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THC und CBD bei psychischen Erkrankungen
von Dr. Franjo Grotenhermen
Seit einigen Jahren gibt es verstärkt Hinweise, dass sowohl THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) als auch CBD (Cannabidiol) und damit entsprechende THC-reiche oder CBD-reiche Cannabispräparate bei einer Anzahl psychischer Erkrankungen therapeutisch genutzt werden können. THC könnte hilfreich bei Depressionen, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung), posttraumatischer Belastungsstörung und Zwangsstörungen sein. Das nicht berauschend wirkende CBD hemmt einige psychische THC-Wirkungen, darunter die berauschende Wirkung. Es wirkt Angst lösend, antidepressiv und antipsychotisch. Sowohl THC als auch CBD wirken in einigen Fällen Schlaf fördernd. Diese Eigenschaft scheint jedoch sehr variabel zu sein. Es gibt auch eine Untersuchung, nach der CBD die Wachheit förderte.
THC bei Depressionen
Es gibt heute deutliche Hinweise darauf, dass sowohl THC-reiche Cannabisprodukte als auch CBD antidepressive Eigenschaften besitzen. In einer Umfrage aus den USA aus dem Jahr 2015 mit 1131 Teilnehmern, die Cannabis für medizinische Zwecke einnahmen, waren die am häufigsten genannten Gründe für dessen Verwendung Schmerzen, Angst, Depressionen, Kopfschmerzen und Arthritis. Seit Jahren waren in verschiedenen Tiermodellen für Depressionen die antidepressiven Eigenschaften von THC demonstriert worden. In klinischen Studien zur Untersuchung therapeutischer Cannabiswirkungen auf belastende körperliche Erkrankungen wurde als Nebeneffekt wiederholt die stimmungsaufhellende Wirkung von THC beschrieben.
CBD bei Depressionen
In jüngerer Zeit wird in Artikeln über Laboruntersuchungen vermehrt auf schnell einsetzende, antidepressive Eigenschaften von CBD aufmerksam gemacht. So heißt es in einem Beitrag von Wissenschaftlern der Universität von Cantabria (Spanien) aus dem Jahr 2006 : „CBD könnte ein neues, schnell wirkendes Medikament darstellen, indem es sowohl serotonerge als auch glutamaterge kortikale Signalwege durch einen 5-HT1A-Rezeptor abhängigen Mechanismus verstärkt“. Das wird von vielen Patienten bestätigt. Allerdings gibt es noch keine klinischen Studien oder veröffentlichte Fallberichte zu diesem Thema.
THC bei posttraumatischer Belastungsstörung
Als PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) werden charakteristische Symptome nach schweren traumatischen Erlebnissen bezeichnet, beispielsweise eine direkte persönliche Erfahrung eines Ereignisses mit tatsächlichem Tod oder Todesdrohung, mit einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Integrität, wie beispielsweise bei sexuellem Missbrauch in der Kindheit oder durch Kriegserlebnisse. Häufige Symptome sind Albträume, Schlafstörungen und Flashbacks.
Die Verwendung von Cannabis zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung ist in vielen Ländern noch weitgehend unbekannt.
Aus Deutschland liegt ein 2012 in einer Fachzeitschrift veröffentlichter Fallbericht aus der Medizinischen Hochschule Hannover vor. Darin wird ein Patient, der in der Kindheit jahrelang missbraucht worden war, vorgestellt, bei dem sich starke unkontrollierte Flashbacks, Panikattacken und Selbstverletzungen infolge einer schweren PTBS durch eine Selbsttherapie mit Cannabisprodukten deutlich verbesserten.
Die Behandlung mit THC bewirkte in einer Studie an der hebräischen Universität in Jerusalem (Israel) mit 10 Patienten eine signifikante Verbesserung der allgemeinen Symptomstärke, Schlafqualität, Häufigkeit von Albträumen und Symptomen einer verstärkten nervlichen Anspannung. In einer offenen klinischen Studie aus Kanada mit 10 männlichen Soldaten, die an einer behandlungsresistenten PTBS litten, fanden Wissenschaftler, dass der THC-Abkömmling Nabilon "eine signifikante Linderung für Militärpersonal mit PTBS bewirkt hatte, was andeutet, dass es vielversprechend als eine klinisch relevante Behandlung für Patienten mit Albträumen und einer Anamnese mit fehlendem Ansprechen auf traditionelle Behandlungsverfahren ist“.
CBD bei Angststörungen
Eine Anzahl von Fallberichten und Studien zeigt, dass CBD Ängste reduzieren kann. In einer Studie aus dem Jahr 2017 von der Universität von Sao Paulo in Brasilien reduzierte die Gabe von CBD die Angst bei gesunden Personen in einer dosisabhängigen Art und Weise. Die subjektive Angst wurde mit 300 mg CBD, jedoch nicht mit 100 und 900 mg CBD in einer ängstigenden Situation (Test für öffentliches Reden) reduziert. Die mittlere Dosis war also am wirksamsten. Die gleichen Wissenschaftler aus Brasilien untersuchten die Wirkung von CBD auf Patienten mit generalisierter sozialer Angststörung in einem Test, bei dem das Sprechen in einer öffentlichen Situation simuliert wurde. Drei Gruppen wurden verglichen: 12 gesunde Probanden als Kontrollgruppe ohne Medikation; 12 Patienten mit einer Angststörung, die eine Einzeldosis CBD (600mg) erhielten und 12 Patienten, die ein Placebo erhielten. Die vorherige Behandlung mit CBD verringerte signifikant die Angst, geistige Einschränkungen und das Unbehagen während der Rede. CBD reduzierte auch die psychische Anspannung vor der Rede.
Bei der Psychedelischen Wissenschaftskonferenz vom 19. bis 24. April 2017 in San Francisco wurde eine große Fallserie von 136 Patienten präsentiert, die zeigt, dass CBD selbst in geringen Dosen von 40 bis 50 mg nützlich bei der Behandlung von Angst sein könnte.
THC bei ADHS (Aufmerksamkeitssdefizit/Hyperaktivitätsstörung)
Nach chronischen Schmerzen zählt die ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) des Erwachsenenalters neben einigen anderen Erkrankungen wie Multiple Sklerose zu den häufigsten medizinischen Nutzungen von Cannabis in Deutschland. Zur Therapie der Hyperaktivität bzw. der Impulskontrollstörung bei Erwachsenen gibt es nur zwei zugelassene Substanzen (Methylphenidat und Atomoxetin). Diese Substanzen werden von vielen Betroffenen allerdings nicht gut vertragen. Eine Anzahl von Patienten mit ADHS hat festgestellt, dass Cannabis bei ihnen die Konzentration, den Schlaf und die Impulsivität verbessert. Bisher gibt es nur eine kleine placebokontrollierte Studie mit 30 Erwachsenen mit ADHS aus dem Jahr 2017, die von Forschern am Kings-College in London durchgeführt wurde. Die Teilnehmer erhielten zufällig verteilt entweder einen Cannabis Extrakt oder ein Placebo. Cannabis war mit einer signifikanten Verbesserung der Hyperaktivität und Impulsivität verbunden, sowie mit einem Trend zu einer Verbesserung der Aufmerksamkeit und emotionalen Labilität. Die Forscher schrieben, dass „Erwachsene mit ADHS eine Untergruppe von Personen darstellen könnte, die nach Cannabiskonsum eine Reduzierung der Symptome und keine kognitiven Beeinträchtigungen erlebt“. Gegenwärtig ist eine große Studie geplant.
THC bei Zwangsstörungen und Zwangsgedanken
Ärzte des Berliner Universitätskrankenhauses Charité berichteten 2008 in einem Beitrag für eine psychiatrische Fachzeitschrift von zwei Patienten, die an Zwangsstörungen litten und in der Klinik erfolgreich mit oralem THC behandelt worden waren. Beide hatten in wochenlangen Therapieversuchen nicht oder nicht ausreichend auf andere verfügbare Medikamente angesprochen. Zwangsstörungen sind Angststörungen, die durch belastende Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen gekennzeichnet sind. Die Gedanken und Handlungen, wie beispielsweise Waschzwang werden von den Betroffenen zwar als quälend empfunden, müssen aber dennoch umgesetzt werden. Bei Zwangsgedanken geht es meistens um angstvolle Gedanken und Überzeugungen, wie jemandem zu schaden, in eine peinliche Situation zu geraten oder ein Unheil anzurichten. Zwangshandlungen werden gegen oder ohne den Willen des Betroffenen ausgeführt. Sie müssen allerdings ausgeführt werden, da bei einer Unterlassung massive Ängste auftreten. Zu den Zwangshandlungen zählen beispielsweise der Waschzwang (Reinlichkeitszwang) oder die ständige Überprüfung von bestimmten Dingen wie Herdplatten oder Türschlössern (Kontrollzwang).
Eine spezielle Form der Zwangsstörung stellt die Trichotillomanie dar, die durch den Zwang, sich die eigenen Haare herauszureißen, charakterisiert ist, was zu einem merklichen Haarverlust, psychischer Belastung und sozialen Beeinträchtigungen führt. Im Jahr 2011 veröffentlichten Psychiater der Universität von Minnesota in Minneapolis (USA) Ergebnisse einer offenen klinischen Studie mit 14 Frauen, die mit THC behandelt worden waren. Neun der Teilnehmerinnen sprachen auf die Behandlung an, mit einer deutlichen Reduzierung der Werte auf einer Skala, die die Stärke der Trichotillomanie-Symptome misst. Die mittlere wirksame Dosis lag bei 11,6 mg THC täglich. Die Autoren folgerten, dass „eine pharmakologische Modulierung des Cannabinoidsystems nützlich bei der Behandlung einer Anzahl von Zwangsstörungen sein könnte“.
CBD bei Psychosen
Die erste kontrollierte klinische Studie zum Einsatz von CBD zur Behandlung der Schizophrenie wurde an der Universität Köln mit 42 Patienten mit akuter Schizophrenie durchgeführt und im Jahr 2012 veröffentlicht. Sie zeigte, dass CBD die psychotischen Symptome im Vergleich zum Ausgangszustand deutlich reduziert. In einer Doppelblindstudie erhielt die Hälfte der Patienten vier Wochen lang täglich 800 mg orales CBD und die andere Hälfte das Standardmedikament Amisulprid, ein sehr wirksames Medikament gegen Psychosen. Beide Behandlungsmethoden waren sicher und führten zu einer deutlichen Besserung, aber CBD zeigte erheblich weniger Nebenwirkungen als Amisulprid. Nach einer Pressemitteilung des Herstellers GW Pharmaceuticals vom 15. September 2015 wirkte ein CBD-Extrakt bei schizophrenen Patienten, die zuvor nicht ausreichend auf antipsychotische Medikamente angesprochen hatten. In dieser Studie mit 88 Patienten behielten die Patienten die bisherige antipsychotische Medikation bei und erhielten zusätzlich CBD oder ein Placebo. CBD war dem Placebo bei wichtigen Krankheitsaspekten konsistent überlegen. Der Anteil der auf die Therapie mit CBD Ansprechenden war nahezu dreimal so groß wie bei Teilnehmern mit dem Placebo. Es gab keine starken Nebenwirkungen und die Gesamtzahl der Nebenwirkungen ähnelte der des Placebos.
Schlussfolgerung
Auch heute wird weiterhin darüber diskutiert, ob und in welchem Ausmaß
Cannabis Psychosen auslösen kann, ob dies sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene gilt, und ob ein erhöhtes Risiko nur für genetisch oder anderweitig vorbelastete Personen existiert. Auch Depressionen und Angststörungen werden zum Teil ursächlich mit Cannabiskonsum in Verbindung gebracht. In vielen Studien wird darauf hingewiesen, dass eine ADHS das Risiko für Cannabismissbrauch und Cannabisabhängigkeit erhöhen könne. Häufig ist es allerdings vermutlich so, dass Patienten mit ADHS Cannabis zur Selbsttherapie nutzen.
Seit einigen Jahren wird durch Studien und Erfahrungsberichte immer deutlicher, dass sowohl THC als auch CBD nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen gute Dienste leisten können. Das war vor 20 Jahren noch ein Tabuthema. Zum Teil können durch die Verwendung von Cannabisprodukten mehrere Symptome gleichzeitig behandelt werden, wie beispielsweise Depressionen, Ängste und Schlafstörungen. Hinsichtlich der Wahl der Konzentrationen von THC und CBD kann man sich an den Symptomen orientieren. So kann bei einer ADHS, bei der gleichzeitig auch starke Ängste oder Depressionen bestehen, eine Sorte ausgewählt werden, die sowohl THC als auch hohe CBD-Anteile besitzt. Oft kann erst durch ein längeres Ausprobieren die optimale Sorte bzw. das optimale Präparat ermittelt werden.