Headliner #104

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Freitag, 20. August 2010 – Nr. 161

HEADL I N E R Redaktion Tageszeitung „Headliner“: 329/5913560 – redaktion.headliner@gmx.com

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Toy-hacking in Japan

Fotos: ige*timer

Klaus Janek und ige*timer

Aus Überzeugung auf Vinyl veröffentlicht: „Ice Cold Pop“, das Debüt des Duos ige*timer

von Reinhold Giovanett Neugier und Offenheit als Motor für die Kreativität: Klaus Janek, vor zwei Wochen in Bozen, kurz vor seinem Tourstart nach Japan, Kanada und in die USA.

Foto: rhd

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enn dieser Text erscheint, wird sich der Völser Klaus Janek in Tokio aufhalten. Zwischen 16. und 26. August wird er in Japan mit seinem Projekt ige*timer insgesamt sechs Konzerte spielen, fünf davon in Tokio, eines in Yokohama. Mit ige*timer hat der Kontrabassist, der bereits vor Jahren seinen Wohnsitz von Völs nach Berlin verlegt hat und von dort aus sein Musikerdasein lebt, eine Vinyl-LP über das Schweizer Label Everest Records veröffentlicht, das mit dieser Japan-Tour, zwei anschließenden Auftritten in Kanada und einer den gesamten September andauernden Tour durch die USA promotet wird. ige*timer ist eines der jüngeren Projekte, die dem Kontrabassisten, wie er sagt, „sehr große Freude bereitet“. Gemeinsam mit dem Schweizer Schlagzeuger und Perkussionisten Simon Berz schafft Janek unter dem Namen ige*timer improvisierte Musik, die sich, Zitat „de:bug“: „zwischen Noise, loopba-

sierten rhythmischen Tracks, konkreten Sounds und entspannten minimalen Drones bewegt“. Während Klaus Janek die Klangwelten seines Kontrabasses auslotet und mit dem Laptop auf elektronischem Wege in die Musik eingreift, arbeitet Simon Berz mit selbstgebauten elektro-akustischen Soundgeneratoren, wobei das toy-hacking, das Umbauen von altem Spielzeug, einen wichtigen Teil seiner Instrumente- und also

Klangparks beisteuert. Kennengelernt haben sich Janek und Berz 2007 in Berlin und da die musikalischen Ideen viele Berührungspunkte hatten, entschlossen sie sich nicht nur gemeinsame Sache zu machen, sondern sich auch die Zeit dafür nahmen, das Projekt wachsen zu lassen. Nach eineinhalb Jahren konzertfreier, intensiver Auseinandersetzung mit der Musik folgte der Schritt auf die Bühne und im Herbst 2009 schließ-

lich die USA-Tour, die sie von New York etappenweise bis nach New Orleans brachte. Der LP liegt ein wunderschönes Booklet in LP-Größe bei, das Fotos zeigt, die während der Tour von ige*timer im September/Oktober 2009 an der us-amerikanischen Ostküste entstanden sind, bei der auch die drei Titel „Baltimore“, „New Orleans“ und „Philadelphia“ mitgeschnitten wurden. Die LP ist für 18 Euro in Bozen, bei „Altri suoni“ (in der Quireiner Straße) erhältlich. Ein ausführliches Interview mit Klaus Janek zu seinen aktuellen Projekten (inklusive dazugehöriger Musik) ist am Donnerstag, 2. September, ab 21 Uhr, bei Radio Freier Fall (RAI Sender Bozen) zu hören. Zu diesen Projekte zählen seine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Elektronikmusiker und DJ Chris Douglas in dessen Projekt O.S.T., die Improvisationen mit dem ebenfalls in Berlin lebenden experimentierfreudigen Bozner Musiker Claudio Rocchetti und dem Trio Sartori-Kühne-Janke. Info: www.klaus-janek.de www.myspace.com/igetimer


Vier Screenshots aus dem Schlund der VHS-Ära (im Uhrzeigersinn): Die damals bereits dreisprachig agierenden Progrocker aus Überetsch Pegasos + (1990), Peachnoise, eine exzellente Band aus Brixens Vergangenheit (1995), die ebenfalls aus Brixen stammende Band Dizzy Blue Potatoes und die in veränderter Formation heute noch aktiven Sitting Bull beim Jukas Openair (1998).

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15 Jahre rückwärts bitte! Videos aus den Neunzigern beim Brixner Stadtfest

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ieses Wochenende ist Stadtfest in Brixen. Vielen wird diese Information genügen. Andere hingegen möchten wissen welche Bands und welche Musik es denn zu hören gibt. Im Hof des Jugendzentrums Kass gibt es heute beispielsweise Musik von drei DJs, morgen Samstag stehen ab 17 Uhr die Bands Subminia (Rock, Brixen), IntoXication (Punk, Bozen), Nora13 (Progressive, Bozen) und Mad Mecanics (NWoBHM, Bruneck) auf der Bühne und am Samstag, ab 18.30 Uhr

Foto: rhd

Auch Plakate und Flyer sollen im Südtiroler Musikarchiv ihren Platz finden.

Im Sommer 2009 gab der Grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss bekannt, dass er sich für ein „Landesrockarchiv“ einsetzen und mit Riccardo Dello Sbarba einen dementsprechenden Beschlussantrag im Landtag einreichen wird. Im Mai 2010 war es dann soweit; der Landtag entschied über den Antrag und nahm ihn bei einer Enthaltung an. So sollen all die vielen kleinen Kostbarkeiten, die unser Land im Bereich Rock & Popmusik hervorgebracht hat (und bislang nur Teil weniger Privatsammlungen sind), einen fixen Platz im „Landesrockarchiv“ kriegen. Trotzdem liegt das Archiv noch in weiter Ferne. Wir haben Hans Heiss zum aktuellen Stand der Dinge befragt und in Erfahrung gebracht, wie es entstehen, aussehen und wachsen soll. (Interview: eva)

eine Sessionband aus Brixen, Simple Choice (Rock, Passeier) und die Desperate Cowboys (Rockabilly, Bozen). So weit, so gut. Das Zuckerle ist hingegen die Großleinwand, die parallel zur Livemusik mit Videos aus den Jahren 1991 bis 1998 bespielt wird. Das Jugendhaus Kassianeum hat sein (VHS-)Videoarchiv digitalisiert und zeigt die Livemitschnitte von Musikprojekten wie „Die Rampe“ oder die jährlichen Fahrten zum Pop-ODrom nach Wien. Die Screenshots zeigen, dass sich sowohl das Posen

Hans Heiss zum aktuellen Stand: „Ein wenig Druck aus der Musikszene würde nicht schaden.“

Headliner: Wie sieht das Grundkonzept des Archivs aus? Hans Heiss: Das „Landesrockarchiv“ sollte die musikalische Entwicklung in den Bereichen Rockund Popmusik ab ca. 1965 bis in die weit verästelte Musikszene der Gegenwart dokumentieren. Aus der Sicht eines Archivars und Historikers ist ein breites Sammlungskonzept notwendig, das audiovisuelles Material in großer Breite sammelt, sichert, ordnet und erschließt. Die Ausgangsidee ist jene, dass die Szene zwar vital, aber auch sehr flüchtig ist, dass sich Musikstile, Bands und Personen ständig ändern, in die Szene rein- und wieder rausgehen. Dass es sich hauptsächlich um Jugendliche und junge Erwachsene handelt, die an Zukunft orientiert sind, nicht aber an Dokumentation. Aus diesem Grund ist es besonders notwendig, die vielfältigen Materialien zu sichern. Notwendig auch aus dem Grund, weil Musik einen Lebensstil und gesellschaftliches Grundgefühl ausdrückt, das anderswo nicht in dieser Intensität, Leuchtkraft und Lebensfreude (or whatever) fassbar ist. Aus einem

als auch das leicht steife Auf-derBühne-stehen nicht wirklich verändert hat. Verändert haben sich die Bandnamen, Stilrichtungen und die eine oder andere heute noch aktive Band. Die (hier unvollständig angeführte) Liste liest sich wie ein kleines Who's Who der Neunziger Livebands unseres Landes: Hovercraft, Pan Tinity, Hämmäd, Deadly Silence, Semeatary, Sugar Reef, Nüchterne Trinker, Near Dark, Delirium Tremens, Resurrecturis, Graveworm, Experience Near To Zero, Up and Down, Lanacy, The Wayri-

ders, Machine Zone, Stuff and Nonsense, Los Rollitos Rellenos, Stoned Angelina, Head'n Noose, Waste, Shin, November Soul, The Revel, Cracky Thoughts, Exit ... (rhd)

Hans Heiss im Interview

Südtiroler Rockarchiv Song von Artificial Joy oder heute SPU oder Unantastbar, um nur punktuelle, konträre Beispiele zu nennen, lässt sich oft weit mehr über Südtirols Befindlichkeit herauslesen als aus langen Traktaten. Zu sammeln: Tonträger, Singles, LP’s, CD’s, Master- und Demotapes, Digitale Tonträger; Fotos und Videomaterial, Verträge, Unterlagen, Aufzeichnungen u.v.m. und auch wenn auch in Maßen historische Instrumente. Dies durch eine kompetente Person, die in bester Kenntnis der Szene, archivarischer Standards operiert und die Unterlagen langfristig sichert und aufbereitet. Aufbereitet für wissenschaftliche Forschung, Publikationen, Ausstellungen, eigene Produktionen u.v.m. Wichtig sind Kommunikation, Kontaktpflege und Zusammenarbeit mit Institutionen; Aufrufe zur Sammlung und Vertrauensbildung. Wer hatte die zündende Idee dafür? Die Idee kam mir aufgrund langen Musikinteresses und erhöhten Lebensalters, in dem man mehr über die Vergangenheit als über die Zu-

kunft nachsinnt, aufgrund meiner Berufserfahrung als Archivar/Historiker. Grundlegend waren die Kontakte mit großen Musiksammlern wie Helmuth von Dellemann oder Werner Menapace, die wahre Schätze an Rockmusikalien verwahren und sie gerne an einem geeigneten Ort sichern würden. Wer ist für die konkrete Umsetzung zuständig? Federführend sind die Landesräte für Kultur, vorab Sabina Kasslatter und Christian Tommasini. Sie werden wohl hoffentlich eine interne Arbeitsgruppe einsetzen, die dann wiederum eine kompetente Person mit Arbeitsauftrag betraut. Dass dies schnell geht, darüber sind Illusionen wenig angebracht, aber im Amt für Audiovisuelle Medien gäbe es Wissen und Know-How. Auf welchem Stand befindet sich das Archiv/die Planung momentan? Die Mühlen des Landes mahlen langsam, vor allem, wenn ein Vorschlag von der Opposition kommt, es ist daher erst wenig passiert; ein wenig Druck aus der Musikszene würde daher nicht schaden.


Echo statt Blackriver

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NEWS

Fast ein Festival

Weltoffen & heimatverbunden

Südtirol + Afrika

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as „Blackriver Festival“ hatte sich, in den fünf Jahren die es vom Jugendtreff „Joy“ Auer durchgezogen wurde, nicht nur im Unterland als angenehmes Fest einen Namen gemacht, bei dem man sich in angenehmen Rahmen einheimische Bands zu Gemüte führen konnte. Das Blackriver Festival gibt es nicht mehr. Der zeitliche und organisatorische Aufwand war dem „Joy“ zu groß, um es weiterzuführen. Aber es gibt Ersatz! Der Ersatz findet am heutigen Freitag, 20. August, ab 19 Uhr vor dem Jugendtreff „Joy“ im alten Dorfkern von Auer statt und trägt den Namen „'s Echo“. Die Bands: Blind Alley (Rock, Unterland), Nora13 (Progressive, Bozen), The Loords (Hardrock, Steinegg/Bozen) und Midnight Hour (Blues/Rock, Bozen) (rhd)

Der folgende Hinweis richtet sich an den weltoffenen Teil der Südtiroler Bevölkerung - also u.a. die gesamte Leser/innen/schaft des „Headliners“, stimmt's? :-) Das N.E.T.Z. (Netzwerk der Jugendtreffs und -zentren Südtirols hat letztes Jahr die Initiative „Heimatverbunden und weltoffen“ ins Leben gerufen. Darunter sind Aktionen zu verstehen, die die beiden Begriffe nicht als gegensätzlich sehen, sondern komplementär. Das Jugendzentrum „Jux“ Lana startet Anfang September eine zweiwöchige Workshopreihe, mittels

Info: www.joyauerora.it Neu, klein und fast ein Festival: „'s Echo“ beim Jugendtreff „Joy“ Auer am heutigen Freitag.

Liedermacherfestival in Brixen

Manchmal kommen sie zurück Sieht man von Sepp MessnerWindschnur und Markus „Dor Doggi sing'“ Dorfmann ab, so war die Liedermacherei als Genre seit Jahr(zehnt)en so gut wie tot in Südtirol. Nur vereinzelt tauchten hin und wieder Namen auf: Fallacy Lens, Alfred E. Mair, Kurt J. Moser, Dominik Plangger, Jean Ruaz, Patrick Strobl und letzthin Max von Milland. Jetzt haben sich die Liedermacher – u.a. Dor Doggi sing' und Max von Milland – zusammengetan, einen Verein gegründet und ein Festival ins Leben gerufen, das den gegenwärtigen Stand der Dinge in Sachen Liedermacherei (als Genre) zusammenfasst. Zu sehen sind dabei natürlich die „üblichen Verdächtigen“: Sepp Messner, Dor Doggi sing', Max von Milland und Patrick Strobl von

Mit vereinten Kräften ein gemeinsames Festival: Das Südtiroler Liedermacherfestival in Brixen in seiner ersten Auflage.

Lookybutnotouchy mit seinem neuen Projekt. Zu sehen sein werden auch neue Namen und mit Jan Köppen auch ein klein bisschen Flitter: Köppen ist TV-Moderator (Viva, ZDFinfokanal), DJ und Rapper. Über die Bühne geht das Festival am Samstag 21. und Sonntag, 22. August, im Lachmüller Hof in Brixen, und ist also quasi eine positive Begleiterscheinung des Brixner Stadtfestes. Die Konzerte beginnen jeweils um 11:30 Uhr, 15:00 Uhr und 18:30 Uhr. (rhd) Info: www.myspace.com/suedtirolerliedermacher

Wer bin ich? Foto: rhd

Unsere neue 10-teilige Reihe „Wer bin ich?“ ist kein Selbstfindungs-EsotherikKrempel, aber ein lustiges Bandrätsel zur Südtiroler Musikszene. Wir haben 10 Bands geknipst bzw. ihre Bandnamen auf einem Foto dargestellt; nun gilt es zu erraten, wer auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist! Die Auflösung von heute findet ihr mit einer neuen Folge in der kommenden Headliner-Ausgabe.

der Einblicke in die Kultur Südtirols und in die Kultur(en) Nordafrikas gegeben werden. Zitat: „Die zwei Wochen beziehen sich auf die musischen Kulturpraktiken, Musik und Tanz. Speziell sind dies: afrikanische Percussion und Tanz und Liedgut sowie Jodeln, Schuhplattln in Kombination mit Kontaktimprovisation und Goaßlschnölln. Die KursteilnehmerInnen sollen einen Einblick in alle diese Gebiete erhalten und Erlerntes beim Abschlussabend gemeinsam präsentieren.“ Zielgruppe: Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren. Zeitraum: 1. bis 10. September. Anmeldung: info@jux.it. Tel. 0473/550141


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von Reinhold Giovanett Illustration: Kenneth Gasser

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Der Schild Teil IV./Schluss

ie sie es anstellen würde, um an den Sachen-Schild im Antiquitätenladen zu kommen, das wusste sie noch nicht, sie wusste aber, dass sie ihn haben wollte. Koste es was es wolle. Die Nacht war inzwischen über Verona hereingebrochen und sie irrte immer noch durch die Gassen, die sie eigentlich sehr gut kannte, aber heute gar nicht wahrnahm. Die Geschichte der Schildmaid hatte sie seit ihren jungen Jahren begleitet

der Karolinger, also der Zeit, in der die Schildmaid gelebt haben musste. Bei aller akribischen Mühe, das Bild der Schildmaid „festzuschreiben“, blieb immer noch einiges an Rätselhaftem bestehen und so pragmatisch und realitätsbezogen sie auch war, konnte sie sich nicht vom Reiz der magischen Elemente der Geschichte entziehen. Aber es war auch das eigenartige,

nachgehen, ließ sich von den Musikern, die sich von Zeit zu Zeit in Skåne aufhielten Lieder zeigen und Geschichten erzählen. Als ihr Vater sie an die Küste des Sachsenlandes gebracht hatte – so die Legende –, um sie in die von ihr (und von ihm) gewünschte Aventiure zu entlassen, hatte er von ihrer wahren Mutter erzählt, vom Kindstausch in jener auffällig stür-

und sie hatte immer wieder Stunden damit verbracht, sich die Person der Schildmaid vorzustellen, ihren Charakter, die Details ihres Lebens, von der Kindheit im skandinavischen Skåne, ihrer Reise vom Norden Europas bis in die Alpen, ihre Zeit am Hofe des Königs Laurin, später ihr kurzer Dienst hier in Verona am Hofe Dietrichs von Bern und schließlich ihre Rückkehr zu Laurin. In der Zeit ihres Uni-Studiums hatte sie versucht, ihre Vorstellung der Schildmaid, die von den Sagen und Legenden geprägt war, durch historische Belege und Hinweise zu untermauern, zu korrigieren und nach Möglichkeit zu ergänzen: Von den ersten schriftlichen Übertragungen des Laurin-Epos aus dem 13. Jahrhundert, der umstrittenen Frage, ob die Figur des Dietrichs von Bern mit jener des Gotenkönigs Theoderich deckte bis hin zu den Ergebnissen der Zeit zwischen dem Zerfall des römischen Reiches und dem Aufstieg

für viele nicht wirklich nachvollziehbare Verhalten der Schildmaid, das sie in ihren Bann schlug. Am Hofe Laurins musste etwas vorgefallen sein, das die Schildmaid dazu veranlasst hatte, weiterzuziehen. Es mag etwas gewesen sein, das in ihr Enttäuschung und Zorn hervorgerufen hatte, denn hatte sich die Schildmaid am Hofe Laurin auch als solche vorgestellt, so hatte sie sich auf dem Weg nach Verona dazu entschlossen, sich nicht mehr als Frau zu zeigen, sondern sich als Mann zu geben. Der Grund dafür mochte ihre Herkunft sein: Ihr Vater hatte lange Jahre nicht anerkennen wollen, dass da eine junge Frau heranwuchs. Sie war nicht der gewünschte Sohn und hatte die Erziehung eines jungen Burgherrn erfahren. Sie erlernte den Umgang mit Schwert und Waffen, schlug sich in Turnieren und nur Dank ihrer Mutter, die gar nicht ihre leibliche Mutter war, wie erst sehr spät erfuhr, konnte sie auch ihrer Muse

mischen Nacht. Die Schildmaid konnte das Schuldgeständnis ihres Vaters wohl schwer einordnen. Sie nahm es in sich auf, war verwirrt und es mochte ihr eigenartig erscheinen, dass sie von ihrem Vater den Schild erhielt, der mit einem Seeungeheuer bemalt war. Dieser Schild hatte ihr in der Zeit die folgte besten Schutz gewährt. Auch und gerade in der Zeit, als sie sich als junger Recke am Hofe Dietrichs von Bern bewähren musste. Es hieß, die besten Kämpfer würden im Dienste Dietrichs stehen und diese waren ganz und gar nicht zimperlich, wenn es darum ging, Neulinge auf ihre kämpferische Wertigkeit zu testen. Es war ihr nicht nur gelungen, am Hofe Dietrichs aufgenommen zu werden und dort zu bestehen, sie schaffte es auch, nicht als Frau erkannt zu werden, was zum einen daran lag, dass sie in etlichen Kämpfen bewies, dass sie jedem der Recken die Stirn bieten konnte, und also gar nicht den Gedan-

ken aufkommen ließ, dass sich da eine Frau die Anerkennung als Mann erkämpfte, zum anderen hatte sie sich wohl stets abseits gehalten. Nicht lange nach ihrer Ankunft am Hofe Dietrichs von Bern, kam ein Hilferuf aus dem Norden. Dietrich von Bern sollte mit seinen Mannen einen gewissen Laurin in die Schranken weisen, der die Schwester eines Freundes entführt hatte, um diese zur Frau zu nehmen. Dietrich von Bern kam dem Hilferuf nach und machte sich mit seinen Recken auf nach Norden. Warum sich die Schildmaid nicht widersetzte, im Gefolge Dietrichs gegen Laurin ins Feld zu ziehen, ist ein Punkt, der einige Interpretationsmöglichkeiten zulässt: Ergab sie sich dem Schicksal? Wollte sie sich dem am Hofe Laurins Vorgefallenen stellen? War sie innerlich so zerrissen und müde, dass sie bewusst oder unbewusst einen Schlussstrich ziehen wollte? Die Legende will es, dass sich Dietrich von Bern mit etwas Mühe gegen Laurin durchzusetzen vermochte, es aber zum Punkt kam, an dem die Schildmaid gegen Dietrich von Bern das Schwert zog. Wollte sie Laurin schützen? Wollte sie seine Ehre vor den selbstbewussten, vielleicht sogar arroganten Kämpfern aus dem Süden wahren? Wollte sie sich letztlich als Frau bekennen und als solche sterben? Ohne ihren Schild, den sie in Verona zurückgelassen hatte, hatte sie bei aller Geschicklichkeit keine Möglichkeit, lange gegen Dietrich standzuhalten und die anwachsende Wut Dietrichs gegen diesen jungen, scheinbar desertierenden Kämpfer mochte seinen tödlichen Schlag geführt haben. Erst nach dem Kampf mochte Laurin oder einer seiner Leute diesen jungen Kämpfer als die Schildmaid erkannt haben, die einige Zeit vorher an ihrem Hofe gedient hat. Der Schild hätte ihr Leben retten können, der Schild, der sich jetzt in diesem Veroneser Antiquitätenladen lag. Sie wollte diesen Schild, koste es was es wolle.


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