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Geschichten über Cannabis: Die Illegalität einer Pflanze

Text Hua Dama

Gesetze oder Konventionen scheinen auf den ersten Blick vielleicht irgendwie „wie gegeben“ auszusehen und so, als wäre das schon alles richtig und gut so. In einem erweiterten sozialkritischen Engagement allerdings fällt schnell auf, dass das alles, was eben halt so ist, nicht zwangsläufig gut sein muss und dass es immer eine Geschichte gibt, wie das alles eben halt so gekommen ist. Denn warum ist Cannabis heute eigentlich illegal? Dies ist eine immer wieder aufkeimende Frage, die vielleicht nur annähernd mit einem langen Atemzug beantwortet werden kann. Mit dem Blick auf diese Pflanze liegt eine sehr spannende Geschichte vor, die hier beschrieben wird. Also schweifen wir geschichtlich ein wenig weiter aus, bleiben aber mit dem Blick in Europa.

Die heute als Cannabis oder Hanf benannte Pflanze findet in der historischen Literatur mehr den Namen “Haschisch”, da diese Bezeichnung näher am arabischen „Hadsch“ liegt (Bibra 1855:265 heutige Herleitung: „حححح“ – Hasis „Gras“). Die ersten Erkenntnisse für westliche, historische Kulturstudien der Cannabispflanze stammen aus dieser Sprachfamilie, sind also wohl dort schon sprachlich an den Kulturraum angelehnt. Allerdings war damals nicht ausschließlich nur das Harz damit gemeint, für das das Wort „Haschisch“ heute oft genutzt wird. Dieses war vielmehr nur ein genutzter Bestandteil.

Haschisch war im Europa des 19. Jahrhunderts eigentlich nur wenig verbreitet, wohl aber in außereuropäischen, internationalen Gefilden wie dem heutigen Vorderasien, im nördlichen Afrika, in asiatischen Ländern oder auch den Kolonialstaaten Nordamerikas.

Unterschiedliche Klimata bedingten hierbei auch verschiedene Sorten mit verschiedenen Wirkungen, was sich natürlich auch rückwirkend auf die jeweilige regionale Kultur auswirkte. Man kannte damals bereits einige Anwendungs- und Zubereitungsarten. So nicht nur das Rauchen des puren Haschischs, sondern auch als Butter oder Konfitüren mit weiteren mundenden Zutaten oder auch verschiedene Formen an Getränken. Zumindest wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts schon Zahlen vorgelegt: „300 Millionen Menschen essen und rauchen Haschisch“ (Bibra 1855: V). Bei einer absoluten, geschätzten Erdenbevölkerung von 1 - 1,5 Milliarden Menschen beschreibt dies also jeden Dritten bis Fünften als Haschischkonsumenten. Allerdings sollte man hinterfragen, wie diese Messung im 19. Jahrhundert wohl stattgefunden hat. Doch selbst bei einer „Pi mal Daumen“-Schätzung ist es doch signifikant, dass diese Schätzung anscheinend der damaligen subjektiven Wahrnehmung gerecht werden wollte, was schon dafür spricht, dass es wohl sehr verbreitet war. Natürlich war der Nutzen des Hanfes auch in anderen Anwendungsgebieten wie Faser-, Kleidungs- oder Papierproduktion schon lange und weit im Alltag der globalen Bevölkerung verbreitet. Auch das Wissen um die arzneiliche Wirkung ist seither lange verbreitet gewesen. Doch um die heutige gesetzliche Lage dieser Pflanze in Deutschland herleiten zu können, muss der Globus ein wenig gedreht und die Perspektive über die Grenzen des heutigen Europas hinausgeworfen werden. Also reisen wir nach China. Die erstmalige internationale Festlegung des indischen Hanfes als illegale Pflanze lag in der Internationalen Opiumkonferenz 1912 in Den Haag. Diese Konferenz wurde durch die Internationale Opiumkomission, welche 1909 in Schanghai gegründet wurde, forciert. Aus diesem ging im Deutschen Reich 1929 das Opiumgesetz hervor, welches für das modern angewendete BtMG (seit 1971) als Basis diente und bis zur „Neudichtung“ und Umbenennung eigentlich eher ein „papierenes Gesetz“ war. Der weitere globale Kontext verrät: Schlagwort des Tages war eigentlich „Opium“. Diese Substanz, wie auch das heutige Heroin aus dem Schlafmohn erzeugt, hat im Kontext des Kolonialismus eine lange und gar tragische Geschichte. Mit Verabschiedung dieses Gesetzes wurde die Pflanze Cannabis mit Opium und weiteren „Drogen“ gleichgestellt und im Deutschen Reich illegal. Es begann im 17. Jahrhundert, als einige Versuche westlicher Kolonialmächte mit dem chinesischen Reich der MingDynastie (1386-1644) Handel zu betreiben, scheiterten. Der Grund war allzu simpel. China hatte zunächst keinen Bedarf am Handel europäischer Waren, da sie selbst mit Jade, Seide, Porzellan (man kennt die sog. „Ming-Vasen“) und Weiterem ihre wirtschaftlichen Interessen bereits abgedeckt und ihren eigenen Reichtum gefestigt hatten (Rojas 2009). Zudem war die Ming-Dynastie allgemein von einer starken Isolation geprägt, war doch die vorangegangene Dynastie eine Fremdbeherrschte gewesen (Stichwort: Dschingis Khan bzw. vielmehr sein Enkel Kublai Khan, welcher die Yuan-Dynastie (12911386) begründete). Somit war China zu Beginn der folgenden Qing-Dynastie (1644-1911) wirtschaftlich autark. Zwar ließ sich die Qing-Dynastie im weiteren Verlauf doch vermehrt auf den internationalen Handel ein, bevorzugte allerdings als Tauschmittel Silber, weshalb das Vereinigte Königreich in ein „Silberdefizit“ geriet, da es so stark nach den chinesischen Waren verlangte. Doch die Begierde der chinesischen Waren seitens der Kolonialmächte, insbesondere des chinesischen Tees, ließ die britische Ostindien-Kompanie nicht ruhen, weshalb sie einen ausgeklügelten taktischen Schachzug vornahm. So errichteten sie 1711 zwar legal eine Handelsniederlassung im heutigen Guangzhou im Süden Chinas, doch führten sie ab dem aufkommenden 19. Jahrhundert illegal Opium ein. Schließlich wurde als illegales Tauschmittel von der Britischen Ostindien-Kompanie als verboten eingestuftes Opium nach China geschmuggelt. Zwar wurde dem Opium in China auch eine Heilwirkung zugesprochen, allerdings kannte man bereits die Gefahren der Droge, weshalb sie bereits 1729 als illegal eingestuft worden war, allerdings wirkungslos und zu Zeiten der britischen Opiumeinfuhr fast vergessen. Schritt für Schritt wurden in ganz China, begonnen an den südöstlichen Küstenregionen, Opiumhäuser und Geschäfte für den Opiumkonsum eröffnet. Somit wurde eine physische Abhängigkeit dieser Droge in der chinesischen Bevölkerung erzeugt, was letztendlich den gewünschten Handel auf staatlicher Ebene erzwang. Also frei nach dem Motto „Ich habe etwas, was du brauchen wirst“. Man betäubte eine ganze Nation, um die Makroebene für die eigenen Interessen zu manipulieren. Die wirtschaftliche Macht seitens der Kolonialmächte kann somit als perfides Abhängigkeitsverhältnis eines kolonialisierten Reiches gedeutet werden, welches eben nur aufgrund des illegalen und manipulierenden Schachzuges ökonomisch unterworfen werden konnte. Als China letztendlich die Nase voll hatte von den Abhängigkeiten sowohl von Opium als auch von der britischen Kolonialmacht, wurde der Handel und Konsum in ganz China in den kommenden Jahrzehnten erneut durch mehrere Gesetze verboten, doch diesmal mit drastischen Auswirkungen und Vollzug.

Da dies große Einschnitte für sowohl den Alltag der konsumierenden chinesischen Bevölkerung wie auch die wirtschaftlichen Interessen der Europäer hatte, kam es zum „Ersten Opiumkrieg“ (1839-1842). Aus diesem resultierten die „Ungleichen Verträge“, welche festhielten, dass Hongkong ursprünglich für 99 Jahre mit einem erzwungenen Pachtvertrag eine „britische Kronkolonie“ wurde. Kurioserweise war sie dies für 156 Jahre der Fall. Letztendlich ist Hongkong seit 1998 als „Sonderverwaltungszone“ wieder zur VRC zugehörig. Doch ein Krieg reichte nicht aus: Ein zweiter Versuch mit dem „Zweiten Opiumkrieg“ (1856 – 1860) schlug jedoch auch fehl. Erst die Republik China (1911 - 1949) als neu geformte staatliche Institution konnte die oben genannte Opiumkomission als bürokratische Institution gründen. Es dauerte letztendlich fast 200 Jahre, bis sich China von den Abhängigkeiten und dem erzwungenen Außenhandel befreien konnte und dies nur mithilfe der Macht gleich mehrerer internationaler Nationen. Einerseits wirkte dies wie ein ermächtigender politischer Akt seitens der westlichen Mächte, mit China dieses Abkommen über das Opiumgesetz auszuhandeln. Andererseits zeigt die Durchführung bzw. Wirkung des Opiumgesetzes vor dem BtMG, dass es lasch gehandhabt wurde. Wie gewichtig war das Gesetz dann für das Deutsche Reich und letztendlich die Bundesrepublik Deutschland gewesen? Erst mit aufkommender Kriminalisierung in den USA im Laufe des 20. Jahrhunderts und den Einflüssen der amerikanischen Wirtschaft und Politik auf Deutschland wurde die Pflanze weiter verteufelt.

Auch 1968 reiht sich hier ein, wurde die Pflanze zu dieser Zeit doch auch mit politischem Aktivismus in Verbindung gebracht. Mit den globalen Machtverschiebungen, die in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts letztendlich den Kolonialismus in den globalen Kapitalismus wandelten, hat sich das Ablehnen des Rausches durch Cannabis vielleicht als positiv zur Sicherstellung der Arbeitskraft erwiesen, was letztendlich eine Imagination an Kontrolle durch einen imaginierten Kampf darstellt. Es ist ein selbst gemachtes Problem.

Die heutigen Betäubungsmittel waren schon historisch betrachtet immer auch „Mittel zum Betäuben“, als machtvoller Gewaltakt zum erzwungenen Handel und zur Unterwerfung der diskursiven Hegemonie derjenigen, die diese Mittel einst in vielfältiger Weise einzusetzen wussten und wissen. Die Illegalität der Pflanze Cannabis ist somit letztlich ein koloniales Erbe. Ergo hält die derzeitige Gesetzgebung ein Memorium an Imperialismus und Kolonialismus aufrecht.

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