Hrm 01 2018 Vertrauen

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VERTRAUEN


Ich bin der Puls des Unternehmens

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EDITORIAL

Riskante Vorleistung

Coverfoto: dpa

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elche Zauberkräfte dem großen Wort „Vertrauen“ nicht alle unterstellt werden: So habe es einen positiven Effekt auf die Gesundheit, gehe mit einer geringeren Sterblichkeitsrate einher, vermindere das Stressempfinden und evoziere eine erhöhte Lebenszufriedenheit. In puncto Mitarbeiterbindung wird jenem wohligen Gefühl aus der Sphäre der intimen Zweierbeziehung selbstredend eine ebenso zuträgliche Wirkung unterstellt wie auf die Arbeitsleistung von Angestellten. „Wenn das Vertrauen in das Management um zehn Prozent steigt, bewirkt das bei den Mitarbeitern einen genauso großen Anstieg in der Lebenszufriedenheit wie eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent“, schreibt die heutige Beraterin Simone Neser im Sammelband „Psychologie der Werte“. Für Personalverantwortliche nicht ohne Relevanz sind da die aufgezählten empirischen Befunde, die Neser präsentiert: So verändere sich die Fähigkeit zu vertrauen in Abhängigkeit vom Alter (sie steigt bis in das frühe Erwachsenenalter an und verharrt dann konstant auf einem Niveau), Personen mit Haustieren wird eine höhere Vertrauensbereitschaft attestiert als solchen ohne tierische Gefährten und: Je mehr das Gesicht eines Gegenübers dem eigenen Gesicht ähnelt, desto ausgeprägter ist auch das Vertrauen. Aber vielleicht am aufschlussreichsten mag jene prägnante und einleuchtende Korrelation sein: Vertrauen a p r il / m ai 20 1 8

kann Vertrauen bewirken. Wir vertrauen also dann mehr, wenn uns zuvor bereits Vertrauen entgegengebracht worden ist. Ein Gefühl, das sich selbst verstärkt, das allerdings ähnlich epidemisch in seiner Fähigkeit zur Destruktion auftritt. Wird ein Vertrauensverlust erst einmal empfunden, ist dieser schwer zu beheben. Doch ist Misstrauen kein Gegenpol zum Vertrauen. Auch eine negative Erwartungshaltung lässt sich unter dem Stichwort Vertrauen subsumieren. So kann eine Führungskraft überzeugt von der Inkompetenz eines Mitarbeiters sein und hegt dann, im negativen Sinne, Vertrauen in dessen Nichtkönnen. Die Gehirnforschung belegt den Unterschied: Jeweils unterschiedliche Areale sind beim Ver- beziehungsweise Misstrauen aktiv. Vertrauen lässt sich zudem hormonell nachweisen: Das Neuropeptid Oxytocin, das Mütter nach der Geburt ihres Kindes ausschütten und deren Bindungsgefühle in Wallung bringt, spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Vertrauen. Dagegen hat ein hoher Testosteronspiegel eher vertrauenshemmende Wirkung. Dieser als männliches Sexualhormon bekannte Botenstoff steigert die Wachsamkeit und dient als sozialer Schutzmechanismus. Schließlich macht Vertrauen verletzlich und birgt auch immer die mögliche Gefahr einer Enttäuschung in sich. „Wer Vertrauen bejaht, nimmt das Risiko der Unsicherheit willigend in Kauf“, schrieb der Soziologe Niklas Luhmann. Er bezeichnete diesen Gefühlsvorschuss

als eine „riskante Vorleistung“, die sich irgendwann auch auszahlen soll. Ihm zufolge ermöglicht erst Vertrauen einen optimistischen Blick in die Zukunft, während jener, dem Vertrauen fehlt, in ständiger Angst lebe. Nicht ohne Grund sehen Führungskräfte gemäß der alljährlichen Umfrage des Vereins „Wertekommission“ Vertrauen als Voraussetzung für erfolgreiches Handeln. Und doch zeichnet sich so manche Unternehmenskultur eher durch ein Manko am gelebten V-Wort aus, Kontroll- und Compliance-Wahn inklusive. Das hier und da existierende Firmenprinzip: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, deren Autorschaft dem russischen Politiker Lenin zugeschrieben wird, ist trauriges Indiz eines Anachronismus. Zumal verstärkte Kontrolle fehlendes Vertrauen impliziert. Während Vertrauen überhaupt erst Vertrauen schafft.

Hannah Petersohn, Leitende Redakteurin Human Resources Manager Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@human resources manager.de

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01/18 SCHWERPUNKT: VERTRAUEN 22 Epilog Die Ökonomisierung des Ver­­trauens nimmt machiavellistische Züge an

8 über aktuelle arbeits-

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marktpolitische Pläne

Obsession der Moderne Im Gespräch mit der Historikerin Ute Frevert über die Konjunktur des V-Wortes, fehlendes Misstrauen und die vermeintliche ­Vertrauenskrise

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Wer schweigt, gewinnt Zum Berufsethos der Personaler gehört die Diskretion. Wie HRler Vertrauen zu den Mitarbeitern aufbauen können

Im Dschungel des Koalitionsvertrags:

M E INU N G 3

Editorial

6 Desktop Daniel Brecheis, Director HR bei Steelcase, hat weder einen eigenen Schreibtisch noch ein eigenes Büro

32 Präsentismus ist 90er Jahre Vertrauensarbeit ist en vogue, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen

8 Debatte aktuell Professor Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik, über zukünftige arbeitspolitische Maßnahmen der Großen Koalition 16 In Champagnerlaune Chefs können ihre Mitarbeiter auch humorvoll provozieren – zugunsten der Ehrlichkeit

36 Vertrauen ist eine Entscheidung Sind deutsche Chefs bereit, vertrauensvoll zu führen? Im Interview mit der Vertrauensforscherin Ulrike Schwegler 40 Zerbrochenes Porzellan Endet eine Freundschaft oder Liebesbeziehung zwischen Kollegen, müssen Personaler reagieren 44 Schöner scheitern Was passiert, wenn Fehler kommuniziert statt sanktioniert werden? Wie eine Fehlerkultur erfolgreich implementiert wird 48 Wenn Bewerber lügen Pre-Employment Screening ist aufwendig und teuer – inzwischen aber notwendig

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19 Extrovertiertes Ideal, ade In der Arbeitswelt haben sich die Persönlichkeitsideale gewandelt

Warum Bewerber immer häufiger durch­leuchtet werden müssen und welche Möglichkeiten das Pre-Employment Screening bietet 4

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IM F O K U S 52 Die Suche nach dem Lebensweg Er hat schon 40 Jobs ausprobiert, heute berät er Jugendliche bei der Berufsfindung: WhatchadoGründer Ali Mahlodji im Interview 56 Gehalt ohne Job Die Beraterin Jesta Phoenix hat für zwölf Monate das bedingungslose Grundeinkommen gewonnen. Über eine Erfahrung mit Höhen und Tiefen 60 Wer spielt, lernt Ein Professor erklärt, was die Wirtschaft von der Spielwissenschaft lernen kann

65 Befragungsmüde Mitarbeiter Was tun, wenn niemand an Umfragen teilnimmt oder die Ergebnisse schlecht ausfallen?

68 Ängste abbauen Wie Unternehmen von der DSGVO sogar profitieren 72 Quereinsteiger Trotz Fachkräftemangel haben Unternehmen Quereinsteiger kaum auf dem Radar. Ein Fehler!

P RAXI S

76 Sieben Gedanken Vertrauensvolles Führen ohne Psychotricks 77 Meine digitale Welt Robert Neuhann ist Recruiter bei Xing und erledigt fast alles auf dem Smartphone 78 Rezensionen Über das Potenzial von Coaching und eine bitterböse Realsatire

RE CHT 80 Aktuelle Urteile 82 Mitarbeiterüberwachung Die technischen Maßnahmen und Mittel sind nur innerhalb enger rechtlicher Grenzen möglich a p r il / m ai 20 1 8

Oft diskriminiert und selten weitergebildet: Unternehmen verkennen

68 Datenschutzgrundverordnung Welche Herausforderungen die neue DGSVO für Personaler bedeuten

A N A LY S E 63 Stoppt den Jugendwahn Das Potenzial älterer Mitarbeiter wird immer noch massiv unterschätzt

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83 Impressum

das Potenzial älter Mitarbeiter

VER B AN D 86 Editorial #MeToo stellt die Vertrauensfrage 87 HR Start-up Award 2018 Vorjahressieger berichten 88 Performance Management Stehen wir tatsächlich vor einem Umbruch? 90 Termine 92 Proud2beHR BPM-Kampagne: Was macht Sie stolz? Antworten von Elke Eller, Felicitas von Kyaw und Thomas Belker

LETZ TE SEITE 94 Fragebogen Oliver Burkhard, Arbeitsdirektor und Personalvorstand bei Thyssenkrupp


M E I N U N G  | Debatte aktuell

Im Gestrüpp der Einzellösungen Ein Interview von Hannah Petersohn

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Debatte aktuell  |  M E I N U N G

Foto: getty images

Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, Union und Sozial­ demokraten haben eine Regierung gebildet. Wirtschaftsverbände kritisieren bereits die Vereinbarungen der Parteien mit dem Hinweis, sie seien zu arbeitnehmerfreundlich. Aber stimmt das über­ haupt? Professor Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, bezeichnet die arbeitsmarktpolitischen Regelungen der Groko als widersprüchlich und rückwärtsgewandt. Der Versuch einer Einordnung.

Der neue Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gilt als Schröderianer und Verfechter der Agenda 2010. Ursprünglich hat er auf einen Posten als Bildungsminister gehofft. Welche arbeitspolitischen Maßnahmen erwar­ ten uns mit ihm? Mit dem Hinweis auf seine politische Lagerherkunft könnte man argumentieren, dass die Politik des Sowohl-alsauch fortgesetzt wird: dass er sowohl die Hartz-Gesetze akzeptiert und fortführt als auch punktuelle Kritik zur Abgrenzung gegenüber der Union üben könnte. Die Politik von seiner Vorgängerin Andrea Nahles wird er wahrscheinlich fortsetzen. Allerdings sollte man die Rolle einzelner Personen nicht überbewerten. Aussagen von Politikern prägen die ge­ samtgesellschaftliche Gemengelage. Und gerade Einschätzungen der Minis­ ter aus dem Kabinett Merkel sind doch für die Wähler von Relevanz. Nur werden Ministerposten nicht immer a p r il / m ai 20 1 8

in Übereinstimmung mit der fachlichen Eignung vergeben. Posten und Expertise gehen manchmal weit auseinander. Politik ist weniger eine Sache der Personen als eine Angelegenheit der Apparate und des Systems geworden. Heil ging kürzlich auf Distanz zu den Äußerungen des Gesundheitsminis­ ters Jens Spahn (CDU), der Bezug von Hartz IV bedeute nicht Armut. Heil hielt dagegen: „Die Grundsicherung liegt am Existenzminimum.“ Damit hat er keinen Widerspruch formuliert. Bei seiner Aussage zur Grundsicherung handelt es sich genau um die Bestimmung, die auch im Sozialgesetzbuch II enthalten ist, nämlich: Hartz IV soll nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Existenzminimum absichern, allerdings das soziokulturelle Existenzminimum. Insofern stellt er damit das Hartz-IV-System nicht infrage. Er ist nur weniger konfrontativ als Jens Spahn. Heil muss sich so verhalten, weil andere Poli-

tiker das System infrage stellen. Sie spielen unter anderem auf die Aussagen von Michael Müller, Ber­ lins Regierendem Bürgermeister, an. Müller hat kürzlich erneut seine Idee eines solidarischen Grundeinkommens bekräftigt. Innerhalb der SPD und bei den Grünen wird von einigen das Hartz-IVSystem grundsätzlich infrage gestellt. Heil positioniert sich dazwischen. Es gibt bei ihm aber ein inhaltliches Problem: Wenn er sagt, die Grundsicherung liegt am Existenzminimum, dann verteidigt er ein System, das den Auftrag, das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern, nach Meinung vieler unabhängiger Experten nicht erfüllt. Die Hartz-IV-Sätze sind aus einer rein fachpolitischen Sicht zu niedrig bemessen. Wäre die Einführung eines Grundein­ kommens denn sinnvoll? Das, was Michael Müller momentan versucht, ist ein nicht realisierbarer Spagat: 9


MEINUNG

Intro the Future

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ieso sollen introvertierte Mitarbeiter über­­­­haupt wichtig für Unternehmen sein?“ Diese Frage sagt viel über das Image der lntrovertierten aus. Man hat sie einfach nicht auf dem Schirm. Zu stark richtet sich der Fokus auf die Gesichter im Rampenlicht. Dort, wo Ruhm und Geld angesiedelt sind, trifft man gefühlt vor allem auf Extrovertierte – gerade im Vertrieb und im Management. Auch Personaler bestätigen dieses Gefühl. Einer Xing-­Umfrage zufolge glaubt die große Mehrheit der Personaler, dass Extrovertierte tendenziell erfolgreicher sind.

Wie entsteht dieser Eindruck?

Foto: Thinkstock

Ein Gastbeitrag von Simone Rechel

Die erfolgreichsten Unternehmer der Welt gelten als ­introvertierte Persönlichkeiten: ob Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg, Microsoft-Gründer Bill Gates oder Amazon-Geschäftsführer Jeff Bezos. Verkennen Firmen den hohen Wert introvertierter Mitarbeiter, begehen sie einen fatalen Fehler. a p r il / m ai 20 1 8

Introvertierte Mitarbeiter unterscheiden sich von ihren extrovertierten Kollegen vor allem in der Art, in der sie Reize verarbeiten, Energie tanken und diese verbrauchen. Das wird beispielsweise an dem Lärm- und Interaktionspegel deutlich, der jeweils als angenehm oder störend empfunden wird. Während Introvertierte ein ruhiges, störungsarmes Arbeitsumfeld schätzen, genießen Extrovertierte terminreiche Arbeitstage unter vielen Menschen. An Tagen im Homeoffice oder Einzelbüro bekommen Introvertierte dabei Erstaunliches geschafft. Es fällt ihnen leicht, sich tief in neue Themen einzuarbeiten und sich auf die Erledigung wichtiger Aufgaben zu konzentrieren. Introvertierte agieren gerne überlegt und bringen sich in Meetings vor allem dann ein, wenn sie etwas Substanzielles beitragen können. Sie sind häufig geschätzte Gesprächspartner, da sie gut zuhören und die Anliegen ihres Gegenübers diskret für sich behalten können. In großen Gesprächsrunden und bei Präsentationen überlassen sie jedoch nach Möglichkeit ihren extrovertierten 19


MEINUNG

„ Der digitale Wandel bringt eine branchenübergreifende Verschiebung bisheriger Persönlichkeitsideale in Gang.“

Kollegen die Führung. Dadurch verschiebt sich die kollektive Wahrnehmung zugunsten der Extrovertierten. Ob die introvertierten Leistungen und Stärken im Hintergrund dennoch gesehen und gefördert werden, hängt stark von der jeweiligen Unternehmenskultur und Branche ab. Ist das extrovertierte Ideal, wie etwa in der Werbe- und Versicherungsbranche, dominant, haben es Introvertierte schwer. Umgekehrt sind sie jedoch in technischen und IT-affinen Branchen im Vorteil.

Erfolgreich nach innen gekehrt Der digitale Wandel bringt eine branchenübergreifende Verschiebung bisheriger Persönlichkeitsideale in Gang. Im Zuge der Digitalisierung sind nicht nur digitale Produkte und Dienstleistungen auf dem Vormarsch. Auch ehemals von persönlicher Interaktion geprägte Prozesse, wie der Verkauf von Produkten oder die Rekrutierung neuer Mitarbeiter, verlagern sich in die virtuelle Welt. Standardprodukte werden online gekauft und Bewerberprofile von Algorith20

men vorgefiltert. In standardisierbaren und folglich digitalisierbaren Prozessen verliert der persönliche Kontakt an Relevanz. Zwangsläufig verändern sich klassische Berufe und völlig neue Berufsbilder entstehen. Davon profitieren vor allem introvertierte Persönlichkeiten, die zuvor eher im Hintergrund agierten. Sie können ihre empathischen und analytischen Fähigkeiten als Betriebswirte, Strategen oder Marketingprofis immer erfolgreicher hinter den Kulissen einbringen. Auch Talente aus dem Mint-Bereich sind heute in allen Branchen gefragt. Sie versprechen den Durch- und Einblick in eine virtuelle Arbeitswelt, deren technische Grundlage sich dem Großteil der heutigen Führungskräfte nur in Ansätzen erschließt. Die aktuelle Forbes-Liste ist der beste Beweis für den digitalen Siegeszug der vergangenen Jahre und das Erfolgspotenzial der Introvertierten. Mit Jeff Bezos, Bill Gates und Mark Zuckerberg stammen drei der fünf reichsten Menschen der Welt aus den Bereichen Internethandel, Software und Social Media. Entgegen dem gesellschaftlichen Management-Ideal werden sie allesamt als introvertiert beschrieben.

Jenseits der Komfortzone Sich selbst gut verkaufen zu können war bisher der größte Vorteil extrovertierter Persönlichkeiten, der vor allem in Bewerbungsgesprächen und bei wichtigen Personalentscheidungen zum Tragen kam. Dieser Vorteil verliert jedoch spürbar an Durchschlagskraft. Die Vernetzung über Social Media und Karrierenetzwerke sorgt für steigende Transparenz. Wer in Lebenslauf und Zeugnissen schummelt, wird so leicht enttarnt wie nie zuvor. Darüber kann auch ein sympathischer Auftritt nur schwer hinwegtäuschen. In zunehmend digitalen Bewerbungsprozessen gewinnen schriftliche Bewerbungsunterlagen – gerade bei der automatisierten Vorauswahl – an Bedeutung. Beide Entwicklungen neutralisieren das einstige Ungleichgewicht im klassischen Vorstellungsgespräch. Auch in einer digitalen Welt sind es Menschen, die bei uns kaufen, uns führen und mit uns arbeiten. Sozial inkompatible Introvertierte, die sich völlig von der Außenwelt abschotten, werden es daher genauso schwer haben wie oberflächliche Extrovertierte, die der veränderten Arbeitswelt stur trotzen. Am erfolgreichsten werden jene Persönlichkeiten sein, die in Zeiten des Wandels auch außerhalb ihrer Komfortzone bestehen können und wollen. Das gelingt nur mit einem hohen Bewusstsein für die eigenen Stärken und Hürden in einem resonanzfähigen Umfeld.

Diversity beginnt ­­ bei der Persönlichkeit Gut aufgestellt sind folglich Unternehmen, die ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem sich introvertierte wie extrovertierte Mitarbeiter gleichermaßen entfalten können. Wer hingegen finanzielle und personalpolitische Ungleichheit zwischen den Persönlichkeitstypen www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e


TITEL

VERTRAUEN

— PROLOG —

I

st von „Vertrauen“ die Rede, beginnt beim jeweiligen Adressaten sogleich eine Melange aus diversen ­Gefühlsschauern zu schwingen. Das Wort wiegt uns in behaglich-seligem Wohlbefinden im Ozean der intimen Emotionen. „Vertrauen als Begriff ist geschmeidig, flüssig und volatil“, schreibt dementsprechend auch die Gefühlsforscherin Ute Frevert in ihrer Abhandlung zur Obsession der Moderne. Die Leidenschaft für besagtes Vertrauen nahm in dieser Lesart im 18. Jahrhundert ihren Anfang und setzt sich in der Gegenwart beinahe penetrant fort. Vertrauen ist als Begriff so wenig greifbar wie New-Work-­ Verfechter die Arbeitswelt der Zukunft umschreiben: agil, flexibel und anpassungsfähig. So nimmt es kaum Wunder, dass die Gegenwart der Obsessionsbegierde in nichts nachsteht, mehr noch: „Jene merkwürdige Liebe zum Vertrauen“ (Frevert), die einst der romantischen Zweierbeziehung vorbehalten war, macht sich nun auch im Wirtschaftssektor breit. Unternehmen bemächtigen sich des Vertrauens als Lieblingsvokabel und umwerben Kunden wie Angestellte mit dem Versprechen nach Nähe und Geborgenheit. Mit dem Einzug der Werbepsychologie wurden Konsument wie Angestellter zum Objekt der Begierde und Gefühlsregungen wie Vertrauen ökonomisiert. Den Menschen zu umgarnen und an sich zu binden wurde zur obersten Prämisse. Die Frage ist nur: Warum? Weil sich der Mensch in scheinbar unsicheren Zeiten nach dem warmen Schoß der emotionalen Zugehörigkeit sehnt? Oder vielmehr weil ihm eine stets gefährdete Gegenwart suggeriert werden soll, um ihn überhaupt erst zu verunsichern und Begehrlichkeiten wie Nestwärme und Obhut zu wecken? Anhänger der neuen Institutionenökonomie suchen ständig nach den Mechanismen, die Vertrauen zwischen „Wirtschaftssubjekten“ schaffen und teure Kontrollen ein­sparen s­ ollen. Die Verlockung, aus den gegenwärtigen sachlich-­abstrakten Zweckgemeinschaften, die sich eher durch kurze Dauer denn durch Verbindlichkeit auszeichnen, menschelnde Vertrauens­ ökonomien zu machen, liegt nahe. Vertrauen ­suggeriert Nähe, Intimität, Offenheit und Transparenz. Es spricht, wie Frevert resümiert, damit jene an, „denen die Welt insgesamt und die

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wirtschaftliche Umwelt im Besonderen zu anonym und unheimlich geworden waren“. Doch Vertrauen beruht auf Reziprozität, also Gegenseitigkeit. Kommt ein Arbeitnehmer der damit verbundenen Erwartung nach und legt im Vertrauen auf Wertschätzung in monetärer und psychosozialer Hinsicht die nächste unbezahlte Überstunde ein, erwartet er eine Gegenleistung. Bleibt diese allerdings aus, ist das in seiner Natur höchst zerbrechliche Vertrauen sogleich dahin, denn der Stachel der enttäuschten Erwartung injiziert sein Gift ad hoc. Eine dumpfe Erkenntnis verdrängt alsbald die einstige ­Behaglichkeit, denn hinter dem gefühlsduseligen Gefasel steckt womöglich ein liebloses Kalkül: die vorsätzliche Umgehung der ­Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Was kümmern ihn angesichts seines großzügig verteilten Vertrauens an das Heer der Angestellten noch Mehrarbeit, Überlastung oder die Verbindlichkeit getroffener Absprachen? Schließlich schenkt er seinem Mitarbeiter bereits seinen festen Glauben an dessen Fähigkeiten und Arbeitseinsatz. Und greift diese gefühlige Währung nicht wesentlich profunder als die Wahrung schnöder existenzieller Grundlagen wie Tisch und Bett? Zumal: In neoliberalen Zukunftsfabriken des Silicon Valley werden Schlafgemach und Abendbrotgedeck gleichsam in die Firma verlagert. So muss niemand mehr die Brutstätte des Idealismus verlassen, ein jeder kann sich gänzlich im gegenseitigen Vertrauen wiegen und wird zugleich in seinem Sein umfassend kontrollierbar. Die einst zurecht erwartete Gegenleistung wird pervertiert und schlägt in ihr Gegenteil um unter dem Deckmantel der Fürsorgediktatur. Handelt eine Führungskraft derart machiavellistisch und löst die mit dem Vertrauen verbundenen Versprechungen nicht ein, so negiert sie, dass durch missbrauchtes Vertrauen stets Verletzung, Enttäuschung und Kränkung entstehen. „Wer dieser Pflicht (der Gegenseitigkeit) zuwiderhandelt, mag vordergründig einen Vorteil daraus ziehen. Auf längere Sicht aber fügt er seinem Selbst- und Fremdbild erheblichen Schaden zu“, schreibt die Forscherin Frevert. Ihr Fazit: „Die Sprache des Vertrauens ist so kraftvoll oder schwach wie ihre Sprecher.“ —  Hannah Petersohn www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: getty images | GlobalP

Ökonomisiertes Vertrauen


PRAXISTIPPS FÜR PRAXISTIPPS FÜR KOMMUNIKATION AUF KOMMUNIKATION AUF AUGENHÖHE AUGENHÖHE

VERTRAUEN TITEL

20 17 201 7

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TITEL

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„Wir verzichten auf unser gesundes Misstrauen“

Ein Interview von Hannah Petersohn

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In der Arbeits- und Geschäftswelt wird gerne mit dem großen Wort „Vertrauen“ geworben. Wie hat sich dieses Gefühlsdiktat in unsere Gegenwart eingeschlichen? Die Historikerin Ute Frevert widmet sich in ihrer Publikation „Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne“ der Konjunktur dieses Begriffs. Eine aktuelle Vertrauenskrise vermag sie nicht zu erkennen. Vielmehr wundert sie sich über fehlendes Misstrauen. www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e


Foto: David Ausserhofer

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Frau Frevert, warum bezeichnen Sie Vertrauen als ­„Obsession der Moderne“? Weil die Moderne, also die Zeit seit etwa 1800, Vertrauen zu einem ihrer Zentralbegriffe gemacht hat – alles dreht sich um Vertrauen, selbst dort, wo Vertrauen gar nicht hinpasst. Wo passt die Verwendung des Begriffs denn nicht? Im alltäglichen Sprachgebrauch wenden wir den Begriff auch dort an, wo er vor zweihundert Jahren nicht hingehörte, nämlich bezogen auf systemische Verhältnisse und Institutionen. Man vertraut, heißt es, der Demokratie, der Deutschen Bahn, dem Bundesverfassungsgericht – oder, noch allgemeiner und abstrakter, dem Geld als Tausch- und Zahlungsmittel. Wie ist die veränderte Anwendung des Begriffs zu erklären? Dass man früher eher von Vertrauen zu Personen gesprochen hat und heute eher oder zumindest sehr häufig von Vertrauen in Institutionen, lässt sich dadurch erklären, dass Institutionen in unserer Zeit „vertrauenswürdig“ geworden sind, das heißt stabil, regelgeleitet und verantwortlich agierend. In jedem Fall geht es um die Erwartung, dass unser Interesse an persönlicher „Sicherheit und Wohlfahrt“ bei diesen Institutionen in guten Händen liegt und nicht externen Interessen untergeordnet wird. Wann ist der Begriff überhaupt in Mode gekommen? Wir finden ihn als Nomen seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts; anschließend ist er in alle Lebensbereiche, von der Familie bis zur Politik, eingedrungen. Eine absolute Hausse erlebt er seit den 1990er Jahren. Was verstehen Sie unter Vertrauen? Ich zitiere gern eine Definition aus dem 18. Jahrhundert: Vertrauen hat in sozialen Beziehungen seinen Ort, in denen der Vertrauensgeber davon ausgehen kann, dass ihm der Vertrauensnehmer prinzipiell wohlwollend gegenübersteht und an seiner „Sicherheit und Wohlfahrt“ interessiert ist. Vertrauen existiert also zwischen Personen und schließt die Erwartung ein, dass derjenige, dem ich vertraue und dem ich etwas Wichtiges anvertraue, wie ein Geheimnis, Geld, meine Gesundheit, meine Kinder, meine politischen Interessen und so weiter, damit so umgeht, dass er mich nicht enttäuscht. Wem schenken wir Vertrauen? In der Regel vertrauen wir eher Personen, die wir schon einigermaßen kennen, denn wir haben uns bereits ein Bild ihrer Vertrauenswürdigkeit gemacht. Fremden vertrauen wir dann, wenn sie uns in irgendeinem Punkt ähnlich scheinen. „Wildfremden“ Personen zu vertrauen, von denen wir nichts wissen, fällt ungemein schwer – und ist auch nur dann empfehlenswert, wenn wir überhaupt keine Handlungsalternative haben. Misstrauisch sollten wir denen gegenüber sein, die offensiv um unser Vertrauen werben. a p r il / m ai 20 1 8

Es wird häufig von der Krise des Vertrauens gesprochen. Befinden wir uns gegenwärtig wirklich in einer gesellschaft­ lichen Vertrauenskrise? Um Vertrauen wird immer gerungen, denn es ist eine dynamische Größe. Es wird geschenkt, aber auch entzogen. Der- oder dasjenige, dem man es schenkt, wird auf seine Vertrauenswürdigkeit geprüft. Es wird stets weiter beobachtet, ob das Vertrauen auch gerechtfertigt ist. Das ist ja der große – und für die Moderne so attraktive – Unterschied zur Treue: Ein Treueverhältnis existiert, zumindest vom Konzept her, ewiglich und wird auch nicht infrage gestellt. Vertrauen dagegen ist per se an Bedingungen geknüpft, die sich ändern können. Von daher ist die Krise ihm geradezu eingeschrieben. Eine „gesellschaftliche Vertrauenskrise“ vermag ich darüber hinaus nicht zu erkennen, denn das würde bedeuten, all unsere Institutionen infrage und unter Verdacht zu stellen. Das passiert aber nicht, wir bringen unser Geld ja nach wie vor auf die Bank, ziehen vor Gericht – und kaufen sogar weiter Autos, deren Hersteller Vertrauen in einem Maße verspielt haben, wie das noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Wie hat sich unser Verhältnis zum Vertrauen vor dem Hin­ tergrund von Digitalisierung und Big Data verändert? Erstaunlich wenig – wenn man bedenkt, wie viele Menschen mittlerweile online ihre Bankgeschäfte abwickeln, einkaufen und ihre Daten unbekümmert ins Netz stellen. Hier wäre mehr Misstrauen angebracht, und ich hätte es eigentlich auch erwartet.

Ute Frevert ist Historikerin und Direktorin des Forschungsbereichs „Geschichte der Gefühle“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie ist unter anderem Autorin des Buchs „Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne“ (2013), in dem sie der Geschichte des Vertrauensbegriffs nachgeht und dessen inflationäre Verwendung in der heutigen Zeit kritisch als „V-Waffe“ bezeichnet.

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TITEL

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Schhhhhh hhhhhh hhhhhhh weigen ist Gold Personaler wissen viel über ihre Kollegen. Denen ist das bisweilen unheimlich. Die Sorge, dass persönliche Informationen in der Personalakte landen könnten, verhindert manches vertrauensvolle Gespräch. Wie HR-Mitarbeiter das Vertrauen ihrer Kollegen gewinnen können.

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Ein Beitrag von Sarah Sommer

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er bei der Drogeriemarktkette dm Personalarbeit machen will, sollte sich darauf gefasst machen, dass dort einiges anders läuft als in anderen Unternehmen. Es fängt damit an, dass niemand von Personalarbeit sprechen würde. Personalabteilung? Gibt es nicht. In dm-Kreisen spricht man lieber vom „zentralen Mitarbeiterbereich“. Aus der Zentrale gesteuerte Förderprogramme, vorgezeichnete Karrierepfade oder unternehmensweite Kompetenzmanagementsysteme? Fehlanzeige. Die rund 40.000 Mitarbeiter bei dm Deutschland sind dazu aufgefordert, sich selbst als Menschen „im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft“ weiterzuentwickeln. Betonung auf: sich selbst. „Ich denke, dass sich Mitarbeiter nur auf Basis von gegenseitigem Vertrauen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft optimal entwickeln können“, sagt Christian Harms, der als Geschäftsführer für das Ressort Mitarbeiter bei der Drogeriekette verantwortlich ist. „Und warum sollten Mitarbeiter einer zentralen Personalabteilung vertrauen, die vorgibt, besser zu wissen als sie selbst, was sie für ihre Entwicklung brauchen, oder für die sie in erster Linie Humankapital sind, das maximalen Output bringen soll?“ Mit solchen Bedenken ist Harms nicht allein. Eine allwissende, mächtige Personalmanagement-Zentrale, die jede Information über Mitarbeiter aufsaugt, analysiert, beurteilt, in ihre digitalen Akten einspeist, bei Bedarf an Führungskräfte weitergibt und somit direkt oder indirekt über Aufstiegschancen und Karrierewege bestimmt und die Performance der Mitarbeiter optimiert – so bedrohlich stellen sich wohl tatsächlich viele Mitarbeiter die HR-Abteilung ihres Unternehmens vor.

Angst vor Offenheit Kein Wunder, schließlich wissen Personaler in der Tat sehr viel über ihre Kollegen. Bei ihnen laufen persönliche und berufliche Informationen zusammen: Krankheiten, Schwangerschaften, Burnouts, Scheidungen, Kirchenaustritte. Die Pflegezeit für die kranke Oma, Gehaltssprünge, Brüche im Lebenslauf, Abmahnungen, gescheiterte interne Bewerbungen, gute und a p r il / m ai 20 1 8

schlechte Mitarbeiterbeurteilungen. All das findet seinen Weg in Personalakten und HR-Systeme. Da kann man schon mal paranoid werden. Mancher Mitarbeiter überlegt sich vor diesem Hintergrund sehr genau, welche Informationen er über diesen kaum vermeidbaren Datenfluss hinaus im Gespräch mit Personalern preisgibt. Das kann zum Problem werden: Dann etwa, wenn Mitarbeiter Angst haben, fachliche oder persönliche Schwächen, wie beispielsweise körperliche oder psychische Probleme, anzusprechen. Oder wenn Mitarbeiter lieber nicht an Maßnahmen des Gesundheitsmanagements teilnehmen, weil sie unsicher sind, ob Ergebnisse von Untersuchungen und Beratungsgesprächen in die Personalakte einfließen. Oder wenn Mitarbeiter sich nicht auf eine intern ausgeschriebene Stelle bewerben, weil sie mutmaßen, ihr jetziger Abteilungsleiter könnte durch Indiskretionen der Personaler davon Wind bekommen und sie für die Illoyalität abstrafen. Wo das nötige Vertrauen der Mitarbeiter fehlt, ist in vieler Hinsicht keine gute Personalarbeit möglich.

Ethos: Verschwiegenheit Aber was können Personaler tun, um das nötige Vertrauen zu gewinnen? Zunächst einmal müssen sie mit Halbwahrheiten und Vorurteilen aufräumen. Denn tatsächlich sind ja die meisten Sorgen über allzu übergriffigen Datengebrauch in der Personalabteilung unbegründet. Schließlich ist Verschwiegenheit für Personaler nicht nur eine Frage der Berufsehre, sondern in sehr vielen Bereichen auch gesetzlich und vertraglich vorgeschrieben. „Anders als Ärzte oder Rechtsanwälte haben Personaler zwar keine gesetzlich verordnete generelle Schweigepflicht“, sagt Inés Calle Lambach, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei ICL in Hamburg. „Aber der Datenschutz setzt ihnen deutliche Grenzen.“ Sensible persönliche Daten wie etwa Informationen über Krankheiten, Religionszugehörigkeit oder Gewerkschaftszugehörigkeit, die Personaler für die Gehaltsabrechnung oder 29


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VERTRAUEN TITEL

Ein Interview von Jeanne Wellnitz Für ihre Forschung war Ulrike Schwegler viel im Ausland, immer auf der Spur nach den Zutaten für eine vertrau­ ensbasierte Führungskultur. Heute ist sie Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Stuttgarter FOM Hochschule für Oekonomie und Management und leitet gleichzeitig das Institut für angewandte Vertrauensforschung. Schweg­ ler lehrt weltweit in Workshops, wie man vertrauensvolle Beziehungen zu seinen Mitarbeitern aufbauen kann. Ihre Kunden: CEOs und Geschäftsführer, die verstanden haben, dass Misstrauen und Kontrolle die Produktivität senken und die Krankheitsrate in die Höhe schnellen lassen.

Frau Schwegler, Ihre Forschung hat ergeben, dass der durchschnittliche Manager eine, maximal zwei intensive Vertrauensbeziehungen im Unterneh­ men unterhält. Sind für eine vertrau­ ensvolle Unternehmenskultur nicht mehr Beziehungen vonnöten? Nein, auf keinen Fall. Manager sind in meinen Workshops richtig erleichtert, wenn ich ihnen das sage. Es ist viel vernünftiger, ein funktionales Vertrauen aufzubauen. Das bedeutet: Wir sollten a p r il / m ai 20 1 8

einander bereichsspezifisch vertrauen. Das ist auch die einzige Form von Vertrauen, die aktiv aufgebaut werden kann. In Ihrem Modell unterscheiden Sie nach der Qualität des Vertrauens. Ganz genau. Ich dachte lange Zeit, Vertrauen sei gleich Vertrauen. Aber mittlerweile unterscheide ich zwischen dem genannten funktionalen Vertrauen, dem exklusiven Vertrauen und dem negativen Vertrauen. Exklusives Vertrauen – also eine Arbeitsbeziehung, in der man

sich quasi blind vertraut und einander nicht kontrolliert – kann man gar nicht willentlich herstellen. Es basiert auf Gefühlen und passiert einem genauso wie Verliebtheit. Was bedeutet negatives Vertrauen? Viele Manager, mit denen ich Interviews geführt habe, sagten mir, dass sie sich zu 100 Prozent darauf verlassen können, dass diese oder jene Veränderung bei Mitarbeiter xy nicht funktionieren wird. Das ist negatives Vertrauen. Vertrauen ist in diesem Fall: Ich verlasse mich darauf, dass etwas nicht klappt. Das kann in massivem Misstrauen enden, das die Qualität und Geschwindigkeit der Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigt. Deshalb ist ein vertrauensbasierter Umgang in Teams so wichtig. Die Teams sind dadurch schneller, effektiver und haben weniger gesundheitliche ­Probleme. Wie baut man Vertrauen auf? Chefs kommen zu mir und wünschen sich, dass die Mitarbeiter ihnen vertrauen. Aber die meisten sind nicht bereit, auch etwas zu investieren. Vertrauen in den Chef entsteht nicht einfach so. Dafür muss man sich in gewisser Weise verletzbar machen. Der Mitarbeiter muss sozusagen die Möglichkeit haben, das Vertrauen zu enttäuschen. Das ist die große Schwierigkeit, denn niemand geht gern ein Risiko ein. Wenn ich als Chef sehr viel kontrolliere und vorgebe und den Mitarbeitern nicht die Gelegenheit gebe, eigene Wege zu gehen, bekomme ich kein Vertrauen. Kann man lernen, ein Risiko einzuge­ hen? Es gibt Übungen dafür, sich als Mensch zu zeigen, sich zu öffnen. Ich gehe dann mit dem Chef und seinem Team in die Natur, um uns kennenzulernen – es geht nicht darum, sich zu entblößen, sondern darum, sich jenseits der Büroräume als Menschen zu ­begegnen. Davor haben manche Führungskräfte Angst und würden sich am liebsten vor der Aufgabe drücken. 37


TITEL

VERTRAUEN

Studien zeigen, dass drei von zehn Bewerbern in ihrem Lebenslauf lügen. Immer mehr Unternehmen durchleuchten Kandidaten deshalb genau vor der Einstellung. Das Pre-Employment Screening ist aufwendig und teuer – gilt inzwischen aber als notwendiges Übel.

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www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: wikimedia: Fortepan — ID 74616

Röntgengerät in der Berliner Charité (1978)

Der gläserne Bewerber


VERTRAUEN TITEL

Ein Beitrag von Alexandra Jegers

Foto: wikimedia | Hellerhoff

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in Lebenslauf wie aus dem Lehrbuch: Abitur, Jura­ studium, abgeschlossen mit zwei Staatsexamen. Diese Vita brachte Petra Hinz im Jahr 2005 in den Bundestag. Drei Jahrzehnte lang hatte die 54-Jährige in der SPD Karriere gemacht. Dann kam heraus: Hinz hatte ihren akademischen Werdegang von vorn bis hinten frei erfunden. Kein Jurastudium. Kein Abschluss. Anders als in ihrem Lebenslauf behauptet, hatte sie nicht einmal das Abitur. Ihre Partei­ freunde reagierten fassungslos. „Wir sind schockiert, dass Petra Hinz uns jahrelang eine falsche Biografie aufgetischt hat“, sagte Thomas Kutschaty, SPD-Vorsitzender in Essen, wo Hinz ihren Wahlkreis hatte. Wochenlang machte der „Fall Hinz“ Schlagzeilen. Journalisten und Opposition reagierten mit Häme und Vorwürfen. Selbst in der eigenen Partei forderten viele Politiker ihren Rücktritt, bis Hinz ihr Mandat schließlich niederlegte. Dass eine Hochstaplerin im Deutschen Bundestag entdeckt wird, ist spektakulär – ein Einzelfall ist Petra Hinz jedoch nicht. Arbeitgeber kennen das Problem: Jeder dritte Bewerber sagt über seine Berufserfahrung nicht die ganze Wahrheit, belegt eine Befragung der Personalberatung Robert Half unter 1.200 Personalmanagern. Besonders häufig dichten sich Kandidaten bessere Management- und Führungsqualitäten an, als sie tatsächlich besitzen. Auch bei ihren Sprachfähigkeiten übertreiben sie häufig. „Befeuert wird diese Entwicklung, weil die geforderten ­Qualifikationen und Vorerfahrungen in Stellenanzeigen zunehmen“, sagt Emine Yilmaz, Associate Director bei Robert Half. Viele Firmen nehmen Bewerbungen außerdem nur noch per Online-Formular auf ihrer Website entgegen. Die erste Auswahl übernimmt oft der Computer. „Viele Bewerber haben deshalb das Gefühl, dass sie alle Anforderungen aus der Stellenanzeige erfüllen müssen oder ansonsten sofort aus dem Rennen sind“, sagt Yilmaz. Die Geister, die sie riefen, holen die Unternehmen jetzt ein. Die Folge: Immer mehr Recruiting-Manager hinterfragen und prüfen die Angaben von Kandidaten. Noch vor einigen Jahren vertraute die große Mehrheit der Unternehmen noch auf An­gaben in ­Lebensläufen und Arbeitszeugnissen, berichtet Beraterin Yilmaz. Kaum ein Kunde verlangte das Einholen von Referenzen ehemaliger Arbeitgeber. Heute wird dieser Wunsch von HR-­ Managern immer häufiger geäußert. Längst hat sich für die Suche nach Lügen und Flunkereien im Lebenslauf ein Begriff eingebürgert: Pre-Employment Screening. Neben „Reference Calls“, bei denen Unternehmen a p r il / m ai 20 1 8

„ Jeder dritte Bewerber sagt über seine Berufs­ erfahrung nicht die ­ ganze Wahrheit .“

frühere Arbeitgeber anrufen und über einen Kandidaten befragen, zählen dazu auch Internetrecherche, Persönlichkeitstests oder spezielle Eignungsprüfungen. Die Internetrecherche ist inzwischen bei vielen Unternehmen gang und gäbe, zeigt eine im Februar 2017 veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Kienbaum und des Staufenbiel-Instituts unter rund 300 Unternehmen: 49 Prozent der befragten Personaler prüfen den Bewerber vor dem ersten Gespräch über eine Suchanfrage im Internet. Rund ein Drittel durchkämmt Facebook nach Informationen des Bewerbers. Und zwölf Prozent geben an, einen Kandidaten schon einmal aufgrund eines solchen Checks abgelehnt zu haben.

Auf Herz und Nieren Auch der Essens-Lieferdienst Delivery Hero musste erfahren, dass sich absolutes Vertrauen in Kandidaten rächen kann. Als Gründer Fabian Siegel im Frühjahr 2011 mit 30 Angestellten startete, stellte er ein, wer auf dem Papier überzeugte. Im persönlichen Gespräch ging es dann nur noch darum, ob der Bewerber charakterlich ins Team passte. Doch das Start-up wuchs schnell – im Mai 2015 beschäftigte Delivery Hero bereits 1.600 Menschen in 28 Ländern – und mit der wachsenden Mitarbeiterzahl kamen die Probleme. Das blinde Vertrauen in die 49


IM

FOKUS

Ein Jahr angstfrei

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Kritiker verteufeln das bedingungslose Grundeinkommen. Sie fürchten das Ende der Arbeit. Befürworter sehen darin eine finanzielle und seelische Entlastung. Business Coach Jesta Phoenix hat ihren eigenen Blick auf das Thema: Sie hat ein Jahr lang 1.000 Euro pro Monat erhalten. Ohne dafür zu arbeiten. Eine Erfahrung, die sie jedem wünscht.

ormalerweise geht die Beraterin Jesta Phoenix gemeinsam mit Klienten in den Wald. Als Slow Business Coach hilft sie im Zeitalter der Achtsamkeit gestressten Kunden bei der Entschleunigung. Einmal im ­Monat läuft sie allein durch die Natur. So auch im April 2016, als sie wieder stundenlang zwischen den Bäumen entlang­wandert. Dabei stellt sie sich die Fragen, die sie sonst ihren Kunden stellt: Wie soll es nächsten Monat weitergehen? Was willst du in ­deinem Job erreichen? Und vor allem: Welches Tempo tut dir gut? Sie steht auf einer kleinen Steinbrücke, als der Ton ihres Handys sie aus den Gedanken reißt. Ungläubig blickt sie auf das Display: Herzlichen Glückwunsch, du hast das bedingungslose Grundeinkommen gewonnen, steht sinngemäß in der Nachricht. „So ist es eben manchmal“, erinnert sich die 41-Jährige. „Du machst einen Plan und dann kommt das Leben.“ Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet für sie 1.000 Euro jeden Monat zusätzlich. Ein Jahr lang. „Jetzt kann ich endlich machen, was ich will“, denkt sie damals. Diese Möglichkeit verdankt sie der Initiative „Mein Grundeinkommen“. Das Start-up wird 2014 gegründet. Per Crowdfunding sammeln die Initiatoren Geld, sobald 12.000 Euro zusammengekommen 56

sind, wird ein bedingungsloses Grundeinkommen verlost. Mittlerweile haben 84.000 Menschen einen Geldbetrag gespendet. 139 Grundeinkommen wurden so bereits finanziert. Die Idee stammt von Michael Bohmeyer. Er hat in seinem ­Leben schon einige Start-ups gegründet. Nach mehreren Jahren zieht sich Bohmeyer schließlich aus dem aktiven Geschäft eines besonders erfolgreichen Start-ups zurück. Anteilseigner bleibt er dennoch und bezieht so einen monatlichen Gewinnanteil von circa 1.000 Euro. Ohne zu arbeiten. „­ Nach meinem Ausstieg bin ich erst einmal drei Monate in ein Loch gefallen. Denn es ist schwer, nicht zu arbeiten. Arbeit gibt Halt“, sagt er. Mit der Zeit stellt sich aber ein Gefühl der Sicherheit ein. „Mir wurde bewusst, dass ich einfach irgendetwas Neues ausprobieren kann und auch scheitern darf. Ich hatte ja nichts zu verlieren.“ Und dann kommt die Kreativität. „Ich hatte plötzlich total viele Ideen.“ Eine Erfahrung, die er auch gerne anderen ermöglichen möchte. So entsteht die Idee für „Mein Grundeinkommen“.

Eine künstliche Welt Das bedingungslose Grundeinkommen ist – wie der Name sagt – bedingungslos und damit steuerfrei. Es ist egal, was der Gewinner verdient und was er mit dem Geld macht. Im Gegenwww. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: Jana Legler

Ein Beitrag von Kira Pieper


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FOKUS

Gewinnerin des bedingungs­losen Grundeinkommens: Jesta Phoenix

„ Ich habe gedacht, das bedingungslose Grund­ einkommen ist ein ­Experiment, das sich um mich dreht. Das ist aber nicht so.“ satz zum Arbeitslosengeld II muss man sein Vermögen nicht offenlegen oder jede Stelle annehmen, die das Amt offeriert. Die Reaktionen der „Mein Grundeinkommen“-Gewinner sind laut dem Sprecher der Initiative, Christian Lichtenberg, durchweg positiv: „Alle sagen, dass sie sorgenfreier leben, besser schlafen und es ihnen gesundheitlich besser geht.“ Auch Jesta Phoenix macht diese Erfahrung. Doch jeden Monat das Grundeinkommen zu bekommen, ist auch eine Bürde. „Schließlich haben mir die Menschen ihr Vertrauen ausgesprochen: ‚Hier hast du jeden Monat 1.000 Euro. Mach etwas Gutes damit‘“, sagt Phoenix. Also entscheidet sie, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ein Jahr lang bietet sie ihre CoachingAngebote deswegen für einen offenen Preis an. Jeder, der kommt, zahlt, was er will. Doch so einfach ist das nicht. Die frei wählbare Preispolitik wird zum Problem. So coacht sie eine Kundin, die ihr irgendwann erklärt, dass sie den Kopf nicht frei bekomme, weil sie die ganze Zeit überlegen müsse, was sie Phoenix bezahlen solle. Andere Kunden wollen keinen offenen Preis, sondern einfach bezahlen, was sie immer bezahlen. Und ein Kunde zahlt ihr nur sehr wenig: „Ich weiß, was er beruflich macht, und auch, was er verdient. Ich bin mir sicher, dass er mehr hätte zahlen können“, sagt sie. Ein Gedanke, der sie ärgere, da sie schließa p r il / m ai 20 1 8

lich jedem freistellte, was er zahlen möchte. „Ich habe gedacht, das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Experiment, das sich um mich dreht. Das ist aber nicht so. Ich habe mich in einer künstlichen Welt bewegt und die anderen reingezogen. Das waren nach wie vor Menschen, die kein bedingungsloses Grundeinkommen hatten.“

Alternative zu Hartz IV? In der Politik wird immer wieder diskutiert, das Grundeinkommen flächendeckend einzuführen. In Schleswig-Holstein ist ein Modellversuch sogar Bestandteil des Koalitionsvertrags zwischen Grünen, CDU und FDP. Auslöser der Diskussion ist die Digitalisierung der Arbeitswelt. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit prognostiziert: Bis zum Jahr 2025 fallen etwa 1,5 Millionen traditionelle Arbeitsplätze in Deutschland weg. Sie werden voraussichtlich zwar durch anspruchsvolle Computerbedienjobs ersetzt. Doch wer diese Arbeit nicht machen kann oder möchte, dem droht die Arbeitslosigkeit. Für diese Menschen muss eine Alternative her. Für den Testlauf in Schleswig-Holstein steht ein monatlicher Festbetrag von 1.000 Euro für jeden Erwerbsfähigen im Raum. Kinder sollen die Hälfte bekommen. Auch dieses Geld erhalten die Menschen 57


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FOKUS

„ Wer spielt, lernt intensiver und nachhaltiger“ Ein Interview von Anne Hünninghaus Der spielende Mensch ist auf dem Vormarsch, auch im Unternehmen. Jens Junge, Professor für BWL und Marketing an der Design Akademie Berlin, hat eigens ein Institut für Ludologie gegründet, um Spiele- und Wirtschaftswelt in Einklang zu bringen.

Herr Junge, zu Ihren Forschungs­ schwerpunkten gehört „ludologisches Management für Unternehmen und Institutionen“. Was kann man sich darunter vorstellen? In der Ludologie befassen wir uns mit grundlegenden Spielkonzepten und Spielmechaniken. Mit dem Blickwinkel, dass auch Unternehmen nichts anderes als ein Spiel sind, übertragen wir die Erkenntnisse. Nehmen Sie allein das Konstrukt der „Juristischen Person“, die GmbH oder AG. Die gibt es ja real nicht, sie ist eine erfundene Ordnung. Sie entsteht durch die teure Stempelfarbe des Notars, der diese regulative Idee wie eine natürliche Person erscheinen lässt. Spielelemente begegnen uns in Wirtschaftssystemen überall und bringen Explorationsspiele, Fantasiespiele, Rollenspiele, Konstruktions-, Regel-, Wettbewerbs-, Gesellschafts- und Machtspiele mit sich. Beide Welten – die der Unternehmen und 60

die der Spiele – können voneinander lernen. Inwiefern hilft die Spielwissenschaft dabei, Organisationen zu analysieren und zu verbessern? Wir beraten sowohl junge Unternehmen als auch Konzerne und beobachten dabei unterschiedliche Phänomene. Viele Start-ups sind kreativ und innovativ. Was ihnen oft noch fehlt, sind eingespielte Prozesse und Standardisierungen. Darüber hinaus müssen Start-ups nicht nur Regeln kennen oder neu schaffen, um überlebensfähig zu werden, so wie am Pokertisch braucht es mehr. Man kann alle Spielregeln beherrschen und

alles richtig machen und trotzdem verlieren. Richtiges Verhalten benötigt passendes Wissen und ein unterstützendes Kulturverständnis. Was braucht es noch? Um zu gewinnen bedarf es weiterer Komponenten, allen voran Empathie. Ich muss meine Mitspieler am Tisch und deren Risikobereitschaft einschätzen, ich brauche eine feine Beobachtungsgabe, ich muss sensibel die Gesamtsituation wahrnehmen. Für Unternehmer sind Spielkompetenzen ein Erfolgsfaktor. Und was spielen Sie mit den Chefs großer Konzerne? In etablierten Unternehmen sind eher www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e


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Bürokratismus und zu starre Strukturen das Problem. In solchen Fällen geht es darum, wieder Innovationen einzubringen. Dafür eignen sich explorative Spiele. Das entspricht unserem ursprünglichen Drang: Als Kinder haben wir alle angefangen, die Welt explorativ zu ergründen, wollten die Dinge wortwörtlich begreifen. Mit dem Erlernen der Sprache sind wir dann fähig, Fantasiespiele und Rollenspiele wie „Mutter, Vater, Kind“ zu entwickeln. Wir brauchen diese Kompetenzen, um miteinander umgehen zu können, uns in andere hineinversetzen. Das sind die wichtigen Vorstufen bis wir zum a p r il / m ai 20 1 8

Konstruktionsspiel kommen, dem Verbinden und Zerstören von Gebilden, zum Beispiel aus Bauklötzen. Kundenund Marktorientierung braucht diese Neugier, diese Experimentierfreude. „Jetzt hast du die schöne Sandburg ka­ putt getreten“, so etwas hört man ja gerne mal von konsternierten Eltern auf dem Spielplatz. Aber Zerstörung gehört dazu? Ja, Spielen kann herrlich destruktiv sein! Es geht auch darum, Bestehendes zu demontieren, es birgt die Ambivalenz, Regeln einzuhalten und gleichzeitig disruptiv zu sein. Beide Fähigkeiten lerne ich im Spiel, ich teste aus, wie weit ich gehen kann und wie schön Neues sein kann. Teambuilding-Maßnahmen, bei denen Schnitzeljagden oder Ähnliches ver­ anstaltet werden, liegen im Trend. Beobachten Sie eine Hinwendung zum Spielerischen? Ja, auf jeden Fall. Das sehen wir auch im Bereich Weiterbildungen. Wir bekommen viele Anfragen von Konzernen, wie sie ihren Mitarbeitern ChangeProzesse erklären können, sie für den Wandel begeistern. Das gelingt nicht mit vier Stunden Powerpoint-Präsentation. Mit Emotionen lernt man intensiver und nachhaltiger. Wir entwickeln daher Spielkonzepte rund um das jeweilige Weiterbildungsthema, gestalten beispielsweise einen „Escape Room“, ein Spiel, in dem Teams zusammenarbeiten, um Aufgaben und Rätsel zu lösen. Die SpielStory integriert Unternehmensthemen, sodass es einerseits um Teambuilding geht, andererseits aber auch darum, konkrete Lerninhalte emotional und eher indirekt zu vermitteln. Liegt es an den jüngeren Belegschaften, dass die Offenheit dem Spielerischen gegenüber gestiegen ist? Eine Altersfrage ist es nur zum Teil. Was wichtiger ist: Die Scheiterkultur hat sich verändert, es ist kein großes Drama mehr,

FOKUS

öffentlich zu verlieren. In den USA ist es aber noch weitaus entspannter als hier. Was sind die Charakteristika eines jeden Spiels, außer, dass es gewisse Regeln gibt? Moment! Regeln gibt es nicht in jedem Spiel. Eine Gemeinsamkeit ist, dass wir uns im Spiel den Freiraum nehmen, aus unserer Realität heraustreten und versuchen, andere Erfahrungen, Gedanken, Gefühle in uns auszulösen. Neben der Nicht-Alltäglichkeit ist ein weiteres Spielemerkmal das Bewusstsein, dass ich es freiwillig tue. Aber wenn der Chef zum Sprung ins Teambuilding-Bällebad auffordert, ist es mit der Freiwilligkeit nicht weit her. Ja, und darum haben viele darauf auch überhaupt keine Lust. Nur das Wollen bringt den gewünschten Effekt. Wenn wir „Pflichtspiele“ durchführen müssen, fangen wir schnell an zu schummeln, weil wir sie hinter uns bringen möchten. Was sind weitere Spielmerkmale? Zumindest in Regelspielen gibt es – wie im Unternehmen – immer ein Ziel. Ändert man spontan die Regeln, sorgt das für Emotionalitäten. Wenn Papa beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht in der letzten Runde einfällt: Jetzt gilt auch Rückwärts-Schlagen, dann sorgt das für Aufregung. Genau diese Flexibilität braucht man aber manchmal – auch im Unternehmen. In diesen Momenten muss man mutig genug sein, alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Austesten kann man sie in der Simulation, die ja besonders im Digitalen immer weiter vorangetrieben wird. Hier habe ich die Möglichkeit, unter Rückgriff auf Daten Situationen risikoarm durchzuspielen. Die Technologie begünstigt also den spielerischen Charakter. Dann bedeutet die Digitalisierung auch für das Spiel eine Revolution? Die Digitalisierung ist dafür revolutionär. Spielen ist ein Urtrieb, der wahnsinnigen Einfluss auf unsere Kulturentwicklung hat. Vor etwa 5.000 Jahren ging es 61


A N A LY S E

Ein Gastbeitrag von Stefan Detzel

Vom Ende des Jugendwahns

Es gibt immer mehr ältere Arbeitnehmer in Deutschland. Doch wird ihr Potenzial nicht ausgeschöpft und viel zu häufig werden sie diskriminiert und kaum mehr weiter­ gebildet. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss sich das dringend ändern.

Foto: getty images

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ie Generation der über 50-Jährigen erlebt gegenwärtig eine noch nie da gewesene Blüte. In keiner anderen Altersgruppe ist der Zuwachs an Beschäftigten so stark gestiegen wie in dieser Gruppe. So ist es heute für über 60-Jährige die Regel zu arbeiten: Über 56 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sind erwerbstätig. In den vergangenen Jahren hat sich die Beschäftigungsquote in dieser Altersgruppe nahezu verdreifacht. Und selbst in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen ist die Erwerbsquote zwischen 2005 und 2015 von 6,5 Prozent auf beachtliche 14,5 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Zum einen wird die allgemeine demografische Entwicklung immer spürbarer, in einigen industriellen Schlüsselberufen ist sie inzwischen dramatisch. So wird im Jahr 2060 die Zahl der 20- bis 64-Jährigen von heute 49 Millionen auf etwa 34 bis 38 Millionen (je nach der Größe der a p r il / m ai 20 1 8

Zuwanderung) schrumpfen. Ein Rückgang um bis zu 30 Prozent, der sich geradezu bedrohlich in der für Deutschland so wichtigen industriellen Berufsgruppe der Ingenieure auswirkt: Insgesamt werden bis 2029 etwa 710.000 Ingenieure in den Ruhestand gehen. Das entspricht 42 Prozent des aktuellen Bestands erwerbstätiger Ingenieure.

Leistungsfähig auch im Alter Das ist eine existenzielle Lücke für die deutsche Wirtschaft, deren Erfolg ja in besonderem Maße auf der industriellen Fertigkeit beruht. Eine Lücke, die auch durch Zuwanderung kaum zu schließen sein dürfte. Hinzu kommen noch weitere Faktoren, die den Beschäftigungszuwachs der Älteren fördern. Zum einen hat es einen signifikanten Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik

gegeben, weil Frühverrentungsprogramme nicht mehr erneuert wurden. Zum anderen wird immer mehr Personalchefs deutlich, dass geistig arbeitende Menschen auch weit über ihr 60. Lebensjahr hinaus noch hoch produktiv und kreativ arbeiten können. Zwar wurde durch Studien bestätigt, dass in der Regel der Höhepunkt der geistigen Schaffenskraft bei etwa 40 Jahren liegt. Jedoch lassen sich Leistungsfähigkeit und Produktivität auf einem hohen Niveau halten – und das über Jahrzehnte. Um die Leistungsfähigkeit aber in Breite sicherzustellen – eine Aufgabe, die in Deutschland höchste Priorität haben müsste –, bedarf es einer umfangreichen und systematischen Entwicklung der älteren Arbeitnehmer. Doch daran mangelt es immer noch. Die Frage nach Karrieremöglichkeiten jenseits des 50. Lebensjahres verwundert immer noch viele Personalabteilungen. Ältere Mitarbeiter werden verstetigt in ihrem Einsatz, aber ihre Entwicklung und 63


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Weiterbildung werden nicht mehr gefördert. Sie gehören zum „Bestand“. Es ist aber nicht mehr die Frage des Wollens, ob das so bleiben darf, es wird für viele Unternehmen zur Überlebensfrage, Personalentwicklung und Karrierewege für alle Mitarbeiter in jeder Altersstufe offenzuhalten.

Altersdiskriminierung Obwohl also die Performance der 50-jährigen Mitarbeiter heute niemand mehr ernsthaft infrage stellt, bleibt diese Altersgruppe trotzdem weiterhin benachteiligt, wenn es darum geht, eine neue Stelle zu finden. Dass ein heute 50-Jähriger noch 17 Arbeitsjahre vor sich hat, scheint Unternehmen eher zu ängstigen, als dass mit Mut diese Chance ergriffen wird: Immer noch sind die Vermittlungs­zahlen nur halb so hoch wie bei Jünger­en und die Zeit der Stellensuche dauert wesentlich länger. So brauchen 55- bis 64-Jährige rund 65 Wochen, um einen neuen Job zu finden, 30 Wochen länger als der Durchschnitt. Diese Diskriminierung beobachten auch ältere Kollegen bei internen Stellenausschreibungen: Es wird eher extern gesucht, anstatt aktiv und unabhängig vom Alter das Potenzial auszuschöpfen. In der Auswertung von Gesprächen mit Personalchefs zeichnen sich einige positive Trends aber bereits heute ab. So investieren Unternehmen in weit stärker­ em Maße als bisher in die 64

demografie­ gerechte Pflege ihres Personalbestands. Demografiegerechte Personalentwicklung beginnt allerdings nicht ab 50, sondern konstituiert sich systematisch in allen Lebensphasen eines Mitarbeiters. Wenn bei Mitarbeitern und Belegschaften das Vertrauen entsteht, gemäß des jeweiligen Alters und der individuellen Leistungsfähigkeit eingesetzt zu werden, bleiben sie schlichtweg länger im Unternehmen und sind noch dazu gesünder. Dabei wird sich – zumindest in Teilen – eine Umorientierung vollziehen. War es bisher so, dass der Schwerpunkt der betrieblichen Personalinvestitionen bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften lag, so wird sich der Fokus in Zukunft hin zur Förderung und Entwicklung des bereits vorhandenen Personalbestands entwickeln.

Mobil, neugierig und lernwillig Für diese Entwicklung gibt es zwei naheliegende Gründe: Zum einen wird die Zahl der neu in den Arbeitsmarkt eintretenden Nachwuchskräfte nicht reichen, um den Bedarf zu decken. Zum anderen wird – weil die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt – der Kampf um diese knappen Nachwuchskräfte immer härter und aufwendiger. Es wird daher den Unternehmen auf längere Sicht gar nichts anderes übrig bleiben, als in einem weitaus stärkeren Maße als bisher auf die Förderung und

Weiterentwicklung der bestehenden Kräfte zu setzen. Dabei muss gerade älteren Arbeitnehmern nicht nur die Chance auf Weiterentwicklung in den Betrieben gegeben werden. Vielmehr müssen sie aktiv gefördert werden. Die Generation 50 plus ist nicht nur deutlich gesünder als ihre Alterskollegen vor etwa 20 Jahren. Sie ist auch deutlich mobiler, neugieriger und lernwilliger. Zudem hat sich vielerorts die nüchterne Erkenntnis durchgesetzt, dass der noch vor wenigen Jahren verfolgte Trend hin zu einer immer jüngeren Belegschaft keineswegs nur Erfolge gezeitigt hatte. Im Gegenteil, Teams aus jüngeren und älter­en Mitarbeitern arbeiten am effektivsten durch den Austausch von bestehendem und neuem Wissen. Beide Seiten profitieren. Am Ende sind es die einfachen Dinge, die helfen: gleiche Entwicklungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter in Unternehmen. Gleiche Chancen bei der Stellensuche, unabhängig vom Alter. Es gibt nicht etwa zu wenige Menschen, um wirtschaftliches Wachstum voranzutreiben. Viele werden oft nur nicht richtig eingesetzt. Dabei liegen die Potenziale der Arbeitnehmerschaft für jeden erkennbar auf der Hand: Gegenwärtig eilt die deutsche Wirtschaft von Exporterfolg zu Exporterfolg – und das mit Belegschaften, die noch nie so alt waren wie heute.

Stefan Detzel ist Geschäftsführer der zum Beratungsunternehmen El-Net Group gehörenden Innovation. Er ist außerdem im Vorstand des Fachverbands Outplacement im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU).

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Foto: Elnet Group

„ Es wird eher extern gesucht, anstatt aktiv und unabhängig vom Alter das Potenzial auszuschöpfen.“


Rezension

E

s klingt widersprüchlich: Der Coaching-Pionier Hans-Georg Huber fördert die praktischen Fähigkeiten von Coachs und Prozessbegleitern, indem er praxisorientierte Tipps und Tools bewusst in den Hintergrund rückt. Er wählt diese Strategie, weil er den aktuellen Strukturen und Inhalten von Coach-Ausbildungen kritisch gegenübersteht. Als er seine erste Ausbildung durchführte, habe es nur einige wenige Anbieter gegeben – heute seien es Hunderte. Um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, bieten sie verknappte Schulungen, gar Fernstudien an und wollen so auf die hochkomplexe Arbeit mit Menschen vorbereiten. Im Fokus dieser Lehrgänge stehen oft Tools und praxisnahe Tipps. Was dabei zu kurz komme, schreibt Huber, sei die Vermittlung entscheidender Kompetenzen, die Prozessbegleiter, Coachs und Führungskräfte brauchen.

Intuition und Selbstreflexion Eine dieser Fertigkeiten ist die Intuition. Der ausgebildete Psychotherapeut Huber erinnert uns daran, dass diese kein angeborenes, mysteriöses Talent ist, sondern mit Bedacht und Geduld erlernt werden kann – und sollte. Denn wenn wir unsere Handlungsfähigkeit bewahren wollen, sollten wir die Situation intuitiv erfassen, auf unser Bauchgefühl vertrauen. Eine andere entscheidende Fähigkeit ist die regelmäßige kritische Selbstreflexion. Laut Huber sollten Prozessbegleiter erwägen, welche persönlichen Eigenschaften stärker als Ressource in die Arbeit eingebracht werden sollen und welche hingegen besser unter Kontrolle gebracht werden müssen. In der zweiten Hälfte des Buchs rückt die Praxis in den Vordergrund: Huber geht nun chronologisch die Etappen des Coaching-Prozesses durch und zeigt, wann welche Kompetenzen und Über78

Herz

PRAXIS

über Kopf Eine Rezension von Anna Gielas Der Berater und Autor Hans-Georg Huber bringt auf den Punkt, was jeder Prozessbegleiter können sollte – und vermittelt einen wertvollen Einblick in das Potenzial von Coaching.

legungen gefragt sind. Er beginnt bei der Auftragsabklärung, denn hier werden erste entscheidende Weichen dafür gestellt, ob Entwicklungsprozesse funktionieren oder scheitern. So sollte ein unerfahrener Coach gerade die ersten Aufträge vorsichtig wählen – und durchaus auch mal ablehnen. Etwa wenn der Auftraggeber bestimmte Konzepte oder Tools von ihm erwartet, die ihm nicht liegen.

Empfehlenswert trotz Schwächen Auszusetzen gibt es an Hubers Buch nur eines: seine ungenauen Formulierungen wie „als Grenzensetzer müssen wir zum Beispiel eine gewisse Massivität (…) hervorholen“. Der Leser muss bisweilen raten, was der Autor meinen könnte. Trotz sprachlicher Schwächen schärft Hubers Buch das Bewusstsein seiner Leser für die essenziellen Fähigkeiten eines Coachs. Dabei erinnert der Autor immer wieder daran, dass Prozessbegleitung eine

verantwortungsvolle Tätigkeit ist, in der Menschen sich ihren Coachs anvertrauen. Sein Buch ist nicht nur empfehlenswerte Lektüre für Prozessbegleiter, sondern auch für all jene, die wissen möchten, was sie vom Coaching erwarten können und wo die Grenzen der Beratung liegen. Huber schreibt mit der Autorität eines Fachmanns – und mit einer Leidenschaft für seine Arbeit, die ihn zu einem ebenso aufmerksamen Beobachter wie hilfreichen Ratgeber macht. So gelingt ihm ein empfehlenswertes Buch. •

Hans-Georg Huber, „Die Kunst, Entwicklungsprozesse zu gestalten, Erfolgsfaktoren in Coaching, Führung und Prozessbegleitung“, Managerseminare Verlag, 328 Seiten, 49,90 Euro.

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Rezension

Tragische Clownsgestalt Eine Rezension von Jeanne Wellnitz Daniela Engist hat lange als Kommunikationsmanage­ rin gearbeitet, bis sie genug davon hatte und lieber einen Roman über die Absurdität des Unternehmensalltags schreiben wollte. Heraus gekommen ist ein amüsantes Zerrbild der skurrilen Managerwelt von heute.

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anchmal gleicht Daniela Engists hilfloser Protagonist einem tragischen Clown. In einem Interview sagt die Autorin hingegen, er sei gar kein Antiheld, sondern ein unbestimmter, gewöhnlicher Jedermann. Doch in ihm glimmt noch ein Fünkchen Wildheit, Zweifel und Staunen. Harald Klein hatte einen herrischen Vater, eine dominante erste Freundin und verdingte sich bislang als Lokaljournalist. Nun findet er sich als Global Communications Manager mit einem eigenen Büro in einem gigantischen Schweizer Konzern wieder. Er ist beeindruckt von sich selbst: Firmenhandy, Visitenkarte – sein Auftrag: die „große Sache“ mit kreativem Leben füllen. Der Großkonzern will seine Unternehmenskultur umschalten auf Innovation; die Konkurrenz schläft nicht. Die Kreativität der Mitarbeiter soll aktiviert werden, 2.000 Führungskräfte werden auf die Devise „Leistung fürs Leben“ eingeschworen. Harald soll den Pressekonferenzen, Präsentationen und Geschäftsberichten kreatives Leben a p r il / m ai 20 1 8

einhauchen. Er hat Philosophie studiert und so bauen alle auf sein schöpferisches Talent. All diese Aufgaben breiten sich in ihrer Komplexität vor Harald aus, der sich, zittrig und rotfleckig, fragt, wann wohl seine Talentlosigkeit auffliegen wird. Tiefere Zwiegespräche mit sich selbst zeigen: In ihm steckt ein subtiler Geist, der viel weiß und sich wenig traut.

Ein Konzern wie eine Sekte Also überschlägt er sich vor Arbeitseifer, legt Nachtschichten ein, um den Geschäftsbericht zu verfassen oder die Q&A fertigzustellen für den CEO-Vortrag. Der Geschäftsbericht wird zu spät gedruckt, die Q&A werden ignoriert. Als er versucht einen Termin mit seiner Vorgängerin – die intern gewechselt hat – zu vereinbaren, um etwas wie eine Übergabe zu bekommen, endet das in einer absurden OutlookTermin-Verschieberei. Harald kämpft und kämpft, doch er kommt nicht an gegen die alles überrollende Energie der Kollegen, die ihrem Konzern fast wie einem Sekten-

PRAXIS

guru dienen. Bis ein Kollege plötzlich nicht mehr zur Arbeit kommt, Burnout. Harald zweifelt kurz, doch er ist schon zu weit gekommen, um aufzugeben. Daniela Engist hat all das auf die ein oder andere Weise tatsächlich erlebt, sie ist eine Insiderin. Trotzdem will sie ihr Debüt nicht als Abbild ihrer eigenen Erfahrung verstanden wissen. Sie sei schöpferisch mit dem Material umgegangen, sagt sie. Gekonnt überhöht sie alltägliche Begebenheiten aus der ­Unternehmenswelt zu Slapstick-ähnlichen Szenen. Man sieht Harald geschäftig einen Gang auf und ab laufen, weltmännisch grüßend, damit niemand merkt, dass sein Chef ihn vor seiner Bürotür verhungern lässt trotz Termin. Als er intern versetzt wird und ihm das als chancenreicher Aufstieg verkauft wird, hat er nichts weiter zu führen als eine vakante Stelle. Manchmal bricht die Autorin mit der humoristischen Außensicht auf ihre Figuren und lässt Harald aus der IchPerspektive über Zweifel und ­Beobachtungen erzählen. Dieser Wechsel holt den Leser etwas abrupt aus seiner zurückgelehnten Haltung, in der er diesen bittersüßen Roman gelesen hat. Dennoch ist dieses Debut eine äußerst lesenswerte Persiflage auf Change-Prozesse, die mittlerweile allerorten den Mitarbeitern das Leben schwer machen. •

Daniela Engist, „Kleins große Sache“ 384 Seiten, Klöpfer & Meyer, 25 Euro.

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LETZTE

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Der Mann des Ausgleichs

Auf dem Thyssenkrupp-Wagen beim Christopher Street Day habe ich … nur mein Tagesgepäck abgelegt. Danach bin ich gemeinsam mit den Kollegen die gesamte Strecke neben und hinter dem Wagen gelaufen. Ich werde auch „Mann des Aus­ gleichs“ genannt, weil … ich in Verhandlungen gleichzeitig an das Unternehmen als auch an die Lage meines Gegenübers denke. Ich mag die Haltung nicht, nach der angeblich alle berücksichtigt werden, indem jeder nur an sich denkt. In meiner Zeit als IG Metall-Bezirks­ leiter habe ich gelernt, dass … man stets gute Argumente haben muss. Hierarchie spielt dabei keine große Rolle. Wenn die IG Metall vor meinem Kon­ zern protestiert, fühle ich mich … nicht so toll, weil ich diese Zeit des Protests am liebsten für konstruktive Gespräche genutzt hätte. Die schwierigste Aufgabe in meiner Karriere war für mich … die Verhandlung eines Tarifabschlusses in der Metallverarbeitung nach 94

Der erste Job, die zu künftige Rolle des Personale rs oder eine inspir ierende L ektüre: HRler, Ge schäftsfü hrer und Blogger g eben Antw orten in unsere m Frageb ogen auf der „Letzte n Seite“.

der Finanzkrise 2008. Es war ein Pilotabschluss für die ganze Bundesrepublik, der Deutschland schneller aus der Krise brachte als andere Länder. Mein Beitrag zum Thema Vertrauen im Unternehmen ist … Vertrauen vorzuleben. Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als … Jugendlicher in einem Galvanikbetrieb, dort habe ich die Kessel mit Säure und Beize gereinigt. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist: ... Schlaf erst mal eine Nacht drüber. Eine Fähigkeit, die Personaler drin­ gend brauchen, ist … Menschen mehr zu mögen als ihre Fehler. Ein guter Morgen beginnt für mich … in aller Ruhe mit einer Tasse Kaffee. Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist … gerade nicht auf meinem Schreibtisch zu finden. Es wären eher historische Biografien, zugespitzte

Momente im Leben besonderer Menschen. Ein Vorbild meiner Jugend ist … mein Großvater, ein vielseitig begabter Mann. Ich erinnere mich jedoch eher an Leute, deren Verhalten ich nie übernehmen würde. Eine Entscheidung, die ich nie bereu­ en werde, war … mein Vorsatz, gute Gelegenheiten zu nutzen. Es braucht keinen dezidierten Lebensplan, um zufrieden zu sein. Eine Eigenschaft, die ich an Men­ schen nicht mag, ist … Heuchelei. Ganz sicher auch Intoleranz und Arroganz. Ich finde Typen schlimm, die keinen Hehl daraus machen, für wie genial sie sich halten. Mitarbeiter ermutige ich dazu … lieber auch einmal einen Konflikt auszuhalten. Oliver Burkhard ist Arbeitsdirektor und Personalvorstand der Thyssenkrupp AG. Er verantwortet außerdem die Regionen Mittlerer Osten, Afrika und Indien. Zuvor war er Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen.

www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: Thyssenkrupp

Oliver Burkhard Arbeitsdirektor und Personalvorstand bei Thyssenkrupp


#keepquestioning – Die neue Business Coach Ausbildung

Start: Oktober 2018

Was macht Sie wirklich wirksam? Mit der richtigen Frage fängt alles an. Wir arbeiten aus der fragenden Haltung heraus und laden Sie dazu ein, Ihr Handeln zu reflektieren, um sich immer weiter zu verbessern und so zu wachsen. Das Institut für Coaching und Leadership der Quadriga Hochschule Berlin arbeitet mit Überzeugung aus dieser fragenden Haltung heraus. Der integrative Ansatz unserer Ausbildung zum Business Coach greift die Herausforderungen einer komplexer werdenden Arbeitswelt auf und befähigt Sie zu neuen Lösungen.

Das erwartet Sie –

1-jährige Ausbildung mit 12 Modulen á 2-3 Tage

260 Stunden intensive Business Coachingausbildung bei erfahrenen Dozenten

Davon 168 Stunden (28 Tage) Präsenzausbildung

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Umfangreiche Ausbildungsunterlagen

Zugehörigkeit zum Quadriga Netzwerk mit Zugang zu weiteren Aus- und Weiterbildungen

Enger Betreuungsschlüssel durch Ausbildungsleiter und Lehrcoach, die bei Fragen zur Verfügung stehen

Ausbildung mit Hochschulzertifikat Bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung erhalten Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Hochschulzertifikat „Systemischer Business Coach – Quadriga Hochschule Berlin“.

Ich berate Sie gerne! David Nitschke Director of Training & Coaching Programs david.nitschke@quadriga.eu 030/44 72 94 26

coaching.quadriga-hochschule.com


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