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Cannabis als Arzneimittel in der Schweiz

Ein historischer und aktueller Überblick

von Dr. Manfred Fankhauser Bahnhof Apotheke Langnau AG

Geschichtliches

Seit vorchristlicher Zeit wird Hanf medizinisch genutzt. Erste schriftliche Zeugnisse stammen aus China, dann aber auch aus Ägypten und Indien. Auch in Europa wurde Hanf bereits in der Antike medizinisch genutzt, jedoch war das Ansehen in damaliger Zeit weniger hoch, als bei anderen Medizinalpflanzen. Als Rauschmittel war Hanf im Abendland, im Gegensatz zum Orient, fast unbekannt. Als Faserlieferant hingegen wurde Hanf seit jeher sehr geschätzt. In den Arzneibüchern der berühmtesten Ärzte der Antike wird Hanf zwar immer erwähnt, aber die Verwendung als Medizin beschränkt sich praktisch ausschließlich auf die Hanfsamen. Dies sollte sich die nächsten paar hundert Jahre nicht ändern. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer einschneidenden Veränderung. Der in Indien stationierte irische Arzt, William B. O’Shaughnessy machte die Erfahrung, dass die heimischen Ärzte viele ihrer Patienten mit aus Cannabiskraut gewonnenen Präparaten erfolgreich bei verschiedensten Krankheiten therapieren konnten. Daraufhin behandelte O’Shaughnessy eigene Klienten erfolgreich mit Cannabis und publizierte diese Ergebnisse in einer englischen Fachzeitschrift. Diese sehr positiven Resultate führten dazu, dass sich nun auch in ganz Europa die Ärzteschaft sehr für diesen „neuen“ (indischen) Hanf interessierte. Vorerst waren es vor allem die Ärzte der Kolonialmächte Frankreich und England, welche die indischen Hanfpräparate ausprobierten, innerhalb kurzer Zeit setzte ein richtiger Boom nach Cannabis ein. Eine große Anzahl von Publikationen zum Thema Hanf wurde verfasst und schon bald waren verschiedenste Cannabispräparate offizinell, d.h. diese wurden aufgenommen in die amtlichen Arzneibücher praktisch aller europäischen Länder. Dies verdeutlicht auch den Stellenwert, den man diesem neuartigen Arzneimittel beigemessen hat.

Situation in der Schweiz

Die wissenschaftliche Erforschung hatte man bis jetzt dem Ausland überlassen. Dies änderte sich aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dann nämlich, als sich die aufkommende pharmazeutische Industrie und die Universitäten für Haschisch zu interessieren begannen.

Den Anfang machte im Jahr 1914 die Basler Firma Hoffmann-La Roche & Cie., die ein Verfahren patentieren ließ, um die pharmakologisch wirksamen Bestandteile von Cannabis indica abzutrennen. Auch die Firma CIBA (heute NOVARTIS) experimentierte ein paar Jahre später mit Haschisch. Keine der Firmen brachten jedoch nie ein Cannabispräparat zur Marktreife. Schon kurz nach der Jahrhundertwende konnte sich die Universität Bern als eigentliches Cannabisforschungszentrum der Schweiz etablieren. Am bernischen pharmakologischen Institut entstanden in den Jahren 1910 bis zum 2. Weltkrieg über 30 Doktorarbeiten zum Thema Hanf, alle unter der Leitung von Emil Bürgi, dem ehemaligen Rektor der Universität. Interessant ist die Tatsache, dass diese Tradition später eine Fortsetzung erfahren hatte und sich die Universität Bern gerade in den letzten Jahren (Prof. R. Brenneisen, Prof. J. Gertsch und andere) sehr aktiv an der Erforschung rund um Cannabis beteiligte.

Wichtige Meilensteine

Seit gut zwanzig Jahren hat das Wissen über Hanf, insbesondere über deren wichtigste Inhaltsstoffe und deren Wirkungsweisen stark zugenommen. Ein wichtiger Meilenstein war, nachdem 1964 erstmals die chemische Struktur des Hauptcannabinoids, das Tetrahydrocannabinol (THC), aufgeklärt wurde, die Entdeckung des körpereigenen Cannabinoidsystems mit den zwei Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2. Durch diese Entdeckung zu Beginn der 1990er Jahre wurden die vielseitigen Wirkungen von Cannabinoiden erstmals, zumindest teilweise, erklärbar.

Aktuelle rechtliche Situation

Das noch heute, auch für Cannabis geltende, gültige Betäubungsmittelgesetz stammt aus dem Jahr 1951. Seither hat es immer wieder Änderungen erfahren, wobei die Letzte aus dem Jahr 2011 entscheidende Veränderungen Nachfolgendes bewirkt hat. Neu ist ein Grenzwert für THC festgelegt: Sobald eine Hanfpflanze mehr als 1 % THC enthält, untersteht diese dem Betäubungsmittelgesetz und somit ist der Anbau, Besitz, Konsum und Handel damit verboten.

Für die medizinische Verwendung hat es ebenfalls eine wichtige Veränderung gegeben: Cannabispräparate bleiben grundsätzlich zwar verboten. Im Gegensatz zu früher sind diese aber unter bestimmten Voraussetzungen verschreibbar. Ein Arzt kann ein Cannabispräparat als sogenannte Magistralrezeptur (z.B. Tinktur, Öl) verordnen, muss aber dafür eine Ausnahmegenehmigung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) einholen. In der Schweiz sind Cannabisblüten nicht rezeptierbar. Von der Arzneimittelbehörde offiziell zugelassene Cannabismedikamente (zurzeit nur das Präparat SATIVEX) können als normales Betäubungsmittel verordnet werden und benötigen keine Ausnahmebewilligung.

Die Anfänge in der Schweiz

Bereits in den 90er Jahren gab es vom BAG bewilligte Einzelfälle, wo das aus den USA stammende THC-haltige Fertigpräparat MARINOL Verwendung fand. Im Jahr 2003 erhielt eine Schweizer Apotheke kurzzeitig eine Ausnahmebewilligung für die Herstellung und Verabreichung von Dronabinol 1 als Magistralprodukt (in Form eines 2.5 %igen Öls). Dies war aber nicht gesetzeskonform und somit nicht verkehrsfähig.

Ein paar Jahre später kam das Thema erneut auf den Tisch. Ich bin ein in Langenau ansässiger Apotheker und befasse mich seit Jahren intensiv mit Cannabis als Heilmittel. Aufgrund der vermehrten Anfragen seitens möglicher Patienten und Ärzte kam ich auf die Frage, ob die Schweizer Behörden die Verwendung von synthetischem Dronabinol gestatten würden. Nachdem ein Gutachten des Berner Pharmazieprofessors Rudolf Brenneisen bestätigte, dass dieses Dronabinol nicht auf Hanf basiert und damit dem damals gültigen Betäubungsmittelgesetz entsprach, war der Weg frei. Zu Beginn wurde die Verwendung dieses Stoffes auf fünf Patienten beschränkt. Schon bald sahen die Behörden ein, dass die Nachfrage viel größer war und schlussendlich wurde diese Begrenzung fallen gelassen, d.h. die Ärzte konnten von nun an die sogenannte Dronabinol-Lösung mit künstlich hergestelltem THC beim BAG beantragen. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Patienten dazu. Bedingt durch die Revision des Betäubungsmittelgesetzes per 1. Juli 2011 (vgl. oben) ist es möglich, nebst dem künstlich hergestellten Dronabinol auch das aus Faser- oder Drogenhanf hergestellte bzw. isolierte THC therapeutisch einzusetzen.

Diese Gesetzesänderung führte nun auch dazu, dass die Therapiepalette an Cannabispräparaten erweitert werden konnte. Schon bald habe ich mich bzw. meine Bahnhof-Apotheke darum bemüht, selber THC-haltigen Hanf anbauen zu dürfen, um daraus entsprechende Medikamente herzustellen. In Zusammenarbeit mit einem Chemiker und einem Hanfbauer wurde eine solche Bewilligung erteilt und seitdem werden aus dem Eigenanbau eine Cannabistinktur und ein Cannabisöl hergestellt. Nebst diesen beiden aus Hanf gewonnen Präparaten gibt es noch ein anderes Hanfpräparat, das Sativa-Öl, welches von einer anderen Firma hergestellt und vertrieben wird. Zusammen mit den unter bestimmten Voraussetzungen auch verschreibbaren CBD-Präparaten, stehen zurzeit die folgenden medizinischen Cannabispräparate zur Verfügung: Die vier THC-haltigen bewilligungspflichtigen Magistralrezepturen (Dronabinol-Lsg. Cannabistinktur, Cannabisöl, Sativa-Öl), dazu die gegen normales Rezept verschreibbare, nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellte Cannabidiol (CBD) Präparate (meist in Form eines 2.5 %igen Öls) und schlussendlich das dem Betäubungsmittelgesetz unterstellte Fertigpräparat Sativex.

1 Dronabinol ist der international anerkannte Freiname für Tetrahydrocannabinol, das heißt, es ist ein Synonym. Der Name ist ein Kunstprodukt um die Herkunft des Wirkstoffes THC zu verschleiern und wurde in den 70er Jahren erstmals verwendet. Es hat sich eingebürgert, dass, wenn man von Dronabinol spricht, meist die halbsynthetische oder vollsynthetische gewonnene Form von THC gemeint ist.

Indikationen und Patienten

In den letzten Jahren hat die Nachfrage nach cannabishaltigen Medikamenten stark zugenommen. Trotz der nach wie vor recht hohen bürokratischen Hürden für das Verschreiben von THC-haltigen Präparaten ist deren Verwendung langsam aber sicher akzeptiert. Waren es bis vor einigen Jahren vor allem die Patienten, von denen die Initiative ausging einen Versuch mit Cannabis zu machen, sind es heute genauso die Ärzte, die sich für eine Therapie mit Cannabis einsetzen. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass sich in Fachkreisen das Wissen um das therapeutische Potenzial von Cannabis stark verbessert hat.

Was sind das für Patienten, welche mit Cannabis therapiert werden? Es gilt voraus zu schicken, dass das Anwendungsgebiet von Hanfpräparaten sehr vielseitig ist. Der mit Abstand größte Anteil der Patienten leidet unter Schmerzen. Dabei sind es vornehmlich Schmerzen verbunden mit Spastik (z.B. bei MS-Patienten oder Paraplegikern), dann aber auch bei Nervenschmerzen, Tumorschmerzen, Schmerzen des rheumatischen Formenkreises etc. Eine andere wichtige Anwendung ist die Steigerung des Appetits durch THC-Präparate, vor allem bei Krebs- oder auch HIV-Patienten. Ebenfalls bei Krebspatienten wird die brechhemmende Wirkung dieser Präparate sehr geschätzt, um einer recht häufige Nebenwirkung einer Chemotherapie entgegen zu wirken. Im weiteren gibt es viele neurologische Indikationen (z.B. Restless Legs, Tourette Syndrom), mit häufig damit verbunden schweren unkontrollierbaren Bewegungsstörungen. Daneben existiert eine Vielzahl von Krankheiten, bei welchen eine Cannabistherapie oftmals auch Linderung bringen kann.

Nebenwirkungen und Abhängigikeit

Es kommt selten vor, dass ein Patient eine Cannabistherapie wegen Nebenwirkungen abbrechen muss. Das hat damit zu tun, dass die therapeutischen Dosierungen in der Regel weit unterhalb einer berauschend wirkenden Dosis liegen. Dosisabhängig kommen am ehesten vor: leichte Mundtrockenheit, Müdigkeit, Schwindel. In Einzelfällen kann es durchaus mal auch zu Konzentrations- und/oder Koordinationsschwierigkeiten kommen, dies ist aber meist erst bei hohen Dosen der Fall. Eine unbegründete Angst ist die vermeintliche Abhängigkeit. Es gilt als praktisch ausgeschlossen, dass durch den therapeutischen Gebrauch von Cannabispräparaten eine körperliche oder psychische Abhängigkeit entstehen kann. Auch wenn ein THC-Präparat als Dauermedikation angewendet wird, bleibt die Dosierung in der Regel so tief, dass auch bei einem Absetzen der Therapie keine Entzugssymptome zu erwarten sind.

Was bringt die Zukunft?

Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich die einzelnen Länder mit den gesetzgeberischen Vorgaben umgehen. Obschon internationale rechtliche Vereinbarungen bezüglich Cannabis von den meisten (zumindest westlichen) Staaten mitunterzeichnet wurden, fährt praktisch jedes Land einen Sonderzug. In der Schweiz ist dieser Zug so weit am Rollen, dass schwer kranke Patienten in der Regel zwar Zugang zu cannabishaltigen Medikamenten haben, die bürokratischen Hürden aber doch noch recht hoch sind. Es wäre wünschenswert, dass diese Hürden in der Zukunft kleiner werden, sodass dieses wichtige Medikament allen dafür infrage kommenden Patienten zur Verfügung steht.

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