Human Resources Manager Magazin

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Neuanfang


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lle paar Jahre sind Sie ein neuer Mensch – zumindest was Ihre physische Substanz betrifft. Innerhalb eines Monats hat sich die oberste Hautschicht unseres Körpers komplett ausgetauscht. Nach maximal 500 Tagen ist die Leber rundum erneuert, wie Stammzellenforscher Jonas Frisén vom schwedischen Karolinska-Institut herausfand. Unser Skelett ist nach rund zehn Jahren ein neues, die Rippenmuskulatur benötigt für ihre Generalüberholung 15 Jahre. Unser Zentrum regeneriert sich allerdings gemächlich: Je nach Alter bilden wir pro Jahr zwischen einem halben und einem Prozent frische Herzzellen aus – ein lebenslanges Projekt … Doch die größte Herausforderung für die meisten Menschen sind die Neuanfänge, die im Kopf stattfinden. Solche, die Mut erfordern und Disziplin, die mal durch Frust motiviert sind, mal aus Langeweile entstehen. Die fast immer eine Unbequemlichkeit bergen. All diese kleinen und großen Neubeginne lassen sich, wie unsere Materie, auf kleine Einheiten herunterbrechen. Wie das funktioniert, erfahren Sie in unserer Titelstrecke ab Seite 26.


EDITORIAL

Die Konferenz für Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität

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EDITORIAL

Im nagenden Schatten

Coverfoto: Getty Images | Coprid

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ennen Sie den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (Groundhog Day, 1993)? Bill Murray spielt darin den Berufszyniker und TV-Wetterfrosch Phil Connors. Wie jedes Jahr soll er über den Murmeltiertag in der amerikanischen Provinz berichten: Sollte sich das Nagetier aus dem Bau trollen, während die Sonne scheint, dauert der Winter weitere sechs Wochen an. Das alles interessiert Connors allerdings nicht. Er glaubt sich zu Höherem berufen und wähnt sich als verkanntes TV-Genie. In seiner Anschnauzbereitschaft gegenüber der reizenden Kollegin Rita (Andie MacDowell) läuft er zur Hochform auf und beschwört die unerträgliche Schwere des Seins: „Es wird kalt werden. Es wird grau werden. Und so wird es dann sein für den Rest Ihres ganzen Lebens.“ Seine Larmoyanz hat selbstredend psychische Bewandtnis. Connors hängt fest: Seit Jahren schnoddert er die gleiche Live-Schalte in der immer gleichen Provinz am immer gleichen Tag herunter. Dann zeigt sich entgegen seiner Prognose auch noch die Sonne, das possierliche Tier wirft einen Schatten und der Winter dauert an. Nicht ohne Grund heißt es, große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus: Ein Schneesturm zieht auf und das TV-Team muss eine weitere Nacht im Kaff verharren. Das Universum spielt Connors einen bitterbösen Streich: Von nun an erwacht der Grantler jeden Tag aufs Neue am ungeliebten Murmeltiertag, inklusive allmorgendlichem Radio-Hit-Geträller „I‘ve got you Babe“ des Pop-Duos Sonny und Cher. Die einst nur gefühlte Zeitschleife des Lebens ist grausame Realität geworden. Niemand außer ihm erlebt die

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Wiederholung. Schon bald dämmert es ihm: Jetzt kann er alles tun, wonach ihm der Sinn steht, frei von Verantwortung, jenseits von Konsequenzen: Er stopft sich mit Torten voll, lernt Französisch und Klavier, versucht Kollegin Rita herumzukriegen und testet ideenreich lebensbeendende Maßnahmen, nur um am nächsten Morgen erneut zum Leben erweckt zu werden. Irgendwann sind sämtliche Spielarten des Wahnsinns durchexerziert, Verdruss stellt sich ein. Und was tun Menschen in einer Krise? Sie fragen nach dem Sinn. Alsbald muss der Wetterfrosch feststellen: Er hat ein Leben jenseits seiner selbst geführt. Läuterung setzt ein, das erste Mal in seinem Leben fühlt er unverstellt – fernab von Zynismus und Sarkasmus. Er hat einen wirklichen Neuanfang gewagt und wird aus der Zeitschleife befreit. Eine filmische Fabel, deren Moral allzu leicht verkannt wird: Wer glaubt, ungehaltener Überdruss werde stets mit einem Leben in Endlosschleife bestraft, irrt. Connors hing schon vorher fest. Dieser Zustand wird mit der vermeintlichen Strafe der zeitlichen Wiederkehr nur offenkundiger. Doch verbietet der Fortschrittsglaube gemeinhin jede Variante der langen Weile. Unserer Gesellschaft ist der positive Gehalt des Stillstands suspekt. Allerdings kann gerade Monotonie zu fruchtbarer Erkenntnis führen. In dem Moment nämlich, in dem die Langeweile ihren Höhepunkt erreicht und das Genervtsein über die Situation, und noch viel mehr über uns selbst, unerträglich wird, setzt die Überwindung jener Verdrossenheit ein. Es ist der Augenblick, in dem wir den Kieselstein, den wir gewöhnlich beim Spaziergang umgehen würden, mit der

Schuhspitze missmutig wegkicken, der zu unserem Verdruss dann auch noch auf der Zielgeraden zum Erliegen kommt. Wir treten ihn weiter, bis die Missstimmung bezwungen ist und sich der neue Weg vor uns ausbreitet. Langeweile trägt den Schlüssel zur kathartischen Selbsterkenntnis in sich, wenn ihre Nebenwirkungen ausgehalten werden. In der unerbittlichen Wiederholung, im erlebten Ekel vor dem eigenen Leben und der bleiernen Lange­weile liegt die Kraft zur grundlegenden Veränderung. Wer sich hingegen immerzu ablenkt und die innere Unruhe, die aus der Langeweile hervorgegangen ist, rasch betäubt, wird toxische Gegebenheiten kaum erkennen, geschweige denn überwinden. Aus stumpfer Ödnis mögen zunächst Jammerlappigkeit, Ressentiment und Unmut resultieren. Jedoch sind sie nicht etwa Antagonisten des Neubeginns, sondern seine Initialzünder. Sie animieren erst dazu, über das Sosein hinauszuwachsen und das Wagnis eines echten Neuanfangs, flankiert von Mut, Demut und aufrichtigen Emotionen, einzugehen.

Hannah Petersohn, Chefredakteurin Human Resources Manager Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@human resources manager.de

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Editorial

8 Desktop Michael Carl, Zukunftsforscher beim Thinktank 2b Ahead, arbeitet da, wo er Internet­ empfang hat 10

Debatte aktuell Viele HRler fürchten sich vor dem Recht auf Brückenteilzeit. Inovex-Personalerin Jasmina Groeger gibt Entwarnung

14 Man müsste mal ... Wollen Sie etwas verändern, schieben es aber immer vor sich her? Fünf Tipps, um ins Handeln zu kommen 16 Müssen wir für Jobs brennen? Warum beruflicher Erfolg nicht unbedingt Leidenschaft erfordert 18 Kranke Organisation Wie lassen sich Machthysterie, Wertschätzungstourette und Co. im Unternehmen behandeln? 22 Gehirnfutter Wer leistungsfähig bleiben will, sollte Obst- und Snackkörbe meiden

SCHWERPUNKT: NEUANFANG 24 Identifikationsbruch Wie lässt es sich verhindern, dass sich Mitarbeiter nach einem Kulturwandel vom Unternehmen entfremden? 28 Wider die Routine Wie bleibt man neugierig? Ein Gespräch mit der ehemaligen Topmanagerin Simone Menne 32 Gelungenes Onboarding Ein strukturierter Einstieg ist wichtig, um Talente langfristig zu halten 36 Experte für Neuanfang Vor elf Jahren beendete Balian Buschbaum eine Karriere als Spitzensportlerin und fand als Mann sein Glück. Ein Porträt 40 Entwicklungen in der HR Fünf Trends, die Sie kennen und ernst nehmen sollten 44 Brüche im Lebenslauf Vier Menschen erzählen, warum sie ihren alten Beruf aufgaben, um etwas Neues zu wagen

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50 Veränderung als Chance Befinden sich Unternehmen in einer Krise, sind Entlassungen der Mitarbeiter das Worst-­CaseSzenario – und eine Chance 54 Wiedereinstieg für Mütter Die Autorin Katrin Wilkens erklärt, wie Müttern ein guter Neuanfang im alten Job gelingt

IM FOKUS 60 Wenn die Stimme zählt Eine neue KI-Software analysiert die Sprache von Bewerbern anhand von Tonaufnahmen. Wie zuverlässig funktionieren solche Analysen? 64 Dreamteam im Unternehmen Warum es sich lohnen kann, Synergien zwischen HR und Kommunikationsabteilung zu schaffen

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Foto: Wikimedia, Illustration: Getty Images | Yapanda

MEINUNG


VER B AN D 90 Editorial 91 HR-Trends Worauf sich Personalmanager einstellen sollten 94 Frauenkarrieren BPM-Netzwerktreffen in München

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95 Termine Wichtige Veranstaltungen 96 Proud2beHR

LETZ TE SEITE

Als Frau feierte Balian Buschbaum Erfolge im Stabhochsprung.

P RAXI S

Doch er lebte 27 Jahre im falschen Körper. 2007 entschloss er sich zur Geschlechtsangleichung. Heute arbeitet Buschbaum als Coach und hält Vorträge über Glück und

80 Sieben Gedanken In der Agentur Bernstein ent­scheiden Eltern selbst, wie viel sie arbeiten wollen

98 Fragebogen Die sozioökonomische Unternehmerin Sina Trinkwalder über Neuanfänge und Chancen

Diversity.

ANALYSE 68 Feedback geben Eine Anleitung zur konstruktiven Kritik im Mitarbeitergespräch 72 Das Zeugnis auf dem Prüfstand Geht das auch aussagekräftiger? Über die gängigen Schwächen schriftlicher Beurteilungen

81 Meine digitale Welt Experimentierfreudig: Jan Jördening, Digital Director Scholz & Friends Düsseldorf

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82 Rezension „Die Rettung der Arbeit“ ist ein politischer Appell von Philosophin Lisa Herzog

RE CHT

Foto: Privat, Barbara Gandenheimer

84 Aktuelle Urteile 76 Wem gelingt der Aufstieg? Eine Studie beleuchtet klassische Karrierewege in der HR

86 Essay Die wichtigsten Fakten zur Brückenteilzeitregelung 87 Impressum

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MEINUNG

Maximal flexibel Ein Interview von Anne Hünninghaus

Was für viele Arbeitgeber seit der Gesetzesänderung zur Brückenteilzeit neu ist, lebt der IT-Dienstleister Inovex schon seit Jahren: Jeder der knapp 250 fest angestellten Mitarbeiter hat ein Recht auf befristete oder unbefristete Teilzeit. Personalerin Jasmina Groeger über einen mühsamen, aber lohnenswerten Weg zu Freiheit und Agilität

Frau Groeger, bei Inovex sind Sie schon lange großzügig, was das Teilzeitangebot anbelangt. Haben Sie sich von jeglichen Restriktionen losgesagt? Wir bieten die volle Flexibilität, lediglich zwei Spielregeln haben wir festgelegt: Es müssen mindestens 20 Stunden pro Woche sein und die Arbeitszeit darf acht Stunden am Tag nicht überschreiten. Alles andere darf jeder individuell entscheiden, auch ob er die Teilzeit befristet nehmen möchte. Als Mitarbeiterin könnte ich demnach beschließen, für die nächsten acht Monate 23 Stunden pro Woche zu arbeiten und von da an 34 Stunden? Ja, das wäre möglich. Solche Entschlüsse­entstehen meist abgestimmt auf aktu­elle Lebensumstände. Zudem gibt es Mitarbeiter, die zum Beispiel generell nur von Montag bis Donnerstag arbeiten möchten, weil freitags die Familie oder ihr Hobby im Mittelpunkt stehen. Ob das für eine gewisse Phase gilt

oder langfristig, bleibt ihnen überlassen. Die Rückkehr in die Vollzeit­arbeit haben wir schon immer gelebt und angeboten. Deswegen spielt das Brückenteilzeitgesetz für uns keine Rolle. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet. Seit wann besteht diese offene Teilzeit- und Präsenzkultur? Das war bereits mehrere Jahre gängige Praxis, verlief aber eher inoffiziell. Vor zwei Jahren haben wir uns dafür entschieden, die Teilzeitmöglichkeit intern und extern klarer zu kommunizieren. Wir wollten nicht, dass sie als „Geheimtipp“ gilt, der Insidern vorbehalten ist. Es gibt bei uns keine Kernarbeitszeiten, Mitarbeiter dürfen jederzeit ins Homeoffice wechseln. Um damit auch außerhalb des Unternehmens punkten zu können, sind wir verstärkt

Foto: getty mages | dorian2013

in die Kommunikation dieser Modelle gegangen. Welches Echo hat die neue Kultur intern ausgelöst? Vor allem die Mitarbeiter, die das Unternehmen aus der Gründungszeit kennen, waren anfangs verblüfft. Mit der Zeit haben sich immer mehr Mitarbeiter getraut, die neue Freiheit zu nutzen, und die anderen haben bemerkt: Das funktioniert, nichts bricht zusammen. Und in puncto Employer Branding? Extern hat uns die Offensive extrem geholfen. Gerade die IT ist ein schwieriges Feld, wenn es um Fachkräftegewinnung geht. IT-Experten überlegen sich gut, ob sie in einem Projekthaus arbeiten möchten. Viele haben die Sorge, dann fünf Tage pro Woche auf Reisen zu sein. Seitdem wir diese Teilzeitkultur leben, verzeichnen wir deutlich größere Recruiting-Erfolge.

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MEINUNG

Wir liegen jetzt bei rund 400 Bewerbungen im Monat, zwei Jahre davor waren es etwa 100 bis 150. Was war die größte Herausforderung in der Umsetzung der Flexibilität? Wir sind kein Unternehmen, das Produkte entwickelt und auf den Markt bringt. Als Dienstleister arbeiten wir in enger Abstimmung mit unseren Kunden. Dafür müssen die Projektmitarbeiter häufiger reisen, zumindest in bestimmten Teams und Positionen. Eine Unternehmensphilosophie mit Vertrauenskultur zu etablieren, ist das eine. Aber der Kunde muss den Weg mitgehen. Das war die härtere Nuss in der Umsetzung. Mit welchen Bedenken haben die Kunden Sie konfrontiert? Sie fürchteten sich vor schlechterer Erreichbarkeit und einem damit verbundenen organisatorischen Aufwand. Wie haben Sie sie vom neuen Modell überzeugt? In den vergangenen anderthalb Jahren sind auch sie immer offener geworden und haben ihre eigenen Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel, dass es oft wenig sinnvoll ist, einem Projektverantwortlichen eine fünfstündige Zugfahrt zur Zentrale zuzumuten, während er die Zeit im Homeoffice effizienter nutzen könnte. Wenn wir für jemanden schon mehrere Projekte erfolgreich abgeschlossen haben, steigt der Vertrauensfaktor, und die Konkurrenz sinkt naturgemäß. Da sind wir rigoros: „Sie wollen mit diesem Entwickler arbei-

ten? Er ist bei uns nur zu den folgenden Zeiten verfügbar …“ Wir beschäftigen promovierte, hochkarätige Mitarbeiter in Teilzeit. Wenn der Kunde die Person im Projekt haben will, sollte er sich von vornherein darauf einstellen. Eine komfortable Ausgangslage … Stimmt. Aber ich wünsche mir auch von anderen Unternehmen an der Stelle mehr Mut. Liebe HRler, seid offener! Wir jammern alle über Fachkräftemangel und dass wir manche spezialisierten Positionen jahrelang nicht besetzt bekommen, dabei scheitert es oft an unseren eigenen starren Systemen. Natürlich kommt es auf Branche und Job an. Wenn jemand an einer Maschine arbeitet, kann er kein Home­office machen. In zu vielen Fällen werden Chancen jedoch aus Bequemlichkeit nicht wahrgenommen. Antje von Dewitz, Chefin des Mittelständlers Vaude, sagte kürzlich in einem Interview, sie würde bei jedem weiteren Teilzeitantrag „schon ein bisschen stöhnen“. Allerdings arbeitet dort knapp die Hälfte der Belegschaft in Teilzeit. Wie geht es Ihnen? Bisher haben wir nicht gestöhnt. Natürlich erhöht sich mit jedem Antrag der administrative Aufwand, was uns manchmal zusammenzucken lässt. Aber wir bekommen viel zurück. Gewisse Dinge mussten wir umorganisieren. So finden die täglichen Team­ besprechungen inzwischen grund-

sätzlich am Morgen und nicht am Nachmittag statt, da sonst viele Teilzeitkräfte nicht mehr da sind. Wer im Homeoffice ist, wird via Videokonferenz zugeschaltet. Die agile Arbeits­ weise eröffnet uns viele Möglichkeiten, die Umsetzung ist für uns eher eine Frage der richtigen Tools. Die da wären? Wir arbeiten mit dem Chat-Programm Slack, mit G-Suite und Google-Hang­ outs mit Videotelefonie. In der Personalabteilung haben wir eine Kollegin, die von München aus arbeitet, andere sind im Homeoffice, wir stimmen unser Tagesprogramm daher via Video­ schalte ab. Auch unser Aufgabenboard ist virtuell. Wie organisieren Sie gemeinsame Veranstaltungen? Die Belegschaft zu Vollversammlungen zusammenzutrommeln, stelle ich mir kompliziert vor. Wir haben drei große interne Events pro Jahr. Diese drei Termine halten sich in der Regel alle frei – und auch die Teilzeitbeschäftigten sind dann jeweils den kompletten Tag dabei. Ein viel diskutiertes Problem der Brückenteilzeit ist, dass für die flexiblen Kollegen „Lückenfüller“ einspringen müssen: Kehrt der Kollege in die Vollzeit zurück, muss seine Vertretung zurückstecken. Oder es werden kurz­ zeitige Ausfälle mit den Überstunden der anderen kompensiert.

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NEUANFANG

Ein Beitrag von Sarah Sommer

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Ob Fusion, Rebranding oder Umstrukturierung: Wenn Unternehmen einen radikalen Neuanfang wagen, fremdeln Mitarbeiter oft mit Innovationen in Strategie, Arbeitsweise oder Kultur ihres Arbeitgebers. Allzu oft geraten große Teile der Belegschaft in eine regelrechte Identitätskrise. Sie fragen sich: Ist das noch mein Unternehmen?

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Foto: Wikimedia

Wenn Wandel wehtut


NEUANFANG TITEL

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as ist nicht mehr mein ADAC.“ Mit diesem Statement brachte ein Mitarbeiter des Automobilclubs in einer internen Befragung im Winter 2018 seine eigene Identitätskrise und die vieler seiner Kollegen auf den Punkt. Wie das Handelsblatt durch eine Auswertung der Befragungsergebnisse öffentlich machte, war das noch eine der freundlicheren Bewertungen der dreiwöchigen Umfrage: Rund 65 Prozent der Mitarbeiter bewerteten die Stimmung in der Firmenzentrale mit der Schulnote fünf oder schlechter. Der ADAC steckt mitten in einer Umstrukturierung. Innerhalb kürzester Zeit muss dabei enorm viel Vertrauen verloren gegangen sein. Noch 2016 wollten 68 Prozent seiner Mitarbeiter ihn als Arbeitgeber weiterempfehlen. Ende 2018 riet kaum noch ein Viertel der Belegschaft zu einer Bewerbung. Spätestens seit diesem Pannenbericht ist für das Management nicht mehr zu übersehen: Der drastische Reformkurs, mit dem der ADAC nach einem Manipulationsskandal im Jahr 2014 Vertrauen zurückgewinnen und sich zukunftsfähig aufstellen wollte, mag bei Geschäftspartnern und Kunden gut angekommen sein. Sehr viele Mitarbeiter aber können sich nicht mehr identifizieren mit diesem „neuen“ ADAC, der mit dem ambitionierten Change-Programm „Pole Position“ geschaffen werden soll. Statt motiviert den Wandel mit voranzutreiben, sind sie ängstlich, enttäuscht und wütend. Der Automobilclub ist mit dieser ernüchternden Erfahrung bei Weitem nicht allein. Diverse Studien kommen zu dem Schluss, dass 60 bis 80 Prozent aller Change-Prozesse scheitern. Wie gut diese Studien die hohe Rate des Misslingens tatsächlich belegen können, ist umstritten. In jedem Fall scheinen sie eine gefühlte Wahrheit zu belegen, die wohl die meisten Manager im Top- und im mittleren Management bestätigen: Wenn Unternehmen einen Neuanfang wagen wollen oder müssen, starten die Change-Projekte allzu oft mit großen Hoffnungen und vollmundigen Ankündigungen – und enden mit Frust bei allen Beteiligten. Die Gruppe mit dem größten Frustpotenzial scheint dabei fast immer die der eigenen Mitarbeiter zu sein. Kunden gewöhnen sich an das neue Firmenlogo und den veränf e b ruar / m är z 2 019

derten Auftritt nach einem Rebranding. Geschäftspartner passen sich nüchtern an neue Organisationsstrukturen und Abläufe nach Fusionen oder Umstrukturierungen an. Aufsichtsräte und Aktionäre lassen sich mit Zahlen und Fakten auch von radikal neuen Strategien überzeugen. Allein die Mitarbeiter, vom mittleren Management bis zur Fachkraft und zum Sachbearbeiter, reagieren emotionaler und fremdeln nachhaltig mit den Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz. Stellen sich quer, nörgeln, lästern, ziehen nicht mit, machen nur noch Dienst nach Vorschrift, sabotieren womöglich den Wandel, verlassen das Unternehmen oder beharren stur auf Altem und Bekanntem. Wie kommt das?

Den Identifikationsbruch verhindern Dass man die Mitarbeiter, und zwar alle, mitnehmen sollte, dass man sie mindestens einbinden, im besten Falle aber begeistern sollte vom Neuanfang, mit aktiver Kommunikation, mit Beteiligungsprozessen, mit Befragungen und Workshops – das ist nun wirklich eine der ältesten Binsenweisheiten des Change-Managements und sattsam bekannt aus der Management-Literatur. Zu Beginn fast jedes Neuanfangs postuliert das Top-Management auch eben dieses: dass man alle einbinden und mitnehmen und begeistern wolle. Auch ADAC-Präsident August Markl räumte dem Handelsblatt gegenüber ein, die Ergebnisse der Mitarbeiterumfragen seien in ihrer Deutlichkeit zwar überraschend gewesen. Allerdings seien tief greifende strategische und strukturelle Veränderungsprozesse „natürlich immer mit Unsicherheiten und neuen Herausforderungen verbunden. Damit verbundene Ängste und Wünsche unserer Mitarbeiter nehmen wir ernst.“ Wenn man in Unternehmen um die Ängste und Widerstände der Mitarbeiter bei einem Neuanfang also weiß und diese ernst nimmt – warum nur fällt es Unternehmen dann so schwer, damit konstruktiv umzugehen und den Identifikationsbruch zu verhindern? Das fragt sich auch Peter Krumbach, Arbeits- und Organisationspsychologe und Change-Berater mit Fokus auf psychologischer Mitarbeiterführung. Mit seinem Unterneh25


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NEUANFANG

Experte für den Neuanfang

Ein Porträt von Heike Thienhaus

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Als Frau feierte Balian Buschbaum Erfolge im Stabhochsprung. Doch er lebte 27 Jahre lang im falschen Körper. 2007 entschloss er sich zur Geschlechtsangleichung. Heute arbeitet Buschbaum als Coach und hält Vorträge über Glück und Diversity.

n einem Winternachmittag steht Balian Buschbaum am Hauseingang einer alten Villa in Aschaffenburg. Er schließt die Tür auf zu e ­ iner Naturheilpraxis. Hier berät und behandelt er Manager, Angestellte, Menschen, die unterschiedliche Anliegen haben – darunter Firmen, die Stärken innerhalb ihres Teams erkennen und nutzen wollen oder Konflikte lösen müssen. Es sind die Themen Glück und Vielfalt, die ihm am Herzen liegen, denn: „Wenn Mitarbeiter glücklich und gesund sind, ist das auch für Unternehmen profitabler.“ Der ehemalige Spitzensportler nimmt an einem kleinen Tisch eines Behandlungszimmers Platz. „Seit mehr als zehn Jahren bin ich jeden Tag glücklich. Ich bin in meinem Leben angekommen“, sagt er. Um sein Glück zu finden, ging er einen schmerzhaften Weg. Er brauchte 27 Jahre dafür. Balian Buschbaum wird 1980 als Yvonne in Ulm geboren. Er erlebt eine glückliche Kindheit – spielt Fußball, ist Mitglied im Karateverein, mag schnelle Autos, begeistert sich für Technik – und erfüllt sämtliche Geschlechterkli36

schees eines Jungen. Schon früh fühlt er sich mehr als Junge denn als Mädchen. I­ n seiner Biografie „Blaue Augen bleiben blau“ erinnert er sich daran, wie er sich als Grundschüler zu ­Mädchen hingezogen fühlt und sie sich zu ihm. Mit ­sieben Jahren will er eigentlich nicht mehr auf die Mädchen­toilette, huscht heimlich auf die für Männer, wenn gerade keiner da ist. Dass er sich wie ein Junge benimmt und auch so aussieht, stört die anderen Kinder nicht. Er wird nie gehänselt oder ungerecht behandelt. „Ich hatte immer Menschen an meiner Seite, die mich so angenommen haben, wie ich war“, sagt er und lehnt sich im Stuhl zurück. Buschbaum ist schmal von Statur, doch man kann erahnen, wie muskulös seine Arme sind. Der 38-Jährige trägt Dreitagebart und ein kobaltblaues Jackett, das zur Farbe seiner Augen passt. Sein Blick ist hellwach. Buschbaum wird bei den Bundesjugendspielen für die Leichtathletik entdeckt. Fortan besucht er einen Verein und versucht sich zunächst im Mehrkampf. Die Kraft, Schnellig­­ www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


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„ Willst du die Hürde sein oder derjenige, der versteht und hilft? Das ist eine Sache der bewussten Entscheidung.“

keit und turnerischen Elemente sind es, die ihn beim Stabhochsprung reizen. Der Sport wird zu seinem Lebensmittelpunkt. Und zu seinem Rettungsventil, wie er sagt. Er kommt in die Pubertät, sein Körper verändert sich, wird weiblicher. Für Buschbaum wird sein Äußeres zunehmend unerträglich, er flüchtet ins Training. Die ­kommenden Jahre verbringt er bis zu sechs Stunden täglich in Leichtathletikhallen und Krafträumen.

Foto: Privat

In der falschen Mannschaft Die ersten Erfolge stellen sich ein: 1999 wird Yvonne Buschbaum Deutsche Meisterin im Stabhochsprung und springt im selben Jahr mit 4,42 Metern deutschen Rekord. 1998 und 2000 folgen EM-Bronze und 2000 der sechste Platz bei den Olympischen Spielen in Sydney. Eine erfolgreiche und glückliche Sportlerin, so nehmen ihn die Menschen wahr. Doch Buschbaum ist alles andere als glücklich. „Ich fühlte mich im Stadion unwohl, weil ich für die falsche Mannschaft sprang. Da gehörte ich nicht hin“, erinnert er sich. Außerhalb des Stadions hingegen ist er wieder ganz bei sich. Obwohl äußerlich eine junge Frau, führt er das Leben eines normalen Jungen, hat mit 16 Jahren seine erste Freundin. „Wir sind Händchen haltend durch die Stadt gegangen. Wir waren ein ganz normales, heterosexuelles Pärchen. Es war alles in Ordnung. Nur, dass ich eben nicht die körperf e b ruar / m är z 2 019

liche Ausstattung eines Mannes hatte. Meine Freundinnen akzeptierten das“, sagt er und lacht.

Depression und dunkle Stunden Buschbaum ist zunehmend zerrissen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben. Äußerlich lässt er sich nichts anmerken. „Menschen auf Distanz zu halten, ist seit Kindheitstagen eine leichte Aufgabe für mich.“ Doch er trägt eine Wut in sich, die er mehr und mehr gegen sich selbst richtet: „Ich spürte ein Loch in mir, das immer größer wurde. Das musste ich stopfen mit noch mehr Training und noch mehr Schmerzen, um meinen Körper mit Muskeln männlicher zu formen.“ Zusätzlich sollen materielle Dinge wie schnelle Autos, Markenklamotten und eine schicke Wohnung seine innere Leere füllen. „Doch es funktionierte nicht. Ich musste ­ballern, ballern, ballern. Höher, schneller, weiter. Ich musste kompensieren, war viele Jahre übertrainiert“, sagt er. Er hat Schmerzen, ignoriert die Warnzeichen seines Körpers. Bis ihm im Juli 2004 seine rechte Achillessehne reißt. „Das war schlimm. Ich war wütend und unglaublich traurig“, sagt er. Obwohl er ahnt, dass seine Zeit der Höchstleistungen im Spitzensport vorbei ist, will Buschbaum nicht aufgeben. Es folgen Jahre mit Operationen, Reha-Maßnahmen 37


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NEUANFANG

HR-Trends mit Zukunft

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Ein Beitrag von Annika Janßen

Statt in der Arbeitswelt 4.0 alle paar Monate einem neuen Trend hinterherzulaufen, sollten HRler Kurs halten und langfristige Entwicklungen verfolgen. Fünf Trends, die Personaler kennen und ernst nehmen sollten.

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ie Erde dreht sich innerhalb von 24 Stunden einmal um ihre Achse – je nachdem, wo man steht, mit einer Geschwindigkeit von weit mehr als 1.000 Stundenkilometern. Ähnlich rasant, zumindest gefühlt, verändert sich die Arbeitswelt. „Arbeit 4.0“ ist längst ein etablierter Begriff. Er bezeichnet den Gesamtkomplex neuer Arbeitsformen und -verhältnisse sowie technologischer Entwicklungen, die durch Megatrends wie die Digitalisierung zustande kommen. Die neue Arbeitswelt prägt auch das Personalwesen, sorgt für Innovationen, neue Denkweisen und Herausforderungen. Die meisten Trends sind nicht neu, dafür aber nachhaltig. Die Begriffe Demografie und Digitalisierung können viele Personaler schon nicht mehr hören – gleichwohl sind es genau diese Megatrends, die HR-Abteilungen weltweit unmittelbar beeinflussen. Die Grenzen zwischen einzelnen Prozessen verlaufen selten scharf, ein großer Trend beinhaltet manchmal mehrere kleine. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen, die Personaler auf dem Schirm haben sollten.

Trio Infernale: Demografie, Diversity, Individualisierung „Es sind vor allem drei miteinander zusammenhängende Trends, die essenziell für das Personalmanagement sind: der demografische Wandel, die zunehmende Diversität in Unternehmen und die Individualisierung des Arbeitsplatzes“, erklärt Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Wie die Entwicklungen miteinander f e b ruar / m är z 2 019

zusammenhängen, ist schnell erklärt: Der demografische Wandel sorgt dafür, dass Menschen in Deutschland immer älter werden, und somit auch die Belegschaften in Unternehmen. Gleichzeitig kommen weniger Kinder zur Welt als früher. „Das schafft vor allem in ländlichen Gebieten ein Nachwuchsproblem in Unternehmen“, sagt Stettes. Unternehmen suchen personalpolitische Antworten auf den demografischen Wandel. Immer öfter arbeiten ältere und junge Menschen zusammen, Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturkreisen, Behinderte und Nichtbehinderte. Diversity Management ist in vielen Firmen längst etabliert. Zu Recht: Experten zufolge ist Diversity kein kurzfristiger Trend, sondern ein handfestes Erfolgsrezept. Eine vielfältige Belegschaft fördere nicht nur die Kreativität einer Organisation, sondern trage auch entscheidend dazu bei, Komplexität zu bewältigen und innovativ zu sein. Das gilt vor allem dann, wenn interdisziplinäre Teams zusammenarbeiten: Wo Spezialisten aus verschiedenen Abteilungen zusammenkommen und Wissen teilen, kann, wenn die Zusammenarbeit funktioniert, Großes entstehen. Für die Zukunft ist wichtig, dass Personaler die Vielfalt der Vielfalt im Kopf haben: Eine diverse Belegschaft besteht nicht nur aus männlichen und weiblichen Beschäftigten oder Mitarbeitern mit unterschiedlicher Hautfarbe. Diversity ist auch, wenn Eltern in Teilzeit gemeinsam mit einem Vollzeitmitarbeiter an einem Projekt werkeln, der kurz vor der Rente steht. Das birgt Konfliktpotenzial. Personalmanager müssen die Diversität im eigenen Haus deshalb mit Fingerspitzengefühl vorantreiben und gegebenenfalls als Moderatoren aktiv werden. Im Zweifel kann weniger Diversität auch mehr sein: Wenn ein homogenes Team 41


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NEUANFANG

Veränderung als Chance?

Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

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Die Gründe für ein Unternehmen in der Krise sind vielfältig. Als letzter Ausweg stehen oftmals Entlassungen an. Bedeutet Personalabbau somit auch eine Art Neuanfang?

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ie Zeitung aufschlagen und den Stellenabbau des eigenen Arbeitgebers in den Schlagzeilen lesen – manch ein Beschäftigter hat diese Erfahrung schon machen müssen. Auf Unternehmensseite herrscht Schweigen, keine Stellungnahme gegenüber der Belegschaft, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Das beschreibt eher ein Worst-Case-Szenario als den Regelfall. Viele Unternehmen setzen in Krisenzeiten auf transparente Kommunikation. Insgesamt zeigt sich Personalabbau dennoch als unliebsames Thema. Er bekommt nicht einmal den Namen, der ihn beschreibt – zu negativ behaftet. Re­ strukturierung heißt der weitaus freundlichere Begriff. Viele HR-Verantwortliche scheuen sich, darüber zu sprechen. Dabei gehören Personalabbau und -freisetzung ebenso zur Personalarbeit wie Recruiting oder Talent Management. Genauso wie unternehmerisches Handeln hervorragende, aber auch mal weniger gute Zeiten erleben kann.

Foto: Getty Images

Disruptive Marktveränderungen Eine Websuche nach dem Begriff „Personalabbau“ zeigt, wie viele Betriebe in eine Schieflage geraten sind. Eine Folge: Es gilt, die Belegschaft zu reduzieren. Schließlich stellt das Personal in vielen Geschäftsfeldern einen wesentlichen Kostenfaktor dar. An dieser Stellschraube zu drehen, kann Schlimmeres abwenden – das Aus des Unternehmens. Verantwortlich für die Misere scheint oftmals das Management zu sein. Ihm ist es nicht gelungen, Innovationskraft zu generieren und Kundenbedürfnisse im Blick zu behalten. Aber es gibt weitere Ursachen. „Die Digitalisierung und das Internet der Dinge bewegen viele Unternehmen“, weiß Christian Summa, Director und Partner bei von Rundstedt. „Es lässt viele neue Wettbewerber entstehen. Manche von ihnen dringen schlagartig in f e b ruar / m är z 2 019

einen Markt ein und überholen bestehende Anbieter von links“. Das Beratungsunternehmen beobachtet disruptive Bewegungen in unterschiedlichen Märkten. Als Beispiele nennt Summa Airbnb als größten Anbieter für Übernachtungsmöglichkeiten und Uber im Bereich der Personenbeförderung. So etwas verändere Geschäftsmodelle – international und hierzulande. Aber auch politische Entscheidungen, wie der Weg zum Elektroauto, lassen Geschäftsfelder wegbrechen. Zwar erkennen kleine und mittelständische Automobilzulieferer die Entwicklung, haben aber oftmals nicht die Ressourcen, um ihre Technologien dem anzupassen, so der Experte. In einer Krisensituation hilft nicht nur die Reduktion von Kosten, sagt Max Scholz, Senior Partner bei Roland Berger. „Wenn immer mehr Kosten rausgenommen werden, folgt die Abwärtsspirale. Man kann ein Unternehmen nicht alleine durch Restrukturierung nachhaltig transformieren. Unternehmen müssen ebenfalls die Strategie ändern und wieder am Markt agieren.“ Viele fokussieren sich auf die Kosten, aber nicht auf die Marktseite, weil sie keine Antworten haben, erklärt er. Dies funktioniere zwar kurzfristig, aber für Langfristigkeit brauche es eine Kombination aus beidem. Für die Unternehmensberatung zählt zu Restrukturierung mehr als nur Personalabbau. Sie prüft alle Prozesse und Kosten, verfolgt jeden Euro bis hin zur Gewinn- und Verlustrechnung. Aber Personalkosten bleiben ein Haupthebel, sagt der Berater. Wichtig sei ein gutes Konzept, das zum einen Strategien zur Produkt- und Marktschärfung beinhaltet, zum anderen Maßnahmen der Restrukturierung. Feststeht: Eine Restrukturierung ist für Mitarbeiter und Unternehmen eine große Belastungsprobe. Während sich Mitarbeiter im Unklaren darüber sind, wie es nach dem Stellenabbau weitergeht, sind Arbeitgeber mit der Frage konfrontiert, wie sie mit weniger Personal effizient arbeiten können. 51


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„ Ein Leben ohne Probleme ist auch nicht leicht“

Ein Interview von Hannah Petersohn

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Wenn Frauen nach der Elternzeit in den Berufsalltag zurückkehren, kommt das einem Neuanfang gleich: Der Job mag der alte sein, doch das Leben ist ein völlig anderes. Die Journalistin und Autorin Katrin Wilkens erklärt, wie der Wiedereinstieg gelingen kann, mit welchen kulturellen Schwierigkeiten Frauen zu kämpfen haben und warum Perfektionismus die Pest ist. www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


Illustration: Getty Images | Yapanda

NEUANFANG TITEL

Frau Wilkens, mit dem Wiedereinstieg nach der Babypause in den Job muss das ganze Leben neu geordnet werden. Wie kann der Neuanfang gut funktionieren? Mein Tipp ist, die Erwartungshaltung runterzuschrauben. Man sollte den Job erst einmal als Geldquelle sehen. 80 Prozent Leistung sind genug. Mütter neigen zum Perfektionismus, sowohl im Job als auch in der Kindererziehung. Ist es nicht gut, wenn Eltern versuchen, so gut wie möglich das Familien­ leben zu bestreiten? Nein, ich glaube, das ist die Pest unserer Zeit. Das perfekte Familienleben, der perfekte Wiedereinstieg in den Beruf, der perfekte Neuanfang ... das macht krank. Perfektionismus und Burnout sind Geschwister. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass kaum jemand zugeben würde, keine Lust auf die Kindererziehung zu haben. Ein Kind soll heute unheimlich viele Sehnsüchte erfüllen. Man darf gar nicht sagen, wenn man extrem genervt ist oder keine Lust auf das Kind hat. In unserer Kultur wird der Nachwuchs zum Projekt, er wird vergöttert. Er ist nicht einfach mehr nur ein Teil des Lebens, sondern ein Identitätsverstärker. Kinder werden zu Objekten der Inszenierung ihrer Eltern. Sie sagen auch, dass Müttern der Job fehlt. Warum ist es so schwer, gleichzeitig zu arbeiten und ein Kind großzuziehen? Es ist nicht nur der Perfektionismus, der bremst – es sind manchmal auch ganz banal Zeitprobleme. Frauen, die in Süddeutschland leben, sagen mir, f e b ruar / m är z 2 019

dass sie zehn bis 15 Stunden in Teilzeit arbeiten könnten, weil Kita und Grundschule gegen 12 Uhr Mittags schließen. Wer soll da arbeiten gehen? Am schwierigsten ist die Situation in ländlichen Gegenden in Süddeutschland. Dort sind Frauen zehn bis 15 Jahre zur Untätigkeit verdammt. Wie könnten Personaler unterstützen? Sie können durch flexible, kreative Lösungen helfen und zum Beispiel Home­office anbieten. So kann man, wenn das Kind krank ist, von zu Hause arbeiten. Nachweislich arbeiten diese Mütter zu Hause mehr ab, als sie im Büro arbeiten würden. Und Väter sollten genauso selbstverständlich Kranke­ ntage nehmen können, ohne dass ihre Männlichkeit infrage gestellt wird. Es würde außerdem helfen, wenn sich Personaler eingehend mit dem Tagesablauf einer Mutter beschäftigen würden. Wie soll das konkret aussehen? Personaler sollten einen ganzen Tag an der Seite einer Mutter mitlaufen, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Da sehen sie ganz schnell, wie belastbar, multitaskingfähig und entscheidungsstark Frauen sind. Mütter müssen täglich unzählige Entscheidungen treffen, und zwar für ein Team. Über diesen Alltag zu reden oder zu schreiben, kratzt nur an der Oberfläche. Man muss ihn erleben. Sollten Frauen sich in Bewerbungen auf diese Fähigkeiten berufen? Eine Bewerberin, die schreibt, sie sei Mutter und deswegen multitasking­ fähig, wird sofort aussortiert. Das sollte sie lieber später im Arbeitsalltag zeigen. Andernfalls wird sie nur noch als

„Mutti“ gesehen, die bestimmt gut eintuppern kann, aber keine geeignete Arbeitnehmerin ist. Also haben Mütter, die sich als solche in einer Bewerbung präsentieren, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt? Ja. Man unterstellt ihnen, sie seien zu harmlos. Niemand denkt an die Grabenkämpfe, die Mütter zwischen 18 und 20 Uhr ausstehen müssen. Niemand denkt an die Konfliktfähigkeit, die nötig ist, ein Kind zu überzeugen, jetzt sein Zimmer aufzuräumen. Wenn ein Personaler wirklich mal einen ganzen Tag lang an der Seite einer Mutter mitläuft, wird er ihre Leistungsfähigkeit danach anders beurteilen und Möglichkeiten wie Jobsharing stärker anbieten. Zwei Mütter, die sich einen Job teilen, können sich gegenseitig unterstützen – und sind geradezu unverschämt loyal dem Arbeitgeber gegenüber. Der Titel Ihres Buchs, „Mutter schafft!“, klingt nach Aufforderung und Kritik gleichermaßen. Finden Sie? Ich habe mich gefragt, warum es für eine Frau hierzulande so problematisch ist, eine gute Balance zwischen Mutterschaft und Selbstverwirklichung im Job zu finden. Das Stichwort Selbstverwirklichung klingt bisweilen nach hohler Phrase. Ich rede auch nicht von einer Dawanda-­ Selbstverwirklichung (Dawanda war ein deutsches Online­portal, auf dem selbst gemachte Produkte vertrieben werden konnten, Anm. der Red.), sondern von der Realität des Geldverdienens. Bei uns ist die große Masse der Mütter bei den Cupcakes hängengeb55


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Passend gestimmt? Ein Beitrag von Nina Bärschneider

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Um geeignete Mitarbeiter zu finden, setzen erste Unternehmen auf künstliche Intelligenz. Sie nutzen eine Software, die die Sprache der Bewerber anhand einer Aufnahme untersucht – und daraus Erkenntnisse über die Persönlichkeit der Kandidaten gewinnen soll. Experten sind skeptisch, ob das zuverlässig funktioniert.

er sich beim Versicherer Talanx bewirbt, redet zunächst fünfzehn Minuten darüber, wie er sich seinen schönsten Tag vorstellt – mit dem Telefonhörer am Ohr. Doch am anderen Ende der Leitung antwortet niemand, und der Inhalt des Gesagten spielt auch keine große Rolle. Vielmehr geht es um die Stimme und um Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Kandidaten. Talanx nutzt die Sprachanalysesoftware Precire, die die Stimme eines Bewerbers aufnimmt und in ihre Bestandteile zerlegt: Das Programm untersucht, welche Worte ein Bewerber wie oft nutzt, wie er Sätze bildet und wie lang sie sind. Die Informationen gleicht die Software mit Daten aus Persönlichkeitsstudien ab, um Muster zu erkennen, die wiederum Rückschlüsse auf Charakter und berufliche Eignung des Kandidaten geben. Precire ist auf dem deutschen Markt noch einzigartig. „Die Technologie hat von vielen Persönlichkeitstests, Beobachtungsverfahren und Assessments gelernt“, erklärt Christian Greb, Mitgründer des vertreibenden Unternehmens Precire Technologies in Aachen. „Sie bietet Personalern einen zusätzlichen objektiven Bewertungsparameter für die Personalauswahl.“ Laut Greb testet die Software eine Sprachaufnahme auf rund 500.000 Merkmale. Am Ende trifft sie etwa Aussagen darüber, wie selbstbewusst, gewissenhaft und neugierig ein Kandidat ist. f e b ruar / m är z 2 019

Talanx nutzt Precire seit dem Jahr 2017 – ausschließlich für die Suche nach Führungskräften. „Die Software vereinfacht den Auswahlprozess“, sagt Thomas Belker, Personalvorstand bei Talanx. „Ein Bewerber kann von überall anrufen und muss vorerst nicht anreisen, weil er das Assessment-Center spart. Wir wiederum haben weniger Personal­ aufwand und sparen Kosten.“ Nach der Auswertung der Sprachaufnahme folgt allerdings immer ein Gespräch mit einem Personaler. Er spricht den Kandidaten auch auf die Testergebnisse an und schätzt noch einmal persönlich ein, ob der Bewerber zum Unternehmen passt. 200 Kandidaten haben die Software bei Talanx bereits genutzt. Die Ergebnisse der Analyse haben laut Belker immer überzeugt. Sie seien facettenreicher als die eines herkömmlichen Persönlichkeitsfragebogens. „Auch wenn am Ende der Mensch entscheidet: Der Algorithmus hat keine Vorurteile, die die Ergebnisse verzerren könnten“, erklärt der Personalchef. Doch was, wenn während des Telefonats ein Nachbar in der Wohnung nebenan ein Loch in die Wand bohrt? Oder wenn der Bewerber vor lauter Aufregung keinen geraden Satz hervorbringt? Damit eine verlässliche Aussage getroffen werden kann, müsse die Software 80 Prozent der Wörter gut verstehen, sagt Softwareunternehmer Greb. Das sei meist kein Problem: „15 Minuten sind relativ lang. In dieser Zeit


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Bitte anders!

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Feedbackgespräche sind eine gleichermaßen heikle wie essenzielle Angelegenheit. Eine Anleitung zu konstruktiver Kritik

iele Führungskräfte tun sich schwer damit, ihren Mitarbeitern systematisch Feedback zu geben. Dabei ist die Beziehung zwischen Feed­back und Motivation in Studien klar belegt: Wer häufig Rückmeldung erhält, gibt meistens sein Bestes – im Gegensatz zu Mitarbeitern, die nur wenig Feedback bekommen. Feedback sollte richtig dosiert sein. Es wäre nicht klug, beim ersten Fehler des Mitarbeiters gleich ein Kritikge68

spräch mit ihm zu führen. Hinter dem situativen Feedbackmodell steht folgender Grundgedanke: Wählen Sie jeweils die richtige Feedbackintensität. Das Modell unterscheidet je nach Situation fünf Stufen (siehe Abbildung auf S. 70). Im Normalfall beginnen Sie auf der ersten Stufe. Es stört Sie bei einem Mitarbeiter eine eher kleine Auffälligkeit, die Sie gerne geraderücken möchten. In diesem Fall wählen Sie eine kleine „Feedbackdosis“ (Stufe 1). Erst wenn das nicht fruchtet, steigern Sie die Intensität. www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e

Foto: Picture Alliance

Ein Gastbeitrag von Rüdiger Klepsch


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Fünf Feedbackstufen Stufe 1: Kurzfeedback Das Kurzfeedback spielt sich zwischen Tür und Angel ab – ein kurzes Lob, eine knappe Kritik, etwa in der Art: „Super Job, hast du großartig gemacht!“ – „Die Leitung des Meetings hat mir nicht so gut gefallen. Kannst du es auch anders machen?“ Wenn der andere zustimmt, ist das Thema vorerst abgehakt. Der Vorgesetzte verlässt sich darauf, dass der Mitarbeiter sich den Hinweis zu Herzen nimmt. Stufe 2: Konstruktives Feedback Führen mehrere Kurzfeedbacks nicht zum gewünschten Erfolg, folgt als zweite Eskalationsstufe das konstruktive Feedbackgespräch. Es hat feste Regeln und findet in einem separaten Raum unter vier Augen statt. Es werden konkrete Schritte vereinbart, um den Stein des Anstoßes zu beseitigen. Stufe 3: Metafeedback Wenn der Mitarbeiter weiterhin sein Verhalten nicht ändert, geht es im Metafeedback nicht mehr um diese eine Verhaltensweise, sondern um die Tatsache, dass er Zusagen nicht einhält: „Kann ich überhaupt Vertrauen in Ihre Zusagen haben?“ „Metafeedback“ bedeutet also, dass der Feedbackgeber die konkrete Situation verlässt und eine übergeordnete Sichtweise einnimmt. Stufe 4: Kritikgespräch Das Kritikgespräch bietet dem Mitarbeiter eine letzte Möglichkeit, sein Verhalten zu ändern. Es konzentriert sich allein auf die negativen Fakten und stellt den Übergang zu Disziplinarmaßnahmen dar (Ermahnung, Abmahnung, Kündigung). Stufe 5: No-go-Gespräch Es gibt Situationen, in denen die Feedbackregeln nicht mehr sinnvoll sind – etwa wenn ein Mitarbeiter komplett ausrastet und den Arbeitsfrieden gefährdet. In diesem Fall muss das No-go-Gespräch ein Stoppzeichen setzen.

Regeln im konstruktiven Feedback Die wichtigste Regel lautet: Achten Sie auf den Feedbackdreiklang. Er besagt, dass zu einem Feedback grundsätzlich drei Schritte gehören: 1. 2. 3.

Wahrnehmung: „Ich habe beobachtet ...“ Wirkung: „Das löst bei mir aus ...“ Wunsch: „Ich wünsche mir ...“

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Der Dreiklang zwingt Sie, zunächst die Position eines Reporters einzunehmen: Sie beobachten, ohne zu werten. Erst anschließend interpretieren Sie das Beobachtete, indem Sie danach fragen, welche Wirkung es in Ihnen auslöst – und leiten dann hieraus Ihre Wünsche und Erwartungen ab. Viele Menschen überspringen die ersten beiden Schritte und konfrontieren ihr Gegenüber gleich mit ihren Wünschen und Erwartungen. Zum Beispiel verlangt ein Vorgesetzter, dass der Mitarbeiter Projekte künftig professioneller managen soll. Damit jedoch fällt er mit der Tür ins Haus: Der Mitarbeiter kann nicht nachvollziehen, wie der Vorgesetzte zu dieser Forderung gekommen ist.

Das Feedback vorbereiten Feedback sollte zeitnah, aber nicht spontan erfolgen. So lässt sich eine verärgerte, von Emotionen geleitete Stimmung vermeiden. Wenn kritisches Feedback gelingen soll, braucht es zudem eine sorgfältige Vorbereitung. Schritt 1: Fakten sammeln, Beispiele notieren Ihr Gegenüber sieht die Welt mit seinen Augen, Sie mit Ihren. Wenn Sie eine Sechs wahrnehmen, er aber eine Neun, können Sie ihm das nicht übel nehmen. So bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, dem anderen möglichst nachvollziehbar zu erklären, wie Sie die Situation sehen. Sammeln Sie dazu Fakten, notieren Sie Beispiele. Nehmen Sie die Haltung eines Reporters ein und halten Sie präzise fest, was Sie beobachten. Schritt 2: Bewerten, was beobachtet wurde Im zweiten Vorbereitungsschritt bewerten Sie das beobachtete Verhalten. Halten Sie fest, welche Gefühle es in Ihnen auslöst: • Ich fühle mich nicht wertgeschätzt. • Ich befürchte, dass dieses Verhalten die anderen Mitarbeiter ablenkt und daran hindert, sich auf das angestrebte Arbeitsziel zu konzentrieren. Schritt 3: Das Ziel des Feedbacks definieren Beschränken Sie sich auf einen wesentlichen Aspekt, denn kein Mensch erträgt mehr als einen massiven Kritikpunkt. Nun kann es natürlich sein, dass Sie eine ganze Liste an Vorhaltungen gesammelt haben. In diesem Fall bietet es sich an, möglichst viele Aspekte unter einem übergeordneten Thema zusammenzufassen – und die restlichen Punkte zu streichen.

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Sind Arbeitszeugnisse von gestern? Ein Gastbeitrag von Thomas Redekop

Das Lob klingt übertrieben, die Formulierungen sind hölzern, und die wichtigsten Informationen fehlen: Obwohl der Nutzwert vieler Zeugnisse begrenzt ist, gelten sie für Mitarbeiter wie Personaler als unverzichtbar. Über den Stellenwert des begehrten Dokuments und Möglichkeiten, es besser zu machen

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rbeitszeugnisse haben in Deutschland im Vergleich zum Ausland nach wie vor einen absoluten Sonderstatus. So gelten bei uns Urkunden zum Ende eines Arbeitsverhältnisses oder als Zwischenzeugnis als unverzichtbare Leistungsnachweise in Bewerbungsprozessen. Gleichzeitig sehen immer mehr Personaler sie mittlerweile als übertriebene Lobeshymnen mit bedingter Glaubwürdigkeit. Ein Widerspruch, der sich auflösen lässt? Trotz der hohen Zahl der Stellenwechsler von jährlich mehr als einer halben Million und der damit verbundenen Bedeutung der Zeugnisse – sowohl im Bewerbungsprozess als auch im Recruiting – wird das Thema oft stiefmütterlich behandelt oder belächelt. Das Gesetz sieht vor, dass Zeugnisse wahrheitsgemäß und mit verständigem Wohlwollen formuliert werden. Daraus hat sich allerdings eine sehr positive und stark lobende Sprache entwickelt, die schnell als übertrieben oder unglaubwürdig gilt. Einen wesentlichen Anteil daran haben auch die mehr als 30.000 jährlichen Gerichtsprozesse zum Arbeitszeugnis, die nicht nur die Zeugnissprache deutlich geprägt haben, sondern auch den Spielraum der Arbeitgeber stark einschränken, wenn es um Formulierungen geht. Bewertungen, die den Arbeitnehmer durch ihre Wortwahl in seinem weiteren beruflichen Werdegang unnötig behindern oder als branchentypisch anzusehen sind, im Zeugnis aber fehlen, sind dabei untersagt. Auch die Tatsache, dass Arbeitgeber zunehmend die Zeugniserstellung als lästig empfinden und Mitarbeitern die Verantwortung übertragen, ihre Zeugnisse selbst zu erstellen, wertet die Aussagekraft der Urkunden ab. Um Zeit zu sparen, verwenden Personaler und Führungskräfte neben Fachbüchern und Zeugnismustern häufig Zeugnisgeneratoren. Deren Vorteil: In der Regel garantiert der Wortlaut der entsprechenden Programme Rechtssicherheit. Ihr Nachteil: Generatoren produzieren recht pauschale Bewertungen, die wenig auf den Beurteilten zugeschnitten sind. Justiert der Ersteller nach, hat er wiederum keinen Anspruch auf ein rechtssicheres Zeugnis mehr. f e b ruar / m är z 2 019

Verbreitete Fehler Das gesamte Dilemma zeigt sich bei einem Vergleich aktueller Trends in der Zeugnisschreibung in einer Studie von arbeitszeugnis.de zu Auffälligkeiten in Arbeitszeugnissen aus dem Jahr 2010. Diese ergab, dass jedes zweite der 1.000 geprüften Zeugnisse – unabhängig von der Branche und Größe des Unternehmens – gravierende Mängel aufwies. Bis heute hat sich daran kaum etwas verändert. Hier einige verbreitete Mängel: 1. Beredtes Schweigen: Wichtige Bewertungen im Leistungsteil des Zeugnisses fehlen vollständig, was oft als Hinweis auf eine ungenügende Leistung des Arbeitnehmers in den entsprechenden Teilbereichen verstanden wird. Fehlt zum Beispiel die Bewertung einer als branchentypisch anzusehenden Belastbarkeit bei einem Journalisten oder die Kreativität bei einem Designer, so ist der Arbeitgeber in einem Streitfall in der Regel in der Korrekturpflicht. 2. Beschönigungen: Oft wirken Zeugnisformulierungen übertrieben wohlwollend. Gerade unerfahrene Zeugnisschreiber neigen dazu, Temporaladverbien und Superlative im Leistungsteil zu stark zu häufen, was einen unglaubwürdigen Gesamteindruck ergibt. Beispiel: Ein stets äußerst umfassendes und sehr fundiertes Fachwissen (Note 1 – unglaubwürdig, da das Fachwissen nicht mit Temporaladverbien bewertet wird) statt: sehr gutes bzw. umfassendes und sehr fundiertes Fachwissen (Note 1) 3. Strukturelle Mängel: Die Verwendung missverständlicher Textbausteine, ein unstrukturierter Aufgaben- und Leistungsteil, Rechtschreibfehler sowie die Anwendung von verschiedenen Verschlüsselungstechniken wie der Negationstechnik, Passivierungstechnik und Ausweichtechnik gehören zu den maßgeblichen Auffälligkeiten in Arbeitszeugnissen. Ein Beispiel wäre die Formulierung: Seine folgerichtige Denkweise kennzeichnet seine sichere Urteilsfähigkeit 73


LETZTE

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Die Macherin Sina Trinkwalder ist die erste sozioökologische Unternehmerin Deutschlands. In ihrer Augsburger Textilfirma Manomama beschäftigt sie seit 2010 vorwiegend Frauen, die sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.

Von meinem ersten Geld kaufte ich … eine Spiegelreflexkamera, um damit journalistisch zu arbeiten. Ich war 14 Jahre alt und freie Mitarbeiterin für eine lokale Zeitung. Für meine Beiträge fotografierte ich manchmal selbst. Als Jugendliche hatte ich kein Vorbild, weil ... ich damals wie heute lieber Ideale anstelle von Idolen habe. Auslöser für meinen Neuanfang als Unternehmerin war ­… eine menschliche Begegnung, die mir die Augen öffnete. Ein Obdachloser klaute mir am Bahnhof ein Magazin aus meiner Tasche. Nachdem ich ihn fragte, was er damit vorhabe, erzählte er mir, dass er damit Weihnachtsschmuck für sich und seine Frau basteln wolle. Ich werde als erste sozioökologische Textilunternehmerin bezeichnet, weil … ich die erste „Textilerin“ wurde, welche die Textilbranche – unter ökologischen und sozialen Schwerpunkten – überhaupt wieder in Deutschland ansiedelte. Die Branche war einst die größte im Land. 98

Ich stelle am liebsten Frauen ein, weil … Frauen bis heute aus verschiedensten Gründen in unserer Gesellschaft benachteiligt werden. Trotzdem brauchten wir eine Männer­ quote, weil … Männer ebenfalls toll sind! Es ist keine Frage des Geschlechts, sondern des Menschen, ob man gemeinsam etwas Gutes hinbekommt. Meine Mitarbeiter haben eine Mitsprachepflicht, weil … ich Missstände, die ich nicht kenne, nicht beurteilen kann. Verschweigen Menschen ihre Wünsche, können sie nicht in Erfüllung gehen. Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist … Pippi Langstrumpf. Unsere Lebenszeit ist begrenzt, deswegen … sollte man sie sinnvoll und bereichernd nutzen. Ich habe nie Angst, weil … ich Respekt vor Herausforderungen habe. Die größten Hindernisse eines Neuanfangs liegen darin … zu glauben, dass ein Neuanfang mit

Hindernissen gepflastert wäre. In meinen 20 Jahren als Unternehmerin habe ich gelernt … dass man nie auslernt. Viel Kaffeetrinken und Marathon­ laufen passen gut zusammen, weil … ein ausgewogener Flüssigkeitshaushalt gerade bei Langstrecken sehr wichtig ist. Ich ermutige meine Mitarbeiter dazu … herauszukehren, was in ihnen steckt! Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist … „Davon geht die Welt nicht unter.“ Ich wünsche mir von Unternehmern, dass … sie zwei Leitmotive verinnerlichen: „Was du nicht willst, das man dir tut …“ und „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!“ Das Leben bedeutet ständige Veränderung, weil … Stillstand der Tod ist. Um einen Neuanfang zu wagen, bedarf es … nur ordentlich hochgekrempelter Ärmel – und los! Sina Trinkwalder gründete 2010 die ökosozi­ ale Textilfirma Manomama. Sie leitete bis zur Firmengründung eine eigene Werbeagentur. Eine Begegnung mit einem Obdachlosen war der Auslöser, eine „Arbeit mit Relevanz“ machen zu wollen. Für ihr Schaffen erhielt sie zahlreiche Preise, zuletzt den „Deutschen Fairness-Preis“, das Bundesverdienstkreuz und das „Unternehmerische Herz“.

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Foto: Barbara Gandenheimer

Der die erste Job, lle des o R e ig zukünft e d rs o er ein Personale : re tü k e L e d inspirieren u r re nd chäftsfüh HRler, Ges orten tw eben An Blogger g gen o b e g m Fra in unsere etzten auf der „L “. e it e S


#PROUD2BHR KEYNOTE

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HUBERTUS HEIL

GUNNAR KILIAN

BUNDESMINISTER FÜR ARBEIT UND SOZIALES

VOLKSWAGEN

DEUTSCHLANDS GRÖSSTER KONGRESS FÜR STRATEGISCHES PERSONALMANAGEMENT

25./26. JUNI 2019

BCC BERLIN

THEMA 2019: MACHEN.

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