Freitag, 6. August 2010 – Nr. 151
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Foto: Voices of Decay
Redaktion Tageszeitung „Headliner“: 329/5913560 – redaktion.headliner@gmx.com
von Eva Reichegger und Reinhold Giovanett
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etal, so heißt es stets, stehe an der Spitze der hiesigen Musikszene. Kein anderes Genre sei hier so stark vertreten; abseits davon sei nicht viel vorzufinden. Nun waren die ersten 7 Monate des Jahres in derlei Hinsicht aber die reinste Durststrecke, denn von bislang 37 erkundeten Veröffentlichungen können nur 5 in die Metal-Schublade gesteckt werden. Unterm Strich drängt sich hier die Frage auf, was heuer bloß von statten geht. Feilen unsere MetalBands an einem geheimen Masterplan und fallen am Jahresende mit vereinter Kraft zeitgleich aufs Volk ein? Wenn ja, dann steht eines erfreulicherweise fest: Voices of Decay haben sich an diesem mysteriösen Treiben nicht beteiligt, denn die Meraner Band hat eine CD-Produktion veröffentlicht, die uns in der metallosen Zeit wie ein Durstkiller überkommt. Der vierte Release und gleichzeitig zweite Lon-
gplayer „Overcome“ zeigt, dass Lukas Flarer (Gitarre), Christoph Flarer (Schlagzeug), Menz (Stimme) und Florian Rainer (Bass) ihre Möglichkeiten bedacht eingesetzt und ausgeschöpft haben. So kam der Band bei den Aufnahmen wohl vor allem die Tatsache zu gute, dass Lukas Flarer in seinem Soundcontrol Studio schon viel Erfahrung gesammelt hat und Voices of Decay dort ohne Zeitdruck Neues ausprobieren konnten. Dieser Umstand hat der Band und der vorliegenden CD sehr gut getan. Die elf Songs sind abwechslungsreich, aber als Album dennoch schlüssig und man kann der Band zustimmen, wenn sie bei der Stilumschreibung auf eine genauere Definition verzichtet. Voices of Decay 2010 sind Metal und Punkt. Was vor allem überrascht, sind die cleanen Vocals von Menz, die man sich erstens prinzipiell nicht erwartet hätte und zweitens fügen sie sich sehr gut in das Gesamtbild der Band ein. „Who“, einer jener Songs, die sich schon beim ersten
Durchhören im Gedächtnis festbeißen, zeigt, dass es gelingen kann, mehr oder weniger extreme Härte mit Melodie zu verbinden, und dabei glaubwürdig zu bleiben und zu überzeugen. Wenn die manchmal leicht am Gothic ausgerichteten Keyboards auch einige Kanten am Gesamtsound abrunden, so hält die Stimme von Menz und der erfreulich harte Gitarrensound von Lukas Flarer gelassen und mit genügend metallischer Schwere dagegen. Voices of Decay haben sich eindeutig weiterentwickelt, und zwar in eine Richtung, die nicht unbedingt vorhersehbar war. Losgelöst von eindeutigen Schubladen und mit einigen sehr guten Songs in der Tasche („Who“, „Time Is Running Out“, „Kings“, „Superficial“) haben sie den Punkt erreicht, an dem es ihnen um die Musik geht und nicht um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lager. Die auf 500 Stück limitierte erste Auflage ist sehr gut produziert, hat Druck und ist zeitgemäß. Was die Meraner Band damit erreichen
Grafik: Christoph Flarer
Durstkiller Wird im Herbst live präsentiert: „Overcome“ von Voices of Decay.
kann (oder wird), werden die nächsten Monate zeigen. Die Startposition ist schon einmal sehr gut. Für das grafische Gewand der CD zeigt sich Christoph Flarer, Schlagzeuger und ehemaliger Keyboarder der Band, verantwortlich; er hat bereits im vergangenen Jahr das Artwork für Hannes Kirchler’s Debütalbum „Angry Rooster“ angefertigt. „Wir haben uns nach langem Hin und Her dafür entschieden, ein ‚neutrales’ Cover für die neue CD zu verwenden“, so Christoph. „Unserer Ansicht nach ist unser Stil weder eindeutig in die Deathmetal-, Trashmetal- oder gar Blackmetal-Ecke zuzuordnen. Und auch beim Cover sowie Titel wollten wir uns nicht eindeutig in einer Nische positionieren.“ Info: www.voicesofdecay.com
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von Reinhold Giovanett Illustration: Kenneth Gasser
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Der Schild Teil II.
ie hatte ihren Kaffee bezahlt und war recht gedankenverloren aufgestanden. Jetzt streunte sie durch die Gassen von Verona. Der Abend begann sich anzukündigen und ihre Gedanken kreisten vorerst nicht mehr um das Problem, wie sie an den im Antiquitätenladen entdeckten Sachsen-Schild kommen würde. Sie war mittlerweile in jener Welt, in der sie sich bereits vor einigen Jahren befand, als sie während ihres Studiums auf die Geschichte der nordischen Schildmaid gestoßen war und sich aus der Lektüre der damit zusammenhängenden Sagen, Texte und historischen Hintergründe, ihre eigene, für sie plausible Ge-
Skåne, von wo aus sich das dänische Volk gerade in ihrem Jahrhundert nach Westen bewegt hatte, um andere germanische Stämme von Jütland und dem heutigen Dänemark zu verdrängen. Ihrem Vater gehörte eine Burg, die direkt an den Klippen zur Ostsee stand und so gebaut war, dass sie der bisweilen wilden Ostsee-Brandung trotzen konnte. Die Legende erzählt, dass ihr Vater, kurz nach der Geburt seines Sohnes auf See ging, und an einer kleinen Inseln in der Ostsee Schiffbruch erlitt. In der Zeit, in der seine Männer das Schiff wieder seetüchtig mach-
te verfolgt hatte. Kein Jahr später soll es an der Südküste zu Skåne zu einem selten heftigen Unwetter gekommen sein. Die Burg konnte der Brandung trotzen, sie war dafür gebaut worden, und nie war das Wasser bis zu den Fenstern der oberste Kammer gelangt, die von der Gemahlin des Burgherrn bewohnt wurde. Nie, bis auf jenen Tag. Eine einzige Flutwelle war durch die nicht geschützten Fenster eingedrungen, hatte Licht und Feuer gelöscht und das Kinderbett umgekippt. Die Legende berichtet, dass die erschrockene Mutter zwar das Kind wieder fand, aber sofort er-
schichte zusammenfügte. Und es waren vor allem zwei Punkte im Leben der Schildmaid, die sie gepackt hatten. Es war zwar selten, aber dennoch nicht unüblich, dass sich eine junge Frau als Schildmaid auf „Aventiure“ aufmachte, durch die Länder reiste, um in den Dienst von erfahrenen Kämpfern zu treten und um schließlich selbst zu Kämpferinnen am Hof eines Königs zu werden. Die Geschichte der Schildmaid war freilich noch etwas außergewöhnlicher, weil sie lange Jahre um die Anerkennung ihres Vaters zu kämpfen hatte. Die Schildmaid war eine Ur-Dänin. Sie stammte demnach von der südskandinavischen Halbinsel
ten, hatte sich ihr Vater mit einer Inselbewohnerin eingelassen, die, so die Legende, am Land menschliche Gestalt annahm, im Wasser jedoch zu einem, wie man es in den alten Texten nannte, Seeungeheuer wurde. Ihr Vater hatte dieser Frau nicht nur nichts von seiner Gemahlin erzählt, sondern hatte sich, als das Schiff wieder zur Heimfahrt bereit lag, nachts und ohne Abschied aus dem Staub gemacht. Die Seemänner, die damals mit auf dem Schiff waren, erzählten später davon, dass sie auf der Rückfahrt ein Seewesen beobachteten, das sich heftig mit ihrem Vater unterhielt, vom Schiff aber schließlich abließ und es noch einige Zeit in Sichtwei-
kannte, dass es, bei aller gegebenen Ähnlichkeit nicht ihr Kind war. Es war auch kein Junge, sondern ein Mädchen. Wie die Mutter mit dieser Situation umging, darüber lassen sich eigentlich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht hat sie den Umstand des offensichtlichen Kindestausches für eine gewisse Zeit verheimlicht. Vielleicht hat sie mit ihrem Mann darüber gesprochen. Die Kindheit dürfte für die Schildmaid jedenfalls etwas verwirrend gewesen sein, denn den Textquellen ist zu entnehmen, dass sie zwar ein für damalige Männer untypisches Wesen an den Tag legte, aber dennoch die Erziehung eines Jungen bzw. jungen Mannes erfuhr.
Wenn die Zuneigung ihrer „Mutter“ auch gegeben war, so waren es wohl die unerfüllten oder unerfüllbaren Erwartungen ihres Vaters, die sie auch und vor allem auf der Gefühlsebene mit unlösbaren Widersprüchen konfrontierte. Mit der rein praktischen Seite hatte sie keinerlei Schwierigkeiten, denn den Umgang mit Waffen hatte sie ebenso problemlos erlernt, wie das Leben auf den Schiffen ihres Vaters. Es war aber, und das lässt sich aus den vorhandenen Textstellen zu dieser Geschichte nachvollziehbar herauslesen, ihr ganz besonderes Wesen, mit dem die Schildmaid ihr Umfeld gewissermaßen knackte. Als sie sich dann als junge Frau dazu entschloss, für einige Jahre als Schildmaid durch die Lande zu ziehen, dann mag das zwar zum einen auch damit zu tun haben, dass sie den Erwartungen ihres Vaters genügen mochte, aber denkbar ist auch die Neugier auf die Welt jenseits der wilden Ostsee. Ihr Vater hatte sie wohl selbst in das Land der Sachsen gebracht, als sie ihre Aventiure beginnen wollte und es mag auf der Überfahrt geschehen sein oder an der Küste, wo sie sich verabschiedeten, als ihr Vater ihr den Schild mit dem Seeungeheuer übergab. Vielleicht hatte er ihr an dieser Stelle über ihre wahre Mutter erzählt, über seine Lüge ihr und seiner Gemahlin gegenüber, über die Sorgen, die er sich nach wie vor über seinen verschwundenen Sohn machte. Vielleicht hat er ihr auch davon erzählt, wie er zu dem Schild kam, der ganz offensichtlich in direktem Zusammenhang mit ihrer wahren Mutter stand und ihr demnach einen ganz besonderen Schutz gewähren würde. Die Hektik in Stadtinneren von Verona hatte nachgelassen und die Dämmerung war längst vorbei, als sie in die Gegenwart wieder zurück fand. Wie oft hatte sich an diese eine Szene gedacht und die vielen möglichen Abläufe durchgespielt. Und stets endete dieses Gedankenspiel mit dem bitteren Sprung zu ihrer eigenen Geschichte.
Feuer frei! Rammstein in Verona – Eine Rückschau
HEADL I N E R Freitag, 6. August 2010 – Nr. 151
NEWS Radio Freier Fall
Sommerpause Nachdem die 98. Ausgabe von Radio Freier Fall Ende Juli über die Antenne gelaufen ist, steht nun erstmal die einmonatige und klammerauf wohlverdiente klammerzu Sommerpau-
Foto: rhd
Laurentius Winkler und Martina Zublasing (beide aus Brixen) und Irene Nardon (Lana).
Alle Fotos: Reinhard „Macy“ Messner und Irene Nardon
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ammstein scheiden die Geister. Rammstein gelingt aber auch, was den wenigsten anderen (internationalen) Bands gelingt: Sie bringen Generationen zusammen! Reinhard „Macy“ Messner hatte für das Konzert der Berliner Gigantomanen am 1. Juli im Castello Scaligero von Villafranca bei Verona zwei Busse organisiert und konnte feststellen, dass sich nicht nur ziemlich einige Südtiroler/innen Rammstein anschauen wollten, sondern in der Tat die Spannbreite vom jungen Fan (oft in Begleitung ihrer Eltern) bis zum 60jährigen Rockanhänger alles vertreten war. Das Konzert war mit 14.000 Besuchern ausverkauft und bereits im März waren Tickets nur mehr auf dem Schwarzmarkt oder über Ebay u.ä. erhältlich. Macy, der bei Facebook den Account „Rammstein Südtirol“ eingerichtet hat und dort alle Infos zum Konzert weitergibt, über Rammstein in Verona: „Das Konzert war logisch super. Die Vorgruppe war, wie auch schon in Deutschland, die norwegische Metal Hardcoregruppe Combichrist. Sie wussten gut einzuheizen und haben bei 35 bis 38 Grad im Schatten gespielt. Rammstein selbst haben 85 Minuten gespielt, was etwas wenig ist, aber die
Spektakuläre Show, exzellenter Sound: Für Rammstein fuhren am 1. Juli 2010 über 1000 Südtiroler/innen nach Verona.
Zwei Völlaner Mädels mit einigen Rammstein-Fans.
Warten auf Rammstein: Das Publikum im Castello Scagliero bei Verona (rechte untere Ecke: Stevie, Traminer Biker vom „MF Gangsters“).
Mirko Buzzini aus Meran rockt!
Stimmung war jedenfalls super. Wie an den Fotos zu erkennen ist, war das Ambiente super, die Organisation war einwandfrei und vor allem ist alles sehr friedlich abgelaufen. Innsbrucker Studenten haben Prüfungen sausen lassen, so mancher hat Arbeit geschwänzt, sich frei genommen, im Anschluss ein langes Wochenende am Gardasee verbracht. Laut Ticketone Brixen wurden noch nie so viele Tickets für ein Konzert außerhalb Südtirols verkauft und allein in Brixen sollen es so an die 800 gewesen sein. Aber auch Athesia und Greenticket (Showtime) sollen einige hundert Tickets verkauft haben.“ Die Songs, die Rammstein gespielt hatten, stammten wie „Waidmann's Heil“, „Pussy“ oder „Haifisch“ vom aktuellen Album, zu hören waren aber natürlich auch Klassiker wie „Feuer frei“, „Links 2, 3 4“ oder „Du hast“. Der Übersong „Engel“ hat jedoch gefehlt. (rhd)
Comics im „Headliner
Kenneth Gasser Kenneth Gasser ist ein junger Zeichner aus Meran, der sich seit etwas mehr als zwei Jahren intensiv mit Illustration und den Ausdrucksformen des Comics beschäftigt. Seine großen Vorbilder sind Illustratoren wie Paul Gustave Dorè oder Aubrey Beardsley und er orientiert sich an den großen Meistern des Barock und der Renaissance. „Von Wesen und Wurzeln“ ist seine erste Veröffentlichung.
Zeichnung: Kenneth Gasser
Hinterland - Folge 15
se an. Das Radio Freier FallTeam wird euch ab 04. September 2010 wieder wöchentlich den Donnerstagabend ab 19.40 Uhr mit Neuveröffentlichungen, Interviews und Livesessions von Südtiroler MusikerInnen versorgen und dabei wie gewohnt jugendbezogene Themen mit einbeziehen. Bis es soweit ist, könnt ihr auf der Website in vergangenen Programmpunkten und Fotostrecken (im Bild: Simple Choice live im Auditorium) stöbern oder dem RFFTeam Wünsche für die kommende Season schicken. Info: radiofreierfall@gmail.com oder http://radiofreierfall.blogspot.com
Metal Soccer
Anpfiff! Die Fußball-Weltmeisterschaft ist vorbei; die Fußball-Szenemeisterschaft beginnt! Und zwar morgen um 10 Uhr in der Sportzone Luttach. Dort spielen 10 Bands gemeinsam Fußball und sichern sich somit ihre Auftritts-
zeit bei der anschließenden Konzertstrecke (Beginn ca. 17. Uhr). Mit dabei sind Average, Euforex, Isomorphis, Morrison’s Doghouse, Prehate, The Living Targets, The Lubbers, Reach Us Endorphine, Simple Choice und Wing Dick. Neben dem Kleinfeldturnier und der Livemusik gibt’s heuer auch ein Glücksrad, prämiertes Torwandschießen und ein Bölkstoff-Spiel. Der Festplatz ist überdacht, der Eintritt ist frei und gekickt wird für den guten Zweck. Info: www.metalsoccer.com
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