HRM Gesundheit issue

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A•F•L•Q•T

B•G•M•R•U

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Personalakte 16. & 17. April 2018 Quadriga Forum Berlin

7. Tagung

PERSONALENTWICKLUNG EAR LY B I PREIS B

IS

23. MÄR

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Human, Interrupted: Cyborgs im Anthropozän

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ie Weltgesundheitsorganisation definiert in ihrer Satzung aus dem Jahr 1946 Gesundheit als einen „Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur (als) das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“. Demnach wäre jeder von uns behandlungsbedürftig, denn wie viele von uns erreichen schon diesen Idealzustand? Und offensichtlich tun das immer weniger: So lag die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsrate im Jahr 2015 mit 15,2 Tagen auf Rekordniveau. Das entspricht volkswirtschaftlich einem Ausfall der Bruttowertschöpfung in Höhe von 113 Milliarden Euro. Muskel- und Skeletterkrankungen sind die häufigste Ursache für einen Arbeitsausfall, dicht gefolgt von psychischen Leiden. Wobei man sich nicht über die vermeintliche Trennung von Physis und Psyche täuschen sollte: Wer von der Arbeit auf dem Heimweg übermüdet einen Unfall verursacht und dann mit einem Beinbruch das Bett hüten muss, könnte ebenso nach den seelischen Ursachen dieser Unachtsamkeit fragen. Und verweist der gesellschaftsübergreifende Anstieg von krankheitsbedingten Ausfällen nicht vielmehr auf systemimmanente krank machende Strukturen? Niemand will krankgeschrieben werden, solange der Arbeitsvertrag befristet ist, der berufliche Aufstieg nahen

könnte oder Gehaltsverhandlungen im Raum stehen. Mancher Manager leugnet gar ein Grundbedürfnis wie den Schlaf. Und so sieht sich der Mensch mit der Sehnsucht konfrontiert sich selbst zu überwinden. Das Schuldbewusstsein und die Scham über die fehlende Perfektion des menschlichen Daseins sitzen tief: In einer Gesellschaft, in der Unternehmen mit Präsentismus-Prämien um die Anwesenheit ihrer Mitarbeiter werben, in der wir uns immer mehr unserer eigenen Ersetzbarkeit durch Maschinen bewusst werden, in der Arbeitsverdichtung und Erreichbarkeit Hand in Hand gehen, bestimmt der Wettbewerb auch unsere Gesundheit. Mithilfe neoliberaler Enhancement-Interventionen fühlen wir uns dazu angehalten, unser fehleranfälliges Wesen zu optimieren: über technische, chemische und genetische Verbesserungsmaßnahmen, aber auch über Veränderungen in der alltäglichen Lebensführung, die aus Leib und Seele das Beste herausholen sollen. Dem Menschen als unternehmerisches Selbst, als Homo oeconomicus, wird über betriebliches Gesundheitsmanagement auf die Sprünge geholfen: Fitness-Tracker, Firmen-Yoga, Wellnessdrinks, Zeitmanagementseminare, Achtsamkeitstrainings. Die gegenwärtigen Techniken zur Herstellung von Gesundheit, Wohlgefühl und Glück konzentrieren sich auf die


Wir sind

das Fundament Qualifizierte Fachkräfte sind die Basis für erfolgreiche Unternehmen.

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EDITORIAL

Selbstverantwortung der Arbeitnehmer. Der gegebene Körper soll unter Anleitung auf Höchstleistung getrimmt werden. Schließlich befindet sich die Welt im rasanten Umbruch, dem der Mensch evolutionär betrachtet bereits hinterherhinkt. Eine gewisse historische Parallele lässt sich nicht leugnen. So schrieb der Geisteswissenschaftler Walter Benjamin 1933: „Eine ganz neue Armseligkeit ist mit dieser ungeheuren Entfaltung der Technik über die Menschen gekommen. Und von dieser Armseligkeit ist der beklemmende Ideenreichtum, der mit der Wiederbelebung von Astrologie und Yogaweisheit, Christian Science und Chiromantie, Vegetarimus und Gnosis, Scholastik und Spiritismus unter – oder vielmehr über – die Leute kam, die Kehrseite. Denn nicht echte Wiederbelebung findet hier statt, sondern eine Galvanisierung.“ Galt der Mensch noch vor Kurzem als Maß aller Dinge, wird er nun zum störenden Sandkorn im Getriebe. Er durchkreuzt die forcierte Reibungslosigkeit des ökonomischen Systems mit Unberechenbarkeit und Defiziten. Schon lockt das Heilsversprechen der Optimierung. Und die ist noch dazu ökonomisch verwertbar, schließlich machen uns die Praktiken der Selbstvermessung auch mess-, kontrollierund verwaltbar. In den USA bieten be-

reits über die Hälfte der Arbeitgeber (von Firmen mit über 50 Angestellten) Wellness-Programme an, die häufig direkt mit der Krankenversicherung verbunden sind. Noch Erfolg versprechender als die Lifestyle-Wahl (Sport, bewusste Ernährung und Ähnliches) muten da transhumanistische Fantasien an. Der Mensch als Cyborg, als kybernetischer Organismus, rückt in den Vordergrund. Die Biotechnologie wird die „natürliche“ Selektion grundlegend verändern. Angesichts dessen brauchen wir eine Ethik, die sowohl menschliche als auch nichtmenschliche Fähigkeiten gleichermaßen anerkennt. Zumal: Das Upgrade hin zum Wesen aus organischem und digital-mechanischem Material ist keine Neuheit. Prothesen erweisen uns seit Langem nützliche Dienste. Nano-Roboter, die durch unsere Blutbahnen schwimmen, Krankheiten diagnostizieren und Schäden reparieren, wären der nächste logische Schritt. Doch zu welchem Preis? Wird der Mensch reduziert auf ein mit Computernetzwerken verbundenes Depot geistiger Fähigkeiten, wie manche Wissenschaftler befürchten? Wenn der Mensch die Erfahrung seiner eigenen Entwicklung verliert, weder Gesundheit noch Krankheit unmittelbar als ständigen, fluiden Prozess erfährt: Ist er dann noch Mensch? Womöglich wird er, wie der Philosoph Michel Foucault prognostizierte, verschwinden, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand, „sobald unser Wissen eine neue Form gefunden hat“.

Hannah Petersohn, Leitende Redakteurin Human Resources Manager Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@human resources manager.de

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INHALT

INHALT

M E INU N G

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Die Entstehung einer neuen Spezies ist in vollem Gange. Transhumanisten wollen die Grenzen des Menschseins sprengen.

Editorial

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Desktop Alexander Libor, HR-Vorstand bei der Zurich Gruppe Deutschland, arbeitet im Sitzen und Stehen

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Debatte aktuell Der Journalist und Historiker Rutger Bregman plädiert für eine 15-Stunden-Woche

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Müde vom Dauer-Change Wie viel Wandel hält ein Mensch aus? Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter kaputtverändern

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Im Abseits Digitalexperten erfahren mehr Wertschätzung als andere Kollegen. Das führt zu Spannungen

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Chefs, gebt die Kontrolle auf! Mitarbeiter wissen, was sie tun, auch wenn man ihnen nicht sagt, wo es lang geht

SCHWERPUNKT: GESUNDHEIT 24

Mehr als nur Yoga Was können Personaler tun, um für die Gesundheit der Mitarbeiter zu sorgen?

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Arbeiten mit Handicap Wie kann Arbeit für Menschen mit Behinderung gut funktionieren?

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Robo Sapiens Der Philosoph und Transhumanist Stefan Sorgner im Interview über die Sehnsucht nach der Überwindung des menschlichen Körpers

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Krankes System Körperliche und seelische Belastungen variieren von Branche zu Branche. Was sich dringend ändern muss

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Human Enhancement Wird der Mensch zum Objekt des omnipräsenten Leistungsdenkens?

Der Selbstheilungscode Im Gespräch mit einem Gesundheitsforscher über den größten Krankmacher des 21. Jahrhunderts: Stress

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Mandalas ausmalen liegt im Trend. Ein Interview über Stressbewältigung und Selbstsabotage

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Fotos: thinkstock.com (2)

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INHALT

P RAXI S 68

Sieben Gedanken Firmensport

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Meine digitale Welt Der Start-up-Gründer Hendrik Seiler hat seinen Schreibtisch immer dabei

IM F O K U S 50

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Solidarität, Schwester? Über Sinn und Unsinn von geschlechterspezifischen Netzwerken

VER B AN D

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Scientific Insight Das Ende einer Ära: Der Dienstwagen als Anreiz und Motivation hat ausgedient

Rezension Was macht Menschen am glücklichsten? Nach Meik Wikings Hygge-Bestseller ist nun „Lykke“ auf dem Markt

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HR-Trends 2018 Worauf sich Personalmanager in diesem Jahr einstellen sollten

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Personalwechsel Die neue BPM-Geschäftsstellenführerin Katharina Schiederig im Interview

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Termine und Meldungen

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Betriebliche Weiterbildung Die berufliche Schulung wird mehr und mehr zur Privatsache. Eine Umfrage

RE CHT A NALY S E

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Aktuelle Urteile

LETZ TE SEITE 86 Fragebogen Ursula Schütze-Kreilkamp, Ärztin, Therapeutin und Leiterin Personal Konzern und Konzernführungskräfte bei der Deutschen Bahn

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Go East Wie Mentoring-Programme in China funktionieren können und welche Fallstricke lauern

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Chance für Arbeitgeber Das betriebliche Eingliederungsmanagement kann krankheitsbedingten Kündigungen vorbeugen

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Karriere durch Anerkennung Woran weibliche Führungskräfte erkennen, dass sie akzeptiert werden

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Impressum

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Rise of the Robots Werden Angestellte wirklich überflüssig, wenn Prozesse automatisiert werden?

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Wie effektiv sind Frauennetzwerke? Eine kritische Bestandsaufnahme 7


Ein Gastbeitrag von Rutger Bregman

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Die Arbeitnehmervertretung IG Metall forderte unlängst für die Beschäftigten nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Zeit. Jeder Mitarbeiter kann nun auf 28 Stunden reduzieren. Aber können wir überhaupt mit so viel Freizeit umgehen? Der niederländische Journalist und Historiker Rutger Bregman meint, die Zeit sei reif für eine 15-Stunden-Woche. Ein Auszug aus seinem aktuellen Buch „Utopien für Realisten“.

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Debatte aktuell  |  M E I N U N G

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n hundert Jahren, erklärte der britische Ökonom John Maynard Keynes 1930, werde die Menschheit mit der größten Herausforderung in ihrer Geschichte konfrontiert sein: zu viel Freizeit. Denn der westliche Lebensstandard werde bis dahin das Niveau des Jahres 1930 um das Vierfache übersteigen. Das Ergebnis? Im Jahr 2030 würden wir nur noch fünfzehn Stunden in der Woche arbeiten. Aber die industrielle Revolution, die das explosionsartige Wirtschaftswachstum des 19. Jahrhunderts ermöglichte, brachte genau das Gegenteil von Muße hervor. In Städten wie Manchester war eine Siebzigstundenwoche – ohne Urlaub und ohne Wochenenden – sogar für Kinder die Norm. Dennoch begann um das Jahr 1850 ein Teil des von der industriellen Revolution geschaffenen Wohlstands zu den unteren Klassen durchzusickern. Am Ende des Jahrhunderts war die Wochenarbeitszeit in einigen Ländern bereits unter sechzig Stunden gesunken. Als 32 prominente amerikanische Unternehmer im Jahr 1926 gefragt wurden, war ein Großteil überzeugt, mehr Freizeit werde lediglich höhere Verbrechensraten, Verschuldung und Sittenverfall zur Folge haben. Aber im selben Jahr führte der Industrietitan Henry Ford, der Gründer der Ford Motor Company, als Erster eine Fünftagewoche ein. Andere Unternehmer hielten ihn für verrückt. Und dann machten sie es ihm nach. Henry Ford, eingefleischter Kapitalist und Vorreiter der Fließbandfertigung, hatte entdeckt, dass eine kürzere Arbeitswoche die Produktivität seiner Arbeiter erhöhte. Er begriff, dass die Freizeit eine „kalte geschäftliche Tatsache“ war. Ein ausgeruhter Arbeiter leistete mehr. Im Sommer 1964 bat die New York Times den großen Science-FictionAutor Isaac Asimov um eine Zukunftsf e b ruar / m är z 2018

prognose. Wie würde die Welt in fünfzig Jahren aussehen? Sorgen machte ihm vor allem eines: die Zunahme der Langeweile. Die Menschheit werde sich in „eine Spezies von Maschinenaufsehern“ verwandeln, was „gravierende psychische, emotionale und soziologische Auswirkungen“ haben werde. Die Psychiatrie werde bis zum Jahr 2014 der größte medizinische Fachbereich werden, weil Millionen Menschen in einem Meer „erzwungenen Müßiggangs“ treiben würden. Die Menschheit schien auf eine Freizeitrevolution zuzusteuern.

Stillstand der Arbeitszeitverkürzung In den 1980er Jahren kam die Arbeitszeitverkürzung jedoch zum Stillstand. Das Wirtschaftswachstum brachte uns nicht mehr Freizeit, sondern nur mehr Dinge. 70 Jahre nachdem das Land die Vierzigstundenwoche gesetzlich festgeschrieben hatte, verbrachten drei Viertel der Arbeitskräfte deutlich mehr Zeit in der Woche am Arbeitsplatz. Aber das ist noch nicht alles. Sogar in Ländern, in denen die Arbeitszeit des einzelnen Beschäftigten verringert worden ist, sind die Familien unter größeren Zeitdruck geraten. Woran liegt das? Es hat mit der wichtigsten Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu tun: mit der feministischen Revolution. Damit hatten die Futuristen nicht gerechnet. Niemand wäre auf den Ge-

danken gekommen, dass die Frauen im Januar 2010 zum ersten Mal seit der Abwesenheit der Männer während des Zweiten Weltkriegs den Großteil der amerikanischen Erwerbstätigen stellen würden. Während die Frauen den Arbeitsmarkt eroberten, hätten die Männer ihre Arbeitszeit verkürzen sollen, um mehr Zeit zu haben, zu kochen, zu putzen und sich um ihre Familien zu kümmern. Aber es kam anders. Während Paare in den fünfziger Jahren zusammen fünf bis sechs Tage pro Woche arbeiteten, sind es heute eher sieben oder acht Tage. Sogar die Niederländer – deren Arbeitswoche die kürzeste der Welt ist – spüren die seit den achtziger Jahren stetig steigende Belastung durch Arbeit, Überstunden, Kinderbetreuung und Bildung. Dazu kommt, dass es immer schwieriger wird, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. Eine Studie der Harvard Business School hat gezeigt, dass Manager und Selbstständige in Europa, Asien und Nordamerika dank der modernen Technologie mittlerweile zwischen achtzig und neunzig Stunden in der Woche damit beschäftigt sind, „entweder zu arbeiten oder die Arbeit ‚im Auge zu behalten‘ und erreichbar zu bleiben“. Und koreanische Forscher haben herausgefunden, dass der durchschnittliche Angestellte dank des Smartphones jede Woche elf Stunden länger arbeitet.

„ Während die Frauen den Arbeitsmarkt eroberten, hätten die Männer ihre Arbeitszeit verkürzen sollen.“ 11


MEINUNG

In Firmen gibt es für alles Kennzahlen. Gäbe es auch eine Liste für kaputtveränderte Mitarbeiter, würden viele Unternehmen merken, dass die Lage ernst ist. Ein Gastbeitrag von Axel Koch

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as Veränderungstempo im Arbeitsbereich nimmt zu. Im Jahr 2015 wurden allein in Deutschland 2.500 Firmen übernommen oder fusioniert. Durchschnittlich steckt jedes zweite Großunternehmen in einer sogenannten Restrukturierung. Die durchschnittliche Verweildauer von Vorständen und Top-Führungskräften sinkt: Blieb im Jahr 2010 ein Geschäftsführer noch acht Jahre auf einem Chefsessel sitzen, waren es 2015 nur noch sechs Jahre. Je größer ein Unternehmen ist, desto häufiger der Wechsel. Zum Teil

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gibt es gar Richtlinien, nach denen eine Position nicht länger als zwei oder drei Jahre besetzt sein sollte, sagt ein Insider aus der Finanzbranche.

Management by Helicobacter Jeder neue Chef bringt Ideen mit, die umgesetzt werden sollen. Und so kommt es zu einer neuen Managementform: statt „Management by Helicopter“ gilt fortan „Management by Helicobacter“. Diese Art und Weise der Führung hat dieselbe Wirkung wie das

berüchtigte Helicobacter-Bakterium im Magen. Sie löst bei den Mitarbeitern eine chronische Entzündung aus. Und so jagt ein Change den anderen. Mitarbeiter sollen sich permanent anpassen, weiterbilden und ihre Werte wechseln wie ein Chamäleon die Farben. Irgendwann fragen sie sich berechtigterweise: Wie komme ich noch mit? Wie lange halte ich das aus? Das zunehmende Change-Tempo ist gefährlich. Auch für jene, die sich grundsätzlich flexibel und veränderungsbereit geben. Jeder Wechsel kostet Arbeit und Energie. Mitarbeiter müssen den Veränderungsprozess zusätzlich zum normalen Tagesgeschäft stemmen. Laut einer Studie werden 80 Prozent der befragten Führungskräfte und Mitarbeiter in Veränderungsprozessen nicht von ihrer üblichen Arbeit entlastet. Und das, obwohl sie einen Großteil ihrer Zeit für die Change-Projekte aufbringen. www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

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„Change mich am Arsch“


MEINUNG

Kontrollverlust Die Besonderheit von Change-Prozessen ist, dass sich die Mitarbeiter nicht aus freien Stücken dazu entscheiden. Change wird verordnet, weil die Firmenleitung dafür plädiert oder andere Manager nach dem Wandel streben. Mitarbeiter erleben den ultimativen Kontrollverlust. Für viele von ihnen bedeutet das Stress und Verunsicherung: Werde ich die neuen Aufgaben bewältigen? Wie läuft die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen, dem neuen Chef? Was ist, wenn ich den Erwartungen nicht gerecht werde? Wie lange wird die Situation so bleiben? Was kommt als Nächstes? Fusionen haben ihre eigene Dynamik. Sie bedeuten einen tiefen Einschnitt in die Eingeweide einer Firma. Jedem Mitarbeiter ist klar: Wenn zwei Firmen zusammengehen, sind Stellen, Funktionen und Bereiche erst einmal doppelt besetzt. Folglich werden Stellen gestrichen. Die Frage ist dann, wen es trifft. In dieser Zeit sinken Motivation und Leistungsfreude. Jeder hat Angst um seine Position. Im allgemeinen Wachstumsstreben werden häufig die emotionalen Folgen von Fusionen übersehen. Die „Gekauften“ fühlen sich oft als Verlierer, denn „gekauft“ zu werden ist etwas sehr Persönliches. Es verletzt den Stolz der Mitarbeiter, die unter dem Eindruck leiden, dass die eigene Arbeit nicht mehr gut genug ist.

DIE HR-SOFTWARE FÜR ALLERHÖCHSTE ANSPRÜCHE

Veränderungsopfer Wie viele dieser Veränderungsopfer gibt es eigentlich in den Firmen? Täglich lesen wir die Zahl der Stellen, die abgebaut werden. Hunderte, Tausende. Doch was ist mit den Menschen, die bleiben? Sie machen die Mehrzahl aus. Sie leiden still vor sich hin. Sie schweigen und beißen die Zähne zusammen. Sie glauben, funktionieren zu müssen. Sie haben Angst, Schwäche zu zeigen. Niemand will als „Querulant“, „Jammerlappen“ oder „Change-Bremse“ wahrgenommen werden. Oder schlimmer noch: Der Chef könnte auf die Idee kommen, sich von ihnen zu trennen, weil sie nicht flexibel oder belastbar genug sind.

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Wozu das Ganze? Mit jedem weiteren Change, der unsinniger erscheint als der vorherige, ziehen sich Mitarbeiter zurück. Selbst dann, wenn sie zu Beginn des Wandels noch motiviert waren. Je häufiger der Wandel, desto weniger erschließen sich den Mitarbeitern die Gründe. Ein Mitarbeiter einer Bank drückt es so aus: „Auf den Vorgesetztenwechsel reagieren wir mittlerweile abgestumpft. Wir nehmen das zur Kenntnis und stellen uns eben

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MEINUNG

Ein Gastbeitrag von Lars Vollmer

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Über eine Tatsache sollten sich Führungsfiguren im Klaren sein: Menschen sind sehr gut in der Lage, sich selbst zu organisieren. Voraussetzung dafür ist Informationsfreiheit.

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Freiheit statt Gehorsam


MEINUNG

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as können wir nicht an alle Mitarbeiter rausgeben, das verstößt gegen den Datenschutz! – Wie oft ich diese Leier schon gehört habe … Zuständige horten bestimmte Informationen unter dem Deckmantel des Datenschutzes. Wieder andere verfügen über einen exklusiven Zugang zu Wissen und schützen ihn wie ihren Augapfel, um anderen Wettbewerbern keinen Vorteil zu verschaffen. Und bahnt sich dann eine Krise an, wird sie so lange wie möglich in den Katakomben der Führungsriege zurückgehalten. Nur der innerste Kreis weiß Bescheid. Warum denn gleich die ganze Belegschaft in Unruhe versetzen? Mit diesen zurückbehaltenen Informationen verhält es sich letztlich wie mit jedem Geheimnis: Irgendwann kommt es raus. Warum es also nicht gleich offenbaren? Wie soll sich ein aufgeklärter und unternehmerischer Geist im Unternehmen entwickeln, wenn Entscheidungen nicht auf Basis aller relevanten Daten getroffen werden können? Klar ist: Menschen arbeiten erfolgreicher zusammen, wenn sie über alle Informationen verfügen.

Für gute Entscheidungen Damit Menschen sich ohne feste Zuständigkeiten, Führungstiere und Hierarchiegerangel organisieren können, benötigen sie eine Reihe von Freiheiten. Dazu gehört die Informationsfreiheit genauso wie die Meinungsfreiheit. Natürlich ist ein Team, in dem jeder sagen kann, was er denkt, und nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss, schneller, innovativer, kreativer, leistungsfähiger. Wenn alles ausgesprochen werden kann, dann werden bessere Entscheidungen getroffen. Das liegt auf der Hand: Denn eine Entf e b ruar / m är z 2018

scheidung, die freiheitlich getroffen worden ist, kann sich voll und ganz auf das eigentliche Problem beziehen und muss den Führungskräften nicht gefallen. Was dabei oft vergessen wird: Sie können natürlich nur dann gute Entscheidungen treffen, wenn sie auf alle dafür relevanten Daten zugreifen können.

Was heißt schon Transparenz? Das verführt die „Mächtigen“ im Unternehmen regelmäßig dazu, andere glauben zu lassen, sie wüssten alles – während nicht nur Informationen geheim gehalten werden, sondern auch die Tatsache, dass Informationen geheim gehalten werden, geheim gehalten wird. Die Zensur ist dann nicht offensichtlich. Es wird einfach so getan, als hätten die Menschen freien Zugang zu allen Informationen, während ein gewisser Teil der Informationen nirgends auffindbar ist. Insofern ist Transparenz eher ein subjektives Gefühl. Ein gefühlter Eindruck von Vertrauen, der Glaube, informiert zu sein. Der Begriff Transparenz, der für den Informationsfluss in Organisationen so häufig gebraucht wird, vermittelt vermeintliche Objektivität. Entscheidend dafür, ob eine Mannschaft gute und erfolgreiche Entscheidungen trifft, ist jedoch nicht der Glaube oder das Vertrauen, gut informiert zu sein, sondern der tatsächliche freie und schnelle Zugriff auf alle vorhandenen Daten.

Lernen von Facebook und Twitter Das geht nur, wenn die Daten herrschaftsfrei verwaltet werden, sie also nicht allein einem Abteilungsleiter, einer Führungskraft oder einem Vorstand exklusiv vorbehalten sind. Andernfalls

hätten sie die Macht, die Daten gönnerhaft zu verteilen und zugänglich zu machen, wenn sie jemand anfordert. Denn die Machtinstanz kann unmöglich wissen, wer wann welche Information benötigt. Nein, die Informationen müssen bereits überall verfügbar sein, noch bevor sie für eine Entscheidung benötigt werden. Wagen wir dazu einen Blick über den unternehmerischen Tellerrand: Das Internet ist ein riesiger Speicher frei verfügbarer, besitzloser Informationen. Dem Zustand absoluter Informationsfreiheit kommen wir wohl nirgendwo so nahe wie im Internet und in den sozialen Netzwerken. Damit wird das Internet zum Schauplatz, wie Menschen sich organisieren, wenn die Informationsfreiheit für alle gewährleistet ist, wenn also alle Informationen für jeden frei und schnell zugänglich sind.

Mein Bett für dich Im Internet zeigt sich deutlich, wie sich Menschengruppen auch ohne Vorgaben organisieren können. Erinnern Sie sich an den Vorfall im April vergangenen Jahres: Spieler, Trainer und Betreuer des BVB Borussia Dortmund fuhren mit ihrem Mannschaftsbus zum Stadion. Das Team konzentrierte sich auf das anstehende Spiel, das Champions-League-Viertelfinale. Sie wissen, wie die Szene ausging: Drei Sprengsätze explodierten direkt neben dem Bus. Die Nachricht von dem Anschlag verbreitete sich in Windeseile im Netz. Und irgendwann wurde klar, dass nicht nur das Spiel abgesagt war, sondern auch die Monaco-Fans an diesem Abend nicht mehr aus Dortmund wegkommen. Die Fans waren gestrandet. Als die ersten Dortmund-Fans auf die Idee kamen, den gestrandeten Monaco-Fans privat eine Bleibe anzubieten, war das mediale Echo groß und die Idee fand begeisterte Nachahmer. 21


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Mehr als nur Yoga

Ein Beitrag von André Schmidt-Carré

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Das Gesundheitsmanagement wird vor allem bei Großunternehmen immer professioneller und komplexer. Dabei muss es nicht immer der ganz große Wurf sein. Häufig bringen kleine Details entscheidende Fortschritte, um Mitarbeiter gesund zu halten.

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enn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss sich eben der Berg auf den Weg machen: Um Mitarbeiter zum Fitnesstraining zu motivieren, hat der Pharmahersteller Merck zwei Busse eines Fitnessdienstleisters mit Übungsgeräten an Bord direkt vor die Fertigungshallen in Darmstadt rollen lassen. Bei einem Vorab-Check hatten die Fitnessexperten jeden interessierten Mitarbeiter untersucht, Probleme wie etwa Rückenschmerzen oder eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten in Knie- oder Fußgelenken ermittelt und individuelle Trainingsprogramme entwickelt. Zehn Wochen lang trainierten die Mitarbeiter schließlich nach einem ausgefeilten Konzept zweimal wöchentlich in den Bussen vor dem Werk. Die kurzen Trainingseinheiten wirkten laut Abschluss-Check – und sollen obendrein noch etwas ganz anderes erreichen: „Das Erfolgserlebnis soll Mitarbeitern den ersten Schritt leichter machen, unsere übrigen Trainings- und Gesundheitsangebote wahrzunehmen“, sagt Nils Balser, Gesundheitsmanager bei Merck in Darmstadt.

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Niedrigschwellige Angebote Die sogenannte aufsuchende Gesundheitsförderung zählt derzeit zu den wichtigsten Trends im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). „Viele Unternehmen haben ihr BGM in den vergangenen Jahren ausgebaut“, sagt Utz Walter vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) in Konstanz. „Allerdings ist es oft schwierig, die Beschäftigten zum Mitmachen zu animieren. Angebote direkt am Arbeitsplatz sind ein wichtiges Instrument, um das zu ändern, weil die Hemmschwelle fürs Teilnehmen so erheblich sinkt.“ Laut einer aktuellen Studie vom IFBG und der Techniker Krankenkasse (TK) wird die aufsuchende Gesundheitsförderung in den kommenden Jahren das wichtigste Instrument sein, um BGM-Maßnahmen im Unternehmen zu kommunizieren. „Personalmanagern kommt dabei eine Schlüsselrolle zu“, sagt Walter. „Sie sind das Bindeglied zwischen Geschäftsführung, Führungskräften und Beschäftigten.“ Insgesamt zeichnet die Studie ein durchwachsenes Bild des BGM in deutschen Unternehmen: Etwas mehr als ein Viertel der Firmen hat in den vergangenen Jahren ein ganzheitliches Konzept zum Gesundheitsmanagement aufgebaut, das neben gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften eine umfangreiche Palette freiwilliger Maßnahmen beinhaltet. Ein Drittel baut ein solches System derzeit auf. Der Großteil der übrigen Unternehmen bietet immerhin vereinzelte Kurse an. Jedes elfte Unternehmen hat überf e b ruar / m är z 2018

haupt kein BGM. Zu letzteren zählen vor allem Kleinunternehmen. Umgekehrt gilt tendenziell nach wie vor: Je größer ein Unternehmen, desto eher ist ein umfassendes BGM vorhanden.

Ursachen der Ausfälle Ob umfassend oder auf Einzelangebote beschränkt: Zum Kern eines BGM zählen in der Regel Maßnahmen zum Bekämpfen der häufigsten Malaisen der Mitarbeiter. Auf Platz eins rangieren mit 154 von insgesamt 674 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen im Jahr 2016 wie seit vielen Jahren Skeletterkrankungen, zeigen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dahinter verbergen sich in den meisten Fällen Rückenprobleme, bei körperlich schwer arbeitenden Menschen ebenso wie bei Büroangestellten. Auf Platz zwei folgen mit 109 Millionen Krankheitstagen psychische Erkrankungen. Die verursachen zwar nur fünf Prozent der Ausfälle, psychisch erkrankte Mitarbeiter fehlen aber oft besonders lange. „Aus meiner Sicht steigt der Qualifizierungsbedarf von Führungskräften in Hinblick auf den Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern“, sagt Thomas Quittek, BGM-Beauftragter bei der BAuA. „Hier besteht oftmals eine große Unsicherheit im Erkennen von Auffälligkeiten, der Ansprache der betreffenden Mitarbeiter, dem Begleiten während der zum Teil recht langen Krankheitszeiten und der Wiedereingliederung.“

Entgrenzung, Belastung, Überforderung Und die Probleme könnten noch zunehmen: „Eine große Herausforderung ist die Zunahme der mobilen Arbeit“, sagt Quittek. Probleme sieht er zum Beispiel in Hinblick auf die ständige Erreichbarkeit und die damit verbundene Entgrenzung und Belastung der Beschäftigten. „Hinzu kommt die Schwierigkeit für Führungskräfte, über die Entfernung gut und gesund zu führen.“ Experten beobachten, wie smarte Geräte und immer intelligentere Rechner und Maschinen die Arbeitswelt auf den Kopf stellen und damit das Anforderungsprofil der Mitarbeiter und damit auch des BGM verändern. „In vielen Jobs verdichtet die Digitalisierung die Arbeit, verändert permanent die zu erledigenden Aufgaben und setzt Mitarbeiter zunehmend der Verunsicherung aus, ob sie in naher oder ferner Zukunft überhaupt noch gebraucht werden“, sagt Alexandra Schröder-Wrusch, Chefin der Berliner BGM-Beratung IAS. „Früher hatte Arbeit mit ihrer Regelmäßigkeit und ihren gleichbleibenden Strukturen für viele Menschen 25


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Illustration: thinkstock.com

Die Entstehung einer neuen Art

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Ein Interview von Hannah Petersohn

„Schneller, höher, weiter“, lautet ein Credo der Gegenwart. „Gesünder, schöner, klüger“, ein anderes. Die Effizienzsteigerung betrifft schon lange nicht mehr nur unternehmerische Ertragsprozesse, sondern vielmehr die Mitarbeiter selbst. Angestellte sollen belastbar, resilient und resistent sein. Doch das Gegenteil ist immer häufiger der Fall. Stressbedingte Erkrankungen nehmen zu, die Kluft zwischen mangelhaftem Mensch und reibungsloser Maschine wächst. Ein, zugegeben neoliberaler, Ausweg aus diesem Dilemma wäre, den Menschen mit neuen Fähigkeiten auszustatten und ihn von seiner Fehleranfälligkeit zu befreien. Sogenannte Transhumanisten haben genau das im Sinn. Professor Stefan Lorenz Sorgner ist einer von ihnen. Ihm geht es darum, das Leben der Menschen zu verbessern, sagt er. Mit Neuroimplantaten und genetischer Modifikation.

Herr Professor Sorgner, aktuelle medizinisch-biologische Entwicklungen lesen sich wie eine Wunschliste aus Frankensteins Laboratorium: Neuroimplantate, Genmodifikationen, sensorische Prothesen. Erleben wir gerade die Unterwerfung der menschlichen Natur unter unseren individuellen Willen? Der Begriff Unterwerfung stammt aus dem biblischen Kontext. Ich würde ihn hier nicht gebrauchen. Aber grundsätzlich stimme ich zu. Wir können die medizinischen Technologien nicht nur zum Heilen nutzen, sondern auch, um Menschen ganz allgemein zu verbessern. Danach streben alle Menschen. Und das ist auch der Grund, warum der Transhumanismus gegenwärtig eine so große Rolle spielt. Wovon sprechen wir beim Transhumanismus? Der Begriff wurde 1951 von dem Biologen Julian Huxley geprägt, dem Bruder des Schriftstellers Aldous Huxley. f e b ruar / m är z 2018

Transhumanismus steht für die Bejahung der neuesten Techniken, um die Grenzen des Menschseins zu sprengen. Woher kommt dieser Drang zur Veränderung? Wir müssen uns weiterentwickeln, wenn wir überleben wollen. Die Umwelt steht in einem ständigen Prozess der Veränderung, dem wir uns anpassen müssen. Auf diese Veränderungen sollten wir vorbereitet sein. Vielleicht müssen wir über uns hinauswachsen, um weiterleben zu können. Es wäre naiv zu glauben, dass unsere heutige Entwicklungsstufe die vollkommenste und damit die letzte ist. Der Mensch wird nicht so bleiben, wie er ist. Entweder er entwickelt sich weiter oder er wird aussterben. Und was kommt nach dem Menschen? Ein Posthumaner. Er könnte genetisch weiterentwickelt sein und wäre damit Mitglied einer neuen Spezies. Das wäre die Entstehung einer neuen Art.

Im Sinne eines Cyborgs? Ja. Der Cyborg ist ein technisch geformter Organismus, ein Wesen aus materiellen Bestandteilen, aus Prothesen und aus organischem Material. Hierbei handelt es sich um eine neue Form von Einheit und nicht um einen Hybrid aus zwei unterschiedlichen Substanzen, wie das Christentum ihn versteht. Sind Menschen überhaupt psychosozial in der Lage, Veränderungen ihres Körpers, eine Entwicklung hin zum Cyborg auszuhalten? Das hängt stark von der medialen Vermittlung ab, wie solche Mischwesen, Cyborgs oder Posthumane wahrgenommen werden. Ein Beispiel sind die Paralympischen Spiele. Lange Zeit wurden paralympischen Sportlern schwächere Leistungen unterstellt. Heute verhelfen ihnen die Prothesen zu besseren Leistungen, als sie der traditionelle menschliche Körper von sich aus erbringen könnte. Es werden heute 29


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Der Traum vom Cyborg Eine Essay von André Schmidt-Carré

Cyborg-Aktivist Neil Harbisson trägt eine Antenne mit Farbsensor an seinem Kopf, die mit seinem Gehirn verbunden ist. Der implantierte Chip lässt ihn Farben hören.

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chlafen auf Knopfdruck, ganz ohne Tabletten und Nebenwirkungen: Das Start-up Thync aus Boston hat ein Gerät samt App entwickelt, mit dem Nutzer besser ein- und durchschlafen sollen. Ein pflastergroßer, am Nacken befestigter Sensor sendet elektromagnetische Wellen, die das Nervenzentrum im Gehirn beeinflussen. Per Smartphone können Nutzer das Programm starten und obendrein aufzeichnen, wie ruhig sie geschlafen haben. www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

Foto: commons.wikimedia.org

Implantate und technische Helferlein sollen längst nicht mehr nur Gebrechen lindern oder heilen, sondern in Zukunft auch gesunde Menschen leistungsfähiger machen. IT-Visionäre sehen die menschliche Spezies vor einem Evolutionssprung – Kritiker monieren derweil, dass Menschen zu Objekten eines exzessiven Leistungsdenkens degradiert werden.


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Mediziner nutzen elektromagnetische Wellen schon lange für therapeutische Zwecke, etwa um Nervenkrankheiten zu behandeln. Thync spricht mit seinem Produkt hingegen gezielt gesunde Menschen an, die ihr Schlafverhalten verbessern wollen – Nutzer berichten auf der Website, dass sie dank Thync erholsamer schlafen und damit tagsüber leistungsfähiger sind. Das Produkt zielt auf einen Trend, der zunehmend zu beobachten ist: Technische Geräte am und im Körper sollen gesunden Menschen helfen, sich selbst zu optimieren und ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Der neudeutsche Begriff „Human Enhancement“ verweist auf die Wurzeln in den USA, doch auch hierzulande findet die Idee Anklang: Rund die Hälfte der Deutschen kann sich vorstellen, Geräte am Körper zu tragen oder sich Implantate einsetzen zu lassen, damit Körper und Gehirn besser funktionieren, besagt eine Studie des Bundesforschungsministeriums. In der Filmfiktion sind Cyborgs als Verschmelzung von Mensch und Maschine schon lange präsent. Der Schauspieler Matt Damon etwa ist im Science-Fiction-Film Elysium dank eines Ganzkörper-Exoskeletts nicht nur im Zweikampf nahezu unbesiegbar, sondern hat in seinem Gehirn auch gleich das Betriebssystem für den Neustart einer gigantischen Raumstation gespeichert. In der Realität zieht vor allem das Optimieren des Gehirns die Menschen in den Bann: schneller denken, mehr fühlen, besser schlafen – und das ganz ohne Chemie. Zu den illustren Vertretern einer Cyborgisierung zählt der Brite Neil Harbisson: Von Geburt an farbenblind, hat sich der selbst ernannte Cyborg-Aktivist eine Antenne samt Farbsensor auf seinem Kopf befestigen und direkt mit seinem Gehirn verbinden lassen, ein implantierter Chip wandelt die Farben in Töne um. Harbisson will aber nicht nur seine Farbenblindheit ausgleichen – er kann auch Fotos und Videos über seine Wi-Fi-fähige Antenne empfangen und in Musik umwandeln. Ziel des Künstlers: Seine Wahrnehmung über das menschenmögliche Maß hinaus zu erweitern. Andere Cyborg-Pioniere lassen sich Chips in Finger implantieren, mit denen sie ihre Haustüre öffnen können oder die ihnen wie bei Zugvögeln mit ihrem angeborenen Kompass die Richtung zum Nordpol weisen.

Mensch-Maschine-Symbiose Ob nun am oder im Körper getragen: Während solche Varianten einer Cyborgisierung noch spielerisch wirken, spekulieren die Visionäre bereits darüber, was eine weitergehende Verschmelzung von Mensch und Maschine bedeutet. In wenigen Jahren bis Jahrzehnten wird die künstliche Intellif e b ruar / m är z 2018

genz optimistischen Schätzungen zufolge so leistungsfähig sein wie das menschliche Gehirn. In diesem Zustand der sogenannten Singularität sollen Mensch und Maschine endgültig eins werden. Die Bewegung der Transhumanisten sieht in diesem Schritt die nächste Entwicklungsstufe des Menschen und kommt damit deutlich kulturoptimistischer daher als Astrophysiker und Star-Wissenschaftler Stephen Hawking, der unkt, dass sich der Mensch mit der Erfindung der künstlichen Intelligenz eines Tages selbst abschaffen und von Maschinen verdrängt werden könnte. Die Transhumanisten sehen das anders und beschreiben vielmehr eine Symbiose: Der Mensch selbst wird demnach durch Apparate und intelligente Systeme im und am eigenen Körper immer leistungsfähiger. Auf die Spitze treibt diese Ideen der Transhumanismus-Vorreiter Ray Kurzweil, Erfinder, IT-Visionär und derzeit Chefentwickler von Google. Kurzweil zufolge könne man schon Ende des kommenden Jahrzehnts ein menschliches Gehirn nachbauen oder auf einem Computer nachbilden und so in den 2030er Jahren hybrid denken, indem man zusätzliche Rechenleistung implantiert und das Gehirn direkt mit dem weltweiten Wissen vernetzt. In letzter Konsequenz steht die Unsterblichkeit als Sicherheitskopie sämtlicher Gedanken und Gefühle in der Cloud, beliebig oft übertragbar auf ein neues Endgerät, wenn der Körper oder die Maschine mal wieder schlapp macht. Für Kurzweil ist das menschliche Gehirn nichts anderes als eine Software, die allerdings Millionen Jahre alt ist und in einigen Bereichen dringend ein Update braucht.

Unheilvolle Sackgasse? Also alles gut? Mitnichten. Ein ganzes Heer von Neurologen, Soziologen und Philosophen arbeitet sich derzeit an den Idealen der Transhumanisten ab. Im Kern geht es ihnen darum, dass der Mensch, seine Gedanken und Emotionen in der Symbiose seines Körpers mehr sind als eine Abfolge von Einsen und Nullen, die sich beliebig optimieren lässt, wenn der Prozessor nur schnell genug rechnet. Demnach kann Information allein das menschliche Bewusstsein nicht abbilden, weil Dimensionen wie eigene Motivation und Antrieb und das Streben nach einem sinnerfüllten Leben fehlte. Damit bleibe „die Informationstheorie der Wirklichkeit des Lebens und Erlebens fremd“, schreibt ein Autoren-Sextett um die Wiener Professorin Sarah Spiekermann-Hoff in einem in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Manifest „Wider den Transhumanismus“. Die Idee von der Realität als Summe aller Informationen führe „in eine unheilvolle Sackgasse“. Damit nehmen die Wissenschaftler den 35


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Belastende Branchen

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Ein Beitrag von Carina Winter

Mitarbeiter in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Speditionen und Kurierdiensten sind mit Nachtarbeit, körperlicher und seelischer Belastung konfrontiert. Die Folge: Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten sind in diesen Branchen besonders hoch. Daran ändert sich seit Jahren nichts – trotz des Siegeszugs des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Warum?

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er Bericht im Hamburger Abendblatt hätte kaum kritischer sein können. „Im OP geht es zu wie am Fließband“, titelte die Boulevardzeitung im Jahr 2009. Im Text prangerten Mitarbeiter des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) Missstände an. „Viele von uns sind schon freiwillig gegangen, weil der Stress einfach zu groß geworden ist“, klagte ein Pfleger. Die Rede war von Unterbesetzung, schlechtem Management und fehlender Unterstützung der Klinikleitung. Ein Arzt bemängelte anonym: „Wenn wir mit der Zeit derartig plattgemacht werden, fehlt irgendwann einfach die Kraft, für andere da zu sein.“ Der Stress hatte überhandgenommen. Die Folge: Mitarbeiter meldeten sich reihenweise krank, die Anzahl der Fehltage war hoch. Über 25 Zeitarbeitsfirmen stopften die Lücken. Der Bericht der Tageszeitung blieb nicht ohne Folgen. Die Klinikleitung geriet massiv unter Druck – und entschloss sich zu handeln: Sie sagte schlechten Arbeitsbedingungen, starren Tag- und Nachtdiensten, Überstunden und krank machendem Stress den Kampf an und damit auch dem hohen Krankenstand. Seither hat sich für die rund 10.000 Beschäftigten am Universitätsklinikum viel verändert. So gibt es heute etwa 250 verschiedene Arbeitszeitmodelle – von Teilzeit über Vertretungspools hin zu Jobsharing. WorkLife-Balance ist nun ausdrücklich Ziel der Personalpolitik. Aktuell plant die Klinikleitung ein neues Schichtdienstmodell, das sich am Biorhythmus von Mitarbeitern und Patienten orientieren soll. Damit nicht genug: Die Öffnungszeiten der betriebseigenen Kitas werden künftig auf den Schichtplan abgestimmt sein, für Notfälle gibt es kostenlose Betreuung. Gleich von mehreren Stellen bekam das UKE Lob für f e b ruar / m är z 2018

die positiven Veränderungen: Für die familienfreundliche Struktur ehrte das Bundesfamilienministerium die Klinik. Das Schichtdienstmodell prämierte die Krankenkasse DAK mit dem BGM-Förderpreis.

Krankenstand deutlich über dem Durchschnitt Der radikale Ansatz des Hamburger Krankenhauses hat in der Gesundheitsbranche Seltenheitswert. Dabei ist ein schlagkräftiges betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in der Branche besonders wichtig. Denn: Die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Mitarbeiter sind hier überdurchschnittlich hoch. Das Gleiche gilt für die Transportund Logistikbranche. Die Zahlen des Gesundheitsreports der Krankenkasse DAK sind alarmierend. Im Jahr 2016 lag der Krankenstand in der Gesundheitsbranche bei durchschnittlich 4,5 Prozent. Bei Logistikern, Speditionen und Verkehrsunternehmen fehlten im Schnitt sogar 4,6 Prozent der Mitarbeiter wegen Krankheit. Andere Branchen stehen weitaus besser da. In Anwaltsfirmen etwa beträgt die Quote gerade einmal 3,2 Prozent. Im Durchschnitt aller Branchen liegt der Wert bei 3,9 Prozent. „Die Zahlen zeigen, dass der Handlungsbedarf in mehreren Branchen besonders groß ist“, sagt Sabine Winterstein, Referentin für betriebliches Gesundheitsmanagement bei der DAK. Das gilt umso mehr, weil sich an der Fehlzeitensituation in den Problembranchen seit Jahren nichts ändert. Seit dem Jahr 2012 schwankt der durchschnittliche Krankenstand von Ärzten und Pflegern sowie von Lastwagenfahrern, 43


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Stress ist einer der größten Krankmacher des 21. Jahrhunderts. Jeder zweite Deutsche fühlt sich verausgabt und gehetzt. Doch es gibt Wege, sich selbst aus dieser Falle zu befreien, sagt der Neurobiologe Tobias Esch. 46

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Zurück zum inneren Arzt


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Ein Interview von Jeanne Wellnitz

Linke Seite: Dienen der inneren Einkehr und Meditation: Mandalas. Ursprünglich für religiöse Darstellungen im Hinduismus und Buddhismus verwendet, nutzen Erwachsene immer öfter die Schaubilder zum Ausmalen. Stressabbau im 21. Jahrhundert.

Wir haben täglich etwa 50.000 bewusste Gedanken. 98 Prozent davon sind lediglich Wiederholungen von Gedanken, die wir schon einmal hatten. Davon sind über zwei Drittel negative Gedanken über Ereignisse, die wir nicht mehr ändern können, oder Dinge, die noch gar nicht eingetreten sind. Wir gehen also überwiegend mit destruktiven Gedanken durch den Alltag. Dabei können positive Gedanken heilend wirken. Nur haben wir verlernt, auf sie zu hören. Stattdessen sind wir gestresst, unruhig, gehetzt und leiden unter diversen Krankheiten und Schmerzen. Der Gesundheitsforscher Tobias Esch hat in seinem neuen Buch „Der Selbstheilungscode“ das Phänomen Stress aus neurobiologischer Sicht analysiert – und stellt klar: Wir alle haben die Fähigkeit, viele unserer Leiden selbst zu heilen. Und: Stress ist einer der größten Saboteure der Selbstheilung.

Herr Esch, die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bis 2020 die Hälfte aller Krankheitsfälle auf Stress zurückzuführen sein wird. Wie kommt es dazu? Tobias Esch: Stress ist zunächst einmal ein biologisches Phänomen. Es geht um Kampf oder Flucht, es ist eine Alarmreaktion, die unser Überleben sichert. Stress ist also neutral, keine Krankheit. Was wir jedoch heute erleben ist, dass Zyklen, denen wir allen unterliegen, wie Schlaf, Aufmerksamkeitsspannen oder Beziehungen, immer kürzer werden. Gleichzeitig machen wir vieles gleichzeitig und glauben, dass das eine besondere Fähigkeit des Menschen sei. Fakt ist, dass der Mensch zwar durchaus Dinge gleichzeitig ausführen kann, jedoch nicht besonders gut und häufig zu dem Preis, gestresst zu sein. Wir nehmen so nicht die Fülle und Sinnlichkeit des ganzen Lebens wahr. Wir verpassen f e b ruar / m är z 2018

einen Großteil der Informationen, die eine Sache für uns bereitgehalten hätte. Wir fühlen uns heute ständig beobachtet durch die vielfältigen Rollen, in denen wir uns bewegen – ein Ergebnis der sozialen Medien. Wir wollen dabei möglichst alles perfekt machen, aber das ist nicht möglich. Und so geraten wir immer stärker in einen Zustand der Überforderung. Ist der allgemein hohe Stresslevel in der Bevölkerung eigentlich eine Modeerscheinung? In gewisser Weise schon, durch die gestiegene mediale Aufmerksamkeit, die neuen Messmöglichkeiten und vermeintlichen Diagnosen, die wir diesem Phänomen geben – ich denke da an den Begriff „Burn-out“ –, wird diesem Thema immer mehr Beachtung geschenkt. Somit ist nicht jede Zunahme von Stress tatsächlich biologisch begründbar. Andererseits kennen wir

aus der Forschung auch Menschen, die sich nicht gestresst fühlen, aber dennoch physiologisch unter Stress stehen. Stress kann also in beide Richtungen über- und unterschätzt werden. Wie wirkt sich Stress auf unseren Körper aus? Stress ist der Mechanismus, der bei einer Belastung auftritt und uns signalisiert, dass wir reagieren müssen. Er erfasst über das Gehirn den gesamten Organismus, wir sind durch ihn darauf vorbereitet, mit maximaler Energie in den Kampf oder in die Flucht zu gehen. Hinzu kommen Veränderungen in unserem Verhalten, Denken und Empfinden – so leidet unter Stress unser Erinnerungsvermögen, das wir ursprünglich im Kampf oder auf der Flucht auch nicht gebraucht hätten. Wir kommen mit einer tief in uns angelegten Fähigkeit zur Selbstregulation auf die Welt. Doch kommt uns diese 47


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FOKUS

Ein Beitrag von Anne Hünninghaus

Das internationale Netzwerk „Global Woman in PR“ hat seit Anfang des Jahres einen Ableger in Deutschland. Aber sind reine Frauennetzwerke überhaupt noch zeitgemäß?

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s sind genau sechs – sechs der Kommunikationschefs von 30 Dax-Unternehmen sind weiblich. Dabei stellen Frauen laut der Studie „Profession Pressesprecher“ des Bundesverbands deutscher Pressesprecher einen Anteil von rund 60 Prozent des Berufsfelds. Und der Trend ist eindeutig. In der Altersgruppe unter 29 Jahren sind es bereits 80 Prozent Frauen. Es ist ein altbekanntes Muster: Nach dem Prinzip der sozialen Homophilie umgibt sich auch die Führungsriege gern mit Menschen, die ihr ähneln. Das gilt, so die häufige Mutmaßung, auch für das Geschlecht: Mächtige Männer ziehen sich als Nachfolger Männer heran. Frauen ohne starke Mentorinnen gehen leer aus. Das internationale Netzwerk „Global Women in PR (GWPR)“ möchte den Teufelskreis des Patriarchats durchbrechen. Im Januarwurde die deutsche Unit gegründet.

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„Wir möchten Frauen davon überzeugen, vermehrt führende Positionen zu übernehmen. Das tun w i r, indem erfahrene Ansprechpartnerinnen dafür werben“, sagt Tina Mentner, gesellschaftsführende Geschäftsführerin bei Hering Schuppener und Mitglied des erweiterten GWPR-Vorstands. Während andere Frauen­netzwerke vornehmlich um Themen wie Arbeitszeitmodelle und Männerseilschaften kreisen, haben die GWPR also den Fokus darauf gesetzt, Frauen für Führungsrollen zu begeistern. „Es liegt nicht nur daran, dass man uns Frauen nicht lässt“, glaubt Mentner. Die Herausforderung bestehe darin, den Willen zur Führung zu stärken. Dafür seien nahbare Vorbilder und belastbare Kontakte, die das Netzwerk biete, hilfreich. Jedes Unternehmen sollte sich die eigenen Mechanismen in Bezug auf Beförderungen, Recruiting und Auszeiten genau anschauen und vergleichen, welche Positionen mit Männern, welche mit Frauen besetzt werden, um anschließend an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen, empfiehlt Cornelia Kunze, Gründerin der Beratung I-Sekai und Initiatorin sowie erste Vorsitzende der deutschen GWPR-Unit. Bei den gegebenen Rahmenbedingungen empfänden viele junge Frauen den Preis für eine Karriere als zu hoch. Auch Vorurteile vieler Chefs stünden ihnen im Weg. So würde Teilzeit bei jungen Müttern oft nicht gefördert und die Bewertung durch Präsenz habe in Deutschland noch einen zu hohen Stellenwert. Nun ist der Frauenmangel auf den Chefetagen tatsächlich kein reines www. hu ma n reso u rce s ma n age r. d e

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Solidarität, Schwester?!


Anzeigenplatzierung linke Seite außen

Mütterproblem. Generell, so beobachtet Kunze, widmeten Frauen einen größeren Teil ihrer Arbeitszeit den inhaltlichen Aufgaben und sorgten sich weniger um ihre eigene Sichtbarkeit. Auch wenn es um Beförderungen geht: „Frauen setzen eher darauf, dass Vorgesetzte ihre guten Leistungen schon sehen werden. Männer hingegen verwenden mehr Zeit darauf, sich selbst zu promoten.“ Auch Vorstandsmitglied Monika Schaller, Global Head External Communications bei der Deutschen Bank, ist davon überzeugt, dass das Netzwerk viel dazu beitragen kann, dem Ungleichgewicht etwas entgegenzusetzen. „Wir wollen neue Trends und Lösungsansätze diskutieren, dabei Leidenschaft und Begeisterung demonstrieren, zeigen, wie viel Freude Führungsaufgaben machen.“ Natürlich stehen inhaltliche Debatten zu aktuellen Themen der Unternehmenskommunikation auf dem Programm. Dem Netzwerk anschließen können sich Frauen, die mindestens fünf Jahre im Beruf sind. Dann, meint Schaller, gehe es ja erst los, dass man sich mit dem Thema Aufstieg auseinandersetze.

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FOKUS

Zeit zu handeln!

Eine Parallelwelt Aber lässt sich die männlich geprägte Unternehmenskultur durch einen Gender-Club tatsächlich verändern? In verschiedenen Studien zur Wirksamkeit reiner Frauennetzwerke, die Unternehmen intern als Gleichstellungsmaßnahme anbieten, zeigte sich, dass diese den Aufstieg von Frauen sogar behindern können. Der Grund: Die Beteiligten investierten viel Zeit in die Aktivitäten der Netzwerke, die wiederum auf Kosten großer Projekte im Unternehmen gingen. Das Suchen von Verbündeten ist ein wesentliches Instrument der Machtkompetenz. Das weiß auch Wirtschaftscoach und Macht-Expertin Christine Bauer-­Jelinek, die zu diesem Thema schon mehrere Bücher veröffentlicht hat. Männer pflegten eine jahrhundertelange Tradition des Netzwerkens. Dass Frauen nun versuchten, etwas Paralleles nachzubauen, hält Bauer­-Jelinek für rückschrittlich. „Ein Erfolg der Frauenbewegung war es, die Organisation entlang des Geschlechts bei den Männern aufzubrechen“, sagt sie. Die bestehenden, aber schwindenden Unterschiede zwischen Mann und Frau im Business, so ihre Kritik, würden nur noch zementiert, indem man weiterhin nach Geschlechtern sortiere. Monika Schaller betont: „Wir sind auch in gemischten Netzwerken und Verbindungen unterwegs, das soll sich nicht gegenseitig ausschließen.“ Trotzdem empfinde sie das Frauennetzwerk als wichtig, da es individuellen Mentoring-Bedarf gebe: „Das Bild ist doch immer dasselbe: f e b ruar / m är z 2018

Webinar am 20. März

Betriebsrentenstärkungsgesetz // Reine Beitragszusage // Sozialpartnermodell // Steuerliche Förderung pbg.de/webinar

Die Kompetenz in Pensionszusagen PBG Pensions-Beratungs-Gesellschaft mbH Black-und-Decker-Str. 17b 65510 Idstein Telefon 06126 589-0 E-Mail email@pbg.de

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A N A LY S E

Karriere durch Akzeptanz? Ein Gastbeitrag von Caprice Oona Weissenrieder Welche Kriterien bestimmen, ob jemand Karriere macht? Und: Unterscheiden sich die Faktoren bei Männern und Frauen auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen? Eine Studie sucht nach Antworten.

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s wird häufig diskutiert, auf welche Hindernisse und Barrieren Frauen auf ihrem Karriereweg stoßen. Doch welche Maßnahmen und Einflussfaktoren sind eigentlich hilfreich für die berufliche Weiterentwicklung? Sind es vielleicht Vorgesetzte, die weibliche Mitarbeiter fördern und fordern? Liegt es an den Normen, Werten und latenten Überzeugungen, also der Unternehmenskultur, die sich in verschiedenen Handlungen widerspiegelt? Noch ist vergleichsweise wenig darüber bekannt, welchen Einfluss die Akzeptanz der Vorgesetzten auf die Karriere von Führungskräften insgesamt, aber insbesondere von Frauen hat.


A N A LY S E

So weisen Studien darauf hin, dass die berufliche Förderung von Frauen durchaus von der Einstellung ihres Vorgesetzten abhängt. Insbesondere in der mittleren Phase der Karriere fehlt ihnen häufig die Anerkennung und Unterstützung durch das Management. Allerdings scheint gerade die Akzeptanz der Frauen durch ihre Vorgesetzten, gepaart mit dem Einsatz und der Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen, den beruflichen Erfolg positiv beeinflussen zu können. Interessant dabei: Abhängig vom Geschlecht wird Akzeptanz unterschiedlich gezeigt und wahrgenommen. Doch was bedeutet es überhaupt, als Führungskraft akzeptiert zu werden? Wie lässt sich eine Akzeptanz vonseiten eines/einer Vorgesetzten erkennen? Klar ist, dass das Verständnis von Akzeptanz über eine positive innere Einstellung hinausgeht. Sie muss über sichtbare Handlungen vollzogen werden. Damit kann einerseits die direkte Förderung der Frau gemeint sein, wie die Vergabe von prestigeträchtigen Projekten oder eine gezielte Karriereentwicklungsplanung und deren Umsetzung, aber auch subtilere Formen der Akzeptanz spielen eine entscheidende Rolle, wie zuhören, aussprechen lassen oder die Einbeziehung in Entscheidungsprozesse. Darüber hinaus findet dieser Prozess auch auf einem übergeordneten Level, durch das Unternehmen selbst, statt. Eine Unternehmenskultur mit ihren spezifischen Normen und Werten kann zur Förderung der Akzeptanz beitragen oder sie eben auch verhindern. So können Themen wie Verfügbarkeit, Präsenzkultur, die Wahrnehmung von Leistung, die Förderung von Chancengleichheit und das Commitment der obersten Führungsebene einen Einfluss auf den beruflichen Erfolg von Frauen haben. Um herauszufinden, welche Zeichen geschlechterübergreif e b ruar   /  m är z 2018

fend für eine Akzeptanz durch Vorgesetzte sprechen und wie die Akzeptanz von Frauen im Unternehmen gefördert werden kann, wurden im Rahmen einer Online-Umfrage über 1.700 Führungskräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz um Antworten gebeten.

Auf Augenhöhe Befragt nach den erlebten Zeichen für eine Akzeptanz durch ihre Vorgesetzten, wählten Führungskräfte aus dem unteren und mittleren Management mit 58 Prozent am häufigsten die Kommunikation auf Augenhöhe, dicht gefolgt von den Freiräumen, die für die Arbeit zugestanden werden (51 Prozent), und der Anerkennung, zum Beispiel positives Feedback (33 Prozent). Auf der obersten Leitungsebene sieht das ein wenig anders aus: Hier gaben Führungskräfte an, ihre Akzeptanz gegenüber einer Person durch Transparenz in der strategischen Ausrichtung (53 Prozent), Kommunikation auf Augenhöhe (43 Prozent) und Anerkennung (43 Prozent) zu zeigen. Führungskräften im unteren und mittleren Management scheint also eine ebenbürtige Kommunikation wichtig zu sein. Betrachtet man die Antworten nach Geschlecht, so sehen Frauen im unteren und mittleren Management besonders die „Weitergabe von Informationen, die für das berufliche Fortkommen wichtig sind“ (34 Prozent) als ein signifikantes Zeichen der Akzeptanz durch ihre Vorgesetzten.

Soziale Kompetenz versus Leistung Auf die Frage, wie eine Führungskraft überhaupt an Akzeptanz gewinnt, gaben Führungskräfte aus der obersten

Leitungsebene am häufigsten den Faktor „soziale Kompetenz“ (85 Prozent) an. Nur 63 Prozent der Führungskräfte im unteren und mittleren Management sahen die soziale Kompetenz als ausschlaggebend an. Die Faktoren „Leistung“ (95 Prozent) und „fachliche Kompetenz“ (95 Prozent) befanden Führungskräfte aus der obersten Leitungsebene als federführend, um die Akzeptanz einer Führungskraft im Unternehmen zu schaffen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich die Antworten der Frauen und Männer in der obersten Führungsebene kaum voneinander unterscheiden, wohingegen sich Divergenzen im unteren und mittleren Management zeigen: So ist auffällig, dass Frauen im unteren und mittleren Management wesentlich häufiger die Faktoren „Präsenz am Arbeitsplatz“ und „Verfügbarkeit (telefonisch, per E-Mail, permanent)“ auswählten. Demgegenüber machen männliche Führungskräfte auf dieser Hierarchiestufe signifikant häufiger „Leistung“, „fachliche Kompetenz“ und „soziale Kompetenz“ als akzeptanzfördernde Faktoren aus.

Geschlechterabhängige Wahrnehmung Weitere interessante Ergebnisse liefert die Frage, wie weibliche und männliche Führungskräfte ihre Karrierechancen im Unternehmen sehen. Hier zeigt sich bei den Führungskräften des unteren und mittleren Managements ein Zusammenhang nach Geschlecht. Während Frauen wesentlich häufiger davon ausgehen, dass Männer leichter Karriere machen, gehen männliche Führungskräfte eher von einer bestehenden Chancengleichheit aus. Diese unterschiedliche Wahrnehmung existiert in den obersten Leitungsebenen kaum. Hier nehmen 74 61


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Körperliches und seelisches Wohlbefinden

Der erste Job, die zukünftige Rolle des Personalers oder eine inspirierende Lektüre: HRler, Geschäftsführer und Blogger geben Antworten in unserem Fragebogen auf der „Letzten Seite“.

Ursula Schütze-Kreilkamp Leiterin Personal Konzern und Konzernführungskräfte bei der Deutschen Bahn

Als Personalentwicklerin habe ich gelernt, … dass Menschen dann motiviert sind, wenn sie Arbeit als sinnstiftend empfinden und man ihnen aufrichtig begegnet. Als Gynäkologin bin ich zur Personalentwicklung gekommen wie … die Jungfrau zum Kinde! Der Beitrag der Personaler zum Thema Gesundheit ... ist aufrichtige Wertschätzung. Verächtlichkeit und Machtspiele hingegen machen krank. Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als … Putzfrau im Krankenhaus. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist … immer wieder aufzustehen, den Glauben an das Gute nicht aufzugeben und den Mut zu haben, stets etwas Neues zu wagen. Ein guter Morgen beginnt für mich … mit einem starken Kaffee und ohne Regen.

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Eine gesunde Unternehmenskultur zeichnet sich aus durch … Vertrauen, Transparenz, Dialogbereitschaft, die Fähigkeit der Sinnvermittlung und die Gewissheit, dass niemand bei Fehlern alleingelassen wird. Fähigkeiten, die Personaler dringend brauchen, sind … „Mit-Gefühl“ (nach Dalai Lama), Professionalität, eine hohe Lern- und Selbstreflexionsbereitschaft und eine strategische Ausrichtung. Die größte Herausforderung in der Personalentwicklung ist … den Schatz jedes Einzelnen zu erkennen, zu heben und dafür zu kämpfen, dass Mut und Persönlichkeit den Unterschied machen. Autoren, die mich inspiriert haben, sind … Irvin David Yalom, Baruch de Spinoza und Alexander von Humboldt.

Ein Vorbild meiner Jugend war … Alexander Issajewitsch Solschenizyn. Ich war tief berührt von der Fähigkeit unter schlimmsten Umständen die Hoffnung nicht aufzugeben. Mitarbeiter ermutige ich dazu, ... angstfrei ihren Weg zu gehen. Betriebliches Gesundheitsmanagement bedeutet … Präventionsangebote, die Spaß machen. Meine wichtigste Erkenntnis aus der Zusammenarbeit ist, dass … Vertrauen durch Vertrauen entsteht. Aber ein gesundes Maß an Misstrauen kann nicht schaden. Gesundheit definiere ich als … körperliches und seelisches Wohlbefinden.

Die promovierte Ärztin, Psychotherapeutin und

Mein Selbstvertrauen gewinne ich durch … Meditation, Gespräche und das Gefühl der eigenen Wirksamkeit.

Beraterin Ursula Schütze-Kreilkamp ist bei der Deutschen Bahn als Leiterin Personal Konzern und Konzernführungskräfte für die Entwicklung der Top-Führungskräfte verantwortlich.

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