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DIE WELT BEWEGT: DAS MAGAZIN VON GEBRÜDER WEISS THE WORLD IN MOTION: THE GEBRÜDER WEISS MAGAZINE

AUSGABE ISSUE 13 2019

normal


#normalbreakfast

Wie sieht ein normales Frühstück aus? Ist es süß? Ist es salzig? Ist es für gewöhnlich eher warm – oder auf jeden Fall kalt? Mit dem normalen Frühstück verhält es sich wie mit allem anderen auch: Es kommt darauf an. Dies zeigt unsere Auswahl mit Vormittagsimbissen aus aller Welt. Und was steht bei Ihnen normalerweise morgens auf dem Tisch?

#eggsbenedict

What is a normal breakfast? Is it sweet? Is it savory? Is it usually hot – or always cold? Breakfasts are like everything else – it all depends. Explore our selection of early-morning meals from around the world. Which one looks “normal” to you?

#brunch

#netherlands


Das ist nicht mehr normal – oder doch?

That isn’t normal! Or is it?

Normalität ist unauffällig und vollkommen okay. Das Normale ist der grüne Bereich. Doch dieser Bereich ist beweglich: Was als normal akzeptiert wird, unterscheidet sich von G ­ eneration zu Generation oder von Land zu Land. Ein normales Frühstück – was soll das sein? Ein Croissant? Ein Fleischpflanzerl mit Senf? Und ist normal überhaupt normal? Eigentlich nicht, meint Norbert Sachser. Im Interview erklärt der renommierte Tierforscher, was innerhalb der Verhaltens­ biologie noch interessanter ist als der grüne Bereich: Es sind die Randgebiete, die Abweichungen im Verhalten, in denen sich Persönlichkeit zeigt. Aber was gilt aus Sicht der Soziologie, der Medizin und der Klima­ forschung als normal? Warum gibt es so viele Ausprägungen von Normalität, und was kann passieren, wenn sich die Wissenschaft nicht an Normen hält? Und wie lebt es sich eigentlich in einer ganz normalen Stadt? Gar nicht schlecht, so viel sei verraten. Eine Übereinkunft mit anderen zu teilen, ist häufig sinnvoll und manchmal tröstlich, das zeigt diese Ausgabe des ATLAS. Und sie zeigt auch: Normal sein – kann man. Muss man aber nicht. Jedenfalls nicht immer.

Normality blends in and normality is OK. Norms are our comfort zone, our safe sector. Yet they are subject to change: what people consider normal varies from generation to generation and country to country. A normal breakfast – what does that mean? A croissant? Bacon and eggs? What is even normal about normal? Nothing, really, says Norbert Sachser. In an interview the famous zoologist describes aspects of behavioral biology that are more intriguing than the safe sector. He focuses on the marginal, those peripheral areas where behavior deviates from the norm and personality manifests itself. But what does normality mean for sociologists, doctors and climatologists? Why does it come in so many shapes and sizes? What can happen if science ignores norms? And what is life like in an exceptionally normal city? Not bad at all – as you’ll see. Sharing agreed norms often makes sense and can be comforting, as this issue of ATLAS proves. What it also proves is that people can be normal, but they don’t have to be. At least not always.

Herzlich, Gebrüder Weiss

Yours, Gebrüder Weiss


Uelinton B ­ arbosa ist im Waren­umschlag bei Gebrüder Weiss Wien tätig. Bis zur letzten Saison hat der 37-Jährige als Halbprofi bei verschiedenen Fußballvereinen der ­Landesliga gespielt, davor als Profi in ­Brasiliens zweiter Liga. Jetzt, da er für den Leistungssport zu alt ist, hält ihn der Schichtdienst im Team seiner 18 Kolleginnen und K ­ ollegen fit. Uelinton Barbosa works in goods handling at Gebrüder Weiss in Vienna. Until last season, the 37-year-old was a semi-professional soccer player in Austria, having previously been a full-time professional in Brazil’s second division. Having now retired from competitive sports, he now maintains his fitness as part of the site's 18-strong team of shift-workers.


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Stefan Kutzenberger Das halb volle Glas. Versuch über die normale Stadt  5 The half-full glass of the average town: an analysis, attempted  11 Klaus Bannwarth »Von vorne bis hinten durch die ­Wertschöpfungskette«  13 From front to back through the value chain  15 Stefanie Hardick Das Maß der Dinge  19 Taking life for granted  21

Merlin Herrmann Wer ist Michael Fuchs?  55 Who is Michael Fuchs?  59 Miriam Holzapfel Warum ist die Banane krumm – aber die Gurke nicht?  63 The straight and narrow  65 Norbert Sachser Von Menschen und Meerschweinchen  67 Of Guinea Pigs and Men  73 Nachgelesen  Reread  78

Carola Hoffmeister Ist es normal  25 Is it normal  31

Kerstin Kloss Der ganz normale Wahnsinn  81 The new normal  83

Zahlen und Fakten  34 Facts and Figures  34

Unternehmensalltag  85 Daily Business  85

Kathrin Passig Normal ist nur das Speiseeis  37 Only the ice cream is normal  39

Birte Müller Alltäglich anders  87 When different becomes the norm  89

Florian Aigner Messfehler sind normal  43 Double standards  45 Wie heißt der kleine Mann?  48 The man on the street  49 Die Welt in Orange Orange Network  52

Impressum  Imprint  92



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Das halb volle Glas. Versuch über die normale Stadt text  Stefan Kutzenberger  fotos  Florian Voggeneder

Das schönste Gesicht ist das durchschnittlichste Gesicht, das weiß man aus Experimenten. Je mehr Gesichter man über­ einanderlegt, desto attraktiver kommt es einem vor. Lässt sich das auch auf eine Stadt übertragen? Empfinden wir eine durchschnittliche Stadt als besonders lebenswert? Statistisch lässt sich das kaum beantworten – genauso wenig, wie es ein durchschnittliches Gesicht geben kann, kann es eine durch­ schnittliche Stadt geben. Für Österreich würde diese theore­ tisch so aussehen: Wien hat zwei Millionen Einwohner, Har­ degg im Waldviertel, als kleinste Stadt des Landes, achtzig. Liegt die durschnittlichste Stadt Österreichs genau in der Mitte? Kaum, denn eine Stadt mit einer Million und vierzig Einwohnern findet sich hierzulande nicht. Das ist die Crux mit der Statistik, die Normalität ist ein Konstrukt, das es in der Realität nicht gibt. Eine »normale« Stadt gibt es dagegen schon, die Stadt »Normal« nämlich, mit 55.000 Einwohnern die 25st-größte Stadt von Illinois, dem immerhin fünftbevöl­ kerungsreichsten Staat der USA. Auch in Alabama, Indiana, Kentucky und Tennessee gibt es die Städte »Normal«. »Nor­ mal« wäre in Österreich die neuntgrößte Stadt, gleich nach Wels. Kann man daraus schließen, dass Wels, die achtgrößte Stadt, die normalste Stadt unseres Landes ist? Ich glaube schon. Immer genau dazwischen Wels ist die durchschnittlichste Stadt des Landes, man spürt es, wenn man dort ist, hier ist nichts außergewöhnlich, hier fällt nichts aus der Reihe, Rekorde finden anderswo statt. Wels, die zweitgrößte Stadt von Oberösterreich, ist stadtge­ wordene Mediokrität, wer diese einmal inhaliert hat, fühlt sich anderswo unterfordert, denn es braucht mehr Mut, sich der mäßigen Schönheit auszusetzen, als den Extremen einer Weltstadt wie Berlin oder Wien. Wels (und damit auch ­Lauterach und Pöchlarn, sogar Passau und Nürnberg) liegt immer genau dazwischen, man spricht weder Dialekt noch Hochdeutsch, lebt weder in einer Großstadt noch in der Pro­ vinz, ist weder anonym noch behaglich aufgehoben, genießt weder die schroffen Felsen der Alpen noch die öden Weiten der Ebene, atmet weder die arrogante Intellektualität der Kultur noch den herben Charme der Industrie. Man hat eine

Einkaufsstraße und einen Fußballclub, man ist freundlicher als in Wien, distanzierter als im Dorf, umgeben von Frei­ zeitpolizisten und Oberlehrern, aber das gilt ja für den ge­ samten deutschsprachigen Raum. Drei Monate durfte ich in Wels leben, in der mittelalter­ lich klingenden Funktion des Stadtschreibers. Obwohl ich in Linz, nur zehn Zugminuten entfernt, geboren und aufge­ wachsen bin, war ich vor meiner Stadtschreiberei nur drei­ mal in Wels gewesen. Wozu auch? Als Stadtschreiber dorthin zu kommen, war aber ein großes Abenteuer. Ich lebe seit vielen Jahren in Wien, und es war mir eine große Freude, wieder einmal für längere Zeit im Heimatland wohnen zu dürfen, fremd und vertraut zugleich, die Mundart meiner Jugend zu hören und, etwas verrostet, zu sprechen. Als ich von Wels einmal die paar Minuten im Zug nach Linz fuhr, war es kurz ein echtes Heimkommen. In der Straßenbahn zum Hauptplatz erkannte ich als Bewohner der Bundes­ hauptstadt aber arrogant, wie offensichtlich Linz nur Landes­ hauptstadt ist, trotz neuer Oper, neuen Straßenbahnzügen und den gleichen Shops entlang der Fußgängerzone wie in allen anderen Städten der westlichen Welt, der Welt all­ gemein. Das sollte Heimat sein? Aber was ist schon Heimat. Schriftsteller sagen gerne, ihre Heimat sei die Literatur, die Sprache. Aber das Linzerisch, das ich von den Jugendlichen mit den sie entstellenden Frisuren um mich herum hörte, hatte nichts mit mir zu tun. Habe ich als Schüler auch so ge­ sprochen? In Wien kam es mir vor, als redete ich noch Ober­ österreichisch, doch verglichen mit den stammelnden Lau­ ten um mich herum sprach ich wie ein Burgschauspieler. Das war nicht meine Heimat. Vielleicht existierte diese tatsäch­ lich am ehesten in der Literatur. Also fuhr ich wieder zurück nach Wels, wo ich schließlich ein Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen hatte, um zu schreiben, um Literatur zu schaffen. Kleine Absurditäten Auch nach drei Monaten in Wels erheiterte mich, dass die Ringstraße ein gerader Platz war. Auf dem Medien Kultur Haus, das von Fellner & Helmer – den wichtigsten Theater-­ Architekten der Monarchie – gebaut worden war, steht





Wels

­ Sparkasse«, die wiederum mit »Museum« beschriftet » ­wurde, nur um die Galerie der Stadt Wels zu beherbergen, was ja wunderbar ist, mich beim ersten Besuch aber daran vor­ beigehen ließ. Dafür heißt das Programmkino einfach Programmkino, während das beste Hotel der Stadt, das Hotel Greif, eine Jugendherberge war, die gerade abgerissen wur­ de. Der lebendigste Ort der Stadt war wiederum einer des Todes, der Schlachthof nämlich, heute ein tolles Veranstal­ tungszentrum. Diese kleinen Absurditäten kann man nur von außen kommend sehen, umso mehr genoss ich es, langsam in die Stadt einzutauchen und zu bemerken, wie sie nach und nach vertrauter wurde. Der größte Vorteil einer Kleinstadt ist, dass man alles zu Fuß erreichen kann (was die Welser nicht wissen und wie besessen im Labyrinth ihres undurch­ schaubaren Einbahnsystems im Kreis fahren). Eine Stadt besteht aber weder aus den Straßen, die sie durchziehen, noch aus den Gebäuden, die sie säumen, son­ dern aus den Einwohnerinnen und Einwohnern, die diese Gebäude bewohnen. Wochenlang habe ich mich mit allen möglichen Leuten getroffen und mit ihnen über Wels gespro­ chen, um herauszufinden, wie es ist, hier zu leben, welche Ängste und Freuden sie erfüllen. Doch wann immer man mich fragte, wie sie denn so sind, die Welserinnen und Wel­ ser, wand ich mich und kam zu keiner zufriedenstellenden Antwort. »Man kann nicht von den Welsern sprechen, da sie zu verschieden sind, jeder Mensch ist ein Individuum«,

Links: Ende einer Ära: Die Mit­ glieder der Welser Band Krautschädl warten auf ihr Abschiedskonzert im ­Kulturzentrum Alter Schl8hof. The end of an era: the members of the Wels-based band Krautschädl waiting for their farewell concert at the Alter Schl8hof arts center.

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meinte ich einmal hilflos bei einer Podiumsdiskussion und hoffte – wohl vergebens – dass die implizite Botschaft, dass man eben auch nicht »die Türken« und »die Ausländer« sagen kann, angekommen ist. Mit Herzensruhe Wie ist aber Wels nun wirklich? Die Stadt wäre der vierzehnt­ größte Bezirk von Wien. Das klingt nicht rasend beeindru­ ckend. Versuchen wir es mit einem Blick in die weite Welt: Was haben Wels, Dortmund, Leeds, Nantes, Florenz und San Diego gemeinsam? Die Antwort: Sie sind jeweils die acht­ größte Stadt ihres Landes. Wels, das Florenz von Österreich, das wäre doch ein feiner Spruch für die Tourismusabteilung! Ob alle achtgrößten Städte den Durchschnitt ihrer jeweiligen Länder symbolisieren, wäre eine eigene Untersuchung wert. Ob auch die 14 Millionen Einwohner von Chengdu, der ­achtgrößten Stadt Chinas, das Gefühl haben, in einer Klein­ stadt zu leben? Wels könnte aber leicht auch das Bordeaux Österreichs werden, die siebtgrößte Stadt Frankreichs näm­ lich, da nur 500 Menschen fehlen, um Villach als siebtgrößte Stadt einzuholen. Es scheint allerdings, dass Wels völlig an­ triebslos ist in dieser Richtung, ohne jeden Ehrgeiz. Obwohl fehlender Ehrgeiz ja grundsätzlich sympathisch ist, fehlen­ des Streben nach ewigem Wachstum eine gesunde anti­ kapitalistische Haltung verrät, die durchaus auf eine Welser Herzensruhe schließen lässt. Und diese Ruhe habe ich tat­


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Wels

Liebevolles Arrangement: Blumenverkäufer auf dem Welser Markt Beautiful bouquets: flower seller at the market in Wels.

sächlich gefunden, gerade in den warmen Monaten. Man sitzt vor dem Café Strassmair oder steht vor dem mika und lässt die Welt vorbeiziehen. Genauso wie in jeder anderen Stadt sieht man gehetzte Büromenschen, erschöpfte Eltern, fadisierte Teenager, eine Gruppe fröhlich schnatternder Freunde und einen nach Zigarettenstummeln suchenden ­Obdachlosen. Während man in New York, Rio oder Tokio aber unbemerkt tagelang dem Treiben folgen könnte, ist das nach nur drei Monaten in Wels bereits unmöglich geworden. »Hallo, ­Stefan, was machst du denn da?«, hört man nach nur ein paar Minuten. Und schon sitzt man nicht mehr alleine. Ich habe das sehr genossen in dieser durchschnittlichen Kleinstadt. Ständig trifft man Leute, mit denen man kurz plaudern kann, nie muss man mühsam einen Termin aus­ machen. Ich wusste genau, wo ich die Menschen, die ich in der kurzen Zeit kennenlernen durfte, treffen konnte. Im bürger­lichen Café Urbann, beim Mittagsstrudel im Strassmair, bei inspirierenden Veranstaltungen im Schl8hof oder bei tollen Produktionen im schönen, großen Stadtsaal. Man hat hier also beides, die Vielfalt der Großstadt, gepaart mit der Intimität des Landes, genauso wie es sein sollte in einer »normalen« Stadt. Das Normale kann aber beängstigen. »Normal people scare me«, las ich vor Kurzem auf einem T-Shirt. Die Trägerin meinte damit wohl nicht die Ein­ wohner der amerikanischen Stadt »Normal«. Eher schon die Welserinnen und Welser, die immer wieder damit zu

kämpfen haben, dass ihre Stadt nicht ernst genommen oder, schlimmer, als Provinzhölle dargestellt wird. Dieses Schick­ sal teilt Wels mit vielen Provinzhauptstädten der ganzen Welt. Warum aber macht das Durchschnittliche anscheinend Angst? Der Durchschnitt ist von allen Extremen gleich weit entfernt, weshalb er alle angeht. Man kann sich – oder zu­ mindest einen Teil von sich – leicht in ihm wiedererkennen und fühlt sich befugt, eine Meinung abzugeben. Die Klein­ stadt ist entweder Stadt und Land zugleich oder umgekehrt, weder Stadt noch Land. Wels – und damit auch alle anderen Kleinstädte – liegt immer dazwischen, wie das halb volle Glas, das genauso halb leer sein kann, je nach Betrachtungs­ weise. Lebt man in einer Kleinstadt, ist man zurückgeworfen auf sich selbst, und das verlangt in der Tat großen Mut. Denn man selbst entscheidet, ob man im Paradies oder in der Hölle lebt.

Stefan Kutzenberger wurde 1971 in Linz geboren und lebt als Schriftsteller und Literaturwissenschaftler in Wien. In seinem Roman Friedinger (Deuticke 2018) geht er unter anderem der Frage nach, was Heimat bedeutet.


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The half-full glass of the average town: an analysis, attempted TEXT

Stefan Kutzenberger

The more normal a face is, the more attractive it is – that’s what experiments show. The more faces you superimpose over each other, the more appealing the end product seems. Can this finding be transposed to places? Do we believe that an average city offers an enhanced quality of life? Statistics can’t provide the answer – the average face doesn’t exist, no more than the average town. In Austria, the equation might theoretically look like this: Vienna has two million inhabitants. Hardegg, situated in the south, is the smallest true town around. Does the most average city in Austria lie halfway between them? The problem is, there is no city with one million and forty in­ habitants. That’s the drawback with statistics: normality is a construct that does not exist in reality. Then again, a normal city does exist, namely the city in Illinois called “Normal.” This boasts a population of 55,000, making it the 25th largest city in the state, which is itself the fifth most populous in the United States. ­Places bearing the name “Normal” also exist in Alabama, Indiana, Kentucky and Tennessee. In Austria, “Normal” would be the ninth largest city, ranking right after Wels. So does this mean that Wels, the eighth largest city, is the most normal city in our country? Well, I believe it is. Smack-dab in the middle Wels is the most average city in Austria: you sense it when you’re on site. Nothing is unusual, nothing exceptional happens; records are set elsewhere. Wels, the second largest city in Upper Austria, is mediocrity masquerading as a municipiality. Once you’ve tasted its tediousness, you feel underchallenged in other places: it takes more courage to face this pedestrian pulchritude than to brave the extremes of global capitals like Berlin or Vienna.Wels (along with Austria’s Lauterach and Pöchlarn, and even Germany’s Passau and Nuremberg) is smackdab in the middle in every sense. People speak neither a dialect nor High German; they live neither in a big city nor in some backwater; they are neither anonymous nor comfortably embedded; they enjoy neither the rugged rockfaces of the Alps nor the bleak expanses of the plains. They breathe neither the arrogant intellectualism

of the arts nor the austere appeal of the industrial wasteland. Wels boasts one shopping boulevard and one soccer team. The natives are friendlier than in Vienna, but more reserved than in homey hamlets. And, wherever you go, you are surrounded by self-appointed law enforcers and pedantic pedagogues. Then again, that applies to all of German-speaking Europe. I had the privilege of living in Wels for three months, holding the medieval-sounding post of town scribe, i.e. resident writer. Despite having been born a mere ten minutes away by train, namely in Linz, prior to my scribe stint I had only been in Wels three times. And who could blame me? But being there in that special function was a grand adventure. I have been living in Vienna for many years and it was a great pleasure to spend an appreciable amount of time in my home region, a place at once alien and familiar, and to hear and speak (somewhat rustily) the language of my youth. [ … ] Minor absurdities Even after three months in Wels I still chuckled about the fact that “Ring Road” was actually a straight street. The sign on the “Media & Arts Building” (Medien Kultur Haus) built by Fellner & Helmer, the Habsburg monarchy’s most influential theater architects, proclaimed it was a bank (Sparkasse), but then it was renamed Museum; inside is the municipal gallery (Galerie der Stadt Wels) – which is wonderful, but the curious signage was the reason I walked past without noticing it during my first visit. The movie theater is simply called “Movie Theater,” and in its afterlife the top hotel in town, Hotel Greif, had become a youth hostel, but that had recently been demolished. The liveliest place in the city was also a scene of death: Schlachthof, a former slaughterhouse, now a fantastic event venue. You only register these minor absurdities if you’re from out of town. Which is why I enjoyed slowly immersing myself in my surroundings and gradually familiarizing myself with them. The biggest advantage of a small place is that you can walk everywhere. (This has apparently escaped the good folk of Wels, who race around in circles like maniacs in their bewildering labyrinth of one-way streets.)


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Wels

A city is not made up of the roads that crisscross it and the buildings that line them, but rather of the men and women who inhabit these edifices. For weeks I met with all kinds of people and talked to them about Wels, trying to find out what it was like to live here, what joys and fears filled their days. But whenever people asked me what they were like, those Welsers, I was always stumped for a satis­ factory answer. “You can’t just subsume them all as Welsers; they’re all different, each one is an individual,” was one of my hapless re­ sponses in a panel discussion, uttered in the vain hope that my implicit message might hit home, namely that you can’t lump people together as “the Turks” or “foreigners.” A certain equanimity So what is Wels really like? Based on size, it would be the 14th largest district in Vienna. That doesn’t exactly knock your socks off. Let’s try this on a global scale: What do Wels, Dortmund, Leeds, Nantes, Florence, and San Diego have in common? The answer is: each is the eighth largest city in its respective country. “Wels, the Florence of Austria” – now wouldn’t that look great on tourism brochures? Be that as it may, it would be worth investigating whether all of these eighth largest cities represent the median in their countries. And if the 14 million inhabitants of Chengdu, the eighth largest city in China, have the feeling they’re living in a small town. Wels could easily be Austria’s Bordeaux, namely the seventh largest city in France; it only needs 500 souls to overtake Villach, the current number seven. If truth be told, however, Wels seems to be lacking the drive that would take it in this direction. It has no ambitions whatsoever. That said, a lack of ambition is basically an agreeable trait, and a lack of striving for never-­ ending growth reveals a healthy anticapitalist attitude, rooted most likely in a certain equanimity that dwells in Wels. I actually experienced that equanimity myself, especially in the summer months. You sit on the terrace at Café Strassmair or stand outside Caffé da Mika and watch the world go by. Like in any other city you’ll see busy businesspeople, exhausted parents, faddish teens, animated groups of friends, and homeless people hunting for cigarette butts. Whereas in New York, Rio or Tokyo you could anonymously observe these comings and goings for days on end, after a mere three months it’s already impossible here.

In the space of a few minutes it’s, “Hey Stefan! What are you up to?” And, with that, your solitude abruptly ends. I thoroughly enjoyed that in this average place. You’re constantly running into people you can converse with for a few minutes; agreeing on a time to meet is never a struggle. I knew exactly where to find the people I got to know during my short sojourn. Passing their time at the staid Café Urbann, enjoying their midday strudel at Strassmaier, attending inspiring events at the Slaughterhouse, watching wonderful productions in the city’s im­ pressive theater. Here you have the best of both worlds: the diversity of a major metropolis paired with the intimicy of small-town life: just as you would expect in a normal city. But normality can also be disturbing. Recently I read on a T-shirt, “Normal people scare me.” I don’t think the woman meant the inhabitants of an American city named Normal. More likely this referred to people like the men and women of Wels who are constantly fighting to have their hometown taken seriously, and worse: combatting its image as a parochial purgatory. Wels shares this fate with many other provincial capitals around the world. But why are we so afraid of being average? It could, after all, be a happy medium. Norms are far removed from extremes, and that is exactly why they appeal to everyone. You recognize yourself in them – or at least part of yourself – and feel entitled to voice an opinion. A small place like this is both urban and rural – or neither one nor the other. Wels – and all other small cities like it – will always be somewhere in between, like a half full glass that could be half empty as well, depending on your perspective. If you live in one of these places, you are largely left to your own devices, having to fend for yourself, and that actually requires a great deal of courage. After all, you are the one who decides whether to live in paradise or in hell.  Stefan Kutzenberger was born in 1971 in Linz and is a freelance author and literary critic who lives in Vienna. His novel “Friedinger” (published in ­German by Deuticke in 2018) also explores the meaning of “home.”


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­»Von vorne bis hinten durch die ­Wertschöpfungskette« Imke Borchers im Gespräch mit Klaus Bannwarth

Wels mag eine durchschnittliche Stadt sein, die dortige Niederlassung von Gebrüder Weiss ist eher überdurch­ schnittlich: Es ist die zweitgrößte Nieder­lassung im Netz­ werk des Logistikers. Was machen sie hier anders? ­Niederlassungsleiter Klaus Bannwarth über einheitliche Standards im Logistiklager, Mitar­beitermotivation und Visionen. Herr Bannwarth, ist Wels ein Standort wie jeder andere auch? Die Anlage in Wels ist perfekt gebaut, um Logistik und Land­ fracht und Luftfracht zu vereinen. Das ist natürlich auch durch die geografische Lage bedingt: Wir liegen an der NordSüd- und der Ost-West-Achse von Österreich. Deshalb haben wir kurze Wege innerhalb des Landes und Anschlüsse nach ganz Europa. Die Größe dieser Anlage, inklusive des Um­ schlagsgüterbahnhofs im Süden, da kommt man schon ins Staunen. Und wir halten zusammen, da macht das Arbeiten einfach mehr Spaß. Gebrüder Weiss wirbt mit einheitlichen Standards welt­ weit. Warum ist das so wichtig für ein Logistikunter­ nehmen? Standards gehören bei einem modernen Unternehmen dazu. Sie sorgen für Nachhaltigkeit und Qualität bei der Arbeit, Mitarbeiter und Kunden können sich schnell orientieren. So wie es etwa bei McDonald’s ist: Man geht hinein, ob in Wien, London oder Paris, und man weiß, dass man in einem ­McDonald’s steht, egal in welcher Stadt, da die komplett standardisiert sind. Vom Branding bis hin zu diversen Mar­ kierungen im Laden. Und genauso möchten wir das auch. Sowohl Infrastruktur als auch der Aufbau des Lagers sind bei der Standardisierung entscheidend. Wieso? Die Standardisierung geht wirklich von vorne bis hinten durch die Wertschöpfungskette. Wir fangen sozusagen bei den internen Prozessen in der Logistik selbst an, im täglichen Geschäft. Hier muss man natürlich offen sein und einige Neuerungen mit den MitarbeiterInnen durchsprechen. Alt­ eingefahrene Systeme sind schwer zu lösen. Am Ende des

Klaus Bannwarth ist seit Mitte 2017 Niederlassungsleiter in Wels, wo er sich sehr wohlfühlt. Aus der Sportindustrie wechselte der 45-Jährige 2012 zu Gebrüder Weiss Graz und leitete die Niederlassung für fünf Jahre. Since mid-2017 Klaus Bannwarth has been the branch manager in Wels, where he is very happy. The 45-year old joined Gebrüder Weiss from the sports industry in 2012 and managed the location in Graz for five years.

Tages wird aber jeder davon überzeugt sein, dass eine Stan­ dardisierung der bessere Weg ist. Ein einheitliches Erschei­ nungsbild aller Arbeitsplätze, Lagerplätze, Flächen und Wege ermöglicht es den MitarbeiterInnen, ihre Prozesse in einem immer gleichbleibenden Umfeld durchzuführen. Arbeits­ mittel und benötigte Ware finden sich immer auf den glei­ chen Plätzen, die immer gleich gekennzeichnet sind – vom Besenstiel bis zum Elektrohubwagen. Das schafft Routine, ermöglicht einen schnelleren Lerneffekt und trägt so zu schnelleren und effizienteren Abläufen bei, die gleichzeitig noch fehler-ärmer stattfinden. Das wiederum reduziert die Personalkosten im Verhältnis zu durchgeführten Prozess­ schritten, sowie die Reklamationskosten. Was haben einheitliche Beschriftung des Lager-Equip­ ments und multifunktionale Arbeitstische mit dem ­Commitment der Mitarbeiter zu tun? Die Basis des Erfolgs von Gebrüder Weiss sind unsere Mit­ arbeiterInnen, die die Entscheidungen und Anweisungen des Managements sozusagen auf die Straße bringen – daher müssen wir ihrem Arbeitsplatz eine entsprechende Wert­ schätzung entgegenbringen. Mit einer einheitlichen Be­ schriftung des Equipments erleichtern wir die Orientierung und Routine am Arbeitsplatz. Die multifunktionalen Arbeits­ tische gehen damit einher: Sie schaffen einen Wohlfühl­ faktor. Professionelle Verpackungstische sind, wenn Sie so wollen, unser Commitment gegenüber unseren Mitarbeitern,


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das zählt zu unseren Kernwerten. Und es schafft Motivation bei den MitarbeiterInnen.

­ amilienfesten, in gemeinsamen Ausflügen leben. Und wir F haben eine sehr ehrliche und respektvolle Umgangsart. Das macht uns erfolgreich. Und wir feiern Erfolge – das ­gehört dazu, denn wir gehen gemeinsam durch Höhen und Tiefen.

Ist aufräumen also die Lösung? Definitiv. Aufräumen ist die Lösung. Man kann zu jeder Zeit in diese Lager gehen, und man wird das sofort sehen: Ein Arbeitsumfeld, das leicht ordentlich und sauber gehalten werden kann, erleichtert das Halten der geschaffenen ­Standards. Und das merkt man, wenn man die Menschen, die im gewerblichen Bereich tätig sind, fragt, wie es ihnen jetzt geht. Jeder Einzelne hat bestätigt, dass er sich viel ­wohler fühlt.

Schätzen Sie eher das Normale oder das Besondere? Ich schätze das Normale, in der Wirtshauskultur zum Bei­ spiel. Ich liebe aber das Besondere. Das Besondere sind für mich Herausforderungen oder visionäre Ansätze, die ich verfolgen kann. Ich bin sehr stolz auf das, was meine ­Mitarbeiter hier täglich leisten, und das macht den Erfolg mit ihnen so besonders. Und ich habe die Vision, dass diese ­Niederlassung irgendwann energieautark wird. Dieser öko­ logische Aspekt ist mir persönlich sehr wichtig. Wir haben zwei Photovoltaikanlagen fertig gebaut, wir entwickeln ein intelligentes Lademanagementsystem und sind dabei, ­einen Test­betrieb für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge in die Wege zu leiten.

Bevor Sie den Standort übernommen haben, ­haben Sie die Niederlassung Graz geleitet. Was unterscheidet das Arbeiten hier und dort? Zum einen natürlich das wirtschaftliche Umfeld. Wir be­ wegen in Wels zwei Drittel mehr an Waren, wir haben zwei ­Drittel mehr an Flächen, und ich führe zwei Drittel mehr Mit­ arbeiter. Das kann man von der Größenordnung her nicht vergleichen. Zum anderen die Wirtschaftlichkeit, denn hier hat man andere Möglichkeiten als in Graz. Hier gibt es eine geballte Wirtschaftsmacht. In der Niederlassung Wels arbeiten 270 Mitarbeiter. Was eint sie? Was uns hier als Team verbindet, sind sicher die Zielstrebig­ keit und die Offenheit – und unser Teamgedanke, den wir in

Imke Borchers ist Literaturwissenschaftlerin. Für den ATLAS schreibt, ­beauftragt und lektoriert sie als Redakteurin Texte und G ­ eschichten.

Österreich  Austria Einwohnerzahl  8,86 Millionen   Inhabitants  8.86 million

tschechien czech republic

deutschland g erm a ny

slowakei slova ki a

Wien Vienna

Wels

Fläche  83.882 km2 Area  83,882 km2

ungarn

Bevölkerungsdichte 105,6 Einwohner pro km2  Population density  105.6 Inhabitants/km2

hung a ry

schweiz swit zer l a nd

italien ita ly

Niederlassungen Gebrüder Weiss  38  Gebrüder Weiss Locations  38   slowenien slov eni a

kroatien croati a

Mitarbeiter Gebrüder Weiss  3.060  Gebrüder Weiss Employees  3,060


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­“From start to finish along the v ­ alue chain” Imke Borchers interviews Klaus Bannwarth Wels might be an average Austrian town but the same cannot be said of its Gebrüder Weiss branch, which is the second-largest in the group’s entire network. What do they do differently here? The local manager Klaus Bannwarth discusses uniform standards in logistics warehousing, employee motivation, and future scenarios. Mr. Bannwarth, is Wels a location like any other? The Wels site is custom-made for combining logistics, land freight and air freight. Needless to say, that’s partly a product of its geography: we are on the intersection between Austria’s main north-south and east-west highways. As a result, deliveries inside Austria never take long and we have convenient long-distance routes to every part of Europe. Drivers heading north from the highway are confronted by two huge logistics terminals. The sheer size of the site, plus the freight transhipment station in the south, are enough to take your breath away. And we are all one big family; work is simply more fun that way. Gebrüder Weiss likes to advertise its consistent standards worldwide. Why is that so important for a logistics company? In my eyes, standards are a must in any modern enterprise. They serve to guarantee sustainability and the quality of our work, and help employees and customers get oriented in a snap. As, for example, is the case at McDonald’s: even if you don’t know where you are – in Vienna, London, Paris or anywhere else – you know you are in a McDonald’s because everything is standardized. That starts with the branding and extends through to the signage. And that’s exactly how we want our sites to be. Infrastructure and warehouse design are both key to standardization. Why? Standardization really does penetrate the entire value chain, from start to finish. We begin, so to speak, with the internal processes in our logistics operations, i.e. our day-to-day operations. Of course, we need to be frank here and discuss some of the innovations with the

employees. Parting with established systems that have proven their worth can be a wrench. But at the end of the day, everyone understands that standardization is right. If we apply the same design to all our workplaces, storage facilities, outdoor areas and pathways, workers will have a consistent environment everywhere to perform their processes. The equipment and products we need – anything from broomsticks to pallet trucks – are always stored in the same places and labeled using the same conventions. Routines therefore become a bigger part of our work, allowing us to learn more quickly, operate more intuitively, perform our processes faster and more efficiently, and reduce the risk of errors. That, in turn, helps minimize both our personnel expenses for individual processes and any costs resulting from complaints. What do multifunctional desks and the consistent labeling of warehouse equipment have to do with a commitment towards employees? Our industrial workers are the driving force behind our success at Gebrüder Weiss. They are the ones who put the management decisions and instructions into practice, who make them succeed. That’s why it’s important we show them the respect and appreciation they deserve. By standardizing the labels on the equipment, we help employees navigate their workplaces. It also means they can work in a familiar environment at all times. The multi-functional tables play their part too, adding a feelgood factor. These are ultra-practical tables that are tailored specifically to our everyday work – not simply random tabletops on frames. Professional packaging tables, we might say, demonstrate our commitment towards our employees, and that is one of our guiding principles. ­Moreover, things like this keep motivation high among our teams. So organizing things is the solution? Yes. Keeping things organized is indeed the solution. You can walk into these warehouses any time of any day and you’ll notice it instantly. Maintaining standards is easier if the work environment is easy to keep clean and system-


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Wels

atized. You only need to ask the people on the plant floor how they feel now. To date every single one has confirmed how much better it is. Before taking over at Wels, you were the branch manager in Graz. How does your work at the two sites differ? On the one hand, of course, there’s the business environment. Here in Wels we move two-thirds more goods, have two-thirds more space and I manage two-thirds more em­ ployees. The operations are on a completely different scale. And, on the other hand, we have far more potential for efficiency than in Graz here. Wels is driven by a very powerful economy. There are 270 employees at the Wels branch. What is it that connects them? What bonds the workforce here is undoubtedly our single-mindedness and openness – plus the team spirit you can sense at our family parties and outings. We also have a really genuine and respectful way of interacting with each other. That’s what makes us successful. And we celebrate our successes – that’s im­ portant because there are both highs and lows that we need to negotiate together. What’s your preference? Normal or special? I like normality, for example when I’m out for dinner. But I love the exceptions. For me, exceptions are special challenges, or visions of the future that I can pursue. I’m very proud of all the work my staff accomplishes day after day, and that makes the success we achieve to­ gether so special. And I have the vision that this branch can become energy self-sufficient one day. Protecting the environment is very impor­ tant to me personally. We have created two photovoltaic installations here; we’re developing an intelligent load management system and are about to start test operation of hydrogen-­ powered caddies for the yard.  Imke Borchers is an editor who studied Literature. She writes, commissions and edits literary texts and stories for ATLAS.



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Der niederländische Fotograf Hans Eijkelboom bereist Städte in der ganzen Welt. Mit seinen Fotoserien, die er seit 25 Jahren von Passantinnen und Passanten macht, zeigt er, wie ähnlich menschliche Vorlieben und Stile sind – und wie unterschiedlich im Detail. Die Serien sind jeweils an einem Tag und an einer einzigen Stelle aufgenommen, an der sich Eijkelboom für wenige Stunden aufgehalten hat. Zum Beispiel hier am 29. November 2014, Amsterdam, Damrak (NE) von 13:30–14:00 Uhr.

The Dutch photographer Hans Eijkelboom sojourns in cities around the globe. For a quarter-century now he has been shooting photos of the passers-by he sees there. His photoseries reveal basic similarities between people's tastes and styles – plus eye-catching dissimilarities in the details. Each series captures the mood of a single day at a single location – where Eijkelboom stations himself for a few hours. For example on 29 November 2014, Amsterdam, Damrak (NE), from 1:30 – 2:00 am.


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Das Maß der Dinge text Stefanie Hardick

Jeder glaubt zu wissen, was normal ist. Dabei ist Norma­ lität ein erstaunlich unscharfes Konzept. Was beurteilen Soziologen, Mediziner oder Klimaforscher als normal? Eine Annäherung aus dem Blickwinkel der Wissen­ schaft. Im Alltag bezeichnet »normal« oft nur das, was wir gewohnt sind – und das kann sehr unterschiedlich sein. Was für uns hier und heute normal ist, erscheint aus historischer oder globaler Perspektive ganz außergewöhnlich. So selbstver­ ständlich wir heute unsere Speisen mit Salz würzen, so knapp war das »weiße Gold« in früheren Zeiten. Und dass saube­ res Trinkwasser aus der Leitung kommt, ist in vielen Regio­ nen der Erde noch heute keine Selbstverständlichkeit. Die Soziologie untersucht Gewohnheiten und Normen. »Als Normalität kann man all das bezeichnen, was nicht mehr hinterfragt wird. Zum Beispiel das Klatschen nach dem Konzert oder das Grüßen der Nachbarn«, sagt Diana Lind­ ner, Soziologin an der Universität Jena. Die Eltern, die Kita, die Schule vermitteln solche Verhaltensweisen als gesell­ schaftlich gewünschte Norm. »Vor hundert Jahren wurde es noch stärker sanktioniert, wenn man gegen diese alltäg­ lichen Selbstverständlichkeiten verstieß«, sagt Lindner. »Heute ist die Gesellschaft individualisierter. Eine normale Abweichung wird meist hingenommen.« Normale Abwei­ chungen sind für Soziologen Verhaltensweisen, die zwar gegen die Normen und Erwartungen verstoßen, aber nicht gegen das Gesetz. Westliche Gesellschaften sind stolz darauf, dass sie Men­ schen mit Biografien und Lebensweisen respektieren, die früher ausgegrenzt wurden. Schon Ende der 1990er Jahre stellte der Diskursforscher Jürgen Link fest, dass sich das Spektrum der Normalität erweitert habe. Der Journalist Ga­ bor Steingart sah 2011 sogar schon das »Ende der Norma­ lität« gekommen: Wenn alle individuell sein wollen, sei nie­ mand mehr normal. Aus der Toleranz für Menschen, die sich selbst verwirkli­ chen möchten, erwächst allerdings in letzter Zeit auch ein Druck zur Selbstoptimierung. Die Soziologin Diana Lindner befragt für ihre Forschung Beschäftigte von Jobcentern oder

Krankenkassen, welche Erwartungen sie an ihre Kunden stellen. Ihre Interviews zeigen, dass es heute nicht mehr reicht, dem Durchschnitt zu entsprechen. »Früher hat man auch schlechte Angewohnheiten als Teil der Persönlich­ keit akzeptiert, sie vielleicht sogar liebgewonnen. Heute wird man überall dazu angehalten, ein besserer Mensch zu werden.« Sich weiterbilden, einen gesunden Lebensstil pflegen und regelmäßig zur Vorsorge gehen – all das gilt als normal. Wenn jemand zu solchen Veränderungen nicht be­ reit oder gar nicht in der Lage ist, werden Normabweichun­ gen sogar weniger als früher akzeptiert. Die Medizin braucht das Normalkollektiv Alexandra Kautzky­Willer forscht an der Medizinischen Uni­ versität Wien zu Diabetes und anderen Stoffwechselerkran­ kungen. Die Internistin sagt: »Früher informierte man Men­ schen, die nüchtern einen Blutzuckerwert von 140 mg/dl hatten, dass sie Diabetes haben. Heute gilt bereits ein Wert von 126 mg/dl als nicht normal.« Nicht normal bedeutet in der Medizin nicht gesund. Menschen mit einem Blutzucker­ wert von 126 mg/dl fühlen sich allerdings oft völlig gesund. Wieso also zieht man hier eine Grenze? »Weil wir aus großen Datensätzen mittlerweile wissen, dass ab diesem Wert das Risiko für typische Diabeteskomplikationen wie Augenschä­ den oder Nierenerkrankungen bereits deutlich ansteigen.« Viele Studien arbeiten mit einer großen Kontrollgruppe aus gesunden Personen, dem sogenannten Normalkollektiv. Aus den Daten dieses Kollektivs werden die »normalen« Laborwerte abgeleitet und wie hoch die Abweichung sein darf, bevor das Risiko für Komplikationen steigt. Weil Diag­ nose und Behandlung immer besser werden und man heut­ zutage weltweit große Datenmengen vergleichen kann, fällt es auf, wenn häufiger Menschen erkranken, deren Werte eigentlich noch im bisher normalen Bereich sind. »Dann werden die Empfehlungen entsprechend geändert, damit Ärzte auch schon bei niedrigeren Werten von Blutzucker, Cholesterin oder Blutdruck auf das Risiko für Gefäßerkran­ kungen achten«, sagt Kautzky­Willer. Ein anderer Grund, warum im Moment viele Grenz­ und Richtwerte auf dem Prüfstand stehen: Bis vor Kurzem war


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Normalität

der »normale« Mensch für die Medizin männlich. »Tradi­ tionell waren Frauen nur Abweichungen von der Norm«, sagt Alexandra Kautzky­Willer, die 2010 zur ersten Professorin für Gendermedizin in Österreich berufen wurde. In alten Fachbüchern wurden stets Männerkörper abgebildet, Medi­ kamente wurden an Männern getestet, selbst für Tierversu­ che hielt man aus Kostengründen Männchen. Erst 1991 zeig­ te die amerikanische Kardiologin Bernadine Healy in einer bahnbrechenden Studie, dass Frauen bei einem Herzinfarkt ganz andere Symptome haben als Männer. »Bis dahin inter­ pretierten Ärzte viele Notfälle falsch und behandelten Frauen oft zu spät«, sagt Kautzky­Willer. Idealerweise gebe es in der Zukunft gar keine »Durchschnittspatienten« mehr: »Eine individualisierte Präzisionsmedizin berücksichtigt die Genetik, die Hormone, das Geschlecht, das Alter und das Gewicht, Umweltbedingungen und persönliche Erwartun­ gen jedes Patienten. Darüber hinaus beachtet sie immer den sozialen und kulturellen Hintergrund – und für den gibt es eben keine Normwerte.« Extremes Wetter könnte bald normal sein Heike Wex, Atmosphärenphysikerin am Leibniz­Institut für Troposphärenforschung in Leipzig, untersucht Aerosole, rund hundert Nanometer kleine Partikel, die in der Atmo­ sphäre bei der Wolkenbildung helfen. Weil Wolken sehr schwer zu erforschen sind, bezeichnet der Weltklimarat sie als den größten Unsicherheitsfaktor in derzeitigen Klima­ modellen. Manche Wolken kühlen, andere heizen das Klima auf. »Eine ›normale‹ Wolke gibt es nicht«, sagt Wex. Ständig steigen Wasserdampf und Partikel in die Atmosphäre, stän­ dig werden sie als Niederschlag wieder herausgewaschen. »Dabei gibt es keinen ›normalen‹ Zustand, der überall in der Atmosphäre gilt. Man kann das mit einer Tasse Kaffee ver­ gleichen, in die man etwas Milch gießt: Kann man sagen, wie es ›normalerweise‹ aussieht, wenn sich die Milch verteilt?« Die Wolkenforscher messen deshalb verschiedene Zustände und schauen, ob sich bestimmte Merkmale häufen, nach denen sie die Wolken dann kategorisieren können. Obwohl Wolken ein unberechenbarer Faktor sind, zeigen alle Klimamodelle, dass sich die Erde derzeit außergewöhn­ lich schnell erwärmt. Heike Wex, die auch bei Scientists for Future aktiv ist, sagt: »Skeptiker argumentieren ja gerne, große Klimaschwankungen seien ›normal‹. Allerdings trifft das nicht auf die letzten 11.500 Jahre zu – und genau in dieser Zeitspanne hat sich die menschliche Kultur entwickelt.« In der Erdgeschichte sei es auch schon wärmer gewesen, zeigen Daten aus Eisbohrkernen, die Wachstumsringe versteinerter Bäume oder Meeressedimente. Aber der Mensch konnte Ackerbau, Viehzucht und alles, was danach kam, nur dank einer außergewöhnlich stabilen Klimaperiode entwickeln, in der die Temperaturen auf der gesamten Erde im Mittel nicht stärker als um 2 Grad schwankten. Diese Stabilität dro­ hen die Menschen nun selbst zu beenden. »Extreme Wetter­ ereignisse werden in Zukunft normal sein«, sagt Heike Wex.

»Wir wissen nicht, wie Gesellschaften es verkraften, wenn die Regelmäßigkeit des Wetters verloren geht und zum Bei­ spiel mehrere Ernten nacheinander ausfallen.« Gerade in Krisenzeiten beginnen viele Menschen Nor­ malität wertzuschätzen. Und auch wenn sich Gesellschaft, Technik und Natur zurzeit schnell verändern, ist sich die Soziologin Diana Lindner sicher: Das Konzept der Nor­ malität ist noch lange nicht am Ende. »Wir Menschen sind gar nicht handlungsfähig, wenn wir uns nicht darauf ver­ lassen, dass etwas wie selbstverständlich ›geregelt‹ läuft. Die alltägliche Normalität wird immer existieren.«

Stefanie Hardick, Jahrgang 1978, erlebte eine überaus durchschnittliche Kindheit in einer Kleinstadt im Ruhrgebiet. Heute schreibt sie als freie Journalistin in Berlin über Wissenschaft und historische Themen.


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Taking life for granted TEXT

Stefanie Hardick

We all think we know what is normal. But normality is an astonishingly vague concept. What do sociologists, doctors and climate experts consider normal? Normality seen through the prism of science. In common parlance, “normal” simply designates things we are accustomed to. And that can be almost anything. What seems normal in our here and now may appear very different with hindsight or from a global perspective. Today we think nothing of sprinkling salt on our food, but in bygone times it was revered as “white gold.” And in many parts of the world, clean water flowing from faucets is still not a given. Sociology probes norms and conventions “Anything people have ceased to question can be described as normality. For example, greeting our neighbors or applauding at the end of a concert,” says Diana Lindner, a sociologist at Germany’s University of Jena. Parents, nurs­ eries and schools instill these socially desirable norms into children. “A century ago the stigma associated with flouting social standards was even harsher,” Lindner adds. “Today society is less regimented. For the most part, normal deviations are tolerated.” By normal deviations, sociologists mean types of behavior that, while defying expectations, are not violations of the law. Today’s Western societies proudly proclaim that they respect people whose pasts and lifestyles would have seen them ostracized before. At the end of the 1990s, the discourse theorist Jürgen Link concluded that the definition of normality had broadened. In 2011 the journalist Gabor Steingart even claimed that the concept of normality had been exhausted and that, with everyone wanting to be an individual, there was nobody normal left. What was once tolerance towards people seeking self-fulfillment has recently been twinned with the pressure to achieve self-optimization. As part of her research, the socio­ logist Diana Lindner surveys employees of job centers and health insurance companies to learn what they expect of their customers. Her interviews show that being average is no longer enough. “In the past we used to accept bad habits as part and parcel of people’s personali-

ties, and maybe even come to like them. But today people face pressure from all sides to be better human beings.” They are expected to keep learning, maintain a healthy lifestyle and go to the doctor for regular check-ups; all of this is considered “normal.” If people aren’t willing or even able to accept these changes, their deviating from the norm actually becomes less acceptable than before. Medicine depends on control groups Alexandra Kautzky-Willer is researching into d­iabetes and other metabolic disorders at the Medical University of Vienna. According to the specialist in internal medicine, “We used to diagnose patients with diabetes if they had a blood sugar concentration when fasting of 140 mg/dl. Today a reading of 126 mg/dl is considered abnormal.” And in medical terms “abnormal” is synonymous with “unhealthy.” However, people with a glucose level of 126 mg/dl often feel perfectly fit. So why do we set the threshold here? “Because we now know from large data sets that the risk of typical diabetes complications such as visual impairment and kidney disease significantly increase at this point,” explains Kautzky-Willer. Many studies begin with a large control group of healthy people. Scientists take the data from this group, derive the “norms” and calculate how much values can vary before the risk of complications rises. Today, because diagnostics and treatments are steadily improving, we can compare large volumes of data worldwide. And we notice if people whose values are within the previously normal range are falling ill more frequently. “At that point the advice to doctors is adjusted so that they start looking for evidence of vascular disease etc., even if patients’ results for glucose, cholesterol and blood pressure are only slightly deviant,” says Kautzky-Willer. There’s another reason why so many threshold values and recommended levels are currently under review. Until recently, the “normal” human being in medicine was male. “Traditionally, women were only deviations from the norm,” says Alexandra Kautzky-Willer, who was appointed as Austria’s first professor of gender medicine in 2010. The illustrations in old medical books always pictured males, medicines


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Normality

were tested on men, and even animal experiments only used males of a species, if only to minimize costs. This did not significantly change until 1991, when the American cardiologist Bernadine Healy produced a groundbreaking study showing that women and men suffering heart attacks displayed completely different symptoms. “Before that, doctors had been failing to correctly identify emergencies and often treating women too late,” says KautzkyWiller. “Ideally the idea of an ‘average patient’ should be abandoned.” She adds, “Precision medicine tailored to individuals can now factor in a patient’s genetic characteristics, hormones, gender, age, weight, environmental conditions, and personal expectations. Moreover, it always takes into account the patient’s social and cultural background – and there are no norms for that.” Extreme weather could soon be normal Heike Wex, an atmospheric physicist at the Leibniz Institute for Tropospheric Research in Leipzig, is researching into aerosols – approximately 100 nanometer-large particles that help clouds to form in the atmosphere. Given the extreme difficulty of studying clouds, the Intergovernmental Panel on Climate Change has described them as the biggest uncertainty factor in current climate models. Some clouds cool the atmosphere while others heat it up. “And there is no such thing as a ‘normal’ cloud,” the member of the “Scientists for Future” campaign group says. Water vapor and particles are constantly rising into the atmosphere only to fall again as precipitation. “But there is no ‘normal’ state that applies everywhere in the atmosphere. It is similar to adding milk to a cup of coffee. We can’t say how milk ‘normally’ looks as it disperses. For that reason, cloud scientists measure different states to see if any features appear frequently enough to establish a classification system. While changes to clouds cannot be predicted, all climate models show that Earth is currently warming at an unusually fast rate. As Wex says, “Skeptics like to argue that major climatic fluctuations are ‘normal.’ However, this has not been the case during the past 11,500 years – and that is precisely the time in which human civilization has developed.” There have been warmer periods in our planet’s history, as data from ice cores, growth rings in petrified trees and ocean sediments demonstrate. But it was

only thanks to an extraordinarily stable climate, in which temperatures only fluctuated 2°C across the planet, that people were able to cultivate the land, raise livestock and sustain themselves in many other ways. And now the human race is threatening to torpedo this stability itself. “In the future extreme weather conditions will become the norm,” argues Wex. “We don’t know how societies will cope if weather patterns are severely disrupted and, for example, several successive harvests were to fail.” Our appreciation of normality grows most acute during times of crisis. And with society, technology and nature all undergoing rapid change, the sociologist Diana Lindner is confident that the concept of normality remains relevant, “We humans need a consistent environment if we are to manage our lives effectively. Our everyday normality is certain to survive.” Stefanie Hardick, born in 1978, enjoyed an extraordinarily normal childhood in a small town in Germany’s Ruhr region. Today she works in Berlin as a freelance journalist. Her main focuses include historical issues.


Normalität

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14. Mai 2016, Kassel, Obere Königsstraße (Deutschland), 14:15 – 17:30 Uhr 14 May 2016, Kassel, Obere Königsstraße (Germany), 2:15-5:30 p.m.

Beide Bildserien aus Hans Eijkelboom: Photo Concepts 1970 , Snoeck Verlag Köln, ISBN 978­3­86442­189­1 Both picture series taken from Hans Eijkelboom: Photo Concepts 1970 , Snoeck Verlag Köln, ISBN 978-3-86442-189-1


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#normalbreakfast

#toast

#studentlife

#germany


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Ist es normal, Ist es normal, wenn ich mich im Konzert langweile? Ist es normal, jeden Tag zu weinen? Ist es normal, dass das Baby aufstößt? Wenn wir unsicher sind, ob etwas gut für uns ist, ob wir auffallen mit unserem Verhalten, ob wir einen Arzt aufsuchen sollten, dann greifen wir häufig zunächst zum Handy oder setzen uns an den Computer und geben die Frage an das Internet weiter. Und sobald wir nur drei Wörter eingetippt haben, werden uns mögliche Szenarien vorgeschlagen, die unsere Frage abbilden könnten – und zwar von Land zu Land unterschiedlich und abhängig davon, was die Menschen jeweils am meisten beschäftigt. Expertinnen und Experten wissen eine Antwort.

protokolle  Carola Hoffmeister


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Ist es normal?

MAZEDONIEN

… dass Kinder sich manchmal wünschen, das andere Geschlecht zu sein?

Wir lernen in der Ausbildung zur Erzieherin, dass es normal ist, wenn sich ein Junge manchmal wünscht, ein Mädchen zu sein, und umgekehrt. Wir versuchen eher herauszufinden, warum das so ist. Vielleicht ist der Junge neidisch auf die hübschen Kleider seiner Schwester. Oder ein Mädchen wäre gerne stark wie ein Anführer-Junge aus der Kindergartengruppe. Cynthia Knowls, Erzieherin in der Ausbildung aus Köln

20 Prozent der Kinder zeigen ein sogenanntes geschlechtsatypisches Verhalten, wie ein Junge, der am liebsten Kleider trägt. Das ist ein normales, entwicklungsangemessenes Spiel mit Geschlechter­ rollen. Nur ein sehr kleiner Teil dieser Kinder entwickelt später das, was wir in der Fachsprache als Geschlechtsdysphorie bezeich­ nen. Kinder, die darunter leiden, können sich nicht mit ihrem biol­ogischen Geschlecht identifizieren und streben unter Umständen eine Angleichung an. Saskia Fahrenkrug, Leiterin der Spezialambulanz für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörung am Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf


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Ist es normal?

DEUTSCHLAND

… dass Kaninchen zittern?

Ja. Aber nur, wenn das Tier in eine Situation gerät, in der es sich unwohl fühlt. Das kann zum Beispiel sein, wenn es im Stall ­bedrängt wird, weil ein anderes Kaninchen sich paaren oder die Rangordnung festlegen möchte. Oder wenn sich ein fremdes Wesen unkontrolliert und schnell auf das Kaninchen zubewegt. Der Mensch macht alles richtig, wenn er sich langsam und von vorne nähert und das Tier oberhalb vom Nackenfell aufnimmt. Trotzdem kann es sein, dass das Kaninchen vor Angst aufschreit und zittert. Denn es weiß, dass sich ein tierischer Gegner, eine Katze oder ein Marder, im Nacken verbeißen würde. Am besten hält man das Kaninchen dann mit sanftem Druck an die Brust und streichelt es liebevoll. So merkt es, dass es keine Angst zu haben braucht, und hört mit dem Zittern auf.

Martina Clemens, Kaninchenzüchterin aus Dormagen bei Düsseldorf


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Ist es normal?

FRANKREICH

… dass sich die Zähne bewegen?

Ja. Denn die Zähne sind nicht fest mit dem Knochen verwachsen, sondern hängen an Fasern und verfügen dadurch über eine gewisse Eigenbeweglichkeit. Man bemerkt sie zum Beispiel, wenn man mit dem unteren Eckzahn schräg gegen den oberen drückt, dann gibt der obere Zahn etwas nach. Das heißt, eine leichte Bewegung ist physiologisch normal. Und das erklärt unter anderem auch, warum bei manchen Patienten mit wenig Platz im Kiefer die Zähne im Laufe ihres Lebens wieder schief werden, obwohl sie nach einer Zahnspangenbehandlung ursprünglich gerade waren. Ein anderer Grund für bewegliche Zähne ist Parodontitis, eine Krank­ heit, bei der sich das Zahnfleisch entzündet. Hier werden die Fasern, mit denen die Zähne am Knochen hängen, zerstört. Die Zähne lockern sich so stark, dass sie irgendwann drohen auszufallen.

Dr. Dr. Norman von Sternberg, Facharzt für Oralchirurgie mit eigener Praxis in Hamburg


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Ist es normal?

DEUTSCHLAND / USA

… Selbstgespräche zu führen?

Kleine Kinder sprechen oft mit sich selbst, sie lernen dabei, Sätze zu bilden, oder schulen das Gehör. Selbstgespräche sind bei ihnen ein ganz normales, teilweise physiologisch bedingtes Verhalten. Aber auch viele Erwachsene profitieren im Alltag von einer ­Kommunikation mit sich selbst. Zum Beispiel wenn der Elfmeter­ schütze vor dem Schuss zu sich sagt: »Du haust das Ding jetzt rein!« Er motiviert sich selbst. Genauso kann es sein, dass man sich laut an Dinge erinnert, wie den Schlüssel mitzunehmen oder den Herd auszu­schalten. Man fasst die oftmals diffusen Gedanken, die einem im Alltag durch den Kopf wabern, in Worte und ver­ deutlicht sich dadurch Wünsche und Ziele. Die eigenen Vorhaben werden konkret und lassen sich erfolgreicher als ohne Selbst­ gespräch in Realität umsetzen.

Dirk Wedekind, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Georg-August-Universität Göttingen


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Ist es normal?

USA

… sich von Zahlen angezogen zu fühlen?

Es gibt Menschen, die verlieben sich in Objekte wie ein Flugzeug oder einen Klavierständer, und natürlich kann man auch zu Zahlen eine innige Beziehung aufbauen. Menschen mit Inselbegabung, sogenannte Savants, verbinden oftmals Zahlen mit Emotionen – die Acht ist vielleicht sinnlich, die 15 hart. Sie haben eine komplette Landkarte aus Zahlen im Kopf. Und dann gibt es noch den Kult um die Zahl Phi, die irrationale Zahl, die eine Proportion beschreibt, die wir als besonders schön empfinden. Phi hat überall auf der Welt Fans, die sich einen Sport daraus machen, möglichst viele Stellen hinter dem Komma zu berechnen, oder die sich die Zahlenabfolge auf ihr T-Shirt drucken lassen. Von Phi geht eine extreme Attrak­ tivität aus. Mathematiker sprechen von ihr wie von einer Gottheit. Und Gott ist ­Liebe. Insofern ist auch eine körperliche Liebe zu Zahlen so normal wie alles andere auf der Welt.

Clio Cresswell, Mathematikprofessorin aus Australien und Autorin des Buches Mathematics and Sex


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Is it normal … PROTOKOLLE

Carola Hoffmeister

Is getting bored at concerts normal? Is it normal to cry every day? Is it normal for my baby to burp? If we don’t know whether something is good for us, if our behavior is being perceived as odd, or if we don’t know whether to see a doctor or not, then the first thing we often do is to pull out our cellphones or sit down at our computers and ask the Internet. And no sooner have we entered three words than an array of different scenarios is displayed, each of which might describe the root of our concern. The scenarios listed are tailored to individual countries and reflect the main preoccupations of their inhabitants. Almost always, we can count on the experts for an answer. Macedonia: … for some children to wish they were the opposite sex? In our childcare training, we learn that it’s sometimes normal for boys to wish they were girls and vice versa. We usually try to find out their reasons. It can be that the boy is jealous of his sister’s pretty clothes. Or because a girl would like to be the “leader of the pack” in her kindergarten class. Cynthia Knowls, trainee childcare provider from Cologne

Twenty percent of children display so-called gender-atypical behavior – like boys who prefer to wear dresses. This is a normal developmental form of play involving gender roles. Only a very small proportion of these children subsequently develop what educationalists classify as gender dysphoria. If such children cannot identify with their biological sex, they may ultimately seek gender conversion. Saskia Fahrenkrug, Head of the Special Outpatient Unit for Children and Adolescents with Gender Identity Disorders at the University Medical Center in Eppendorf, Hamburg, Germany

Germany: … for rabbits to tremble? Yes, but only if they find themselves in situations where they feel uncomfortable. This might occur, for example, if they are pressured inside their hutch because another rabbit wants to mate with them or establish its dominance. Or if they feel intimidated because an unknown creature is moving towards them quickly and unexpectedly. To avoid this response, always

approach rabbits slowly and from the front. Then pick them up by the scruff of their necks while supporting them from below. Even then, rabbits might start squeaking and trembling because predators such as cats or martens also grab them by the neck. To keep them calm when holding them, gently press their chest and stroke them affectionately. Then they will realize there is nothing to fear and stop trembling. Martina Clemens, rabbit breeder from Dormagen near ­Düsseldorf, Germany

France: … for our teeth to move? Yes. Because the teeth are not directly attached to the bone. Rather they are held in place by a ligament which is elastic. People notice this, for example, when the lower canine tooth presses against the tooth above it at a slight angle, pushing it upwards. A modicum of movement is physiologically normal. This explains, among other things, why the teeth of patients with cramped jaws sometimes become crooked again – despite being straightened by braces during childhood. Periodontitis, or inflammation of the gums, can also cause teeth to loosen. In this case the ligament connecting them to the jaw is destroyed and teeth can even fall out. Dr. Dr. Norman von Sternberg, an oral surgeon with his own practice in Hamburg, Germany

Germany/USA: … to talk to yourself? Young children often talk to themselves, learning to form sentences or train their auditory comprehension. Talking to themselves is a normal form of behavior whose cause is partly physiological. But many adults in everyday life also benefit from communicating with themselves. For example, when a soccer player taking a penalty kick motivates himself by saying, “Smash it into the top corner,” this is a form of self-motivation. Similarly, with so much going on inside their heads, people might verbalize important instructions like “turn off the oven” or “take a key when you go out” so as to better remember them. Giving specific thoughts audible expression helps to make them more memorable. Dirk Wedekind, Professor of Psychiatry and Psychotherapy at Georg-August University in Göttingen, Germany


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Is it normal?

USA: … to feel attracted to numbers? There are people who fall in love with objects like an aircraft or piano stand, and of course you can also develop an attachment to numbers. People with savantism often associate numbers with emotions. For example, the number eight might connote sensuality and 15 hardness. In their heads they might have a complete map made up of numbers. And then there’s the cult surrounding the number Phi, the irrational number that describes a proportion which people find particularly attractive. Phi has fans all around the world, many of whom wear T-shirts emblazoned with the number or treat it as a sport in which players define it to the maximum number of decimal points. Phi radiates extreme appeal. Mathematicians refer to it as though it were a deity. In this context, a physical love of numbers is as normal as anything else on our planet. Clio Cresswell, professor of mathematics from Australia and author of the book “Mathematics and Sex”.

France: … for puppies to sleep a lot? Puppies sleep for up to 20 hours a day. That should come as no surprise to us because newborn babies need a similar amount of sleep. Absorbing the impressions of our first few weeks of life is extremely strenuous and burns a lot of energy. The body recuperates and regenerates as it slumbers. But adult dogs also sleep a lot – between 14 and 17 hours a day. My crossbreed is always dozing, but the moment somebody approaches my front door, it shoots out of its box and is instantly wide awake.  Jacqueline Schädel, social worker, mother and dog owner, Hamburg, Germany


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Ist es normal?

FRANKREICH

… dass Welpen viel schlafen?

Welpen schlafen bis zu 20 Stunden am Tag – das überrascht wenig, vor allem wenn man bedenkt, dass auch menschliche Neugeborene in den ersten Wochen bis zu 20 Stunden Schlaf brauchen. Denn die ganzen neuen Eindrücke zu verarbeiten, ist extrem anstrengend und verbraucht Energie. Im Schlaf erholt und regeneriert sich der Körper. Aber auch erwachsene Hunde sind Vielschläfer und kom­ men auf zwischen 14 und 17 Stunden Schlaf täglich. Mein Mischling döst zu Hause fast immer. Sobald er jemanden an der Tür bemerkt, springt er aber auf und ist hellwach.

Jacqueline Schädel, Sozialpädagogin, Mutter und Hundebesitzerin, Hamburg


Zahlen und Fakten

Facts and Figures

Gehgeschwindigkeiten

Pacey pedestrians

Das durchschnittliche Schritttempo von Fußgängern unterscheidet sich von Stadt zu Stadt. In Metropolen gehen Menschen eher schneller als in kleineren Städten, Frauen gehen etwas langsamer als Männer, ältere Menschen deutlich langsamer als jüngere. Städte mit dem höchsten Schritttempo, gemessen auf einer Strecke von 60 Fuß, die 18,29 Metern entspricht:

Average walking speeds vary from city to city. In major capitals people tend to move faster than in smaller towns. Women generally walk more slowly than men, and the elderly significantly more slowly than the young. Over a distance of 60 feet (or 18.29 meters) the cities with the fastest average walking speeds are: Source: Der Spiegel

12,00 12.00

12,06 12.06

Wien, Österreich Vienna, Austria

11,16 11.16

New York, USA

Dublin, Irland Dublin, Ireland

11,13 11.13

Berlin, Deutschland Berlin, Germany

11,03 11.03

Curitiba, Brasilien Curitiba, Brasilia

10,94 10.94

Guangzhou, China

10,89 10.89

Madrid, Spanien Madrid, Spain

10,55 10.55

10,82 10.82 Singapur, Singapur Kopenhagen, Dänemark Copenhagen, Denmark

Quelle: Der Spiegel

Singapur, Singapur Singapore, Singapore

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Gehgeschwindigkeiten in Sekunden Pacey pedestrians in seconds

Die meistgesprochene Sprache in Europa Die Sprache, die von den meisten Menschen in Europa gesprochen wird, ist Russisch. Sie wird von fast jedem fünften Europäer gesprochen. Anteil der europäischen Gesamtbevölkerung, die Russisch spricht: 19,3% Quelle: laenderdaten.info

Привет Европа!

The most-spoken language in Europe The language spoken by the most people in Europe is Russian. Almost one in five Europeans use it in conversation. The proportion of the population speaking Russian in Europe: 19.3%.

Я говорю по-русски, на языке, на котором говорит каждый пятый европеец.

Source: laenderdaten.info

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Entfernungen früher und heute

Tage

Der Lindauer Botendienst, aus dem Gebrüder Weiss letztendlich hervor­ gegangen ist, war vor über 500 Jahren etwa 6 Tage für die etwa 325 Kilome­ ter lange Strecke von Fußach nach Mailand unterwegs – zu Fuß und mit dem Lastentier. Heute braucht man mit dem Auto für dieselbe Strecke über Chur, Lugano und Como 3 Stunden 46 Minuten.

days

Quelle: Wikipedia, Google Maps

3,75 3.75

Distances past and present Std. hrs.

Over 500 years ago the Milanese Courier, the precursor of the Gebrüder Weiss group, took about six days to cover the 325 kilometers between Fussach and Milan – with a pack animal and on foot. Today a car traveling via Chur, Lugano and Como can complete the same journey in just three hours and 46 minutes. Source: Wikipedia, Google Maps


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Lieblingsorte

Favorite places

Wer jemals in Bangkok oder Paris war, der befindet sich in großer Gesell­ schaft: Es gibt Gegenden, auf die sich besonders viele Menschen als Reiseziel einigen können. Hier sind die beliebtesten Ziele weltweit (nach Anzahl der Übernachtungsgäste in Mio., gerundete Angaben aus 2018)

Visitors to Bangkok or Paris are unlikely to feel lonely. Indeed, there are cities around the world that attract veritable hordes of tourists. The following lists the most popular destinations in 2018 (based on overnight guests in millions).

Quelle: statista.com

Source: statista.com

15 Singapur

19 London

23

19

Bangkok

Paris

16 Dubai

Geschwindigkeit auf See

Speed at sea

Die Schiffe der Welthandelsflotte fahren mit einer Durchschnittsgeschwin­ digkeit von rund 15 Knoten, also etwa 28 Kilometer pro Stunde. Pro Tag schaffen diese Schiffe rund 670 Kilometer. Jüngere Schiffe sind deutlich schneller und leisten 25 bis 30 Knoten, was 45 bis 55 Kilometern pro Stunde entspricht.

Ships plying the world’s oceans in the service of international trade sail at an average of approximately 15 knots or about 28 kilometers an hour. Every day these ships cover some 670 kilometers. Modern ships are significantly faster, traveling at 25–30 knots or 45–55 kilometers an hour. Source: worldoceanreview.com

Quelle: worldoceanreview.com

55 km/h Pendelzeiten Überall auf der Welt sind Menschen tagtäglich unterwegs, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen – im weltweiten Durchschnitt immerhin über eine Stunde, nämlich 69 Minuten. Von Land zu Land unterscheiden sich die Durchschnittszeiten teilweise deutlich, denn Verkehrsmittel sind unterschiedlich schnell, Wege unterschiedlich lang und Verkehrsaufkom­ men unterschiedlich hoch: Quelle: statista.com

Israel 97 VAE 96

Israel 97 UAE 96

Australien 80

Commuting times Millions of people around the world leave their homes in the morning for work, with their average daily travels lasting more than an hour: 69 minutes. The time they take can vary greatly, depending on the distances they travel, the speeds of their means of transportation and the volumes of traffic. The following table shows the average minutes taken for a daily commute:

USA 79

Australia 80

USA 79

Türkei 73

Turkey 73

Österreich 70

Austria 70

Frankreich 64

France 64

Source: statista.com

Russland 61

Pendelzeiten pro Wochentag in Minuten Daily commuting times in minutes

Russia 61

Deutschland 60

Germany 60



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Normal ist nur das Speiseeis text  Kathrin Passig

Meistens ist ja alles normal. Das ist das Schöne am Norma­ len: Es gibt sehr viel davon. Ausnahmen von der Normalität begegnet man eigentlich nur in zwei Situationen: Entweder passiert vor der eigenen Haustür etwas Ungewöhnliches, oder man begibt sich ins Ausland. Das Ausland im Sinne nachlassender Normalität beginnt dabei etwa hundert Kilo­ meter vom eigenen Wohnort entfernt – außer in der Schweiz, da sind es nur zehn Kilometer, und in Berlin beginnt das Aus­ land am S-Bahn-Ring. Wenn vor der eigenen Haustür etwas zu sehen ist, das da letzte Woche noch nicht war, ruft das häufig Widerwillen hervor. Wegweiser, Straßenlaternen und Velozipede zogen den Unmut der Bevölkerung auf sich, als sie neu waren, auch wenn man sie heute als eher praktische Einrichtungen zu betrachten bereit ist. Aber jetzt ist das kein Kunststück mehr, denn sie sind normal geworden. Was nicht normal ist: Leih­ fahrräder (womöglich von chinesischen Anbietern). Elek­troTretroller (womöglich ebenfalls von chinesischen Anbietern). Menschen, die beim Gehen aufs Handy sehen. Und was nicht normal ist, das ist erst einmal falsch. Es muss falsch sein, weil es vor allem von seltsamen Gestalten genutzt wird, von Hipstern und Dandys. Was die richtig rei­ chen Leute machen, prägt das Straßenbild kaum, weil es von ihnen nicht so viele gibt und sie woanders wohnen. Ihre ­Heli-Skiing-Gewohnheiten, Jagdschlösschen oder tausend Meter langen Luxusyachten hat man nicht ständig vor Augen. Aber diese jungen Leute mit ihren sonderbaren Bart-, Haar-, Kleidungs- und Meinungsmoden, die offenbar zu viel Geld und zu viel Freizeit haben, pflegen ihren Lebenswandel ­gerade dort, wo man als Freund einer gepflegten Normalität täglich damit konfrontiert wird. Der Anblick des Unnormalen Eine Jubiläumsschrift des Wiener Cyclisten-Clubs berichtet über die Anfangszeiten des 1883 gegründeten Vereins: »Die Bevölkerung, groß und klein, in der Stadt und auf dem ­Lande, betrachtete den Bicyclisten, der als Narr angesehen wurde und für gesittete, vernünftige Mitbürger als gemein­ gefährlich schien sowie die Bauernpferde stutzig machte, als Freiwild und behandelte ihn auch danach. Steine wurden

nach ihm geschleudert, meuchlings Hindernisse vor das Bicycle geworfen, um ihn zum Sturz zu bringen, und nicht selten mußte er auf offener Straße oder in Ortsgemeinden mit besonders hitzigen Widersachern den Faustkampf ­aufnehmen …« Bei diesen Aggressionen gegen die »Bicyclisten« und einige Jahrzehnte vor ihnen gegen die »Velocipedisten«, die Laufradfahrer, geht es zum Teil genau wie heute um die Frage, was eine normale Nutzung von Straßen und Geh­ wegen darstellt und wer dazu berechtigt sein soll. Aber auch die alberne Kleidung und eigentlich die gesamte Existenz der Freunde dieser abwegigen Fortbewegungsweise gibt An­lass zur Kritik. Dass es von Hipstern und Dandys praktiziert wird, ist ein Grund, warum das Unnormale falsch aussieht. Der an­ dere liegt darin, dass es die Richtigkeit des Normalen infrage stellt. Wenn die jungen Männer oder womöglich sogar die Frauenzimmer neuerdings mit dem Fahrrad herumfahren, ist ihnen das Bisherige – Pferd, Kutsche, Zuhausebleiben – wohl nicht gut genug. Sie üben Kritik an dem, was alle ande­ ren zufriedenstellt. Jeder Anblick des Unnormalen enthält einen Vorwurf an die, die es nicht praktizieren. Die Aufregung endet in den meisten Fällen durch Gewöh­ nung. Relativ einfach geht das bei Software, die sich selbst­ ständig aktualisiert und deren Betreiber so geschickt sind, Änderungen schleichend einzuführen. Ein Button wandert von links nach rechts, eine Farbe ändert sich, eine kleine Option wird abgeschafft … wenige Jahre später ist aus einer App zum Musikabspielen eine fürs Onlinebanking inklusive Steuererklärung geworden, und man merkt es erst beim ­Betrachten alter Screenshots. Ideal wäre, wenn das auch bei physischen Veränderungen ginge. Anbieter könnten zuerst ganz winzige E-Tretroller und Leihfahrräder auf die Straßen stellen, die man kaum sieht, und erst allmählich etwas größere. Es beschleunigt die Gewöhnung, wenn ein noch weniger normales Ding des Weges kommt. Sobald Flugtaxis am Him­ mel oder autarke Lieferfahrzeuge auf den Gehwegen auf­ tauchen, werden Tretroller als Thema in Vergessenheit ge­ raten. Bald erinnert sich niemand mehr, dass er das jetzt Normale irgendwann einmal auffällig fand.


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Speiseeis ist normal

In England völlig normal: der konse­ quente Verzicht auf Mischbatterien In England the standard: separate ­faucets for hot and cold water.

Die Eigenheiten des Auslands Am Hauptwohnsitz des Unnormalen, im Ausland, liegen die Verhältnisse ein wenig anders. Dort ist gar nichts normal, bis auf die Eissorten. Die sind leider exakt dieselben wie zu Hause, was dann auch wieder nicht recht ist und zu Klagen über die Globalisierung Anlass gibt. Aber die Steckdosen! Die Wasserhähne! Die Toiletten! Die Fenster! Die Art und Farbe der Milchverpackung! Der Chlorgeschmack im Wasser! Im Supermarkt steht kaum etwas da, wo man es erwartet, und womöglich sind sogar die Maßeinheiten andere als zu Hause. Der Chlorgeschmack verschwindet bald von allein, so schnell, wie man sich an schlechte Luft im Seminarraum gewöhnt. Nur neu Hinzukommende rümpfen die Nase. Aus diesem Grund kann man beim Besuch amerikanischer Haushalte hören, das örtliche Leitungswasser sei einwand­ frei und schmecke gar nicht nach Chlor. Der erste Schluck zieht dann Verwunderung nach sich sowie ein Kommunika­ tionsproblem, in dessen Verlauf die Gäste überlegen, ob die Einheimischen überhaupt Geschmackspapillen haben, und die Einheimischen ihre Gäste für merkwürdig über­ empfindlich halten. Für die übrigen Eigenheiten des Auslands gibt es keinen solchen eingebauten Anpassungsmechanismus. Man muss sich aktiv bemühen, in der Normalität anderer Leute nicht nur eine schlechtere Version der eigenen zu sehen. Denn die seltsamen Lösungen andernorts sind, wenn man genauer hinsieht, eigentlich nie das Ergebnis von Unwissenheit oder Ungeschicktheit. Britische Sanitärfachleute wissen, dass Mischbatterien existieren und dass es grundsätzlich möglich ist, Duschen zu bauen, die in Aussehen und Reinigungs­ wirkung nicht an ein altmodisches Münztelefon erinnern.

Steckdosenhersteller kennen mehr als eine Art von Steck­ dosen. Die Menschen in Frankreich wissen, dass man Betten auch machen könnte, ohne die Decke am Fußende festzu­ betonieren. Und dass das deutsche Mobilfunknetz Reisende aus anderen europäischen Ländern durch sein weitgehendes Nichtvorhandensein verblüfft, liegt nicht an fehlenden ­technischen Kompetenzen im Land oder einem weniger stark ausgeprägten Wunsch nach Handyempfang. Dass so viele verschiedene Arten von Normalität existie­ ren, hat vor allem mit einem Phänomen namens Pfadabhän­ gigkeit zu tun: An irgendeiner Stelle trifft jemand eine Ent­ scheidung, zum Beispiel wie eine Steckdose auszusehen hat. Kurze Zeit später hat sich die Bevölkerung ein paar Milliar­ den Elektrogeräte zugelegt, deren Stecker in diese Steck­ dosen passen. Der allgemeine Wunsch, im Ausland keine Adapter zu brauchen, stößt auf den ebenso allgemeinen Wunsch, zu Hause nicht sämtliche Steckdosen und Stecker auszutauschen. Das Resultat ist eine Welt, die eben so ist, wie sie ist: stellenweise gewöhnungsbedürftig bis empörend. Das wird so bleiben, bis die ersten Außerirdischen Kontakt mit uns aufnehmen. An diesem Tag wird schlagartig alles auf der Erde ganz normal. Sogar britische Wasserhähne.

Kathrin Passig arbeitet unter anderem als Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Mit dem Astrophysiker Aleks Scholz arbeitet sie an einem Buch über die Logistik von Zeitreisen, das im kommenden Frühjahr erscheint (mehr dazu auf Seite 79).


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Only the ice cream is normal TEXT

Kathrin Passig

For the most part, normality reigns supreme in our world. That’s also the beauty of it: availability in abundance. People only really encounter exceptions in two contexts: either something unusual happens outside our front doors or we take a trip abroad. If we are Austrian, “abroad” – as defined as the realm of diminishing normality – might begin about 100 kilometers from our homes. If we live in Switzerland, however, it can be just ten kilometers down the road in the next canton. And in Berlin entering “foreign terrain” entails no more than crossing the S-Bahn Ring, the rapid transit rail line that encircles the city center. If something appears outside people’s front doors that wasn’t there the previous week, it often sparks resentment. Signposts, street lamps and cycles have all caused annoyance when new, even if we now appreciate their practical perks. Over time they have all been normalized. But what isn’t normal yet? Bikes for hire (possibly from Chinese providers). E-scooters (possibly from the same source). Pedestrians glued to their cellphones as they meander past. What isn’t normal is inherently bad – initially. It must be bad because it is used by shady, suspicious characters, by hipsters and dandies. What really wealthy people do hardly impacts our streets at all because they live elsewhere and are a small minority anyway. Their heli-­ skiing adventures, hunting lodges and thousand-meter luxury yachts aren’t constantly in our faces. But these young people, with their weird beards, hairstyles, fashions and views, who evidently have too much money and time on their hands, go about their business in those very places where the nurturers of normality encounter it daily. The mere sight of the abnormal A publication celebrating the history of the Vienna Cycling Club describes the early days of the organization, which was founded in 1883. “The people, young and old, in the towns and in the country, regarded the cyclist as a fool, a public hazard to respectable members of society, a creature who startled the plodding homestead horses. He was thus fair game and they

treated him accordingly, bombarding him with stones and throwing obstacles into his path to make him crash. Sometimes the only way to make progress through villages or along roads was to engage in fistfights with the angriest antagonists.” This aggressive behavior towards ‘bicyclists’ – and decades earlier the ‘velocipedists’ – is driven by the very same questions: what is the “normal” use of roads and sidewalks and who is entitled to use them? But the outlandish clothing and mere existence of those who advocate this bizarre form of transportation also provokes criticism. The fact that cycling is practiced by hipsters and dandies is one reason why this abnormal behavior seems wrong. The other is that it challenges the legitimacy of what is normal. When, the publication argues, young men or even young ladies ride around on bicycles, it looks as if the previous alternatives – horse, carriage, staying at home – aren’t good enough for them. These people are implicitly rejecting things which others find satisfactory. The mere sight of the abnormal implies a reproach to those who shrink from its practice. In most cases the outrage subsides over time – as a result of familiarization. This can be actively fostered by software manufacturers, for computer programs can be updated in the background and progressively modified without people noticing. A button gets moved from left to right, a color changes, a minor option disappears and, a few years later, an app designed to play music has mutated into online banking software that produces personal tax returns. And, unless they have compared it with old screenshots, nobody notices what has happened. Ideally the same technique could be applied to physical objects. Manufacturers could start populating the streets with tiny, virtually invisible e-scooters and rental bikes and then gradually introduce larger versions. Familiarizing occurs faster when even less normal things come along. The moment air taxis appear in the sky or self-driving delivery vehicles on the sidewalks, scooters will cease to be an issue. Soon nobody will remember how they once found the current normal strange.


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Ice cream is normal

The other quirks of life abroad At the official residence of everything abnormal – i.e. abroad – the situation is slightly different. Absolutely nothing there is normal bar the ice cream flavors. They are, unfortunately, exactly the same as at home, which inconveniently also sparks resentment about the negative impacts of globalization. But then there are the power sockets! The faucets! The toilets! The windows! The construction and coloring of milk containers! The water that tastes of chlorine! Hardly anything is where you expect it in supermarkets and even the units of measurement might be different. The chlorine taste soon disappears by itself, like the musty air in college classrooms. Only the newcomers turn up their noses. This is why tourists in foreign countries will often hear their hosts proclaiming that their tap water doesn’t taste of chlorine at all. A single gulp then ­suffices to dispel any doubts – often followed by a bemused standoff in which the guests from abroad wonder if the locals have taste buds, and the locals suspect their guests of being snowflakes. There are no such in-built mechanisms for adjusting to the other quirks of life abroad. We need to make a real effort not to view the normality of others as an inferior facsimile of our own. Because, if we look closely, the exotic solutions to life’s problems elsewhere are not the product of ignorance or ineptitude. British plumbers are perfectly aware of the existence of mixer taps, and know that it is quite possible to build showers whose construction and efficacy do not recall old-fashioned telephone booths. Electrical manufacturers are familiar with more than one type of power socket. The French know that beds can also be made without nailing the blankets to the footboard. And EU visitors’ surprise at the mosaic of black holes that masquerades as Germany’s cellular network is not due to a lack of technological expertise or the residents’ disdain for their cellphones. The existence of so many forms of normality is above all due to a phenomenon known as path dependence. At an unspecified point in time, somebody makes a selection from a list of multiple options, e.g. the design of a power socket. Within a few years, consumers will have bought billions of electrical devices whose plugs fit these sockets. The irresistible force of wanting to survive without adapters abroad

then meets an immovable object: a stubborn resistance to replacing all the plugs and power sockets at home. The outcome is a world that simply is what it is, one shaped by events rather than logic. A world that might occasionally require some adapting and even prompt indignation. That will remain the case until the first aliens arrive on Earth. But from that day onwards everything on our planet will suddenly be absolutely normal. Even British faucets.  Kathrin Passig devotes her time to dreaming things up; she works in Berlin as a journalist, author and translator. In ­conjunction with the astrophysicist Aleks Scholz, she is now working on a book about time travel that is due to be published next spring (for more details, see page 79).



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#normalbreakfast

#cornettiintegrali

#healthyfood

#switzerland


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Messfehler sind normal text  Florian Aigner

Die Wissenschaft kommt ohne Normen und Eichungen nicht aus. Nur wenn man sich auf normierte Einheiten einigt, kann man zusammenarbeiten. Ein schrecklicher Fehler war passiert. Der Mars Climate ­Orbiter flog zu tief. Nach neun Monaten im Weltraum war die Sonde wie geplant in eine Umlaufbahn um den Mars einge­ schwenkt, doch eigentlich hätte sie sich dem Roten Planeten nur bis auf 150 Kilometer nähern sollen – aber plötzlich ­waren es nur noch 57. Die Marsatmosphäre war in dieser Höhe bereits zu dicht, der Orbiter wurde heiß, die interplane­ tare Reise endete in einem gewaltigen Glutball, weit weg von zu Hause, auf der erdabgewandten Seite des Mars. Hunderte Millionen Dollar hatte diese NASA-Mission gekostet. Gescheitert war sie damals, im Jahr 1999, an einem dummen, leicht vermeidbaren Irrtum: Bei der Program­ mierung des Steuerungssystems waren unterschiedliche Maßeinheits-Normen verwendet worden. Die NASA arbeitet mit metrischen Einheiten, mit Metern, Kilometern und ­Kilogramm. Doch eine amerikanische Firma, von der die ­Navigationssoftware geliefert worden war, hatte den Compu­ tercode auf imperiale Einheiten ausgelegt – das Einheiten­ system von Yards, Meilen und Pfund. Meter und Kilogramm: Normen aus Metall Genau solche Irrtümer hätten eigentlich schon längst abge­ schafft sein sollen. Im Jahr 1799, genau 200 Jahre vor der Orbiter-Katastrophe am Mars, fand in Paris eine internatio­ nale Konferenz statt, die der Welt ein neues Längenmaß verkündete: Man hatte sich auf den Pariser Urmeter geeinigt. Ein präzise aus Platin gefertigter Stab sollte künftig als De­ finition für Längenmessungen auf der ganzen Welt dienen. Bis dahin hatte man oft Maße verwendet, die an den menschlichen Körper angelehnt waren – Fuß, Schrittlängen oder Ellen. Das ist einerseits praktisch, weil somit jeder ganz automatisch die wesentlichen Längenmaße mit sich herum­ trägt, führt aber zu Problemen, wenn Präzision gefragt ist. Unterschiedliche Regionen hatten unterschiedliche Längen­ definitionen, noch heute sieht man oft auf Kirchen oder ­alten Rathäusern die Markierungen, die damals das gültige

Längen­maß festlegten. Wer Handel mit der Nachbarstadt trieb, musste dort möglicherweise mit einem geringfügig anderen Maß arbeiten als in der Heimat. Diesen komplizierten Unsinn sollte der Pariser Urmeter ein für alle Mal abschaffen. Im Geist der Aufklärung wollte man Maße definieren, die aus einfachen, rationalen Natur­ größen abgeleitet werden können. Um den Meter festzulegen, wurde mitten in den Wirren der Französischen Revolution eine Expedition gestartet: Die Distanz von Dunkerque in Nordfrankreich nach Barcelona wurde exakt vermessen. Die beiden Städte liegen fast genau am selben Längengrad, aus ihrer Distanz konnte man dann sehr präzise die Strecke ­zwischen Nordpol und Äquator berechnen – und ein Zehn­ millionstel davon war der Meter, die neue, feierlich in Platin gegossene fundamentale Längennorm. Daraus ergeben sich dann auch andere Größen: Ein ­Kubikmeter Wasser hat tausend Kilogramm – so kommt man vom Meter auf ein Maß für die Masse. Präzisiert wurde die Definition dann später in Form des »Urkilogramms«. Dabei handelte es sich um einen Zylinder aus Platin und Iridium, sorgsam aufbewahrt unter schützenden Glasglocken. Sowohl vom Urmeter als auch vom Urkilogramm wurden Kopien hergestellt, um auch Normierungs- und Eich-Institu­ ten in anderen Staaten ein verlässliches Referenzmaß zur Verfügung zu stellen. Doch Maßeinheiten auf diese Weise über bestimmte physische Objekte zu definieren, hat schwer­ wiegende Nachteile: Nichts auf der Welt ist völlig unver­ änderlich. Alle paar Jahrzehnte wurde das Urkilogramm neu vermessen, und mit Erstaunen stellte man fest, dass der ­Metallzylinder im Lauf der Jahre an Masse verlor. Innerhalb von hundert Jahren wurde das Urkilogramm im Vergleich mit den Referenzkopien um 50 Millionstel Gramm leichter. Das klingt nicht besonders dramatisch, aber wenn man ein Maß für die Ewigkeit festlegen möchte, ist das eben nicht akzeptabel. Am 20. Mai 2019 wurde das internationale System der Maßeinheiten reformiert, und seither gibt es erstmals in der Geschichte keine physikalische Maßeinheit mehr, die über ein bestimmtes physisches Objekt definiert ist. Stattdessen werden nun alle Größen von unveränderlichen Naturkon­


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Normen und Eichungen

stanten abgeleitet. Das Kilogramm wird über das Planck’sche Wirkungsquantum definiert, die wichtigste Grundkonstante der Quantenphysik. Der Meter ist über die Lichtgeschwindig­ keit festgelegt – als der Weg, den das Licht im Vakuum in 1/299.792.458 einer Sekunde zurücklegt. Damit muss man heute keine Referenzmaße mehr unter schützenden Glasglocken sorgfältig aufbewahren. Die Präzi­ sion unserer Maß-Normen hängt nur noch davon ab, wie exakt wir verschiedene naturgegebene Konstanten messen können. Normen für den Globus Doch das bedeutet leider noch lange nicht, dass damit alle Probleme des Eichens und Normierens gelöst sind – denn es gibt nicht nur physikalische Messgrößen, sondern auch ande­ re Normwerte, die wir zum Messen brauchen: Punkte auf der Erde zum Beispiel geben wir in Längen- und Breitengra­ den an. Das ist im Grunde bloß eine willkürliche Norm: Den Nullmeridian von Greenwich hätte man genauso gut durch irgendeinen anderen Punkt auf der Erde legen können. Die Höhe von Berggipfeln wiederum geben wir in Metern über dem Meeresspiegel an. Aber was soll das eigentlich heißen, wenn das Meer Hunderte Kilometer weit entfernt ist? Höhendefinitionen sind tatsächlich eine Herausforde­ rung: Die Erde ist keine perfekte Kugel, durch ihre Eigen­ rotation wird sie zum gequetschten Ellipsoid. Außerdem ist die Dichte unseres Planeten nicht überall gleich groß. Das bedeutet, dass die Anziehungskraft der Erde von Ort zu Ort schwankt, und somit ist auch die Oberfläche der Ozeane unterschiedlich weit vom Erdmittelpunkt entfernt. Welche Stelle im Ozean soll nun also der Referenzpunkt sein? All das – kombiniert mit Ebbe und Flut und klimabeding­ ten Meeresspiegeländerungen – macht die Höhenmessung zu einer komplizierten Sache. Daher haben sich unterschied­ liche Referenzsysteme herausgebildet: Die deutsche Normal­ höhe unterscheidet sich etwa von der französischen Norm um einen halben Meter. In Österreich wird in »Metern über der Adria« gemessen, diese Definition weicht um 34 Zenti­ meter vom deutschen Maß ab. Wenn man die Höhe von Bergen bestimmt, spielen solche Unterschiede keine wesentliche Rolle. Aber in manchen Situationen muss man diese Festlegungen sorgfältig berück­ sichtigen, zum Beispiel wenn man eine Brücke zwischen zwei Ländern errichtet. 2003 begann man mit dem Bau der Hoch­ rheinbrücke, einer Straßenbrücke zwischen Deutschland und der Schweiz. Schon bei der Planung hatte man ­klugerweise daran gedacht, dass sich die Schweizer Höhendefinition von der deutschen um 27 Zentimeter unterscheidet. In den Plä­ nen wurde die Differenz berücksichtigt – allerdings genau verkehrt herum: Anstatt die Niveaudifferenz von 27 Zentime­ ter auf 0 zu korrigieren, wurde die Differenz versehentlich verdoppelt, auf 54 Zentimeter. Zum Glück wurde der Irrtum noch rechtzeitig erkannt, die Brücke lässt sich heute problemlos befahren, ganz ohne

Stufen an der Staatsgrenze. Zu einer teuren Katastrophe wie beim Mars Climate Orbiter kam es nicht. Aber die Lehre, die man aus solchen Missverständnissen ziehen kann, ist immer wieder dieselbe: Wir Menschen brauchen klar definierte Nor­ men – nicht aus pedantischer Ordnungsliebe und nicht, um unsere Freiheit einzuschränken, sondern um sicherzustellen, dass wir einander richtig verstehen. Nur wenn wir von den­ selben Dingen reden, können wir Brücken bauen. Nur wenn wir uns auf gemeinsame Definitionen einigen, können wir zusammenarbeiten. Und das muss am Ende immer das Ziel sein – auf der Erde wie auch im Weltraum.

Florian Aigner ist Wissenschaftspublizist und lebt in Wien. Er promovierte an der TU Wien über theoretische Quantenphysik und schreibt über ­Naturwissenschaft sowie über Pseudowissenschaft, die immer wieder mit echter Wissenschaft verwechselt wird – unter anderem in ­seiner Kolumne »Wissenschaft und Blödsinn« (auf futurezone.at bzw. in der ­Tageszeitung Kurier). 2017 erschien sein Buch Das Universum, der Zufall und du.


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Double standards TEXT

Florian Aigner

Accurate measurements are crucial to science and technology. Teamwork and cooperation are scarcely feasible without agreement on shared conventions. Some terrible error had occurred. NASA’s Mars Climate Orbiter was flying too low. After nine months in space, the probe had entered its intended orbit of Mars and should have been maintaining a distance of 150 kilometers to the red planet. But all of a sudden it was only 57, an altitude at which the Martian atmosphere was too dense. As a result, the Orbiter overheated. Its interplanetary odyssey ended in a titanic inferno, as a molten mass, millions of kilometers from home on the far side of Mars. The 1999 mission had cost NASA hundreds of millions of dollars. It failed because of a stupid error that should have been easy to avoid, different measurement conventions had been applied when programming the control system. NASA uses metric units: meters, kilometers and kilograms. But the U.S. company writing the navigation software based the code on imperial measurements: yards, miles and pounds. Meters and kilograms: metal standards This is the kind of error that should have been eradicated centuries earlier. In 1799, exactly 200 years before the Orbiter disaster, an international conference in Paris announced a new unit of measurement. It was known as the international prototype meter. A precision-cut bar of platinum was chosen to represent the standard unit for measuring distances all around the world. Until then, many units of measurement had been based on the human body, e.g. feet, paces and hands. That was very practical because it eliminated the need for tools and gauges. However, problems arose whenever precision was key. Different regions used different standards. Today, markings showing local units of measurement can still be found on churches and city halls. Anyone trading with a neighboring town might have to use a marginally different unit than at home. The international prototype meter was designed to end these complications once and for all. In the spirit of the Enlightenment, people

wanted to define measurement systems that ­derived from rational and simple natural dimensions. In the midst of the turmoil surrounding the French Revolution, an expedition was therefore launched to calculate the exact distance between the northern French town of Dunkirk and Barcelona. The two towns are located at almost exactly the same longitude, which allowed the distance between the North Pole and equator to be extrapolated with great precision. The new standard – the meter – was defined as one millionth of this distance – and then formally consecrated in a platinum rod. This gave rise to other units of measurement, including a unit of mass: a kilogram was defined as one-thousandth of a cubic meter of water. This definition was subsequently immortalized as the international prototype kilogram, and given concrete form as a cylinder made of plati­ num and iridium that was carefully preserved under a protective glass dome. Copies were made of both the international prototype meter and the international prototype kilogram so that standards organizations in other countries had accurate gauges for their measurements. Yet using physical objects to define measurement systems has a fatal flaw: nothing on Earth is completely immutable. Every two decades the international prototype kilogram was reweighed and – to near-universal consternation – found to be getting lighter. Inside 100 years its weight declined by fifty millionths of a gram. That may not sound like the end of the world, but as the goal was to create a measurement for eternity, its fate was sealed. On May 20, 2019, the international measurement system was reformed and since then, for the first time ever, no physical objects have been used to create units of measurement. Instead, all sizes are derived from natural phenomena. Kilograms are defined using Planck’s Constant, the most important basic constant in quantum physics. Meters are calculated using the speed of light – as a distance traveled by light in a vacuum in precisely 1/299,792,458 of a second – just under one three hundred millionth of a second! This eliminates the need to preserve reference measurements inside glass domes.


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Standards and calibrations

The precision of our measurement units now depends on one thing only: how accurately we can measure natural constants. Norms for the planet Unfortunately, that doesn’t put paid to all the problems traditionally associated with measuring and calculating – because not all units of measurement are physical. We describe geog­ raphical locations in degrees of longitude and latitude, for instance. And those are completely arbitrary norms. The prime meridian in Greenwich, London, where the east nominally meets the west at zero degrees longitude, could have been located anywhere on the planet. We measure the heights of mountains in “feet above sea level.” But how relevant is that if the sea is hundreds of kilometers away? Calculating heights is particularly challenging. The Earth is not a perfect sphere: as a result of its rotation, it is oval-shaped – an ellipsoid. Moreover, the density of our planet is not identical everywhere. Which means that its gravitational pull varies from place to place, as a result of which the surfaces of its oceans differ in their distance from the center of the Earth. So which place in which ocean should serve as the reference point? All of the above – combined with the effects of the tide and our climate’s impact on sea levels – renders the measurement of heights a complex matter. This has led to the evolution of different reference systems. One example: the “sea levels” used in Germany and France differ by half a meter. In Austria, the level is keyed to the Adriatic Sea and therefore di­ verges from the German norm by 34 centimeters. These discrepancies are of little significance when measuring the heights of mountains. There are, however, circumstances in which accuracy is vital, e.g. when planning a bridge between two different countries. In 2003 engineers commenced building a bridge across the River Rhine between Germany and Switzerland. The original designers were aware of the difficulties inherent in the countries’ diverse standards, so they factored in the 27 centimeter difference. Yet when drawing up their own plans, the architects miscalculated and ended up adding rather than subtracting this difference. In other words, instead of offsetting it, they doubled it – increasing the nominal discrepancy between the two sides of the river to 54 centimeters.

Fortunately the blunder was discovered before it was too late. Today’s drivers can easily navigate the bridge – without having to “step up” on one side of the border. Unlike the Mars Climate Orbiter, the bridge did not become an expensive disaster. But the lesson to be learned from misunderstandings like these is always the same: people need clearly defined norms – not to satisfy a pedantic love of order or to limit our freedoms, but to ensure we can communicate effectively. In both senses of the word, we can only build bridges if we are talking about the same things. We can only work together to achieve this if we agree on shared definitions. And, ultimately, that must always be our goal – whether here on Earth or in outer space.  Florian Aigner is a science journalist who lives in Vienna. He completed a doctorate on theoretical quantum physics at the Technical University of Vienna and now writes about ­science – and pseudo­science, which is regularly confused with genuine science, including in his “Science and Nonsense” column on futurezone.at and in Austria’s Kurier newspaper. In 2017, he published the book Das Universum, der Zufall und Du (“The Universe, the Coincidence and You”).



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Wie heißt der kleine Mann?

Er ist Zielgruppe der Werbeindustrie und entscheidet angeblich Wahlen: »Der kleine Mann« ist der Sammel­ begriff für einen unauffälligen Durchschnittsbürger, der vor allem von Politikern und Soziologen verwen­ det wird. Und auch wenn ihn keiner persönlich kennt, hat er doch in den verschiedenen Ländern einen Namen – und auch eine Frau.

Max Mustermann

Deutschland Der unbescholtene Deutsche, der brav und korrekt kon­ sumiert und Steuern zahlt, wird gern Otto Normal­ verbraucher genannt. Als Platzhalter in Formularen oder Vordrucken wird außerdem häufig die Familie Muster­ mann angegeben, mit der imaginären Frau Erika und ihrem Mann Max. Ein Kind haben die beiden auch: Bei deutschen Kinderausweisen steht als Platzhaltername Leon Mustermann. Wenn es um Politik geht, wird außer­ dem gelegentlich auf Lieschen Müller verwiesen – eine fiktive Person mit einfachem Gemüt: »Das versteht Lies­ chen Müller nicht«, heißt es dann.

Matti Meikäläinen

Finnland In Finnland heißt der typische Landesbürger Matti Meikäläinen, seine Frau Maija. »Meikäläinen« bedeutet übersetzt »unsereiner« oder »unsereine«.

Janis Berzins

Lettland In Lettland ist Janis einer der gebräuchlichsten Vor­ namen, in Entsprechung dazu heißt der Durchschnitts­ bürger so mit Vornamen. Sein Nachname »Berzins« ist die Verkleinerungsform von Birke, heißt übersetzt also »kleine Birke« oder »Birkenbäumchen«.

Herr und Frau Schweizer

Schweiz In der deutschsprachigen Schweiz nehmen Herr und Frau Schweizer den Platz des Durchschnittspaares ein und repräsentieren die Bevölkerung in der Marktforschung, in Statistiken, Umfragen und überall dort, wo es um landestypisches Verhalten geht.

Isreal Israeli

Israel In Israel heißt der bekannteste Unbekannte in der Statis­ tik oder in Dokumenten Israel Israeli, als Frau Israela Israeli. Eine Zeitlang war auch noch der jiddische Name Moische Suchmir (Mosche Suchmich) in Gebrauch, wenn es um die Bezeichnung einer völlig beliebigen Per­ son ging. Als Pendant zu Lieschen Müller wird außerdem der Name Moshe Cohen verwendet, in Formularen in Entsprechung zum deutschen Mustermann auch Ploni Almoni.


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The man on the street He is the target group of the advertising industry and supposedly decides elections. Also known as “the average Joe,” he is the most ordinary of human beings and, as the archetypal common man, is most frequently referenced by politicians and sociologists. And while nobody knows him personally, he does have a name – in fact different names, depending on where he lives. He also has a wife, so he isn’t solely responsible for everything ascribed to him. Otto Normalverbraucher / Max Mustermann Germany The respectable German who pays his taxes, and dutifully buys and consumes mainstream merchandise, is often referred to as Otto Normalverbraucher (“Otto Normal-Consumer”). Printed forms also use the Mustermann (“Sample-Man”) family as a placeholder, with Mustermann as the surname, Erika the wife and Max as her husband. The couple has a child as well: the placeholder on children’s ID cards in Germany is Leon Mustermann. In the political sphere, Otto’s role is sometimes played by the imaginary and uneducated woman Lieschen Müller: “Lieschen Müller won’t understand,” pundits are wont to say. Matti Meikäläinen Finland In FINLAND the common man on the street is known as Matti Meikäläinen, and his wife as Maija. “Meikäläinen” means “one of ours” in English. Janis Berzins Latvia In neighboring LATVIA the mystery man also bears one of the most common first names: Janis. “Berzins” is the diminutive form of “birch” and therefore means “little birch tree.” Herr and Frau Schweizer Switzerland Herr and Frau Schweizer (Mr. and Mrs. Swiss) epitomize the average couple in German-speaking Switzerland. They represent the population at large in market research, statistics, surveys and everywhere else where typical forms of behavior are the focus.

Israel Israeli Israel In Israel the nobody who is somebody (or the somebody who is nobody) in the country’s statistics and documents is usually named Israel Israeli or, if a woman, Israela Israeli. For some time the Yiddish name Moische Suchmir (Mosche FindMe) also denoted a random, unspecified Israeli. The name Moshe Cohen describes unsophisticated nationals, while printed forms often use the default name Ploni Almoni. John Doe United States In the USA, John Doe is a placeholder for a range of circumstances: the appellation can refer to an unidentified corpse or a nondescript man who is average in every way. Men often identify themselves as John or John Doe in bars and brothels, or on the phone to remain anonymous while signaling their interest in a business opportunity. If the unidentified or deliberately anonymous person is a woman, she is usually referred to as Jane Doe. Herr and Frau Österreicher Austria As in adjoining Switzerland, the typical family in Austria is named for the country: Herr and Frau Österreicher (Mr. and Mrs. Austrian) are their compatriots’ representatives, although Ms. Mustermann is also a familiar figure on forms. Jozko Mrkvicka Slovakia In Slovakia the mystery man is labeled Jozko Mrkvicka. Jozko is the familiar form of Jozef, a traditional Slovakian first name. As the diminutive form of the word for carrot, “mrkvicka” means “small carrot.” Jan Kowalski Poland In Poland the name Jan Kowalski features prominently on printed forms. Both the first and last names are very common in the country. After Nowak, Kowalski is the second most common surname. Poles also refer to the “average Kowalski” (zwykly Kowalski) in questions like “How will this policy affect the average Kowalski?”


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Man on the street

Ivan Ivanovich Russia John Doe can’t match the exploits of his Russian counterpart who is already an experienced astronaut. The mannequins used in the unmanned test flights of the Vostok spacecraft in 1961 both bore the name Ivan Ivanovich. 


Der kleine Mann

John Doe

USA In den USA ist John Doe ein Platzhaltername mit viel­ fältiger Bedeutung: Nicht identifizierte Tote werden so genannt, aber auch der ganz normale, einfache Mann. Darüber hinaus stellen sich Männer in Bars, Bordellen oder am Telefon oft als John oder John Doe vor, um Inter­ esse an einem Geschäft zu signalisieren, bei dem sie anonym bleiben wollen. Ist die unbekannte Person bzw. die Person, die unbekannt bleiben möchte, eine Frau, heißt sie häufig Jane Doe.

Herr und Frau Österreicher

Österreich Wie im Nachbarland tragen auch in Österreich die Normalbürger das Land im Namen: Herr und Frau Öster­ reicher stehen als Chiffre für den gewöhnlichen Bürger und die gewöhnliche Bürgerin, allerdings ist Frau Muster­ mann hier ebenfalls bekannt.

Jozko Mrkvicka

Slowakei In der Slowakei heißt der kleine Mann Jozko Mrkvicka. Jozko ist die Koseform von Jozef, einem traditionellen slowakischen Vornamen, »Mrkvicka« ist die Verkleine­ rungsform von Karotte, bedeutet also: »Möhrchen«.

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Jan Kowalski

Polen In Polen ist es Jan Kowalski, der als Mustername in For­ mularen steht. Sowohl der Vor­ als auch der Nachname sind weit verbreitet, nach Nowak ist Kowalski der zweit­ häufigste Nachname in Polen. Man spricht auch vom »gewöhnlichen Kowalski« (zwykly Kowalski), also zum Beispiel: »Was bedeutet diese Politik für den gewöhn­ lichen Kowalski?«

Iwan Iwanowitsch

Russland Wovon John Doe vielleicht noch träumt, das hat sein russisches Pendant Iwan Iwanowitsch schon geschafft: Er ist ins All geflogen. Zwei menschenähnliche Dummys, die bei unbemannten Testflügen des Wostok­Raum­ schiffs im Jahr 1961 eingesetzt wurden, trugen seinen Namen.


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Die Welt in orange

Orange network

2. Deutschland Memmingen Gebrüder Weiss hat in Memmingen seit Juni 2019 einen Gas­Lkw im Einsatz und spart mit dieser nach­ haltigen Transportlösung rund 20 Tonnen CO2 jährlich ein. Die Reichweite des gasbetriebenen Wechselbrückenfahrzeugs beträgt zwischen 1.200 und 1.500 Kilome­ ter. Damit eignet er sich optimal für die derzeitige Route, auf der Sammelgut nach Augsburg bzw. Nürnberg transportiert wird. Der Stickoxidausstoß liegt dabei 70 Prozent unter der Grenze für dieselbetriebene Euro­6­Lkw.

Germany Memmingen Since June 2019 Gebrüder Weiss has been operating a gas-powered truck in Memmingen, a sustainable transport solution that reduces carbon dioxide emissions by some 20 metric tons a year. The maximum range of the gas-driven swap body vehicle is between 1,200 and 1,500 kilometers, making it ideal for the current groupage freight run to Augsburg and Nuremburg. The CO2 emissions are 70 percent below the threshold for diesel-powered euro 6 trucks.

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1. USA New York Bridging USA & Europe: Ein ame­ rikanischer Flugzeugbauer beauf­ tragte Gebrüder Weiss mit einer besonderen Luftfrachtsendung. Der Prototyp eines Flugtaxis muss­ te vom Bundesstaat Virgina nach New York und von dort weiter nach Paris zu einer Flugshow gebracht werden. Die Luftfrachtexperten sorgten für die spezielle Verpa­ ckung der Maschine und organi­ sierten den gesamten Transport in­ klusive der Verladung mit Kran am New Yorker Flughafen JFK. Das innovative Luftfahrzeug erreichte termingerecht seinen Bestim­ mungsort.

USA New York “Air bridge” between the United States and Europe: an American aircraft manufacturer approached Gebrüder Weiss with an unusual shipment. Its prototype for an air taxi had to be transported from Virginia to New York, and from there to an air show in Paris. The company’s air freight specialists took care of the packaging and managed the entire journey, including loading the consignment by crane onto a cargo plane at New York’s JFK Airport. The innovative passenger aircraft arrived at its destination right on schedule.

3. Österreich Wien Prämierte Transportsicherheit: Den HERMES.Verkehrs.Logistik. Preis in der Kategorie »Supply Chain Management« erhielt Ge­ brüder Weiss im April 2019 in der Wiener Hofburg. Damit wurde das Logistikunternehmen für das von ihm entwickelte Sicherheits­ system »Transport Security Stan­ dard (TSS)« ausgezeichnet. Die Definition des TSS basiert auf den TAPA­Regularien sowie den Sicher­ heitsanforderungen der Industrie und wird bei allen Transporten im Geltungsbereich des Logistikkon­ zerns angewendet.

Austria Vienna Prizewinning transport security: in April 2019, Gebrüder Weiss was presented with the HERMES. Verkehrs.Logistik.Preis (“HERMES. Transport.Logistics.Prize”) in the “Supply Chain Management” category at Vienna’s famous Hofburg Palace. The logistics group earned this accolade for developing and implementing its “Transport Security Standard” system (TSS). The definition of TSS, which is based on TAPA regulations and the industry’s security requirements, applies to all transport activities within the company’s field of operation.

4. Tschechien Prag Nach der Niederlassung in Wien hat Gebrüder Weiss nun auch in Prag das automatisierte Frachtvermes­ sungssystem von Cargometer im­ plementiert. Dazu werden zwei 3D­Scanner am Ladetor ange­ bracht, die die Messergebnisse zu Volumen und Gewicht sofort auto­ matisch in das System des Kunden einspeisen. Durch die digitale Ver­ messung werden die Be­ und Entladevorgänge verkürzt, der Tarif wird automatisch ermittelt, die Lkw sind besser ausgelastet, und Emis­ sionen werden erheblich verringert.

Czech Republic Prague Following successful pilot operation at the Gebrüder Weiss Vienna site, Cargometer’s automated freight measurement system has now been installed in Prague. The system entails the mounting of two 3D scanners to the loading gate; these then automatically feed the volume and weight into the customer’s own system. The digital measurement technology speeds up loading and unloading, automatically computes transport costs, helps to maximize the trucks’ capacities – and significantly reduces emissions in the process.


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7. Hongkong

Hong Kong

Gebrüder Weiss hat im Zentrum von Hongkong sein erstes Warenla­ ger eröffnet. Dabei sorgen 3D­Si­ mulationen von Lagerräumen und das eigene Warehouse­Manage­ mentsystem für höchste Effizienz in der Lieferkette. Seinen Kunden bie­ tet das Unternehmen damit die Möglichkeit, ihre Luft­ und See­ frachttransporte mit effizienter La­ gerlogistik zu kombinieren. Hong­ kong ist mit schnellen und unkomplizierten Zollverfahren und als Freihandelsdrehscheibe eines der wichtigsten Logistikzentren der Welt.

Gebrüder Weiss has opened its first goods warehouse in the center of Hong Kong. Features such as 3D simulations of storage zones and a dedicated warehouse management system ensure that supply chains operate at peak performance. As such, the company is offering its customers the option of combining their air and sea freight transportation with efficient warehousing logistics services. Thanks to its fast and straightforward customs processes, the free trade hub Hong Kong ranks among the world’s key logistics centers.

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5. Rumänien Bukarest Home Delivery by Gebrüder Weiss gibt es nun auch in Rumänien. Dieser Service richtet sich vor al­ lem an große Versandhändler, Möbelhäuser, Bau­ und Elektronik­ märkte. Online bestellte Waren werden direkt bis zur Haustür des Käufers zugestellt, bei Bedarf über­ nimmt der Logistiker das Retou­ renmanagement. Rumänien ist nach Österreich, Tschechien, Kroa­ tien, Ungarn, der Slowakei und Serbien das siebte Land, in dem Gebrüder Weiss die professionelle Endkundenzustellung anbietet.

Romania Bucharest Home deliveries by Gebrüder Weiss are now available in Romania as well. This service is tailored above all to large mail-order companies, furniture suppliers, home improvement stores and electronics dealers. Goods ordered online are delivered directly to the customer’s door, with the company also handling returns where required. After Austria, Croatia, Hungary, Slovakia, Serbia, and the Czech Republic, Romania is now the seventh country in which Gebrüder Weiss offers professional delivery services to end-consumers.

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6. Usbekistan Taschkent Ende Juli 2019 eröffnete Gebrüder Weiss ein Repräsentanzbüro in der usbekischen Hauptstadt Tasch­ kent. Neben Landtransporten werden dort auch Luft­ und See­ frachtservices angeboten. Das Serviceportfolio soll sukzessive weiter ausgebaut werden. Mit Usbekistan erweitert Gebrüder Weiss seinen Aktionsradius auf der Seidenstraße um den nächsten wichtigen Verkehrsknotenpunkt und bietet seinen Kunden Zugang zu einem weiteren aufstrebenden Markt in Zentralasien.

Uzbekistan Tashkent At the end of July 2019 Gebrüder Weiss opened a liaison office in the Uzbek capital of Tashkent, offering air and sea freight services in addition to land transport. The aim is to progressively expand the service portfolio. By adding Uzbekistan, Gebrüder Weiss has extended its radius along the Silk Road, incorporating a further major traffic hub and providing its customers with access to yet another flourishing market in central Asia.

8. China Shanghai Der boomende Onlinehandel zwi­ schen China und Europa beschert Gebrüder Weiss wachsende Auf­ tragszahlen. In China zählt man be­ reits mit zu den Marktführern bei Paketzustellungen nach Österreich, Tschechien, Ungarn, Polen und in die Slowakei. Die Pakete werden auf dem Luftweg nach Europa transportiert und von einem Depot in der Nähe des Flughafens Wien an die Empfänger verteilt. Der Transport innerhalb Europas er­ folgt durch DPD Austria, dessen Mitgesellschafter der Gebrüder Weiss Paketdienst ist.

China Shanghai The surge in online trade between China and Europe is boosting the group’s growing order intake. Gebrüder Weiss already ranks among the market leaders in China for parcel deliveries to Austria, Hungary, Poland, Slovakia and the Czech Republic. The shipments are transported to Europe by air, and then distributed to customers from a depot near the Vienna International Airport by DPD Austria. Gebrüder Weiss Paketdienst (GWP) is a major shareholder in this delivery provider.


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#normalbreakfast

#cachitos

#jamon

#spain


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Wer ist Michael Fuchs? interViews Merlin Herrmann

protokolle Imke Borchers

Michael Fuchs ist der normalste Mitarbeiter bei Gebrüder Weiss. Er ist 38,1 Jahre alt, stammt aus Österreich, arbeitet seit 6,9 Jahren im Unternehmen und ist im Lager beschäftigt. Allerdings: Diesen Kollegen Fuchs gibt es so gar nicht. Er ist eine fiktive Person aus errechneten Durchschnittswerten. Durchschnittswerte aber sagen wenig aus über die Wirklichkeit und fast nichts über die Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter von Gebrüder Weiss.


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GebrĂźder Weiss-Mitarbeiter

Herta Scherz

Josef Ehrenberger

Markus Kruisz

Manuel Fink


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Alfred Barborka

Isabella Hirsch

Flora Leung

Vlastimil Majtan


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Gebrüder Weiss-Mitarbeiter

Herta Scherz

Josef Ehrenberger

59 Jahre, davon 30 Jahre bei Gebrüder Weiss, Speditionelle Verrechnung, Wien

33 Jahre, davon 12 Jahre bei Gebrüder Weiss, Facility Service, Wien

Mein Ex-Schwager hat mich 1990 an den Italien-Import bei Gebrüder Weiss vermittelt, weil ich Italienisch konn­ te. Damals lief alles über das Telefon, da habe ich jeden Tag Italienisch gesprochen. Es waren schöne Jahre, weil wir sehr gut vernetzt waren. Jeder kannte jeden, es war nicht so groß wie heute, wir waren etwa 350 Mitarbeiter in St. Marx. Früher haben wir alles selber g ­ emacht, außer der Verrechnung. Das geht heute gar nicht mehr. Jetzt mache ich Inlandsverrechnung Eingang/Ausgang und Monatsabschlusskontrolle für Inland, Ein- und Ausgang in der Administration. Der Kontakt mit den Mitarbeitern in der Abteilung ist mir bei meiner Arbeit das Allerwich­ tigste. Wir verstehen uns relativ gut, daher funktioniert das alles. Ohne Teamwork geht gar nichts. Nächstes Jahr stehe ich vorm Hattrick: 30 Jahre Gebrüder Weiss, 60. Geburtstag und Pensionierung. Die jungen Leute brau­ chen die Jobs. Und ohne V ­ eränderung bewegt sich nichts, Veränderung ist immer gut, das regt den Geist an.

Ich bin im Facility Service Ost tätig und da für Standort­ erweiterungen und Neubauten in Österreich und Tsche­ chien verantwortlich. Mein Job ist es eigentlich, dafür zu sorgen, dass die Wünsche der Geschäftsleitung von den Firmen und unterschiedlichen Gewerken umgesetzt werden. Ich habe mit vielen Menschen zu tun und muss lösungsorientiert arbeiten, ständig die Waage halten, damit einerseits das operative Geschäft weiterlaufen kann und andererseits die Baustelle vorankommt. Ich mag die Vielseitigkeit, es gibt bei mir keinen normalen Tagesablauf. Nur in der Instandhaltung zu arbeiten, das war nichts für mich. Damals habe ich den Job über den ehemaligen Chef von der Bautechnik bekommen, den kannte ich privat ganz gut. Für die ersten drei Jahre war die Instandhaltung super zum Kennenlernen, aber die Perspektive, irgendwann was anderes zu machen, wurde mir von Anfang an in Aussicht gestellt. Und der Job jetzt ist schon lässig und öffnet mir eine neue Sicht auf das Unternehmen.

Markus Kruisz

Manuel Fink

21 Jahre, davon ein ¾ Jahr bei Gebrüder Weiss, Trainee, Wien

32 Jahre, seit 9 Jahren bei Gebrüder Weiss, Disponent, Wien

Home Delivery boomt bei Gebrüder Weiss, wir bauen hier in Wien eine neue Halle. Seit drei Wochen bin ich im Home Delivery-Lager tätig. Ich bin sozusagen die Zwi­ schenstelle zwischen Büro und Lager. Hauptsächlich sitze ich am Computer und kümmere mich um die verschiede­ nen Systeme. Das Leitsystem, das die Lkw koordiniert. Und die Kundenaufträge. Die Verbindung zwischen ­­ Büro- und Lagerarbeit, das liegt mir. Neun Stunden vorm Computer sitzen, das ist nichts für mich, ich bin gerne unterwegs. Irgendwas passiert im Lkw, dann werde ich in die Halle gerufen. Oder ich suche Ware im Lager, die der Fahrer nicht findet. Oder ich muss ins Büro raufgehen und dort mit den Kollegen sprechen. Ich habe auch einen guten Draht zu den Arbeitern. Als Ausgleich zur Arbeit mache ich Bodybuilding. 2018 bin ich österreichischer Meister im Junioren-Bodybuilding geworden, bald fliege ich zum Mister Universum – auf den Spuren von Arnold Schwarzenegger sozusagen.

Sammelgut, Teilladung und Komplettladung – ich habe schon alles gemacht, was mit Landverkehren zu tun hat: In Graz war ich hauptsächlich für den Verkehr nach Deutschland zuständig. Seit ich in Wien bin, betreue ich den Export von Teil- und Komplettladungen nach ­Benelux, Italien, Deutschland und Skandinavien. Ich komme zwischen 7:00 und 7:30 Uhr ins Büro und fange mit den E-Mails an. Dann sehe ich, ob die eigenen Lkw pünktlich sind, wie es mit Abladestellen aussieht. Ich überprüfe die Einsatzzeiten für die Fahrer, und dann geht die richtige Dispo los: Wie viele Ladungen habe ich? Brauche ich Fremd-Lkw, kann ich die eigenen neh­ men? Ich habe Spaß daran, wenn es einmal knifflig wird. Wenn du einen ­engen Termin hast und du schaffst es, weil du noch einen Lkw findest – das ist super! Jeder Tag ist eine neue ­Herausforderung. Mit fünfzehn habe ich mit der Lehre als Disponent angefangen, und ich habe noch nie den Wunsch gehabt, was anderes zu machen.


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Who is Michael Fuchs? Michael Fuchs is the most normal employee at Gebrüder Weiss. He is 38.1 years old, comes from Austria, has been with the company for 6.9 years and his workplace is a warehouse. He differs from the norm in one respect only: he does not exist. Mr. Fuchs is a purely imaginary individual with a profile based exclusively on averages. But averages reveal little about reality, and almost nothing about the vast majority of people working at Gebrüder Weiss. Herta Scherz 59 years old, including 30 years at Gebrüder Weiss, Haulage Invoicing, Vienna My ex-brother-in-law helped get me a job handling imports from Italy at Gebrüder Weiss in 1990 – because I could speak Italian. In those days everything was done by phone so I used my language skills every day. That was a wonderful period because the team was so tight-knit. We all knew each other. It was a smaller operation back then with about 350 employees in St. Marx. We used to do everything ourselves, except the invoicing. That’s out of the question these days. Now I handle the domestic invoicing (incoming and outgoing), domestic clearing and the domestic monthly settlement control (incoming and outgoing) in the administration department. Good relations with my fellow employees are the most impor­ tant thing for me in my work. We get along quite well, which keeps everything running smoothly. Nothing works like teamwork. Next year I have a hat trick coming up: 30 years at Gebrüder Weiss, my sixtieth birthday and retirement. Young people need the jobs. And there’s no progress without change. Change is always a good thing. It keeps you mentally fit. Josef Ehrenberger 33 years old, including twelve years at Gebrüder Weiss, Facility Service, Vienna I work at Facility Service East where I’m responsible for site extensions and new construction in Austria and the Czech Republic. It’s my job to ensure that the companies and tradespeople carry out the instructions of the Gebrüder Weiss Management Board. I interact with lots of people in my job and always need to focus on

finding solutions. I’m always performing a balancing act between keeping operations running and progressing the construction work. I like the variety. I don’t have a daily routine. Working in Maintenance alone didn’t suit me at all. I got that job through the former head of Construction Technology whom I knew quite well on a personal basis. The first three years were great for learning the ropes, but I was told at the outset that I would get the chance to change track at some stage. I find my current job really cool. It offers me a brand new perspective on the company. Markus Kruis 21 years old, including nine months at Gebrüder Weiss, Trainee, Vienna Home delivery is booming at Gebrüder Weiss. Here in Vienna we’re building a new storage hall. I’ve been working at the home delivery center for three weeks. I spend most of my time at my computer, managing the various systems: the control system coordinating the trucks, and the orders from our customers etc. I enjoy being the link between the administrators and the warehouse staff. Sitting at a computer for nine hours a day is not for me. I prefer being on the move. Something happens in a truck and I get called into the hall. Or I need to locate freight that a driver can’t find in the warehouse. Or I have to go up to the office to discuss something. I’m also on good terms with the workers. Bodybuilding is what I do in my spare time. In 2018 I was the champion junior bodybuilder in Austria. And soon I’ll be flying off to the Mr. Universe contest – following in the footsteps of my compatriot Arnold Schwarzenegger, so to speak. Manuel Fink 32 years old, including nine years at Gebrüder Weiss, Dispatcher, Vienna Groupage freight, partial loads, full loads – I’ve seen and done everything that has to do with land transport. In Graz I was mainly responsible for routes into Germany. Since coming to Vienna, I’ve been managing full and partial loads to Italy, Germany, Scandinavia and the Benelux countries. I arrive at the office between 7:00 a.m. and 8:00 a.m. and begin by processing emails.


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Gebrüder Weiss employees

After that, I see whether our own trucks are running on time and how the unloading bays are coping. Then I check how long our drivers have been on the road– I do all of this before the load planning even begins. How many loads do I have? Do I need third-party trucks, or can I get by with our own? I enjoy it when things get tight. If you have a tough deadline and you deliver on time because you’ve managed to find a spare truck somewhere: that’s a great feeling! Every day brings a new challenge. I started out at 15 training to be a dispatcher and have never felt the desire to do anything else. “Joe” Alfred Baborka 53 years old, including 30 years at Gebrüder Weiss, Haulage, Vienna The great thing about haulage is the variety. Four or five trucks a day need loading. The reality is that I spend my whole time handling incoming deliveries. Then there’s the art of fitting it all in, or at least as much as possible. There’s a good chemistry between the staff, and we always touch base with the drivers. I like all that. I need to be active, in the mix. We know each other well in the haulage team, including our strengths and weaknesses. We understand the work and are willing to pull out all the stops when time is short. What’s the fastest route? How much can I take in one go? Where are the long items? They take up most space and need to be stowed first. At the moment we have a team that meshes well, and I find that reassuring. It puts you in a positive frame of mind every morning. Isabella Hirsch 24 years old, including 1.5 years at Gebrüder Weiss, Transport Security, Vienna I’m currently studying for a Bachelor’s degree in Geography. A year and a half ago I applied to do an internship – a compulsory part of the program – at Gebrüder Weiss. And then I got stuck in the Transport Security department. There are four of us in our department, and I’ve been there from day one. It’s really exciting. Predictability and control are also important to me personally. I like knowing what to expect when I leave for work. That said, you can never be quite sure of anything in my department. We have a 40-hour week in the office but also provide on-call services for emergencies.

And the burden of responsibility takes its toll. After a week of being on call you are absolutely wrung out and happy to get some sleep. Flora Leung 31 years old, including one year at ­Gebrüder Weiss, Corporate Key Account, Vienna My husband is Austrian, so I moved here from Hong Kong 18 months ago. I’m a key account manager in Corporate Sales. My main focus is on China and Hong Kong, but I also liaise with European and Chinese companies and potential new customers. I’m free to allocate my time, but I do have to start early due to the time difference in Asia. What do I miss in Austria? The fact that the shops aren’t open on Sundays and even close early during the week. In Hong Kong I used to work until 9 p.m. and then do my shopping. And while I can place orders online after the shops close here in Vienna, delivery normally takes about two days. In Hong Kong, for example, I used to order fruit, even sliced fruit, and it would arrive within the hour. But I’ve adapted to the pace of life in Austria now. Maybe I was just a little complacent back then. Vlastimil Majtan 46 years old, including 8 years at Gebrüder Weiss, Air & Sea Transhipment, Vienna I’m a ramp foreman for Air & Sea. Three ramps here at the warehouse are “mine,” so to speak. The airport shuttle moving the import and export goods runs four times a day. I have to unload and load it, prepare the merchandise and check the dimensions etc. In between, the sea freight containers get unloaded and loaded and are then sent on their way. We certainly aren’t short of goods in Import! On Mondays, Air Freight used to send us between two and four metal pallets – the type used on aircraft. Nowadays some arrive every day, including eleven just yesterday. It doesn’t matter to me what’s on them – the work involved is always the same. But the regulations for air freight are very strict. And with sea freight we always need to take care that the center of gravity is in the middle or it might tip over. So the goods need to be secured, too. Now and again, when all’s quiet on the ramps, I turn into an all-rounder and do whatever I can to help my colleagues.


Gebrüder Weiss-Mitarbeiter

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»Joe« Alfred Baborka

Isabella Hirsch

53 Jahre, davon 30 Jahre bei Gebrüder Weiss, Rollfuhr, Wien

24 Jahre, davon 1,5 Jahre bei Gebrüder Weiss, Transport Security, Wien

Das Gute bei der Rollfuhr ist die Abwechslung. Vier, fünf Lkw am Tag, die beladen werden müssen. Eigentlich mache ich permanent die ganze Zeit nur Rollfuhr­ übernahme. Dann ist die Kunst, alles oder möglichst viel reinzukriegen. Zwischenmenschlich ist was los, mit den Chauffeuren sind wir im Austausch. Das mag ich, ich brauche ein bisschen Bewegung. Im Team bei der Roll­ fuhr kennen wir uns, wir kennen die Arbeit, da geben wir zusammen Vollgas, wenn es schnell gehen muss: Wo sind die kürzeren Wege, wie viele Sachen kann ich auf einmal nehmen, wo ist die lange Ware, die viel Platz ­blockiert, die muss sofort verräumt werden. Zurzeit haben wir ein Team, das funktioniert, und das beruhigt mich. Da kommst du mit einem guten Gefühl in die Arbeit.

Vor eineinhalb Jahren habe ich mich für mein Pflicht­ praktikum bei Gebrüder Weiss beworben, ich mache gerade meinen Bachelor in Geografie. Und dann bin ich in der Transport Security-Abteilung hängen ge­ blieben. Wir überwachen Transporte mit einem be­ sonders hohen Warenwert, hauptsächlich für einen Großkunden aus dem Technologiebereich. In der Abteilung sind wir zu viert, und ich war eigentlich von Anfang an dabei. Das ist schon spannend. Sicherheit ist mir auch persönlich wichtig: Ich bin froh, wenn ich in die Arbeit geh und weiß, was mich erwartet. Aller­ dings: In meiner Abteilung kann man da nie sicher sein. Wir arbeiten 40 Stunden im Büro und haben zusätzlich noch Rufbereitschaft. Und die Verantwor­ tung spürt man auf der Schulter, wenn man die Ruf­ bereitschaft nach einer Woche wieder abgibt. Da ist man richtig erschöpft und froh, wenn man ein biss­ chen Schlaf erwischt.

Flora Leung

Vlastimil Majtan

31 Jahre, davon 1 Jahr bei Gebrüder Weiss, Corporate Key Account, Wien

46 Jahre, davon 8 Jahre bei Gebrüder Weiss, Umschlag Air & Sea, Wien

Mein Mann ist Österreicher, deshalb bin ich vor 1 ½ Jah­ ren aus Hongkong hierhergezogen. Ich bin Key Account Managerin im Corporate Sales, mit dem Fokus auf ­China/Hongkong, und kümmere mich auch noch um potentielle Neukunden aus China, europäische und ­chinesische Firmen. Ich kann mir meine Zeit frei eintei­ len, allerdings muss ich früh anfangen, damit ich mich noch mit meinen Kollegen in Asien austauschen kann, bevor die Feierabend machen. Was ich hier in Österreich am meisten vermisse? Die Läden sind am Sonntag ge­ schlossen, und in der Woche haben sie auch nicht lange auf. In Hongkong habe ich bis 21 Uhr gearbeitet und konnte danach noch einkaufen. Und ja, auch hier in Wien kann ich nach Ladenschluss online bestellen, aber die Lieferfrist beträgt meist etwa zwei Tage. In Hongkong habe ich zum Beispiel Obst bestellt, sogar geschnittenes, und es wurde innerhalb von einer Stunde geliefert. Aber ich habe mich an den Rhythmus in Österreich ge­ wöhnt. Und vielleicht war ich früher auch einfach nur ein bisschen bequem.

Ich bin Rampenmeister Air & Sea. Drei Rampen hier im Lager gehören sozusagen mir. Viermal am Tag fährt der Flughafenshuttle, der bringt die Import-/Export-Ware. Das muss ich abladen und beladen und die Ware vor­ bereiten, Dimensionen prüfen. Dazwischen kommen und gehen die Container für die Seefracht, die müssen auch be- oder entladen werden. Ware haben wir im Import genug! Früher kamen von der Luftfracht immer montags zwei bis vier Luftfrachtbleche, spezielle Paletten für die Flugzeuge; heutzutage kommen täglich welche, gestern alleine waren es elf Bleche. Für mich ist es egal, was da drinnen ist, die Arbeit ist die gleiche. Aber die Luft­ fracht ist sehr streng. Und bei der Seefracht müssen wir berechnen, wie wir die Container beladen, damit der Schwerpunkt in der Mitte ist, damit es nicht kippt, die Ware muss entsprechend gesichert werden. Und ab und zu, wenn wirklich nichts geht an den Rampen, bin ich Allrounder, da kann ich andere Tätigkeiten übernehmen von den Kollegen.


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#normalbreakfast #normalbreakfast

#potatosandwich

#parsiporo

#india


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Warum ist die Banane krumm – aber die Gurke nicht? text  Miriam Holzapfel

Die Gurke ist ein Klassiker. Es ist nun bereits über 30 ­Jahre her, dass die EU die Verordnung mit der ­Nummer 1677/88/EWG erlassen hat. Darin wurde die ideale Beschaffenheit von Salatgurken als europäi­ sches Recht festgelegt. Gurken der Güteklasse Extra mussten »praktisch gerade« sein, die Klasse I erlaubte laut Verordnung eine Maximal­ krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter Län­ ge, was als noch »ziemlich gut geformt« gilt. Für Handels­ klasse II waren höchstens zwanzig Millimeter Krümmung erlaubt. Stärker gekrümmte Gurken schmecken zwar genau gleich, wurden durch die Verordnung aber zur Ausschussware. Die sogenannte Gurkenverordnung war ursprünglich ein Anliegen von Handelsverbänden und Agrarministern der Mitgliedsstaaten – und durchaus gut gemeint: Mit der Ver­ ordnung sollte ein Standard geschaffen werden, der europa­ weit vergleichbare Produkte garantiert. Gemüsehändler sollten nicht jede Gurke einzeln in die Hand nehmen müs­ sen, um sie zu begut­achten, sondern sich auf eine bestimmte Qualität verlassen können. Außerdem lassen sich gerade Gurken einfacher verpacken und transportieren, weil die immer gleich großen und gleichmäßig geformten Gurken besser in standardisierte Kartons passen. Also profitieren auch Handel und Spediteur. Gut gemeint ist aber bekanntlich nicht dasselbe wie gut gemacht. Die Gurkenverordnung wurde zum Symbol für die Bevormundung durch eine EU-Politik, die sich nicht mehr an natürlichen Gegebenheiten orientiert und etwa den ­Geschmack eines Lebensmittels zur Beschreibung heran­ zieht, sondern stur nach Standards richtet, die allein nach äußerlichen Merkmalen festgelegt sind. Als Folge der Ver­ ordnung glich in fast allen größeren Supermärkten Europas eine Gurke der anderen. Denn Gurken, die von den vor­ geschriebenen Standards abwichen, wurden weggeworfen und vernichtet, nur weil sie die falsche Form hatten – eine ungeheure Verschwendung. 2009 wurde die Verordnung deshalb wieder abgeschafft, obwohl mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten sie gerne ­behalten hätte – der Deutsche Bauernverband warnte gar vor »Wühltischen« im Supermarkt voll mit chaotisch gewachse­ nem Gemüse. Befolgt wird sie in europäischen Gewächshäu­ sern aber bis heute. Denn man hatte sich halt daran gewöhnt.


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Gerade Gurke

Was ist eine Norm? Die Gurkenverordnung ist ein Beispiel für Standardisierung, die vielleicht ein wenig über das Ziel hinausschießt. Inter­ nationale Normen, also vergleichbare und gemeinsame Min­ destanforderungen an Produkte, sind aber für den interna­ tionalen Freihandel von enormer Bedeutung und helfen den Unternehmen, ihre Produkte zu verbessern. Andere Normen beziehen sich zum Beispiel auf Arbeitsprozesse und legen unabhängig von Branche und Produkt einheitliche Standards für das Qualitätsmanagement in Unternehmen fest. Aller­ dings sind ISO-Normen keine Gesetze, sondern freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen, sich an eine be­ stimmte Richtlinie zu halten. Es kommt aber vor, dass natio­ nale Gesetzgeber Normen für rechtsverbindlich erklären. Wofür brauchen wir Normen? Eine Woche hat sieben Tage und beginnt mit einem Montag. Kleine grafische Symbole auf Waschetiketten sind welt­ weit einheitlich und werden deshalb überall verstanden. Container aus Asien passen auf europäische Frachter oder Züge. Wir können unsere Autos auch im Nachbarland an einer Zapfsäule betanken. – Normen prägen und erleichtern den Alltag an vielen Stellen. Es gibt nationale Normen, ­Normen innerhalb der EU sowie weltweit gültige Normen. Die »International Organisation for Standardization« (ISO) hat bislang mehr als 21.000 Standards veröffentlicht, die meisten haben einen europäischen Hintergrund. Vor allem für den Handel über Ländergrenzen oder Kon­ tinente hinweg haben ISO-Normen eine wichtige Bedeutung: Entlang der Lieferketten gibt es zahlreiche Schnittstellen, die untereinander kompatibel sein müssen, der Bedarf an Standards in der Logistikbranche ist dementsprechend hoch. In der EU ist zudem aber auch genau festgelegt, welche ­Kriterien eine Pizza Napoletana erfüllen muss: Sie darf in der Mitte höchstens 4 Millimeter dick sein und einen Durch­ messer von maximal 35 Zentimeter haben. Wie entsteht eine Norm? Grundlage für eine ISO-Norm ist zunächst der Bedarf, den jemand anmelden muss. In der Regel kommen solche ­Impulse aus der Wirtschaft. Ein Normenantrag wird über die nationale Normungsorganisation eines Landes eingereicht und von dort an die ISO weitergeleitet. Ein internationales ExpertInnenteam entwickelt daraufhin eine Norm, über die alle ISO-Mitglieder befinden. Die nationalen Institute für Normierung verabschieden neue Normen mit und kommen in der Regel aus der Privatwirtschaft. Das sorgt an einigen Stellen immer wieder für Kritik. Seit wann gibt es internationale Normen? Die ISO mit Sitz in Genf ist der internationale Dachverband der nationalen Normierungsinstitute von 161 Ländern. Seit über 70 Jahren entwickelt die ISO Richtlinien für Güter und Dienstleistungen, um sie international anzugleichen.

Vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs der Bedarf an einheitlichen Standards: Die beginnende Indus­trialisierung und Erfindungen wie die Telegrafie oder die Dampfschifffahrt von Europa nach Amerika machten den internationalen Austausch kostengünstiger und schneller, verlangten zugleich aber auch Vereinfachungen und Verbind­ lichkeiten, auf die man sich gemeinsam einigen musste. Incoterms® 2020 Für internationale Handelsverträge gibt es noch spezielle Vereinbarungen über Regeln und Pflichten von Käufern und Verkäufern: die Incoterms®. Sie werden von der Interna­ tionalen Handelskammer ICC veröffentlicht und legen fest, wer welche Risiken, Verantwortungen und Kosten trägt. Den handelsüblichen Vertragsformeln sind jeweils zehn Ver­ pflichtungen des Verkäufers und des Käufers zugeordnet, in denen u. a. die Beschaffung der Dokumente, der Abschluss von Beförderungs- und/oder Versicherungsverträgen sowie Ort und Art der Lieferung durch den Verkäufer festgelegt sind. Die ICC hat im September 2019 eine neue Version der Incoterms® veröffentlicht. Sie tritt ab dem 1. Jänner 2020 in Kraft. Alle wichtigen Informationen dazu finden Sie unter www.gw-world.com/de/incoterms

Miriam Holzapfel hat Kulturwissenschaften studiert und arbeitet als ­Redakteurin und Texterin. Sie betreut verschie­dene C ­ orporate ­Publishing-Projekte, so auch den ATLAS für Gebrüder Weiss.


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The straight and narrow TEXT

Miriam Holzapfel

Thanks to the European Union, the cucumber has become a symbol of bureaucratic officiousness. It has been more than 30 years since the EU adopted Regulation (EEC) No. 1677/88, in which the features of cucumbers became part of European law. On five pages of text, the document detailed those characteristics that allowed cucumbers to be classified by grade and category – based on their shape, coloring and the quality of their skin. Cucumbers aspiring to belong to the “Extra” class had to be “practically straight” while the regulation allowed their “Class 1” counterparts a maximum curvature of ten millimeters per ten centimeters of length – the criteria required to earn the rating “reasonably well shaped.” Twenty millimeters of curvature was the maximum prescribed for “Class 2” cucumbers. Even more crooked cucumbers were rejected for sale, despite tasting exactly the same. The regulation was originally suggested by trade associations and the member states’ ministers of agriculture. And it was genuinely well-intentioned. The idea was to create a standard that guaranteed consistent product qualities for dealers, food producers and ­consumers across Europe. Greengrocers would no longer have to examine every single cucumber by hand; they could rely on getting a specific profile of goods. Additionally, the straight cucumbers were easier to package and transport because, being of similar sizes and shapes, they fitted better in standard boxes. In other words, dealers and freight forwarding companies also had a lot to gain. Of course, the best of intentions does not automatically mean the best result. Decried as patronizing and ridiculously intrusive, the cucumber regulation came to epitomize the pedantic character of some EU policies: rather than being keyed to core qualities such as a product’s taste or flavor, it was stubbornly and exclusively based on external characteristics. As a result of the regulation, the cucumbers in almost all of Europe’s major supermarkets came to resemble clones. Non-compliant specimens were discarded and destroyed for the sole reason that they had the wrong shape – an outrageous waste of good food.

For this reason the regulation was promptly revoked in 2009, although more than half of the member states would have liked it retained. Germany’s federation of farmers went so far as to warn of bargain bins in supermarkets containing a jumble of bizarre-looking vegetables. But European vegetable growers still apply the regulation today. It had become normal practice to do so. What is a norm? The cucumber regulation is an example of standardization that some might consider excessive. International norms – in this case, comparable and shared minimum requirements – are not only of crucial importance for free international trade; they also help companies improve their products. Some norms govern work processes and stipulate standards that support quality management – standards that are consistent across different products and industries. However, ISO standards do not have the force of law; they encourage voluntary undertakings by companies to comply with specific guidelines. That said, governments occasionally declare them to be legally binding. Why do we need norms and standards? A week has seven days and begins on a Monday. Icons on fabric care labels are the same worldwide and therefore universally understood. Containers from Asia fit on European cargo ships and trains. We can refuel our cars at gas pumps in neighboring countries as well. ­Standards are ubiquitous features of our everyday lives, simplifying it in many ways. Their scope can extend to individual nations, the EU and the entire planet. To date, the International Organization for Standardization (ISO) has published almost 23,000 standards, most of which derive from European practices. ISO standards are particularly important for international and intercontinental trade. With so many interfaces along supply chains, consistency is crucial to ensuring compatibility. For this reason standards play a major role in the logistics industry. But the EU even specifies the criteria for a “normal” Naples-style pizza: it must be no more than four millimeters thick in the middle and have a diameter of 35 centimeters or less.


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Straight cucumber

How are standards created? The first step in defining any ISO standard is to establish its usefulness and detail its purpose. For the most part such initiatives originate in the world of commerce. A request is submitted to a national standards organization which forwards it to the ISO. An international team of experts then develops a standard which is appraised and assessed by all ISO members. In addition to the ISO, national standards organizations also institute new norms, most of which originate in the private sector. This practice has often proven contentious. How long have international standards existed? The need for standards increased significantly from the middle of the nineteenth century. Early industrialization, inventions such as tele­g­ raphy, and steam boat travel between Europe and America made international cooperation faster and cheaper, but also required simplified processes and commitments on which all parties could agree. For more than 70 years, the International Organization for Standardization has been developing standards for goods and services, with the aim of ensuring consistency around the world. Located in Geneva, this global body coordinates the work of the standards organizations in 161 countries. Incoterms®2020 A special set of rules exists to define the responsibilities of sellers and buyers engaging in international trade. Known as Incoterms®, they are published by the International Chamber of Commerce (ICC) and spell out which party bears which risks, responsibilities and costs. In the context of normal commercial practice, ten obligations each are prescribed for the sellers and buyers. These govern document procurement, transport and/or insurance agreements, and the location and method of delivery by the seller etc. In September 2019 the ICC published a new version of the Incoterms® which will go into effect on January 1, 2020. A summary of the key points can be found at www.gw-world.com/­incoterms  Miriam Holzapfel, studied Cultural Studies and works as an editor and copywriter. She manages an array of corporate publishing pro­jects including ATLAS for ­Gebrüder Weiss.


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Von Menschen und Meerschweinchen Frank Haas im Gespräch mit Norbert Sachser

Jeder Mensch ist einzigartig. Es gibt große und kleine, dunkelhäutige und hellhäutige, es gibt Teamplayer und Einzelgänger, sanftmütige und aggressive. Und ­zwischen allen Extremen liegen ungezählte Nuancen des Menschlichen. Wie aber sieht das bei Tieren aus? Sind die innerhalb einer Art nicht alle gleich? Delfin ist Delfin, und Meise ist Meise? Keineswegs, sagt der Verhaltens­ forscher Norbert Sachser. Professor Sachser, das Konzept der Normalität scheint auf Menschen schwer anwendbar zu sein, da kaum ­jemand tatsächlich einen statistischen Mittelwert reprä­ sentiert. Wie sieht das im Tierreich aus? In der Verhaltensforschung an Tieren ist Tierpersönlichkeit mittlerweile eins der wichtigsten Themen. Früher sagte man: Hier haben wir Stockenten, und da haben wir Krick­ enten, und dann gibt es noch die Mandarinenten. Und jetzt ­beschreiben wir mal, wie die sich verhalten. Dabei konnte dann etwas Typisches für die jeweilige Art identifiziert ­werden. Nach und nach sah man aber, dass innerhalb einer Art nicht alle gleich sind, dass wir gar nicht den Normaltypus der Art haben, sondern dass es einzelne Individuen gibt. Im Tierreich gibt es Persönlichkeiten, und zwar nicht nur bei Schimpansen, Delfinen oder Hunden. Auch bei Kohlmeisen und selbst bei Blattkäfern finden wir individuelle Charaktere. Der Fokus der Forschung hat sich dadurch stark verschoben: Der Mittelwert, also wie eine Population von Tieren sich verhält, ist gar nicht mehr so interessant. Was wir verstehen wollen, ist das Rauschen drum herum, die Variation. Zu sa­ gen, dass Normalität das ist, was die Mehrheit macht, ist kein biologischer Ansatz. Das heißt, die Variation eines Verhaltens kann ebenfalls normal sein? Ja, dafür gibt es schöne Beispiele, etwa den Birkenspanner. Das ist ein grau-weiß gesprenkelter Schmetterling, der auf Birkenstämmen sitzt, wo er aufgrund seines Aussehens gut getarnt ist. 1849 wurde dann in der Nähe von Manchester beobachtet, dass unter den Birkenspannern plötzlich eine abweichende Form auftrat, die völlig schwarz war. Diese

Norbert Sachser gilt als Weg­ bereiter der deuschen Verhaltens­ biologie. Er ist Professor an der Universität Münster. 2018 erschien sein Buch Der Mensch im Tier (s. ­S eite 79). Norbert Sachser, a professor at the University of Münster, is regarded as the pioneer of German behavioral biology. His book Der Mensch im Tier (“The Human Animal”) was published in 2018 (see page 79).

Abweichung von der Norm war eine Sensation – allerdings nur für kurze Zeit. Denn knapp 50 Jahre später sah die ganze Population so aus, und es gab kaum noch grau-weiß gespren­ kelte Exemplare. Was war da passiert? Die industrielle ­Revolution in England. Weil es keinerlei Umweltschutzmaß­ nahmen gab, waren die Birkenstämme auf einmal rußge­ schwärzt. Die schwarze Mutante hatte nun einen riesen Vor­ teil, weil sie viel besser getarnt war und von den Fressfeinden nicht mehr so gut gesehen wurde. Deshalb konnte sie sich erfolgreicher vermehren. Wenige Generationen später hatte sich das, was in dieser Birkenspanner-­Population ursprüng­ lich normal war, verändert: Es gab ganz überwiegend schwar­ ze Morphen. Dank verschiedener Umweltschutzmaßnahmen sehen die Birken jetzt wieder so aus, wie sie aussehen sollten, und da kommen nun vor allem wieder die grau-weiß ge­ sprenkelten Morphen vor. Es ist also gefährlich, etwas als normal oder als unnormal zu bezeichnen, nur weil das eine häufig ist und das andere selten vorkommt. Es kann sehr schnell gehen, dass innerhalb von wenigen Generationen das, was die Ausnahme war, plötzlich zur Norm wird – und umgekehrt. Und das Gleiche gilt ja auch für den Menschen? Wir erleben gerade starke Umbrüche in unserer Gesellschaft. Als Einzelner merkt man das vielleicht gar nicht immer, aber man steckt mittendrin. Wir können heute kaum prognostizie­ ren, was in 10, 15 oder 20 Jahren sein wird, wie genau unsere


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Menschen und Meerschweinchen

Welt dann aussieht. Und deshalb können wir auch nur schwer vorhersagen, wer in Zukunft die Lösungen für die Probleme unserer Gesellschaft bereitstellen wird. Das heißt, unsere Gesellschaft braucht eine möglichst große Diversität an Menschen. Und es wird sich zeigen, welche Individuen besonders gut geeignet sind, mit den Herausforderungen der Zukunft zurechtzukommen. Auf einen einzelnen gesell­ schaftlichen Typus zu setzen und diesen als normal zu defi­ nieren und zu fördern – das wäre katastrophal. Im Hinblick auf die Zukunft handeln – ist das eine Fähig­ keit, die dem Menschen vorbehalten ist? Was das angeht, sehen wir einen wesentlichen Unterschied zwischen Tieren und Menschen. Die bewusste Projektion in die Zukunft schaffen selbst die am weitesten entwickelten Tiere bestenfalls für ein paar Tage. Es wird in diesem Zusam­ menhang oft darauf verwiesen, dass ein Eichhörnchen doch im Sommer schon die Nüsse für den Winter sammelt. Aber das sind rein instinktive Programme, die genetisch verankert sind. Kein Eichhörnchen sitzt im Sommer irgendwo und sagt: Oh, in einem halben Jahr wird es kalt, jetzt muss ich losge­ hen, Nahrung sammeln und verstecken. Dieses Programm läuft weitestgehend ohne kognitive Prozesse ab. Aber zur Unterscheidung zwischen Normalität und ­Andersartigkeit sind Tiere in der Lage? Wenn wir als Menschen Normalität definieren, dann ist das eine kognitive Leistung. Dafür müssen wir uns in andere hineinversetzen, wir müssen uns selbst und die Welt reflek­ tieren können. Wer im Tierreich ist zu diesen kognitiven Leistungen fähig? So wie der Mensch das kann, kann es kein einziges Tier. Es gibt allerdings durchaus Tiere, die in der Lage sind, sich im Spiegel zu erkennen, was einjährige Kin­ der nicht können. Einige wenige sind außerdem in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen und die Welt aus der Sicht von anderen zu sehen und ihr Verhalten daran anzupassen. Da reden wir über Delfine, über Schimpansen, über Men­ schenaffen, über Elefanten und interessanterweise auch über einige Rabenvögel. Diese Leistungen reichen aber nicht aus, um ein Reflexionsvermögen zu haben, um tatsächlich kogni­ tiv etwas als normal oder nicht normal zu definieren. Ande­ rerseits sieht man bei Tieren, dass sie oftmals sehr aggressiv auf Abweichungen reagieren, ohne dass das jetzt an kogni­ tive Leistungen gebunden wäre.

Oben: Die Evolution folgt der Revolution: Nach der ­Indus­trialisierung war der Birkenspanner plötzlich ­überwiegend schwarz, heute ist er wieder gesprenkelt. Unten: Meerschweinchen ­können Konflikte auch mit ­eindringlichen Blicken lösen. Top: Evolution follows revolution. During the first decades of the Industrial Age, the peppered moth was typically black. Today it has regained its original speckled coloring. Bottom: A guinea pig can resolve a conflict simply with a withering stare.

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Tiere reagieren abweisend gegenüber Andersartigkeit … Ja, wenn Sie eine Gruppe von Tieren haben, von Schimpan­ sen, Hunden oder was auch immer, dann sind Gruppen­ mitglieder, die sich anders verhalten, oft Aggressionen aus­ gesetzt. Aber deswegen ist es noch lange nicht normal, sich so zu verhalten. Dieser Schluss wäre sehr gefährlich, und wir haben keine Evidenzen dafür, sondern sogar eher für das Gegenteil. Bei Meerschweinchen haben wir beobachtet, dass sich zwei fremde Männchen aus jeweils großen Kolonien bei einem Aufeinandertreffen nur anschauen. Die müssen nicht kämpfen, die müssen nicht drohen, es kommt nicht zu einer Erhöhung der Stresshormone, die arrangieren sich. Und das liegt nicht etwa daran, dass Meerschweinchen Haus­ tiere sind, die so gezüchtet wurden, dass sie das können. Wenn nämlich ein männliches Meerschweinchen, das nur als Paar mit einem Weibchen aufwächst, später einem frem­ den Männchen begegnet, dann sehen Sie bei diesem Tier ein hohes Maß an Stresshormonen und ein hohes Maß an Aggression. In der Adoleszenzphase, in der soziale Regeln gelernt werden, haben diese heranwachsenden Tiere keine Interaktionen mit alten dominanten Männchen gehabt. ­Deshalb wissen sie nicht, wie man klarkommt, ohne dass man droht und kämpft. Dagegen behalten Tiere, die dieses Verhalten in der Interaktion mit den älteren Männchen ­gelernt haben, das ein Leben lang bei. Sie können sich mit allen Fremden später arrangieren. Aggressives Verhalten gegenüber Fremdem ist also nicht instinktiv bei den Tieren verankert. Das Verhalten wird viel­ mehr dadurch bestimmt, in welchem sozialen Umfeld die Tiere groß werden und was in einer bestimmten Phase an Regeln gelernt wurde. Aus menschlicher Sicht finden wir es zu Recht besser, wenn wir Individuen haben, die sich fried­ lich arrangieren können und bei der Interaktion mit Fremden keine Stressreaktion zeigen. Aus biologischer Sicht sind aber beide Verhaltensweisen jeweils sinnvoll: Wenn ein Tier in einer großen Kolonie lebt, ist es natürlich gut, wenn es sich arrangieren und in den Sozialverband integrieren kann. Denn es muss warten, bis es in die hohen sozialen Positionen kommt. Geschlechtsreif werden die Tiere mit zwei bis drei Monaten, aber eine Alphaposition haben sie erst mit sieben oder acht Monaten. Bis dahin sind sie sehr friedlich, und mit friedlichem Verhalten kommen sie in eine höhere Position und können sich dann fortpflanzen. Das heißt, friedliches Verhalten bringt in einem großen Gruppenverband einen Vorteil. Wenn ein Meerschweinchen aber nur mit einem ein­ zigen Weibchen zusammenlebt, pflanzt es sich auch nur mit diesem einen Weibchen fort. Aus evolutionsbiologischer Sicht sollte so ein Männchen dann natürlich angreifen, wenn ein Fremder kommt, und das Weibchen verteidigen. Denn dann kann es sich weiter mit diesem Tier fortpflanzen und seine eigenen Gene weitergeben. In einer solchen Situation ist es biologisch gesehen das Sinnvollste, aggressiv zu sein gegenüber dem Fremden. In einer anderen Situation ist es das Sinnvollste, eben nicht aggressiv zu sein.


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Menschen und Meerschweinchen

Aggression ist ein Verhalten, das man an Menschen eher nicht so gern sieht, auch Eifersucht ist ein Gefühl, das gesellschaftlich stigmatisiert ist. Sollte man solchen Ge­ fühlen und Verhaltensweisen nicht mit mehr Akzeptanz begegnen, weil sie eigentlich ganz natürlich sind? Da müssen wir insgesamt aufpassen, dass wir nicht naturalis­ tische Fehlschlüsse ziehen. Nehmen Sie das Beispiel Kindes­ tötung im Tierreich. Löwen leben in Harems. Da stehen ­häufig zwei Männchen an der Spitze und leben mit mehreren Weibchen zusammen. Die Männchen werden alle zwei bis drei Jahre ausgetauscht, dann kommen neue. Und was ­machen die als Erstes? Die gehen hin und töten die noch nicht entwöhnten Jungtiere. Früher hat man das als Verhal­ tenspathologie interpretiert, als krankhaftes Verhalten. ­Heute weiß man, dass Löwen da durchaus evolutionsbiolo­ gisch sinnvoll handeln: Wenn Männchen einen Harem über­ nehmen, ist das Ziel, die eigenen Gene mit maximaler Effi­ zienz in die nächste Generation weiterzugeben. Solange die Löwinnen im Rudel aber noch säugen, haben sie keinen ­Eisprung und können nicht erneut trächtig werden. Beißen die Männchen die noch nicht entwöhnten Jungtiere tot, ­haben die Weibchen schnell wieder einen Eisprung, und die Männchen können sich fortpflanzen und ihre Gene weiter­ geben. Dieses Verhalten kennen wir mittlerweile nicht nur von Löwen, sondern von zahlreichen weiteren Arten. Man könnte also sagen, dass dieses Verhalten in der Natur normal ist. Daraus lässt sich aber noch lange nicht schließen, dass es ein Modell für unsere Gesellschaft sein könnte. Wir kön­ nen nicht einfach das, was uns im Tierreich passt, auf den Menschen übertragen und alles andere einfach weglassen. Wenn ich mir so ein Löwenrudel anschaue, frage ich mich, wer da eigentlich die ärmere Sau ist, die Löwin oder der Löwe? Was ist denn wissenschaftlich über den Stress im Gruppenverband bekannt? Wir sehen bei fast allen Tieren, die Gruppen bilden, Domi­ nanzhierarchien. Jetzt könnte man meinen, es sei ganz toll, Alpha zu sein, und eher schlecht, irgendwo weiter unten zu stehen. So einfach ist das aber nicht. Untersuchungen aus der freien Natur, bei denen die Konzentrationen von Stresshor­ monen gemessen wurden, haben gezeigt, dass Alphamänn­ chen keineswegs die am wenigsten gestressten Tiere sind. Es sind zwar die, die ihre Gene mit maximaler Effizienz wei­ tergeben. Aber eben auch die, die häufig an Managerkrank­ heiten leiden, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln wie Bluthochdruck und Arteriosklerose. Die halten ihren aufwendigen Dominanzstil nicht über lange Phasen durch. Auch hier aber unterscheiden sich tierliche von menschli­ chen Gesellschaften: Bei den Tieren kommt es primär näm­ lich nicht drauf an, möglichst wenig Stress zu haben und möglichst lange zu leben. Vielmehr geht es vor allem darum, sich möglichst erfolgreich fortzupflanzen. Wenn man das mit viel Stress am besten hinkriegt, dann machen die Tiere das mit viel Stress. Wenn man das mit Kriegführen hinkriegt,

wie die Schimpansen, dann eben so. Und wenn man dieses Ziel mit Kooperation erreicht, dann machen die Tiere das eben mit Kooperation. Ungeachtet der Strategie ist das Ziel immer, die eigenen Gene weiterzugeben. Kein Tier ist so programmiert, dass es die Art erhalten möchte. Also egal an welcher Stelle der Hierarchie, Alpha oder Omega oder was auch immer: Männchen haben Stress. In vielen Fällen ja. Und häufig haben sie etwas davon. Aber man muss auch fragen: Was ist mit den Weibchen? Die haben bei den Löwen die schlechteren Karten. Manchmal kämpfen sie gegen die Männchen, sind aber körperlich eindeutig schwächer. Manche Weibchen versuchen, mit ihren Jung­ tieren das Rudel zu verlassen, haben dann aber kaum Über­ lebenschancen. Hier sieht man, dass Männchen und Weib­ chen unterschiedliche Interessen haben. Wir haben in den letzten Jahren ganz generell gelernt, dass die Weibchen im Tierreich sich keineswegs passiv verhalten und nur gucken, welches Männchen in Kämpfen das stärkste ist, um sich mit diesem zu paaren. Ganz im Gegenteil, sie sind überaus aktiv und versuchen genau wie die Männchen, ihre Gene mit maximaler Effizienz in die nächste Generation weiter­ zugeben. Also ist dieses Verhalten offenbar allen Tieren gemein. Ja. Singvögel waren jahrzehntelang das Paradebeispiel für Monogamie und Treue. Dann kam – wie oft in der Wissen­ schaft – eine revolutionäre neue Technik: Vaterschafts­ analysen mithilfe des genetischen Fingerabdrucks. Damit zeigte sich beispielsweise bei Blaumeisen und Kohlmeisen, dass über 80 Prozent der Jungtiere im Nest gar nicht von dem Männchen stammten, das der Bindungspartner ist und die Jungen füttert. Dabei ging man zunächst davon aus, dass die Männchen fremdgehen, um ihre Fitness zu maximieren. Wenn man genauer beobachtet, sind es aber meist die Weib­ chen, die fremdgehen. Was steckt dahinter? Die gängige Theorie sieht so aus: Meist kommen die Männchen als Erste, besetzen die Reviere, und danach kommen die Weibchen. Und was soll ein Weibchen machen, wenn es die freie Wahl hat? Natürlich das beste Revier und das beste Männchen nehmen. Dann kriegt es die besten Ressourcen und die ­besten Gene. Für die meisten Weibchen kommt es dazu aber nicht, weil viele Reviere schon besetzt sind, wenn sie kom­ men. Also müssen sie ein etwas schlechteres Revier mit ­einem etwas schlechteren Männchen nehmen. Die besseren Gene aber können sie sich von den anderen Männchen ­holen. Und das ist offenbar exakt das, was die Weibchen machen. Es ist also so, dass es bei den Tieren eben nicht

Oben: Die Löwin ist die ärmere Sau unter den Tieren. Unten: Kuckuckskinder im Nest der Kohlmeise Top: The lioness is the poor relation in the pride. Bottom: When feeding the fledglings, the male great tit combines the roles of biological and foster father.



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darum geht, dass sich ein Männchen und ein Weibchen fin­ den, die dann ein perfektes Paar sind, sondern es gibt vorher­ sehbare Konflikte zwischen den Geschlechtern, wobei in der Regel die reproduktiven Entscheidungen von den Weibchen getroffen werden. Das hat man vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders gesehen. In Ihrem Buch nennen Sie einen sehr geringen Prozent­ satz an monogamen Tierarten … Von den Säugetieren sind es etwa 5 Prozent. Zu ihrer Ehren­ rettung sollte man aber sagen, dass unter monogamen Säu­ getieren Fremdbefruchtungen zwar vorkommen, aber relativ selten sind. Bei den Vogelarten dagegen sind fast 90 Prozent monogam, Fremdbefruchtungen zugleich extrem häufig. Die Vorstellung, dass viele Tiere monogam leben, ist also nicht viel mehr als eine menschliche Projektion. Das Tier ist demnach ganz und gar nicht der bessere Mensch? Sicher nicht. Wir haben viele Beispiele, dass Tiere kooperie­ ren, dass sie sich helfen, dass sie trösten, dass sie sich ver­ söhnen. Da haben wir in den letzten Jahrzehnten viel dazu­ gelernt. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass sie drohen, dass sie Kriege führen, dass sie vergewaltigen, dass sie töten. ­Tiere sind opportunistisch. Sie tun alles, um ihre Gene wei­ terzugeben. Und hier gibt es einen wichtigen Unterschied zum Menschen: Die Tiere kommen aus diesem Gen-Egois­ mus nicht raus, ich sehe das nicht. Auch nicht die Delfine, auch nicht die Schimpansen. Aber für den Menschen habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir zumindest theo­ retisch eine Chance haben, auch nach anderen Prinzipien zu handeln. Wir haben Gesetze, wir können auf bestimmte ­Ziele hin erziehen, wir können unsere Moralvorstellungen beeinflussen. Das heißt, wir müssten als Gesellschaft zu einer ganz anderen Form von Solidarität, Kooperation, Ver­ antwortungsbewusstsein fähig sein, als es Tiere sind. Mit anderen Worten: Der Löwe kann nicht anders als Löwe sein, der Mensch sehr wohl. Kann man eigentlich etwas von Ihren Untersuchungsmethoden in unseren Alltag übertragen? Sie schreiben beispielsweise, dass Sie bei Tieren häufig eine Art Speicheltest durchführen, um den Cortisolspiegel zu messen. Und Cortisolausschüt­ tung ist ein Ausdruck von Stress. Wäre es nicht gut, wenn wir Menschen so einen Test immer bei uns hätten und messen könnten, wie es uns im Hinblick auf Stress in verschiedenen Situationen geht? In der Psychologie ist das tatsächlich eine wichtige For­ schungsrichtung geworden. Und es gibt vergleichbare Unter­ suchungen, die parallel bei Menschen und Tieren durchge­ führt worden sind. In großen Gruppen von Meerschweinchen laufen etwa nicht alle wild durcheinander, sondern haben Bindungspartner, Lieblinge. Alle anderen Meerschweinchen in der Gruppe sind sozusagen Bekannte. Tiere, die sich ­untereinander noch nie gesehen haben, sind Fremde. Wenn

man nun ein Männchen aus der Gruppe nimmt und es allein in ein neues Gehege setzt, kommt es zu akutem Stress: der Cortisolspiegel geht steil nach oben. Setzt man ein fremdes Weibchen dazu, kommt es zu demselben Anstieg, ebenso bei einem bekannten Weibchen. Kommt aber die Bindungspart­ nerin dazu, ist die Stressreaktion nahezu verschwunden. Beim Menschen kommt man zu ähnlichen Ergebnissen: Beispielsweise gab man Menschen im Labor arithmetische Aufgaben, wie: »Starten Sie bei 1017 und ziehen Sie schritt­ weise 23 ab, bis Sie bei 0 sind. Wenn Sie einen Fehler ma­ chen, ­müssen Sie wieder vorne anfangen – ihr Vorgänger hat das in 45 Sekunden geschafft.« Damit kriegen Sie Stresshor­ mone nach oben. Wenn zu dieser Situation nun Ehepartner oder Bindungspartner mitgebracht werden dürfen, passiert bei den Männern genau das, was man auch erwarten würde: Die haben weniger Stressausstoß und eine bessere Perfor­ mance, wenn die Bindungspartnerin danebensitzt. Spannen­ derweise ist es bei Frauen genau umgekehrt. Wenn die ihre Männer mitbringen, gehen die Stresshormone weiter nach oben und die Performance wird schlechter – aus Gründen, die man diskutieren kann. Generell zeigt sich aber immer wieder, dass es große Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier gibt: Ein guter Bindungspartner ist das Beste, was man haben kann, wenn es um die Reduktion von Stress in be­ lastenden Situationen geht. Da kriegen Sie beim Menschen exakt dieselben Daten wie beim Meerschweinchen und bei vielen anderen Tierarten, die ebenfalls dazu untersucht wor­ den sind. Für alle Säugetiere einschließlich des Menschen gilt: Freundschaft, Bindungspartner, eingebunden sein in ein soziales Netz ist wohltuend, macht gesund, hält gesund, schützt gegen Stress. Wie würden Sie die philosophische Essenz Ihrer For­ schung beschreiben? Ist es ein Plädoyer für Diversität, also dafür, Vielfalt innerhalb eines Spektrums zuzu­ lassen? Ja, ganz klar. Dabei geht es aber nicht darum, dass jeder so divers wie möglich ist und macht, was er will. Spätestens wenn ich den anderen beeinträchtige, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehe oder sage, ist mir doch egal, was mit dem Planeten passiert, dann ist das nicht mehr in Ordnung. Wir sollten uns aber in unserer Gesellschaft insge­ samt für Diversität einsetzen und ihr mit mehr Akzeptanz begegnen. Die Gesellschaft wird die Diversität brauchen, um mit den zukünftigen Problemen, die auf uns zukommen, fertigzuwerden. Davon bin ich fest überzeugt.

Frank Haas ist Leiter Markenstrategie und Kommunikation bei G   ebrüder Weiss – und als Chefredakteur verantwortlich für den ATLAS .


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Of Guinea Pigs and Men Frank Haas interviews Norbert Sachser Professor Sachser, it would seem difficult to apply the concept of normality to humans because hardly anybody really embodies a statistical median. What’s the situation in the animal kingdom? Today personality has become one of the key focuses of research into animal behavior. In the old days we used to say “Those are mallards, that’s a teal and then there are wood ducks.” And now we tend to describe how the ducks behave. We’ve been able to identify something typical for each of the species. But over time we saw that not all the ducks in a species are “in a row,” that there are no normal types. Instead there are lots of individuals. There are different personalities in the animal world, and not only among chimpanzees, dolphins and dogs. We can see individual characteristics among great tits and even leaf beetles. As a result, the emphasis of research has shifted significantly: there is far less interest in the median, i.e. in how a specific animal population behaves. We want to understand the variations from the norm. Defining “normality” as what the majority does is not a tenable biological approach. That means that the variation of certain behavior can also be normal? Yes, there are good examples of this, like the peppered moth. This gray and white speckled moth is found on the trunks of birch trees – where it sits perfectly camouflaged against the bark. In 1849 a different incarnation of peppered moth was observed near Manchester, England: one that was completely black. This deviation from the norm proved a sensation – albeit only for a brief period. Because, before 50 years had elapsed, almost the entire population looked the same, and there were hardly any gray and white speckled specimens left. What had happened? The Industrial Revolution in England. Because there were no environmental protections, all of the tree trunks were blackened with soot. The black mutant then had a huge advantage because it was camouflaged far better and predators could not spot it. This meant that it could breed more successfully. So within a few generations, the norm in this population of peppered moths had been replaced, and the vast majority were black morphs. Today, thanks

to the improved air quality, birch trees once again look as they should, so once again the gray and white speckled morphs are seen most frequently. To sum things up: it’s risky to describe something as normal or abnormal on the grounds that one type is common and another rare. In a very short period of time – just a few generations – the exception can have become the rule, and vice-versa. And the same holds true of humankind? Society today is in severe upheaval. As individuals we might not always notice that, but it’s happening all around us. It’s all but impossible to predict how our world will look in ten, 15 or 20 years. And for this reason, it’s also difficult to know who will be able to solve the problems society faces in the future. In other words, our societies need to contain as diverse a range of people as possible. Only time will tell which individuals are particularly well suited to coping with the coming challenges. Pinning our hopes on one social type, defining this as normal and fostering it – that would be a catastrophe. Taking a proactive approach – is that skill the preserve of humans only? That’s an area where we can identify a significant difference between animals and humans. Even the most advanced animals can only consciously plan ahead for a few days. In this context people often reference squirrels that collect nuts for the upcoming winter. But these are purely instinctive reflexes that are programmed into their genes. No squirrel sits around in the summer and suddenly thinks, “It’s going to start getting chilly in about six months, so I’d better start gathering and ­stashing some supplies.” This course of action entails no real cognitive processes. But animals do have the ability to distinguish between normality and abnormality, don’t they? When we human beings define normality, it’s a cognitive act. To do that, we have to put ourselves in others’ shoes, we need to be able to reflect on ourselves and the world around us. Which other creature possesses similar skills? Not a single one can compare with a human in


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Of Guinea Pigs and Men

this respect. There are, however, animals that can recognize themselves in a mirror, something beyond the power of one-year-old babies. A few can even view the world through the eyes of other animals, as though empathizing with them, and adapt their behavior accordingly. We’re talking here about dolphins, chimpanzees, the great apes, elephants and – interestingly – some species from the crow family. However, these abilities are not sufficient to give them reflective faculties, the ability to consider issues, and therefore to cognitively identify something as normal or abnormal. On the other hand, we often see animals reacting very aggressively to things that are different, without that being a product of cognitive skills. Sometimes animals reject nonconformity … Yes. In a group of animals – chimpanzees, dogs or whatever – members of the group behaving differently are often subject to aggression. But that certainly doesn’t mean that this type of behavior is normal. That would be a dangerous conclusion to draw and we have no proof of that. In fact, there is more evidence to the contrary. We have observed that when two males from different large colonies of guinea pigs meet for the first time, they only eye each other up. They don’t feel the need to fight or threaten each other; their stress hormones aren’t elevated and they find ways of accommodating one another. And that has nothing to do with the fact that they are pets and have been bred to interact that way. For instance, if a male raised with a single female subsequently encounters an unknown male, it will display considerable aggression and increased levels of stress hormones. During adolescence, while patterns of social behavior are still being absorbed, these youthful guinea pigs have had no interaction with older, dominant males. As a result, the only way they know to respond is to threaten and attack a rival. By contrast, once guinea pigs have learned how to behave through previous interactions with older males, they are able to re-enact it for the rest of their lives. They retain the ability to co-exist with any unknown male that they subsequently meet. So animals’ aggressive behavior towards outsiders is not a product of pure instinct. Rather, it is conditioned by the social environment in which they grow up and the rules they have learned during a particular phase of their lives. From a human perspective, we rightly

condone people who can resolve confrontations peacefully and don’t display stress-related behavior when encountering unknown others. But from a biological perspective, both of these modes of behavior make good sense: if animals live in large colonies, it is obviously helpful to be capable of getting on with, and successfully integrating into, their social communities; after all, they will need to wait until they have moved up the pecking order. They become sexually mature within two or three months, but they only become alpha males or females after seven or eight months. Until then they are dovish, and that peaceful behavior allows them to mature, rise through the ranks, and then reproduce. So placidity is a benefit inside large social communities. However, if a male guinea pig lives with just a single female, it only breeds with that female. From an evolutionary perspective such a male would be expected to ward off a male intruder, so that it can continue handing down its own genes. Biologically speaking, aggression towards an outsider is the most sensible reaction in such a situation. But in a different situation, refraining from aggression might make more sense. Anger is a behavior that we disapprove of in society, and jealousy too is stigmatized. As they are very natural responses, should we not be more accepting of them in humans? We need to be careful not to draw the wrong naturalistic conclusions here. Take the example of infanticide in lions. Lions live in harems. There are frequently two males at the top living with several females. The males are replaced every two to three years. And what’s the first thing their successors do? They kill the cubs that have yet to be weaned. In the past this has been interpreted as a form of pathological behavior, as something sick and abnormal. Today we know that, viewed from the perspective of evolutionary biology, these males are acting absolutely sensibly. If males take over a harem, their goal is to hand down their own genes to the next generation as efficiently as possible. As long as the females in a pride are still lactating, they do not ovulate and therefore cannot become pregnant. If the males kill the cubs, the females soon start ovulating again, and the males can reproduce and pass on their genes. Today we know that this behavior is far from unique to lions; it is exhibited by numerous other species as well. So we could be saying


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that it is normal in the natural world. Which is certainly not to say that humankind should emulate it. We can’t simply adopt those animal behaviors that suit us and ignore everything else. When I observe a pride of lions, I ask myself which one – the male or female – is the poor relation. What do scientists know about stress levels within the social grouping? We observe so-called dominance hierarchies among almost all animals that form groups. Now, it would be easy to assume that being the alpha is great and being subordinate worse. But it isn’t that simple. Studies measuring the concentrations of stress hormones in the natural world have shown that alpha males are far from being the least stressed animals. They may be the ones that pass on their genes most efficiently, but they are also the ones that suffer most frequently from stress-related disorders, that develop cardiovascular problems such as high blood pressure and arteriosclerosis. Dominance is too strenuous to sustain for long periods. Yet here too animal and human communities differ: the main aim for animals is not to reduce stress levels and live as long as possible. Rather, their primary goal is to breed as successfully as possible. And if that demands an abundance of stress, then so be it. If they can achieve it by waging war – like chimpanzees – then they are up for it. And if they can breed most efficiently by cooperating, then all the better. The strategies pursued might differ but the objective is always the same: to pass on their own genes. No animal is “wired” to preserve its own species. So regardless of where they are in the hierarchy – alpha, omega or somewhere in between – males experience lots of stress. In many cases, yes. And frequently they benefit from it. But we mustn’t forget the females. What happens to them? In the lion hierarchy, they get dealt the worse hand. Sometimes they fight with males, but they are physically much weaker. Some females try to leave the pride with their young, but then their prospects of survival are slim. This shows that males and females often have competing interests. And in recent years, in very general terms, we have seen that females in the animal kingdom are far from passive bystanders that simply watch which male prevails in fights before mating with the

winner. On the contrary, they are very proactive and, just like males, seek to hand down their genes to the next generation as efficiently as possible. So this behavior is common to all types of animals? Yes, for decades the behavior of songbirds was seen as the supreme example of monogamy and loyalty. Then, as is often the case in science, a revolutionary new technology became available: paternity tests using DNA fingerprinting. This indicated that, among blue tits and great tits for example, over 80 percent of the fledglings in nests were not fathered by the female’s partner, i.e. the male that was feeding them. Initially researchers assumed that the males were being unfaithful so as to maximize their fitness. More thorough observations, however, reveal that the females are the ones that take the initiative. What’s happening here? The standard hypothesis runs as follows: usually the males arrive first and lay claim to a territory; only then do the females appear. And what does a female do if given a choice? Needless to say, she selects the best territory and best male. In that way it also gains access to the best resources and the best genes. However, the majority of females never encounter this situation because most territories already contain females when they arrive. So they have to content themselves with inferior territories and inferior males. They can, however, get the superior quality genes from the other males. And that, evidently, is exactly what they do. So it isn’t the case that a male bird meets a female bird and they then live “happily ever after.” Instead, predictable conflicts arise between the genders with the female typically deciding how it reproduces. Not so long ago scientists saw this very differently. Now, it would be interesting to know if a male great tit knows that it is not the biological father of most of its fledglings. That’s a fascinating question that has actually been researched. Somehow the males must realize this: it has been proven that the more offspring from other males is in its nest, the less food the acting fathers provide. In short, they put less effort into it. However, nobody knows how the males deduce the parentage of the chicks.


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Of Guinea Pigs and Men

In your book you state that the percentage of monogamous species is very small... Approximately five percent of mammals are monogamous. In their defense I would add that cross-fertilization among monogamous mammals exists, but it is relatively rare. By contrast, almost 90 percent of bird species are monogamous but cross-fertilization is exceptionally common. So the notion that lots of animals are monogamous is little more than a human attribution. And animals are in no way “uncorrupted human beings”? Most definitely not. There are lots of examples of animals cooperating, supporting each other, consoling each another, and making peace amongst themselves. We have learned a great deal about such phenomena in recent decades. At the same time we can also observe how they threaten each other, wage wars, rape and kill. Animals are opportunistic. They will do anything to pass on their genes. And in this respect they are significantly different to people: animals cannot escape their genetically programmed egotism. Not the dolphins, not even the chimpanzees. But I haven’t completely abandoned the hope that we humans – at least in theory – will determine our actions based on other principles. We have laws, we can aspire to specific ambitions, we can adapt our ethics. That means that, as a society, we ought to be able to engage in very different types of solidarity, cooperation and responsibility than those available to animals. In other words, leopards may not be able to change their spots but humans can. Is it possible to apply any of your investigative methods to our everyday lives? For example, you write that you often perform a kind of saliva test on animals to determine their cortisol levels; secreting cortisol is a symptom of stress. Wouldn’t it be good if people could carry around portable tests to measure how stressful we find different situations? That has already become a key area of research in psychology. And there are comparable studies that have been carried out in parallel on humans and animals. When in large groups, guinea pigs don’t move around arbitrarily; they have longstanding partners and favorites. Let’s characterize all of the other guinea pigs in the group as “known,” and those that have never seen each other before are “unknown.” If you

remove a single male from the group and isolate it in a new enclosure, it displays acute stress. Its cortisol level suddenly jumps. If you add an unknown female, the increase in cortisol is replicated, as it is with a known female. However, if you add the male guinea pig’s longstanding female partner instead, the stress level hardly increases at all. Research into humans produces similar results. For example, people in a laboratory were given mathematical assignments such as the following: “Starting at 1017, keep subtracting 23 until you reach zero. If you make a mistake, you have to start over – the last candidate did it in 45 seconds.” Challenges like this cause stress hormones to soar. However, if the male subjects’ spouses or partners are allowed to watch, the men respond exactly as you would expect: they exude less stress and perform better when the spouse or longstanding partner is nearby. Fascinatingly, the exact opposite is true of women. If their male partners are present, the women’s stress hormone levels climb sharply and their performance deteriorates. This again shows the great similarities between humans and animals. Having a good long-term partner is the best antidote to stress in difficult situations. You get exactly the same results in humans as in guinea pigs and many other species which have also been studied. The following conclusion can be drawn for all mammals, including humans. Friendship, long­ standing partners, and integration in a social network are all therapeutic. They promote a sense of well-being and good health, and protect against stress. How would you describe the philosophical core of your research? Is it a plea for diversity, i.e. for allowing variety in a given spectrum without immediately passing judgment? Yes, without a doubt. But the aim is not for us all to be as diverse as possible and do anything we want. The moment I encroach upon other people’s freedoms, ignore the very pillars of our legal system, or start saying “I don’t care what happens to the planet,” my position ceases to be acceptable. In the big picture, however, we should be fostering diversity in our society and practicing more tolerance. Society will need diversity if it wants to master the problems facing us in the future. Of that I am quite certain.  Frank Haas is Head of Brand Strategy and Communications at Gebrüder Weiss – and editor-in-chief of ATLAS.



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Nachgelesen  Reread Nachgelesen

China kappt Förderungen für E-Mobilität

China limits funding for e-mobility

In unserer Sonderausgabe 02/2018 haben wir über Elektro­ mobilität in China berichtet. Nun reduziert das Reich der Mitte die Förderung für Elektroautos und andere Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Bestehende Auflagen werden verschärft. Das entsprechende Förderprogramm, das 2016 aufgelegt wurde, soll 2020 auslaufen.

We reported on electric vehicles in China as part of our 02/2018 ATLAS Special. Now China is reducing its sub­ sidies for electric cars and other vehicles harnessing alternative drive systems. The rules and regulations are being tightened, and the funding program for cars that was ­introduced in 2016 looks likely to end in 2020.

Frankfurt rutscht ab, Singapur erneut an der Spitze

Frankfurt on the slide, Singapore at the top – again

Ebenfalls im ATLAS 02/2018 haben wir ein Interview mit einem Vertreter der Frankfurter Flughafengesellschaft ­Fraport veröffentlicht. Der Flughafen in Frankfurt stand zu diesem Zeitpunkt auf Platz 10 des internationalen Flug­hafenRankings der »World Airport Awards« von Skytrax. In die­ sem Jahr hat Frankfurt eine Top-10-Platzierung verfehlt und rutschte auf Platz 12 ab. Der Flughafen München verschlech­ terte sich das zweite Jahr in Folge und ist nun auf Platz 7. An der Spitze steht zum siebten Mal in Folge der Changi ­Airport in Singapur.

In our 02/2018 issue of ATLAS, we published an interview with a representative of Fraport, the company that operates Germany’s Frankfurt Airport. At that time, it ranked tenth in the World Airport Awards, the international league table of airports produced by Skytrax. This year Frankfurt has lost its top-ten status, finishing in twelth place. Similarly, Munich lost ground for the second year in succession, and now ranks seventh. By contrast, Changi Airport in Singapore retained its top spot for the seventh time in succession.

Breakdance wird tatsächlich olympisch

Breakdance really is going Olympic!

Als der ATLAS 01/2018 zum Thema Mode erschien, standen die Buenos Aires Youth Olympics noch bevor. Danach sollte entschieden werden, ob Breakdance zukünftig eine olym­ pische Disziplin werden soll. Tatsächlich hat nun die Vollver­ sammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) für die Aufnahme der Wettbewerbe im Breakdance ins Pro­ gramm der Sommerspiele 2024 in Paris gestimmt. Die end­ gültige Bestätigung erfolgt im Dezember 2020 durch das Exekutivkomitee des IOC.

When the “Fashion” ATLAS (01/2018) was published, the Buenos Aires Youth Olympics had yet to begin. After the Games, a decision was to be announced on whether ­breakdancing would become an Olympic discipline. And, lo and behold, the International Olympic Committee’s plenary session has now voted for its inclusion at the 2024 Summer Games in Paris. The IOC’s Executive Committee will be issuing final confirmation in December 2020.

Orange Eagle Kampagne

Orange Eagle Campaign

Der ATLAS 01/2018 stellte die neue Gebrüder Weiss-Landes­ organisation USA vor. Inzwischen ist die Zentrale in Chicago im Netzwerk gut integriert. Anfang Juni 2019 startete die »Orange Eagle«-Kampagne, die die Zusammenarbeit zwi­ schen den Regionen USA, Europa und Middle East stärken soll. Auf verschiedenen Kanälen präsentiert der Adler Infor­ mationen zum kontinentübergreifenden Netzwerk und zu dem Leistungsspektrum des Logistikers. www.gw-world.com/de/orange-eagle/

The Atlas 01/2018 edition introduced the new Gebrüder Weiss country organization in the United States. By now its Chicago headquarters has been firmly integrated in the network. In June 2019, the Orange Eagle campaign was launched to boost cooperation between the USA, Europe and the Middle East. Spanning multiple communication channels, Orange Eagle will provide information about the group’s intercontinental network and range of services. www.gw-world.com/orange-eagle/


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Gold und Grand Prix für die ATLAS -­ Sonderausgabe bei den BCM-Awards

Gold and Grand Prix for ATLAS Special at the BCM Awards

Das Beste nicht nur zu erwarten, sondern tatsächlich auch zu bekommen, ist eine große Freude: Bei den Oscars der Cor­ porate-Publishing-Branche, den Best of Content Marketing (BCM) Awards, wurde der ATLAS 02/2018 mit Gold ausge­ zeichnet – und darüber hinaus mit einem Grand Prix für be­ sonders herausragende Arbeiten, den die Jury in diesem Jahr erstmals vergeben hat. Bei Europas größtem Award für ­inhaltsgetriebene Unternehmenskommunikation ging der ATLAS mit rund 700 anderen Einreichungen ins Rennen.

Aspiring to be good is exciting enough, but being best is even better! The 02/2018 issue of ATLAS reaped gold at the Best of Content Marketing (BCM) Awards, effectively the Oscars of the European corporate publishing industry. Moreover, for its outstanding quality it also garnered a Grand Prix – an accolade the jury presented for the first time this year. Some 700 entries in total were submitted for the continent’s highest award in content-based corporate communications. HOFFNUNGEN: KASACHSTAN

Almaty

DIE WELT BEWEGT: DAS MAGAZIN VON GEBRÜDER WEISS

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HOFFNUNGEN: ÖSTERREICH

Österreich

Kasachstan B   ereit für den   Aufschwung

SONDERAUSGABE 2018

Kasachstans Tor zur Neuen Seidenstraße

47

Schön und gut

Bludenz, Feldkirch, Graz, Hall / Tirol, Innsbruck, Kalsdorf, Kennelbach, Lauterach, Leoben, Leobendorf, Leopoldsdorf, Linz-Hörsching, Maria Lanzendorf, Maria Saal, Pöchlarn, Salzburg, Sulz, Wels, Wien, Wien-Schwechat, Wolfurt, Wörgl

20 Fragen an Stefan Sagmeister über Schönheit und Funktion, Österreich und Amerika

Naziyam Ibragimova fühlt sich in Khorgos schon ganz wohl.

text und interview: Andreas Uebele

HOFFNUNGEN

GW-STANDORTE /

EXPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Erdöl Nichteisenmetalle Eisen und Stahl

1/9 LANDESSPRACHE

Kasachisch, Russisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Nahrungsmittel Eisen und Stahl

30,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,40 °C LANDFLÄCHE

272.490 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

97.418 km / 14.767 km AUSSENHANDELSQUOTE

61,80 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1991:  16. Dezember TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Samsa – traditionell im Tandoor-Ofen gebackene Teigtaschen, meist mit Pferde- oder Hammelfleisch gefüllt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Mukhtar Auezov: »Abai Zholy«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Hartweizen

Auf der Seidenstraße kamen einst Stoffe, Porzellan und exotische Gewürze aus China nach Europa. Moscheen und Medressen in Zentralasien zeugen noch heute vom Glanz einer Zeit, da der Handel zwischen Orient und Okzident ganzen Regionen zu Wohlstand verhalf. Diesen Mythos will China wiederbeleben – mit der »Neuen Seidenstraße« und Investitionen von mehr als einer Billion Euro. Ende 2013 brachte Chinas Staatschef Xi Jinping das gigantische Infrastrukturprogramm auf den Weg, die »Belt and Road Initiative« (BRI ). Längst sprengt die BRI die Pfade seines mittelalterlichen Vorbilds, denn China investiert weltweit in den Ausbau von Transportwegen. Auch der Kasache Zhenis Turkiya will von dem Mammutprojekt profitieren. Er ist Investor und Bauherr eines Hotelund Shoppingkomplexes in Khorgos, auf dem Gelände des sogenannten Internationalen Zentrums für Grenzzusammenarbeit ICBC . »Wir sind hier eine der ersten Investoren aus Kasachstan und es gibt sicher viele Risiken«, sagt Turkiya. »Aber es bieten sich auch unheimlich viele Möglichkeiten.« Khorgos ist Kasachstans Tor zu Neuen Seidenstraße, rund 1.500 Kilometer südöstlich der kasachischen Hauptstadt Astana. Das ICBC ist ein 800 Hektar großes Territorium rund um den kasachisch-chinesischen Grenzübergang – die Basis für gemeinsame Wirtschaftsprojekte beider Länder, mit visafreiem Regime in beide Richtungen und Steuervergünstigungen. Turkiyas Hotel soll 180 Zimmer haben und Geschäftsleute wie Touristen gleichermaßen anziehen. Auch Casinos, eine Rennbahn, Wellness-Tempel und Schönheitskliniken sind geplant. Noch ist davon kaum etwas zu sehen. Während in den vergangenen Jahren auf chinesischer Seite in Khorgos eine komplett neue Stadt entstand, sieht man diesseits der kasachischen Grenze bislang noch eine riesige Baustelle. Turkiya will das Hotel dennoch 2018 fertig bauen. »Kasachstan ist oft zögerlich, Genehmigungen zu erteilen«, sagt er. »Das verstehe ich nicht, denn wir haben ein Riesenpotenzial, auch eigene Produkte nach China zu verkaufen.«

20 Kilometer weiter funktioniert die Logistik auf der Neuen Seidenstraße schon recht gut. Der »Dry Port Khorgos« ist ein Umschlagplatz, an dem Container wegen unterschiedlicher Spurbreiten von chinesischen Zügen auf kasachische Züge umgeladen werden. Bisher dauerte es 45 bis 50 Tage, um chinesische Güter auf dem Seeweg nach Europa zu senden. Auf dem Landweg über Kasachstan ist die Transportzeit halb so lang. Auch wenn die Kosten dafür bis zu zehnmal so hoch sind, lohnt sich das für viele Kunden. Naziyam Ibragimova ist PR -Managerin beim Dry Port Khorgos und führt regelmäßig Besucher über das Gelände mit den markanten gelben Containerbrücken. Die 25-Jährige ist überzeugt, dass Khorgos der ganzen Region hier im äußersten Südosten Kasachstans zu einem Aufschwung verhelfen wird. Ibragimova stammt aus der Region, lebte jedoch mehrere Jahre in Almaty. »Ich selber hätte das nie gedacht, aber ich bin aus der Stadt zurückgekehrt, weil ich hier ein besseres Arbeitsangebot hatte«, sagt sie. Ihr Arbeitgeber hat ihr eine Wohnung in Nurkent besorgt, einer Satellitenstadt wenige Kilometer entfernt, die nur für Angestellte des Dry Ports gebaut wurde. Bisher leben hier 1.200 Einwohner, geplant ist die Stadt jedoch für 100.000 Menschen. Trotz der etwas trostlosen Umgebung – direkt hinter Ibragimovas Plattenbau beginnt die Steppe – freut sich die junge Frau, hier zu sein. »Wir wohnen mietfrei und haben alles, was wir brauchen, Kindergarten, Schule, Geschäfte.« Zwischen dem Dry Port und Nurkent fährt täglich ein Shuttle-Bus – auch der ist kostenlos. Über eine Rückkehr in die Stadt denkt Ibragimova nicht nach. Und auch Investor Turkiya ist bereit, auf Hotelgäste zu warten, falls nötig. Selbst wenn die Träume Kasachstans auf einen schnellen Boom der Region um Khorgos nicht ganz so rasch umgesetzt werden, wie anfangs geplant – das Tor zur Neuen Seidenstraße steht offen.

rund 295 km

rund 1.655 km

text: Edda Schlager

GW-STANDORTE /

EXPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Maschinen und Fahrzeuge bearbeitete Waren chemische Erzeugnisse

38/3.046 LANDESSPRACHE

Deutsch und regional: Slowenisch, Kroatisch, Ungarisch DURCHSCHNITTSALTER

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

Maschinen und Fahrzeuge bearbeitete Waren sonstige Fertigwaren

44 Jahre NATIONALFEIERTAG DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,35 °C LANDFLÄCHE

83.882 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

133.597 km / 4 .937 km AUSSENHANDELSQUOTE

100,60 %

Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes 1955: 26. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Leberkässemmel – eine Scheibe von einer Art Brühwurst in Käselaibform im Brötchen BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Robert Seethaler: »Der Trafikant« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Mozartkugeln, Mannerschnitten

Was hat Logistik mit dem österreichischen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig zu tun? So einiges. Das Verstauen von Gütern und die Zustellung zum vereinbarten Zeitpunkt sind ein ästhetischer Akt: Man kann Pakete, Kisten oder andere Objekte einfach irgendwie in den vorhandenen Stauraum stopfen – oder sinnvoll packen, dicht und platzsparend. Die Ordnung, die so entsteht, ist praktisch, weil der Raum optimal genutzt ist und nichts verrutscht oder beschädigt wird. Außerdem sieht sie besser aus als eine chaotische Beladung und erfreut die Empfängerin oder den Empfänger, wenn alles heil und pünktlich angekommen ist. Und das ist die Brücke zum besagten Pavillon, im Jahr 2018 gesponsert von Gebrüder Weiss. Der österreichische Pavillon auf dem Gelände der Biennale in Venedig wurde erbaut von Josef Hoffmann, einem der wichtigsten Vertreter der österreichischen Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie ist, wenn man so will, eine Architektur des ästhetischen Funktionalismus: Die Gebäude sind schön – und gleichzeitig funktionieren sie sehr präzise. Dieses Prinzip wird in einer temporären Installation im österreichischen Pavillon fortgesetzt. Ein großes, rosafarbenes Gleichzeichen, das in den Boden eingeschnitten ist, verbindet dort zwei Räume, in denen typografische Filme an die Decke projiziert werden, der eine zu Schönheit (Beauty), der andere zu Funktion (Function). Schönheit ist gleich Funktion, so die Aussage des amerikanischen Designbüros Sagmeister  & Walsh, das diese Installation gestaltet hat. Gründer des Büros ist der Bregenzer Stefan Sagmeister. Das Nachdenken über das Zusammenspiel von Schönheit und Funktion hat eine lange Tradition. Der Satz »Form follows function« von Louis Sullivan beschreibt, dass Schönheit, oder genauer: eine schöne Form, dann entsteht, wenn sie aus der Funktion entwickelt wurde. Diese Aussage verdichtete der Architekt Adolf Loos zu »Ornament und Verbrechen« und meinte damit, dass Zutaten, die nicht der Funktion dienen, schlichtweg hässlich seien. – Wir wünschen uns ein schönes Haus und wollen es auch bequem bewohnen können. Aber ist Schönheit denn tatsächlich untrennbar mit Funktion verbunden? 20 Fragen an Stefan Sagmeister.

1. Du vertrittst Österreich dieses Jahr auf der Biennale, lebst aber seit 27 Jahren im Ausland. Was ist österreichisch an dir? Ich habe alle meine wirklich prägenden Jahre in Österreich verbracht, bis 18 in Vorarlberg und dann bis 23 in Wien. Obwohl ich New York als meine Heimat bezeichnen würde, fühle ich mich als Österreicher – und nicht als Amerikaner. Ich bin mit einer Green Card hier und bin nie Staatsbürger geworden. Die kurze Antwort auf »Was ist österreichisch an dir?«: alles. 2. Schönheit = Funktionalität ist das Thema eurer Arbeit. Kannst du mir Alltagsbeispiele nennen? Wir sind in unserem Studio durch Erfahrung darauf gekommen, dass die resultierende Arbeit umso besser funktioniert, je mehr wir die Form ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken. Das lässt sich an zahlreichen Beispielen nachvollziehen: All die funktionalen 70er-Jahre-Wohnblöcke, die in den 90ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand mehr darinnen wohnen wollte – die hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit während der Planungsphase ein Teil des Ziels gewesen wäre. 3. Wo fehlt dir Schönheit? Überall. Im Alltag. Online. Überall. 4. Gibt es Schönheit ohne Funktionalität? Aber ja, und wie! Massenweise! Der größte Teil aller Kunst hat keine oder nur geringe Funktionalität, sie ist. Sie muss nichts tun, nichts können. Der französische Philosoph Theophile Gautier glaubte sogar, dass Funktionalität die Schönheit verhindert. Er meinte, dass nur etwas, das nicht funktioniert, schön sein kann. Das funktionalste Zimmer im Haus? Das Klo. 5. Oder Funktionalität ohne Schönheit? Ja, die gibt es auch. Eine Autobahnabfahrt funktioniert wunderbar – die ideale Kurvatur, um eine Schnellstraße zu verlassen. Aber schön ist die nicht. Die meisten Menschen sind sich darüber einig, dass Autobahnabfahrten nicht schön sind, darum verbringt niemand den Urlaub dort und es gibt keine Hotels unter Autobahnabfahrten. Aber das könnte sich ändern, wenn eine solche Abfahrt mit Liebe und Sorgfalt gestaltet werden würde.

Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Ailyana Aletova

Norbert Sachser: Der Mensch im Tier

Kathrin Passig: Handbuch für Zeitreisende Zeitreisende

Säugetiere trauern, und sie tricksen; sie sind einfühlsam, lernen und kommunizieren oft auf hohem Niveau. Sie freuen und sie ärgern sich – mit denselben Reaktionen von Körper und Gehirn wie bei uns Menschen. Tiere haben eine Per­ sönlichkeit. Norbert Sachser präsentiert seine Forschungen und den letzten Stand des Wissens. Lesen Sie das Interview mit Norbert Sachser auf Seite 67 in diesem Magazin.

Kathrin Passig schreibt als Sachbuchautorin unter anderem über unseren Umgang mit Veränderungen. Ihr Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt ist bislang auf Spanisch, Koreanisch, Slowakisch, Tschechisch, Polnisch, Kroatisch, Russisch und Finnisch erschienen. Zum Blog »Techniktagebuch« gibt es regelmäßig Buchfassungen, die letzte trägt den Titel Wenn du nur eine Apollo 11 hast, sieht alles aus wie ein Mond. Ab Frühjahr 2020 wird ihr Handbuch für Zeitreisende zu haben sein. Lesen Sie auch auf S. 37.

Mammals actively mourn – and sometimes they simulate; they are sensitive; they often learn and communicate in highly sophisticated ways. They can be happy and get angry – exhibiting the same physical and mental responses as human beings. Animals have personalities. Norbert Sachser presents his research and the latest scientific findings. See also on page 73.

Norbert Sachser Der Mensch im Tier, Rowohlt Verlag, ISBN 978-3-498-06090-9

Kathrin Passig is a writer whose non-fiction work addresses issues such as how we deal with change. Her book Lexikon des Unwissens – Worauf es bisher keine Antwort gibt (“Encyclopedia of Ignorance – Everything We Don’t Know So Far”) has appeared in Spanish, Korean, Slovakian, Czech, Polish, Croatian, Russian and Finnish to date. Book versions of the Techniktagebuch have also been published regularly, most recently “If you only have an Apollo 11, everything looks like a moon.” Her “Handbook for Time Travelers” will be available from spring 2020. Read more on page 39.


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#normalbreakfast

#peanutbuttercrunch

#sweden


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Der ganz normale Wahnsinn text  Kerstin Kloss

Harry Stiastny, Logistikleiter bei Gebrüder Weiss, ist seit 38 Jahren im Unternehmen – den Trend zu immer mehr Spit­ zen (»Peaks«) beobachtet er aber erst in jüngster Zeit. »Es geht um die Beherrschbarkeit des Chaos, wenn alles in ein kleines Zeitfenster reingebracht werden muss«, sagt er gut gelaunt. Sein Beispiel ist der »Single’s Day« am 11. Novem­ ber, der umsatzstärkste Online-Shopping-Tag der Welt: »Ganz China spielt verrückt und bestellt innerhalb kürzester Zeit Waren ohne Ende. Die Bestellungen sind in der Logistik­ kette aber nicht an einem Tag erledigt«, weiß Stiastny. Der ganz normale Wahnsinn sieht zum Beispiel so aus: JD.com, der größte Retailer in China, machte vom 1. bis

Die Nachfrage schwankt, mal ist Blau gefragt, mal Rot. Demand varies: sometimes blue is “in” and sometimes red.

Seit fast vier Jahrzehnten ist Harry Stiastny bei Gebrüder Weiss: Er ­absolvierte seine Ausbildung zum Speditionskaufmann dort und be­ gleitet das Logistikgeschäft des ­Unternehmens von Anfang an. Er verantwortet den Bereich als Head of Corporate Logistics seit 2003. Harry Stiastny has been with ­Gebrüder Weiss for almost four decades: he completed an apprenticeship as a freight forwarding agent there and has been working in its logistics operations from the very outset. Since 2003 he has been Head of Corporate Logistics.


Die Lager müssen sich auf immer häufigere Peaks einstellen. The warehouses need to accommodate increasingly frequent peak periods.

11. November 2018 einen Umsatz von 23 Milliarden US­ Dollar. Der chinesische Online­Händler Alibaba kam an einem einzigen Tag auf 30,8 Milliarden US­Dollar. Inzwi­ schen ist das Shopping­Festival nach Europa überge­ schwappt, genauso wie der »Black Friday« und »Cyber Monday« aus den USA. Die Weihnachtssaison beginnt im Konsumgüterbereich bereits früh im Herbst. Vier bis fünf Monate vor dem Fest steigen die Seefrachtraten der Reede­ reien, die volle Container aus Asien nach Europa bringen und die Warenlager füllen. »Die Kunst liegt darin, die hohe Nachfrage bei diesen Peaks abzufedern, damit nicht unnötig viele Kapazitäten das restliche Jahr über ungenutzt bleiben«, erklärt Christian Kille von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würz­ burg­Schweinfurt. Der Professor für Handelslogistik be­ schäftigt sich mit den normalen Schwankungen entlang der Lieferkette, dem Bullwhip­ oder Peitscheneffekt. Kille hat den Wochenverlauf im Blick: »Montags schlagen die Bestel­ lungen des Wochenendes in der Logistik auf.« Dieser erwart­ bare Peak wandert bei Feiertagen zu anderen Wochen­ tagen – und schon wird es knifflig: »Es kommt in der Bereit­ stellung von Personal zu Herausforderungen«, weiß Kille. Das gilt besonders für Ostern oder Weihnachten. »Für uns ist es normal, dass wir vor Weihnachten im Lager Samstag und Sonntag arbeiten und Montag früh um 3 Uhr anfangen«, sagt Stiastny. Die immer häufigeren Spitzen in der Logistikkette federt Gebrüder Weiss mit Schicht­ modellen für verlängerte Betriebszeiten und durch flexible Arbeitszeiten mit Zeitkonten ab. »So können unsere Be­ schäftigten bei Schwankungen flexibel agieren«, erklärt der Cheflogistiker. Permanente Spitzen und Flauten in der einen Branche stehen Branchen mit gegenläufigen Peaks gegenüber. Gebrüder Weiss betreibt daher Multi Customer Warehouses,

in denen Sportartikel beispielsweise mit Produkten für die Baustoffindustrie gemeinsam eingelagert werden. In einem Regal lagern Skier und fünf Meter daneben Dachrinnen, Schrauben oder Metallteile, Winterartikel neben Sommerware. Knackpunkt ist jedoch die Kapazitätsvorausplanung: Je früher ein Vertrag vereinbart wird, desto besser lassen sich Peaks planen. »Deshalb schließen wir als externer Dienst­ leister auch Jahreskontrakte mit Reedereien und suchen uns Kunden, mit denen wir das nutzen können«, erklärt Stiastny. Bei Gebrüder Weiss profitieren Kunden mit längerfristigen Verträgen. Stiastny unterstreicht: »Wir haben nur dann eine Chance, unsere Kapazitäten optimal auszulasten oder zu­ sätzlich am Markt zu sichern, wenn wir wissen, wie stark die normale Schwankung beim Kunden ausfällt.« Dafür braucht der Logistikleiter regelmäßigen aktuellen Informations­ austausch über die Absatzplanung, einen sogenannten »Forecast«. Noch einen Trend beobachtet Stiastny: »dynamic pri­ cing«, bekannt von Flugbuchungen bei Airlines: »Ich gehe davon aus, dass wir auch in der Logistik in Zukunft immer mehr dynamische Preismodelle je nach Angebot und Nachfrage haben werden. Je früher der Kunde weiß, was er braucht, desto mehr kann er von Kapazitäten und besseren Preisen profitieren.« Und dann sind auch diese Schwankun­ gen vielleicht bald schon normal.

Kerstin Kloss arbeitet als freie Journalistin mit Schwerpunkt Logistik in Hamburg. Sie schreibt u. a. für DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung, ITJ International Transport Journal, VerkehrsRundschau und ChinaContact.


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The new normal TEXT

Kerstin Kloss

There are increasing numbers of peak ­periods in the supply chains managed by Gebrüder Weiss. Flexible working hours, advance capacity planning and dynamic pricing models help meet this challenge. Logistics manager Harry Stiastny has been working at Gebrüder Weiss for 38 years. But he hadn’t experienced today’s growing number of peaks until recently. “Our task is to ensure we can manage the chaos that ensues when everything gets squeezed into a very small window,” he says with a smile. He cites “Singles Day” – November 11, the day with the highest online sales in the world – as one example of the frenzy. “The whole of China goes berserk with people splurging on absolutely everything within a 24-hour period. The orders may enter the supply chain but they aren’t all processed that same day,” Stiastny says. He knows what he’s talking about. This is how the new normal can manifest itself: JD.com, China’s largest retailer, posted sales of 23 billion U.S. dollars during the first eleven days of November 2018. Its e-commerce rival Alibaba sold goods worth 30.8 billion U.S. dollars in a single day. The online shopping binge is fast taking hold in Europe too, as are Black Friday and Cyber Monday from the United States. The Christmas market for consumer goods powers up in early fall. Four or five months before the holiday season, sea freight prices pick up at the shipping lines that transport containers from Asia to Europe. Warehouses too begin to fill up in September. “The trick is to spread the high peak demand and thereby reduce excess capacity during the rest of the year,” explains Christian Kille from the University of Applied Sciences in Würzburg-Schweinfurt. The professor of commercial logistics is an expert on the so-called bullwhip effect, the standard pattern of fluctuation that occurs in distribution channels. Kille maps out a typical week: “On Monday the logistics managers receive the preceding weekend’s orders.” But this predictable peak can also shift to other weekdays following public holidays – and that’s when the problems start mounting. “The shortfalls in personnel are a challenge,” Kille explains. That is doubly true at Easter and during the holiday season.

“We normally spend the Saturday and Sunday before Christmas in the warehouse, and then resume work again at 3:00 a.m. on the Monday,” says Stiastny. Gebrüder Weiss cushions the increasingly frequent peaks in the logistics chain with new staffing rotas tailored to extended operating hours – and with flexitime and working time accounts. “These allow our staff to respond dynamically to fluctuations,” the logistics pro says. Different industries may have regular peaks and lulls, but these don’t necessarily coincide. For this reason Gebrüder Weiss operates multi-customer warehouses where, for example, sporting goods are stored together with construction industry products. Skis can share a single shelf with gutters, screws and metal fittings – with the winter and summer merchandise divided by just a few meters. The sticking point is still capacity planning: the earlier a contract is negotiated, the easier it is to manage the peaks. “That’s why we, as an external service provider, also agree annual contracts with the shipping lines and look for customers where we can use them,” says Stiastny. Gebrüder Weiss customers benefit from these longer-term arrangements. He emphasizes, “We can only fully utilize our capacities or otherwise secure them on the market if we know how much our customers’ needs normally fluctuate.” To that end, the logistics manager requires forecasts from these customers with regular, up-to-date information on their sales planning. Stiastny has also identified another trend: “dynamic pricing,” a phenomenon better known from air travel. “In the logistics sector we can also expect more and more dynamic pricing models keyed to supply and demand. The sooner customers know what they need, the more they can benefit from our capacities and prices.” In other words, these fluctuations might also soon become the norm.  Kerstin Kloss is a freelance journalist specializing in logistics. Based in Hamburg, she writes for publications such as DVZ Deutsche Verkehrs-­Zeitung, ITJ International Transport Journal, VerkehrsRundschau and ChinaContact.



Unternehmensalltag  Daily Business Unternehmensalltag

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Die Tastaturen stehen nicht still

➔ 3,4 M Mio io..

Bei Gebrüder Weiss werden monatlich 3,4 Millionen E-Mails ­ver­sen­det, 3,8 Millionen gehen ein. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 wurden t­ äglich 281,1 Milli­arden E-Mails weltweit empfangen und versendet.

3.4 million Mio io..  3,8 M 3.8 million

No rest for the keyboards At Gebrüder Weiss, there are 3.4 million mails outgoing and 3.8 million incoming every month.Compare this to the global picture, where on ­average 281.1 billion e-mails were sent and received every day in 2018.

Weites Feld

No shortage of space

660.000 m 2 Logistikfläche (Umschlag + Logistik) ­bei Gebrüder Weiss: Das entspricht 92,5 Fußballfeldern.

660,000 square meters of logistics space (transhipment + warehousing) at ­Gebrüder Weiss, the equivalent of 92.5 soccer fields.

92,, 5 92 Das Jahr in Zahlen

The year in numbers

1.675 Mio. Euro ­Nettoumsatz 1,675 million euros net sales 507 Mio. Euro B ­ ruttonutzen 507 million euros gross profitability

108.000 Standardcontainer (TEU) auf dem Seeweg 108,000 standard containers (TEU) by sea

50,5 Mio. Pakete bei DPD Austria 50.5 million parcels for DPD Austria

13,4 Mio. Sendungen im ­Landverkehr 13.4 million consignments by land transport

61.000 Tonnen Luftfracht 61,000 metric tons of air freight

Über 7.100 Mitarbeiterinnen und ­Mitarbeiter weltweit Over 7,100 employees worldwide

Die Drähte laufen heiß In allen Niederlassungen in Österreich w ­ erden jährlich 12.863 mw/h ­verbraucht. Das entspricht dem durchschnitt­lichen Jahres­verbrauch von 3.215  Vier-Personen-­Haushalten.

Hot-wired The group’s Austrian sites use a total of some 12,863 megawatts per hour of electricity a year. This is comparable to the the needs of 3,215 four-person households.


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#normalbreakfast

#pancakes

#russia


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Alltäglich anders text  Birte Müller

Wenn unsere Tochter Olivia eine neue Freundin zu Besuch hat, erzähle ich in der Regel ein paar Worte über Olivias gro­ ßen Bruder Willi. Meistens sind fremde Kinder dann aber trotzdem ziemlich irritiert, wenn Willi plötzlich begeistert schreiend mit seinem iPad ins Wohnzimmer stürzt und einen wilden Tanz zu LaBrassBanda hinlegt. Das sind dann die Momente, in denen auch Olivia auffällt, dass das Verhalten ihres Bruders anderen Leuten nicht so normal erscheint wie uns. Denn Willi hat das Down-Syndrom. Oft werde ich gefragt, wie das Leben mit einem behinder­ ten Kind ist. Dann stehe ich vor dem Dilemma, dass bei uns einerseits fast nichts normal ist, genau dies aber eben unsere Normalität ist. Das ist für Außenstehende schwer nachvoll­ ziehbar und bringt mich in einen Zwiespalt: Einerseits möch­ te ich, dass unser Normal von anderen auch als ein solches akzeptiert wird. Andererseits benötigen wir von unseren Mitmenschen besonders viel Toleranz und Hilfe, weil Willis Verhalten oft wenig gesellschaftskonform ist. Manchmal denke ich, es ist gerade die Akzeptanz von Willis Behinde­ rung, die uns eine gewisse Freiheit gibt. Bei uns zu Hause wird sehr viel gelacht. Wenn Willi plötz­ lich anfängt, mit seinem Fuß zu telefonieren, dann können wir uns darüber herzhaft amüsieren und müssen unserem Kind nichts über mangelnde Hygiene am Tisch erzählen, das würde Willi ohnehin nicht verstehen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir Willi nicht erziehen. Ganz im Gegenteil, wir müssen sogar besonders konsequent sein. Aber wenn Willi Lust hat zu tanzen, dann tanzt er und kennt keine Scham oder Peinlichkeit. Wenn er glücklich ist, nimmt er anderer Menschen Hand, lacht sie an und zeigt ihnen die Sonne oder seine tolle Laugenbrezel. Olivia hat zwei Freundinnen, deren ältere Schwestern auch das Down-Syndrom haben und die sogar ebenfalls zwölf Jahre alt sind, so wie Willi. Aber Willi ist ganz anders als diese beiden behinderten anderen Geschwister: Mit ih­ nen kann man spielen, sie tragen keine Windeln, und sie kön­ nen verständlich sprechen. Sie schreien auch nicht laut in der Öffentlichkeit oder legen sich mitten auf dem Gehweg auf den Boden, und sie werfen nicht mit ihrem Abendbrot her­ um. Olivia hat mich einmal gefragt, warum Willi nicht ein

normales Kind mit Down-Syndrom ist. Eine interessante ­Frage: Was ist ein normales behindertes Kind? Wenn eine von Olivias Freundinnen verstört auf Willi reagiert, nimmt sie diese lachend an die Hand und sagt nur: »Ach, das ist Willi, der ist ziemlich komisch. Komm, gehen wir spielen …« Besonders beliebter Spielort ist Willis Pflegebett. Das lässt sich wunderbar beim Spielen als Gefängnis für böse Ritter oder auch als Hundezwinger verwenden. Auch das ist für uns normal: dass Willi in der Nacht sein Bett nicht verlas­ sen kann. Viele Menschen schockiert das – und Willis Käfig sieht wirklich ganz schön krass aus. Aber wer einmal um 4:00 Uhr morgens im Winter aufgewacht ist, weil die Kälte durch die offene Haustür bis ins Schlafzimmer gedrungen ist und dann im Wohnzimmer eine Überschwemmung, in der Küche einen Backofen auf 250 Grad und sein behindertes Kind gar nicht vorgefunden hat, der weiß, was ein Schock ist! Immer wieder höre ich – besonders im Zusammenhang mit vorgeburtlichen Untersuchungen –, dass andere Eltern sagen, sie könnten sich nicht vorstellen, ein behindertes Kind zu haben. Ich glaube, niemand kann sich das vorstellen. Ich jedenfalls habe mir mein Leben mit einem Kind mit Triso­ mie 21 nicht vorstellen können, und als ich anfing, mir eine Vorstellung davon zu machen, sah diese vollkommen anders aus als unsere Wirklichkeit jetzt. Übrigens gilt dasselbe auch für das Leben mit unserer nicht behinderten Tochter Olivia. Wirklich gut kann ich eigentlich nur mit anderen Angehö­ rigen behinderter Kinder über unser Leben reden. Mit ihnen darf ich über unsere größten Probleme sprechen, ohne dabei befürchten zu müssen, mein Gegenüber würde meine be­ dingungslose Liebe zu meinem Kind oder sogar meine Ent­ scheidung, es zu bekommen, infrage stellen. Dabei möchte ich die Probleme anderer Eltern nicht abwerten – fühle mich aber selber abgewertet in solchen Momenten: Oft versichern mir Mütter von »normalen« Kindern, dass sie genau die­ selben Probleme haben. Das Lispeln oder das nächtliche Einnässen eines Sechsjährigen ist aber nicht dasselbe wie ein zwölfjähriges Kind, das gar nicht sprechen kann und rund um die Uhr eine Windel trägt. – Es geht mir nicht darum, wer es schwerer hat. Inklusion bedeutet nicht, dass wir alle gleich


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Alltäglich anders

sind – im Gegenteil, es bedeutet, dass alle unterschiedlich sein dürfen. Ich wünsche mir, dass Willis Anderssein auch von anderen akzeptiert und angenommen wird. Und ja, Willi muss viel lernen, aber die Gesellschaft kann auch von ihm lernen. Ich lerne zum Beispiel, dass man nicht immer perfekt sein muss, dass es in Ordnung ist, viele Dinge nicht zu kön­ nen. Und ich übe, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen, denn mein Alltag ist oft sehr anstrengend. Was »normal« ist und was nicht, das ist im Fluss und letztendlich für jeden etwas anderes. In meiner Kindheit war es noch gar nicht normal, ausländische Kinder in der Schul­ klasse zu haben. Für meine Kinder ist das selbstverständlich. Und neulich befragte mich Olivia zum Thema gleichge­ schlechtliche Ehe: »Du, Mama, wenn zwei Männer heiraten, trägt dann eigentlich einer ein Hochzeitskleid?« Irgendwann wird es vielleicht auch viel normaler sein, überall im Alltag Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen zu begegnen und seltsames Verhalten zu akzeptieren. Ich glau­ be, das würde uns allen guttun. Ich nehme mein Kind an, so wie es ist. Ohnehin hätte kein Test der Welt während der Schwangerschaft feststellen ­können, dass es als Säugling an einer schweren Epilepsie erkranken würde, welche sein Gehirn schwer geschädigt hat. Das hatte nämlich nichts mit der Trisomie zu tun. Und kein Test der Welt hätte mir sagen können, dass mein Sohn sich manchmal zehnmal am Tag an mich schmiegen wird, um mir

immer wieder mit Gebärden und seinen süßesten Lauten zu sagen, dass er mich lieb hat. Und natürlich hat er Papa, Oma, Opa und seine Schwester Olivia »iiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeb«! Das ist ja wohl auch nicht ganz normal für einen Pubertie­ renden. Es ist aber unser ganz anders n ­ ormales, wunderbares Leben.  Birte Müller wurde1973 in Hamburg geboren, wo sie heute als freie Autorin, Illustratorin und Kolumnistin arbeitet. Sie hat einen Sohan mit Down-­ Syndrom, eine hyperkreative Tochter und einen schwer mehrfach normalen Ehemann.

Die Autorin Birte Müller mit ihren Kindern Olivia und Willi Author Birte Müller with her children Oliva and Willi.


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When different becomes the norm TEXT

Birte Müller

Whenever our daughter Olivia brings new friends home from school, I usually tell them a little about her big brother Willi. Despite the prep, new kids are usually more than a little unsettled when Willi suddenly blasts into the living room with his iPad, yelping for joy and doing a crazy dance to LaBrassBanda. These are the times Olivia realizes that her brother’s behavior does not seem as normal to others as it does to us. Willi has Downs syndrome. I am often asked what it’s like to live with a challenged child. And I’m faced with the dilemma that almost nothing is normal in our household – but then that’s our norm. It’s hard for outsiders to understand and always presents me with a quandary: on the one hand, I want our normality to be accepted by others as such. On the other, we need a great deal of tolerance and help from our fellow human beings, because Willi’s behavior seldom conforms to society’s norms. Sometimes I think that the very acceptance of Willi’s disability gives us a certain freedom. Laughter is a constant companion at home. When Willi suddenly starts phoning with his feet we can laugh to our heart’s content; what’s more, there’s no sense in lecturing our son on hygiene at the dinner table; he wouldn’t understand anyway. That doesn’t mean we aren’t giving him a proper upbringing. Quite the opposite: we need to be consistent all the time. But if Willi wants to dance, then he dances and feels neither embarrassed nor ashamed. If he’s happy, he’ll take your hand, smile at you; he’ll show you the sun – or the fantastic pretzel in his hand. Olivia has two friends whose older sisters also have Downs syndrome and happen to be twelve, the same age as Willi. But Willi is completely different from these two other developmentally challenged children: you can play with them; they don’t wear diapers, and they enunciate clearly. The don’t emit loud yells in public or lie down in the middle of the sidewalk, and they don’t throw bits of their sandwiches around. Olivia once asked me why a child with Downs syndrome like Willi wasn’t a normal child. An interesting question: What is a “normal” developmentally challenged child?

Whenever one of Olivia’s friends is perturbed by Willi’s behavior, she takes her friend’s hand with a smile and says, “That’s just Willi, he’s pretty funny. Come on, let’s go play…” Willi’s nursery-style bed is a great place to play. It’s ideal for games that involve locking up captured knights or for repurposing as a dog pen. This is normality for us as well: that Willi is not able to get out of bed at night. Many people are shocked by this – and Willi’s cage certainly does look crass. But anyone who has been woken up at 4:00 a.m. on a winter’s night because a cold draft has made its way from the front door to the bedroom, and has then found a flood in the living room, an oven blazing at 450 °F in the kitchen but no sign of their disabled child, will understand what shock really is. Particularly when talking about prenatal testing, I often hear other parents say that they couldn’t imagine having a challenged child. I don’t think anyone can imagine that. I certainly could not have imagined life with a trisomy 21-child. And when I did start to grapple with the experience, what I imagined bore no resemblance whatsoever to our reality now. On the other hand, the same also holds true of life with our non-disabled daughter Olivia. The only people I can really talk to about our life are other relatives of disabled children. I can concede our biggest problems without having to fear they would question my unconditional love for my son or my decision to have him. My intention is not to devalue the problems faced by other parents, but I myself feel devalued in situations where mothers of “normal” children assure me that they have exactly the same problems. The lisping or bed-wetting of a six-year-old is not the same as a twelve-yearold who cannot speak at all and wears diapers around the clock. It’s not a competition about whose lot is worse. Inclusion does not mean we are all the same; quite the opposite. It means that everyone is allowed to be different. I would hope that other people can accept and embrace Willi’s otherness. And yes, Willi has a lot to learn, but society can learn from him as well. I have learned, for instance, that you don’t have to be perfect all the time; that it’s okay if there are lots of things you cannot do. And I’m


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Different becomes the norm

practicing how to ask for and accept help, because my day-to-day life is often a real strain. What is “normal” and what not is a definition in flux, and ultimately something different for everyone. When I was young it was not normal at all to have foreign children in your class at school. Yet for my children this is the most natural thing in the world. And recently Olivia asked me about same-sex marriage. “Mommy, if two men get married, does one of them wear a wedding gown?” Maybe at some point it will also be more normal to encounter people with all kinds of disabilities in our daily lives, and to accept abnormal behavior. I think that would be a good thing for all of us. I accept my child for what he is. In any case, no prenatal test in the world could have determined that, as an infant, this child would suffer a severe attack of epilepsy that would cause serious brain damage. That didn’t have anything to do with trisomy. And no test in the world could have told me that my son would snuggle up to me up to ten times a day to tell me, with gestures and his sweetest sounds, that he loves me. Naturally he also expresses his “aaaaaf” for Daddy, Granny, Grandpa and his sister Olivia as well. That is not exactly normal for a pubescent tween. But there you have it: this is our totally normal, wonderful life. Birte Müller was born in 1973 in Hamburg, where she still works as a freelance author, illustrator and columnist. She has a son with Downs syndrome, a hyperactive daughter, and a husband suffering from severe normality.


Illustration aus Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg, erschienen im Verlag Freies Geistesleben 2017. Illustration from “Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg” (“Where There’s a Willi There's a Way”), published in 2017 by Verlag Freies Geistesleben


Der nächste ATLAS: im Frühjahr 2020 The next ATLAS: in spring 2020

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was ist die norm?

what is normal?

normal ist das, was alle tun vor aller anderen augen ein mensch agiert publik? ja nun, dann wird er wohl was taugen

normal is what everyone else is doing in everyone else’s sight doing it by way of public viewing implies that the doer is in the right

normal ist auch, was alle tun im kämmerlein, im stillen geheim. pervers. moral-immun? hier herrschen freie willen

what people do when out of plain sight – that too is normality all by themselves, in their rooms alone top secret? perverse? past morality? ours is to neither condemn nor condone

sie wechselt zweck und auch die form wer folgt, wer definiert sie? diffus wie wasser ist die norm: mal kocht und mal gefriert sie

it morphs and shifts, it’s high, then low, who defines what’s crooked or straight? normality is changeable as H20: with its liquid, gas and solid state

Ingo Neumayer, Autor und Dichter aus Köln

Ingo Neumayer, author and poet from Cologne


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