsi ihren Vorrang als selbstverständliches Recht. Die katholischen Schulen, die das koloniale Ausbildungssystem dominierten, praktizierten eine offene Diskriminierung zugunsten der Tutsi, und diese genossen ein Monopol auf politische und Verwaltungsstellen, während die Hutu ihre ohnehin eingeschränkten Aufstiegschancen schrumpfen sahen. Nichts vermochte die Trennung so anschaulich zu beschreiben wie das belgische System der Zwangsarbeit, das ganze Heerscharen von Hutu dazu verpflichtete, als Plantagenarbeiter, beim Straßenbau und der Waldarbeit zu schuften, und ihnen die Tutsi als Aufseher aufzwang. Jahrzehnte später erinnerte sich ein älterer Tutsi im Gespräch mit einem Reporter an die belgische koloniale Ordnung: »Schlagt die Hutu, oder wir werden euch schlagen.« Die Brutalität endete nicht bei Schlägen; erschöpft von ihren kommunalen Arbeitsverpflichtungen, vernachlässigten die Bauern ihre Felder, und die fruchtbaren Hügel Ruandas wurden wiederholt von Hungersnöten heimgesucht. Seit den zwanziger Jahren flohen Hunderttausende von Hutu wie auch verarmte ländliche Tutsi nach Westen in den Kongo und nach Uganda im Norden, um ihr Glück als landwirtschaftliche Wanderarbeiter zu versuchen. Wofür die Identität als Hutu oder Tutsi in vorkolonialen Zeiten auch gestanden haben mochte – jetzt war es irrelevant; die Belgier hatten »Ethnizität« zum bestimmenden Merkmal der ruandischen Existenz gemacht. Die meisten Hutu und Tutsi unterhielten weiterhin einigermaßen freundliche Beziehungen; es gab nach wie vor Mischehen, und das Schicksal der petits Tutsi in den Bergen blieb dem ihrer Hutu-Nachbarn mehr oder weniger ähnlich. Da aber jedes Schulkind in der Lehre rassischer Überlegenheit und Minderwertigkeit aufwuchs, wurde der Gedanke einer kollektiven nationalen Identität immer stärker ausgehöhlt, und auf beiden Seiten, bei Hutu und Tutsi, bildeten sich einander ausschließende Diskurse heraus, die auf konkurrierenden Behauptungen des Vorrechts und der Kränkung basierten. Stammesdenken zeugt Stammesdenken. Belgien selbst war eine nach »ethnischen«
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Grundsätzen geteilte Nation, in der die frankophone wallonische Minderheit jahrhundertelang die flämische Mehrheit beherrscht hatte. Aber nach einer langen »sozialen« Revolution war Belgien in ein Zeitalter größerer Gleichberechtigung der Bevölkerungsgruppen eingetreten. Die flämischen Priester, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ruanda auftauchten, identifizierten sich mit den Hutu und ermutigten sie in ihrem Streben nach politischem Wandel. Gleichzeitig war Belgiens Kolonialverwaltung unter die Treuhänderschaft der Vereinten Nationen gestellt worden, was bedeutete, daß sie dem Druck ausgesetzt war, die ruandische Unabhängigkeit vorzubereiten. Politische Hutu-Aktivisten fingen an, eine Mehrheitsherrschaft und eine eigene »soziale Revolution« zu fordern. Aber der politische Kampf in Ruanda ging niemals wirklich um ein Streben nach Gleichberechtigung; die Frage lautete lediglich, wer den ethnisch bipolaren Staat regieren würde. Im März 1957 veröffentlichte eine Gruppe von neun Hutu-Intellektuellen das später sogenannte Hutu-Manifest, in dem sie »Demokratie« forderten – allerdings nicht durch die Ablehnung des hamitischen Mythos, sondern indem sie sich auf ihn beriefen. Wenn die Tutsi ausländische Invasoren waren, dann, so lautete ihre Argumentation, war Ruanda rechtens eine Nation der HutuMehrheit. Dies war der Inbegriff demokratischen Denkens in Ruanda: Für die Hutu sprach ihre Zahl. Das Manifest lehnte den Verzicht auf Ausweise mit dem Eintrag der »ethnischen« Zugehörigkeit entschieden ab – aus Angst, »das statistische Gesetz könne gehindert werden, die Realität der Fakten zu begründen«, als würde die Geburt eines Menschen als Hutu oder Tutsi automatisch auch seine Politik festlegen.
›Wir möchten Ihnen mitteilen, daß wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden.‹
Berichte aus Ruanda. Berlin Verlag, Berlin 1999
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Eine »soziale Revolution« besonderer Art J e a n - P i e r r e
Schon bei den ersten modernen Eliten Ruandas in den fünfziger Jahren spielen Vorurteile und Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Spaltung zwischen Hutu und Tutsi eine wichtige Rolle. Doch insgesamt bietet die ruandische Gesellschaft durchaus ein nuancenreicheres Bild. Eine damals durchgeführte Erhebung zu den Familieneinkommen in ländlichen Gebieten ergab, daß die Durchschnittseinkommen bei den Bahutu und den Batutsi dieselben waren. Tatsächlich ist vor allem die kleine, aus der Universität in Astrida oder dem Priesterseminar hervorgegangene Bildungsschicht von der ethnischen Obsession befallen. Als Gegengewicht zur Tutsi-Elite mit ihrem klerikalen Flügel, die sich auf die überkommene Führungsschicht stützt, bildet sich eine Hutu-Elite heraus, die aus Lehrern, Priestern, Katecheten, medizinischem Hilfspersonal und Agronomen besteht und deren Einfluß sich auf Handwerker, Händler und Lastwagenfahrer stützen kann. Der Zugang der einen zu Vervielfältigungsapparaten und der anderen zu Verkehrsmitteln wird sich als nützlich erweisen. Insgesamt besteht diese Welt, die sich von der Masse der ländlichen Bevölkerung abhebt, aus einigen tausend Menschen, die jedoch eine entscheidende Rolle als »kulturelle Mittler« spielen. Bis Mitte der fünziger Jahre scheint die politische Situation von einem traditionsbestimmten Konservatismus geprägt zu sein. Den entscheidenden Anstoß gibt die katholische Kirche. Eine neue Generation von Missionaren, die sich von den Idealen einer christlichen Demokratie leiten läßt, fühlte sich dem Hutu-Populismus eng verbunden. Die Flamen erkennen darin ihren Kampf gegen die frankophonen Belgier wieder. Der Schweizer André Perraudin, seit 1955 Bischof von Kabgayi, fühlt sich in Ruanda an die Forderungen der Landbevölkerung in seinem heimatlichen Valais gegenüber der Bourgeoisie von Sion erinnert. Neun Jahre nach dem Jubiläum von 1950, das die Erfolge der Evangelisierung ganz der Tutsi-Aristokratie zugewiesen hatte, die das Land zu Christus geführt haben sollte, bringt der Fastenhirtenbrief von 1959 die Kehrtwende der Kirche deutlich zum Ausdruck. Darin heißt es, in Ruanda gebe es »zwei deutlich voneinander unterschiedene Rassen«, und die soziale Ungleichheit beruhe »zu einem großen Teil auf den
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Rassenunterschieden«. Die aus den Priesterseminaren hervorgegangenen Hutu definieren sich als Angehörige einer »ländlichen Bildungsschicht«; darum erfreuen sie sich der Unterstützung durch die christliche Arbeiterbewegung Belgiens und können auf die Strukturen der Pfarrgemeinden zurückgreifen (Légion de Marie, Lehrerverein, Druckerei und Dienste der Kirchenverwaltung in Kabgayi). Die Karriere ihres Anführers Grégoire Kayibanda ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Der Lehrer, der Bischof Perraudin nahestand und an Veranstaltungen der Jeunesse Ouvrière Chrétienne in Belgien teilnahm, wird 1954 Chefredakteur der Zeitschrift »Kinyamateka«, die das »soziale« Wort Gottes unter Zehntausenden von Lesern verbreiten soll, und später Direktionsmitglied des 1956 gegründeten katholischen Netzwerks Trafipro. Im August 1959 wird die Union nationale rwandaise (Unar) gegründet, welche die sofortige Unabhängigkeit fordert. Doch nicht alle TutsiFührer schließen sich ihr an. Im folgenden Monat gründen reformistische Elemente den Rassemblement démocratique rwandais (Rader) und verbünden sich mit der Hutu-Partei. Der ethnische Gegensatz hat also das Denken der Menschen noch nicht vollends durchdrungen. Im Herbst 1959 verschärft sich die Tonlage. Eine Reihe gegenseitiger Provokationen führt schließlich zu einem Bauernaufstand im Norden und im Zentrum des Landes. Tausende von Hütten werden niedergebrannt, mehrere hundert Tutsi ermordet. Der Norden ist damit praktisch »gesäubert«. Im Gegenzug werden Hutu-Führer ermordet. Daraufhin verlegt die belgische Regierung Fallschirmjäger aus dem Kongo in die Region und ernennt Oberst Guy Logiest, einen Bewunderer der Apartheid, zum Sonderresidenten. Im Schatten des Militärregimes wir das Land »enteint« (désunarisé) – eine Operation, bei der man die Hälfte der Oberhäupter und 300 von 500 stellvertretenden Oberhäuptern absetzt und durch HutuOberhäupter oder Bürgermeister ersetzt. Im Kontext dieser zwangsweisen »Bewußtmachung« ethnischer Unterschiede geht bei den Kommunalwahlen im Juni 1960 eine erdrückende Mehrheit an den Parmehutu, den 1959 aus Kayibandas zwei Jahre davor gegründetem
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Mwami König
Inyenzi »Kakerlake«, seit den sechziger Jahren Bezeichnung für Tutsi
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Mouvement social muhutu hervorgegangenen Parti du mouvement de l’émancipation des Bahutu. Eine autonome belgisch-ruandische Regierung wird gebildet, deren Führung Kayibanda übernimmt. Die Vereinten Nationen lassen es geschehen. Der von den belgischen Christlichsozialen beratene und von Logiest unterstützte Kayibanda organisiert einen Staatsstreich. Am 28. Januar 1961 rufen die Vertreter der Gemeinden in Gitarama die Republik aus. Der Mwami flieht nach Léopoldville, die Parlamentswahlen im September 1961 bestätigen den Regimewechsel zugunsten des Parmehutu und Kayibandas, der noch vor der Unabhängigkeitserklärung im Juli 1962 zum Staatspräsidenten ernannt wird. In der Wortwahl von Gouverneur Harroy handelt es sich um den Sieg einer »Revolution« unter »Aufsicht« oder mit dem »Beistand« der Kolonialbehörden. Doch die rassistische Ausrichtung des Parmehutu war offenkundig. Diese Partei gab vor, »das Land seinen eigentlichen Besitzern zurückzugeben«, und riet den Tutsi, »nach Abessinien zurückzukehren«, wenn es ihnen in Ruanda nicht gefalle. Wie es in einer Erklärung des Zentralkomitees vom Mai 1960 heißt: »Ruanda ist das Land der Bahutu (Bantu) und all derer, ob weiß oder schwarz, Europäer, Tutsi oder sonstiger Herkunft, die sich von den feudal-kolonialistischen Zielen freimachen wollen.« Die in Ruanda hergestellte, in Europa von der Linken wie von der Rechten so hochgelobte Demokratie war also recht eigentümlicher Art. Sie wurde verstanden als Herrschaft der »kleinen Leute« oder der »Mehrheit«, aber zugleich auch als legitime Rache der »einheimischen« Bevölkerung, der Hutu, an den 17 Prozent Tutsi, die in ihrer Gesamtheit als ausländische Minderheit behandelt wurde. Diese Vorgänge sind – auch von den Akteuren – oft mit der Französischen Revolution verglichen worden. Doch die ruandische Revolution schaffte die »Stände« (hier die Amoko) keineswegs ab, sondern verstärkte sie noch und behandelte die »Hamiten«, wie die Tutsi auf ihren Ausweisen bezeichnet wurden, geradeso, als hätte der Dritte Stand in Frankreich sich für alle Zeiten zum Träger einer gallischen Volksidentität erklärt und beschlossen, die Abkömmlinge des Adels in ein Getto »fränkischer Eroberer« zu sperren. Die Rassentrennung der dreißiger Jahre wird also beibehalten, man kehrt lediglich die Vorzeichen um zugunsten der Mehrheit.
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Die einst von den Kolonialherren gehätschelten Tutsi sind in Ruanda von heute auf morgen zu Menschen geworden, die in ihrem Land nur geduldet werden. Nahezu 150 000, fast ein Drittel von ihnen, muß in die angrenzenden Länder fliehen. Weitere Wellen werden ihnen 1964 und 1973 folgen. Ende 1980 werden sich etwa 700 000 Flüchtlinge in Burundi, Uganda, Zaire und Tansania aufhalten. Diese Diaspora ist die erste große Flüchtlingsgruppe in Schwarzafrika, aber 30 Jahre lang nimmt man kaum Notiz von ihrem Schicksal, als handelte es sich tatsächlich nur um die von der Propaganda in Kigali sogenannte »Feudalclique«. Die »soziale Revolution« von 1959 bis 1961 ist das Ereignis, das die folgenden drei Jahrzehnte prägt. Weihnachten 1963 nimmt das Regime einen Angriff mehrerer hundert aus Burundi eingedrungener Flüchtlinge, der von belgischen Truppen südlich von Kigali gestoppt werden, zum Anlaß, um die durch interne Rivalitäten geschwächte Parmehutu wieder zusammenzuschweißen, indem man 1964 Jagd auf die kollektiv verteufelten Tutsi macht. Im Namen der »Selbstverteidigung« und des »Volkszorns« organisieren verängstigte Hutu, Bürgermeister und Präfekten, unterstützt von eigens in die Provinz geschickten Ministern, eine Reihe von Massakern, denen mehr als 10 000 Menschen zum Opfer fallen. Die Tutsi werden als »fünfte Kolonne« der »Kakerlaken« (Inyenzi) beschimpft, die überall eindringen. Die in Ruanda gebliebenen Tutsi-Persönlichkeiten der Unar und Rader werden exekutiert, der Parmehutu kann nun 1966 zur einzigen Partei werden. Mit Zustimmung der katholischen Hierarchie spielen die Machthaber das Gemetzel herunter, das Bertrand Russell damals als das »schrecklichste und systematischste Massaker seit der Vernichtung der Juden durch die Nazis« bezeichnet. In diesen Ereignissen muß man einen Vorboten des Völkermords von 1994 erblicken, zumal Grégoire Kayibanda den Flüchtlingen damals androhte, wenn sie Kigali angriffen, werde er ein Chaos schaffen, das unweigerlich »das vollkommene, rasche Ende der gesamten Tutsi-Rasse« bedeuten werde. In der Zweiten Republik, die aus einem Staatsstreich unter Führung des Generals Juvénal Habyarimana von 1973 hervorgeht, verlagert sich der Schwerpunkt der Macht nach Norden, »von Nduga nach Rukiga« oder genauer von Gitarama
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nach Gisenyi, der Präfektur des neuen Staatspräsidenten. Nach einer fünfjährigen Übergangsperiode unter militärischer Herrschaft nimmt die Macht wieder zivile Züge an, wie der belgische Jurist Filip Reyntjens schreibt. Die Verfassung von 1978 schafft ein Präsidialsystem, in dem die Bevölkerung von einer neuen Einheitspartei, dem Mouvement révolutionnaire national pour le développement (MRND), vereinnahmt wird. Fünfzehn Jahre lang scheint Ruanda ein Land ohne Vergangenheit zu sein, in dem nur von »Entwicklung« gesprochen wird, wie es das Symbol der Partei und die Bezeichnung der Nationalversammlung anzeigen. Diese »bäuerliche Ordnung« basiert auf drei Pfeilern: der alltäglichen ethnischen Diskriminierung, der katholischen Kirche und der ausländischen Hilfe. Staatliche und private Hilfsgelder strömen in dieses »Land der tausend Entwicklungshelfer«, in dem praktisch jede Gemeinde ihr »Projekt« hat und das als Modell für die »integrierte ländliche Entwicklung« gilt. Ein kleines, fleißiges, ehrsames, gesittetes, wohlmeinendes, stabiles Land – das ist das Bild, das man unermüdlich verbreitet. Ein langjähriger Berater seines ersten Präsidenten Kayibanda: »Das neue Ruanda ist zutiefst geprägt von der großen Mäßigung seiner wichtigsten Führer, von der Entscheidung für die Demokratie und von der christlichen Ausrichtung der Politik.« Die Kirche arbeitet wie schon zu Kolonialzeiten Hand in Hand mit dem Staat. Gemeinsam mit den »ausländischen Freunden«, vor allem den Christlichdemokraten in Flandern oder im Rheinland, bildet sie einen wichtigen Stützpfeiler. Das Netz der Pfarreien und die Sonntagsmesse ergänzen die Parteizellen und die wöchentliche Versammlung zur »Gemeinschaftsarbeit« (Umuganda genannt) sowie zur »Anregung« (das heißt Propaganda). Neben den offiziellen Organen gibt es nur noch die katholische Presse; die Tageszeitung »Kinyamateka« und die 1968 zur moralischen und kulturellen Erziehung der Eliten gegründete Zeitschrift »Dialogue«. Vincent Nsengiyumva, 1976 bis 1994 Erzbischof von Kigali, gehörte lange Zeit dem Zentralkomitee des MRND an. Das Präsidentenpaar demonstrierte eine Frömmigkeit, die etwa am Hof des belgischen Königs Baudouin Erstaunen erregte. Von 1981 bis 1983 hielten Schülerinnen des Gymnasiums von Kibeho öffentlich und in Gegenwart der Medien »Zwiesprache« mit der Jungfrau Maria. Dieses
sittenstrenge Regime erinnert deutlich an Portugal unter Salazar. Die »christlichen und demokratischen« Werte verbanden sich mit einer Ausblendung oder gar Unterdrückung aller kulturellen Bezüge zum alten Ruanda, das in Bausch und Bogen als »feudal« abgetan wurde. Die außerordentliche reiche mündliche Literatur, Tanzkultur und Musik wurde auf akademischer Ebene, in Musikwissenschaft und Volkskunde, zwar am Rande behandelt, doch in der Öffentlichkeit reinigte und zenzierte man sie, denn die traditionelle religiöse und politische Kultur war, ob man das wollte oder nicht, eng mit dem Königtum verbunden. Das Land wurde von einer Musik nach dem Vorbild Zaires überschwemmt. Man reduzierte die Geschichte auf das Rassenschema und warf alles, was vor 1959 lag, auf den Müllhaufen des »ancien régime«, ähnlich den als »gotisch« bezeichneten Bauwerken, die im nachrevolutionären Frankreich dem Vandalismus anheimfielen. Das neue Ruanda wies seine ganze nationale Vergangenheit den Tutsi zu und machte sie so zu etwas Hassenswertem. Erst in den siebziger Jahren wandte sich eine neue Generation von Historikern wieder dem Erbe der heiligen Wälder und der mündlichen Tradition zu. Die Ablehnung der Vergangenheit verband sich mehr und mehr auch mit einer Blindheit für die politische Zukunft. In den achtziger Jahren erlebte Ruanda eine verstärkte Modernisierung. Geld, Geschäfte und Individualismus erlangten, zum Guten oder zum Schlechten, immer größere Bedeutung innerhalb der Gesellschaft. Der Widerspruch zwischen der offiziellen Ländlichkeitsrhetorik und diesen sozialen Realitäten trat immer deutlicher zutage. Um dem entgegenzuwirken, griff das Regime nach derselben Konstruktion wie einst die Kolonialherren. Man versuchte, die als traditionsbedingt dargestellten Spaltungen aufrechtzuerhalten, indem man ein »Gleichgewicht« herstellte. Die »Demokratie« war nicht zu verbessern, da die Macht ja bereits in den Händen der »Mehrheit« lag, aber deren Interessen galt es durch ein Quotensystem zu sichern, das soziale »Disparitäten« verhindern sollte. Man begrenzte den Anteil der jungen Batutsi in Schule und Beruf auf 9 % und erreichte damit zugleich auch den Fortbestand des ethnischen Denkens in den neuen Generationen. So erzwang man, daß die Prinzipien, die bei der Gründung der Hutu-Republik Pate gestanden hatten, auch eine Generation später noch Bestand hatten.
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Akazu »Das kleine Haus«; innerer Machtzirkel um Habyarimana
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Als die wirtschaftliche und politische Lage in Ruanda sich 1989 verschlechtert, sehen viele belgische Beobachter sich veranlaßt, von einer »Endzeitstimmung« und einem Scheitern des Kooperationsmodells zu sprechen. Am 1. Oktober 1990 greifen einige tausend ruandische Soldaten der ugandischen National Resistance Army (NRA) im Nordosten des Landes an. Diese Guerilleros bezeichnen sich selbst als Inkotanyi (Kämpfer) und bilden den bewaffneten Arm des Front patriotique rwandais (FPR). Diese 1987 in Kampala aus dem Untergrund hervorgetretene Bewegung vollzieht einen Bruch mit der monarchistischen Tradition der alten Unar und verfolgt das Ziel, den ruandischen Staat auf nationaler Grundlage wieder aufzubauen und unter allen Umständen den geflohenen Tutsi die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen. Hinter diesem Ziel steht die gesamte ruandische Diaspora seit ihrem Washingtoner Kongreß im Jahr 1988. Außerdem profitiert der FPR von den Aktivitäten einer Gruppe von Hutu-Funktionären, die sich von der Korruption und dem Nepotismus des HabyarimanaRegimes abgestoßen fühlen, darunter Oberst Alexis Kanyarengwe und Pasteur Bizimungu, der ehemalige Direktor der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft. Der Zusammenbruch des Regimes scheint nahe. Doch die Oktoberoffensive wird von der Armee, den Forces armées rwandaises (FAR), mit Unterstützung durch Truppen aus Frankreich, Belgien und Zaire rasch zerschlagen. Der Führer der Inkotanyi, Fred Rwigyema, kommt schon in den ersten Tagen ums Leben. Der Widerstand Kigalis kann nur überraschen, wenn man die ausländische Hilfe, den neuerlichen Rückgriff auf das immer noch virulente ethnische Denken und die listigen Machenschaften des Präsidenten außer acht läßt. Juvénal Habyarimana versteht es, sehr schnell ausländische Hilfe zu mobilisieren; er zögert nicht, die alte Propaganda gegen die »feudalistischen Tutsi« wiederzubeleben; und er scheut auch nicht vor einer Provokation zurück: Nach einem Scheinangriff auf Kigali in der Nacht zum 4. Oktober läßt er etwa 8 000 Verdächtige in den Gefängnissen und Stadien von Kigali zusammentreiben. Der FPR unter seinem neuen Führer Paul Kagame verlegt die Front in den vulkanischen Teil des Landes und baut dort im Norden mit stillschweigender Unterstützung Ugandas eine Guerillabewegung auf. Von 1991 bis 1993 erleben wir einen Wettlauf gegen die Zeit zwischen zwei Logiken: zwischen
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der des Verhandelns und der Demokratisierung des Regimes auf der einen Seite, der des Krieges und der Mobilisierung ethnischer Feindseligkeit auf der anderen. Drei Jahre lang hielt das Regime Habyarimana an diesem Doppelspiel fest und konnte sich dabei ganz auf die militärische Hilfe der französischen Regierung unter Präsident François Mitterand verlassen. Die Verteidigung der bestehenden Ordnung im französischen Einflußbereich, der durch einen anglophonen Einbruch (ein neues Fachoda) bedroht war, schien mit der auf der Konferenz von La Baule im Juni 1990 empfohlenen demokratischen Öffnung einhergehen zu können. Außerdem hatte Juvénal Habyarimana von Anfang deutlich gemacht, daß die politische Unordnung unweigerlich zu Gewalttätigkeiten zwischen den verschiedenen Ethnien führen müsse. Er präsentierte sich selbst als Bollwerk gegen solche Exzesse und als legitimer Vertreter der »Volksmehrheit«. Diese Argumente überzeugten nicht nur die in Brüssel beheimatete Christlichdemokratische Internationale, sondern auch zahlreiche französische Sozialisten, die damals ein afrikanisches »1789« zu erkennen glaubten, das geschützt werden müßte. Doch die Situation im Lande war vollkommen anders. Tatsächlich gab es keinerlei spontane Repressalien gegen die Tutsi. Die Gewalttätigkeiten, zu denen es von 1990 bis 1993 gelegentlich kam, wurden jeweils aus Gründen politischer Opportunität von staatlicher Seite organisiert. Andererseits gewann die innere Opposition gegen die an der Macht befindliche Fraktion ständig an Stärke. Die Habgier des von der Präsidentenfamilie, des sogenannten Akazu, geführten Nordclans wird von den Eliten des Südens und des Zentrums kritisiert, die zum Teil nostalgisch der Zeit Kayibandas verhaftet, zum Teil aber auch offen für ein moderneres soziales Leben sind, in dem das Tutsi-Problem überwunden wäre. Angesichts einer schwierigen Wirtschaftslage, eines Bürgerkriegs im Norden, einer neuen HutuOpposition, die bereit ist, sich mit den Rebellen zu verbünden, und angesichts internationalen Drucks, weicht das Regime Schritt für Schritt zurück: Presse- und Versammlungsfreiheit werden wiederhergestellt, und im Juni 1991 erlaubt eine Verfassungsreform die Schaffung eines Mehrparteiensystems. Mehrere Parteien werden neu oder wieder gegründet: der MDR (Mouvement démocratique républicain), Nachfolger des Parmehutu und hauptsächlich in der Präfektur Gitarama verwurzelt; der PSD (Parti social-démocrate), dessen
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Hochburg die Universitätstadt Butare ist; der PL (Parti libéral), in dem viele Tutsi ihre politische Heimat finden, usw. Die einstige Einheitspartei wird in MRNDD umbenannt (Movement révolutionnaire national pour le développement et la démocratie). Gewalttätige Demonstrationen in Kigali führen im April 1992 zur Bildung einer Koalitionsregierung unter Leitung des Führers des MDR Dismas Nsengiyaremye. Von nun an – und das wollen Habyarimanas ausländische Freunde nicht wahrhaben – besitzt das politische Leben des Landes drei Pole: die Bewegung um Habyarimana, die innere Hutu-Opposition und den FPR. Hutu-Opposition und FPR treffen sich in Uganda und Europa, dann beginnen im tansanischen Arusha Verhandlungen zwischen Regierung und FPR. Sie führen im Juli 1992 zu einem Waffenstillstand, im Januar 1993 zu politischen Vereinbarungen und schließlich im Juli desselben Jahres zu einem militärischen Kompromiß. Doch zugleich wächst auch der ethnische Extremismus. Im Mai 1990, noch vor dem Angriff der FPR, gründet ein obskurer Busfahrer aus Gisenyi namens Hassan Ngeze mit heimlicher Unterstützung durch staatsnahe Kreise eine vierzehntäglich erscheinende Zeitschrift mit dem Titel »Kangura« (Weckruf ), die unter dem Deckmantel der wiedergewonnenen Pressefreiheit Haßkampagnen gegen die Tutsi-Inyenzi (»Kakerlaken«) und deren »Komplizen« (Ibyitso) unter den Hutu startet. Zur Krönung bringt sie im Dezember 1990 einen »Appell an das Gewissen der Hutu« mit den »Zehn Geboten des Hutu«, ein Evangelium des Hasses, das jede geschäftliche oder sexuelle Beziehung zwischen den beiden »Ethnien« verbietet: »Die Batutsi dürsten nach Blut […]. Sie benutzen zwei Waffen gegen die Hutu: Geld und Frauen […]. Die Bahutu dürfen nicht länger Mitleid mit den Batutsi haben […]. Die HutuIdeologie muß in jedem Muhutu und auf allen Ebenen gelehrt werden.« Diese Ideologie ist den Ruandern keineswegs neu. Sie kennen sie seit Ende der fünfziger Jahre. Damals wurde sie in den wöchentlichen »Anregungsversammlungen« verbreitet. Im Dezember 1993 veröffentlicht »Kangura« auf dem Titelblatt ein Porträt Grégoire Kayibandas neben einer riesigen Machete, um so an die schreckliche Macht des »Volkes« zu erinnern. Die ethnistische Propaganda wird nun systematisch auf den Gipfel getrieben. Die ethnischen Unterschiede werden als unausweichlicher, vorrangiger und eindeutig ras-
sischer Gegensatz dargestellt. Die praktische Folge ist die vollständige Ablehnung des anderen bis hin zu dessen Vernichtung und die Legitimation von Gewalt in ihren grausamsten Formen, da es nur natürlich sei, sich mit allen Mitteln vor einem unmenschlichen »Feind« zu schützen. So heißt es in der Zeitschrift »Kangura«: »Entdeckt eure Ethnie wieder […]. Ihr seid eine wichtige Ethnie der Bantu-Gruppe. Die Nation ist etwas Künstliches, die Ethnie dagegen etwas Natürliches.« (1992) »Ein Kakerlak kann keinen Schmetterling hervorbringen. So ist das nun einmal. Ein Kakerlak kann nur einen Kakerlaken hervorbringen. Das kann niemand bestreiten. Die Geschichte Ruandas zeigt uns deutlich, daß ein Tutsi immer ein Tutsi bleibt und sich niemals ändert. Ihre Bosheit kennen wir zur Genüge aus der Geschichte unseres Landes.« (März 1993) »Der Krieg, den wir führen, ist der Krieg zwischen Batutsi und Bahutu. Um ihn in der öffentlichen Meinung und im Feld zu gewinnen, sollen die einen hierher, die anderen dorthin gehen […]. Aber weiterhin Dinge zu vermischen, die sich nicht miteinander vermischen lassen, wird zu gar nichts führen.« (März 1991) »Die Tutsi haben uns in Ruanda vorgefunden, sie haben uns unterdrückt, und wir haben es ertragen. Aber nun, da wir der Knechtschaft entronnen sind und sie die Unterdrückung wiederherstellen wollen, wird wohl kein Hutu das mehr ertragen wollen. Der Krieg der Bahutu ist gerecht. Es ist ein Kampf um die Republik [...]« (Mai 1991) Die ganze Geschichte wird in einer gobinschen, wenn nicht dem Geiste nach sogar nazistischen Weise auf diese Auseinandersetzung reduziert. Tatsächlich sprechen zahlreiche Anzeichen dafür, daß hier das Leitmotiv des Antisemitismus in einen Antihumanismus verwandelt und auf diese afrikanische Ideologie projiziert worden ist, hatten die Missionare die Tutsi doch ein Jahrhundert lang als »Semito-Hamiten« bezeichnet. Wir haben es hier mit einem äußerst modernen Phänomen zu tun und nicht mit der bloßen Wiederkehr von »Stammeskämpfen«. Die Ideologie der »Kangura«-Zeitschrift wird auch außerhalb Ruandas verbreitet, vor allem in Burundi, und zwar durch eine als internationale Ausgabe deklarierte Version der Zeitschrift. Andere, noch offiziellere Presseorgane unterstützen diese Kampagne, angefangen bei der Parteizeitung des MRND »Murwanashyaka« (Der Kämpfer), die jede Vermischung und jeden
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Ibytso Spion, Agent.«Maulwurf«
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Kompromiß zwischen Hutu und Tutsi ablehnt: »Es gibt Realitäten, denen man nicht entkommt, sofern man sich nicht verstellt, indem man zum Beispiel die Ethnie wechselt. Aber sobald man dich entdeckt, wird man dich den anderen zuordnen und deine eigenen Brüder werden nicht zögern, dich wie einen Hund zu behandeln […]. Du kannst einer Ethnie nur auf dem Papier angehören, aber in welche Adern füllst du das Blut der Ethnie, der du anzugeben vorgibst?« (April 1991) »Der Feind ist unter uns, verräterische Parteien halten die Inkotanyi für unsere Brüder.« (1992) Der so in der Öffentlichkeit geschürte Rassenhaß materialisierte sich schließlich in Pogromen. Sie wurden hauptsächlich von Bürgermeistern organisiert, die der Präsidentenpartei nahestanden. Zu solchen Pogromen kam es immer dann, wenn eine politische Öffnung unvermeidlich schien: die Ausrottung des Tutsi-Clans der Bagogwe Anfang 1991, kurz nach einem Angriff der FPR auf Ruhengeri; das Massaker in Bugesera (im Südosten des Landes) im März 1992, kurz bevor die Opposition Verhandlungen mit der Regierung aufnahm; das Gemetzel in Kibuye (im Westen des Landes) im August 1992, das sich nach Norden ausbreitete und bis Januar 1993 hinzog, parallel zu den in Arusha erzielten Fortschritten. Diese Blutbäder gingen hauptsächlich auf das Konto der Interahamwe (»die gemeinsam handeln«), der seit 1992 aufgebauten Miliz der Staatspartei MRND. Sie provozierten im Februar eine kurzzeitige Wiederaufnahme der Kämpfe seitens des FPR, die dazu führte, daß eine Million Flüchtlinge aus dem Norden Richtung Kigali strömten. Die zunehmenden Spannungen zeigten sich auch im politischen Bereich. Im November 1992 bezeichnete Habyarimana selbst die ersten Übereinkünfte in Arusha als Fetzen Papier, und einige Tage später sagte ein hoher Vertreter seiner Partei, Professor Léon Mugesera, voraus, man werde die Leichen der Tutsi (einschließlich der Kinder) bald »per Expreß« auf den Flüssen in ihre ursprüngliche Heimat Abessinien zurückschicken. Der Generalstab hatte schon im September eine gleichfalls sehr deutliche Erklärung über den »inneren Feind« abgegeben. Dennoch gelang es dem Präsidenten, sich in einer scheinbaren Schiedsrichterrolle zu präsentieren, und zwar durch zwei Schachzüge: erstens durch die im März 1992 erfolgte Gründung einer extremistischen Partei namens Coalition pour la défense de la République (CDR), die in Wirklichkeit von
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hohen Funktionären des Akazu geleitet wurde; und zweitens durch die Spaltung der HutuOpposition, indem er von Sommer 1992 bis Sommer 1993 darin eine ethnistische Strömung namens Hutu power unterstützte, in der Donat Murego, Froduald Karamira und Jean Kambanda den Ton angaben, drei Führer des MDR, deren unterschiedliche Herkunft (aus Ruhengeri, Gitarama und Butare) für eine »heilige Union« aller Hutu zu stehen schien. Die Wiederaufnahme der Kämpfe im Februar 1993 beschleunigte natürlich diese Spaltung, die eine deutliche Schwächung für Faustin Twagiramungu bedeutete, den zukünftigen Ministerpräsidenten der in den Verträgen von Arusha vorgesehenen Übergangsinstitutionen, und ebenso für Agathe Uwilingiyimana, eine couragierte Frau, die Nsengiyaremye im Juni 1993 an der Spitze der Koaltionsregierung folgte. Dennoch schien die Hoffnung wieder zu wachsen, als im August die Verträge von Arusha unterzeichnet werden. Doch schon bald stellen sich Schwierigkeiten bei der Durchführung der Veränderungen und bei der Versöhnung ein. Die Vertreter der extremen Positionen in Ruanda denken nicht daran, die Waffen niederzulegen, auch wenn ab November 1993 die Blauhelme der UNAMIR in Kigali eintreffen. Präsident Habyarimana ist der einzige, der seinen Amtseid auf die neuen Institutionen ablegt, doch dann hintertreibt er mit aller Macht die Bildung des Parlaments und der Übergangsregierung. Seine Anhänger reden so, als stünde die Wiederaufnahme der Kämpfe unmittelbar bevor. Die Zeitschrift »Kangura« sagt im Januar einen Endkampf voraus, in dem »die Massen« Blut fließen lassen würden. Ein neuer privater Radiosender, Radiotélévision libre des milles collines (RTLM), gegründet und finanziert von einer dem Akazu nahestehenden Nomenklatura und technisch von Radio-Rwanda unterstützt, verbindet eine mitreißende, meist aus Zaire stammende Musik mit »heißen Nachrichten«, die scharf kommentiert werden: ein »interaktiver«, herzhafter und sogar humorvoller Stil, der die öffentliche Meinung bei den Hutu auf die Linie des bösartigsten Extremismus bringen soll. »Kangura« hat eine Auflage von 10 000 Exemplaren, doch RTLM erreicht mehrere Hunderttausend Hörer. Am Abend des 6. April wird das Flugzeug, das Präsident Habyarimana in Begleitung seines burundischen Amtskollegen Ntaryamira aus Dar-esSalaam zurückbringt, beim Landeanflug auf den
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Flughafen Kigali abgeschossen. Die für diesen Anschlag Verantwortlichen wurden niemals ermittelt, da es keine echte Untersuchung gegen die anwesenden ruandischen, belgischen und französischen Protagonisten gab. Man begnügte sich damals mit Vermutungen, die auf der Frage beruhten, wem Habyarimanas Tod am meisten nützte, und später mit oft recht suspekten Enthüllungen. Aber sowohl die Logistik des Anschlags (die beiden Raketen wurden von einem Hügel abgefeuert, der unter Kontrolle der Präsidentengarde stand) als auch die vom belgischen Geheimdienst und von Beauftragten der Vereinten Nationen gesammelten Informationen verweisen deutlich auf die extremistische Faktion, die in den folgenden Tagen die Macht ergriff. Am 7. April übernimmt ein Militärausschuß die Macht, die schon bald in die Hände eines pensionierten Offiziers und Angehörigen des Akazu, Oberst Théoneste Bagosora, fällt. Am 8. April wird eine neue Regierung gebildet, die ausschließlich aus Hardlinern des MRND, der CDR und des Hutu-power-Flügels der ehemaligen Opposition besteht. Zum Interimspräsidenten ernennt man Théodore Sindikubwabo, zum Ministerpräsidenten Jean Kambanda. Vom 9. bis 12. April intervenieren die Franzosen in Kigali, um die Europäer zu evakuieren. Die Führungsschicht des Akazu bringt man gleichfalls in Sicherheit, doch die Tutsi-Mitarbeiter der Botschaft überläßt man ihrem traurigen Schicksal. Und schon am Abend des 6. April beginnt der Völkermord. Schon am Nachmittag des 7. April wird das Lager des kleinen, auf Grund der Verträge von Arusha in Kigali stationierten Kontingents des FPR überrannt, und im Norden des Landes mobilisiert Major Kagame seine Truppen. Am 11. April erreichen sie Kigali, und die »Regierung« weicht nach Gitarama aus. Der Krieg wird erst am 18. Juli enden, als der FPR in Gisenyi die Grenze zu Zaire erreicht. Den Kern des Völkermords bildet hier wie anderswo der Rassismus, in diesem Fall der Rassenhaß der »eigentlichen Bürger des Landes« (der Hutu) auf die »Kakerlaken« (die Tutsi). Aber warum erreichte dieser Rassismus in Ruanda und Burundi solch ein Ausmaß, obwohl doch in allen Nachbarstaaten ein ähnliches sozialanthropologisches Erbe zu finden ist? Auch wenn manche behaupten, das sei ein Klischee, müssen wir doch über die besondere koloniale Erfahrung in Ruanda-Burundi nachdenken, vor allem über die Abgeschlossenheit, in der die erste Generation der modernen Elite aufwuchs. In Uganda, in
Tanjanika und selbst im Kongo wurde die heterogene Bevölkerung zu einem friedlichen Zusammenleben gebracht, Katholizismus und Protestantismus konkurrierten wirklich miteinander, das Wirtschaftsleben begünstigte die Entstehung eines echten, vom Staat und den Missionen unabhängigen Kleinbürgertums, und es gab vielfältige Formen gemeinsamer Erfahrung. Wir haben erlebt, daß alle Formen der Mobilität, der Verstädterung, der modernen Vergesellschaftung, der Kritik und der Fantasie durch die Sittenstrenge des konfessionell gebunden belgischen Paternalismus behindert wurden und daß die neuen Staaten nach der Unabhängigkeit diese Verkrampfung in gewisser Weise reproduzierten. Die koloniale Ordnung bewirkte überall eine Entwurzelung hinsichtlich des Alten und eine Filterung hinsichtlich des Zugangs zu den modernen Aspekten, die als Attribute der europäischen Kultur gelten. Diese zwiespältige Lage war in Ruanda besonders schlimm, und zwar trotz der zumindest zahlenmäßig großen Bedeutung des Christentums, während die Eliten zum Beispiel in Uganda oder Tansania sich über eine aus beiden Kulturen gespeiste Synthese neu definierten. In Ruanda war das am stärksten betonte Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart dagegen die Beziehung zwischen den Ethnien, die so sehr als Alpha und Omega der Identitätssuche galt, daß sie schließlich zur Obsession wurde. Diese mentale Einschließung ist meines Erachtens ein wichtiger Schlüssel für die soziale Pathologie, die den Völkermord hervorgebracht hat. Im Unterschied zum Völkermord an den Juden in Deutschland wurde dieser Völkermord am hellichten Tag und gleichsam mit gutem Gewissen verübt. Ein bloßer »Krieg«, der in einem »achtbaren Rassismus« gründete und zu dessen Rechtfertigung sogar die Jungfrau Maria bei einer im Mai 1994 im Radio übertragenen »Erscheinung« herhalten mußte. Müssen wir annehmen, daß die Tragödie nach dem Bild der gescheckten Festtagsuniformen der Interahamwe von zynischen Propagandisten in eine Farce verwandelt worden ist oder aber, daß sie in Wirklichkeit in sehr tiefen Gewässern spielt, die mehr mit Psychoanalyse zu tun haben als mit dem »Mysterium des Bösen«?
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Die Intervention, die unterblieb David Rawson saß zusammen mit seiner Frau in seiner Wohnung und sah sich ein Videoband der Mac-Neil/Lehrer News Hour an, als er die Explosionen hörte, die vom Abschuß des Flugzeugs Präsident Habyarimanas zeugten. Als amerikanischer Botschafter sorgte er sich vor allem um amerikanische Staatsbürger, die getötet oder verletzt werden konnten, falls es zu Gefechten kommen sollte. Die Vereinigten Staaten beschlossen, ihr Personal und sonstige Amerikaner am 7. April abzuziehen. Da Rawson in seinem Haus gefangen war, glaubte er nicht, daß seine Anwesenheit noch irgendeinen Nutzen haben konnte. Im Rückblick sagt er: »Waren wir moralisch verpflichtet, dort zu bleiben? Hätte das irgend etwas geändert? Ich weiß es nicht, aber das Morden war schon im Gang, als wir noch da waren. Ich hatte nicht den Eindruck, das wir viel ausrichten konnten.« Etwa 300 Ruander aus der Nachbarschaft hatten in der amerikanischen Botschaft Schutz gesucht, und als die Amerikaner abzogen, überließ man sie ihrem Schicksal. Rawson erinnert sich: »Ich sagte den Leuten, daß wir die Flagge einholten und abzögen, und sie müßten nun selbst sehen, wie sie weiter kämen […].« Da der Staatssekretär für afrikanische Angelegenheiten George Moose nicht in Washington war, übernahm die diensthabende Staatssekretärin Prudence Bushnell die Leitung der für die Evakuierung aus Ruanda zuständigen Arbeitsgruppe. Ihr ging es wie Rawson vor allem um das Schicksal amerikanischer Staatsbürger. »Ich fühlte mich in erster Linie für die Amerikaner verantwortlich«, erinnert sie sich. »Natürlich taten mir die Ruander leid, aber mein Job war es, unsere Leute herauszuholen […]. Damals wußten wir noch gar nicht, daß es ein Völkermord war. Man sagte mir, das machen sie da von Zeit zu Zeit. Wir glaubten, daß wir bald wieder zurück wären.« Am 8. April sprach Bushnell auf der Pressekonferenz des State Department besorgt über die wachsende Gewalt und die Lage der Amerikaner in Ruanda. Anschließend trat der Pressesprecher des Außenministeriums Michael McCurry ans Mikrofon und kritisierte ausländische Regierungen, die eine Vorführung des Films Schindlers Liste von Steven Spielberg in ihrem Land nicht zuließen. »Dieser Film zeigt auf bewegende Weise […] die größte Katastrophe des 20. Jahrhun-
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derts«, erklärte McCurry. »Und er zeigt, daß selbst bei einem Völkermord der Einzelne noch etwas zu tun vermag.« McCurry verlangte, daß der Film überall auf der Welt gezeigt werde. »Am ehesten können wir erreichen, daß solch eine Tragödie sich nicht wiederholt, wenn wir dafür sorgen, daß die Völkermorde der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten«, meinte er. Niemand stellte eine Verbindung zwischen Bushnells Erklärung und McCurrys Bemerkungen her. Weder die Journalisten noch die politisch Verantwortlichen in den Vereinigten Staaten interessierten sich sonderlich für Ruandas Tutsi. Am 9. und 10. April wurden Botschafter Rawson und 250 Amerikaner in fünf Konvois aus Kigali und anderen Orten evakuiert. »Auf dem Weg wurden wir angehalten und durchsucht«, berichtet Rawson. »Es wäre unmöglich gewesen, Tutsi durchzubringen.« Insgesamt fanden 35 ruandische Bedienstete der amerikanischen Botschaft bei dem Völkermord den Tod. Außenminister Warren Christopher wusste wenig über Afrika. Bei einem Meeting mit seinen Beratern mehrere Wochen nach dem Abschuß des Flugzeugs nahm er einen Atlas vom Regal, um nachzusehen, wo Ruanda liegt. Der belgische Außenminister Willie Claes erinnert sich an einen Versuch, mit seinem amerikanischen Kollegen über Ruanda zu sprechen, doch er erhielt die Antwort: »Ich habe anderes zu tun.« Am Morgen nach dem Abschluß der amerikanischen Evakuierung erschien Christopher in der NBC-Nachrichtensendung Meet the Press. »Nach alter Tradition fuhr der Botschafter im letzten Wagen«, erklärte Christopher voller Stolz. »Die Evakuierung ist erfolgreich abgeschlossen worden.« Christopher betonte, obwohl man amerikanische Marines nach Burundi geschickt habe, bestünden keine Pläne, sie in Ruanda einzusetzen, um die Ordnung wiederherzustellen. Sie seien nur für den Notfall dort, falls man sie zur Sicherung der Evakuierung gebraucht hätte. »Es ist immer traurig, wenn Amerikaner ein Land verlassen müssen«, meinte Christopher, »aber es war das Klügste, was wir tun konnten.« Bob Dole, der Führer der republikanischen Minderheit im Senat, pflichtete ihm bei. »Ich glaube nicht, daß wir dort irgend welche nationalen Interessen haben«, erklärte er am 10. April. »Die Amerikaner
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sind draußn, und ich denke, damit sollte die Sache in Ruanda für uns erledigt sein.« Auch Roméo Dallaire, der Kommandant der Uno-Friedenstruppen in Kigali, hatte die Anordnung erhalten, der Evakuierung von Ausländern die oberste Priorität einzuräumen. Kofi Annans Department of Peacekeeping Operations in New York, das den Vorschlag Dallaires, nach versteckten Waffen zu suchen, im Januar abgelehnt hatte, schickte ein Telegramm, in dem es unmißverständlich hieß: »Sie sollten alles tun, um Ihren unparteiischen Status nicht zu gefährden oder über Ihr Mandat hinauszugehen, es sei denn, das wäre zur Evakuierung ausländischer Staatsbürger unerläßlich. Dazu gehört nicht – Wiederholung: nicht – die Beteiligung an möglichen Kampfhandlungen, es sei denn zur Selbstverteidigung.« Neutralität war das oberste Gebot. Dallaire sollte sich unter allen Umständen aus den Kämpfen heraushalten. Nur in einem Fall durfte er eine Ausnahme machen: wenn es um Nicht-Ruander ging. Während die Amerikaner ihre Leute auf dem Landweg und ohne militärischen Schutz herausholten, schickten die Europäer Truppen nach Ruanda, um ihr Personal auf dem Luftweg zu evakuieren. Am 9. April konnte Dallaire beobachten, wie über 1000 französische, belgische und italienische Soldaten auf dem Flughafen Kigali landeten und ihre Landsleute evakuierten. Diese Soldaten waren frisch rasiert, gut genährt und schwer bewaffnet, in deutlichem Gegensatz zu Dallaires erschöpften, hungrigen, bunt zusammengewürfelten Friedenstruppen. Wären die für die Evakuierung eingeflogenen Soldaten mit den UNAMIR-Truppen vereint worden, hätte Dallaire über eine ansehnliche Abschreckungsmacht verfügt. Er befehligte 440 Belgier, 942 Bangladeshis, 843 Ghanesen, 60 Tunesier und 255 Soldaten aus weiteren zwanzig Ländern. Außerdem konnte er auf eine Reserve von 800 Belgiern in Nairobi zurückgreifen. Hätten die größeren Mächte die 1 000 Mann der europäischen Evakuierungstruppe und die 300 in Burundi wartenden Marines Dallaires Kommando unterstellt, hätte er endlich über genügend Soldaten verfügt, um Rettungsoperationen durchzuführen und den Mördern entgegenzutreten. »Der Massenmord war im Gang, und plötzlich hatten wir die Kräfte in Kigali, die nötig waren, um dem Morden Einhalt zu gebieten oder es zumindest einzudämmen«, erinnert er sich. »Aber sie holten nur ihre Leute heraus, drehten sich um und verschwanden.«
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Die Folgen der ausschließlich auf die Ausländer gerichteten Aufmerksamkeit machten sich sogleich bemerkbar. In den Tagen nach dem Flugzeugabsturz hatten sich etwa 2 000 Ruander, darunter 400 Kinder, in die École Technique Officielle geflüchtet, die von gut 90 belgischen Soldaten geschützt wurde. Viele dieser Ruander hatten bereits Wunden von Machetenhieben. Sie drängten sich in den Klassenzimmern und auf dem Schulhof. Ruandische Regierungstruppen und Milizen lagen in der Nähe, tranken Bier und grölten ihr »Pawa, Pawa« auf die »Hutu-Macht«. Am 11. April erhielten die belgischen Soldaten den Befehl, zum Flughafen zu fahren, um dort bei der Evakuierung europäischer Zivilisten zu helfen. Einige Ruander, denen klar war, daß sie in der Falle saßen, folgten den Jeeps und riefen »Laßt uns nicht im Stich!« Die UN-Soldaten scheuchten sie weg und feuerten Warnschüsse über ihre Köpfe. Kaum hatten die Friedenstruppen das Gelände auf der einen Seite verlassen, drangen auf der anderen schon Hutu-Milizen ein, eröffneten das Feuer mit Maschinenpistolen und warfen Handgranaten. Die meisten der 2 000 Flüchtlinge wurden getötet. In den drei Tagen, in denen 4 000 Ausländer evakuiert wurden, kamen nahezu 20 000 Ruander ums Leben. Nach dem erfolgreichen Abschluß der amerikanischen Evakuierungsaktion und der Schließung der amerikanischen Botschaft besuchten Bill und Hillary Clinton die für die Rettungsaktion zuständigen Beamten und gratulierten ihnen zu ihrer »guten Arbeit«. Als die Amerikaner aus Ruanda evakuiert waren, verschwanden die Massaker weitgehend aus dem Blickfeld der höheren Chargen in der Clinton-Administration. Im Lageraum im siebten Stock des State Department hatte man rasch eine Karte Ruandas an die Wand geheftet, als Habyarimanas Flugzeug abgeschossen wurde, und acht Reihen Telefone standen niemals still. Jetzt, da die amerikanischen Staatsbürger in Sicherheit waren, leitete das State Department eine tägliche, oft als Telefonkonferenz durchgeführte Besprechung zwischen den zuständigen Stellen, bei der man diplomatische Aktivitäten der mittleren Ebene und humanitäre Aktionen koordinierte. Auf Kabinettsebene befaßte man sich mit anderen Problemen. Sicherheitsberater Anthony Lake, der Afrika durchaus kannte, erinnert sich: »Ich war damals ganz mit Haiti und Bosnien beschäftigt. Ruanda war darum ein ›Nebenschauplatz‹, wie der Journalist William Shawcross es ausdrückte,
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ja nicht einmal ein Nebenschauplatz, sondern gar kein Schauplatz.« Im Nationalen Sicherheitsrat war jedoch nicht Lake für Ruanda zuständig, sondern Richard Clarke, der sich um die UN-Friedensmissionen kümmerte und durch die Nachrichten aus Ruanda nur in seiner tiefen Skepsis gegenüber solchen Einsätzen bestärkt wurde. Die Amerikaner, die sich am meisten um amerikanische Hilfe für die bedrohten Ruander bemühten, waren jene, die Ruanda am besten kannten. Joyce Leader, Rawsons Stellvertreterin in Ruanda, hatte bis zuletzt in der Botschaft in Kigali ausgeharrt. Als sie nach Washington zurückkehrte, wies man ihr ein kleines Büro zu und gab ihr den Auftrag, für das State Department aus Presseund Geheimdienstberichten einen täglichen Überblick über die Entwicklung in Ruanda zusammenzustellen. So unglaublich es klingt, doch trotz ihrer Kenntnisse und ihrer Kontakte in Ruanda fragte man sie nur selten um Rat und wies sie an, keinen direkten Kontakt zu ihren Quellen in Kigali aufzunehmen. Einmal rief ein Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats sie an und fragte: »Was sollen wir tun, abgesehen von einem Truppeneinsatz?« Sie antwortete ihm: »Schickt Truppen rein!« Die mangelnde Kenntnis eines Landes oder einer Region in den höheren Kreisen des Parlaments und der Regierung beeinträchtigt nicht nur die Fähigkeit, »Nachrichten« zu beurteilen, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, daß Morden und Töten zu Abstraktionen werden – eine Dynamik, die Lake 1971 in der Zeitschrift »Foreign Policy« beschrieben hat. Das »ethnisch bedingte Blutvergießen« in Afrika galt zwar als bedauerlich, aber nicht als besonders außergewöhnlich. Amerikanische Offizielle sprachen analytisch von »nationalen Interessen« oder sogar von »humanitären Folgen«, ohne daß man eine menschliche Betroffenheit bei ihnen hätte bemerken können. Es ist schockierend, daß Clinton während der ganzen drei Monate des Völkermordes niemals seine obersten politischen Berater zusammenrief, um über das Morden zu sprechen. Auch Anthony Lake holte seine »Hauptleute« – die auf Kabinettsebene aktiven Mitglieder des außenpolitischen Teams – niemals zusammen. Ruanda galt nicht als wichtig genug für solch eine Beratung auf oberster Ebene. Wenn man darüber sprach, so nur im beiläufigen oder untergeordneten Zusammenhang mit Somalia, Haiti und Bosnien. Während diese Krisen amerikanisches Personal
betrafen und ein gewisses Aufsehen in der Öffentlichkeit erregten, galt Ruanda nicht als dringendes Problem und konnte von Clinton ohne politischen Schaden ignoriert werden. Als das Morden begann, erwartete und forderte Roméo Dallaire Verstärkung. Sogleich telegrafierte er an das Uno-Hauptquartier in New York: »Geben Sie mir die Mittel, dann kann ich mehr tun.« Er schickte seine Soldaten zu Rettungsaktionen in die ganze Stadt und hielt es für unerläßlich, Umfang und Qualität der Uno-Präsenz zu erhöhen. Doch die Vereinigten Staaten widersetzten sich der Forderung nach einer Verstärkung seiner Truppen, ganz gleich aus welchem Staat sie kommen sollten. Vor allem das Pentagon äußerte die Befürchtung, aus einem kleinen Engagement fremder Truppen könne schon bald ein großes, von Amerikanern getragenes Engagement werden. Das war die Lektion, die man in Somalia gelernt hatte. Dort waren amerikanische Truppen in Schwierigkeiten geraten, als sie versuchten, belagerte Pakistanis freizukämpfen. Die logische Folge dieser Befürchtung war der Versuch, sich ganz aus Ruanda herauszuhalten und andere zu bewegen, dasselbe zu tun. Nur durch den Rückzug der gesamten Friedenstruppen konnten die Vereinigten Staaten verhindern, am Ende doch noch hineingezogen zu werden. Ein hohes Mitglied der Regierung erinnert sich: »Als die Berichte über den Tod der zehn Belgier hereinkamen, war klar, daß sich Somalia hier wiederholte, und man dachte, überall werde man nun erwarten, daß die Vereinigten Staaten eingriffen. Wir glaubten, wenn die Friedenstruppen in Ruanda blieben und gegen die Gewalt vorgingen, wären wir schon bald dort, wo wir schon einmal gewesen waren. Es war beschlossene Sache, daß die Vereinigten Staaten nicht eingreifen würden und das Konzept der UN-Friedensmissionen nicht noch einmal geopfert werden durfte.« Bemerkenswert an der amerikanischen Reaktion auf den Völkermord in Ruanda ist nicht so sehr das Ausbleiben einer amerikanischen Militäraktion als vielmehr die Tatsache, daß während des ganzen Völkermords nicht einmal über die Möglichkeit einer militärischen Intervention seitens der Vereinigten Staaten diskutiert wurde. Ja, die Vereinigten Staaten widersetzten sich sogar einer diplomatischen Intervention. Die Leichen der getöteten belgischen Soldaten trafen am 14. April in Brüssel ein. Etwa um diese Zeit kam es zu einem der wichtigsten Gespräche im Verlaufe des Völkermords. Der belgische Aus-
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senminister Willie Claes rief im State Department an und bat um Deckung. »Wir ziehen uns zurück, aber wir möchten den Eindruck vermeiden, daß wir allein es täten«, sagte Claes und bat die Amerikaner um Unterstützung für einen vollständigen Abzug der Uno-Truppen. Warren Christopher versprach, die belgische Forderung zu unterstützen. Die Politik der folgende Monate läßt sich sehr einfach beschreiben: keine militärische Intervention seitens der Vereinigten Staaten, nachdrückliche Forderungen nach einem vollständigen Abzug der Uno-Truppen und keine Unterstützung für eine neue Uno-Mission gegen die Mörderbanden in Ruanda. Belgien hatte den Deckmantel, den es brauchte. Am 15. April schickte Außenminister Christopher der ständigen Vertreterin der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen Madeleine Albright ein Telegramm, das zu den wichtigsten Dokumenten aus den drei Monaten des Völkermords gehört. Darin wies er Albright an, einen vollständigen Rückzug der Uno-Truppen zu fordern. Die Anweisungen, die unter massivem Einfluß von Richard Clarke vom Nationalen Sicherheitsrat entstanden waren, sagten eindeutig, welche Schritte als nächstes zu unternehmen waren. Auch unter »voller« Berücksichtigung der »humanitären Gründe, die für den Verbleib von UNAMIR-Elementen in Ruanda angeführt werden«, schrieb Christopher, gebe es »keine hinreichende Begründung« für eine Fortsetzung der UN-Präsenz: »Die internationale Gemeinschaft muß dem schnellstmöglichen, vollständigen, geordneten Rückzug aller UNAMIR-Mitarbeiter höchste Priorität einräumen […]. Wir werden uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedem Versuch widersetzen, die Präsenz der UNAMIR in Ruanda fortzusetzen […]. Unser Widerstand gegen eine Fortsetzung der UNAMIR-Präsenz ist entschlossen und gründet in der Überzeugung, daß der Sicherheitsrat die Pflicht hat, sicherzustellen, daß Friedensmissionen auch durchführbar sind, daß sie ihren Auftrag erfüllen können und daß Mitarbeiter der UN nicht wissentlich in eine unhaltbare Lage gebracht oder darin belassen werden.« »Als klar war, daß die Belgier abzogen, blieb nur eine Rumpftruppe zurück, die nichts tun konnte, um den Menschen zu helfen«, erinnert sich Clarke. »Sie taten nichts, um dem Morden Einhalt zu gebieten.« Doch Clarke unterschätzte die abschreckende Wirkung der wenigen Blauhelmsoldaten, die Dallaire geblieben waren. Obwohl viele Soldaten aus Angst in Deckung blie-
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ben, streiften andere durch Kigali, retteten Tutsi, richteten Stellungen in der Stadt ein und öffneten den glücklichen Tutsi ihre Tore, die trotz der Straßensperren zu ihnen durchkamen. Ein senegalesischer Captain namens Mbaye Daigne rettete ganz allein gut 100 Menschen das Leben. Insgesamt flüchteten etwa 25 000 Ruander in Stellungen, die von UNAMIR-Personal gehalten wurden. Die Hutu zögerten meist, größere Gruppen Tutsi zu massakrieren, wenn (bewaffnete oder unbewaffnete) Ausländer in der Nähe waren. Es bedurfte keiner großen Zahl von UNMilitärbeobachtern, um die Hutu davon abzuhalten, das Hotel des Milles Collines anzugreifen, wo zehn UN-Soldaten und vier Militärbeobachter mehrere hundert Zivilisten schützten, die dort während der Krise Unterschlupf fanden. Etwa 10 000 Ruander flüchteten in das Amohoro-Stadion, das nur unter leichtem UN-Schutz stand. Dallaires Stellvertreter Beardsley erinnert sich: »Wenn es an geschützter Stelle irgendeinen Widerstand gab, schreckten die Regierungssoldaten zurück.« Der im State Department für Ruanda zuständige Beamte Kevin Aistoa beobachtete die Situation der unter UN-Schutz lebenden Ruander. Als Staatssekretärin Bushnell ihm von dem Beschluß der Regierung berichtete, den Rückzug der UNAMIR zu fordern, erbleichte er. »Das können wir nicht«, sagte er. »Der Zug ist schon abgefahren«, erwiderte ihm Bushnell. Am 19. April verabschiedete sich der belgische Oberst Luc Marchal von Dallaire und zog mit den letzten seiner Soldaten ab. Durch den Rückzug der Belgier verringerte sich die Truppenstärke der UNAMIR auf 2100 Mann. Viel wichtiger war jedoch, daß Dallaire damit seine besten Truppen verlor. Es wurde immer schwieriger, die Kommunikations- und Befehlsketten aufrechtzuerhalten. Bald verlor Dallaire die Verbindung zu den auf dem Land stationierten Truppenteilen. Ein einziges Satellitentelefon war seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Nun traf der Weltsicherheitsrat eine Entscheidung, die das Schicksal der Tutsi besiegelte und den Hutu signalisierte, daß sie freie Bahn hatten. Da die amerikanische Forderung nach einem vollständigen Rückzug der Uno bei einigen afrikanischen Staaten und bei Madeleine Albright auf Widerstand traf, warben die Vereinigten Staaten nun für eine drastische Verringerung der Truppenstärke. Am 21. April, die Presse berichtete bereits von mehreren hunderttausend Toten in
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Ruanda, beschloß der Weltsicherheitsrat, die Zahl der UNAMIR-Soldaten auf 270 zu reduzieren. Albright fügte sich und erklärte öffentlich, eine kleine Rumpftruppe werde in Kigali bleiben, um »dem Willen der internationalen Gemeinschaft Ausdruck zu verleihen«. Nach dem UN-Beschluß schickte Clarke eine Aktennotiz an Lake, in der es heißt, USA und Uno hätten den Satz über »die Sicherheit der unter UN-Schutz stehenden Ruander am Ende eingefügt, um zu verhindern, daß der ansonsten uneinige Weltsicherheitsrat die bedrohten und unter UN-Schutz stehenden Ruander im Stich läßt, wenn die Zahl der Blauhelmsoldaten auf 270 sinkt«. Mit anderen Worten, in der Aktennotiz wird behauptet, die Vereinigten Staaten hätten sich an vorderster Front darum bemüht, daß die unter UN-Schutz stehenden Ruander nicht im Stich gelassen würden. Aber das Gegenteil war der Fall. Der größte Teil der Blauhelmsoldaten wurde am 25. April evakuiert. Obwohl Dallaire nur 270 Soldaten behalten sollte, blieben insgesamt 503. Zu diesem Zeitpunkt sah er sich mit einem Blutrausch konfrontiert. »Mein Leute standen knietief zwischen verstümmelten Leibern, umgeben vom Röcheln sterbender Menschen, und sahen in die Augen todgeweihter Kinder, deren blutende, von Fliegen übersäte Wunden in der Sonne brannten«, schrieb er später. »Ich wanderte durch Dörfer, in denen das einzige Lebenszeichen von einer Ziege, einem Huhn oder einem Singvogel kam, weil alle Menschen tot waren und ihre Leichen von gefräßigen Wildhunden verschlungen wurden.« Dallaire mußte in engen Grenzen operieren. Er versuchte lediglich, die Stellung zu halten und die 25 000 Ruander zu schützen, die sich in der Obhut der UN befanden. Zufällig hielt Ruanda zur Zeit des Völkermords einen der nichtständigen Sitze im UnoSicherheitsrat. Weder die Vereinigten Staaten noch andere Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen machten jemals den Vorschlag, die Vertreter der für den Völkermord verantwortlichen Regierung aus dem Sicherheitsrat zu verbannen. Und kein Mitgliedsstaat des Sicherheitsrats erklärte sich bereit, ruandische Flüchtlinge aufzunehmen, die dem Gemetzel entkommen waren. Während dieser ganzen Zeit schwieg die Clinton-Administration weitgehend. Im State Department verlegte Prudence Bushnell sich auf private Diplomatie. Jeden Tag stand sie um zwei Uhr morgens auf und rief Mitglieder der ruandischen Regierung an. Mehrmals sprach sie mit
dem Stabschef der ruandischen Armee Augustin Bizimungu. »Das waren die bizarrsten Anrufe«, sagt sie. »Er sprach ein absolut charmantes Französisch. ›Oh, wie schön, von Ihnen zu hören‹, sagte er. Ich erwiderte ihm: ›Ich rufe Sie an, um Ihnen zu sagen, daß Präsident Clinton Sie persönlich für das Morden verantwortlich machen wird.‹ Und er antwortete mir: ›Wie nett, daß Ihr Präsident an mich denkt.‹« Wenn sie Paul Kagame, den Kommandeur der Tutsi-Rebellen, anrief, sagte der: »Madame, sie ermorden mein Volk.«
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Eine überlebende Tutsi-Frau aus Nyamata berichtet
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An dem Tag, als das Flugzeug abstürzte, durften die Tutsi, die im Stadtzentrum wohnten, nicht mehr hinaus. Viele hatten hinter den festen Mauern unseres Hauses Schutz gesucht. Léonard, mein Mann, hatte in seiner Jugend schon mehrere Massaker erlebt. Ihm war klar, daß die Lage sehr ernst war, und er riet den Jüngeren zu flüchten. Er selbst wollte nicht mehr fliehen. Er sagte, seine Beine hätten das schon zu oft getan. Am Morgen des 11. April, dem ersten Tag der Massaker, erschienen die Interahamwe mit grossem Lärm vor unserem Tor. Léonard nahm den Schlüssel, um ihnen rasch aufzumachen, weil er glaubte, wenigstens die Kinder und die Frauen retten zu können. Ein Soldat schoß ihn nieder, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte. Die Interahamwe strömten massenhaft in den Hof, packten alle Kinder, deren sie habhaft werden konnten, stellten sie in Reihen auf, warfen sie auf den Boden und begannen, sie in Stücke zu hakken. Sie töteten sogar einen Hutu-Jungen, den Sohn eines Oberst, der sich dort mit seinen Freunden herumtrieb. Ich konnte mit meiner Schwiegermutter hinter das Haus laufen, und wir versteckten uns hinter einem Stapel Autoreifen. Die Killer hörten vorzeitig mit dem Morden auf, weil sie es eilig hatten, sich ans Plündern zu machen. Wir hörten, wie sie in die Autos und Kleinlaster stiegen, Kästen Bier einluden, sich um Möbel oder anderes stritten und unter den Matratzen nach Geld suchten. Am Abend verließ meine Schwiegermutter ihr Versteck und setzte sich vor den Reifenstapel. Junge Leute kamen und fragten sie: »Was tust du hier, Mutter?« Sie sagte: »Ich tue gar nichts mehr, weil ich jetzt allein bin.« Da schnitten sie ihr die Kehle durch. Dann nahmen sie alles mit, was noch in den Zimmern war. Schließlich legten sie Feuer, darum haben sie mich vergessen. Im Hof war noch ein Kind, das nicht getötet worden war. Ich stellte eine Leiter an die Mauer, stieg mit dem Kind hinauf und sprang in den Hof meines Nachbarn Florient hinunter. Der Hof war leer. Ich versteckte das Kind im Brennholzstapel und verkroch mich in der Hundehütte. Am dritten Morgen hörte ich Schritte. Es war mein Nachbar, und ich kroch hervor. Mein Nachbar rief: »Marie-Louise, sie haben alle in der Stadt umge-
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bracht, dein Haus ist niedergebrannt, und du bist hier? Was kann ich für dich tun?« Ich sagte ihm: »Florient, tu mir den Gefallen und töte mich. Aber liefere mich nicht den Interahamwe aus, die werden mich ausziehen und mich in Stücke hakken.« Dieser Herr Florient war ein Hutu. Er war Chef des militärischen Geheimdienstes in der Region Bugesera, aber er hatte sein Haus auf unserem Land gebaut, und vor dem Krieg hatte man sich freundlich miteinander unterhalten, die guten Augenblicke miteinander geteilt, und unsere Kinder hatten miteinander gespielt, ohne einen Unterschied zu machen. Er schloß nun das Kind und mich in seinem Haus ein, gab uns etwas zu Essen und ging weg. Am nächsten Tag sagte er zu mir: »Marie-Louise, in der Stadt identifizieren sie die Leichen, dein Gesicht haben sie nicht gefunden, sie suchen nach dir. Du mußt hier weg, denn wenn sie dich hier finden, werden sie mich hinrichten.« In der Nacht brachte er uns zu einer HutuBekannten, die mehrere Tutsi aus ihrem Bekanntenkreis bei sich versteckte. Eines Tages klopften die Interahamwe an die Tür, um das Haus zu durchsuchen. Die Dame redete mit ihnen, kam zurück und sagte: »Hat jemand etwas Geld bei sich?« Ich gab ihr ein Bündel Scheine, das ich bei mir trug. Sie nahm eine kleine Summe, ging zu den Interahamwe zurück, und sie machten sich davon. Jeden Tag begannen die Verhandlungen von neuem, und die Frau wurde sehr nervös. Eines Tages sagte Herr Florient zu mir: »MarieLouise, die jungen Leute suchen in der ganzen Stadt nach dir, du mußt hier weg.« Ich sagte ihm: »Florient, du hast die Mittel dazu, töte mich, ich will in einem Haus sterben. Liefere mich nicht den Interahamwe aus.« Er sagte: »Ich werde doch nicht die Freundin meiner Frau umbringen. Wenn ich ein Fahrzeug finde, hättest du Geld, um es zu bezahlen?« Ich gab ihm die Rolle Geldscheine, er zählte nach und sagte: »Das sollte genügen.« Er kam zurück und sagte mir: »Sie werden dich in einem Sack verstecken und in den Wald fahren, dann kannst du fliehen.« Und dann fragte er mich: »Die Interahamwe haben dein Haus geplündert, die Soldaten bekommen Geld, aber ich rette dich und gehe leer aus. Ist das normal?« Darauf sagte ich ihm: »Florient, ich habe
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zwei Häuser in Kigali. Nimm sie! Auch den Laden überlasse ich dir. Ich gebe dir schriftlich, daß ich dir alles überschreibe. Aber ich möchte, daß du mich nach Burundi begleitest.« Wir fuhren los. Ich lag in dem Militärlastwagen zwischen dem Fahrer und Florient. Zunächst blieb ich eine Weile in seinem Haus in der Kaserne von Gako. Ich war in einem Zimmer eingeschlossen. Wenn alle schliefen, kam jemand und brachte mir etwa zu Essen. Ich besaß nur noch ein Hüfttuch. Das ging mehrere Wochen so, ich weiß nicht mehr wie lange. Eines Nachts kam ein Freund von Florient. Er sagte: »Die Inkotanyi (die Rebellen der Patriotischen Front) sind auf dem Vormarsch, wir müßen die Kaserne evakuieren. Es ist zu gefährlich, dich hier zu laßen, ich muß dich mitnehmen.« Er ließ mich in einen Lastwagen steigen, der Säcke an die Front brachte. Wir fuhren los, alle Schlagbäume hoben sich, wenn wir näherkamen, und wir fuhren in einen dunklen Wald hinein. Unter den Bäumen hielt der Fahrer an. Ich zitterte und sagte zu ihm: »Gut, ich habe nichts mehr. Jetzt bin ich an der Reihe zu sterben. Wenn es nicht zu lange dauert, geht es.« Er erwiderte: »Marie-Louise, ich werde dich nicht umbringen, denn ich arbeite für Florient. Geh immer geradeaus und halte nicht an! Wenn der Wald zu Ende ist, bist du an der Grenze zu Burundi und in Freiheit.« Ich lief, ich fiel hin, ich kroch auf allen Vieren. Als ich an die Grenze kam, hörte ich im Dunkeln Stimmen, und ich schlief ein. Später holte ein burundischer Geschäftspartner meines Mannes mich mit einem Wagen in einem Flüchtlingslager ab. Als er mich sah, erkannte er mich nicht wieder. Er wollte gar nicht glauben, daß ich Léonards Frau war. Ich hatte zwanzig Kilo verloren, trug nur ein Hüfttuch aus Sackleinen, meine Füße waren geschwollen, der Kopf war voller Läuse. Heute wartet Herr Florient im Gefängnis von Rilima auf seinen Prozeß. Er war Offizier. Er ging morgens weg und kam abends zurück mit all den Geschichten vom Morden in der Stadt. Im Flur seines Hauses hatte ich Berge neuer Hacken und Macheten gesehen. Er hat mein Geld ausgegeben und meine Lager geplündert. Trotzdem werde ich vor Gericht nicht gegen ihn aussagen, denn als alle nur ans Morden dachten, hat er ein Leben gerettet. Nach dem Völkermord kehrte ich im Juli nach Nyamata zurück. Keiner von meiner Familie in Mugesera hat überlebt, keiner von meiner Familie in Nyamata hat überlebt, die Nachbarn sind tot,
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die Lager geplündert, die Autos gestohlen. Ich hatte alles verloren, das Leben war mir gleichgültig. In Nyamata sah es traurig aus, alle Dächer, Fenster und Türen waren weggeschafft worden. Aber vor allem schien die Zeit in der Stadt zerbrochen zu sein. Es war, als wäre sie für immer stehengeblieben oder als wäre sie im Gegenteil während unserer Abwesenheit zu schnell verflossen. Damit meine ich, man wußte nicht mehr, wann das alles begonnen hatte, wie viele Nächte und Tage es gedauert hatte, in welcher Jahreszeit wir waren. Und am Ende war es einem wirklich vollkommen egal. Die Kinder fingen im Busch ein paar Hühner ein; wir hatten wieder etwas Fleisch zu Essen, machten uns ans Reparieren und versuchten, wenigstens ein paar Gewohnheiten wiedezufinden. Wir waren nun ganz mit dem Heute beschäftigt und verbrachten den Tag mit der Suche nach einem Freund, mit dem man die Nacht verbringen konnte, damit man nicht Gefahr lief, sich in einem Alptraum zu verlieren und darin zu sterben. Eines Tages brachten Freunde Geld und sagten: »Marie-Louise, nimm das! Du kennst dich mit Geschäften aus, wir nicht. Du mußt dein Geschäft wiederaufbauen.« Ich ließ im Laden eine Tür einsetzen, das Geschäft begann wieder zu laufen, aber die Hoffnung war nicht mehr da. Früher hatte der Wohlstand mich beflügelt. Léonard und ich machten einen Plan nach dem anderen, es ging uns gut, wir waren beliebt und geachtet. Heute erscheint mir das Leben wie ein einziges Unheil, ich sehe überall kleine und grosse Gefahren. Der Mann, der mich geliebt hat, ist tot, und ich finde niemanden, an den ich mich anlehnen kann. Im Laden erzählen mir die Kunden, wie sie überlebt haben. Abends höre ich Bekannten zu, wenn sie über die Massaker diskutieren. Aber ich verstehe immer noch nichts. Wir haben das Leben mit den Hutu geteilt, man hat sich gegenseitig geholfen, es gab Ehen zwischen Tutsi und Hutu, und plötzlich jagen sie uns wie wilde Tiere. Ich glaube nicht an die Erklärung, daß es Neid war, denn aus Neid schlägt niemand Kinder reihenweise in einem Hof mit Macheten tot. Ich glaube nicht an diese Geschichte von Schönheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Auf dem Land waren Hutu- und Tutsi-Frauen gleichermaßen verschmutzt und verunstaltet von der Feldarbeit; in der Stadt waren die Hutu-Kinder ebenso schön wie die der Tutsi, und auch ihr Lächeln war dasselbe.
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Die Hutu hatten die Möglichkeit, alle staatlichen Vergünstigungen und alle guten Stellen im Staatsdienst für sich zu monopolisieren, sie fuhren reiche Ernten ein, weil sie sehr gute Bauern waren, sie eröffneten rentable Geschäfte, zumindest im Einzelhandel. Man schloß in gutem Einvernehmen Geschäfte mit ihnen ab, man lieh ihnen Geld. Und sie beschlossen, uns zu töten. Sie wollten uns so vollständig auslöschen, daß sie in ihrem Wahn bei ihren Plünderungen selbst noch unsere Fotoalben verbrannten, damit es so war, als hätten die Toten nie gelebt. Zur Sicherheit wollten sie die Menschen und ihre Erinnerungsstücke töten oder wenigstens die Erinnerungsstücke, falls sie die Menschen nicht fangen konnten. Sie arbeiteten an unserem Verschwinden und am Verschwinden der Spuren ihrer Arbeit, wenn ich so sagen darf. Heute besitzen viele Überlebende nicht einmal mehr ein Foto ihrer Mutter oder ihrer Kinder, von ihrer Taufe oder ihrer Hochzeit, mit dem sie den Schmerz ihrer Trauer ein wenig lindern könnten. Für mich ist klar, daß der Haß des Völkermords allein in der ethnischen Zugehörigkeit begründet liegt und in nichts anderem, weder in Angst noch in Frustration oder dergleichen. Doch der Ursprung dieses Hasses ist mir immer noch ein Rätsel. Aber man sollte nicht die Überlebenden nach den Gründen für den Haß und den Völkermord fragen. Für sie ist es zu schwer, darauf zu antworten. Und die Frage wäre auch rücksichtslos. Es genügt, wenn sie untereinander darüber sprechen. Man sollte vielmehr die Hutu fragen. Manchmal kommen Hutu-Frauen zu mir und suchen Arbeit auf dem Feld. Ich spreche mit ihnen und versuche sie zu fragen, warum sie uns töten wollten, obwohl sie sich vorher nie beklagt hatten. Aber sie wollen nicht zuhören. Sie sagen immer wieder, daß sie nichts getan und nichts gesehen haben, daß ihre Männer nicht bei den Interahamwe waren, daß der Staat schuld gewesen sei an dem, was geschehen ist. Sie sagen, die Nachbarn seien von den Interahamwe gezwungen worden, und wenn sie sich geweigert hätten, wären sie selbst getötet worden. Und damit begnügen sie sich. Ich sage mir: »Diese Hutu haben ohne zu zögern gemordet, und jetzt wollen sie nicht über die Wahrheit reden, das ist nicht richtig.« Und darum bin ich mir nicht sicher, daß es nicht eines Tages von neuem beginnt.
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Die Massenmörder auf der Flucht G e o r g
Die Landebahn des Flughafens von Goma zieht sich durch ein Meer von kleinen Lagerfeuern. Im frühen Einbruch der Dämmerung, schon gegen sechs Uhr, deckt der Rauch die einzige Piste zu und zwingt die Piloten, sich im Sichtflug auf eine vage, bodenlose Schneise zu verlassen. Zweihundert Meter vom Flughafen, neben der Hauptstraße zum Stadtzentrum, schließen französische Soldaten mit einem Bulldozer eine der Gruben, in welchen Tote gesammelt werden. Ringsherum lagern noch Lebende. Ein Vertreter der belgischen Médecins sans frontières mutmaßt, daß in den horizontfüllenden Lagern außerhalb der Stadt seit Mitte der Woche im Minutentakt gestorben werde. Die Cholera wütet. Für die Zahl der Ruander, die seit Donnerstag vergangener Woche in Goma eingetroffen sind, gilt eine Million mittlerweile als zurückhaltende Schätzung. Die Mehrheit hat inzwischen die zairische Grenzstadt landeinwärts verlassen. Das internationale Komitee vom Roten Kreuz begibt sich mit Nahrungsmitteln für 100 000 ins Feld und findet um eine Verteilungsstelle 300 000 Bedürftige versammelt. Während die einen zusammenbrechen, beginnen sich andere gegen Ende der Verteilung regelmäßig zu schlagen – von Hand und mit Stöcken und Steinen. Auch in der Stadt liegen die Toten zu Hunderten, beinahe an jedem Straßenrand, oft seit Tagen und grauenhaft aufgequollen, der Kopf vielleicht unter einem Fetzen Verpackungskarton. Niemand schert sich darum, daneben wird Tee gekocht. Nur einige Bessergestellte unter den Einheimischen lassen sich die Toten aus dem Garten oder von ihrer Haustür schaffen. Sie rufen einen ruandischen Soldaten, drücken ihm 500 neue Zaire – etwas mehr als eine Mark – in die Hand und sagen: »Tu prends le cadavre et tu vas!« (Schaff den Kadaver weg!) In der Stadt wie außerhalb kommen Fahrzeuge über weite Strecken nur im Schrittempo voran. Viele Leute haben sich Tücher um die untere Gesichtshälfte gebunden; einige Soldaten tragen ihre Gasmaske, und man sieht erstaunlich viele Pappmasken, wie sie für Operationssäle hergestellt sind. »Wohl aus dem geplünderten Spital von Gisenyi«, der ruandischen Nachbarstadt, meint ein ansässiger Belgier auf die Frage, woher diese Masken wohl alle stammen mögen.
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Zwischen der Innenstadt und dem Kivusee erhebt sich hundert oder zweihundert Meter hoch der Mont Goma. In den Buchten beidseits der beiden Häfen stauen sich unabsehbare Menschenmassen, die Zugang zum Wasser suchen. Goma liegt zwar am See, aber im vulkanischen Boden am Nordufer ist in der gegebenen Situation Wasser das größte Problem, und die Versorgung des städtischen Netzes ist zusammengebrochen. In fast allen Teilen der Stadt begleitet einen von früh bis spät das helle Klopfen von tausend Äxten. Eine Armee holzt ab; Tag für Tag stürzen die Bäume in Massen, auch in den vierzigjährigen Alleen, auch an den Hängen des Mont Goma. Dort drohen über dem Kahlschlag bald die Häuser in Bewegung zu geraten. »Mboka ebebi«, sagen die Einheimischen auf Lingala – »das Dorf ist zerstört.« Wenn von einer Million Zuzügler nur 50 000 bei ihrer Ankunft noch über etwas Geld verfügen, dann führt das binnen Tagen zu Preissteigerungen, mit denen die Mehrheit der 100 000 bis 200 000 Einheimischen nicht mithalten kann. Nur Fleisch ist billig. Die ärmeren Ruander verkaufen das mitgebrachte Vieh: die Kuh zu zehn Dollar. Die einheimische Bevölkerung scheint von einer tödlichen Lethargie getroffen. Niemand weiß etwas von der leisesten Regung einer lokalen Behörde. Wer kann, versucht seiner angestammten Tätigkeit nachzukommen, aber wo immer auf das Außergewöhnliche der Situation reagiert wird, geschieht es auf Initiative Auswärtiger. Die Angehörigen von Gomas kleiner Kolonie Expatriierter wissen vor Arbeit nicht, wo ihnen der Kopf steht. »Man versucht die Flüchtlinge zu retten«, sagen sie wie die Zairer, »aber wenn sie überhaupt wieder einmal gehen, wird niemand sich um unsere Stadt kümmern.« Und selbst für den besten Fall, daß tatsächlich eine Mehrheit in absehbarer Zeit nach Ruanda zurückkehren sollte, macht sich niemand Hoffnung, daß auch das infernalische Personal des Massenmords je wieder gehen wird. Die vielen Dutzend Leichen jener, die in den Müllfeldern um den zairischen Grenzposten zu Tode getrampelt wurden, sind von den Franzosen weggebracht worden. Vor dem Zollhaus sortieren sechs, sieben zairische Soldaten zwischen hohen Haufen Tausende von automatischen Gewehren.
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Juli 1994: Der Staat der Massenmörder, dessen Führung vor den Kämpfen in Kigali nach Gitarama und schließlich in die westliche Grenzstadt Gisenyi ausgewichen ist, bricht zusammen. Seine bewaffneten Kräfte treiben eine Million Hutu über die Grenze ins zairische Exil, wo sie für nahezu zweieinhalb Jahre bleiben werden – die Geiseln der génocidaires, die von den internationalen Gebern fortan als sogenannte Flüchtlinge versorgt werden.
Von Georg Brunold, Goma, Juli 1994
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»Neue Zürcher Zeitung«, 23. Juli 1994
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Auf einem alten Teppich werden die Handgranaten gesammelt, die noch nach einer Woche auf der Seepromenade herumliegen, dazwischen auch einige Tretminen. Schätzungen der Zahl geflohener ruandischer Soldaten pendeln um 20 000; zur großen Mehrheit sollen sie sich von ihren Waffen getrennt, die Verbände aber nicht aufgelöst haben. Zu Fuß balanciert man sich durch das explosive Gerümpel zum ruandischen Posten, wo Leutnant John Murangwa mit einer Mannschaft von drei Kämpfern der Patriotischen Front Wache steht. Seine Aufgabe sei der bestmögliche Empfang der Rückkehrer, und solche hat er bisher rund 300 gezählt. Alle, die kein Kommando geführt hätten, seien willkommen. Wer auf Befehl getötet habe, gelte als unschuldig, auch wenn es ein Angehöriger der InterahanweMiliz sei. Unter Vertretern humanitärer Organisationen wie auch der Presse ist unaufhörlich die Rede von einem Vertrauen, das bei der Hutu-Mehrheit vor einer Rückkehr wiederhergestellt werden müsse. Zum allergrößten Teil handelt es sich um Zwangsevakuierte, und in den Lagern Zaires und Tansanias ebenso wie in der »Zone turquoise« – der französischen Sicherheitszone – im Südwesten Ruandas herrschen weiterhin die für den Genozid verantwortlichen Kräfte der ehemaligen Staatspartei. Für sie ist jeder Rückkehrwillige ein Komplize der Patriotischen Front. Mit seinen mobilen Stationen sendet »Radio Télévision libre des Mille Collines« weiter, allen Anzeichen nach aus der »Zone turquoise«. Nachdem der Sender monatelang zum Massenmord und anschließend die Hutu-Mehrheit zur Räumung des Landes aufgerufen hat, treibt er jüngst auch die Hutu in der »Zone turquoise« zur Flucht nach Zaire. Im Zentrum von Goma, der Hauptbasis der französischen Intervention, beherbergt das Hôtel des Masques Reste der Massenmörderregierung, die erst diese Woche Ruandas Sitz im Sicherheitsrat der Uno geräumt hat. Vor dem Hotel tagt ununterbrochen eine Meute von ruandischen Militärs und Milizionären. »Wir bereiten uns vor«, erklären sie, »für die Wiedereroberung unseres Landes«. Zwei Männer, die in dieser Versammlung den Gedanken an eine zivile Rückkehr aufbrachten, wurden am Mittwoch mit Steinen erschlagen. Monsieur Bizimungu, ein Bekannter aus Gitarama, findet sich auf dem Flughafen von Goma wieder und bedient einen Gabelstapler. Er selber könnte über Gisenyi nach Hause zu-
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rückkehren, täte es gerne und ist bereit, den Schweizer Journalisten nach Kigali zu begleiten. Doch Frau und Kinder befinden sich bei Cyangugu in der »Zone turquoise«, und er sieht keine Möglichkeit, seine Familie an den verbliebenen Truppen der ruandischen Armee vorbei über die Linien zu bringen. Er bittet, der Uno in Kigali mitzuteilen, wo das Problem liege. Was das Desaster in Ostzaire betrifft, so sticht auf dem Mont Goma die Lösung ins Auge. Die Lager und die Hilfsgüterverteilung wären nur um wenige Kilometer hinüber in die ruandische Grenzstadt Gisenyi zu verlegen, wo es Grundwasser gibt, wo die Felder in voller Frucht stehen, wo Hirse, Bohnen und Kartoffeln auf die Einbringung der Ernte warten.
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Die Massenmörder wissen sich zu helfen Der Tagestarif im Stundenhotel beträgt drei Dollar. Nachts kostet eines der winzigen Schlafzimmer, ausgestattet mit einer Petroleumlampe und Wassereimer, fünf Dollar. Die hölzerne, runde Eckbank und der Tisch im Warteraum sind säuberlich mit einer strahlend weißen Plastikplane bespannt, die vom Uno-Flüchtlingswerk UNHCR ursprünglich als Regenschutz ausgegeben worden war. In der Bar werden Limonade, Bier und Whisky ausgeschenkt. An der Wand hängt, wie in öffentlichen Gebäuden in Afrika üblich, ein Porträt des Staatsoberhauptes. Dieses Staatsoberhaupt aber ist seit fast zwei Jahren tot. Das Bild zeigt den ehemaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana, dessen Ermordung am 6. April 1994 den Völkermord an der Tutsi-Minderheit in seinem Land ausgelöst hatte. Das Stundenhotel liegt im ruandischen Flüchtlingslager Kashusha unweit der zairischen Grenzstadt Bukavu. Hier und im unmittelbar danebenliegenden Camp Nera gibt es fast alles, was auch in einer normalen Stadt zu finden ist: Zwischen den sauber gepflasterten Wegen, die zu den Zelten der Krankenstation führen, sind Blumenrabatten angelegt. Auf dem Markt gibt es neben Fleisch und Gemüse auch Computer, Radios und Nähmaschinen zu kaufen – am Zoll vorbei, zu günstigen Preisen. Abends werden mit Hilfe eines Generators gegen einen Eintrittspreis von rund einem halben Dollar Videofilme gezeigt: »Karate« und »Commando«. Die Latrinen der einzelnen Familien sind mit Vorhängeschlössern abgesperrt, um unbefugte Benutzung zu verhindern. In einem großen Zelt stehen eine ruandische Flagge, einige Bänke und ein mit Papieren übersäter Schreibtisch. »Hier trifft sich das Kabinett, wenn die Minister hierherkommen«, meint Francois Nsengiyumva, früher Journalist bei Radio-Ruanda. »Wir haben immer noch eine Regierung, auch wenn sie sich jetzt im Exil befindet.« Die neuen Machthaber in Ruanda seien keine legitime Volksvertretung. »Sie haben nicht den Krieg gewonnen. Sie haben uns aus dem Land gejagt. Der Krieg geht weiter«, erklärt Jean Bezimana, ehemaliger Direktor einer Volksschule. »Solange diese Regierung im Amt bleibt, ohne die Macht mit uns zu teilen, solange bleiben die Flüchtlinge hier.«
B e t t i n a
G a u s
Die beiden Männer gehören zu den insgesamt fast zwei Millionen Ruandern, die im Sommer 1994 nach dem Sieg der tutsidominierten Rebellenbewegung »Ruandische Patriotische Front« (RPF) im ruandischen Bürgerkrieg ins Ausland flüchteten. Etwa die Hälfte von ihnen lebt Schätzungen internationaler Organisationen zufolge in Zaire, 800 000 in Tansania, die meisten übrigen in Burundi. Seit Monaten versucht das UNHCR die Flüchtlinge zur freiwilligen Heimkehr zu veranlassen – bislang mit kaum meßbarem Erfolg. »Seit dem letzten Herbst sind die Zahlen der Rückkehrer allmählich gestiegen«, erklärt der Leiter des UNHCR-Büros in Bukavu, Patrick de Sousa. 500 Flüchtlinge seien im Dezember 1995 heimgekehrt, und das wertet er als ermutigendes Zeichen. Insgesamt leben in den Lagern um Bukavu 300 000 Ruander. Bleiben die Zahlen konstant, dann dauert es fünfzig Jahre, bis alle wieder zu Hause sind. Das Uno-Welternährungsprogramm WFP hat in seiner Bedarfsrechnung für 1996 die benötigte Menge Lebensmittel gegenüber dem Vorjahr um nicht einmal ein Gramm reduziert. Aber die zairischen Gastgeber werden ungeduldig. In Bukavu haben sich die Preise seit dem Massenansturm verdreifacht, vor allem für Mieten. Wohlhabende Ruander haben in Bukavu Bars und Hotels übernommen. Sie treiben Handel und konkurrieren mit den einheimischen Geschäftsleuten, sind aber viel schwerer als diese von staatlichen Stellen zu kontrollieren. Steuern entrichtet so gut wie keiner. Die Anwesenheit vieler internationaler Organisationen hat den Dollar zur Hauptwährung werden lassen. Selbst Stromrechnungen werden inzwischen damit bezahlt. Die großflächige Abholzung von Wäldern zur Feuerholzgewinnung hat Umweltschäden verursacht, deren Beseitigung Jahre dauern wird. Das soziale Gefüge ist völlig durcheinander: Ein Lehrer verdient umgerechnet drei Dollar im Monat – soviel erhält der lokale Angestellte einer internationalen Organisation am Tag. »Die einheimische Bevölkerung ist wütend, weil es vielen Flüchtlingen besser geht als ihr«, sagt Marco Onorato vom Roten Kreuz. »Sie bekommen Medizin umsonst, Essen umsonst, und sie nehmen den Leuten hier auch noch Jobs weg.
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Bei den ruandischen Flüchtlingen in Zaire gibt es alles: Computer auf dem Markt, Whisky in der Bar und abschließbare Klos. An eine Rückkehr nach Ruanda glaubt selbst die UNO nicht.
Bettina Gaus, Bukavu, »taz« 05.02.1996
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Tatsache ist, daß viele Ruander besser qualifiziert sind als Zairer, deshalb entscheiden sich die internationalen Organisationen oft für sie, wenn sie Arbeitskräfte suchen.« Die große Zahl nagelneuer Geländewagen internationaler Organisationen in Bukavu, wo sonst fast nur klapprige Autos und alte Laster zu sehen sind, trägt nicht zur Verbesserung der Stimmung bei. Zaires Diktator Mobutu Sésé-Séko profitiert von der Flüchtlingskrise. Ein Teil seiner notorisch undisziplinierten, unregelmäßig bezahlten Armee wird derzeit von den Vereinten Nationen entlohnt. Insgesamt 1 500 Soldaten, stationiert in der Nähe von drei Grenzstädten, erhalten von der Uno Uniformen, Nahrung und pro Mann etwa 30 Dollar im Monat. Dafür haben sie das Mandat, in den Lagern für Ordnung zu sorgen, internationale Organisationen zu schützen und bei freiwilligen Repatriierungen behilflich zu sein. Langfristig bietet eine Flüchtlingskrise für Mobutu noch weit lukrativere Möglichkeiten. Aus politischen Gründen gibt es in Zaire nur noch wenige Entwicklungsprojekte. Jetzt sitzen auf Initiative verschiedener Uno-Organisationen Geberländer in Europa am Runden Tisch und erörtern Möglichkeiten. »Es geht wahrscheinlich um Hunderte von Millionen Dollar«, erläutert Patrick de Sousa vom UNHCR. »Eine Reihe von Entwicklungsprojekten sind vorgeschlagen worden, im Bereich Gesundheit, Sanitärwesen, Forstwirtschaft, Wasserversorgung, soziale Dienste. Zielgruppe ist die lokale Bevölkerung, die von der Anwesenheit der Flüchtlinge betroffen ist.« Dennoch schwebt das Damoklesschwert der Zwangsrepatriierung weiter über den ruandischen Flüchtlingen. Im Spätsommer 1995 wurden etwa 6 000 Lagerbewohner aus der Region um Bukavu von zairischen Militärs gewaltsam über die Grenze gebracht. Die von der Uno bezahlten zairischen Soldaten sahen tatenlos zu. Obwohl die Regierung in Kinshasa ein ursprünglich gesetztes Ultimatum bis Ende letzten Jahres aufhob, befürchten viele Beobachter eine Wiederholung der Aktion. Modeste Mussamba, in der zairischen Stadtverwaltung von Bukavu zuständig für Flüchtlingsfragen, mag sich da nicht festlegen: »Wir wollen keine Zwangsrepatriierung. Aber wir wollen auch nicht, daß die Flüchtlinge hierbleiben. Sie müssen zurück.« Es droht ein Blutbad – die Flüchtlinge sollen über Waffen in großer Zahl verfügen. »Schauen Sie sich doch im Camp um. Man kann doch nicht im Ernst glauben, daß die Leute
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hier demnächst alles freiwillig abbrechen und in eine ungewisse Zukunft in Ruanda zurückkehren«, meint ein Mitarbeiter des UNHCR. Er und seine Kollegen haben es in den Lagern nicht leicht. Herausfordernd fragt ihn ein junger Mann, unterstützt vom beifälligen Nicken einer Runde Gleichaltriger, wann denn endlich die Uno für sichere Rückkehrbedingungen in Ruanda zu sorgen gedenke. »Seien Sie nicht naiv«, antwortet der UNHCR-Delegierte. »Sie können nicht erwarten, daß nach dem, was in Ruanda passiert ist, alles ganz ruhig und ohne Folgen weitergeht.« Die Männer schweigen. Derartige Sätze sind in den Lagern nicht populär. Die Flüchtlinge, fast ausschließlich Hutus, fühlen sich ungerecht behandelt. Es ist immer wieder dasselbe, was ihre Sprecher und ruandische Intellektuelle im Exil fordern: die Wiederbelebung des Arusha-Friedensvertrages von 1993, der eine Teilung der Macht zwischen der Rebellenbewegung RPF und der damaligen Regierung in Kigali vorsah. Der Einwand, daß der Genozid von 1994 die Lage verändert habe und daß die militärischen Sieger des Bürgerkrieges kaum bereit sein dürften, ausgerechnet diejenigen in die Regierung aufzunehmen, denen die Planung des Massenmordes zur Last gelegt wird, stößt auf Verständnislosigkeit. Das politische Klima beeinflußt auch diejenigen, die sich im Konflikt eigentlich neutral zu verhalten hätten: die Mitarbeiter internationaler Organisationen. Das UNHCR, das sich in der Vergangenheit ganz einfach nur um die Versorgung von Flüchtlingen zu kümmern hatte, wird bei der Frage, ob Lagerbewohner guten Gewissens zur Rückkehr nach Ruanda aufgefordert werden können, in eine politische Rolle gedrängt. Ruandas Gefängnisse sind überfüllt. »Die Flüchtlinge berichten von willkürlichen Verhaftungen. Ich denke, daß die Furcht davor, vor allem unter der Elite, gerechtfertigt ist«, sagt Patrick de Sousa vom UNHCR in Bukavu. Auch er spricht sich für eine Wiederbelebung des Arusha-Vertrages aus: »Das Abkommen liefert einen Rahmen für eine Lösung.«
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Die Rückkehr aus dem Exil
Anfang November 1996. Die zairischen Rebellen unter Laurent Kabila, unterstützt von der neuen ruandischen Regierung, haben Goma eingenommen. Mindestens dreiviertel Millionen Ruander, die seit 1994 in den Lagern bei Goma und Bukavu gelebt haben, drängen sich auf der ausgedehnten Lava-Ebene in und um das Lager von Mugunga, etwa sechzehn Kilometer westlich der ruandischen Grenze. Soldaten der ehemaligen ruandischen Armee und Interahamwe-Milizionäre haben sie dort zusammengetrieben. Kabila verkündet einen Waffenstillstand und fordert die internationale humanitäre Gemeinschaft auf, die Flüchtlinge zu holen. Mugunga liegt hinter einer schwerbewaffneten Front aus Zehntausenden Hutu-Power-Kämpfern und Soldaten Mobutus. Erforderlich ist nicht mehr eine Hilfs-, sondern eine Rettungsmission, denn die Ruander in Mugunga sind weniger Flüchtlinge als vielmehr Geiseln, werden als menschliche Schutzschilde benutzt. Am 15. November 1996 saß ich um neun Uhr morgens in einem Haus auf einem Hügel in Gisenyi, von wo aus ich nach Goma hinüberblikken konnte; dort schrieb ich aus den Radionachrichten der BBC mit: »Der kanadische Uno-Kommandeur betont, seine Truppe werde die Militanten in Mugunga nicht entwaffnen oder trennen. Die Uno-Resolution von gestern abend läßt offen, wie es gehen soll, einerseits die Flüchtlinge zu ernähren und sie gleichzeitig zur Rückkehr nach Ruanda zu ermutigen. Man hört von Soldaten, die von Stützpunkten in Goma ausschwärmen sollen, um Flüchtlinge zu finden und zu versorgen. Die Uno sagen jedoch, sie würden keine neuen Lager einrichten. Der kanadische Komandeur sagt: ›Um die Milizen zu trennen, müßte zuviel Gewalt eingesetzt werden, und nicht nur Soldaten, sondern auch Unschuldige würden getötet.‹« Angesichts dieser Nachrichten schrieb ich auch meine Eindrücke nieder: Wieder einmal eine lahme Uno-Truppe. Wie immer das hier ausgeht: Unschuldige werden getötet, wurden getötet und werden getötet werden. Und wie kann man Hunderttausende ernähren, Latrinen für sie graben, ihnen Plastikplanen geben, unter denen sie schlafen können, und dann behaupten, man hätte kein Lager eingerichtet? Und warum ist über-
P h i l i p
G o u r e v i t c h
haupt eine Armee an einem Ort, der einem so gleichgültig ist, daß man für ihn weder töten noch sterben will? Totale Lähmung. Dann schaltete ich um auf Radio Star, »die Rebellen-Stimme des Befreiten Kongo« aus Goma, und schrieb weiter mit: »Die Straße nach Mugunga und nach Westen ist frei. Die Interahamwe sind geflohen. Der Sprecher sagt: ›Das ganze Problem ist gelöst. Flüchtlinge marschieren heim nach Ruanda. Die Rebellion rückt weiter Richtung Kinshasa vor.‹« Dieses Mal lautete mein Kommentar nur kurz: »Häh? Kann das sein?« Ich rannte zur Tür hinaus, fuhr zur Grenze und hinüber nach Goma, wo ich die Straße nach Mugunga nahm, westwärts zum Lager, und bald befand ich mich inmitten eines unablässigen Stroms von Hunderttausenden Ruandern, die nach Osten, nach Hause strebten. An den vorangegangenen Tagen, so stellte sich heraus, waren Kabilas zairische Rebellen und Ruandas Patriotische Front erneut zur Offensive übergegangen, hatten Mugunga eingeschlossen und es von hinten angegriffen, so daß die bewaffneten Elemente von der Grenze abgedrängt wurden, die Flüchtlingsmassen jedoch in Richtung Heimat. Handfeste Beweise für die Schlacht fanden sich fast vierzig Kilometer westlich des Lagers – eine Reihe ausgebrannter Lastwagen, Busse und Personenwagen auf der Straße in das Innere von Zaire. Um sie herum flatterte haufenweise Papier über die Straße, darunter große Teile des Archivs des Oberkommandos der Ex-FAR (Forces armées rwandaises, Ruandas ehemalige Armee): Quittungen für Waffenlieferungen von Händlern aus ganz Europa, Gründungsurkunden politischer Frontorganisationen unter den Flüchtlingen, Steuerlisten aus den Lagern, Belege für finanzielle Transaktionen mit humanitären Organisationen, Korrespondenz mit Mobutu und seinen Generalen – sogar fein säuberlich handgeschriebene Listen von Tutsi in Nord-Kivu. Als die Rückkehr nach Ruanda in Gang kam, wurde allgemein berichtet, die Ex-FAR und die Interahamwe hätten sich gemeinsam mit den Überresten von Mobutus Armee tiefer nach Zaire hinein zurückgezogen, so daß die sogenannten gewöhnlichen Flüchtlinge heimkehren konnten. Die Realität war nicht ganz so makellos: Unter de-
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nen, die nach Westen in den Dschungel Zaires, flohen – vielleicht hundertfünfzigtausend Menschen, vielleicht auch doppelt so viele, niemand weiß es –, befanden sich viele, die nicht am Kampf beteiligt waren; und in Ruanda selbst wurde schnell deutlich, daß sich in die Flut der Flüchtlinge auch viele eingeschlichen haben, die sich für Verbrechen zu verantworten hatten. Die unmittelbare Gefahr eines neuen Krieges war beseitigt; außerdem stellte sich heraus, daß die Flüchtlinge – glücklicherweise – nicht verhungert waren. Auf der ganzen Strecke nach Mugunga und in den rattenverseuchten Überresten des Lagers selbst begegnete ich internationalen Helfern, die erstaunt den Kopf schüttelten angesichts der Tatsache, daß die meisten Flüchtlinge noch immer über mindestens einige Tagesrationen an Nahrungsmitteln verfügten und die Kraft aufbrachten, in flottem Tempo zwanzig bis dreißig Kilometer täglich zu marschieren, beladen mit eindrucksvollen Lasten unter einer sengenden Sonne. In lediglich vier Tagen gingen etwa sechshunderttausend Ruander zurück über die Grenze von Goma. Bis Ende November betrug die Gesamtzahl der Heimkehrer angeblich etwa siebenhunderttausend, und weitere Tausende kamen immer noch nach. Obwohl die ruandische Regierung auch weiterhin hartnäckig leugnete, sich militärisch in Zaire zu engagieren, war General Kagame selbst weniger zurückhaltend. »Wir sind nicht gerade unglücklich über die Ereignisse, und außerdem entsprechen sie genau unseren Wünschen – deshalb bin ich sicher, daß die Leute guten Grund haben, unsere Beteiligung zu vermuten«, sagte er zu mir. Mehr noch, er fügte hinzu: »Wir haben die Genugtuung, daß wir immer versucht haben, das Rechte zu tun. Für mich kann es keine größere Befriedigung geben. Ich halte das für eine gute Lehre für einige von uns. Wir können viel aus eigener Kraft erreichen, und wir müssen weiter kämpfen, um das zu schaffen. Wenn andere uns dabei helfen können, dann ist das schön und gut. Wenn nicht, dürften wir deshalb auch nicht gleich von der Bildfläche verschwinden.« Während der Tage auf den Straßen inmitten der heimkehrenden Sechshunderttausend hatte ich des öfteren – wohl in Erinnerung an verschiedene Gemälde und Filme – ein Bild von den napoleonischen Armeen vor Augen, wie sie aus Rußland heimkehren: humpelnde Husaren und erfrorene Pferde, Blut auf dem Schnee, der
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Himmel schwarz, wahnsinnige, nur noch stierende Augen. In Afrika war das Wetter besser, und die Menschen auf den Straßen waren in der Mehrheit bei guter Gesundheit, aber jenes immer wiederkehrende Bild aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Land, ließ mich fragen, warum wir im Westen heutzutage so wenig Respekt für die Kriege anderer haben. Die große Heimkehr dieser Ruander bezeichnete zumindest für den Augenblick die Zerschlagung einer riesigen Armee, die sich dem Völkermord verschrieben hatte; dennoch hatte die Welt diese Armee jahrelang im Namen des Humanitarismus unterstützt. »Für euch sind wir bloß kleine Punkte in der Menge«, bemerkte ein Heimkehrer, nachdem ich die ersten Tage der Wanderung damit verbracht hatte, durch den brodelnden Schwarm auf der Straße von Mugunga zu fahren. In den Lagern hatten sie sich immer geschworen, sie würden so heimkehren, wie sie gegangen waren – en masse, zusammen. Punkte in der Masse zu sein, genau darin bestand das Problem: es war unmöglich zu wissen, wer wer war. Sie kamen in Mengen von zwölftausend Mann pro Stunde (zweihundert pro Minute), ein menschlicher Sturmbock gegen die Grenze. Allerdings war das nicht ganz der triumphale Einmarsch, den die extremistischen HutuFührer lange versprochen hatten; eher war es ein Rückmarsch aus dem Exil, der in fast völliger Stille ablief. Mitten durch Menschen auf achtzig Kilometern Teerstraße, durch Männer, Frauen und Kinder, die Fahrräder, Schubkarren, Motorräder, selbst Autos schoben, die hölzerne Kisten wie Schlitten zogen, enorme Bündel auf den Köpfen balancierten, Babys in Tüchern trugen und in den Armen wiegten, die Überseekoffer schleppten und leere Bierflaschen und manchmal nichts außer der Last ihrer Vergangenheit. Durch all diese Menschen kamen an einer Stelle vier Männer, die eine in Decken gehüllte Gestalt auf einer Bahre trugen. Als sie sich durch die Menge drängten, sagte einer von ihnen immer wieder: »Ein Toter, ein Toter«. Dieser Mann stach aus der Menge hervor, weil er das Bedürfnis hatte, sich zu erklären. Abgesehen vom Klappern der Kochtöpfe, dem Rascheln bloßer Füße und von Gummisandalen und dem Meckern einer einzelnen Ziege oder dem Weinen eines verirrten Kindes, war die heimkehrende Menge geradezu unheimlich stumm. In Ruanda standen Tausende stundenlang am Straßenrand und beobachteten den Heimkehrerstrom mit der gleichen wortlosen Intensität. Nie
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zuvor in der modernen Geschichte hatte ein Volk, das ein anderes Volk hingemetzelt hatte oder in dessen Namen das Gemetzel stattgefunden hatte, mit den übriggebliebenen Mitgliedern des Volkes leben sollen, das hingemetzelt worden war – vollständig vermischt, in den gleichen winzigen Gemeinschaften, als eine zusammenhängende nationale Gesellschaft.
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Täter reden Fulgence: Am 11. April ließ der Stadtrat von Kibungo durch Boten alle Hutu zusammenrufen. Zahlreiche Interahamwe waren mit Lastwagen und Bussen eingetroffen, die sich hupend auf den Straßen drängten. Die Stadt war ein einziges Tohuwabohu. Der Stadtrat sagte den Versammelten, von nun an werde man nichts anderes mehr tun als Tutsi töten. Allen war klar, daß es ums Ganze ging. Die Stimmung war umgeschlagen. An diesem Tag waren viele, die noch nicht Bescheid wußten, ohne Macheten oder andere Waffen auf der Versammlung erschienen. Die Interahamwe ermahnten sie und sagten, diesmal wolle man es noch durchgehen lassen, aber so etwas dürfe sich nicht wiederholen. Sie forderten sie auf, sich mit Stöcken und Steinen zu bewaffnen und Sperrketten zu bilden, damit niemand flüchten konnte. Danach gab es zwar Anführer und Mitläufer, aber niemand vergaß mehr seine Machete. Pancrace: Am ersten Tag ging ein Bote des Stadtrats durch die Stadt und forderte uns auf, unverzüglich zu einer Versammlung zu kommen. Dort sagte uns der Stadtrat, bei dieser Versammlung gehe es einzig und allein darum, die Tutsi zu töten, und zwar ausnahmslos. Das war einfach gesagt und einfach zu verstehen. Wir brauchten darum nur noch nach den organisatorischen Einzelheiten zu fragen. Zum Beispiel, wie und wann wir anfangen sollten, denn wir waren so etwas ja nicht gewöhnt, und auch wo, denn die Tutsi waren in alle Himmelsrichtungen geflohen. Einige fragten sogar, ob es Präferenzen gab. Der Stadtrat erwiderte streng: »Ihr braucht nicht zu fragen, wo ihr anfangen sollt. Wichtig ist allein, daß wir gleich hier im Busch anfangen, und zwar sofort, ohne uns noch weiter mit Fragen aufzuhalten.« Ignace: Wir kamen zu gut tausend auf dem Fußballplatz zusammen und machten uns in Gruppen von hundert oder zweihundert Jägern auf den Weg in den Busch. Die Führung übernahmen zwei oder drei Männer mit Gewehren, Soldaten oder Einpeitscher. Am schlammigen Rand der ersten Papyrusreihen teilten wir uns in Gruppen von Leuten auf, die sich kannten. Wer schwatzen wollte, der schwatzte. Wer nichts tun wollt, der tat nichts, solange es nicht auffiel. Wer singen wollte, der sang. Wir suchten uns keine besonderen Lieder heraus, die uns Mut hätten machen sollen. Wir
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sangen keine patriotischen Lieder, wie sie im Radio gespielt wurden, und keine Haß- oder Spottlieder auf die Tutsi. Wir brauchten keine aufmunternden Lieder, wir sangen einfach die traditionellen Lieder, die uns gefielen. Also hauptsächlich Marschlieder. Im Sumpf brauchten wir nur so lange zu suchen und zu töten, bis der Schlußpfiff kam. Manchmal trat auch ein Gewehrschuß an die Stelle des Pfiffs, das war die einzige Neuerung an diesem Tag. Élie: Die Einpeitscher gaben die Ziele vor und ermunterten die Leute; die Händler zahlten und transportierten; die Bauern machten die Runde und plünderten. Aber wenn es ums Töten ging, mußten alle sich mit einem Messer einfinden und sich zu einem erheblichen Teil an der Arbeit beteiligen. Wütend wurden die Leute nur, wenn die Anführer zwangsweise Geld für die Leute eintrieben, die zur Unterstützung in benachbarte Gebiete geschickt wurden. Besonderen Unwillen erregten die Sammlungen für die Interahamwe aus anderen benachbarten Regionen. Bei uns runzelten sie die Stirn über solche Großaktionen. Wir hielten es für profitabler, wenn jeder bei sich zu Hause blieb. Wir wußten genau, daß die aus entfernten Gebieten immer in großer Zahl kamen. Im Grunde mochten wir sie nicht und wollten lieber unter uns bleiben.Was das Töten und die Belohnungen anging, war man sich unter den Leuten aus den verschiedenen Gebieten keineswegs einig. Élie: Wer eine Tutsi zur Ehefrau hatte, konnte versuchen, sie zu retten. Er bot dem Anführer oder den Kaderleuten eine Kuh oder dergleichen an und verteilte kleine Geldsummen an die Leute, die ums Haus marodierten. Aber wer nicht kooperieren wollte, brauchte das gar nicht erst zu versuchen.Bei einem Tutsi als Ehemann gab es kein Verhandeln, er stand ganz oben auf der Liste. Wenn seine Frau zu diskutieren begann, wurde sie gleich geschlagen und man tötete ihren Mann vor ihren Augen, um sie zu entmutigen. Wenn sie nicht klein beigab, konnte es sogar geschehen, daß sie selbst mit ihren Kindern getötet wurde. Pancrace: Die Folter war eine zusätzliche Aktivität, die auf die Entscheidung des Einzelnen oder einer kleinen Gruppe zurückging. Dabei ging es nur um Zerstreuung, wie bei einer Erholungspause an einem langen Arbeitstag. Aber die Anwei-
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sungen lauteten nur, zu töten. Manche töteten langsam, weil sie verängstigt waren; andere, weil sie Schwächlinge waren oder weil es ihnen eigentlich egal war, und wieder andere aus Grausamkeit. Ich habe immer ganz schnell zugeschlagen, ohne mich um solche Dinge zu kümmern. Ich habe nicht an so satanische Dinge gedacht. Ich habe mich nur beeilt, mein Tagessoll zu erfüllen. Jean: Es gab keine Schule mehr, keine Freizeitaktivitäten, keine Ballspiele und dergleichen. Wenn die Leute öffentlich in Stücke gehackt wurden wie in der Kirche oder im Einkaufszentrum, liefen alle Kinder zusammen. Sie wurden nicht dazu gezwungen. Wer nicht schon davon wußte, wurde durch die Schreie angezogen. Man sah sich das Blutbad in allen Einzelheiten an. Man konnte sich nach vorne drängen oder hinten bleiben, je nachdem, wie neugierig man war. Das waren unsere einzigen Gemeinschaftsaktivitäten. Pancrace: Die Menschen sind von Gott nicht gleich geschaffen worden. Es gibt Mörder mit einem guten Herzen, die ihre Sünden bekennen. Es gibt Mörder mit hartem Herz, die ihren Haß im Stillen nähren. Die sind sehr gefährlich, weil der Glaube ihren Charakter nicht mildert. Sie lassen keinen Gottesdienst aus. Sie beten und singen aus freudigem Herzen. Und sie vernachlässigen kein religiöses Zeichen wie das Bekreuzigen oder das Knien. Sie geben sich sehr religiös, aber in ihrem tiefsten Inneren wissen sie, daß sie wieder morden werden. Sie warten nur auf die nächste Gelegenheit. Ignace: Die weißen Priester waren bei den ersten Scharmützeln geflohen. Die schwarzen Priester mordeten selbst oder wurden ermordet. Gott schwieg und die Kirchen stanken von den Leichen, die man darin hatte liegen lassen. Die Religion hatte keinen Platz in unserem Tun. Für kurze Zeit waren wir keine gewöhnlichen Christen mehr, wir mußten vergessen, was wir im Katechismus gelernt hatten. Es galt vor allem, unseren Anführern zu gehorchen. Und Gott nur danach, sehr lange danach, wenn es um Beichte und Buße ging; wenn die Arbeit getan war. Pancrace: In den Sümpfen verwandelten sich Christen in blindwütige Killer. Im Gefängnis verwandelten sich dann blindwütige Killer wieder in sehr fromme Christen. Aber es gibt auch Christen, die sich in ängstliche Mörder verwandelten, und ängstliche Mörder, die sich in sehr fromme Christen verwandelten.
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All das geschah ohne erkennbaren Grund. Jeder begnügte sich ohne fremde Weisung mit seiner eigenen Art von Glauben, denn die Priester waren geflohen oder selbst an den Morden beteiligt. Jedenfalls arrangierte sich die Religion mit diesen Veränderungen im Glauben. Jean-Baptiste: Die Hutu haben den Tutsi immer vorgeworfen, daß sie größer seien und das ausnutzten, um zu herrschen. Auch die Zeit hat diesen Groll niemals gelindert. Im Dorf konnte man, wie gesagt, hören, die Tutsi-Frauen seien zu zierlich, um auf unseren Feldern zu arbeiten; sie hätten eine glatte Haut, weil sie heimlich Milch tränken, und ihre Hände seien zu schmal, um die Hacke zu halten, und solche Dummheiten. In Wirklichkeit konnten die Hutu nichts von alledem an ihren Tutsi-Nachbarinnen beobachten, weil sie ihren Rücken geradeso neben ihren Frauen krümmten und die Frauen ebenso unter der Last der Wasserbehälter litten. Aber es gefiel ihnen, diesen Unsinn zu wiederholen. Sie erzählten sich auch, daß ein Hutu wie ich, der eine Tutsi geheiratet hat, das nur tat, um stolz sein zu können. Es gefiel ihnen, solche Unwahrheiten zu erzählen, damit sich der Graben der Zwietracht zwischen den beiden Volksgruppen nie ganz schließen konnte. Es ging darum, unter allen Umständen eine Distanz aufrechtzuerhalten, während man auf eine Verschlimmerung der Verhältnisse wartete. Zum Beispiel mußte der Lehrer am ersten Schultag die einzelnen Schüler nach Stammeszugehörigkeit auflisten, so daß die Tutsi nur ängstlich in den Hutu-Klassen Platz nahmen. Fulgence: Im Grunde verachteten die Hutu die Tutsi gar nicht so sehr. Jedenfalls nicht so sehr, daß sie sie alle hätten töten wollen. Ein Unheil, das noch schlimmer war als der tiefste Haß, drängte sich in diese ethnische Rivalität und führte uns in diesen Sumpf. Zum Beispiel war bei uns ständig die Rede vom Landmangel. Wir sahen kommen, daß es bald nicht mehr genug fruchtbaren Boden geben würde. Wir sagten uns, daß unsere Kinder dann weggehen und Richtung Gitarama oder noch weiter Richtung Tansania nach Land suchen müßten, wenn sie nicht auf ihrem eigenen Land in die Abhängigkeit der Tutsi geraten wollten. Wir sahen schon, daß Ernten beschlagnahmt wurden, die man selbst gesät hatte. Von den Alten wußten wir, daß man vielleicht sogar zu Rodungsarbeiten, zur Versorgung des Viehs oder zu Bauarbeiten gezwungen werden konnte wie zu Zeiten der Mwami. Solche Fronarbeiten wurden den Bauern zur Qual.
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Pio: Vielleicht verachtete man gar nicht alle Tutsi, vor allem nicht die Nachbarn. Vielleicht sah man in ihnen gar keine bösen Feinde. Aber unter uns sagten wir, daß wir nicht länger mit ihnen zusammenleben wollten. Man sagte sogar, daß wir sie gar nicht mehr in unserer Nähe haben wollten und daß man sie vertreiben sollte. Das zu sagen ist schon etwas, da ist die Machete nicht mehr fern. Ich weiß gar nicht, warum ich begonnen habe, die Tutsi zu verachten. Ich war jung, ich spielte sehr gern Fußball. Zusammen mit den Tutsi meines Alters spielte ich in der Fußballmannschaft von Kibungo. Wir spielten uns die Bälle zu, ohne daß es jemals Probleme gegeben hätte. Ich fühlte mich durch ihre Anwesenheit niemals gestört. Die Verachtung kam ganz einfach während der Massaker, nur durch Nachahmung und Konvention. Jean Hatzfeld: Anfangs empfinde ich ihnen gegenüber nur Verachtung und eine natürlich Abneigung oder bestenfalls gelegentlich eine gewisse Herablassung. Es bedarf weder der sehr aufrüttelnden Anwesenheit Innocents noch der täglichen Begegnung mit dem Kreis um Marie-Louise, mit Sylvie und deren Klienten, mit Edith und ihren Kindern, mit Claudine und all den Freunden draußen auf dem Land, um mich vor Anflügen von Nachsicht zu schützen. Doch im Laufe der Zeit mischt sich eine gewisse Verwunderung herein, die mir die Bande aus Kibungo zwar nicht sympathischer macht, wohl aber den Umgang mit ihr erleichtert, zumindest unter der Akazie. Ein solches Eingeständnis fällt mir schwer, aber die Neugier siegt über die Feindseligkeit. Ihre freundschaftliche Solidarität, ihre Loslösung von der Welt, die sie mit Blut überzogen haben, ihr Unverständnis für ihre neue Lage, ihre Unfähigkeit, dem Blick standzuhalten, den wir auf sie werfen – das alles macht sie zugänglicher. Ihre Offenheit, ihre Geduld und ihre gelegentliche Naivität färben schließlich auf unser Verhältnis ab, und ganz besonders gilt das für ihre Bereitschaft zu sprechen, die mir ein Rätsel bleibt. Es liegt ihnen nichts daran, Zeugnis vor der Geschichte abzulegen; es geht ihnen nicht darum, ihr Gewissen zu erleichtern; sie erhoffen sich von ihren Aussagen keine Milde. Wahrscheinlich reden sie, weil sie es zum ersten Mal tun können, ohne bedroht zu werden, aber das reicht nicht, um sie zu verstehen. Manche zeigen zuweilen, daß sie sich nicht wiedererkennen in diesen Leuten, die singend in die Sümpfe zogen; andere scheinen Angst vor dem zu haben, was sie in den Sümpfen waren. Vielleicht ist ihre Egozentrik weniger ego-
istisch, als es erscheint. Vielleicht zweifeln sie stärker, als ihre Darstellung erahnen läßt. Vielleicht haben sie das Bedürfnis, sich selbst in der Geschichte, die sie erzählen, so wahrzunehmen, wie sie waren, wenn auch nur von fern. Vielleicht erzählen sie ihre Geschichte, um uns davon zu überzeugen, daß sie ganz gewöhnliche Menschen sind, solche, wie Primo Levi und Hannah Arendt sie beschrieben haben. Auf konfuse Weise wollen sie uns allen am Rande dieses vernichtenden Wirbels eine beängstigende Wahrheit vor Augen führen. Alphonse: Manche sagen, wir hätten uns in wilde Tiere verwandelt. Wir wären geblendet gewesen von der Grausamkeit. Wir hätten unsere Zivilisation unter dem Gestrüpp begraben. Deshalb sei es uns unmöglich, die passenden Worte zu finden, um darüber angemessen zu sprechen. Aber damit verdreht man nur die Wahrheit. Ich kann sagen, außerhalb der Sümpfe haben wir ein ganz normales Leben geführt. Wir sangen auf dem Weg, wir tranken Bier oder ›urwagwa‹, je nachdem, was gerade da war. Wir sprachen darüber, welches Glück wir hatten; wir wuschen uns das Blut von den Händen und erfreuten uns an dem Duft, der aus den Kochtöpfen stieg. Wir redeten voller Freude über das neue Leben, das bald beginnen würde, und ließen uns die Rinderkeule schmecken. Des Nachts wärmten wir uns an unseren Frauen, und wir ermahnten unsere Kinder, wenn sie zu wild waren. Auch wenn wir uns keine Rührseligkeit erlaubten wie früher, hatten wir doch Lust auf gute Gefühle.Die Tage waren genauso, wie ich es beschrieben habe. Wir zogen unsere Arbeitskleider an. Wir tauschten unsere Wirtshausgeschichten aus, schlossen Wetten auf die Getöteten ab, machten Witze über die zerstükkelten Mädchen, stritten uns wegen irgendwelcher Kleinigkeiten. Wir schärften das Werkzeug mit dem Schleifstein. Wir machten Scherze, lachten über die Gejagten, die um Gnade flehten; wir zählten und verbargen unsere Güter. Wir konnten uns ganz problemlos allen erdenklichen menschlichen Tätigkeiten hingeben, solange, versteht sich, als wir den Tag über unserem Mordhandwerk nachgingen. Am Ende dieser Zeit in den Sümpfen waren wir alle so sehr enttäuscht, daß wir gescheitert waren. Wir waren entmutigt, weil wir alles verlieren würden. Wir hatten große Angst vor dem schlimmen Schicksal und der Rache, die uns erwarteten. Aber im Grunde waren wir der ganzen Sache nicht müde.
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Zwei Gesichter der Gerechtigkeit 1. Vor acht Jahren, unmittelbar nach der Vernichtung von 800 000 ruandischen Tutsi und gemäßigten Hutu, gelobten ruandische Überlebende und westliche Diplomaten öffentlich, daß den Opfern Gerechtigkeit widerfahren werde. Doch noch nie hatte ein Land 800 000 Mordprozesse geführt, und das Versprechen war leichter zu geben als einzulösen. Heute werden in Zentralafrika zwei juristische Experimente durchgeführt, die der ruandischen Forderung nach Vergeltung und Wahrheit wie auch dem Bedürfnis nach Abschreckung und Versöhnung nachkommen sollen. Das erste ist der von den Vereinten Nationen im tansanischen Arusha eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für Ruanda, der die führenden Köpfe, die hinter dem Völkermord standen, aburteilen soll. Das zweite ist der traditionellere und weitaus belastendere Prozeß der gemeinschaftlichen Katharsis in Ruanda selbst, in dem Täter der unteren Ebene zur Verantwortung gezogen werden und die Angehörigen der Opfer mehr über die Umstände erfahren können, unter denen ihre Anverwandten ermordet wurden. Die Geschichte des Internationalen Strafgerichtshofs ist von Skandalen überschattet, die ihn seit seiner Einrichtung im Jahr 1995 begleiten. Erst im vergangenen Jahr entdeckte man, daß zwei Ermittler, die für den Gerichtshof arbeiteten, wegen Beteiligung am Völkermord gesucht wurden. Sie hatten sich falsche Pässe besorgt und von ahnungslosen Anwälten der Verteidigung anstellen lassen. Die beiden bis dahin indirekt von der Uno bezahlten Männer wurden inzwischen inhaftiert. Die Schlagzeile einer afrikanischen Zeitung sagt alles: »Schockierend: Angestellte des Internationalen Strafgerichtshofs selbst des Völkermords verdächtig«. Eine fundamentalere Kritik am Strafgerichtshof lautet, man habe bislang zwar 500 Mio. Dollar für das Gericht ausgegeben, aber die Verantwortlichen seien faul oder inkompetent, und das Verfahren komme zu langsam voran. »Der Gerichtshof ist 1995 eingerichtet worden, aber bis heute sind erst neun Urteile ergangen«, erklärt Martin Ngoga, der Vertreter der ruandischen Regierung beim Strafgerichtshof. »Das bedeutet einen Durchschnitt von einskommasoundsoviel Urteilen pro Jahr, und die jährlichen Kosten lie-
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gen heute bei 90 Mio. Dollar.« Noch warten 52 Beschuldigte und eine ungenannte Zahl von Verdächtigen auf ihren Prozeß oder ihr Urteil. In der Anfangszeit ließ sich die Verzögerung noch auf logistische Mängel zurückführen. Der Gerichtshof wurde in einem tristen, weitgehend fensterlosen Betonklotz im tansanischen Arusha untergebracht, einer Stadt von 200 000 Einwohnern mit staubigen, ungepflasterten Straßen. Das 1978 als Konferenzzentrum erbaute Gebäude, an dessen Fassade die Inschrift »The Geneva of Africa« prangt, ähnelt eher einem stalinistischen Gebäudeblock als einem Wahrzeichen für das weltweite Streben nach Gerechtigkeit. Als die ersten Juristen der Vereinten Nationen eintrafen, gab es keine Gerichtssäle, keine brauchbaren Telefone, keinen Strom und keinen Internetanschluß in dem Gebäude. Bei meinem ersten Besuch 1998 bestand die Bibliothek des Gerichtshofs aus zwei kleinen Rollwagen mit einer zufälligen Ansammlung gespendeter Handbücher zum Völkerrecht. Es war nicht leicht, fähige Juristen zu gewinnen. Die wenigen hartgesottenen, die sich freiwillig meldeten, mußten den notorisch qualvollen, mit einem endlosen Papierkrieg verbundenen Einstellungsprozeß der Vereinten Nationen über sich ergehen lassen, der die multinationale Zusammensetzung des Personals über Erfahrung oder Fähigkeiten stellt und Entscheidungen über eine mehr als sechsmonatige Anstellung gerne auf die lange Bank schiebt. Auf einer 1997 von den Vereinten Nationen durchgeführten Anhörung wurden dem Gerichtshof Korruption und grobes Mißmanagement vorgeworfen. Den Gerichtsreportern standen keine Schreibmaschinen zur Verfügung. Und in der Finanzverwaltung wurden Gelder veruntreut. Im Februar 1997 entließ Generalsekretär Kofi Annan den ersten Verwaltungsdirektor und den stellvertretender Ankläger. Angesichts der großen Aufmerksamkeit für die Mängel des Gerichtshofs sind seine beiden wichtigsten Verdienste kaum beachtet worden. Es hat die »Großen Fische«, die meistgesuchten Hutu-Führer, die sich nach der Niederlage gegen die Tutsi-Rebellen im Juli 1994 in die ganze Welt zerstreuten, verhaften lassen und vor Gericht gestellt. Unter den 61 gegenwärtig inhaftierten ru-
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andischen Hutu befinden sich 11 ehemalige Minister. In 20 Ländern hat man Verhaftungen durchgeführt. Wenn es den Strafgerichtshof nicht gäbe, würden diese Leute wahrscheinlich aus dem Exil heraus immer noch den Völkermord planen. Zweitens, auch wenn der Gerichtshof bestenfalls schwerfällig arbeitet, hat er doch einige bahnbrechende Entscheidungen gefällt. So erließ der Gerichtshof im September 1998 erstmals in der Weltgeschichte ein Urteil wegen Völkermord. In Nürnberg hatte man dieses Verbrechen nicht verfolgt. In seinem Urteil gegen Jean-Paul Akayesu, den Hutu-Bürgermeister einer ruandischen Kleinstadt, gelangte das Gericht außerdem erstmals zu der Auffassung, daß systematische Vergewaltigung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sexuelle Gewalt eine Form von Völkermord ist. Im Dezember 1998 verurteilte der Gerichtshof in Arusha erstmals einen Regierungschef. Jean Kambanda, Premierminister der für den Völkermord verantwortlichen Interimsregierung, wurde im September 1998 vom Gerichtshof für schuldig befunden und verurteilt, also zweieinhalb Jahre bevor der berüchtigte serbische Staatspräsident Slobodan Milosevic nach Den Haag überstellt wurde – wie fast alle Vertreter des Gerichts in Interviews zu dessen Ehrenrettung betonen. Wie schon für den Völkermord selbst, so hat die Welt auch für die Verbrecher, die ihn verübt haben, nur wenig Interesse gezeigt. Mehr als 500 Journalisten nahmen im Februar 2002 in Den Haag an der Eröffnung des Verfahren gegen Milosevic teil, aber nur 40 kamen nach Arusha, um über das Verfahren gegen Oberst Théoneste Bagosora zu berichten, einen Mann, den außerhalb Ruandas kaum jemand als Hauptverantwortlichen für den dortigen Völkermord nennen könnte. Als ich einen Tag lang den denkwürdigen Schlagabtausch zwischen dem Anklagevertreter und Ferdinand Nahimana verfolgte, dem angeblichen Kopf hinten den Haßtiraden des berüchtigten Senders Radio Mille Collines (RTLM), waren außer mir die einzigen Zuhörer im Saal ein kenianischer Lehrer, zwei australische Rucksacktouristen, drei britische Safaribesucher und drei Ruander, die, wie ich später erfuhr, beim Gerichtshof beschäftigt waren. Welche Erfolge der Gerichtshof in Arusha auch bei der Verurteilung der Schuldigen oder bei der Schaffung von Präzedenzfällen haben mag, die potentielle Völkermörder abschrecken und dem ständigen Internationalen Strafgerichtshof nützen könnten, der
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größte Mangel des Gerichts liegt in der Tatsache, dass er kaum Verbindung zu Ruandern hat. »Das Gericht wurde nicht für das ruandische Volk eingerichtet«, sagt Gérard Gahima, der ruandische Justizminister. »Er wurde eingerichtet, um das Schuldgefühl der Welt zu besänftigen. Das zeigt sich in allem, was das Gericht tut.« 2. Das Uno-Gericht ist Welten entfernt von dem Volk, dem es internationale Gerechtigkeit zu bringen verspricht. Die wenigen Ruander, die das Gericht besuchen, müssen mit dem Bus durch vier Länder fahren: von Kigali in Ruanda nach Kampala in Uganda, dann nach Nairobi in Kenia und von dort nach Arusha in Tansania. Die Fahrt dauert zwei Tage und kostet etwa 40 Dollar; hizukommen 20 Dollar für das kenianische Transitvisum. Das ist mehr, als die meisten Ruander im Monat verdienen. An solche logistischen Fragen dachten UnoVertreter und westliche Diplomaten nicht, als der Weltsicherheitsrat 1994 die Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals nach dem Vorbild des gerade eingesetzten Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien beschloß. Die Tutsi-Rebellen, die dem Völkermord ein Ende setzten – und seither Ruanda regieren (dessen Bevölkerung immer noch zu 85 Prozent aus Hutu besteht) – machten den Vorschlag, einen internationalen Strafgerichtshof in Kigali einzurichten. Wenn im Namen der Ruander Recht gesprochen werde, so erklärte damals der ruandische Vertreter bei der Uno, dann sollten die Ruander daran auch beteiligt werden. Doch man wandte ein, in Ruanda sei die Sicherheitslage noch nicht stabil genug, so daß Zeugen der Verteidigung und Verteidiger, in der Mehrzahl Hutu, Angst haben könnten, nach Ruanda zu reisen, das in ihren Augen die gefürchtete Hochburg des Tutsi-Feindes sein mochte. Außerdem müsse ein Gerichtshof der Vereinten Nationen eine gewisse Distanz zu den Überlebenden des Völkermords wahren, damit man ihm nicht wie einst dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal vorwerfen könne, er betreibe lediglich Siegerjustiz. Arusha, meinten westliche Diplomaten, liege in der Nähe, aber nicht zu nah, und außerdem habe der Ort eine »symbolische Bedeutung«. Denn dort hatten Hutu und Tutsi 1993 vereinbart, die Macht miteinander zu teilen, bevor der Völkermord alle Verträge zunichte machte.
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Die Entfernung macht es den Ruandern schwer, die Prozesse zu verfolgen. Bedeutsamer ist jedoch das Problem, daß der Gerichtshof zwar für Gerechtigkeit sorgen mag, dabei aber nicht an die Ruander denkt. Die Juristen der Vereinten Nationen sind die ersten, die einen Mangel an »Reichweite« eingestehen, wie sie selbst es nennen. Im Jahr 2000 richtete der Gerichtshof ein Informationsbüro in Kigali ein, um die dortige Wahrnehmung des Gerichts zu verbessern. Im vergangenen Jahr wurden 21 000 Besucher gezählt, aber bei den meisten handelte es sich um Anwälte, Forscher oder Studenten, die von der Möglichkeit eines kostenlosen E-Mail-Zugangs Gebrauch machten. Das in einem luftigen Diplomatenviertel gelegene Büro kann nur erreichen, wer in der Nähe wohnt oder ein eigenes Auto besitzt. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es in diesem Viertel nicht. Erstaunlicherweise hat der Gerichtshof erst drei seiner neun Urteile aus dem Französischen und Englischen in das in Ruanda gesprochene Kinyarwanda übersetzen lassen. Da es in Ruanda kaum Fernsehgeräte gibt, planten die Vereinten Nationen die Einrichtung eines Radiosenders, erklärt mir letztes Jahr der Verwaltungsdirektor Adama Dieng. »Aber dann wurde die Ausrüstung nach Afghanistan umgeleitet.« Einige Teile der großen Prozesse könnten nach Kigali verlegt werden, damit die Menschen dort erstmals die Chance haben, die führenden Köpfe des Völkermords auf der mit schußsicherem Glas gesicherten Anklagebank zu sehen. Aber Dieng fragt durchaus zu Recht: »Wenn wir einen Zeugen der Verteidigung nach Kigali bringen, der dort mit Haftbefehl gesucht wird, glauben Sie wirklich, die Ruander würden ihn wieder gehen lassen? Seien wir ehrlich!« Dieng hat kürzlich den Vorschlag gemacht, in Ruanda Fußballstadien anzumieten, damit die Menschen dort auf großen Leinwänden die Prozesse verfolgen könnten. Doch in diesem Fall zeigt die ruandische Regierung sich skeptisch. Justizminister Gahima meint: »Ich bin mir nicht sicher, ob Fußballstadien eine gute Idee wären. Denn wie viele Ruander sind während des Völkermords in solchen Stadien zusammengetrieben und ermordet worden?« Bis einer der gut gemeinten Pläne der Uno wirklich in die Tat umgesetzt ist, werden interessierte Ruander sich mit den beiden dreiminütigen Schwarzweiß-Filmberichten begnügen müssen, die das ruandische Fernsehen jede Woche bringt.
3. Die beiden Tutsi-Frauen Marie Josée Kayites und Immaculate Uwayesu sind Überlebende des Völkermords und, wie sie heute sagen, »Überlebende des Strafgerichtshofs«. 1994 wurde Immaculate Uwayesu von so vielen Männer vergewaltigt, daß sie das Bewußtsein verlor. »An die ersten fünf oder sechs kann ich mich erinnern, aber dann wurde ich bewußtlos«, sagt sie. Juvenal Kajelijeli, Bürgermeister ihrer Heimatstadt und mitverantwortlich für die Planung des Völkermords, wartete draußen, während sie vergewaltigt wurde. Kajelijeli sitzt heute in Arusha in Untersuchungshaft. Im November 2001 bestieg Uwayesu erstmals in ihrem Leben ein Flugzeug, ein Shuttle der Uno, und flog nach Arusha, um dort unter »Zeugenschutz« auszusagen. Kajelijeli hilflos auf der Anklagebank sitzen zu sehen war eine Genugtuung für sie, doch als sie in den Zeugenstand trat, um – anonym hinter einem Vorhang – auszusagen, brach sie zusammen. In ihrer Aussage benutzte sie zur Darstellung des Geschehens den ruandischen Ausdruck für »Vergewaltigung – gufarwa ku nguju«, der wörtlich übersetzte etwa »mit Gewalt festgehalten« bedeutet. Der Verteidiger unterbrach sie und wollte wissen, was genau sie mit »Vergewaltigung« meine. Sie erinnert sich: »Ich sagte ihnen: ›Männer nahmen ihre privaten Teile und führten sie in meine privaten Teile ein.‹ Aber sie sagten, das sei nicht genug. Sie wollten, daß ich die wirklichen Worte benutzte. Aber das konnte ich nicht. Alle wußten, was Vergewaltigung ist, aber sie drängten mich, es genauer zu sagen. Das konnte ich nicht […].« Eine Woche nach ihrer Rückkehr wurde sie auf die örtliche Polizeistation zitiert und mußte einem Hutu-Polizisten erklären, warum sie nach Arusha gegangen sei und »Lügen verbreitet« habe. Sie war schockiert. »Das sollte doch ein großes Geheimnis zwischen mir und dem Gerichtshof bleiben«, sagt sie. »Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal meinen Eltern, aber irgend woher wußten sie alles, was ich gesagt hatte.« Sie ging zum Büro des Gerichtshofs in Ruanda und fragte, wie ihr Besuch beim Gerichtshof und ihre Zeugenaussage hatten durchsickern können. Die Sicherheitsleute sagten ihr, der Ankläger sei nicht da und werde sich bei ihr melden, wenn er zurück sei. Zwei Monate später, im Januar dieses Jahres, fand Uwayesu einen Zettel vor ihrer Tür, auf dem stand: »Eines Tages in der Zukunft, den weder du noch wir voraussagen können, werden wir dir den Mund zunähen und dafür sorgen, daß du keine
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Lügen mehr erzählen kannst.« Da sie unter lauter Hutu lebte, die nun wußten, daß sie gegen einen ihrer ehemaligen Führer ausgesagt hatte, floh Uwayesu aus ihrem Heimatort und suchte Zuflucht bei einem Witwenverein in Kigali. Eine Nachbarin und entfernte Kusine Uwayesus, Marie Josée Kayites, deren Mann bei dem Völkermord abgeschlachtet wurde und die selbst nicht nur von mehreren Männern vergewaltigt, sondern auch mit der Machete verstümmelt wurde, machte ähnliche Erfahrungen mit dem Gerichtshof in Arusha und erhielt nach ihrer Rückkehr nach Ruanda ebenfalls Morddrohungen. Da sie beim Gerichtshof niemanden fand, der ihr half, eine andere Wohnung zu finden, suchte auch sie Zuflucht beim örtlichen Witwenverein und wurde dort aufgenommen. Als sie einige Monate später zu einer Nachsorgeuntersuchung zum Arzt ging, sagte man ihr, daß einer ihrer zahlreichen Vergewaltiger sie mit Aids infiziert hatte. Kayites wußte aus dem ruandischen Rundfunk, daß alle im Untersuchungsgefängnis der Vereinten Nationen in Arusha inhaftierten Verdächtigen, die HIV-infiziert waren, die lebensrettende HIV-Behandlung erhielten. Doch als sie sich an den Gerichtshof wandte und um Hilfe bat, erklärte man ihr, die Vereinten Nationen kämen zwar für die Routinebehandlung von Zeugen auf, könnten aber eine teure HIV-Behandlung nicht übernehmen. Roland K. G. Amoussouga, der dienstälteste Angestellte des Gerichtshofs, der das Zeugenschutzprogramm aufgebaut hat, erklärt die Gründe für diese offenkundige Ungerechtigkeit: »Wo sollten wir die Grenze ziehen? Wenn sie einen Zeugen behandeln, müsse sie alle Zeugen behandeln. Wir müssen davon ausgehen, dass lokale Institutionen sich der Sache annehmen.« Außerdem, so fügt er hinzu, stelle der Weltsicherheitsrat die Regeln auf und nicht der Gerichtshof. »Die Leute sagen, der Gerichtshof füttere die Gefangenen und sorge sogar für eine HIV-Behandlung. Ja, das tun wir. Dazu haben wir den Auftrag. Aber wir haben nicht den Auftrag, uns um die Opfer zu kümmern.« Die ruandische Regierung ist der Auffassung, auch die HIVBehandlung müsse Teil des Zeugenschutzprogramms sein. »2008 wird es keine Zeugen für die Vergewaltigungsprozesse mehr geben«, erklärt Ngoga, der Vertreter der ruandischen Regierung. Kayites unterscheidet nicht zwischen dem UnoGerichtshof und dem Uno-Sicherheitsrat. Sie bittet nur höflich um Hilfe. »Wie kann es sein, daß man einem Opfer sagt, man könne nichts tun,
während die Organisatoren des Völkermords die nötige Hilfe erhalten, damit sie in Gesundheit leben können?« 4. In der ruandischen Provinz Butare sind Dorfbewohner mehrere Kilometer gewandert, um ein staubiges Plateau auf einem der zahllosen Hügel des Landes zu erreichen. Während die Ruander keinen Kontakt zu dem aseptischen, in verfahrensrechtlichen Aspekten versinkenden Gerichtshof in Arusha haben, bietet der im Jahr 2002 begonnene, als Gacaca (ausgesprochen: gatscha-tscha) bezeichnete emotionale und juristische Prozeß den Überlebenden die Möglichkeit, ihren Peinigern von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten. Die Gacaca-Gerichte sind nach dem Gras benannt, auf dem die Dorfältesten früher Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde schlichteten. Sie entschieden bei Auseinandersetzungen um Eigentumsfragen, in Ehestreitigkeiten und bei gelegentlichen Diebstählen. In den wiederbelebten Gacaca-Gerichten sollen nun Dorfbewohner ohne jede Ausbildung über Menschen richten, denen Mord, Vergewaltigung und Plünderung während des Völkermords vorgeworfen werden. Die Gacaca-Gerichte waren notwendig geworden, weil zwar die führenden Köpfe des Völkermords in dem recht komfortablen Untersuchungsgefängnis in Arusha auf ihren Prozeß warteten, die zahlreichen Fußsoldaten jedoch ohne Prozeß und ohne Hoffnung in ruandischen Gefängnissen dahinvegetierten. Nach dem Völkermord wurden 120 000 Ruander, in der Mehrzahl Hutu, in Gefängnisse gesperrt, die nur für 10 000 Häftlinge gebaut waren. Manche dieser Häftlinge wurden auf frischer Tat beim Morden ertappt. Andere wurden nur deshalb verhaftet, weil ein Nachbar einen entsprechenden Verdacht äußerte (der möglicherweise mehr an Land oder Vieh des Beschuldigten interessiert war als an Gerechtigkeit). In den acht Jahren seit dem Ende des Völkermords haben die überforderten ruandischen Gerichte 6 000 Verfahren abgeschlossen, das sind weniger als 5 Prozent der anhängigen Fälle. Wenn man so weitermacht, werden die ordentlichen Gerichte 200 Jahre brauchen, bis alle Fälle abgearbeitet sind. 1999 gelangte der ruandische Präsident Paul Kagame zu dem Schluß, daß drastische Maßnahmen erforderlich seien. Um die Gefängnisse des Landes zu leeren, schuf seine Regierung die Voraussetzungen für einen öffentlichen Bekennt-
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nisprozeß, der an die Hexenprozesse in Salem oder an christliche Erweckungsveranstaltungen in Mississippi erinnert. Im Oktober 2001 ließ man in allen 11 000 Wahlbezirken des Landes jeweils 19 »integre Persönlichkeiten« wählen – Bauern, Lehrer, Arbeiter –, die als ehrenamtliche Richter fungieren sollten. Viele der 254 000 Laienrichter konnten weder lesen noch schreiben. Und bei einigen stellte sich rasch heraus, daß sie sich selbst am Völkermord beteiligt hatten. Die Richter absolvierten einen 36-stündigen CrashKurs, in dem man ihnen die (immer noch in Entwicklung begriffenen) Regeln des GacacaVerfahrens beibrachte. Dann erhielten sie die Vollmacht, Ermittlungen einzuleiten, Ruander vor »Gericht« zu stellen, Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen anzuordnen, Urteile zu fällen, Schadensersatzzahlungen festzulegen und Güter beschlagnahmen zu lassen. Diese Richter haben nun die Macht, über das Schicksal Zehntausender von Mordverdächtigen zu entscheiden, die in Freiheit gesetzt werden können, falls sie ihre Verbrechen gestehen. Die Gemeinderichter stützen sich auf die Aussagen von Menschen, die während des Völkermords in Ruanda gelebt haben und nun gesetzlich verpflichtet sind, bei den ein Mal in der Woche angesetzten Verhandlungen zu erscheinen. Zu den Hauptaufgaben der Gacaca-Gerichte gehört es, eine Bekehrung herbeizuführen und herauszufinden, was während des Blutrauschs 1994 tatsächlich geschah. Ähnlich wie bei der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika hängt auch der Erfolg der Gacaca-Gerichte von der Zahl und Glaubwürdigkeit der Geständnisse ab. Gefangene, die als Mörder der »Kategorie eins« eingestuft sind – etwa 2 500 Planer des Völkermords, bekannte Mörder und solche, die mit besonderem Eifer oder besonderer Grausamkeit gemordet haben –, werden am Ende von ordentlichen Gerichten abgeurteilt werden. Im Fall eines Schuldspruchs wird selbst tief empfundene Reue sie nicht vor der Höchststrafe bewahren, also vor lebenslänglicher Haft oder der Todesstrafe. Doch in der überwiegende Mehrzahl werden die Gefangenen in den nächsten fünf Jahren vor einem Gacaca-Gericht erscheinen und von ihresgleichen abgeurteilt. Wer einen Mord – oder auch mehrere Morde – gesteht und wahrheitsgemäß wie auch reuevoll über die grausamen Einzelheiten seiner Tat berichtet, darf damit rechnen, daß die dafür vorgesehene Strafe von 14 Jahren auf sieben Jahre Haft und sieben Jahre gemeinnützi-
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ge Arbeit verringert wird. Für die vielen, die seit dem Völkermord in Haft sind, bedeutete das die sofortige Freilassung. Wenn ein Gefangener nicht gesteht und das Gacaca-Gericht zu der Auffassung gelangt, daß er schuldig ist, kann es ihn zu einer Haftstrafe von 25 Jahren bis lebenslänglich verurteilen, die er in den zweifellos auch weiterhin überfüllten Gefängnissen des Landes wird absitzen müssen. Je später ein Beschuldigter innerhalb des Gacaca-Verfahrens gesteht, desto geringer die Strafmilderung, mit der er rechnen kann. Die ruandische Regierung bemüht sich in ganz Ruanda, die Anschuldigungen gegen Häftlinge mit unvollständigen und fehlenden Akten zu klären. Jede Woche werden solche Häftlinge in der betreffende Gemeinde »vorgeführt«. Wenn bei dieser Voruntersuchung Zeugen oder Beweise beigebracht werden, die den Verdächtigten mit einem Verbrechen in Zusammenhang bringen, nimmt man diese Aussagen oder Beweise zu den Akten. Doch wenn niemand etwas gegen den Verdächtigten vorbringt, setzt man ihn auf freien Fuß. Bei einem dieser Vorverfahren in Niyikazu, Butare, an dem ich teilnahm, erschien eine erste Gruppe von Häftlingen zu Fuß und in ähnlicher Kleidung wie die Leute aus den Dörfern: in verwaschenen Bluejeans, schmutzigen Nike-T-Shirts, afrikanischen Sarongs und Sandalen, Sandaletten oder Pantoletten jeglicher Art. Der Zug der Häftlinge über die nahegelegenen Hänge erinnerte an einen großen Flüchtlingsstrom. Ihre Mitbürger saßen auf knarrenden Stühlen und Bänken, während sie den ermüdenden Zeugenaussagen folgten, die einen ganzen Tag dauerten. Obwohl es kaum Bewachung gab, versuchte kein Gefangener zu flüchten. Der Direktor des örtlichen Gefängnisses sagte mir: »Es liegt nicht in unserer Kultur, einen Fluchtversuch zu machen.« Eine zweite Gruppe von Häftlingen traf in pinkfarbener Gefängniskleidung auf einem offenen Lastwagen ein. Einige von ihnen hatten ihre Hemden für den großen Tag gebügelt. Alle wirkten übermütig. Sie freuten sich über den Wechsel der Umgebung und die erste Hoffnung auf Entlassung nach sieben Jahren Haft. Bevor die offizielle Zeugenbefragung begann, begab sich eine Handvoll Häftlinge, die zur Gefängnisband gehörten, in die Mitte des Gerichtsplatzes, der nun von gut tausend Zuschauern umringt war. Ein Häftling spielte Bongo-Trommeln, und vier von ihnen spielten auf Gitarren, die teilweise pinkfarben angestrichen
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waren, damit sie farblich zur Gefängniskleidung passten. Zur Musik der Band, die den Namen Stars de la Vérité trug, sang und tanzte der Gefängnischor ein sehr rhythmisches Lied über Mord, Geständnis, Wahrheit, Befreiung und Versöhnung. Der mitreißende Rhythmus vereinte Reggae-, Polka- und Gospelelemente. Der Text lautete: Was sollen wir tun? Wir, die wir unser geliebtes Land zerstört haben? Ihr, die ihr Verbrechen erlebt, und ihr, die ihr sie begangen habt? Was geschehen ist, kam nicht aus uns. Es wurde in uns hineingelegt … Ihr solltet gestehen, was ihr getan habt, und um Vergebung bitten … Ihr, die ihr den Völkermord überlebt und eure Angehörigen verloren habt … Wir fühlen mit euch und teilen euren Schmerz. Wir bitten euch aus tiefstem Herzen um Vergebung. Bei der letzten Zeile des Liedes – »Wir versichern euch, daß es nicht noch einmal geschehen wird« –, wirbelten die drei Tänzer herum, wiegten die Hüften im Rhythmus des Liedes, machten mit der Hand eine Bewegung, als schnitten sie die Kehle durch, und hoben die Finger wie zum Schwur: »Wir werden es niemals wieder tun.« Der Völkermord in Ruanda war ein konformistisches Verbrechen. Auf unheimliche Weise findet sich derselbe Konformismus nun in den Geständnissen der Häftlinge. Ein Beobachter sprach hier von einer neuen Form »verordneter Schuldeingeständnisse«. Wenn die Regierung es befiehlt, übernehmen die Häftlinge die Verantwortung. Welche Motive sie auch haben mochten, die Sänger und Tänzer, die zum Geständnis aufforderten, strahlten, während das Publikum, das sich mit Sonnenschirmen und Bananenblättern vor der Sonne schützte, in lautes Lachen ausbrach. Es war schwer zu sagen, ob es sich in einer Gemeinschaft, die in der überwältigenden Mehrheit aus Hutu bestand, um ein nervöses, ungläubiges Lachen über nie zuvor öffentlich angesprochene Themen handelte oder um Erleichterung darüber, daß die moralisierende Botschaft in einer spielerischen Verpackung daherkam. In diesem ganz aufs Wohlfühlen ausgerichteten Eröffnungsakt hatte man Mühe, die verschlossenen Gesichter der Tutsi auszumachen, die den Völkermord überlebt hatten und nun eingeklemmt zwischen ihren Hutu-Nachbarn saßen.
Jeder Häftling, den man der nun beginnenden Voruntersuchung unterzog, wurde mit den Worten eingeführt: »Wer kennt diesen Mann?« Oft meldete sich zunächst niemand. Doch in der Regel konnte man sich darauf verlassen, daß einer seiner Mithäftlinge sich mit Anschuldigungen oder mit einer entlastenden Aussage zu Wort meldete. Für die Tutsi-Überlebenden war es schwerer. Manche, die vortraten, um ihre Anschuldigungen vorzubringen, sahen ihren Peinigern ins Gesicht und schienen diesen lange herbeigesehnten Augenblick der Konfrontation zu genießen. Doch die meisten, die mitten auf den Gerichtsplatz traten und das Mikrofon ergriffen, taten es widerwillig, kehrten den von ihnen Beschuldigten den Rücken zu und zitterten, wenn sie ihre Dämonen erstmals öffentlich wiederauferstehen ließen. Die Häftlinge standen meist ausdruckslos da und warteten passiv auf ihr Urteil. Sie wußten, wenn es keine Akte gab und niemand gegen sie aussagte, würden sie bald freikommen. Als »TM«, ein mutmaßlicher Mörder mit unvollständiger Akte, vorgeführt wurde, sagte er, er habe nichts mit dem Tod eines Tutsi-Jungen zu tun, den er ermordet aufgefunden habe. Zeugen sprangen auf und widersprachen ihm. Einer erklärte, er habe gesehen, dass TM das Verbrechen begangen habe. Man fragte TM, ob er seine Aussage überdenken oder weiter auf seiner Unschuld bestehen wolle. TM erwiderte: »Ich bleibe dabei, ich habe den Jungen gefunden, als er schon tot war, aber um sicher zu sein, habe ich ihm auf den Kopf geschlagen. Das gebe ich zu.« In der Menge war Flüstern und Spott über dieses schwache, verspätete Geständnis zu hören. Nun würde man die Zeugenaussage und seine Einlassung zu den Akten nehmen. Doch falls er die Kunst des Geständnisses erlernt, bevor die Gacaca-Prozesse in seinem Bezirk beginnen, hat er immer noch Chancen, freizukommen. Stilaton Siborurema, 45 Jahre alt, stand mit verschränkten Armen in der Mitte des Gerichtsplatzes. Er wurde beschuldigt, an der Ermordung von drei Tutsi-Kindern beteiligt gewesen zu sein. Während die Zeugen in den Kreis traten, um ihre Aussagen zu machen, hatte man den Eindruck, als schliefe er im Stehen. Aber er hatte Glück. Ein gutes Dutzend Dorfbewohner behaupteten, daß es sich um eine Verleumdung handele. Als Siborurema sich wieder hinsetzen durfte, waren zwei andere Männer der Tat bezichtigt worden, und die Zuschauer waren sich einig, daß Siborurema seit sieben Jahren unschuldig im
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Gefängnis saß. Darum wurde er vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Von den 8 000 Häftlingen, die in den vergangenen zwei Jahren in ihren Heimatgemeinden an einer Gacaca-Voruntersuchung teilnahmen, wurden etwa 2 000 freigelassen. 5. Während die Gacaca-Voruntersuchungen dafür gesorgt haben, daß wenigstens offenkundig Unschuldige wieder in die Gesellschaft zurückkehren konnten, werden die eigentlichen GacacaProzesse, die im Juni 2002 an einigen ausgewählten Orten begonnen haben und ab 2003 überall im Land stattfinden, von sehr viel größerer Tragweite sein. In diesen Verhandlungen werden die Gefangenen die Möglichkeit haben, ihr Schuldeingeständnis gegen eine vorzeitige Entlassung einzutauschen. Dort auch werden die überlebenden Tutsi die Möglichkeit haben, öffentlich ihre Stimme zu erheben und ihre Nachbarn zu den schrecklichen Tagen und Nächten des Jahres 1994 zu befragen. Die Gacaca-Prozesse dürften den überlebenden Tutsi, die von der mangelnden Sensibilität des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda enttäuscht sind, etwas mehr vom dem geben, wonach sie suchen, aber keineswegs alles, was sie brauchen. Ihre Hutu-Nachbarn sprechen nicht viel über die Ereignisse von 1994. Regierung und Überlebende hoffen, die Vernehmungen werden sie wenigstens dazu ermutigen, über die Vergangenheit zu diskutieren. Während die Tutsi sich hinter Sorghum- oder Bananenstauden verstekken oder im Gebälk ihrer Dächer festklammern mußten, konnten die Hutu sich realtiv frei bewegen und vermögen heute daher eher zu sagen, wie die Massaker abliefen. Wenn es um die Feststellung geht, wer wen an welcher Straßensperre ermordet hat oder wer sich den mörderischen Befehlen der Hutu-Extremisten widersetzt hat, ist die Mithilfe der Hutu-Mehrheit von zentraler Bedeutung. Bei den ersten GacacaProzessen hat sich herausgestellt, daß zwei Gruppen von Ruandern am ehesten zu Aussagen bereit sind: die überlebenden Tutsi und Häftlinge, die sich eine Strafmilderung erhoffen. Doch vor allem die Hutu, die sich 1994 vielleicht nicht an den Morden beteiligten, aber aus sicherer Entfernung zuschauten, kennen die Geheimnisse und sind letztlich der Schlüssel für die Versöhnung. Da die ruandische Regierung die GacacaRechtsprechung auf den Völkermord beschränkt, so daß Hutu dort nicht gegen Tutsi-Soldaten aussagen können, die sich an Kriegsverbrechen betei-
ligt haben, meinen viele, diese Prozesse begünstigten die Tutsi. Und da auch jederzeit neue Verhaftungen vorgenommen werden können, befürchten viele Hutu, schon wenn sie den Prozessen als Zuschauer beiwohnten oder dort gar als Zeugen aufträten, könnte das Nachbarn veranlassen, sie der Komplizenschaft im Völkermord zu beschuldigen. Trotz erheblichen staatlichen Drucks (es sollen bereits Geldstrafen wegen Nichterscheinens verhängt worden sein) scheint die Beteiligung an den Prozessen rückläufig zu sein. »Das ist keineswegs überraschend«, meint Klaas de Jonge von Penal Reform International, der die Gacaca-Prozesse beobachtet. »Warum sollte man dorthin gehen und darauf warten, beschuldigt zu werden?« Bei einem Völkermord dieser Größenordnung ist »wahre Gerechtigkeit« für alle offensichtlich unmöglich. Die Gacaca-Gerichte verfügen insgesamt nur über ein Zehntel des Budgets, das dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda zur Verfügung steht, und ihre Aufgaben gehen weit über die verfügbaren Mittel hinaus. Vielleicht bringen die Gacaca-Prozesse sogar neue Ungerechtigkeit mit sich. Beschuldigte müssen sich vor unausgebildeten Richtern verteidigen, die möglicherweise ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Und weil die Verfahren zeigen, dass manche Hutu mehr als ein halbes Jahrzehnt unschuldig im Gefängnis gesessen haben, führen sie vielleicht zu neuen Ressentiments und zu einem neuen Bedürfnis nach Vergeltung. Andererseits haben die Ruander dort wenigsten die Möglichkeit, über ihre Erlebnisse zu sprechen, und den Gefangenen bieten die Prozesse die Chance, ihr Gewissen zu erleichtern. Wenn eine Regierung aus Siegern und Opfern es den Tätern erlaubt, sich wieder in die Gesellschaft einzufügen, so könnte dies das Verhältnis zwischen der Tutsi-Regierung und der Hutu-Mehrheit entspannen. Vor allem aber, wenn es den Überlebenden und den Gefangenen, den Heimgekehrten und den im Lande Gebliebenen tatsächlich gelingt, einander zuzuhören, finden sie vielleicht zu einer vielseitigen kollektiven Darstellung des Völkermords, die aus zahlreichen einzelnen menschlichen Geschichten und nicht nur aus einer Statistik des Todes besteht.
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Gibt es doch ein Land für alle Ruander? P e t e r
»Die ersten drei Jahre nach dem Genozid«, so erzählt Jean-Bosco, »packten mich Haß und Rachegefühle, wenn ich in meinen Weiler zurückkehrte, wo ich aufgewachsen bin und wo ich gewohnt hatte. Auf einem kleinen Vorsprung des Hügels, du siehst ihn immer bei der letzten Wegkehre, steht das Haus von Silas. Wir gingen zusammen zur Schule, und wir teilten das Salz, für uns ein Zeichen guter Nachbarschaft. In den letzten Apriltagen 1994 ermordete Silas zusammen mit anderen Bauern des Hügels meine Frau und mein Kind, meine beiden Brüder und ihre Familien und meine Eltern. In meiner Verzweiflung warf ich mich in die Arbeit, ich handle mit Ackerfrüchten. Der Kampf ums wirtschaftliche Überleben zwang zur Zusammenarbeit mit andern Bauern des Hügels, das war heilsam, für mich und wahrscheinlich für viele. Eher zufällig realisierte ich viel später, daß ich Silas’ Haus kaum mehr wahrnahm. Ich heiratete wieder, habe zwei kleine Kinder. Was werde ich ihnen einmal über die Geschichte unseres Landes erzählen, über den Tod der Großeltern? Vor einigen Monaten ist Silas aus dem Gefängnis zurückgekehrt, ich habe ihn vor seinem Haus gesehen. Er muß sich dieses Jahr vor dem Gacaca-Gericht verantworten, unserem traditionellen Weg zur Ahndung von Verbrechen. Silas wird um Verzeihung bitten. Ich habe eine neue Familie, habe wieder Lebensziele. Ich habe das schreckliche Geschehen überwunden. Ist das Verzeihen? Der Mund ist schnell, wenn er sagt: ›Ich verzeihe‹. Doch das Herz hinkt hinterher. Ich werde mit Silas reden, wenn er mir in die Augen blicken kann. Aber vergessen? Niemals.« Das Leben ging weiter nach dem Völkermord vom Frühjahr und Frühsommer 1994, schleppend zunächst und gedämpft. Eine distanzierte, weil jede emotionale Befindlichkeit ausklammernde Aussage über die Entwicklung in Ruanda erlauben die Wirtschaftsdaten. Zwischen 1996 und 1999 betrug das Wachstum jährlich rund 10 Prozent: Ruanda erwachte aus der Erstarrung und hatte praktisch von vorn zu beginnen. Seither hat sich das Wachstum bei etwas über sechs Prozent eingependelt: In diesem Sinn fand Ruanda zu einer gewissen Normalisierung zurück. Seit Jahresbeginn 2004 sind in Ruanda die Primarschulen gratis – und obligatorisch. Was die
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hohe Analphabetenquote von nahezu 40 Prozent anzupeilen scheint, greift tiefer: Ruanda plant seine Zukunft. Es sieht sie im Dienstleistungsbereich, mit der Landwirtschaft als tragendem Standbein. In den vergangenen zwei Jahren gelang es Ruanda, eine internationale Tagung nach der anderen ins Land zu holen, und so soll es weitergehen. Mit einem Kraftakt sondergleichen wurde in der Hauptstadt Kigali innerhalb weniger Monate ein neues Konferenzzentrum samt Hotel hochgezogen, um die Jahresversammlung 2004 der Afrikanischen Union beherbergen zu können. Inzwischen gehört die Computerausbildung zum Lehrplan der Sekundarschulen. Noch ist der Mangel an Fachkräften nicht behoben; zur Zeit weilen Dutzende junger Ruanderinnen und Ruander auf Staatskosten in Indien, um sich dort in Informationstechnologie ausbilden zu lassen Die Suche nach Auswegen ist schiere Notwendigkeit für Ruanda. Das am dichtesten besiedelte Land des Kontinents zählt heute, bei einer Fläche von 26 000 km2, rund 8 Millionen Einwohner, in zehn Jahren werden es 12 Millionen sein – zu viele für ein Land, dessen Bevölkerung zu fast 90 Prozent von der Landwirtschaft lebt und schon heute jedes Stück Erde von der Größe eines Bettüberwurfs bebaut. Es ist in Ruanda nicht vergessen, daß sich Landknappheit und Genozid nicht trennen lassen: »Es ist euer Land«, hatte das Staatsradio mit seiner Hetzpropaganda in den Jahren vor dem Frühjahr 1994 den HutuKleinbauern unablässig eingebläut. Manch einer, der seinen Tutsi-Nachbarn erschlug, hatte auf dessen kleinen Acker ein Auge geworfen. Heute, so scheint es zumindest, ist die ethnische Zugehörigkeit kein Thema mehr – Anzeichen einer Tabuisierung sind unverkennbar. Die Frage, ob jemand ein Hutu oder Tutsi sei, ist in Ruanda verpönt und ohnehin obsolet, weil die meist von einem Lächeln begleitete Antwort bekannt ist: Ich bin Ruander, sagt jeder, oder: Ich bin Ruanderin. Geradezu demonstrativ wird die gemeinsame Nationalität hervorgehoben anstelle der Trennung in Volksgruppen. Daß in den alten Identitätskarten die ethnische Zugehörigkeit vermerkt war, hatte im Frühjahr 1994 für Tausende von Tutsi das Todesurteil bedeutet. In einem beispiellosen administrativen Schnellauf wurde das ganze Land mit neuen Ausweisen versorgt, wobei
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Ruanda im Januar 2004
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es sich als Vorteil erwies, daß in der Regel weder die Namen noch die Geburtsorte auf die eine oder andere Ethnie schließen lassen. In Gesprächen über das heutige Selbstverständnis des Landes gilt der Standardausdruck »cohabitation«, Zusammenleben, wobei ihm eine aktive Bedeutung zugemessen wird – der bewußte Wille zur Gemeinschaft. Eine über Jahrhunderte hinweg entstandene gesellschaftliche und soziale Auf- und Zuteilung läßt sich indessen nicht in zehn Jahren beseitigen, auch wenn man die Lehren von 1994 noch so sehr zu beherzigen versucht. Aus dieser Sicht erscheint nahezu alles, was heute in Ruanda geschieht, auf ein einziges Ziel hin ausgerichtet zu sein: es nie mehr zu einer Katastrophe wie jener vom Frühjahr 1994 kommen zu lassen. Das gilt für die innerethnischen Gesprächsgruppen zur Konfliktbewältigung genauso wie für die staatsbürgerliche Erziehung in den Schulen oder für die zentrale Forderung nach Gerechtigkeit. Selbst Schritte zur Bekämpfung der Armut, die als eine der Ursachen für 1994 nicht ausgeklammert werden darf und von der heute in Ruanda fast zwei Drittel der Bevölkerung betroffen sind, erhalten unter solchen Umständen ein ganz anderes Gewicht. Ähnlich verhält es sich mit der nunmehr obligatorischen Schulpflicht; die armen, des Lesens und Schreibens unkundigen Kleinbauern auf ihren Hügeln hatten 1994 ohne nachzufragen alles geglaubt, was ihnen die Behörden, das HaßRadio »Milles Collines« und die mörderischen Interahamwe-Milizen über ihre Tutsi-Nachbarn weisgemacht hatten. An Stolpersteinen auf dem Weg zu einer nationalen Gesellschaft fehlt es nicht. Seit dem Frühjahr 1994 sind einige hunderttausend Tutsi aus Uganda, Tansania und Burundi zurückgekehrt, wohin sie vor den Progromen der sechziger Jahre geflüchtet waren. Sie geben heute – oft in englischer Sprache – den Ton an, in der Politik und vor allem im Wirtschafts- und Geschäftsleben. Sie wissen ihre Vorrangstellung heute etwas besser zu kaschieren als in der Zeit unmittelbar nach 1994; es bedurfte vor einigen Jahren der ernsthaften Mahnung von Staatspräsident Paul Kagame an die Rückkehrer, nicht allzu arrogant aufzutreten. In einem Land mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 250 USDollar pro Jahr droht die Konzentration der wirtschaftlichen Gewinner beim Minderheitenvolk die ethnische Komponente erneut ins Blickfeld zu rücken, auch wenn durchaus anerkannt wird, daß
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Ruanda aus der Geschäftstüchtigkeit der Tutsi und deren internationalen Kontakte erheblichen Nutzen zieht. Parallelen zeigen sich auf politischer Ebene. Bei den ersten Mehrparteienwahlen seit 1994 gewann die regierende, einst von Kagame gegründete Ruandische Patriotische Front im November 2003 eine deutliche Mehrheit; die Hälfte des Parlaments sind Frauen, ein einsamer Rekord nicht nur in Afrika. In der Regierung stellen die Hutu die Mehrheit, aber die Macht in Staat und Regierungspartei konzentriert sich bei einer Gruppe Getreuer um Präsident Kagame, einem Tutsi. Dessen Wahl (mit 95 Prozent der Stimmen) spiegelt zum einen die Anerkennung für seine Verdienste, Ruanda mit Umsicht aus dem Zusammenbruch von 1994 herausgeführt zu haben, und legitimiert ihn zur Weiterarbeit für die Zukunft des Landes. Zum anderen zeugen die 95 Prozent von der starken Stellung der Ruandischen Patriotischen Front, die ihre Fäden zieht bis in die hinterste Cellule hinein, der kleinsten staatlichen Einheit. Hier gilt, was die Autoritäten empfehlen, auch bei Wahlen, obwohl Kagame eine Wahlhilfe dieser Art nicht nötig gehabt hätte. Ohne diese starke und allgemein respektierte Hierarchie hätte Ruanda seine heutige Stabilität bei weitem nicht erreicht, wäre die »cohabitation«, die von oben verordnete Versöhnung, welche die ethnische Zuordnung ausklammert, nicht vorangekommen und die breite, für eine gemeinsame Verantwortung sensibilisierende Diskussion der neuen Verfassung im Frühjahr 2003 steckengeblieben. Die starke Stellung der Autoritäten erwies sich als hilfreich beim Aufrappeln aus dem Elend von 1994 – genauso, wie sie damals mit den Aufrufen, die Tutsi umzubringen und die Gräber zu füllen, zum fürchterlichsten Blutbad in der neueren afrikanischen Geschichte geführt hatte. Die beispiellose Art, wie Ruanda nach 1994 wirtschaftlich und politisch Tritt gefaßt hat, sagt wenig aus über die emotionale Bewältigung auf Seiten der Opfer wie der Täter. Viele Rescapés, wie die Überlebenden der Massaker genannt werden, haben sich von ihrem Trauma nicht erholt. Der Verlust der Familie, an sich schon ein Unglück sondergleichen, kommt bei der tragenden Bedeutung des Familienverbandes in Ruanda und in Afrika ganz allgemein einer Durchtrennung der Lebensader gleich. Gegenüber den Rückkehrern aus Uganda und Tansania nach 1994 fühlen sich die Rescapés marginalisiert, als die das Leid
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Tragenden an den Rand gedrängt und trotz der Hilfsanstrengungen des Staates wirtschaftlich vernachlässigt – nicht alle haben die zupackende Art und den Lebensmut eines Mannes wie JeanBosco. Von den eigentlichen Planern und Drahtziehern des Völkermords ist inzwischen ein gutes Dutzend vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Ruanda, das in der tansanischen Provinzstadt Arusha verhandelt, abgeurteilt worden; gegen weitere 50 läuft der Prozeß. Zehntausende haben sich in Ruanda selbst zu verantworten, die Mitläufer beim Morden und die leichteren Fälle vor den traditionellen Volksgerichten, Gacaca genannt. Nach verschiedenen Versuchen werden diese Gacaca-Gerichte im Jahr 2004 richtig zu arbeiten beginnen. Die Ermordung von drei Rescapés kurz vor Weihnachten 2003 durch eine Gruppe entflohener Sträflinge, die damit Zeugen der begangenen Untat beseitigen wollten, hat das Land aufgewühlt. Aber ohne Gerechtigkeit gibt es keine Versöhnung und damit keine Zukunft; niemand in Ruanda bestreitet diesen Grundsatz. Doch es ist ein schmerzhafter Prozeß. Langsam vernarbende Wunden werden erneut aufgerissen, Vergangenes oder Verdrängtes wird in die Gegenwart zurückgeholt und bleibt bis heute – und heute erst recht – unfaßbar. Wie Silas begreifen, der mithalf, JeanBoscos Familie zu erschlagen – seine Nachbarn von Kindsbeinen an? Oder wie das hilflose Gestammel jenes Bauern verstehen, der den Richtern – allesamt Mitglieder der Cellule – zu erklären versuchte, weshalb er, der Hutu, nicht nur seine Frau, eine Tutsi, erschlug, sondern auch seine Kinder als Halb-Tutsi niedermachte? Die kleine Kirche von Ntarama, eine gute Wegstunde von Ruandas Hauptstadt Kigali entfernt, hat sich seit dem ersten Besuch rein äußerlich nicht verändert. Damals, Anfang Mai 1994, war die Kirche voller Leichen. Hutu-Milizen und Mitglieder der damaligen Regierungsarmee hatten am 15. April Handgranaten in die Kirche geworfen, in die sich die Tutsi-Familien aus der Umgebung geflüchtet hatten. Wer nicht sofort umgekommen war, wurde mit Macheten und Hacken ermordet. Die Erinnerungen von damals werden wach beim zweiten Besuch, Anfang Januar 2004. Die Kirche ist heute ein Mahnmal für das Massenmorden von Mitte April 1994. Noch immer liegen Kleider zwischen den Kirchenbänken, hinten sind gut 500 Schädel aufgestapelt, die Kinderköpfe in der ersten Reihe, daneben
Knochen von Beinen und Armen. Über 18 000 Menschen, vorwiegend Ruanderinnen und Ruander, haben die kleine Kirche seither besucht. Die Kommentare im Gästebuch lassen das Ausmaß der Fassungslosigkeit erkennen, die einen überwältigt beim Anblick der gespaltenen und zertrümmerten Schädel. »Wir müssen alles unternehmen«, schrieb die ruandische Besucherin, die tags zuvor Ntarama besucht hatte, »um so etwas nie, niemals wieder geschehen zu lassen.« Dem ist nichts beizufügen.
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Autoren Peter Baumgartner, geboren 1943, Politologe und Historiker. 1972-93 in der innenpolitischen Redaktion des Zürcher »Tages-Anzeiger«, seit Anfang 1994 dessen Afrikakorrespondent in Nairobi. Besuchte Ruanda während zehn Jahren regelmäßig. Georg Brunold, geboren 1953, aus Arosa, war 1991-95 Afrikakorrespondent der »Neuen Zürcher Zeitung«. 1996-2003 Stv. Chefredakteur der Kulturzeitschrift »du«. Seit April 2004 Korrespondent des »Tages-Anzeiger« in Nairobi. Autor und Herausgeber mehrere Bücher über Afrika und die Arabische Welt. Jean-Piere Chrétien Publikation: »L’Afrique des Grands Lacs – Deux milles ans d‘histoire«, Aubier, 2000 Alison Des Forges, Historikerin. Arbeitet seit zehn Jahren als Leiterin der Afrika-Abteilung der UN-Organisation Human Rights Watch in New York. Publikaton: »Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda«, Hamburger Edition, 2002. Bettina Gaus, geboren 1956. Magister in Politologie. 1983-1989 als Redakteurin bei der Deutschen Welle in Köln. Sechs Jahre Auslandskorrespondentin der Tageszeitung »taz« in Nairobi, Kenia. 1996-99 Leiterin des Bonner Parlamentsbüro der taz. 1999 politische Korrespondentin der taz in Berlin. Publikation: »Die scheinheilige Republik. Das Ende der demokratischen Streitkultur«, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2000. Philip Gourevitch, geboren 1961 in Philadelphia/USA. Studium an der Cornell Universität, der Washington Universität in St. Luis, Magister der schönen Künste an der Columbia Universität 1992. 1992-1995 als Redakteur bei »The Forward«. 1997 Reportagen und Essays für »The New Yorker«. 2003 Mitglied des Council on Foreign Relation. Publikation: »Wir möchten ihnen mitteilen, daß wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden«, Berlin Verlag, Berlin 1999
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Jean Hatzfeld, geboren 1949. Seit 1973 arbeitete er für die Tageszeitung »Libération«. Berichte aus Bosnien und Croatien. 1992 in Sarajevo schwer verletzt. Der Genozid in Ruanda berührte den Kriegsreporter tief und ließ ihn seither nicht mehr los. Er lebt in Ruanda und Paris und widmet sich seit 2000 dem Schreiben von Büchern. Publikationen: »Dans le nu de la vie. Récits des marais rwandais«, Seuil, Paris 2001, ausgezeichnet mit dem Prix France Culture; »Une saison de machettes. Les tueurs parlent«, Seuil, Paris 2003, ausgezeichnet mit dem Prix Femina-Essai. Andrea König, geboren 1959, aus Zürich, Ethnologin und Journalistin, war von 1995-97 Afrikakorrespondentin des Schweizer Fernsehens DRS, für das sie 1998-99 aus Jerusalem berichtete. Von 2000-2003 war sie verantwortlich für die Schweizerische Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda. Samantha Power, graduierte an den Universitäten von Yale und Harvard. 1993-96 Kriegsrporterin in Ex-Jugoslawien für »US News & World Report« und »The Economist«. 19982002 leitende Direktorin des Carr Center for Human Rights Policy. Dozentin für Public Policy an der Harvard Universität in Boston. Publikation: »A Problem from Hell: Amerika and the Age of Genocide«, Basic Books 2002, Pulitzer-Preis. Guenay Ulutunçok, 1954 in Istanbul geboren. Nach Abschluß des Architekturstudiums (1981) als freier Photojournalist tätig. Ende 1981 Mitbegründer der Photographenagentur »laif Photos & Reportagen« in Köln. Schwerpunkt seiner Arbeit: Reportagen über politische, soziale Konflikte, Kulturelle ethnische Vielfalt Afrikas. Publikation: »Angola – ich spreche von einem Land, das wir suchen«. Marino Verlag, »Afrikas Kinder« Peter Hammer Verlag. 1993 Auszeichnung der UNESCO/ACCU World Photo Contest. 1997/1998 Fujifilm Euro Press Photo Awards in Deutschland.
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UGANDA EdwardSee
Victoria See
Goma
Ruhengeri
Byumba
Gisenyi Kivusee
RUANDA Kibuye
DEM. REP. KONGO
KIGALI
Gitarama Nyamata
Mugesera Kibungo
Nyanza Bukavu
Cyangugu
Gikongoro Butare
TANSANIA BURUNDI
Tanganyikasee
N 0
50
100
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200 km
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Peter Baumgartner
Im Jahr 2004 jährt sich der Genozid in Ruanda zum zehnten Mal.
Georg Brunold
Was hat sich wirklich abgespielt, als 1994 in Ruanda binnen 100
Jean-Pierre Chrétien
Tagen 800.000 Menschen ermordert wurden? Es verging Zeit, ehe
Alison Des Forges Bettina Gaus
diese beispiellosen Ereignisse für die Außenwelt mit leidlicher Klarheit faßbar wurden. Den verzögerten Erkenntnissen über Vorgeschichte, Verlauf und unmittelbare Hinterlassenschaft des Ge-
Philip Gourevitch Jean Hatzfeld
nozids ist dieses Buch nachgegangen: in Bild und Text, mit Reportagen von Journalisten, die damals und seither aus Ruanda
Andrea König
berichteten, mit Analysen von Historikern, mit den erschütternden
Samantha Power
und ganz neuartigen Augenzeugenberichten von Opfern und Tä-
Guenay Ulutunçok
tern, die Jean Hatzfeld in mehrjähriger Arbeit gesammelt hat.
Herausgeber: Georg Brunold Andrea König Guenay Ulutunçok
3-932050-24-X
Schmidt von Schwind Verlag - Köln