Nachhaltigkeit

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NACHHALTIGKEIT


Es könnte so einfach sein: Bereits vor über zehn Jahren ergaben Berechnungen, dass eine Fläche von etwa 90.000 Quadratkilometern ausreichen würde, um die gesamte Welt mit Solarstrom zu versorgen. Das entspricht ungefähr der Größe Jordaniens, wobei besagte Solaranlagen in der Sahara die besten Voraussetzungen hätten, um schnell genügend Sonnenenergie einzufangen. Auf unserem Cover sehen Sie die jordanische Fels- und Sandwüste Wadi Rum. Schreitet der Klimawandel voran, werden sich weitere Teile der Erde in eine Wüste verwandeln. Bisherige Projekte wie die Wüstenstrom-Initiative Desertec waren bisher nur mäßig erfolgreich.


EDITORIAL

Das ist doch kein Zustand!

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ie Arbeit an diesem Heft hat mich verändert. Das ist an sich nichts Besonderes, denn mit jeder Ausgabe, jeder Recherche und Vertiefung in ein neues Thema verändert sich auch der Blickwinkel auf die Dinge. Erkenntnisse hinterlassen Spuren – und das macht diesen Beruf, den einer Journalistin, auch so großartig. Wir dürfen immer dazulernen, Neues in Erfahrung bringen und es dann für die Leser wiedergeben. Wir haben das Privileg, mit Menschen zu sprechen, mit denen wir andernfalls vielleicht nicht in Kontakt gekommen wären. So wie mit Oliver Noelting. Noelting nennt sich Frugalist, und die erste Reaktion, die ich bekommen habe, wenn ich Freunden von dem Interview mit ihm erzählte, war: „Sind das die, die nur Fallobst essen?“ Die Frage ist verständlich, denn die Begriffe Fruganer und Frugalist klingen verdammt ähnlich. Doch handelt es sich bei Fruganern um Menschen, die eine Pflanze nicht beschädigen wollen und deswegen in erster Linie das essen, was diese Pflanze von sich aus hergibt. Ein Frugalist hingegen muss weder Veganer noch Vegetarier sein. Vielmehr lebt er frugal, das heißt bescheiden. Noelting tut das aus freien Stücken, einfach weil er für sich erkannt hat, dass er nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Nun ist „viel“ naturgemäß ein weiter Begriff: Besitzt jemand viel, der in einer großen Altbauwohnung wohnt, der dreimal im Jahr eine Fernreise unternimmt und f e b ruar 20 20

konsumieren kann, ohne ein Haushaltsbuch führen zu müssen? Oder ist „viel“ schon das Dach über dem Kopf, genügend Essen und Kleidung und eine (Wahl-)Familie, die uns auch in dunklen Stunden zum Lachen bringt? Noelting führt ein digitales Haushaltsbuch, lebt mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung, spart zum Teil bis zu 70 Prozent seines Einkommens und wirkt dabei glücklich. Und: Er wird im Alter von etwa 40 Jahren so viel Geld gespart und in Fonds angelegt haben, dass er nicht mehr arbeiten müsste. Er kann dann aus freien Stücken wählen, ob er einer klassischen Erwerbsarbeit nachgehen oder lieber mehr Zeit mit seiner Freundin und Tochter verbringen möchte. Und noch dazu erleichtert es ihm der Frugalismus, ein nachhaltiges Leben zu führen. Schließlich konsumiert ein bescheidener Mensch weniger, wodurch auch weniger Müll entsteht. Und an dieser Stelle wird es spannend: Versuchen Sie doch mal einen Monat genau aufzuschreiben, wofür Sie Ihr Geld ausgeben. Notieren Sie 30 Tage lang wirklich jede noch so kleine Ausgabe. Die Liste hilft enorm dabei, herauszufinden, was man wann und wie wirklich braucht. Manches ist am Ende womöglich nur Ersatz für etwas, das sich gar nicht kaufen lässt. Vielleicht ein Ersatz für das Fehlen einer Freizeitbeschäftigung, der man als Kind nachgegangen ist und die mit dem Erwachsenendasein in Vergessenheit geriet. Denn manchmal laufen wir nur

einer Vorstellung unseres Lebens hinterher, die gar nicht unsere ist. So erging es auch Janine Steeger, ehemalige Moderatorin von RTL Explosiv. Steeger hatte all das erreicht, wovon sie schon als Jugendliche träumte: Mit dem beruflichen Erfolg konnte sie sich alles leisten, wonach ihr der Sinn stand. Sie flog spontan übers Wochenende nach Barcelona, mietete eine größere Wohnung und kaufte Dinge, die sie nicht einmal brauchte. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und nach der Geburt ihres Sohnes kamen die Sinnkrise und mit ihr die Fragen: Was mache ich hier eigentlich? Erfüllt mich das alles? Heute ist sie Umweltaktivistin, arbeitet schon seit Jahren nicht mehr für RTL und findet immer neue Wege, um nachhaltiger zu leben. Warum diese beiden Beispiele, das von Oliver Noelting und das von Janine Steeger, so spannend sind? Weil es sich um Menschen handelt, die – wie wir alle – auf der Suche sind. Nur dass sie diesen Weg bewusst, selbstbestimmt und reflektiert gehen. Leben ist eben kein Zustand, es ist ein Prozess. Sind wir uns dessen bewusst, verändern wir uns. Nachhaltig.

Hannah Petersohn, Chefredakteurin Human Resources Manager

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MEINUNG 5

Editorial

Der Klimawandel ist das

8 Meine Arbeitswelt Katja Nettesheim wollte als Kind Feuerwehrfrau werden. Das Büro der heutigen Expertin für Digitales liegt heute immerhin direkt neben einer Feuerwehr

Ergebnis eines ungebremstenWachstums. Aber wie könnte ein grüner Kapitalismus aussehen?

10 Debatte aktuell Rechtsanwalt Markus Mingers über die Pflichten für Arbeitgeber angesichts der CoronaVirus-Pandemie SCHWERPUNKT: NACHHALTIGKEIT

14 Vertrauen in Teams Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius über die zehn Gebote guter Beziehungen 18 Wider die Technikangst! Warum wir den technologischen Fortschritt nicht fürchten müssen, erklärt der Physiker und Philosoph Lars Jaeger

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Beraterin Katja Nettesheim hilft Unternehmen bei der digitalen Transformation und fährt am liebsten mit

22 Das grüne Unternehmen Bewerber achten zunehmend darauf, ob Unternehmen im Einklang mit Mensch und Umwelt stehen 26 Das nachhaltige Büro Das Social-Business-Magazin Enorm hat sechs Anregungen für Personaler zusammgestellt 30 Kein Ehrenamt Welche Aufgaben hat eigentlich ein Nachhaltigkeitsmanager? 32 Brachliegende Potenziale Der Neurobiologe Gerald Hüther findet, dass Nachhaltigkeitsmanager überflüssig seien. Ein Interview

dem Rad durch Berlin

38 Schlechtes Klima Junge Menschen fordern auch von Unternehmen umweltbewusstes Handeln. Das wirkt sich auf die Personalplanung aus 42 Kapitalismus in Grün Kann Wachstum nachhaltig sein? Ein Essay

48 Entrepreneurs for Future Hilft die Initiative den Unternehmen wirklich dabei, grüner zu werden? 52 D ie Rente mit 40 Wer träumt nicht davon? Im Gespräch mit einem Frugalisten 56 D ie Macht der Neo-Ökos Eine Zukunftsforscherin über den neuen grünen Zeitgeist 62 Die Unbestechlichen Im Sinne einer Nachhaltigkeitsstrategie muss Korruption langfristig unterbunden werden. Doch wie? 66 Nachhaltig integrieren Millionen Menschen mussten seit 2015 aus ihren Herkunftsländern fliehen. Wie können sie auf dem Arbeitsmarkt integriert werden? Zwei Beispiele 70 Früher RTL, heute Green Janine Ein Interview mit der ehemaligen Boulevard-Journalistin Janine Steeger

Fotos: Getty Images, Kasper Jensen

13 Schnappschuss Die Diversity-Strategie des Oscar-Preisverleihers lässt zu wünschen übrig


INHALT

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IM FOKUS: EMPLOYER BRANDING 74 Cleveres Reboarding Wie ein gelungener Wiedereinstieg von Mitarbeitern aussieht, die längere Zeit ausgefallen sind

Sind die Partner von Expats unglücklich, kündigen die entsendeten Mitarbeiter oft vorzeitig

78 Bitte keine Stockfotos! Tipps für die optimale Karriere-Website

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Ein Frugalist spart über die Hälfte

ANALYSE 80 Nicht ohne meinen Partner Recruiter kümmern sich um die Bedürfnisse der Expats, vergessen dabei aber immer wieder die Ehe- und Lebenspartner 83 Der bescheidene Manager Der Manager der Zukunft agiert als bescheidener Revolutionär

101 Editorial

seines Einkommens, um schon früh in Rente gehen zu können

VER B AN D

86 Gläserne Feedbackkultur Das Start-up WorkGenius hat ein Feedback-Tool eingeführt. Ein Bericht über Hürden und Erfolge

P RAXI S 90 Sieben Gedanken Das passiert, wenn zwei Menschen gleichzeitig an einer Aufgabe arbeiten 92 Rezension Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun feiern die Lust am Dissens

102 Die sieben HR-Trends 2020 Zwischen Purpose und Prepare 106 Diversität und Inklusion Der BPM gründet eine neue Fachgruppe 107 Drei Fragen an ... Cawa Younosi und Katharina Schiederig 108 Vom Problem zum Prototypen Praxisbericht zu den Employee Experience Design Workshops 109 Alles im Wandel Ein Auszug aus der Eröffnung des Fachgruppentages Change

RE CHT LETZ TE SEITE 94 Aktuelle Urteile Foto: picture alliance (2)

96 Essay Wie HR mit der neuen CSRBerichtspflicht umgehen kann

110 Fragebogen Hans-Peter Benedikt, Dekan an einer der grünsten Universitäten Deutschlands, hat seinen Lebensstil radikal gewandelt

99 Impressum f e b ruar 20 20

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MEINUNG

Meine Arbeitswelt Katja Nettesheim ist Gründerin und Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Mediate mit Sitz in Berlin-Mitte. Nettesheim unterstützt Unternehmen bei der digitalen Transformation und gibt selbst ihrem Dönerverkäufer hin und wieder Digitalisierungstipps.

Meditation am Morgen Wenn ich meine Kinder in die Schule gebracht habe – die zum Glück nah an meinem Büro ist –, ist es oft 8.38 Uhr. Ich habe also noch 22 Minuten, bis meine Kollegen eintreffen. Diese Zeit nutze ich für ein Mediationsprogramm, das tatsächlich auch nur 22 Minuten andauert. Ich lasse das Licht immer ausgeschaltet und sitze – den Mantel lasse ich an, damit es schnell geht – auf unserem Sofa und entspanne mich. Wenn ich nicht meditiere, hole ich mir Energie durch Singen – aktuell am liebsten „Hungriges Herz“ von Mia oder „Hello“ von Lionel Richie. Ich bin nämlich jeden zweiten Mittwochabend in einem Chor.

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Meine Wochenplanung Als Juristin gelte ich laut Studienlage als Heavy User in Bezug auf meinen Papierverbrauch. Das stimmt tatsächlich. Auch unsere Deadlines und Ziele in Form von Objectives & Key Results hängen ausgedruckt neben meinem Schreibtisch im Büro. An der Steinbeis-Hochschule habe ich übrigens keinen eigenen Schreibtisch, da ich meine Vorlesungen in wechselnden Städten halte. Wichtiger ist mein Schreibtisch zu Hause. Dort kümmere ich mich am Abend oft um verbleibende berufliche Aufgaben, plane und priorisiere meine Aufgaben für den nächsten Tag und schreibe sie auf meinen Tages-Post-it.

hungsprozess für dieses Programm, mit dem Unternehmen ihre Führungskultur via App modernisieren können.

Meine Lieblingsapp Wir benutzen natürlich alle gängigen Anwendungen wie Outlook, Trello und Slack. Die App, die ich momentan am meisten nutze, ist aber unsere eigene: Culcha. Denn wir sind gerade mitten im nervenaufreibenden Entste-

Eine neue Form von Führung Auch ich verändere mich gerade sehr, denn die Neuerfindung von Culcha hat zur Folge, dass ich uns quasi selbst kannibalisiere: Wir transformieren unsere Arbeit von zeit- zu technologiebasiert. Und das geht nur mit viel gegenseitigem Verständnis und Vertrauen, mit konstanten Werten, geschärftem Sinn,

Fotos: Kaspar Jensen

Redaktionelle Mitarbeit Jeanne Wellnitz


MEINUNG

Motivation – und meinerseits auch Loslassen: Früher habe ich, wenn es gebrannt hat, die Nacht durchgearbeitet. Heute muss unser Tech-Team – hier Chief Technical Officer Robert und unsere Product Managerin Maria – die Dinge lösen. Meine einzige Aufgabe in dem Moment ist, ihnen nicht auf die Nerven zu gehen. Unser Spardosen-Einhorn Das Einhorn auf dem Tisch haben wir vor einiger Zeit in einer Zu-verschenken-Kiste auf der Linienstraße gefunden. Ich stecke dort immer Geld hinein,

wenn wir einen Vertrag abschließen – und damit feiert dann das ganze Team, mal im Büro, mal auch außerhalb. Mein Fahrrad Ich fahre morgens mit dem Auto zur Arbeit, weil ich meine beiden Töchter zur Schule bringe. Für kurze Wege zu Terminen nehme ich jedoch am liebsten mein Fahrrad. Ich fahre wahnsinnig gern die Linienstraße entlang, die wie mein Zuhause ist – ich kenne dort nahezu jeden aus den umliegenden Geschäften. Direkt neben meinem Büro ist eine Feuerwehr. Das ist ein lustiger Zufall, denn als Kind wollte ich Feuerwehrfrau werden. Der Dönerladen Mittags gehe ich am liebsten um die Ecke zum Kebab Baba und kaufe meine Spezialzusammenstellung: wenig Fleisch, viel Gemüse und Schafskäse. Ich bilde mir ein, das sei fast so gesund wie Salat. Selbst dem Inhaber gebe ich manchmal Tipps, wie er sein Geschäft digitalisieren kann, indem er

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zum Beispiel per Whatsapp Sammelbestellungen aus den umliegenden Büros aufnimmt und dann durch ein Familienmitglied ausliefern lässt.

Katja Nettesheim ist Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Beratungsunternehmens Mediate und des Start-ups Culcha. Die Juristin lehrt zudem als Professorin zu Themen rund um die digitale Transformation und Start-ups an der Steinbeis-Hochschule und ist in mehreren Aufsichtsräten und Beiräten vertreten.

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MEINUNG

DEBATTE

AKTUELL

Coronavirus: Was Personaler wissen müssen

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Foto: Picture Alliance/ZUMA Press

DEBATTE

AKTUELL MEINUNG

Ein Interview von Hannah Petersohn

Die Angst einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist groß. Die Anzahl der Neuinfektionen und Todesfälle nehmen weltweit rasant zu. Der Rechtsanwalt Markus Mingers über die Pflichten der Arbeitgeber angesichts der drohenden Pandemie.

Herr Mingers, welche Folgen hat die Ausbreitung des Corona-Virus für unseren beruflichen Alltag? Aufgrund von Verdachtsfällen könnte es zu Ausfällen von Kollegen kommen. In einem solchen Fall greift die allgemeine Treuepflicht von Mitarbeitern: Das heißt, gesunde Angestellte können zu Überstunden verpflichtet werden, die aufgrund eines „unvorhersehbaren Notfalls“, also zum Beispiel mit dem Ausfall von Kollegen, notwendig geworden sind. Es starben bisher wesentlich mehr Menschen an den Folgen der Grippe als am Corona-Virus. Dürfen Angestellte dennoch aus Angst vor einer Infektion mit dem neuen Virus der Arbeit fernbleiben? Grundsätzlich dürfen das Angestellte erst dann, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar ist. Präventive Gründe reichen nicht aus. Es müssen schon konkrete Gefahren vorliegen. Es sei denn, das Unternehmen hat sich trotz Aufforderung einer Gesundheitsbehörde oder des Betriebsrats geweigert, schützende Maßnahmen vorzunehmen. Dann dürfen Angestellte der Arbeit fernbleiben. Dürfen Arbeitnehmer die Dienstreise in betroffene Regionen verweigern? Nein, grundlos geht das nicht. Der Arbeitgeber muss zwischen beruflichen Interessen und seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Mitarbeiter abwägen. Die Fürsorgepflicht wäre nicht

erfüllt, wenn der Angestellte in jene Gegenden Chinas entsendet werden würde, für die eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorliegt. Verweigert ein Mitarbeiter eine Dienstreise allerdings aus nicht nachvollziehbaren Gründen, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben und sogar zu einer Kündigung führen. Ist es Angestellten erlaubt, den direkten Kontakt mit chinesischen Kollegen zu verweigern? Immerhin haben sich Mitarbeiter in Bayern bei einer chinesischen Kollegin angesteckt. Nein, denn ohne wesentliche Anhaltspunkte für eine Erkrankung haben Angestellte kein Recht darauf, den Kontakt mit chinesischen Kollegen zu verweigern. Wesentliche Anhaltspunkte wären beispielsweise der Herkunftsort oder das Aufzeigen von Symptomen. Darf der Arbeitgeber Homeoffice anordnen, wenn die Gefahr einer Ansteckung zu groß wird? Das darf der Arbeitgeber nur, wenn eine solche Regelung im Arbeitsvertrag besteht und auch ein Arbeitsplatz zu Hause vorhanden ist. Müssen Angestellte, die sich mit dem Virus infiziert haben, ihrem Arbeitgeber die Diagnose mitteilen? Normalerweise nicht, weil Krankheiten datenschutzrechtlich hochsensibel sind. Bis jetzt besteht laut dem Infektionsschutzgesetz nur eine Meldepflicht des Arztes an das zuständige Gesundheitsamt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass aufgrund der allgemeinen

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Sicherheit auch eine Meldepflicht an den Arbeitgeber beschlossen wird. Welche Vorsorge muss der Arbeitgeber angesichts der drohenden Pandemie treffen? Die generelle Fürsorgepflicht des Arbeitgebers betrifft auch die Prävention von Krankheiten. Darunter fallen vor allem die Aufklärung über Risiken und Symptome sowie die Aufsicht über die Einhaltung von Hygiene- und Gesundheitsvorschriften. Bei akuter Gefährdung und Bedarf muss auch ein Mundschutz bereitgestellt werden. Besteht der Verdacht, dass sich ein Mitarbeiter infiziert hat, sollte eine ärztliche Untersuchung angeordnet werden.

Markus Mingers ist Inhaber der Kanzlei Mingers Rechtsanwälte sowie Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften. Er ist Experte für Verbraucherschutz, Arbeitsrecht, Bank- und Kapitalmarkt sowie Gesellschaftsrecht.

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MEINUNG

Ein Gastbeitrag von Lars Jaeger

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Gegenüber neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz, Big Data und Geningenieuren fühlt sich der Mensch mitunter ohnmächtig. Vor allem seitdem er selbst zum Gegenstand technischer Optimierung geworden ist. Warum wir den technologischen Fortschritt nicht fürchten müssen, erklärt der Physiker und Philosoph Lars Jaeger.

Foto: picture alliance/Everett Collection

Who’s Afraid of Technology?


MEINUNG

Der Iron Giant, ein Roboter aus dem Science-Fiction-Animationsfilm „Der Gigant aus dem All“ (1999), wird vom Militär gejagt, weil die Menschen denken, er sei feindselig. Einzig der neunjährige Junge Hogarth erkennt, dass die Kreatur friedfertig ist.

• können Querschnittsgelähmte durch die Medizintechnik wieder gehen • können Roboter allein mit Hilfe von Gedanken gesteuert werden • konnten im Tierversuch Gehirne zusammengeschaltet werden, so dass sie wie ein einziges Denkorgan agieren • konnte Fleisch künstlich hergestellt und mit 3-D-Druckern ausgedruckt werden

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in erstaunlicher Widerspruch prägt unsere Zeit: Immer mehr Menschen führen ein Leben in höchstem Komfort, in nahezu absoluter Sicherheit und mit einem beispiellosen Maß an Gesundheit bis ins hohe Alter. Gleichzeitig denken die meisten, der Zustand der Welt sei schlecht. Für beide Szenarien ist derselbe Auslöser verantwortlich: der wissenschaftliche und technologische Fortschritt. Uns beherrscht eine bequeme, aber blinde Technikgläubigkeit. Wir genießen den Luxus von Autos, Computertomografie und automatischer Abwasserentsorgung, vertrauen auf Smartphone, digitale Datenkommunikation und fürchten zugleich die technologische Zukunft. Doch bereits jetzt: • können Roboter so groß wie Viren, sogenannte Nanobots, in lebenden Organismen eingesetzt werden, um dort beispielsweise Krebszellen zu bekämpfen oder gezielt Medikamente zu verabreichen f e b ruar 20 20

Wissenschaft und Technologie haben in den vergangenen 250 Jahren unsere Umwelt und Lebensbedingungen tief greifend verändert, während unser biologisches und psychisch-geistiges Fundament weitestgehend unverändert geblieben ist. Doch nun wird der Mensch zum ersten Mal in der Geschichte selbst zum Gegenstand technologischer Entwicklungen. In der Fortschrittsdynamik stehen wir an einem Punkt, an dem Bio-, Gen-, Quanten- und Neurotechnologie den Menschen und die menschliche Zivilisation in bisher unvorstellbarer Weise transformieren und unser Selbst- und Menschenbild sowie die Spielregeln unseres Lebens und Zusammenlebens entscheidend verändern. Auf uns wartet also nicht nur eine weitere industrielle Revolution, von denen es schon einige gab, vielmehr müssen wir uns auf eine erste Revolution des Menschseins an sich einstellen, eine Umdrehung dessen, was uns Menschen im Innersten ausmacht. Sie entscheidet über unsere Zukunft als Menschen. Um nicht vom Fortschritt überrollt zu werden, müssen wir Antworten auf viele Fragen finden. Hier sind nur einige davon: • Welche Folgen sollen künstliche Intelligenz, Big Data und eine vollständige elektronische Datenüberwachung für unsere Gesellschaft haben und welche nicht? • Wie vermeiden wir es, mit der zunehmenden digitalen Vernetzung zu manipulierten Zombies ohne eigenen Willen zu werden? • Was bedeutet es für die Identität eines Menschen, wenn er das Ergebnis einer genetischen Optimierung ist? 19


TITEL 

NACHHALTIGKEIT


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Das grüne Unternehmen Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

Nachhaltigkeit gewinnt für Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Schließlich achten Bewerber verstärkt darauf, ob das Management im Einklang mit Mensch und Umwelt steht. Worauf Unternehmen dabei achten sollten

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lobale ökologische oder wirtschaftliche Krisen gehören beinahe zur Tagesordnung. Die Menschen reagieren auf die täglichen Nachrichten häufig entweder desinteressiert, mit Abwehr – oder sie gehen auf die Straße. Eine ganze Generation fordert mittlerweile von Politik und Wirtschaft mehr Klimaschutz. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit sind ein fester Bestandteil unserer Debattenkultur geworden, das Bedürfnis nach einer veränderten Wirtschaftsform wächst. Diese Sehnsucht nach Veränderung bekommen auch hiesige Unternehmen zu spüren. Teile der Gesellschaft erwarten eine umweltbewusste Haltung, sie wünschen sich, dass die Konzerne soziale Verantwortung übernehmen. Wer gegensätzlich handelt, ist oft mit Demonstrationen vor der eigenen Tür konfrontiert. Doch die aktuelle Logik der Unternehmenslenker lautet oft: Um Kapital zu mehren, muss Nachhaltigkeit hintangestellt werden. In gängigen Theorien der Betriebswirtschaftslehre gelten die Maximierung von Gewinn und die Rentabilität des Wirtschaftens als erstes Ziel. Zwangsläufig kommt heute dabei die Frage auf: Können ökonomische Grundsätze mit nachhaltigen Aspekten Hand in Hand gehen?

Foto: Getty Images/Ramdan_Nain

Gewinnmaximierung versus Nachhaltigkeit „Unternehmen sind nicht pauschal als reine Gewinnmaximierer zu betrachten“, sagt Sibylle Olbert-Bock. Sie ist Professorin und Leiterin des Kompetenzzentrums Leadership und Personalmanagement an der FHS St. Gallen. Sie sagt, es gebe durchaus Ansätze, bei denen der Gewinn nicht mehr an oberster Stelle stehe. So sei bestimmten Firmen die Ökologie derart wichtig geworden, dass sie ihre Ausrichtung entf e b ruar 20 20

sprechend veränderten. Olbert-Bocks Einschätzung nach sind es oftmals mittelständische Unternehmer, denen ihre Umweltziele nicht nur sehr bewusst sind, sondern die sie auch verfolgen. Darüber hinaus sei mit ökologischen Zielen in manchen Bereichen sogar mehr Gewinn zu erreichen. Als Beispiel nennt sie die Lebensmittelbranche, in der das Thema Nachhaltigkeit für Kunden an Relevanz gewinnt, was sich wiederum in deren Zahlungsbereitschaft zeige. Ökonomische Motive seien heute nicht der einzige Erfolgsfaktor für Unternehmen, sagt auch Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Die Digitalisierung, die Globalisierung und nicht zuletzt der Klimawandel haben spürbaren Einfluss auf unsere Form des Wirtschaftens. Damit verändere sich auch die Verantwortungsdimension für die deutsche Wirtschaft. Ob Kunden, Beschäftigte oder Investoren: Viele von ihnen achten verstärkt darauf, unter welchen Bedingungen Unternehmen Produkte herstellen und Leistungen erbringen. Böhning glaubt nicht, dass sich Ökonomie und Ökologie gegenseitig ausschließen. Vielmehr müsse ein zukunftsfähiges Unternehmen beide Aspekte im Blick haben. Verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln sei kein moralisches Feigenblatt, sondern ein strategisches Vorgehen des Managements. Damit wiederum könnten sich Unternehmen – sofern das Engagement glaubwürdig sei – handfeste Wettbewerbsvorteile sichern.

Preis für Nachhaltigkeit Nachhaltiges Verhalten kann sich im unternehmerischen Kontext vielfältig äußern. Im Fokus stehen oft das Umweltmanagement und die Übernahme von sozial-gesellschaft23


TITEL

NACHHALTIGKEIT

Sechs Tipps für das grüne Büro Ein Beitrag der Enorm-Redaktion

Wie lässt sich der Büroalltag umweltbewusster und gesünder gestalten? Sechs Anregungen für Personaler

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Tipp 1 – Mobilität Ein entscheidender Faktor, um Emissionen zu vermeiden, ist der Dienst- beziehungsweise Arbeitsweg. Jede Strecke ohne Auto ist eine umweltfreundlichere: Nutzen Sie also Fahrrad, Bus und Bahn. Das ist statistisch betrachtet auch deutlich sicherer, als mit dem Auto zu fahren. Allerdings ist Bus nicht gleich Bus und Bahn nicht gleich Bahn. Die regionalen Verkehrsbetriebe steigen erst nach und nach auf Elektrofahrzeuge um und verursachen nach dem Auto die meisten Emissionen pro Personenkilometer. Besser schneiden laut Bundesumweltamt hingegen Straßen- und U-Bahnen ab. Für Dienstreisen sind die Bahn und insbesondere Fernbusse deutlich besser und klimaschonender als das Auto. Leider schafft es auch die Deutsche Bahn nicht, ihren Energiebedarf ausschließlich aus regenerativen Quellen zu decken. Die Eisenbahner sind aber auf einem guten Weg. Wer unbedingt fliegen muss und will, sollte Zertifikate zur Kompensation kaufen. Via atmosfair.de lassen sich mit einer Spende Klimaschutzprojekte unterstützen und damit die sogenannten Zertifikate erwerben. Der Arbeitgeber kann mit Jobtickets und Dienstfahrrädern schnell das Bewusstsein seiner Mitarbeiter im Sinne der Nachhaltigkeit schärfen. Es gibt mehr und mehr Sharing-Lösungen, die sich lohnen. Man kann neben den großen Anbietern ruhig auch nach lokalen Anbietern suchen. Der ein oder andere Weg zu Fuß schadet übrigens auch nicht. Wer bewusst auf den Fahrstuhl verzichtet und Treppen steigt, schont die Umwelt und spart nebenbei den Mitgliedsbeitrag für das Fitnessstudio.

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Tipp 2 – Wohlbefinden Nachhaltiges Arbeiten bedeutet auch gesundes Arbeiten. Deswegen sollten Büros keine sterilen Boxen sein, sondern durch den Einsatz von warmen Farben, einer angenehmen Beleuchtung und Zimmerpflanzen bestenfalls vom Team selbst gestaltet werden. Pflanzen spenden außerdem Feuchtigkeit und sorgen für ein besseres Raumklima. Ständiges Sitzen und Starren auf Computerbildschirme führt zu Müdigkeit und Rückenschmerzen: Durch in der Höhe verstellbare Schreibtische ist schon viel dagegen getan. Außerdem können Büros auch so gestaltet werden, dass man zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen wechseln kann. Das sorgt nicht nur für mehr Bewegung, sondern auch für mehr Abwechslung und eine höhere Konzentration. Der Alltagsstress ist so hoch, dass man vergisst, auf seinen Körper zu achten? Es gibt mehrere Apps wie Water Time, Rückendoc und Atmosphere, die mehrmals täglich daran erinnern, dass man seine Sitzposition verändern, einen kurzen Spaziergang machen oder etwas trinken sollte. 27


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NACHHALTIGKEIT

Nur durch ein liebevolleres Miteinander können Menschen ihr Potenzial entfalten. Dann würden sie sich laut Gerald Hüther

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auch nachhaltiger verhalten.

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Foto: Getty Images / amenic181

Entfaltung kommt vor Erhaltung Ein Interview von Jeanne Wellnitz

Wie kann ein Nachhaltigkeitsmanager die Mitarbeiter erreichen, wollten wir von Gerald Hüther wissen. Doch bevor der Neurobiologe darauf antwortet, erklärt er, dass dieses neue Jobprofil eigentlich völlig überflüssig sei.

Herr Hüther, der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist en vogue, jedoch unscharf definiert. Somit ist gewissermaßen auch der Titel „Nachhaltigkeitsmanager“ wenig konkret, oder? Allerdings! Er bedeutet nichts weiter, als dass man dafür sorgt, dass etwas so bleiben kann, wie es ist. Einem Waffenproduzenten ist auch daran gelegen, nachhaltig zu produzieren. Es ist ein irreführender Begriff, weil er von jedem benutzt werden kann als Rechtfertigung für sein gegenwärtiges und künftiges Tun. Dem Begriff fehlt sozusagen die inhaltliche Komponente, die deutlich macht, dass es um die Nachhaltigkeit menschlicher Existenz auf diesem Planeten geht und ums Überleben und um die Fähigkeit, unsere Potenziale zu entfalten im Einklang mit der Vielfalt des Lebendigen. Wie sollten wir Nachhaltigkeitsmanager stattdessen nennen? Es müsste ein Wort oder eine Um-

schreibung sein, die auch die Herzen der Menschen berührt. Ich würde sagen, es geht dabei um einen liebevollen Umgang mit uns selbst und mit unserem Planeten. Stellen Sie sich nun einmal vor, ein Nachhaltigkeitsmanager müsste sich selbst so umschreiben! Das wäre plötzlich eine ganz andere Aufgabenstellung, als die Dinge so zu managen, dass das Geschäft so weitergehen kann wie bislang. Wie kann die Nachhaltigkeit, die Sie meinen, Teil einer Unternehmenskultur werden? Die Nachhaltigkeit, von der ich spreche, entsteht automatisch, wenn Menschen sich in ihrem Zusammenleben wohlfühlen. Das sind dann sogenannte Potenzialentfaltungsgemeinschaften. Sie sind immer nachhaltig, denn man kann sein Potenzial nicht auf Kosten anderer Lebewesen entfalten. Mit dem Organisationsberater Sebastian Purps-Pardigol haben Sie sich vor

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Jahren auf die Suche nach solchen Unternehmenskulturen begeben. Was haben Sie bei Firmen wie dm, Weleda, Phoenix Contact oder Eckes-Granini beobachten können? Wir konnten miterleben, wie eine Kultur des Miteinander funktioniert. Es geht dabei nicht um ein funktionales Miteinander, sondern darum, dass die Menschen anfangen, sich gegenseitig zu mögen – sie tun alles dafür, um sich zu unterstützen. Diese neue Art des Umgangs verändert die Menschen von innen. Sie fangen an, sich selbst zu mögen. Und wenn sie das tun, passen sie auch mehr auf, dass sie die Natur und die Lebensräume dieser Erde nicht weiter zerstören. Die junge Generation scheint dafür sensibilisierter zu sein als ältere Semester. Wir erleben im Augenblick eine heftige Transformation und die meisten Menschen sind sich nicht darüber 33


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NACHHALTIGKEIT

Schlechtes Klima für die Wirtschaft

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Ein Beitrag von Mirjam Stegherr

Foto: Getty Images / ABB Photo

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Die junge Generation fordert Klimaschutz und langfristige Pläne für die Zukunft der Welt. Ihr eigenes Leben plant sie eher kurzfristig. Wenn Unternehmen junge Menschen halten wollen, brauchen sie nachhaltige Personalstrategien.

ie sind immer online, fordern Flexibilität und gehen jeden Freitag für das Klima auf die Straße: die Generation Z, Schüler und Absolventen, kurzum: die zukünftigen Arbeitnehmer. Unternehmen investieren Millionen in Studien, um herauszufinden, wie diese neue Generation tickt, ob Y oder Z. Ethik statt Status bestimme ihren Konsum, hat die Unternehmensberatung McKinsey ermittelt. Sinnhaftigkeit sei ihr Anspruch im Job, so eine Studie des Beratungsunternehmens Deloitte. Die große Frage, die sich Personalverantwortlichen stellt, ist, wie man junge Leute gewinnt und hält. Denn die neue Generation scheint zwar sehr an Nachhaltigkeit interessiert zu sein, ihre eigene Karriere aber plant sie lieber kurzfristig. Nur jeder Fünfte der Generation Z kann sich vorstellen, länger als fünf Jahre beim aktuellen Arbeitgeber zu bleiben. Bei den Millennials, die in der Regel schon länger im Job sind, sind es knapp doppelt so viel. Trotzdem will jeder Zweite innerhalb der nächsten zwei Jahre wechseln. Der Wandel gehört für sie zum Programm. Das sind Erkenntnisse aus einer weltweiten Studie von Deloitte. Ein Stück weit sind das Stereotype. Aber: „Es deckt sich mit unseren Erfahrungen, dass die Generationen Y und Z ungeduldiger werden und von ihren Arbeitgebern mehr fordern“, sagt Jens Plinke, verantwortlich für Employer Branding bei Deloitte. Das kann mobiles Arbeiten sein, eine Vier-Tage-Woche, besseres Feedback, Geld oder eine sinnvollere Tätigkeit. Egal welche Forderung es ist: Der Markt spielt ihnen in die Hände. Denn in vielen Bereichen werden Fachkräfte dringend gesucht. Prozesse werden digital, doch fehlen die Kräfte, die die Digitalisierung stemmen. Die Babyboomer gehen in Rente, die f e b ruar 20 20

Lage verschärft sich also zusätzlich. „Der Druck auf Unternehmen steigt, sich intensiver damit zu beschäftigen, was Talente heute wollen“, sagt Plinke. Und das machen sie.

Hohe moralische Standards In Stellenausschreibungen bedienen Unternehmen Buzzwords, die laut Studien neuen Generationen wichtig sind: Ein Marktforschungsunternehmen wirbt mit „hohen moralischen Standards“ und „flachen Hierarchien“. Ein TechStart-up setzt auf ein „stylisches Wohlfühlbüro“ und den „monatlich wechselnden Feel Good Manager“. Und eine PR-Agentur bietet „besonders geistreiche und sinnhafte Themenfelder“. Um junge Talente anzuwerben, hat Volkswagen 2019 die Recruiting-Kampagne „New People for New Volkswagen“ gestartet. Das Unternehmen will vor allem Fachkräfte gewinnen, bei denen es bisher als Arbeitgebermarke nicht präsent ist: IT- und Digitalisierungsexperten, die es eher nach Berlin zieht und die nach Wolfsburg pendeln können – natürlich mit dem Zug. Auf der Website steht, dass VW nicht nur Autos bauen, sondern „die Mobilität revolutionieren“ will: „elektrisch, digital, intelligent und nachhaltig“. Wer Wert auf Nachhaltigkeit lege, könne gerade bei Volkswagen viel bewegen, sagt Andrea Morgan-Schönwetter, Leiterin Recruiting & Talent Marketing: „Wenn wir etwas verändern, hat das große Auswirkungen. Und gerade jungen Leuten geht es darum, dass ihre Arbeit Sinn und Wirkung hat, einen Wert für sie und für die Gesellschaft.“ Plattformen wie „Goodjobs“ und „Greenjobs“ bauen genau darauf auf und 39


TITEL

NACHHALTIGKEIT

Ein Beitrag von Anna Kröning

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Der Klimawandel ist unbestritten. Er ist das Ergebnis eines ungebremsten Kapitalismus. Unser Wirtschaftssystem muss sich dringend und schnell verändern, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Doch was würde die notwendige Transformation der Industrie für jeden Einzelnen bedeuten? Und wie kann ein grüner Kapitalismus aussehen?

Foto: Getty Images / LoulouVonGlup (2)

Kapitalismus in Grün?


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ie Zukunft sieht düster aus. Die Meeresspiegel steigen, Hitze und Dürre nehmen zu, weite Teile der Erde werden unbewohnbar sein. Um die Erderwärmung aufzuhalten, bleibt nicht mehr viel Zeit. Im Januar 2020 sind es noch 25 Jahre und neun Monate, zeigt die CO2-Uhr des Berliner Mercator-Instituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). Wenn die Menschheit weiter so viel CO2 in die Atmosphäre bläst, steigt die globale Erwärmung um weitere zwei Grad. Fast jeder weiß, dass die Zeit läuft, die CO2-Emmissionen jährlich steigen und ein Ende dieser Entwicklung nicht in Sicht ist. Obgleich schon 1978 die erste Weltklimakonferenz vor den Folgen warnte, ist politisch kaum etwas geschehen. Und die Zeit wird nun immer knapper. Ist Autofahren angesichts dessen noch vertretbar? Kann ich guten Gewissens Fleisch essen? Müssen wir auf Wohlstand und Wachstum verzichten? Die Existenzfrage des Kapitalismus steht im Raum. Innerhalb der Fridays-for-Future-Bewegung bezweifeln linke Gruppen, dass der Kapitalismus eine bevorstehende ökologische Katastrophe noch abwenden kann, schließlich halten sie dessen Wachstumslogik verantwortlich für den

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Klimawandel. Andere sorgen sich, dass der soziale Frieden in Gefahr ist, wenn die aktuelle Marktwirtschaft angezweifelt wird. Denn dass die Leugner des Klimawandels, die zumeist auch Rechtsnationalisten sind, Klimaschützer als Apokalyptiker darstellen, als wirtschaftsfeindliche Ökosozialisten, ist ein ebenso beliebtes wie erfolgreiches Spiel – das auch der amerikanische Präsident perfekt beherrscht. Dabei hatten die Republikaner lange vor seiner Amtszeit den Klimawandel zumindest ernst genommen und versucht, politische Lösungen zu finden. Donald Trumps Lösung scheint in der Leugnung des Problems zu bestehen. Ähnliche Strömungen entwickeln sich auch in Europa, wenn man einmal den Blick nach Frankreich und auf den Gelbwesten-Protest richtet.

Auf dem Weg in die Öko-Diktatur? Vor einer ideologischen und politischen Spaltung beim Thema Klimaschutz warnt auch der Ökonom Rudolf Hickel. Er zählt zu den profiliertesten Volkswirten und Finanzwissenschaftlern Deutschlands, lehrte an der Universität Bremen und ist Mitbegründer der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“. Hickel fürchtet, dass eine „Öko-Diktatur“ die Marktwirtschaft ablösen könnte. Und zwar dann, wenn nicht sehr bald politisch-demokratische Visionen entstehen. „Der Kapitalismus wird die Öko-Krise nicht einfach so überstehen“, sagt Hickel. Die Zeit drängt zu sehr. Man könne nicht abwarten, bis sich der Widerspruch zwischen Wirtschaft und Ökologie von allein auflöse. Marktwirtschaft und Ökologie schließen einander noch aus, lautet Hickels These. Die Wirtschaft werde zuerst gegen die ökologische Transformation kämpfen. Das Dilemma sei, dass ungehemmtes Wachstum zur Vernichtung der Öko-Systeme führe, eine „Öko-Diktatur“ zum Verlust der freien Gesellschaft. „Die schwierige Aufgabe der Zukunft ist also, beides zusammenzuführen: Marktwirtschaft und Ökologie“, sagt er. Grundsätzlich hält Hickel das aber für machbar. „Dafür braucht es den ökologischen Imperativ: Nachhaltigkeit für zukunftswirksame Investitionen.“ Stattdessen würden in Deutschland Firmen für ökologisch irrationales Verhalten belohnt, indem sie die Zerstörung der Umwelt – beispielsweise per CO2-Ausstoß – externalisieren, also an die Allgemeinheit abtreten. Sie bereichern 43


TITEL

NACHHALTIGKEIT

Ein Beitrag von Martin Lechtape

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In Sachen Klimaschutz hat die deutsche Wirtschaft keinen guten Ruf. Einige Unternehmen versuchen das zu ändern – und schließen sich der Initiative Entrepreneurs for Future an. Das lockt potenzielle Bewerber an.

Foto: Picture Alliance / GIAN EHRENZELLER

Entrepreneurs for Greta


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Die 17-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg während einer Fridays-for-Future-Demonstration am letzten Tag des Weltwirtschaftsforums in Davos. Auf der Veranstaltung kritisierte sie die Untätigkeit vieler Unternehmen in Bezug auf den Klimaschutz.

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uf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar vergangenen Jahr stand das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda: Unternehmen wie der multinationale Vermögensverwalter BlackRock gelobten, jetzt endlich alles besser machen zu wollen. Nachhaltig und grün wollten sie sein – allerdings stecken sie seitdem nach wie vor viel Geld in fossile Energien. Klimaaktivistin Greta Thunberg entlarvte in ihrer Rede die leeren Versprechungen der Unternehmen. Die Wirtschaft mache weiter wie bisher, ein Umdenken finde nicht statt. Aber „die Wirtschaft“ lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Einige Unternehmer bekennen sich öffentlich zur Fridays-for-Future-Bewegung und werden selbst aktiv: Im Frühjahr 2019 gründeten mehrere Firmen die Initiative Entrepreneurs for Future. Die Unternehmer solidarisierten sich mit den Schülerprotestlern und unterzeichneten eine Charta, in der sie unter anderem die Mobilitätswende, die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad und einen schnellen Kohleausstieg fordern. Aus der lokalen Initiative ist inzwischen eine bundesweite Bewegung geworden, der nach eigenen Angaben über 4.400 Unternehmen mit insgesamt über 180.000 Angestellten angehören. Auch Mittelständler, Start-ups und Selbstständige haben die Erklärung unterschrieben.

Weg der kleinen Schritte Vanessa Weber ist eine von ihnen. Die Geschäftsführerin des Werkzeugfachhandels Werkzeug Weber in Aschaffenburg versucht schon lange, Nachhaltigkeit in ihren Alltag zu integrieren – auch in der Firma. Weber fährt mit dem E-Bike zur Arbeit, in den Büros ihrer 26 Mitarbeiter werden energiesparende LED-Leuchten verwendet und um Papiermüll zu sparen, werden die Kartons der Lieferanten nicht weggeworfen, sondern wiederverwertet. Eine digitale Ablage soll den Papierverbrauch zusätzlich senken. Den „Weg der kleinen Schritte“ nennt Weber das. Im Jahr 2018 hat das Bundeswirtschaftsministerium sie als „Vorbildunternehmerin“ ausgezeichnet. Seit sie vor 17 Jahren den Betrieb ihres Vaters übernommen hat, habe sich der Umsatz verfünffacht. Mit f e b ruar 20 20

ihrem Engagement bei den Entrepreneurs for Future will Weber zeigen, dass Unternehmen etwas ändern können. Im vergangenen Jahr hat die Unternehmerin Spenden von Firmen aus der Region gesammelt und damit 12.000 Bäume in den Wäldern rund um Aschaffenburg pflanzen lassen. Dieses Jahr sollen weitere 20.000 dazukommen. Außerdem unterstützt sie soziale Projekte in der Stadt: Eine Mitarbeiterin geht zum Beispiel regelmäßig mit ihrem Therapiehund in Altenheime oder Hospize – und Weber gibt ihr dafür frei. „Mein ehrenamtliches Engagement für Umwelt, Klima und Bildung ist mir sehr wichtig“, sagt sie. Das wolle sie auch ihren Mitarbeitern ermöglichen. Das zeigt Wirkung: Es gibt Zeiten, da landen zwei bis drei Initiativbewerbungen pro Woche in Webers Postfach. Von Fachkräftemangel keine Spur. „Einige Bewerber erzählen mir, dass sie in den Medien von meinem Engagement gelesen und sich deshalb bei uns beworben haben“, sagt Weber. Für Stellenanzeigen muss sie kein Geld ausgeben. Braucht sie auch nicht, denn durch ihr Engagement für den Klimaschutz hat Weber eine Arbeitgebermarke geschaffen, die Arbeitskräfte aus der ganzen Region anzieht.

Die Loyalität der Millennials Webers Engagement ist selbst unter den Entrepreneurs for Future eine Ausnahme. Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit widmet sie nur noch dem Umweltschutz. Dafür stellte sie einen Vertriebsleiter ein, der einen Teil ihrer Aufgaben übernimmt, um sie von der Arbeit als Geschäftsführerin zu entlasten. Auch die Mitarbeiter übernehmen nun zum Teil Chef-Aufgaben, schreiben zum Beispiel Angebote oder telefonieren mit Kunden. Das kann sich längst nicht jeder Chef leisten – gerade in kleinen oder mittelständischen Betrieben. Dennoch lohnt sich ein Umdenken, denn vor allem Millennials wollen mit ihrer Arbeit nicht nur Geld verdienen. Laut einer Studie der US-Beratung Cone Communications aus dem Jahr 2016 würden drei Viertel der zwischen 1980 und 2000 Geborenen Einbußen beim Gehalt hinnehmen, wenn das Unternehmen, für das sie arbeiten, sozialökologische Verantwortung übernimmt. Mehr als 80 Prozent der 49


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Wunschlos glücklich

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Ein Interview von Hannah Petersohn

Mit 40 Jahren in Rente gehen – wer träumt nicht davon? Was wie eine Utopie klingt, ist tatsächlich möglich. Der Softwareentwickler Oliver Noelting zeigt, wie es funktionieren kann und welche Rolle dabei die Nachhaltigkeit spielt.

Herr Noelting, Sie sind Frugalist. Das heißt, Sie versuchen so viel Geld wie möglich zu sparen, um mit Ende 30 nicht mehr arbeiten zu müssen. Wie soll das funktionieren? Beim Frugalismus geht es in erster Linie darum, ein möglichst glückliches und erfülltes Leben zu führen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass man nur dieses eine Leben hat und es nicht verschwenden will. Ein weiterer Bestandteil dieser Lebensphilosophie dreht sich darum, möglichst viel Geld zu sparen und in Aktien anzulegen. Ich möchte mich frei fühlen und irgendwann nicht mehr für Geld arbeiten müssen. Fühlen Sie sich denn nicht gerade dann frei, wenn Sie Ihr Geld ausgeben können, ohne darüber nachdenken zu müssen? Das wäre eine trügerische Freiheit. Irgendwann ist jedes noch so große Vermögen aufgebraucht. Glücklich ist nicht, wer viel hat, sondern wer sich wenig wünscht. Ein Frugalist sucht und identifiziert diesen Punkt und setzt sich bewusst Grenzen. Besitz macht niemanden dauerhaft glücklich. Warum macht Besitz nicht dauerhaft glücklich? Weil wir immer wieder neue Glückserlebnisse brauchen. Unser Happiness-Level kehrt immer wieder auf einen Ausgangswert zurück. Jeder Luxus wird irgendwann Standard. Das ist die hedonistische Adaption. Aber wenn grundlegende Bedürfnisse nicht erfüllt sind, ein Dach über dem Kopf fehlt, es an Kleidung oder Nah-

rung mangelt, dann sind Menschen doch unglücklich? Richtig, aber solange die Basisbedürfnisse erfüllt sind, macht es langfristig keinen Unterschied, ob man einen hohen oder einen niedrigen Lebensstandard hat. Häufen Menschen nicht immer mehr Besitz an, um glücklich zu sein und das nach außen auch zu zeigen? Bilder aus sozialen Medien suggerieren ja genau das. Es entstehen aber auch immer mehr Gegenbewegungen wie der Minimalismus. Die Menschen hinterfragen, was sie für ein erfülltes Leben wirklich brauchen. Es gibt einen Trend hin zum bewussten Konsum. Würden Sie sagen, dass der frugale Lebensstil nachhaltiger ist? Wer weniger kauft, schädigt die Umwelt weniger. Das muss beim Frugalismus jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein, denn wenn man seine Ersparnisse für Flugreisen ausgibt, rücken Nachhaltigkeit und Umweltschutz wieder in den Hintergrund. Frugalismus muss nicht zu einem nachhaltigeren Lebensstil führen, aber er macht es einem leichter. Als Softwareentwickler verdienen Sie, laut Ihres Blogs, monatlich etwa 1.800 Euro. Über die Hälfte der Einnahmen legen Sie beiseite. Das hört sich nach Verzicht an. Es fühlt sich für mich ja eben nicht wie ein Verzicht an. Ich muss nicht mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen. Ich ernähre mich vegetarisch. Vieles kaufe ich gebraucht. Wir wohnen in einer

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kleinen Wohnung, wodurch die Nebenkosten gering ausfallen. Ich fahre meist mit dem Fahrrad, spare also das Geld für öffentliche Verkehrsmittel. Und ich repariere defekte Gegenstände, anstatt sie durch neue zu ersetzen. Das kann aber nicht jeder. Das ist aber gar nicht so schwer. Es gibt Anleitungen und Videos im Internet. Wenn ich Dinge repariere, scheitere ich auch mal. Aber so lerne ich etwas über die Gegenstände. Wenn du etwas nicht reparieren kannst, gehört es dir nicht. Aber für eine Reparatur muss man Zeit haben. Und die habe ich, weil ich in Teilzeit arbeite. 24 Stunden in der Woche als Angestellter und etwa vier Stunden wöchentlich als Freelancer. Warum sind Sie Frugalist geworden? Sind Sie eines Tages aufgewacht und haben gedacht: So kann’s nicht weitergehen? Ich habe vor sechs Jahren über meinen damaligen Mitbewohner von Mr. Money Mustache gehört, einem US-Finanzblogger. Er hat so viel gespart, dass er schon früh aufhören konnte zu arbeiten. Ich war erst skeptisch und dachte: Niemand kann mit 30 Jahren in Rente gehen. Das ist doch unrealistisch! Als ich mich dann selbst damit beschäftigt habe, habe ich festgestellt: Doch, das geht. Mir wurde klar, dass ich auch schon mit Mitte oder Ende 30 aufhören könnte zu arbeiten. Und dann wollten Sie sparen. Ja, aber ich war ohnehin nie sonderlich verschwenderisch. Aber ich dachte schon, dass ich mir bestimmte Dinge 53


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Ein Interview von Hannah Petersohn

Trends wie Minimalismus, Veganismus und Frugalismus schießen wie Pilze aus dem Boden. Sie alle eint der Wunsch nach Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit. Die Kulturanthropologin Lena Papasabbas über den grünen Zeitgeist und warum Unternehmen ohne Nachhaltigkeitsstrategie dem Untergang geweiht sind

Frau Papasabbas, Veganismus, Minimalismus, Frugalismus: Der Trend zu alternativen Lebensstilen scheint ungebrochen. Dahinter steht meist die Sehnsucht nach einem bewussten, nachhaltigen und auf das Wesentliche reduzierten Leben. Hat sich der nachhaltige Lebensstil also etabliert? Die Ausdifferenzierung in verschiedene Untertrends ist ein Zeichen dafür, dass der nachhaltige Lebensstil Einzug in unsere Realität gehalten hat. Allerdings stehen hinter jeder Bewegung eine andere Motivation und ein anderer Lebensentwurf. Für die einen geht es um das Wohlbefinden, für die anderen um die Umwelt, für die Dritten steht der Verzicht im Vordergrund. Die genannten Bewegungen lassen sich unter dem Stichwort Neo-Ökologie zusammenfassen. Und dabei handelt es sich sogar um einen Megatrend! Ist ein Trend denn überhaupt noch ein Trend, wenn er im Alltag der Menschen ankommt? Das Thema Umweltschutz hat sich f e b ruar 20 20

manifestiert, so sehr, dass sich sogar Gegenbewegungen entwickelt haben. Und es hat sich noch etwas verändert: Eine junge Aktivistin wie Greta Thunberg stößt länderübergreifend Debatten an und trifft sogar den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Das ist eine völlig neue Erfahrung, die frühere Umweltbewegungen nicht gemacht haben. Unternehmen interessiert es hingegen nicht, wenn Schüler an einem Freitag die Schule schwänzen. Wenn diese Schüler aber in wenigen Jahren eigenes Geld verdienen und andere Konsumentscheidungen treffen, bekommt die Wirtschaft ein Problem. Große Unternehmen versuchen die junge Generation wieder für sich zu gewinnen. Wäre die feste Anstellung eines Nachhaltigkeitsmanagers ein Zeichen in die richtige Richtung? Oder ist Nachhaltigkeit ein Ehrenamt? Es ist eben kein Ehrenamt! Jedes Unternehmen muss sich heute nachhaltig nach innen und außen verhalten. Sie 57


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Die Unbestechlichen

Der Kultfilm zum Thema Korruption „Die Unbestechlichen“ vom Regisseur Brian De Palma aus dem Jahr 1987

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Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

In Unternehmen darf es keinen Platz für individuelle Bereicherung geben – gerade im Sinne einer Nachhaltigkeitsstrategie. Wie der Kampf gegen Korruption langfristig den Erfolg eines Unternehmens sichert

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ine Aufmerksamkeit zum Geburtstag oder die Einladung vom Geschäftspartner zu einer Veranstaltung sind im Arbeitsalltag keine Seltenheit. Manch ein Schenkender betrachtet ein Präsent lediglich als höfliche Geste, andere wiederum verfolgen damit einen Zweck. Beschenkte kommen dabei schon mal in die Bredouille. Schnell gerät eine Reaktion dadurch in die Grauzone. Schließlich kann hinter jeder Zuwendung eine Erwartungshaltung stehen. Es gibt die individuelle Bereicherung jedoch auch auf einer ganz anderen Ebene – dort, wo hohe Summen fließen und Personen ihre Ämter oder Funktionen missbrauchen. Die Fragen bei alledem lauten: Wo beginnt Korruption im Unternehmen und wie lässt sie sich vermeiden? Wer für klare Regelungen sorgt, schafft nicht nur einen Ordnungsrahmen, sondern geht eine ethisch-moralische Verpflichtung ein und wird damit der Corporate Social Responsibility (CSR) im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens gerecht.

Foto: picture alliance/United Archives

Risikopotenziale kennen Korruption in Deutschland findet deutlich seltener statt als in vielen anderen Ländern, sagt Dominik Enste, Leiter der Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) und Geschäftsführer der IW Akademie. Dennoch ergeben sich Schätzungen zufolge hierzulande Umsatzverluste von bis zu 30 Prozent je nach Branche und Unternehmen durch wirtschaftskriminelle Aktivitäten. Besonders häufig komme Korruption in der Baubranche, im Einkauf und Vertrieb sowie bei Amtsträgern vor. „Oftmals beginnt Korruption mit kleinen Geschenken, bei denen der Beschenkte gar nicht merkt, dass er in eine Abhängigkeit gerät“, sagt Enste. Deshalb brauche es in Unternehmen einfache und klare Regelungen. „Die Einführung und Anwendung von Managementsystemen zur Korruptionsbekämpfung vermindert Korruptif e b ruar 20 20

on“, sagt Erich Grünes vom TÜV Rheinland. Das sichere die Einhaltung von Regelungen. Ein Compliance Officer muss zudem dafür sorgen, dass durch externe Zertifizierungen die Systeme zur Korruptionsbekämpfung eingehalten werden. Basis dessen ist eine Norm, die DIN ISO 37001. Die Anforderungen beinhalten unter anderem die Beurteilung von Korruptionsrisiken, die Prüfung der Managementsysteme zur Korruptionsbekämpfung sowie Maßnahmen im Umgang mit Korruption. Wer eine Zertifizierung anstrebt, muss im Unternehmen unter anderem eine Anti-Korruptionspolitik festlegen, Schulungen veranstalten und sich regelmäßig auditieren lassen. Unternehmen, die sich diesbezüglich an den TÜV Rheinland wenden, verfügen bereits über ein gewisses Niveau, sagt Grünes. Der Grund: Sie beschäftigten sich schon länger mit dem Thema. Grundsätzlich müsse sich jede Organisation dem Thema stellen. Es sei dabei besonders wichtig, die Risikopotenziale zu kennen. Korruption spiele an den Stellen eine Rolle, wo jemand unberechtigte Vorteile biete oder annehme.

Moral vorleben Rahmenbedingungen für Mitarbeiter und alle am Unternehmen Beteiligten sind in betrieblichen Compliance-Regelungen festgelegt. Diese gehen üblicherweise über gesetzliche Regelungen hinaus und beinhalten Verhaltensrichtlinien und spezifische Vorgaben. Sie sorgen für ein unternehmensindividuelles Regelwerk. Compliance umfasst oftmals eine Reihe von Themen – Anti-Korruptionsregeln können ein Teil davon sein. Wie sie konkret gestaltet sind, variiert je nach Branche und Unternehmen. Von zu engen Vorgaben und zu strikter Kontrolle rät Wissenschaftler Enste eher ab. Denn gibt es zu viele Regelungen, verlieren die Mitarbeiter die Übersicht. Sie schließen dann lieber keine Geschäfte ab, bevor sie sich strafbar machen. Der Experte hält eine 63


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Hossein Khavari, geboren in Afghanistan, macht in Berlin eine Ausbildung zum Gebäudereiniger.

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Nachhaltig integrieren Ein Beitrag von Kira Pieper

Millionen Menschen mussten seit 2015 aus ihren Herkunftsländern fliehen. Es ist eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben, sie in unsere Gesellschaft integrieren. Doch fehlen Sprachkenntnisse, ist der Aufenthaltsstatus ungewiss oder sind die kulturellen Unterschiede sehr groß, wird die Sache kompliziert.

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ossein Khavari bemüht sich, freundlich zu sein. Bei der Begrüßung beugt er sich lächelnd leicht nach vorne, so als sei er seinem Gegenüber zu tiefem Dank verpflichtet. Nur in unbeobachteten Momenten sieht der 24-Jährige nachdenklich aus. Seine Gedanken scheinen abzuschweifen. Doch spricht man ihn an, ist sofort das freundliche Gesicht wieder da und er beginnt in schnellem, etwas holprigem Deutsch seine Geschichte zu erzählen. „Ich bin in Afghanistan geboren und habe 19 Jahre im Iran gelebt“, sagt Khavari. Seit 2016 sei er in Deutschland. Weshalb er sich Richtung Europa aufgemacht hat, erklärt er nicht. „Ich war monatelang unterwegs“, sagt er. Zu Fuß, mit dem Auto, mit dem Bus, mit dem Schiff  – durch die Türkei, Griechenland, Schweden. Schließlich ist er in Deutschland angekommen. Hier gefalle es ihm sehr gut. Er sei im Iran sechs Jahre zur Schule gegangen. Seine ersten Joberfahrungen habe er aber erst in Deutschland gemacht. „Ich habe zuerst ein Praktikum in der Pflege gemacht und dann in einem Möbelladen gearbeitet“, sagt er. Doch wegen mangelnder Deutschkenntnisse reichte es in beiden Fällen nicht für eine Festanstellung. Erst 2018 fand er bei der Gegenbauer Unternehmensgruppe etwas Längerfristiges. Hier macht er seitdem eine Ausbildung zum Gebäudereiniger. Das sei sein Traumjob. „Ich liebe Sauberkeit.“

Foto: Privat

Größtes Problem: Sprachkenntnisse Hossein Khavari ist einer von vielen Menschen, die seit 2015 in die Bundesrepublik kamen. Ende 2018 lebten 1,1 Millionen anerkannte geflohene Männer und Frauen in Deutschland. Die Mehrzahl von ihnen kommt aus Syrien, gefolgt von Irak und Afghanistan. Die meisten Asylanträge werden laut Arbeitsagentur von jungen Männern gestellt, die jünger als 35 Jahre alt sind. f e b ruar 20 20

Eigentlich ein gutes Alter, denn vor ihnen liegen noch viele Arbeitsjahre. Zumal etliche deutsche Unternehmen dringend Nachwuchskräfte suchen. Doch die Beschäftigungsquote bei Geflüchteten liegt laut Arbeitsagentur gerade einmal bei 25 Prozent. Für ausschließlich deutsche Arbeitnehmer gilt indes eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent. Der Grund für die niedrigere Quote bei Geflüchteten: Meistens führt ihre Jobsuche ins Leere, weil es an Deutschkenntnissen mangelt oder die nötigen Berufsabschlüsse fehlen. Manchmal ist beides der Fall. So steht es zumindest in einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Die Sprache sei tatsächlich oft ein großes Problem, bestätigt Claus Kohls, Personaldirektor der Gegenbauer Unternehmensgruppe. „Wir beschäftigen uns schon seit 60 Jahren mit dem Thema Integration“, sagt er. Dass Menschen aus dem Ausland nach Deutschland kommen und hier Arbeit suchten, sei kein Phänomen, das erst seit 2015 Einzug gehalten habe. Als in den Sechzigerjahren Vollbeschäftigung herrschte und Gastarbeiter aus Südeuropa angeworben wurden, waren fehlende Sprachkenntnisse auch schon ein Thema: „Damals hat Gegenbauer Simultanübersetzer um Hilfe gebeten. Bei Behördengängen war immer jemand vom Unternehmen dabei und die Arbeiter lebten in firmeneigenen Wohnheimen“, sagt Kohls. Doch was als Unterstützung gedacht war, wurde zum Problem. Denn Deutsch lernten die Angestellten auf diese Weise kaum. Sie blieben unter sich. Ein Fehler, wie Kohls heute weiß. Wenn Menschen aus anderen Ländern die deutsche Sprache nicht sprechen, bleiben sie isoliert. Heute gehört das Erlernen der Sprache deswegen zu den obersten Prioritäten der Unternehmensgruppe. Wenngleich an dem Lernkonzept immer noch gefeilt werde: So wurden zuerst Sprachkurse angeboten. Doch die Integrationsbeauftragte des Unternehmens, Heike Streubel, erklärt, dass durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten nicht jeder an den Kur67


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Foto: picture alliance/Eventpress

Vom Boulevard zu Green Janine Ein Interview von Hannah Petersohn

Janine Steeger war das Gesicht der Sendung RTL Explosiv und führte einen luxuriösen Lebensstil. 2015 hing sie den Job an den Nagel und wurde Umweltaktivistin. Ein Gespräch über ihren Wandel hin zum nachhaltigen Leben

Frau Steeger, Sie haben jahrelang RTL Explosiv moderiert. Heute sind Sie Klimaschutzaktivistin und nennen sich Green Janine. Wie passt das zusammen? Umweltschutzthemen waren früher überhaupt nicht mein Ding. Ich hatte Spaß am Job und bin auf der Karriereleiter immer höher gestiegen. Über die begrenzten planetaren Ressourcen habe ich mir keine Gedanken gemacht. Die Geburt unseres Sohnes 2011 war dann ein Schlüsselmoment. Und als ich die Bilder von Fukushima gesehen habe, war das ein Clash. Ich habe mich plötzlich gefragt: Macht das, was ich tue, überhaupt Sinn? Und dann haben Sie von heute auf morgen entschieden, dass jetzt alles anders werden muss? Die Veränderung hat sich über Jahre hingezogen. Das Leben ist ja kein Zustand, sondern ein Prozess. Auf dem Höhepunkt meines Wandels habe ich meinen Job bei RTL gekündigt, weil ich mich auch beruflich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen wollte. Aber RTL hat meine Sendekon-

zepte abgelehnt. Ich war mit dem Thema einfach zu früh dran. Was hat sich seitdem verändert? Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind jetzt näher an uns herangerückt. Eigentlich ist das absurd, denn wir wissen bereits seit den Siebzigerjahren, dass sich das Klima wandelt. Aber wir brauchten erst die Demonstrationen der jüngeren Generation, die auch stärker von den Folgen betroffen sein wird, als wir es sind, um etwas zu verändern. Aller Anfang ist schwer. Womit haben Sie damals als Erstes begonnen? Zu Beginn meines Wandels ging unsere Kaffeemaschine kaputt. Wir hatten damals eine Maschine, in die man Plastikkapseln steckt, eine Umweltsünde … Wir haben uns dann für eine Kaffeemaschine entschieden, in die man Bohnen füllt. Sie hält seit neun Jahren, also verdammt lange. Das ist für Produkte keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir leben in der Zeit der geplanten Obsoleszenz, Unternehmen bestimmen, wie lange ihre Produkte halten. Wenn man einmal anfängt, Dinge und ihre Entstehungsgeschichte zu hinterfra-

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gen, ist man auch ganz schnell bei der Wahl des Energieanbieters oder der Kleidung. Die Auseinandersetzung mit dem Thema dehnt sich dann immer weiter aus. Am Ende haben wir sogar unser Auto verkauft. Wie schafft man es bei einer so umfassenden Umstellung, nicht gleich das Handtuch zu werfen? Indem man die Veränderung scheibchenweise vollzieht und sich erst einmal kleine Ziele setzt. Wenn man sie erreicht hat, sollte man sich ruhig auch einmal auf die Schulter klopfen. Am Anfang ist eine Veränderung immer neu, aber irgendwann wird sie zur Gewohnheit. So wie heute fast alle ganz selbstverständlich daran denken, einen Einkaufsbeutel dabeizuhaben, weil es keine Plastiktüten mehr gibt. Hat sich eine Verhaltensänderung etabliert, kann man etwas Neues versuchen. Das gesamte Leben umzukrempeln ist ambitioniert. Gibt es einen Bereich, in dem Sie gescheitert sind? Wenn man es aus Sicht der Hardcore-Umweltschützer sieht, scheitern wir als Familie täglich. Zum Beispiel 71


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Janine Steeger ist ausgebildete Fernsehjournalistin und moderierte von 2008 bis 2015 das Magazin RTL Explosiv. 2014 kündigte sie ihren Job, studierte betriebliches Umweltmanagement und Umweltökonomie und nennt sich seitdem Green Janine. Steeger ist Gründerin der Initiative Futurewoman.de, deren Ziel es ist, Frauen zu vernetzen, die sich für

dann, wenn sich mein Mann eine neue Jeans kauft, die nicht nachhaltig produziert wurde. Oder wenn ich unterwegs meine Trinkflasche vergessen habe und eine Plastikflasche kaufen muss, weil ich gerade am Bahnhof bin und dort keine Glasflaschen verkauft werden dürfen. Da sind wir aber auch bei der Frage nach dem Angebot: Eine Veränderung hat immer etwas mit den Rahmenbedingungen zu tun. Und mit der Zeit, die sie braucht. In jedem Lebensbereich etwas anders zu machen als vorher kostet Zeit und Energie. Die meisten sind froh, wenn sie es nach der Arbeit schaffen, ein Fertiggericht zu essen, um dann müde ins Bett zu fallen. Deswegen bin ich auch überzeugt, dass wir Arbeit neu denken müssen. Allein diese bezahlte Anwesenheit ist 72

völlig unsinnig. Wenn jemand seine Aufgaben erledigt hat und nur auf das Schichtende wartet, ist das vollkommen gestört. Arbeit sollte auf mehr Menschen verteilt werden, damit wir insgesamt weniger Stunden täglich arbeiten müssen und jeder etwas zu tun hat. Es gäbe auch viel mehr Frauen in Führungspositionen, wenn mehr Stellen aufgeteilt werden würden. Würden Sie sagen, dass Sie ein nachhaltiges Leben glücklicher macht? Ich empfinde mein Leben jetzt als viel sinnvoller, als es früher der Fall war. Damals galt für mich: Mit dem nächsten Karriereschritt brauche ich das größere Auto und die größere Wohnung. Heute bin ich nicht mehr in dieser Schleife gefangen. Ich fühle mich zwar immer noch getrieben, aber nicht mehr von dem Erreichen eines vermeintlich

perfekten Lebens, sondern von meinen Ideen. Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Warum man nicht perfekt sein muss, um das Klima zu schützen.“ Warum kann Perfektionismus nicht das Ziel sein? Ich glaube, dass er generell anstrengend ist, überbewertet wird und nie erreicht werden kann. Noch dazu ist Perfektionismus langweilig. Außerdem schließt ein hoher Anspruch andere aus. Zu Beginn meines Lebenswandels war ich ziemlich streng mit mir. Ich wollte die perfekte Umweltschützerin sein. Davon habe ich Abstand genommen. Ich möchte nicht ständig das Gefühl haben, dass ich nicht gut genug für den Umweltschutz bin. Auf Ihrer Website schreiben Sie: „I want to make you green.“ Wie wollen

Foto: Nadine Dilly

den Umweltschutz einsetzen.


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EMP LOY E R BRA ND ING

Ein Gastbeitrag von Henner Knabenreich

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Viele Karriereseiten vergraulen potenzielle Interessenten, anstatt sie zu informieren. Dabei stehen sie im Mittelpunkt aller Recruiting-Aktivitäten eines Unternehmens. Aber wie muss die Karriere-Website aussehen, damit aus Nutzern Bewerber werden?

eder Bewerber hat es sicherlich schon erlebt: Der Karrierebereich bei einem Wunschunternehmen ist nicht auffindbar, die erforderlichen Informationen sind nirgends zu finden, die Jobsuche ist umständlich und ein behäbiges Online-Formular verscheucht ihn auf der letzten Meile. Es ist kaum vorstellbar, aber tatsächlich treten viele Unternehmen nur dann als Arbeitgeber im Netz in Erscheinung, wenn sie akuten Personalbedarf haben. Sie sind dann mit ihrem Stellengesuch nur 30 Tage in einer Stellenbörse präsent, während eine mit zahlreichen Informationen angereicherte Karriereseite 365 Tage im Jahr für jeden erreichbar wäre. Fehlt eine Karriere-Website, vermuten Bewerber ein Manko an ernsthaftem Interesse der Unternehmen an ihnen oder einen geringen Stellenwert von HR. Die Konsequenz ist, sie bewerben sich gar nicht erst. 78

Häufig sind Karriereseiten auch einfach gut versteckt und die Chance, Besucher der Unternehmenswebsite zu einem potenziellen Bewerber zu machen, wird verspielt. Der prominent platzierte Karriere-Button ist demzufolge ein essenzieller Baustein des Recruitings. Der Hinweis auf den Karrierebereich gehört weder in den Footer noch in die Sekundär- oder Metanavigation, sondern muss als Menüpunkt „Jobs & Karriere“ in die Hauptnavigation integriert werden. Ist der Nutzer dann auf der Karriereseite gelandet, sollte er auch das finden, wonach er sucht. Das wichtigste Kriterium der Karriere-Website ist die Jobsuche. Daher sollte diese nicht nur direkt auf der Startseite, sondern auf allen relevanten Unterseiten platziert werden. Schließlich wissen Sie nie, auf welchem Weg der Nutzer zu Ihnen kam. Zudem ist jeder zusätzliche Klick im Zweifelsfall einer zu viel. Es sollte außerdem klar erkennbar sein, welches die primär

Foto: Getty Images

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Nicht ohne meinen Partner Ein Gastbeitrag von Ingo Priebsch

Recruiter kümmern sich um die Bedürfnisse der Expats, vergessen dabei aber immer wieder die Ehe- und Lebenspartner. Doch: Sind diese unglücklich, kündigen die Mitarbeiter oft vorzeitig.

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gal wohin man sieht: Es sind vornehmlich Frauen, die ihre Ehemänner ins Ausland begleiten. Das betrifft nicht nur von Unternehmen entsandte Angestellte, sondern auch Fach- und Führungskräfte, die unabhängig von einer Entsendung den Weg ins Ausland gewählt haben. Obwohl immer mehr Firmen international rekrutieren, werden Frauen als Zielgruppe nicht wahrgenommen.

Foto: Picture Alliance – Dominic Lipinski

Die Ansprüche steigen Die mittlerweile antiquierte Rollenverteilung sah vor, dass die Partnerin ihrem Mann ganz selbstverständlich ins Ausland folgte und ihre Bedürfnisse hinter seine Karriere stellte. Auch heute noch wird über Landesgrenzen hinweg von Mitarbeitern und deren Familien erwartet, dass sie diese „Flexibilität“ leben, auf Kosten der Partnerin. Doch ist diese Erwartungshaltung aus Zeiten, in denen die Expat-Gattin unter dem Begriff „Trailing Spouse“ firmierte, längst überholt. Mittlerweile sind 90 Prozent der Expat-Partner vor der Entsendung berufstätig, die meisten als Angestellte, so das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young. Ähnlich verhält es sich für internationale Fachkräfte. Das konfrontiert Global Mobility Manager und international arbeitende HRler mit folgendem Problem: Vor allem beruflich motivierte Einwände des Partners sind der Grund, warum sich potenzielle Expats in globalen Unternehmen f e b ruar 2 0 2 0

gegen den Wechsel ins Ausland entscheiden. Die Zahl der Delegationen nimmt in vielen großen deutschen Unternehmen außerdem ab, weil die Ansprüche der Mitarbeiter steigen und die Unternehmen stärker auf die damit verbundenen Kosten achten.

Die Hürden für Expat-Partner Eine unglückliche Expat-Partnerin kann dazu führen, dass der Expat den Auslandsaufenthalt abrupt beendet. Das ist ein ernstzunehmendes Risiko, denn Expat-Partner sind zwar nicht unzufriedener mit dem eigenen Lebensentwurf als der Durchschnitt, dennoch denkt ein gutes Fünftel an eine vorzeitige Rückkehr, so das Ergebnis der Studie „Expat Insider Business Edition“. Am meisten macht den Expat-Partnern die Einsamkeit zu schaffen, gefolgt von interkulturellen Problemen. Viele kritisieren zudem fehlende Karrierechancen, Arbeitslosigkeit oder eine fehlende Arbeitserlaubnis. Gerade Frauen gehen nicht nur öfter als Männer dem Partner zuliebe ins Ausland. Sie geben dafür sogar häufig auch ihren Beruf auf. Ein Teil von ihnen mag sich bewusst für das Familienleben entschieden haben. Das verhindert jedoch nicht, dass sie der oft unfreiwillige Karriereknick und Einkommensverlust unglücklich machen. Vor dem Umzug ins Ausland sorgten sich Expat-Partnerinnen am meisten vor der drohenden finanziellen Abhängigkeit. Demnach beurteilt fast die Hälfte der Befragten die Karrierechancen als negativ, deutlich mehr als bei ihren männlichen Pendants. 81


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Der bescheidene Manager

Vorgesetzte, die bescheiden handeln, gelten schnell als schwach und verwundbar. Dabei ist das Bild der unantastbaren Führungskraft längst überholt – der Manager der Zukunft agiert als bescheidener Revolutionär.

Foto: Wikimedia Commons

Ein Gastbeitrag von Kai W. Dierke und Anke Houben

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och bis vor wenigen Jahren standen Manager anspruchsvollen, aber überschaubaren Aufgaben gegenüber. Heute werden sie mit hochkomplexen Problemen konfrontiert, die sie nicht mehr allein bewältigen können. Dafür brauchen sie ein kompetentes Team. Top-Manager, die sich bisher als Einzelkämpfer profilieren konnten, müssen fortan gemeinsam in einer Gruppe denken und handeln; in sogenannten Top-Teams. Gleichzeitig müssen die Top-Manager-Spezialis83


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ten kompetent führen und ihnen vertrauen, auch wenn sie selbst nicht über das fundierte Wissen dieser Spezialisten verfügen. Dabei lauert nicht in der Konkurrenz mit anderen die Gefahr, sondern in der Illusion, die sich Führungskräfte über ihre eigene Kompetenz bisher gemacht haben. In Zukunft zählt statt Ego die Bescheidenheit.

Führung braucht Bescheidenheit in der Person Wer Bescheidenheit im Management fordert, hat zwar den Beifall auf seiner Seite, doch die Realität gegen sich. Besonders im Top-Management liegt zwischen Propagieren und Praktizieren von Bescheidenheit ein tiefer Graben. Bescheidenheit fällt Managern deswegen noch so schwer, weil sie negativ besetzt ist. Sie wird zu Unrecht mit Entscheidungsschwäche und fehlender Durchsetzungskraft verwechselt, nach dem Motto „Wer nicht gewinnt, verliert“. Für Manager gilt es, Abschied zu nehmen vom traditionellen Überlegenheitsanspruch und die Spur zu wechseln: vom dominanten zum dienenden Chief Officer. Führung darf in Zukunft nicht als Positionsmacht gelebt werden. Was bedeutet das konkret?

1. Routiniertes Urteilen vermeiden Manager müssen lernen, bewusst die Einstellung eines Anfängers einzunehmen, ein „Beginners Mindset“ zu kultivieren. In einer komplizierten, disruptiven Umwelt wird es

zum entscheidenden Vorteil, Wissenslücken zu reflektieren, gedankliche Routinen zu hinterfragen und auf schnelles Urteilen zu verzichten. Das Umfeld muss verstehen, dass eine Führungskraft dabei nicht etwa ihr Gesicht verliert, sondern professionelle Stärke zeigt, wenn sie die wirklich wichtigen Fragen stellt, statt vorschnell Antworten zu präsentieren.

2. Fehler selbst verantworten Manager in Gruppen neigen dazu, sich gegenseitig zu bestätigen und Erfolge als Resultat ihrer Entscheidungen zu interpretieren. Misslingt etwas, schieben sie widrige Umstände vor: Die Mannschaft habe nicht mitgezogen oder der Kunde habe das Produkt einfach nicht verstanden. Nach diesem Denkmuster ist ein Erfolg immer das Ergebnis eines bestimmten Verhaltens. Misserfolg hingegen gilt als Resultat der Verhältnisse. Diese Perspektive wird Managern durch die Erwartungen, die von außen an sie gestellt werden, aber auch durch den Druck einer Gruppe regelrecht aufgedrängt. Wer dagegen mit Bescheidenheit führt, dem gelingt es, der Wahrheit ins Auge zu sehen, Erfolge anderen zuzuschreiben und für Fehler einzustehen.

3. Sinn über Ego stellen Alte Führung setzte auf die Schubkraft einer Person, bescheidene Führung setzt auf die Zugkraft eines Sinns. Heute zählt nicht mehr die persönliche Gefolgschaft. Die Vermittlung und das Vorleben eines eindeutigen, glaubhaften Unternehmenszwecks stehen im Vordergrund. Dieser Beitrag zu einem sinnhaften großen Ganzen jenseits des Profits verleiht jedem Mitarbeiter und seiner Arbeit Bedeutung. Fehlt dieser Sinn, verlieren sich Chefs in technokratischem Managen, ohne dass sie Leidenschaft in den Mitarbeitern wecken. 84


PRAXIS

Das Stück „Der Gott des Gemetzels“ der französischen Dramatikerin Yasmina Reza war Vorlage für die gleichnamige schwarze Komödie von Roman Polanski. Darin wollen zwei Elternpaare ein klärendes Gespräch führen, nachdem ihre Söhne in Streit geraten waren. Das anfänglich zurückgenommene Gespräch wird zu einem Dialogfeuerwerk, das schließlich in einem bitterbösen Streit endet.

Eine Rezension von Jeanne Wellnitz

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Erst im Dialog beginnt die Wahrheit. Das zumindest ist die Überzeugung von Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun. Ihr neues Buch ist deshalb kein Sachtext, sondern ein Gespräch – das Destillat eines jahrelangen Austauschs und ein Lob an die hohe Kunst der Verständigung in unserer polarisierenden Zeit.

Foto: Picture Alliance – HERBERT P. OCZERET

Die Lust am Dissens


PRAXIS

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ind wir anderer Meinung, sagen wir schnell zu unserem Gegenüber: „Das siehst du falsch!“ Friedemann Schulz von Thun täte das womöglich nicht. Der Kommunikationspsychologe würde eher erwidern: „Interessant, so siehst du das also. Was führt dich zu dieser Erkenntnis?“ Der 75-jährige Verfechter des empathischen Gesprächs ist berühmt geworden durch sein Kommunikationsquadrat. Er sagt: Sender und Empfänger einer Äußerung sprechen mit vier Schnäbeln und hören mit vier Ohren. Sich dessen bewusst zu sein, kann so manchem Konflikt die Spannung nehmen. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen besuchte Schulz von Thun in den vergangenen sieben Jahren regelmäßig, um mit ihm über das Wesen der Kommunikation zu philosophieren. Beide gelten als Koryphäen ihres Fachs: Pörksen ist Experte für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Schulz von Thun ist Meister der Kommunikation von Mensch zu Mensch. Ihren Austausch zeichnete Pörksen auf. Am Ende entsteht ein über 1.500 Seiten langes Manuskript.

Nuancenbewusstsein Im Jahr 2014 veröffentlichten die beiden Autoren ihr erstes gemeinsames Sachbuch: „Kommunikation als Lebenskunst“. Darin diskutieren sie das Kommunikationsquadrat und zeigen, wie wir empfänglicher für die Nuancen eines Gesprächs werden. Dieses Jahr erscheint der zweite Teil ihrer, wie sie es nennen, Suchbewegungen: Denn ein Rezept für alle Fälle formulieren sie nicht. Sie bewegen sich vielmehr behutsam durch den Raum, den die Dilemmata unserer digitalen Informationswelt aufspannen: Alarmismus versus Achtsamkeit, Hass versus Hypersensibilität. Eine Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten nennt Pörksen das in der Einleitung. Das Miteinander-Reden werde darin zur anspruchsvollen Kunst. Deshalb suchte der 51-jährige Medienforscher auch das Gespräch mit dem Kommunikationspapst. Aber lässt sich durch die Kombination der beiden Disziplinen eine Ethik der öffentlichen Kommunikation ersinnen? Pörksen bittet Schulz von Thun anhand aktueller Beispiele um eine Einschätzung: Wie hätte er anstelle von Ex-Minister Guttenberg auf die Plagiatsvorwürfe reagiert? War das „Wir schaffen das“ von Angela Merkel angesichts der

Flüchtlingsdebatte richtig? Weshalb sind Donald Trumps Lügen von einer seltsamen Folgenlosigkeit? Sie sprechen über die Verstörungseffekte der Vernetzung wie Fake News oder die massive Reizüberflutung; sie erforschen die Filterblasentheorie und widersprechen ihr – Pörksen würde nämlich eher von einem Filterclash sprechen und meint damit das Aufeinanderprallen von Parallelöffentlichkeiten. Sie analysieren die Dynamik der Polarisierung und denken über den Wandel von Autorität nach, die durch die Indiskretion des Netzes einen doppelten Anspruch erfüllen muss: Chefs sollen heute gleichermaßen Kumpel und Kaiser sein.

Das Körnchen Wahrheit Schulz von Thuns Sprache ist sanft und einfühlsam, Pörksen übernimmt die Rolle des kritischen Gelehrten, er konturiert das Gesagte. Spricht von Thun beispielsweise von seiner deeskalierenden Rede, die er vor protestierenden Studenten hielt, schließt Pörksen: „Sie haben hier etwas betrieben, was man die Hermeneutik der Wut nennen könnte. Sie haben sich gefragt: Wo findet sich in der Attacke der legitime Anteil?“ Das ist ein zentraler Rat des Buchs: Finde das Körnchen Wahrheit, das im Angriff des Konfliktpartners steckt, und würdige es. Die ideale Auseinandersetzung sehen sie als eine Art liebenden Kampf, dem eine Lust am Dissens innewohnt. „Die Kunst des Miteinander-Redens“ ist durch die Verschriftlichung und Bearbeitung natürlich ein konstruiertes Gespräch, ein Idealgespräch sozusagen. Dennoch führt es uns vor Augen, wie eine höfliche und intelligente Debatte klingen kann. Und was spricht gegen den Traum von einer stimmigen Streitkultur? Utopien mögen zwar fiktiv sein, aber sie können in die richtige Richtung weisen.

Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun, „Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ Hanser Verlag, Hardcover, 224 Seiten, 20 Euro


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Der Minimalist Hans-Peter Benedikt ist Dekan an einer der grünsten Universitäten Deutschlands, der HNE in Eberswalde. Der 55-jährige BWL-Professor hat seinen Lebensstil radikal gewandelt.

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nen Handeln umzusetzen und nicht mehr so viel zu fliegen. Zu meinem 20-jährigen Ich würde ich heute sagen … dass es nicht darum geht, reich zu sein oder alles zu besitzen. Es geht darum, eigene Ziele zu erreichen und auf eine Art zu leben, die glücklich macht. Am liebsten reise ich für Gastvorlesungen nach … Myanmar, weil dort das tägliche Leben von buddhistischer Kultur und Tradition geprägt ist. Der Buddhismus hat auch im Bereich der Ökonomie interessante Sichtweisen zu bieten. Chefs können von Machiavelli lernen, ... dass es manchmal besser ist, zu handeln und es zu bereuen, als gar nicht zu handeln und das dann zu bereuen. Das gilt auch für die Bewältigung der Klimakrise. Die Fragen stellten Jeanne Wellnitz und Hannah Petersohn

Hans-Peter Benedikt ist Dekan für den Fachbereich Nachhaltige Wirtschaft und Professor für BWL und Entrepreneurship an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNE). 2009 wurde die HNE vom Internetportal „Utopia“ zur grünsten Hochschule Deutschlands erkoren.

Foto: Ulrich Wessollek

Als ich meine Ausbildung zum Bankkaufmann abschloss, dachte ich … das Wichtigste auf der Welt sei Geld. Erst später erkannte ich, dass es andere Sachen sind, die mich glücklich machen, wie beispielsweise Zeit mit guten Freunden verbringen. Mein wichtigster Tipp für ein nachhaltiges Gründungskonzept lautet … konsequent das Primat der Ethik vor das der Ökonomie zu stellen. 2007 zog es mich nach Brasilien, weil … ich eine Gastprofessur angenommen hatte. Außerdem wollte ich ein soziales Projekt von deutschen Ärzten in einem Armenviertel unterstützen. Russland fühle ich mich verbunden, weil … ich bei meiner Beratertätigkeit in der Sberbank in St. Petersburg viele warmherzige Menschen kennengelernt habe, mit denen ich noch heute eine intensive Freundschaft pflege. Wer wissen will, wie gute Menschenführung gelingt, sollte … keine Managementratgeber, sondern klassische Philosophen wie Platon oder die Stoiker lesen. Wir sind die grünste Hochschule Deutschlands, weil …

sich Nachhaltigkeit bei uns nicht nur auf Klima-Vorlesungen, Bio-Essen oder energieeffiziente Gebäude beschränkt, sondern wir uns ganzheitlich dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in Lehre, Forschung, Betrieb und Wissenstransfer verschrieben haben. Absolventen meines Nachhaltigkeitsstudiengangs arbeiten heute beispielsweise … in Konzernen mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsabteilungen oder verwirklichen ihre Visionen für eine bessere Wirtschaft in eigenen Start-ups. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist: nicht auf die Ratschläge anderer Menschen zu hören. Am nachhaltigsten verhalte ich mich in Bezug auf … meinen Konsum. Ich bin Verfechter des Minimalismus! Bei jedem Kauf hinterfrage ich, ob mich das Produkt wirklich frei und glücklich macht. Mein Auto habe ich vor zehn Jahren verkauft. Doch manchmal bin ich auch verschwenderisch in Bezug auf … meinen Fleischkonsum und die vielen Fernreisen zu meinen Projekten. Wenn sich meine Studenten etwas von mir wünschen könnten, wäre das vermutlich ... Nachhaltigkeit konsequenter im eige-


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