HRM 05/2017 Familie

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www.mindfulness2018.de

Save the Date 19. Februar 2018 Berlin 1. Tagung

Mindfulness The Next Management Level


Artwork: © [2002] Annie Leibovitz / Home Box Office, Inc. All rights reserved. / Sky

„Familie. Das sind die Einzigen, auf die du dich verlassen kannst.“ James Gandolfini alias Tony Soprano in der gleichnamigen Serie „Die Sopranos“ (siehe Cover-Foto von Annie Leibovitz). Tony, Oberhaupt einer italo-amerikanischen Mafiafamilie in New Jersey, leidet an depressiven Verstimmungen. Er begibt sich in Therapie und muss schnell feststellen: Das wahre Böse lauert nicht allein im Verbrechen, sondern vielmehr in den Untiefen der familiären Dynamik. Und am Ende ist die Mutter ohnehin schuld an allem. Die sechs Staffeln der HBO-Serie, die mit 21 Emmys und fünf Golden Globes ausgezeichnet wurde, sind derzeit beim Pay-TV-Sender Sky abrufbar.

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EDITORIAL

Wahlverwandtschaften

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an kann nicht vorsichtig genug bei der Wahl seiner Eltern sein, lautet ein Bonmot. Unsere Sprache ist entlarvend: „Das bleibt in der Familie“, „Das kommt in den besten Familien vor“ oder „das schwarze Schaf der Familie“. Nicht ohne Grund rotieren Kunst und Literatur um die Sozialisationsagentur namens Familie. Gleich ob wir das Ideal der bürgerlichen Kernfamilie des 18. Jahrhunderts ersehnen, deren Schein der vermeintlichen Naturhaftigkeit uns bis heute im populistischen Parteiengepräge verfolgt, oder ob wir das Phantasma der heilen Familie gar gänzlich ablehnen: Der Mensch ist nicht singulär; stets sind andere Menschen in mannigfaltiger Weise an seiner Entstehung und Entwicklung beteiligt. Nach unserer Ankunft in der Welt ist das Eingebettetsein in einen sozialen Zusammenhang überlebenswichtig: Wir können nur gemeinsam mit anderen bestehen. Und so wachsen wir in eine Gesellschaft hinein – ob in eine biologische, eine soziale, politische oder ökonomische Wahlverwandtschaft. In einer Gemeinschaft lernen wir, welche Rollen von wem besetzt werden. Und das hat Folgen. Längst kreisen bestimmte Debatten nicht mehr nur um die Frage nach geschlechtsadäquaten Verhaltensweisen. Erwerbstätige Frauen und erwerbslose „Hausmänner“ sind zwar kein Novum mehr, doch das Ehegattensplitting besteht weiter. Trotz aller Pluralisierung verschwindet das Modell der Familie nicht, es ändert sich nur. Neue Entwürfe werden durchgespielt: nicht eheliche Lebensgemeinschaften, nicht monogame Beziehungsformen, gleichgeschlechtliche Paargemeinschaften, multiple Elternschaft oder Singlehaushalte. Traditionelle Bindungen brechen auf. An ihre Stelle rückt die soziale Differenzierung. Und das ist ein Glück, macht uns diese Entwicklung doch zu mündigeren Menschen, die ihr Leben eigenmächtig, eigenverantwortlich und im Sinne einer wahren, weil auf Freiwilligkeit beruhenden Gemeinschaft führen. Und die beruft sich auf den Wahlspruch der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Losung aus dem 18. Jahrhundert ist zugleich Kern unserer bürgerlichen Demokratievorstellung. Die Etymologie des Begriffs Familie verrät den in ihm noch enthaltenen Anachronismus: „Familia“ umfasste einst die gesamte Dienerschaft eines Hauses. Waren damit also „Gesinde“ und „Sklavenschaft“ gemeint, wandelte sich die Definition allmählich hin zur „Hausgenossenschaft“, der freie und angestellte Familienmitglieder gleichermaßen d ezem ber 20 1 7 / januar 2018

angehörten. Etwas aus der Zeit gefallen wirkt die bis heute existierende, beinahe romantische staatliche Erwartungshaltung von der Familie als langfristiges Konstrukt, das auch nach dem Tod weiterwirkt. Doch wie viele Ehen werden geschieden und wieder neu geschlossen? Wie viele Gemeinschaften aufgelöst und wieder neu zusammengesetzt? Gemäß dem Grundgesetz stehen Ehe und Familie, nicht aber siegelfreie Lebensgemeinschaften unter „besonderem Schutze der staatlichen Ordnung“. Ein Schutz, den Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels für sich reklamieren. Dahinter verbirgt sich die Sicherung eines Gewinnanspruchs. Doch die tatsächliche Lebensrealität der Arbeitswelt in einem modernen Unternehmen widerspricht schnell dem Wunsch nach Stabilität und Bindung. Arbeitnehmer sehen sich konfrontiert mit befristeten Anstellungen, ungerechter Bezahlung und einem auf Einsparungen, Effizienz und Reibungslosigkeit ausgerichteten System, angetrieben durch das Perpetuum mobile des Turbokapitalismus. Dabei wären ein aufrichtiger Schutz und die Achtung der Arbeitnehmer sowie eine echte Fürsorge von Lebensgemeinschaften auch betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil nachhaltig. Stichwort: Vorbild Familie. Eine Lebensgemeinschaft, gleich welcher Konstellation, erfordert Organisation und Kommunikation. Ähnlich wie in einem Unternehmen werden Bedürfnisse verhandelt, wird der Alltag geplant und werden Prozesse gesteuert mit möglichst maximalem Gewinn für alle Beteiligten. Sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen hieße, sich auf den Weg in eine auf Nachhaltigkeit angelegte Zukunft zu machen. Das wäre auch eine vortreffliche Referenz an unsere gemeinhin als verstaubt geltenden Ideale.

Hannah Petersohn, Leitende Redakteurin Human Resources Manager Am Anfang steht die Neugierde. Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@human resources manager.de

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INHALT

05 / 17 INHALT

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M E INU N G

Die Gegenwart: keine Renaissance des künstlerisch zwar wertvollen, doch rasend anachronistischen Familienbilds

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Editorial

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Prêt-à-parler Verzagtheit ist etwas für Beckenrandschwimmer

SCHWERPUNKT: FAMILIE

Desktop Der norwegische Trendforscher Ståle Økland findet, Unternehmen sollten mehr denken wie Rockbands

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Klassisches Familienbild adé Ein Plädoyer für die Akzeptanz der Vielfalt

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Vom Mythos der Vereinbarkeit In der Rushhour des Lebens sollten junge Eltern nicht alles gleichzeitig machen müssen

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Sexismus am Arbeitsplatz Ein Interview über die psychischen und wirtschaftlichen Folgen von Belästigung Der technokratisierte Mensch In der digitalisierten Arbeitswelt wird der Mensch zum Fehler im Code

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20 Kalkulierte Paranoia Wie Kontrolletti-Chefs ihre besten Mitarbeiter blockieren 42

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Der Kollege als Familienersatz Tun Rundum-sorglos-Pakete Mitarbeitern tatsächlich so gut wie behauptet wird? Ins Wanken geraten Wie wirken sich Arbeitslosigkeit und Arbeitssucht auf die Familie aus? Im Gespräch mit einem Familientherapeuten Im eigenen Saft schmoren Freud und Leid des inhabergeführten Familienunternehmens Kühne. Ein Firmenporträt

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Loslassen lernen Die Nachfolgeregelung in Familienunternehmen kann herausfordernd sein

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Work-Life-Blending Die Entgrenzung von Arbeitszeit und -ort hat Vorteile, kann aber auch im Burnout enden

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Teilzeitmodelle Unternehmen sollten bei ihren Arbeitzeitmodellen auch auf sich selbst achten

IM FO KU S 58

Von strahlenden Sternen und kleinen Lichtern Warum wir unsere Erwartungshaltung an Leitfiguren überdenken sollten. Ein Essay

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Scientific Insight Wie die Digitalisierung die Personalpolitik verändert. Eine Studie

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Illustration: Camille Waked; commons.wikimedia.org

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TITEL


INHALT

P RAXI S 80

Sieben Gedanken Arbeitswelten gestalten durch Collaboration

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Meine digitale Welt HR-Director Jannis Tsalikis arbeitet superflexibel in Berlin

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Rezension Die Verfilmung von Dave Eggers dystopischem Roman „The Circle“

VER B AN D A NALY S E 64

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Schlag auf Schlag Der Boxer Wladimir Klitschko begann bereits vor dem letzten Kampf, sein Leben nach dem Sport vorzubereiten Digitale Erschöpfung Es gibt Strategien gegen den unseligen Trend der ständigen Erreichbarkeit Treu und Loyal Wie Mitarbeiter zu Fans ihres Unternehmens werden Kollegiale Beratung Über den strukturierten Austausch zwischen Mitarbeitern

Rückblick Prototyping Day Design Thinking im Talent Management

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Termine und Meldungen

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Mitgliederstimmen Umfrage: „Werden die Kollegen zur Ersatzfamilie?“

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Performance Management Wieso das Performance Management eines der meistdiskutierten HR-Themen ist

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Rethinking HR HR wird sich in Zukunft neu aufstellen müssen

RE CHT 84

Aktuelle Urteile

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Mutterschutz und Elternzeit Über die Änderungen des Mutterschutzgesetzes

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Impressum

LE T ZT E SEITE 74

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102 Fragebogen Markus Köhler, Senior Director HR bei Microsoft Deutschland

Rollendiskussion HR wird immer noch nicht als strategischer Partner wahrgenommen. Das sollte sich ändern.

Foto: Universum Film

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Die totale Transparenz: Dave Eggers Dystopie „The Circle“

au g u s t / septem ber 2017

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MEINUNG

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PRÊT-À-PARLER

[fa|tal ra|di|kal]

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s ist bemerkenswert, welche Wörter im Laufe der Jahre eine zweite Karriere machen. Zur Zeit arg beliebt unter den Plemplem-Top-Ten des alltäglichen Vokabulars: radikal. In marktschreierischer „Alles-mussraus!“-Manier poltert der Begriff spätestens seit dem Empörungs-Trallala des einstigen Widerstandskämpfers und für politischen Nonsens bekannten Ex-UN-Diplomaten Stéphane Hessel („Empört Euch!“) durch den Zeitgeist. Im Sommer dieses Jahres schlagzeilt dann endlich auch der Spiegel in Majuskeln, damit auch ja niemandem die Signifikanz des Themas entgehen möge: „TRAUT EUCH! Radikal denken, entschlossen handeln – nur so ist die Welt noch zu retten.“ Auf dem Cover prangt ein blutrünstiger Wolf mit fletschenden Zähnen und aufgerissenem Maul. Auf seiner lüsternen Zunge liegt der Erdball zum Verzehr bereit. Spätestens jetzt weiß jeder: Der Untergang naht! Und der lässt sich nur noch durch Radikalität verhindern. Inmitten des Bionade-Biedermeier schlägt sich der pseudowissenschaftliche Marketingzauber mit seiner Aufmerksamkeitsökonomie eine Schnei8

se: Radical Collaboration! Radikale Kundenorientierung! Disruption! Die Arbeitswelt endlich mal „radikal umkrempeln“! Bloß nicht die Ausrufezeichen vergessen! Wir machen ab sofort alles ganz anders, ganz neu. Jetzt werden die Radieschen mal an der Wurzel gepackt und bestehende Verhältnisse hemdsärmelig der Biotonne überantwortet. Wer grundlegend umwandeln will, braucht, ganz klar, Radikalität. Verzagtheit ist was für Beckenrandschwimmer. Jetzt heißt es: kompromisslos sein, extrem, unerbittlich und unnachgiebig. Die aggressive Prophetitis, der freudsche Todestrieb, das Sehnen am Abgrund sind endlich wieder en vogue. Die Endzeitverkünder geißeln den Kompromiss, denn der ist was für Langweiler und Loser. Aber verlieren wollen wir nicht, auf gar keinen Fall. Denn sonst dräut der Tod. Katastrophenrhetorik allerorten und wir munter mittendrin. Bis vor Kurzem im Schmollwinkel der Bedeutungslosigkeit zurückgezogen, hüpft der jäh Radikalisierte aus seinem Verschlag und tanzt in feister Tresenlogik den apokalyptischen Harlekin-Schuhplattler. Viel zu lange währte der Softie-Rausch. Blutleere

Begriffe sind ja auch lame. Doch Obacht: Der Dernier Cri kann morgen schon passé sein. Aber halten wir uns jetzt nicht mit Klein-Klein auf. Hauptsache, es kommt mal Bewegung in die Sache! Lasst uns den Mangel an Weisheit einfach mit Radikalität ausgleichen. Bei Vollgas im Leerlauf röhrt die Maschine erst richtig schön. Im „Trainingscamp der Radikalität“ (Theatermacher Arne Vogelsang über die Kommunikation in den „sozialen“ Medien) holen wir uns das Anabolikum für die soziale Inkontinenz. Doch was ist mit den wirklich umwälzenden Ideen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen, der 15-Stunden-Woche, den Utopien für Realisten? Darüber müsste man erst nachdenken, das dauert zu lange, das bringt weder Markt- noch Markenwert. Keine Zeit, wir müssen weiter! Lasst uns lieber atemberaubend unverantwortlich bleiben, weiter umstrukturieren, rausschmeißen und uns ins Getümmel der Zerstörung werfen. Fluxus reloaded. Hoffentlich findet diese Revolution kein Ende, schließlich wird der radikalste Revolutionär am ersten Tag nach der Revolution zum Konservativen. Und das ist pfui. www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: thinkstock.com | mirceax

Eine Kolumne von Hannah Petersohn


MEINUNG

Besuchen Sie uns auf der LEARNTEC 30. Januar bis 1. Februar 2018

Halle 1 / Stand E50

d ezem ber 20 1 7 / ja nuar 2018

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Desktop An dieser Stelle erhalten Sie einen Einblick in den Arbeitsalltag einer ausgewählten Person, die sich in relevanter Weise mit dem Thema Arbeit auseinandersetzt. Hier sehen Sie Arbeitsorte von Ståle Økland, Soziologe, Trendforscher und Autor aus Norwegen. Økland arbeitet ganz im Sinne eines digitalen Nomaden: an verschiedenen Orten, unabhängig von der Tageszeit.

2 Über den Wolken „Ich bin oft unterwegs. Deswegen arbeite ich auch im Flugzeug.“ 1 Café „Ich arbeite gerne im Café, besonders dann, wenn ich ein neues Buch schreibe. Manchmal treffe ich dort andere Autoren.“

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ür sein Buch „Tenk som en rockestjerne“ („Denke wie ein Rockstar“) begleitete Ståle Økland über zwei Jahre verschiedene Rockbands (u. a. Kaizers Orchestra) auf ihrer Tournee. Sein Fazit: „Der Boss von morgen muss denken wie ein Rockstar.“ Seine Theorie: Firmen sollten agieren wie eine Musikband, also ohne Chef, mit viel Freiheit, aber klar verteilten Verantwortlichkeiten und einem allen gemeinsamen Ziel. Nur so könnten auch Großkonzerne nachfolgende Generationen für sich gewinnen. Ein zukunftsfähiges Konzept, das mit den Werten des NewWork-Prinzips korrespondiert. hp

Ståle Økland ist ein norwegischer Autor und Redner. Seine thematischer Fokus liegt auf den Themen Veränderung und Innovation. Økland wuchs in Leverkusen, Paris und Norwegen auf. Sein Vater, Arne Larsen Økland, war Fußballprofi für Bayer

3 Daheim „Manchmal muss es ruhig sein, dann arbeite ich zu Hause in Oslo.“ 10

Foto: Ståle Økland

Leverkusen.


Wie wird Ihre berufliche Vision zur Realität?

MEINUNG

NEU

Programm 2018 Jetzt ansehen! Die Quadriga Hochschule Berlin bietet mit einem umfangreichen Angebot an E-Learnings, Seminaren sowie Studien- und MBA-Programmen interdisziplinäre Wissensvermittlung, praxisrelevante Forschung und professionellen Netzwerkaufbau zur Karriereförderung.

d ezem ber 20 1 7 / ja nuar 2018 quadriga-hochschule.com/downloads

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MEINUNG

Der KontrollettiKomplex

Ein Gastbeitrag von Carsten K. Rath

In vielen Unternehmen herrscht ein System von Kontrolle und Abhängigkeiten. Das Führungsprinzip: kalkulierte Paranoia. Wie Führung die besten Mitarbeiter blockiert und warum den Individualisten die Zukunft gehört.

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ie Handlungsmaximen meines ersten Ausbilders entsprachen denen von Napoleon: Seine Vorstellung von Führung ruhte auf den gleichen Säulen wie alle feudalen Systeme: Status, Kontrolle, Hierarchie. Er hieß Klaus-Dietrich, und hinter den Kulissen eines traditionellen Schwarzwälder Gasthofs ließ er mich spüren, was es heißt, Azubi zu sein. In knisternden Polyesterhosen und einer Folklore-Weste musste ich ihm zu Diensten sein. Er setzte alles daran, mich zu brechen. Für ihn war ich nichts als ein Lakai, der zu funktionieren hatte. Bloß keine Persönlichkeit zeigen, bloß nicht herzlich mit den Gästen flirten. Ich musste ihm allein gehören und seine oberflächliche Vorstellung von Führung bedienen: er oben, ich unten.

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In seiner kleinen Welt machte Klaus-Dietrich eigentlich einen guten Job: Da draußen, bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen, funktionierte die gästeverarbeitende Industrie eben so – und tut es vielleicht noch immer. In den meisten Unternehmen sind diese Zeiten heute jedoch längst vorbei. Die meisten Berufe und Tätigkeitsfelder sind so komplex geworden, dass Unternehmen flexible, selbstständige Mitarbeiter brauchen, die das Unternehmen mit ihren Ideen und ihrem Einsatz voranbringen. Je kleiner die Einheiten und Teams werden, desto wichtiger der Einzelne. Und dort, wo auch heute noch Aufgaben stupide abgearbeitet werden müssen, werden schon bald Roboter den Job von Menschen machen. Die Arbeitswelt ist in einem rasanten Wandel begriffen, der nicht www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e


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mehr aufzuhalten ist. Dieser Wandel ist in der Personalführung vieler Unternehmen leider immer noch nicht erfolgt. Stattdessen leidet sie unter dem Kontrolletti-Komplex von Status, Kontrolle und Hierarchie.

Illustration: Camille Waked

Corporate Monkeys: der Klotz am Bein Klaus-Dietrichs gibt es immer noch, in vielen Unternehmen und auf allen Hierarchiestufen. Vom Teamleiter bis hinauf in den Vorstand haben jene Führungskräfte es sich gemütlich gemacht. Ich nenne sie Corporate Monkeys. Das sind die Führungskräfte, die Führung als System von Abhängigkeiten und Kontrolle praktizieren. Sie schielen immer auf ihren eigenen Vorteil, auf den nächsthöheren Platz in der Hierarchie, auf den nächsten d ezem ber 20 1 7 / ja nuar 2018

geldwerten Vorteil. Sie fühlen sich ständig bedroht und wollen deshalb alles und jeden kontrollieren. Sie wollen unersetzlich sein und dulden deshalb keine Veränderung. Diese Führungskräfte wollen keine Individualisten in ihren Teams; sie wollen Lakaien, die sie nach ihrem Vorbild formen können, damit sie das bestehende System fortsetzen. Ihr Führungsstil ist das Gegenteil von Freiheit: Sie setzen auf den Kontrollwahn. Selbstständig denkende und handelnde Mitarbeiter sind diesen Kontrollettis ein Graus. Und das ist ein Problem. Denn die Zukunft gehört Unternehmen mit einem hohen Freiheitsgrad auf allen Ebenen. Für Unternehmen werden die Corporate Monkeys in der neuen, von ständigem Wandel geprägten Unternehmenswelt deshalb zuneh-

mend zum Klotz am Bein. Ihr System schadet nicht nur der heute obligatorischen Kundenorientierung in Echtzeit. Es vergrault auch Mitarbeiter, und zwar zuallererst die guten.

Selbstwirksamkeit als wichtigstes Asset Der Kontrollwahn blockiert das wichtigste Asset, das Unternehmen v. a. gegen agile digitale Konkurrenten haben: Selbstwirksamkeit. Wenn in absehbarer Zeit alle Unternehmen digital sein werden und die Automatisierung immer weiter voranschreitet, machen selbstwirksame Mitarbeiter den entscheidenden Unterschied. Ihre Individualität, ihre Kreativität und ihre Handlungsfähigkeit zu blockieren ist Harakiri für den Umsatz und die Zukunftsfähigkeit. 21


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Bunt, bunter, Familie

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Ein Beitrag von Anna Friedrich

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Mutter, Vater, Kind: Dieses Gefüge ist heute längst nicht mehr selbstverständlich. Das klassische Familienbild hat ausgedient. Gleichgeschlechtliche Paare, Patchworkfamilien und Kinder mit mehr als zwei Eltern sind mittlerweile alltäglich. Ein Plädoyer für die Akzeptanz der Vielfalt.

er Junge, der zwei Mütter hat. So ist der siebenjährige Nicholas aus Melbourne in Australien in seiner Schule bekannt. Er ist ein Einzelfall, die Eltern der anderen Schüler sehen ihn als Sonderling. Ihre Meinung: Zwei Mütter können keine Eltern sein – und ohne Eltern habe Nicholas auch keine Familie. Auf Twitter veröffentlichte die Tante von Nicholas daraufhin einen offenen Brief, der ihrem Neffen Mut machen soll. Frei übersetzt heißt es dort: „Viele Menschen sind gemein zu dir, weil sie Angst haben und die Liebe deiner Mütter nicht verstehen.“ Auch in Deutschland gibt es viele gleichgeschlechtliche Paare; im Jahr 2015 waren es rund 94.000. In einer von zehn dieser Partnerschaften leben laut Statistischem Bundesamt auch Kinder. Dazu kommen viele andere alternative Familienformen wie Patchworkfamilien oder Kinder mit mehr als zwei Eltern, etwa wenn sich polyamourös lebende Menschen die Kindererziehung teilen. Das Familienbild innerhalb der Gesellschaft wird bunter, so viel steht fest. Das bedeutet für Menschen, die in alternativen Modellen zusammenleben, erst einmal Erleichterung. Sie können sich offen individuell ausleben. Durch den gesellschaftlichen Diskurs sind alternative Familienmodelle im Bewusstsein vieler Menschen angekommen. Gerade in Bezug auf das Zusammenleben homosexueller Paare mit Kindern wird die Auseinandersetzung rege geführt. d ezem ber 20 1 7 / januar 2018

Dennoch stehen alternative Familien im Alltag immer noch vor vielen Herausforderungen. Denn gemessen an der Gesamtzahl von über 20 Millionen Paaren in Deutschland bilden sie nur einen kleinen Teil der Gesellschaft ab. Im Jahr 2013 waren 70 Prozent aller Familien verheiratete Paare, zehn Prozent unverheiratete Paare, die als homo- oder heterosexuelle Lebensgemeinschaft zusammenleben, und 20 Prozent Alleinerziehende. In den kommenden Jahren dürften sich die Anteile verschieben: Denn seit dem 1. Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare hierzulande heiraten – dann wird die Zahl verheirateter Paare weiter steigen. Bislang konnten sie nur in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zusammenleben. Die Debatte um die sogenannte Homo-Ehe gibt auch der Diskussion, was eigentlich eine Familie ist, neuen Zündstoff.

Antiquiertes Rollenbild aus der Nachkriegszeit Die klassische Sicht auf den Familienbegriff beruht auf einem mittlerweile antiquierten Rollenbild aus der Nachkriegszeit. Der Familienzyklus begann im sogenannten „Golden Age of Marriage“ mit der Heirat eines Paares. Sobald der Mann für die materielle Grundlage sorgen konnte, bekamen die beiden ein oder mehrere Kinder. Nach Ende der Schulzeit 25


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Vom Mythos der Vereinbarkeit Ein Beitrag von Jeanne Wellnitz

Illustraion: thinkstock.com

Wenn Mitarbeiter zu Eltern werden, leben sie in zwei Welten. Die inneren AnsprĂźche, beide Welten zu vereinen, sind hoch, die Rahmenbedingungen oft zermĂźrbend. Dabei kĂśnnen Unternehmen von den neu gewonnenen Potenzialen ihrer Mitarbeiter profitieren.

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iele Führungskräfte zucken zusammen, wenn eine Mitarbeiterin ihre Schwangerschaft verkündet. „Ich habe jahrelang aus Ehrgeiz und Leidenschaft sehr viele Überstunden gemacht und viel erreicht“, erzählt eine PRlerin, die in einer Agentur mit rund 30 Mitarbeitern arbeitete. „Als ich schwanger wurde, war die Reaktion der Geschäftsführung jedoch enttäuschend verhalten.“ Nach der Elternzeit stieg sie mit 30 Stunden wieder ein. Wenn sie oder ihr Kind krank waren, arbeitete sie von zu Hause aus, selbst hochschwanger hat sie noch alles gegeben. Sie bat darum, ihren Arbeitstag früher als 9.30 Uhr beginnen oder einmal Homeoffice machen zu dürfen. Nein, das passe nicht in die Agenturabläufe. „Ich verstand natürlich auch die Nöte meines Arbeitgebers. Aber wegen einer Fahrtzeit von insgesamt drei Stunden musste ich um 15.30 Uhr den Stift fallen lassen, was für alle Seiten frustrierend war.“ Sie kündigte. Es ist ein heikles, gefühlsbetontes Thema: Aus Arbeitnehmern werden Mütter und Väter, die plötzlich neue Bedürfnisse, Sehnsüchte und Ängste haben. Sie wollen beruflich weitermachen wie bisher, irgendwie, und gleichzeitig alle Energie und Liebe in die Familie stecken. Später müssen sie schmerzlich einsehen, dass ihre nach der Geburt mühsam wiedererlangte Alltagsstruktur fragil und anfällig ist – und Zeit sehr kostbar. Um ihre berufliche Rolle ausfüllen zu können, brauchen sie zum Wiedereinstieg hochgradig flexible Strukturen. Laut einer Studie von A. T. Kearney sind 80 Prozent der Eltern mit ihrem Arbeitgeber jedoch unzufrieden, was deren Familienfreundlichkeit betrifft.

Wir brauchen Firmen, die Rücksicht nehmen Die Journalistin Susanne Garsoffky war kürzlich auf einer Veranstaltung, in der darüber diskutiert wurde, wie junge Frauen für die IT-Branche begeistert werden können. „Die Einstellung der Frauen müsst ihr nicht ändern“, sagte sie den verdutzten IT-Chefs. „Ihr müsst euch fragen: Was können wir als Unternehmen tun, um für Frauen attraktiv zu sein? Eure Programme reichen nicht aus. Ihr braucht Führungskräfte, die auch um 16 Uhr Feierabend machen, um ihre Kinder abzuholen.“ Garsoffky hat zusammen mit der Journalistin Britta Sembach „Die Alles ist möglich-Lüge“ veröffentlicht; ein viel beachtetes Buch, das ausgeklügelt analysiert, wieso Vereinbarkeit ein Mythos ist. Sie schreiben, es gebe nur ein Nebeneinander zweier völlig unterschiedlid ezem ber 20 1 7 / januar 2018

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Es geht ums Eingemachte Ein Beitrag von Martin Scheele

Was macht Familienunternehmen stark und was schwächt sie? Das Beispiel der Firma Kühne zeigt: Ein zu großer Einfluss der Inhaber ist nicht immer gut.


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lle paar Wochen betritt ein älterer Herr die Zentrale der Kühne KG. Mitunter bringt er Einkaufstüten voller Konserven mit, die er dann vor der Geschäftsleitung präsentiert und fragt: „Warum haben wir das nicht?“ Der Mann ist 87 Jahre alt. Sein Name: Carl Wilhelm Kühne. So mancher Eigentümer eines Familienunternehmens, ob er im Hintergrund die Strippen zieht oder an vorderster Front kämpft, gilt als verschroben, aus der Zeit gefallen und sperrt sich angeblich gegen Neuerungen jeglicher Art. Gemäß dem Klischee liegt ein Familienunternehmen irgendwo in der Provinz und ist in seiner Kommunikation nach außen verschwiegen. International Karriere machen? Eher nicht. Welche Stereotypen halten dem Realitätscheck stand? Welche Nachteile gibt es wirklich? Wo liegen womöglich die Vorteile eines Familienunternehmens? Die Bedeutung von Familienfirmen ist für die deutsche Volkswirtschaft unbestritten. Neun von zehn Firmen werden von einer Familie kontrolliert, 57 Prozent der Beschäftigten arbeiten für Familienfirmen, ihr Anteil am Gesamtumsatz aller Unternehmen in Deutschland beträgt 55 Prozent. Die Carl Kühne KG hat ihren Sitz in Hamburg-Bahrenfeld. Bis in die Innenstadt sind es 15 Autominuten – Provinz ist woanders. In der Eingangshalle, eher ein Eingangsraum, steht ein mannshohes Essigfass, Symbol für eines der wichtigsten Erzeugnisse des Unternehmens. Mit Essigsorten, Gewürzgurken, Rotkohl und Dressings macht die Firma aktuell 308 Millionen Euro Umsatz. Das Unternehmen hat 1.400 Mitarbeiter, davon arbeiten 150 in der Zentrale. Die Kühne KG, 1722 in Berlin gegründet, zählt zu den ältesten Firmen d ezem ber 20 1 7 / januar 2018

Deutschlands. Mit Carl Wilhelm Kühne repräsentiert heute die achte Generation den Lebensmittelhersteller, dessen Marke weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt ist. Auf den ersten Blick scheint die Marke die wichtigste Lebensversicherung des Unternehmens zu sein.

Mit kurzen Wegen zum Marktführer Beim Gang durch die Zentrale wird schnell klar: Kühne steckt mitten im Umbruch. Bauarbeiter reißen Wände ein, aus den mehrheitlich vorhandenen Zweier- und Dreierbüros sollen größere Einheiten entstehen. Projektarbeit wird auch hier zunehmend großgeschrieben. An mancher Wand prangt ein quietschbuntes Graffiti. Auf den Neuankömmling wirkt die Vielfalt verwirrend. Im Laufe der Jahre wurde immer wieder angebaut; die Gänge verlaufen nicht planquadratisch, sondern mäandern wie ein unbegradigter Fluss durchs Gebäude. Mittendrin sitzt Carl Wilhelm Kühnes erster Ansprechpartner Stefan Leitz, der seit 2013 der Geschäftsleitung vorsteht. Zuvor war er 23 Jahre bei Konzernen wie Unilever tätig, auch seine drei anderen Geschäftsleiter kommen aus der Großindustrie. Milliardenstarke Unternehmen, die eine Übernahme von Kühne aus der Portokasse zahlen könnten. Auf die Frage, was die Vorteile von Familienunternehmen sind, antwortet der 53-jährige, juvenil wirkende Leitz prompt: „Sie sind oft schneller in ihren Entscheidungen und Umsetzungen, sind mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichtet als auf kurzfristige Gewinnmaximierung und viele neue Mitarbeitende entscheiden sich deshalb für Kühne, 43


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Der Generationenvertrag

Die Nachfolgeregelung in Familienunternehmen ist mit Herausforderungen verbunden – für manche ein Prozess des Loslassens, für andere eine Selbstverständlichkeit. Foto: thinkstock.com

Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

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ür jeden Unternehmer kommt einmal der Zeitpunkt, seinen Posten an einen Nachfolger zu übergeben. Nicht immer eine leichte Aufgabe. Liegt der Aufbau eines Familienbetriebs doch oftmals über Jahrzehnte in eigener Hand. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um einen Kleinbetrieb oder ein Großunternehmen handelt. Es gleicht einem Lebenswerk, in dem viel Herz und Seele stecken. Umso schwerer fällt es, die eigene Nachfolge zu organisieren – könnte man meinen. Manchmal ist die Weitergabe der Geschäftsführung nur das, was es ist: eine unternehmerische Entscheidung. Doch wie bei vielen unternehmerischen Entscheidungen gibt es auch hier Herausforderungen. In rund 135.000 Familienunternehmen steht im Zeitraum von 2014 bis 2018 eine Übergabe an, bei der Eigentümer aus persönlichen Gründen aus der Geschäftsführung ausscheiden. Das zeigen Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Dabei führt die Demografie hierzulande zu einem Nachfolgeengpass. Nicht immer steht dem Übergabewillen ein adäquater Nachfolger aus eigenen Reihen gegenüber. Gibt es aber Nachfahren, ist die Entscheidung für Unternehmer oftmals klar: Die Kinder sollen den Familienbetrieb übernehmen. Besonders in Familienunternehmen sind Inhaber häufig stark – emotional und menschlich – mit dem Geschäft verbunden. Sie prägen damit die Ökonomie ihres Unternehmens. „Dabei stellt das Unternehmen regelmäßig – auch über mehrere Generationen – die wirtschaftliche Existenzgrundlage sowohl seiner Arbeitnehmer als auch der Familie dar“, sagt Carsten Schäfer, Professor und Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Unternehmensnachfolge der Universität Mannheim. Bei einem notwendigen Wechsel in der Geschäftsführung müsse ein Inhaber darauf achten, dass Risiken für die Fortführung des Unternehmens so gering wie möglich sind. Das erfordere eine langfristige Planung unter Berücksichtigung menschlicher Faktoren, aber ebenso juristischer Sachverhalte wie im Gesellschafts- oder Erbrecht.

Loslassen ist Typsache Viele Eigentümer nutzen eine externe Beratung und suchen Unterstützung in Belangen rund um ihre Nachfolge. Wenn sich Unternehmer an Christopher Riedel, Berater und Rechtsanwalt für Unternehmensnachfolge, wenden, befinden sie sich in ganz unterschiedlichen Prozessen. Die Entscheidung, wer die Geschäfte zukünftig übernehmen soll, ist oft bereits im Vorfeld gefallen. Auch wenn der tatsächliche Abwicklungs- und Übergabeprozess aus Vertragssicht etwa sechs Monate andauert, erstreckt sich der gesamte Prozess d ezem ber 20 1 7 / januar 2018

„Der Ausscheidende muss Ross und Reiter benennen. Es braucht eine klare Kompetenzregelung – auch bei Nachfolgen innerhalb der Familie. “ Christopher Riedel, Berater und Rechtsanwalt für Unternehmensnachfolge

der Unternehmensnachfolge über Jahre. Die Gratwanderung zwischen Loslassen und Eingreifen erlebt Riedel ganz unterschiedlich. Er unterscheidet zwischen zwei Unternehmertypen: Da gibt es den Macher – also den typischen Gesellschafter und Gründer. Er ist ein Vollblutunternehmer, das Geschäft sein Ein und Alles. Ihm fällt es schwer, sein Leben umzukrempeln und loszulassen. Zum anderen gibt es Familienunternehmer, die nur eine Gesellschafterrolle innehaben. Diese nutzen bereits eine Fremdgeschäftsführung und befassen sich vor allem mit strategischen Entscheidungen, weniger mit dem Tagesgeschäft. Hier geht es eher darum, Verantwortung überzuleiten. Ihnen fällt das Loslassen mitunter leichter.

Klare Kompetenzregelungen sind gefragt Für den Wissenschaftler Schäfer beginnt die optimale Vorgehensweise bei der Nachfolge mit einer Analyse des Unternehmens sowie der Familie. Erstere ziele vor allem auf die Organisationsform des Unternehmens ab. Bei familiären Aspekten gehe es darum, einen fähigen und bereiten Nachfolger zu finden. Andernfalls komme eine Fremdgeschäftsführung in Betracht. So sollten Unternehmer ebenso im Sinne der Akzeptanz dafür sorgen, die Nachfolge auch Geschäftspartnern wie Kunden, Lieferanten und Banken sowie Beschäftigten zu kommunizieren, sagt Schäfer. Für den Erfolg einer Nachfolgeregelung ist eines besonders wichtig: „Der Ausscheidende muss Ross und Reiter benennen. Es braucht eine klare Kompetenzregelung – auch bei Nachfolgen innerhalb der Familie“, ist sich Berater Riedel sicher. Der Inhaber muss entscheiden, wer die Richtung vorgibt. Bleibt er jedoch graue Eminenz, wirkt sich das auf die Akzeptanz des Nachfolgers aus. Negative Auswirkungen kann auch das Problem der Selbstüberschätzung mit sich bringen. „Oftmals sind handelnde Personen der Ansicht, alles richtig oder zumindest besser zu machen als andere Personen in gleicher Position“, sagt Schäfer. In vielen Fällen 47


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Eine Sache noch Ein Beitrag von Thomas Trappe

Im Homeoffice kann Arbeit sich schnell ins Grenzenlose steigern. Work-Life-Blending endet dann mitunter im Burnout. Doch die Entgrenzung von Arbeitszeit und -ort hat auch viele Vorteile – sofern man auf sich achtet.

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Illustration: commons.wikiedia.org

orab ein Blick ins Innenleben dieses Textes: Drei der vier Gesprächspartner für diesen Artikel haben feste Jobs und ein eigenes Büro. Alle von ihnen führten die Interviews jedoch von zu Hause aus. Sie allesamt sind Blender, Work-Life-Blender, um genau zu sein. Work-Life-Blending ist ein Trend, der alle, die noch von der Work-Life-Balance reden, alt aussehen lässt. Arbeit und Freizeit lassen sich heute oft nicht mehr sauber voneinander trennen, sondern gehen ineinander über. Private Angelegenheiten werden während der Arbeitszeit erledigt, die Arbeit verschiebt sich dafür auf den Feierabend. Und das Büro wird immer häufiger ins Café oder an den heimischen Schreibtisch verlagert. Work-Life-Blending erschöpfe immer mehr Arbeitnehmer, so lauteten bereits erste Warnungen, als sich der Begriff vor drei Jahren etablierte. Für die Kritiker ist Entgrenzung kein Versprechen, sondern eine Drohung. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelte, dass die Hälfte der befragten Arbeitnehmer in der Regel mindestens einmal nach Dienstschluss geschäftliche Mails checken. Jeder fünfte wurde mindestens einmal pro Woche nach Feierabend vom Arbeitgeber angerufen. Gleichzeitig veröffentlichte die Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) eine Studie. Laut dieser litten ein Fünftel der Befragten wegen entgrenzter Arbeitszeiten unter Schlafstörungen. Ein Drittel fühlte sich im Familienleben und bei Freizeitaktivitäten gestört. Die IGA schloss daraus, dass Angestellte mit entgrenzten Arbeitszeiten wesentlich häufiger von Stress, Unruhe und Erschöpfung geplagt werden als andere Berufstätige. Gleichzeitig scheint der Trend zum Homeoffice, also die manifestierte Entgrenzung von Ort und Zeit, an Bedeutung zuzunehmen. 30 Prozent aller Unternehmen bieten inzwischen Homeoffice-Modelle an, berichtete im Februar der Digitalverband Bitkom. Mit einer www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e


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weiteren Zunahme sei zu rechnen. Steffi Burkhart könnte jetzt noch Dutzende weitere Studien zum Thema nennen. Burkhart, Jahrgang 1985, kann der berühmten Generation Y zugeordnet werden. Die Autorin, Wissenschaftlerin und – wie sie sich selbst beschrieben sehen will – das „Sprachrohr“ ihrer Generation beschäftigt sich seit drei Jahren immer wieder mit dem Work-Life-Blending. Burkhart ist überzeugte Freiberuflerin. „Arbeit und Freizeit zu kombinieren, passt zu mir“, sagt sie. „Ich kann mich auch sehr gut selbst organisieren.“ Und daraus ergebe sich das Problem der neuen Arbeitsauffassung: Nicht jeder wisse damit richtig umzugehen. „Wenn man dazu gedrängt wird und es nicht schafft, sich selbst zu organisieren, landet man schnell im Hamsterrad.“

Digital Natives zeigen sich überfordert Work-Life-Blending, sagt Burkhart, ist eine zwangsläufige Begleiterscheinung von Digitalisierung und Globalisierung. Feste Arbeitszeiten seien wegen international vernetzter Arbeitsplätze und trivialer Gegebenheiten wie der Zeitverschiebung oft nicht mehr einzuhalten. Die Vernetzung erleichtere es, Büroarbeit von zu Hause aus zu erledigen. „Diese Flexibilität wird inzwischen von vielen Unternehmen vorausgesetzt“, sagt Burkhart, und sie beschreibt ein Paradox. Denn gerade der Generation der „Digital Natives“ unterstelle man, sie könne mit den neuen Anforderungen am besten umgehen. Doch das Gegenteil sei der Fall: Gerade weil sie mit digitalen Medien aufgewachsen seien, hätten sie es nie gelernt, diese auch mal nicht zu nutzen. Studien zeigten laut Steffi Burkhart, dass gerade die nachrückende Generation d ezem ber 20 1 7 / januar 2018

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IM

FOKUS

Von strahlenden Sternen und kleinen Lichtern Ein Beitrag von Anne Hünninghaus

Ihnen fällt spontan niemand ein, den Sie als Ihr Vorbild bezeichnen würden? Genau da liegt ein Problem. Um von Leitfiguren profitieren zu können, sollten wir unsere Erwartungen an sie überdenken. Fünf zentrale Erkenntnisse über Vorbilder.

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o mutig und stark sein wie Pippi Langstrumpf. Sich so schön kleiden wie Elsa aus „Die Eiskönigin“. So gut Gitarre spielen können wie Papa. Meine Nichte zaudert nicht lange und kann, gefragt nach ihren Vorbildern, gleich eine ganze Liste herunterbeten. Runa ist vier Jahre alt und weiß genau, welche Fixsterne ihr Orientierung bieten können und dürfen. Währenddessen schaue ich im Büro erst einmal in ratlose Gesichter. „Ein Vorbild? Nee, habe ich nicht so wirklich.“ Zögern, Grübeln, Kopfschütteln. Seien wir ehrlich: Erwachsene nach ihren Leitfiguren zu fragen, bringt meist wenig Aufregendes mit sich. Eine durchschnittliche Ausbeute: Viermal Achselzucken, zweimal Gandhi, einmal Mutter Teresa – Entschuldigung, da bin ich kurz eingenickt. So groß die Verdienste der Genannten sein mögen, eine tatsächliche Handlungsanregung für den Alltag geben sie den wenigsten von uns. Stellt sich die Frage: Haben wir etwa das Vorbildhaben verlernt? Brauchen wir ein besseres Orientierungsmanagement? Und dennoch taucht in Publikationen der vergangenen Jahre immer wieder die These auf, sich an Vorbilder zu halten sei en vogue wie nie. „Im Moment hat alles Renaissance, was Orientierung gibt. Weil wir in einer Zeit leben, in der sich die Welt in einer Schnelligkeit dreht, dass den Menschen schwindelig wird. Weil Selbstverständlichkeiten aufbrechen und es schwierig wird, den rasanten Entwicklungen zu folgen. Ich könnte mir vorstellen, dass in solchen Zeiten Vorbilder – die es die ganze Zeit ja gibt – wieder bewusster werden“, sagt Psychologin und Karrierecoach Brigitte Scheidt. Um der Sehnsucht nach dem Vorbild näher zu kommen, habe ich aus Studien, Literatur und Psychologie folgende fünf Erkenntnisse destilliert.

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IM

FOKUS

Helden sind nicht unbedingt Vorbilder

Wir brauchen mehr als ein Vorbild

Ein Vorbild ist jemand, der eine Fähigkeit oder Haltung hat, der man nacheifert, dem man nach dem Prinzip „Lernen am Modell“ folgen kann. Während Kinder sich in der Regel ganz selbstverständlich an den Eltern orientieren, reflektieren wir im Verlauf unserer Entwicklung stärker, was uns tatsächlich erstrebenswert erscheint. „Vorbilder motivieren zu Handlungen“, sagt Psychologin Scheidt. Stars, zum Beispiel aus Film, Sport oder Musik, fungieren daher nicht zwangsläufig als Vorbilder für ihre Anhänger. Ein Idol werde in der Regel überhöht, stehe als leuchtender Stern über allem. „Ein solcher Personenkult – den wir ja auch von Heiligenbildern oder aus Diktaturen kennen – bedient etwas anderes.“ Schließlich seien die Verehrten unerreichbar. Um Vorbilder handelt es sich dann, wenn sich ein Teenager jeden Tag in Gesang oder Gitarrenspiel übt, um dem Lieblingsmusiker nachzueifern. Helden hingegen stehen eher für Werte. Scheidt plädiert für eine schärfere Trennung der Begriffe: „In dem Sinne wächst ein Held in einer Situation über sich selbst hinaus. Er ist bereit, für Überzeugungen und Ideale wie Menschenrechte und Gerechtigkeit unter anderem das eigene Leben, die Freiheit sowie die Gesundheit zu riskieren.“ Bei Vorbildern gehe es aber um Fähigkeiten – und vielleicht auch noch um Haltungen. „Jemand kann tolle Reden halten. Oder Mitarbeiter begeistern. Empathisch sein und trotzdem bei sich bleiben. Das ist ein Vorbild – aber kein Held.“ Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass ein Vorbild nicht auch Werte vertreten kann. Auch ein Mentor, aufgrund seines Wissens und seiner Autorität ein Ratgeber, muss nicht zwangsläufig Vorbild sein. Zwar kann man in Mentoring-Programmen von Unternehmen jemanden vorgesetzt bekommen, jemanden zum Vorbild erklären können wir aber nur selbst.

Ein Grund, warum auf die Frage nach Vorbildern oft langes Schweigen folgt, ist, dass nach der einen Person, dem ultimativen Komplettpaket aus Moral und Talent, gesucht wird. Doch wir werden niemanden finden, dem wir in jeder Beziehung nacheifern wollen. Schließlich will auch niemand von uns der Abklatsch, das „Nachbild“ eines anderen sein. „Das Vorbild ist nie der perfekte empathische Mensch, der in allem reif und gestanden reagieren kann. Heutzutage verstehe ich Vorbilder partiell, bezogen auf bestimmte Fähigkeiten, bestimmte Haltungen“, sagt Brigitte Scheidt. „Martin Luther King ist für viele in seinem Engagement für Gerechtigkeit sicher ein Vorbild und er hatte auch heldenhafte Züge. Aber er war, soweit ich weiß, kein treuer Ehemann.“ So vielfältig wie die Bereiche, in denen wir Vorbilder pflegen sollten, ist auch das Spektrum ihrer Funktionen: Sie können als Mutmacher fungieren, als Inspirationsquelle oder auch als Weißabgleich. Das hat auch mit dem Abstraktionsgrad dessen zu tun, was ich erreichen möchte. Es gibt Makrovorbilder nach dem Prinzip „Ich möchte mal unternehmerisch so erfolgreich sein wie Mark Zuckerberg“ und solche auf einer Mikroebene: „Ich möchte so gute Pressetexte schreiben wie mein Chef“. Dass es eher kontraproduktiv wirkt, wenn Vorbilder uns allzu perfekt erscheinen, zeigt eine Studie der Psychologen Lauren C. Howe und Benoît Monin: Wenn Ärzte – entsprechend ihrer empfundenen Vorbildfunktion – ihre eigene Fitness zu sehr betonen, verschrecken sie damit Patienten (vor allem solche mit Übergewicht). Der Grund: Diese befürchten, gering geschätzt, für faul gehalten zu werden. Wenn unser Vorbild souverän genug ist, über Schwächen und Schwierigkeiten zu sprechen, fühlen wir uns ihm näher.

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A N A LY S E

Mein Kollege, mein Ratgeber Arbeitsplatznah, effizient und in Zeiten von New Work höchst relevant: Die Rede ist von der kollegialen Beratung. Wann gelingt sie und wie läuft der strukturierte Austausch ab?

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oachim Zender (Name von der Redaktion geändert) ist vor Kurzem zum Vertriebsleiter eines Maschinenbauunternehmens befördert worden. In einer Gesprächsrunde stellt er seinen drei Kollegen aus dem Vertrieb, der Produktentwicklung und dem Kundendienst sein Anliegen vor: Einem Großkunden hat er eine komplexe maßgeschneiderte Lösung für eine Verpackungsanlage verkauft. Im Nachhinein beschwerte sich der Kunde über zu lange Reaktionszeiten seitens des Unternehmens. Die drei Kollegen haben zugehört, Fragen gestellt und schließlich ihre Ideen für einen konstruktiven Umgang mit dem 74

zufrieden: Er hat Anregungen und Lösungsvorschläge erhalten, auf die er ohne den Austausch nicht gekommen wäre. kritischen Kunden eingebracht. Der erfahrene Kollege aus dem Vertrieb rät ihm, einen Mitarbeiter aus dem Kundendienst frühzeitig mit zum Kunden zu nehmen; der Kollege aus dem Kundendienst regt an, dass das Vertriebsteam das nächste Mal an den Kundendienst-Schulungen teilnehmen könnte, und der Konstrukteur überlegt, ob er zukünftig bei gleichen Kosten ein hochwertigeres Teil bei einem anderen Lieferanten finden kann. Der Vertriebsleiter Joachim Zender ist

Gruppendynamische Intelligenz Was auf den ersten Blick wie ein Rollenspiel in einem Training anmutet, ist ein strukturierter Kollegen-Austausch, eine sogenannte kollegiale Beratung – auch zu verstehen als Reflecting Group – bei der es darum geht, das Expertenwissen von Kollegen zu nutzen, die Ratschläge aus ihrem Blickwinkel geben. Das Konzept dahinter: Der www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Illsutration: Lightcome | thinkstock.com

Ein Gastbeitrag von Annelie Michael


A N A LY S E

Ratsuchende (Fallgeber) entwickelt für sein konkretes berufliches Problem Lösungen. Und die Kollegen als interne Berater lernen aktiv zuzuhören und wirkungsvolle Fragen zu stellen, die beim Fallgeber eine Reflexion auslösen. Die Reflecting Group, die auf Führungskräfte- oder Mitarbeiterebene meist in einer Gruppe von fünf bis zehn Personen stattfindet, folgt einer klar strukturierten Systematik mit festgelegten Prozessschritten. Ein steigendes Interesse an dem Format zeigt sich bei kleinen, mittleren und Großunternehmen gleichermaßen, die einen kulturellen Wandel weg vom Einzelkämpferprinzip hin zum „Wir“ planen. Im Zuge zunehmender Projektarbeit in wechselnden Teams und komplexer Arbeitsprozesse wird die Teilung und Streuung des Wissens über Hierarchie- und Abteilungsebenen hinweg wichtiger – zusätzlich

befeuert durch die Digitalisierung, die kooperatives Arbeiten fordert und fördert. „In einer digitalisierten Arbeitswelt hat das Erfahrungswissen einen großen Wert. Der Austausch von Wissen kann nicht von oben verordnet werden. Notwendig ist ein Format, das es Mitarbeitern ermöglicht, sich in ihrer sozialen Umgebung vertrauensvoll zu unterstützen und Lösungswege selbstständig zu erarbeiten“, sagt Peter Dehnbostel, Professor für Weiterbildung und Betriebliches Bildungsmanagement an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin.

Wirkungsvoll im Change Start-ups, die ohnehin auf Austausch und Partizipation setzen, kommt das interaktive Lernen entgegen; insbeson-

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dere in der Phase des Wachstums: Wenn sich die kleine „Zehnmann-Bude“ in kurzer Zeit zu einem 200-Mann-Unternehmen mit Abteilungen entwickelt, befürchten Gründer und Mitarbeiter den Verlust von Anfängergeist und Nähe. Auch die eigene Wirksamkeit geht zumindest gefühlt verloren, weil Aufgaben an andere delegiert werden müssen. Damit dieser Übergang gelingt, ist die Methode der kollegialen Beratung ideal: Herausforderungen können gemeinsam in einer heterogen zusammengesetzten Gruppe reflektiert und Fragen erörtert werden, die eine schnelle Antwort erfordern, wie zum Beispiel: Warum fällt es mir schwer, „mein“ Produkt „loszulassen“ und meinem Mitarbeiter zu vertrauen? Und: Wie muss ich in meiner Rolle als Führungskraft Ziele vereinbaren und Aufgaben so beschreiben, dass Mitarbeiter sie gut lösen können? Nicht nur


PRAXIS

Film

Watching you Eine Rezension von Jeanne Wellnitz

In Dave Eggers’ Bestseller „The Circle“ verhilft die arglose Protagonistin einem gigantischen Internetkonzern zur Überwachung aller Menschen. Die Verfilmung dieser aufrüttelnden Dystopie enttäuscht jedoch. Tom Hanks gibt den charismatischen Firmenboss des Circle-Imperiums.

James Ponsoldt (Regie): The Circle. Basierend auf dem Roman „The Circle“ von Dave Eggers.

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Heiß diskutiert Der Roman wurde im Feuilleton ausgiebig diskutiert: Eggers verwende schablonenhafte Mittel und dämliche Figuren. Der Roman sei ästhetisch und intellektuell miserabel umgesetzt, ereiferte sich Zeit-Autor Mangold. Der Literaturkritiker Denis Scheck hingegen meint: „Es gibt eine Tradition des Warnromans, der in der Regel mit Schablonen arbeitet, wie Orwells ‚1984‘. Dave Eggers hat nicht die Antworten, er stellt nur die richtigen Fragen.“ Denis Scheck, offensichtlich Eggers-Fan, weiß natürlich, dass der Science-Fiction-Roman kein sprachliches Feuerwerk zündet. Das muss er auch gar nicht. Seine verstörende Wirkung entfaltet die Lektüre durch andere Mittel. Fünf Jahre habe Eggers gesammelt, was er wahrnahm: „Mae war das Gefäß, das alle diese Ideen aufnehmen konnte“, sagt der Autor. Sie steht dem Konzern bei wie der Jünger seiner Sekte. Der Erzähler spricht zwar in der dritten Person, steckt aber www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: Universum Film (2); wikimedia

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ave Eggers ist einer der erfolgreichsten und gleichzeitig am schlechtesten schreibenden Autoren, die ich je gelesen habe“, sagte Zeit-Literaturkritiker Ijoma Mangold vor drei Jahren. Die Dystopie „The Circle“ des amerikanischen Autors Dave Eggers war gerade erschienen – und wurde zum Bestseller. „The Circle“ ist die Albtraumvision der absoluten Transparenz. Der Blick in eine Zukunft, die in großen Teilen längst zur Gegenwart geworden ist. Das Unternehmen The Circle – eine imaginierte Fusion von Facebook, Google, Apple und Co. – folgt den Grundsätzen: Geheimnisse sind Lügen, Teilen ist Heilen, alles Private ist Diebstahl. Die Protagonistin Mae Holland hat beim Circle einen Job ergattert und wird zur idealen, völlig transparenten Vorzeigemitarbeiterin. Was sich für den Leser als totalitäre Hölle darstellt, erlebt Mae hingegen als heilbringende Lebensweise.


PRAXIS

Emma Watson alias Mae Holland in der Verfilmung von Dave Eggers‘ Bestseller „The Circle”.

dennoch in Maes Kopf: Der Leser begleitet förmlich live die Gehirnwäsche der jungen Frau. Als sie in der Kundenbetreuung beginnt, arbeitet Mae noch an zwei Bildschirmen; später sind es neun. Hinzu kommen zwei Armbänder, ein Mikrochip in ihrem Körper und eine Mini-Kamera um ihren Hals, die sie zum gläsernen Menschen machen. Allein in der Nacht fühlt sie zunehmend den dunklen Riss, der in ihrer Seele klafft. Schnell beantwortet sie dann Kundenanfragen, mit denen sie auch gleich ihr konzerninternes Ranking verbessert. Sie verschickt Zings (aka Tweets), Likes und Frowns (also negative Bewertungen) und begibt sich in die wärmende Illusion der virtuellen Gemeinschaft. Schlussendlich verfolgen Millionen Menschen im Livestream die Dauerübertragung von Maes Alltag mithilfe ihrer Mini-Kamera. Nur auf der Toilette darf sie diese für drei Minuten ausschalten.

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Lieblos zusammengekürzt „Watching you“, wispert die hohe Stimme der Sängerin Lenachka in der Filmmusik. Sie deutet die latente Hölle der partizipativen, alles kommentierenden digitalen Gesellschaft an. Der Rest von Danny Elfmans Komposition schafft es hingegen nicht, die Verlockungen des Silicon-Valley-Utopismus, Maes erschreckende Willenlosigkeit, die unheilvolle Allmacht eines einzigen, zum Kartell gewordenen Konzerns zu transportieren. Ebenso wenig schafft es Regisseur James Ponsoldt, all das in wirkungsvolle Bilder zu überführen. Maes Persönlichkeitswandel wird derart zusammengekürzt, dass von der grausigen Infiltration ihres Wesens nichts mehr zu spüren ist. Zentrale Überraschungsmomente werden vorweggenommen oder gleich ganz ausgelassen. Wichtige Figuren wie Maes Freundin Annie bleiben profillos, Handlungsmotive werden verfälscht, der Schluss wurde umgeschrieben. Auch hochgradig schaurige

Projekte des Circle werden gar nicht erst erwähnt. Über all das kann auch die Starbesetzung nicht hinwegtrösten, wenngleich es ein Genuss ist, Tom Hanks als Chef des Circle – einem Steve-Jobs-ähnlichen Guru – zuzusehen. Außerdem grenzen sich die Szenen vom Firmen-Campus und die von der Welt außerhalb des Circle kaum voneinander ab. Im Roman spürt der Leser den Unterschied zwischen der Wildheit des Draußen, „das Mittelalter“, wie Dave Eggers es im Interview nennt, und der effizienten Ordnung des Circle-Universums. Sie ist es, die Mae derart anzieht und beruhigt. Beim Circle ist sie krankenversichert, ihre Zeit ist minutengenau getaktet, alle Viewer sind ihre Freunde. Hier ist sie nicht allein. Während der Roman Beklemmung im Leser auslöst, lässt der Film den Zuschauer ratlos im Kinosessel zurück: Eine bedauerlich fade Verflachung eines absolut brisanten Romans. •

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LETZTE

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Der erste Job, die zukünftige Rolle des Personalers oder eine inspirierende Lektüre: HRler, Geschäftsführer und Blogger geben Antworten in unserem Fragebogen auf der „Letzten Seite“.

Gut zuhören können Markus Köhler Senior Director Human Resources bei Microsoft Deutschland

Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als … Tennistrainer. Als Personalverantwortlicher habe ich gelernt … dass man nie aufhört zu lernen.

Wenn ich nicht Personaler geworden wäre, dann … wäre ich nicht meiner Passion nachgegangen. Ein HR-Thema, das in Unternehmen immer noch zu kurz kommt, ist … Kultur. Eine Eigenschaft, die ich an Menschen besonders schätze, ist ... Offenheit und positive Energie. Ein Vorbild meiner Jugend war … Keine Antwort Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist … „Good to Great: Why Some Companies Make the Leap ... And Others Don’t“ von Jim Collins.

Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist … Grass doesn’t grow faster if you pull on it.

Der Beitrag der Personaler zum Thema Familie ... Keine Antwort

Mein erstes Musikalbum war von … Toto.

Die besten Ideen habe ich … beim Sport und Autofahren.

Zeitgemäße Organisationsentwicklung heißt … Keine Antwort

Ein guter Morgen ist für mich … Keine Antwort

Eine positive Unternehmenskultur lässt sich erreichen durch … Keine Antwort Mein Selbstvertrauen gewinne ich aus … Keine Antwort Meine Mitarbeiter ermutige ich ... neue Wege zu gehen und Dinge auszuprobieren. Meine wichtigste Erkenntnis aus der Zusammenarbeit ist … Keine Antwort Ein guter HR-Manager sollte ... gut zuhören können. Die größte Herausforderung in der Personalentwicklung ist … vorausschauend zu denken, um die Herausforderungen der nächsten Jahre zu antizipieren.

Markus Köhler ist Senior Director Human

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Resources bei Microsoft Deutschland und Mitglied der Geschäftsleitung des Unternehmens.

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Foto: Microsoft

Stets ist es spannend, welche Fragen auf unserer „Letzen Seite“ beantwortet oder ausgelassen werden. Dabei gilt Paul Watzlawicks Diktum: Man kann nicht nicht kommunizieren. Schweigen ist auch ein Statement und die Stille ein Geräusch. Sie lässt Raum für Ideen, Spekulationen und Muße. In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern eine besinnliche Zeit. Kommen Sie gut ins neue Jahr.


Make better hiring choices. www.humanresourcesmanager.de/jobboerse


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