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Fibromyalgie - mehr als nur Einbildung
von Sinisa Katanic
Die Fibromyalgie ist seit Jahrzehnten weltweit als Erkrankung anerkannt. 1994 wurde sie in die offizielle Krankheitenliste (ICD-10-Schlüssel) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen.
Betroffene leiden unter chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen, die von Schlafstörungen, starker Müdigkeit und Erschöpfungszuständen begleitet werden. Hinzu kommen zahlreiche Nebensymptome wie Schwellungsgefühle in den Händen und Füßen, Ängstlichkeit und Depressionen.
Das Krankheitsbild
Fibromyalgie ist eine Beschwerde mit bisher noch unbekannten Ursachen. Die krankheitstypischen Symptome beeinträchtigen die betroffenen Personen allerdings in hohem Maße. Aufgrund ihrer mangelnden Ätiopathogenese sowie fehlender wirksamer Behandlungsmethoden, hat es lange gedauert, bis die Schulmedizin die Fibromyalgie als Krankheit anerkannt hat. Man geht davon aus, dass die Fibromyalgie neuropathische Ursachen hat, also auf eine Störung des Nervensystems zurückzuführen ist. Fibromyalgie zeichnet sich durch Muskelspastiken, Angespanntheit und Schlafstörungen aus. Es gibt unterhalb von angespannten Muskeln Punkte, die Schmerzen in anderen Körperregionen verursachen, wenn sie gedrückt werden. Das bedeutet, dass es besonders nachts wahrscheinlich ist, dass Muskelspastiken ausgelöst werden. Es bestehen unterschiedliche Theorien über die Gründe dieser Krankheit. Heutzutage wird allgemein angenommen, dass es sich um eine Krankheit organischen Ursprungs mit bekannten körperlichen Ursachen handelt. Allerdings wurden bisher keine klinischen Marker gefunden, die als Grundlage für eine Diagnose dienen könnten. Die Diagnose wird ausschließlich aufgrund der klinischen Erscheinungsformen gestellt, von denen die Patienten berichten. Die Erklärungsansätze erstrecken sich von einer Dysregulation der Neurotransmittersysteme (hauptsächlich der Botenstoffe Dopamin und Serotonin) bis zu einer Störung der physiologischen Stressregulierungsmechanismen (im medizinischen Fachjargon bekannt als Stressachse Hypothalamus–Hypophyse–Nebenniere). Andere Theorien erklären die Symptome mit einer Störung des Immunsystems.
Behandlung mit Cannabis
Welche der Hypothesen korrekt ist, konnte noch nicht nachgewiesen werden, aber die Behandlung mit Cannabis würde in jedem Fall Auswirkungen auf das Krankheitsbild haben. Das endogene Cannabinoid-System hat nachgewiesenermaßen Einfluss auf physiologische Funktionen, wie unter anderem die Regulierung der dopaminergen und serotonergen Mechanismen sowie die Regulierung der physiologischen Stressreaktion. Darüber hinaus verfügt das Immunsystem über zahlreiche CB2-Rezeptoren und wird aus diesem Grund stark von sowohl endogenen als auch von exogenen Cannabinoiden beeinflusst. Eines der Hauptsymptome der Fibromyalgie ist eine extrem niedrige Schmerzschwelle. Das individuelle Schmerzempfinden wird unter anderem von den drei oben erwähnten physiologischen Prozessen gesteuert. Aus diesen Gründen erscheint es schlüssig, eine Cannabinoid-Therapie der Fibromyalgie unabhängig von ihren Ursachen in Betracht zu ziehen. Das gilt besonders, da auch andere Krankheiten, die aufgrund von Immunstörungen neuropathische Schmerzen verursachen, wie beispielsweise Multiple Sklerose, mit Cannabinoiden behandelt werden. Tatsächlich gibt es eine große Vielfalt klinisch-funktioneller Störungen, für die bis zum heutigen Tag noch keine deutliche medizinische Erklärung gefunden werden konnte und bei denen sich die Behandlung mit Cannabis bei einigen Patienten als sinnvoll erwiesen hat. Dazu gehört neben der Migräne und dem Reizdarmsyndrom auch die Fibromyalgie.
Wie wirkt Cannabis im Körper?
Das Endocannabinoid-System ist über den gesamten menschlichen Körper verteilt und nimmt dementsprechend Einfluss auf diverse Körperfunktionen, z.B. Stimmung, Schlaf, Immunsystem, Appetit, Schmerzempfinden und das Gedächtnis. Die vielen verschiedenen Cannabinoide, die in Cannabis vorkommen, aktivieren die Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems und sorgen dadurch dafür, dass verschiedene Prozesse im Körper vonstattengehen. Es sind bis jetzt 2 verschiedene Cannabinoidrezeptoren beschrieben worden. Der Erste ist der CB1-Rezeptor, welcher sich im gesamten Nervensystem befindet, sowie in bestimmten Organen und Gewebearten, wie etwa dem Herzen oder der Milz. Der Zweite ist der CB2-Rezeptor, der hauptsächlich auf Zellen des Immunsystems und Zellen, die beim Knochenauf- und -abbau involviert sind, lokalisiert ist. Die genaue Wirkung des CB2-Rezepors, bis auf, dass er Schmerzlinderung hervorruft, ist momentan noch unklar. Wir fangen gerade erst an zu verstehen, inwiefern ein Mangel an endogenen Cannabinoiden mit diversen Symptomen einhergeht, z.B. Muskelverspannungen, chronische Schmerzen, Mattigkeit, Kopfschmerzen, Darm- und Blasenprobleme, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen. Die Cannabinoide in Cannabis ersetzen die körpereigenen und gleichen den Mangel wieder aus. Dementsprechend hilft es auch darauf begründete Symptome zu bekämpfen und könnte gerade nachts helfen, sowohl das Einschlafen zu erleichtern, als auch die anderen Symptome zu lindern.
Studien und Ausblick
Eine Krankheit, die alle oben genannten Symptome mit einschließt, ist eben Fibromyalgie. Seit Jahren sind die Ursachen unbekannt, jetzt hält man für möglich, dass diese vielleicht beim Endocannabinoid-System zu suchen sind. "Ein Defizit der Cannabinoid-Level könnte die Hauptursache von vielen Zuständen sein, bei denen Cannabis Linderung verschafft", meint Ethan Russo, leitender Berater von GW Pharmaceuticals. Er beschreibt in seiner Abhandlung über klinischen Endocannabinoid-Mangel, wie endogene Cannabinoide dafür sorgen, dass das Gehirn mit bestimmten Körperregionen kommunizieren kann und so bestimmte Funktionen in Gang gesetzt werden. Wenn also ein Mangel herrscht, kann dieser dafür sorgen, dass diese Kommunikation nicht oder nur unzureichend besteht. Das körpereigene Cannabinoid heißt Anandamid und es reduziert Überempfindlichkeit. Wenn THC in den Körper gelangt, verhält es sich wie Anandamid. Eine von Dr. Mary-Ann Fitzcharles, eine Professorin für Medizin an der McGill Universität, untersuchte in ihrer Studie die medizinischen Vorteile von Cannabinoiden bei 302 Patienten mit Fibromyalgie und 155 weitere mit anderen chronischen Schmerzen. Davon gaben 72% der Teilnehmer an 1g oder weniger pro Tag zu benötigen, um eine deutliche Linderung ihrer Symptome zu spüren. Das steht ganz im Gegensatz zu den Zahlen der üblichen Therapiemethoden, welche meist nur eine Erfolgsrate von 8-10% erreichen. Das bedeutet, es gibt eine möglicherweise gesündere und günstigere Alternative für eine Kombinationsmedikation mit Opioiden oder einen potenziellen Ersatz für diese. An Labormäusen wurde die Wirksamkeit von dem nicht psychoaktiven CBD bei Multipler Sklerose bestätigt und seitdem wird es als Medikament gegen Spastiken und Schmerzerkrankungen diskutiert, was Fibromyalgie auch einschließt. Cannabis ist, was mögliche, sichere, günstige und effektive Methoden angeht, an vorderster Front. Momentan bestehen die Daten von Cannabis als Medikament bei Fibromyalgie nur aus Erfahrungen. Dennoch sind die Daten vielversprechend und es wird in Zukunft ausführlichere Studien geben.