Hrm 03 2017 collaboration

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L A I C SO IT ING U R C E R D AYS n i l r e B • 7 1 0 2 3 1 2/ 1 • r e b Septem

E G A T 2 S E T O N R E K A 2 KE Y E 35+ SP E G N E L AL H C & S B A L G N I C R M U A L SO S A T A D R H R E M H E R E N L N I E W T O 30 0 + SUND W W W. S OC I A L REC R UI T INGD AY S .DE

MAGAZIN FÜR HUMAN RESOURCES MANAGEMENT    JUNI / JULI 2017    WWW.HUMANRESOURCESMANAGER.DE    ISSN 1869-5116

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T H E M A

C O L L A B O R A T I O N


6. Deutscher Vergütungstag

6.

Deutscher Vergütungstag

I D E N T I TÄT — I M P U L S E — I N N OVAT I O N E N

Wir diskutieren aktuelle Herausforderungen für die Vergütung im Spannungsfeld von disruptiven Veränderungen, Regulatorik und Mitarbeiterbedürfnissen

www.Deutscher-Verguetungstag.De Veranstalter


T H E M A

C O L L A B O R A T I O N


EDITORIAL

Global Reach. Local Impact. Ihr Gateway in unser weltweites Netzwerk: InterSearch Worldwide ist mit rund 90 Büros auf allen Kontinenten vertreten und zählt zu den 15 umsatzstärksten Personalberatungen. Mehr als 450 Berater und 180 Researcher stehen Ihnen in mehr als 50 Ländern zur Verfügung.

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EDITORIAL

Gemeinsam einsam?

A

lles hängt mit allem zusammen. Unsere Welt besteht nicht aus einer Anhäufung einzelner Einheiten, sondern aus einem Netz von Zusammenhängen. Diese Erkenntnis mag nicht neu sein. Doch beschert uns die Tatsache der allumfassenden Vernetzung, ob gewollt oder ungewollt, stets neue Spielarten des menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens. Im 18. Jahrhundert rücken das Modell der Zirkulation und die Metaphorik der Ströme ins gesellschaftliche Bewusstsein. Im 19. Jahrhundert nehmen die Verflechtungen kommunikationstechnischer Praktiken rasant zu: Briefpost, Telegramm und Telefon werden zu gängigen Kommunikationsmitteln. Ihnen folgen im 20. Jahrhundert E-Mail und SMS. Heute nutzen Unternehmen Chats, InternetCommunities und organisieren virtuelle Meetings. Allen Variationen menschlicher Kommunikationswege liegt der Wunsch zugrunde: Sie sollen unsere Verständigung unterstützen und effizienter machen. Unternehmen agieren zunehmend dezentraler in ihrer Arbeitsweise. Entsprechend hoch muss auch der Grad der Vernetzung sein. Doch ist der Einsatz von Social Collaboration Tools um jeden Preis genauso wenig sinnvoll wie deren generelle Ablehnung. Vielerorts jagen Unternehmen

blindlings den smarten Technologien hinterher. Indes: Die Schwester der Erwartung ist die Enttäuschung. Entsprechend gehen Wunsch und Wirklichkeit beim Thema vernetzte Zusammenarbeit auseinander. Die deutsche Langsamkeit in Sachen digitale Transformation wird dabei gern bemängelt. Und so mündet die Angst, den Anschluss zu verlieren, dann und wann in kopflose Hast, die allenfalls an einigen neuralgischen Punkten durch deutsche Gesetze gebremst wird. Stichwort: informationelle Selbstbestimmung. Ob die Regelungen zum Datenschutz hierzulande vergleichsweise streng bleiben, ist eine der spannenden Fragen der Zukunft. Im Big-Data-Rausch werden unsere Daten schließlich zu Gold; ihr Besitz verspricht Reichtum unterschiedlicher Art. Doch führt die Sammelleidenschaft wirklich zu besseren und genaueren Ergebnissen? Oder ist nicht vielmehr gesunder Menschenverstand und wertschätzender Austausch gefragt, um die Belange der Mitarbeiter zu (er-)kennen? Damit stellt sich auch die Frage nach den qualitativen Veränderungen sozialer Beziehungen durch neue Formen des Austauschs. Ob uns die virtuelle Kommunikation tatsächlich zusammenbringt oder vereinsamt, wissen wir noch nicht. Doch: Wir haben es in der Hand – als Unternehmen und Arbeitnehmer. Hannah Petersohn, Leitende Redakteurin Human Resources Manager

Am Anfang steht die Neugierde. Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@humanresourcesmanager.de

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INHALT

03 / 17 INHALT

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ME IN U N G

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Facebook plant die gedankliche Transparenz

SCHWERPUNKT: COLLABORATION 22 Prolog Essay Social Collaboration ist derzeit in aller Munde. Doch wovon ist da eigentlich die Rede? 28 Das Rüstzeug Ohne passende, smarte Tools geht in Sachen Collaboration nicht viel. Ein Überblick 32 Zwischen Nähe und Distanz Gespräch mit einer Fotografin über innere Sehnsüchte und sozialmediale Teilhabe 40 Die Schreibtisch-Evolution Wie innovative Bürokonzepte die Zusammenarbeit stärken 44 Vernetzte Verunsicherung Eine Kommunikationsexpertin über die Frage, wie wir in Zu- kunft kommunizieren werden 48 Die Kollegen von extern Selbstständige für Projekte ins Boot zu holen, liegt im Trend, ist aber kein Selbstläufer

52 Zusammenarbeit auf Distanz Wie virtuelle Teams erfolgreich sein können 56 Arbeiten in allen Zeitzonen Das Unternehmen Sartorius setzt ganz auf Social Collaboration. Ein Interview mit dem Kopf hinter der nötigen Technik 58 Be smart to me! Warum Unternehmen eine höhere Selbststeuerung der Mitarbeiter unterstützen sollten 62 Digitaler Aberglaube Medienpsychologe Daniel Salber im Interview über die Kehrseite der digitalen Kommunikation 66 Die Gedanken sind frei ... ? Wie Facebook von der ultimativen Transparenz träumt Titelbild: thinkstock - master1305

5 Editorial 8 Kolumne Haste mal ’ne Brand? 10 Desktop Ein Tisch sagt mehr als tausend Worte 12 Zahlen & Zitate 14 Selbstverliebt Warum Narzissmus in Führungsetagen zum Problem wird 16 Die Weichen stellen Führungsfrauen sollten mehr an der eigenen Marke arbeiten 20 Selbstentmachtung Über das Prinzip Holokratie

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INHALT

PRAX I S 86 Sieben Gedanken Widerstand 87 Meine digitale Welt Für Barbara Braehmer ist Blended Learning zentral 88 Rezensionen Moderne Zeiten und moderne Mächte

Moderne Zeiten

IM FO K U S

RE CHT

V ER BAND

70 Ist der Ruf erst ruiniert … Wer in Krisenzeiten gutes Personal will, braucht die richtigen Argumente 73 Im Takt Erfolgreiche Teamarbeit und individuelles Zeitmanagement hängen zusammen

92 Aktuelle Urteile 94 Über Geld spricht man jetzt Im Sommer tritt das Ent- gelttransparenzgesetz in Kraft. Worauf dabei zu achten ist 95 Impressum

98 Rückblick Die BPM-Roadshow 100 Neues aus den Fachgruppen Der Fachgruppentag und eine Neugründung 102 Die BPM-Berufsfeldstudie Wie sich HR wandeln muss 104 CEB Insights Worauf bei der Implemtierung cloudbasierter Systeme zu achten ist

ANA LYS E

Fotos: wikimedia - Adam Lazzarato; Anna McMaster; Privat

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Filmrezension

76 Halbtagschefs Wie sich Führung in Teilzeit realisieren lässt 79 Absturz mit Ansage Eine falsche Teamzusammensetzung kann zu katastrophalen Entscheidungen führen 81 Die innere Stimme Mit Fragen und Zuhören das Mitarbeiterengagement steigern 84 Die Sprache der Führung Wie sich Manager-Floskeln decodieren lassen

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106 Fragebogen

Gabriele Fanta, McDonald’s 7


PRÊT-À-PARLER

I

ch erinnere mich, wie zu Schulzeiten plötzlich Marken wichtig wurden; die von Turnschuhen besonders. Nicht für alle, schließlich wähnte sich die Mehrheit von uns in Anlehnung an einen damals populären Song „politisch und sexuell andersdenkend“. Die kritische Meute – also wir – zeigte Belustigung gegenüber jenen, die ostentativ Firmennamen und Logos auf ihrem Schuhwerk spazieren trugen. Wichtiger, da waren wir überzeugt, sind Integrität, Unabhängigkeit und Protest. Wir waren uns sicher: Markenturnschuhträgern fehlt es an innerer Haltung und Lebenssinn. Wir wähnten uns auf der richtigen Seite und besorgten uns sogar nochmal die Micky Maus: Mit dem Kauf eines Heftes wurde man damals Inhaber von zwei Quadratmetern Regenwald und rettete gleich noch die Yanomami-Indianer. Wir trugen bunte, handgeflickte Taschen aus Laos und waren gegen Wasserverschwendung, Opportunismus und das Schulsystem. Dagegen wirkte die Identifikation mit einer Schuhmarke wie eine kapitalistische Eintagsfliege des Konsums, der nur schwache Geister auf den Leim gingen. Hätte uns jemand gesagt: „Du musst eine Marke werden!“, hätten wir ihn stehen gelassen, die Regenwald-Urkunde aus dem Laos-Beutel gezogen und uns gefragt, wie wir zum Amazonas kommen. Landbesitzer tragen schließlich Verantwortung und haben weder Zeit noch Muße, um auf die Beschäftigung mit kapitalistischem Schuhwerk einzugehen. Hätten wir nur gewusst, dass jene Markenträger von damals die Tonangeber von morgen werden. Über zwei Jahrzehnte später 8

erwischt mich dann dieser Satz von der Seite: „Du musst deine eigene Marke werden!“ Ich soll also nicht nur den Turnschuh tragen, sondern selbst einer werden. Wer die eigene Corporate Identity vernachlässigt, driftet ab in die Bedeutungslosigkeit. Und da wollen wir auf gar keinen Fall hin. Wir wollen doch die Spitze der Aufmerksamkeitsökonomie erklimmen, bedeutende

Eine Kolumne von Hannah Petersohn Solo-Selbstständige werden, Ich-AGs in fester Anstellung; vielleicht sogar ein bisschen prekär, das ist dann sozialromantisch. Wir können uns in hiesigen Gefilden da jetzt auch nicht lumpen lassen: Das Personal Branding hat es bereits nach Kasachstan und Kambodscha geschafft, habe ich kürzlich einem Artikel aus der Wirtschaftswoche entnommen. Ich muss jetzt also rasch zur Marke und zur Markenbotschafterin meiner selbst werden. Ich brauche eine

Markenstrategie. Schritt 1: authentische Selbstdarstellung. Ich werde ein Selfie nach dem anderen raushauen und dabei ganz nahbar und – Achtung, Frau! – empathisch wirken. Denn das können wir ja qua Geschlecht so gut. Schritt 2: Ich brauche Anhänger! Sie sind Steigbügelhalter meiner authentischen Karriere. Eine Gefolgschaft! Um die zu bekommen, muss ich erst einmal selbst folgen. Folgsamkeit war ja schon immer meine große Stärke. Also muss ich bei Instagram herzen, auf Twitter retweeten und Facebook-Nachrichten mit vielen Emoticons je nach Bedarf bedenken. Ich sollte noch Youtube-Videos drehen; vielleicht filmen, wie ich mir einen Milchschaum schäume? Kaffee geht immer. Irgendwann werden auch die anderen aus lauter Dankbarkeit und gleichzeitiger Angst vor Reaktionsverlust bei mir auf Herz, Retweet, Daumen hoch und Smiley drücken. Das nennt sich dann Beziehungsarbeit, denn wir wollen ja alle voneinander profitieren, also muss man sich revanchieren. Und eines Tages hat sich mein Reputationstraining gelohnt, meine Followerschaft in der Community ist groß genug und die ersten Sponsoren klingeln durch und schenken mir schicke Sachen. Die zeige ich dann zufällig produktplazierend im Hintergrund meiner Posts. Der nächste logische Schritt liegt auf der Hand: Ich designe meinen eigenen Turnschuh. Und er wird sehr authentisch sein, weil ich ja seit Schulzeiten über diese Turnschuh-Sache nachdenke. Dann bin ich endlich marktkonformer Influencer und beschere meinem passiven Publikum in Echtzeit Produkte und Meinungen, von denen es nicht einmal ahnte, dass es sie braucht. • www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


MEINUNG

SAVE THE DATE: 24.11.2017 24.11.2017

GALA IM TIPI AM KANZLERAMT Wir suchen die besten Personalprojekte 2017! Wir sich suchen die besten Personalprojekte 2017! Bewerben Sie demnächst wieder für die HR Excellence Awards Bewerben Sie sich demnächst wieder für die HR Excellence Awards Reguläre Deadline: 14.9.2017 Reguläre Deadline: 14.9.2017 Late Deadline: 21.9.2017 Late Deadline: 21.9.2017

Ju ni  /  Jul i 20 1 7

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Desktop

MEINUNG

An dieser Stelle erhalten Sie, liebe Leserinnen und Leser, einen Einblick in den Arbeitsalltag einer ausgewählten Person. In diesem Fall sehen sie den Desktop von Sven Pauleweit, geschätzter Online-Redakteur des Human Resources Manager.

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3 IKONEN   Seit dem 27. Juni 2016 klebt dieser Held meiner Kindheit an meinem Monitor. Nicht nur, dass die Filme früher einen Heidenspaß gemacht haben, auch aus erwachsener Sicht ist die Biografie dieses Mannes beeindruckend. Rechts von Bud hängt das Original meines Avatars in unserem internen Eventtool.

2 HEIMATESSENZ Als Kind der Küste habe ich gerne etwas Meer um mich. In diesem Fall: es ein Stück fossiles Holz, dass ich vor ein paar Jahren am Darßer Weststrand gefunden habe. Aber bitte nicht nachgoogeln – ich möchte da gerne meine Ruhe haben.

5 UTENSILIEN Ohne Diktiergerät und USB-Stick geht gar nichts. Noch viel wichtiger jedoch sind die Gehöhrschutzstöpsel. Ohne kommt es nicht selten vor, dass unbewusst Mitschriften von Kollegengesprächen in meinen ersten Text-Versionen landen.

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4 SONNENBRILLE   Unerlässlich für lichtscheue Journalisten, wenn sie aus dem fahlen Licht ihrer Monitore heraustreten müssen.

6 KULI Er wird noch häufig genutzt. Erstaunlich dabei: Je edler die Optik des Schreibuntensils, umso staatstragender die Schwünge der Schrift. Lesen kann ich das hinterher oft nicht mehr. 7 BRIEFTASCHE Zugegeben, die Bezeichnung ist beschönigend. Es handelt sich um das Etui eines Bibliotheksausweis von anno 1994, zusammengehalten von unzähligen Klebestreifen und in Form gebracht von meinem alten, gelochten Personalausweis. Ich habe tatsächlich auch eine richtige Brieftasche, aber ich reise lieber mit leichtem Gepäck.

SVEN PAULEWEIT ist seit 2010 Redakteur des Human Resources Manager.

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Foto: Laurin Schmid

1 HORROR VACUI  Im Grunde sieht mein Arbeitsplatz nur einmal im Monat derart aufgeräumt aus. Meist verteilen sich um meine Tastatur zahlreiche Notizschnipsel, Ausdrucke, Magazine und Bücher, die jetzt aufgestapelt neben meinem Telefon ihren Platz gefunden haben. Das ist zwar nur bedingt authentisch, aber dann gäbe es hier außer Papier einfach nichts zu sehen. Zu meiner Ehrenrettung: Das Chaos ist gar nicht so sehr gewollt, es kommt einfach immer ungefragt daher.


SIND SIE BEREIT FÜR DEN WANDEL DER ARBEITSWELT? Diskutieren Sie mit: Ju ni  /  Jul i 20 1 7

1. Tagung Arbeit im Wandel 6. und 7. November 2017 in Berlin

Mehr Infos unter www.hrm-forum.eu/arbeit-im-wandel

MEINUNG

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„ Das bremst uns aus.“ Warum sind Kompromisse keine gute Idee? Kompromisse entstehen durch unreife Rechthaberei: Lose-lose statt Win-win. Spitzenlösungen brauchen aber Einsicht und gegenseitiges Verstehen statt Konkurrenz, die widerwillig das Gute dem Durchschnitt opfert. Warum ist der Mangel an Konsequenz das Martyrium des modernen Managements? Modern bedeutet zunehmende Komplexität. Diese bringt mehr Chancen als Risiken mit sich. Mangel an Konsequenz in Form von Unzuverlässigkeit, Aktionismus und Feigheit bei Prioritäten zerstört Leidenschaft und Wettbewerbsstärke und lässt diese Chancen ungenutzt. Sie kritisieren Geschwätz und Meetings. Fehlt es in Unternehmen nicht oft an Kommunikation? Man bespricht Falsches mit den Falschen und kneift aus Respekt davor, in Gesprächen Substanz zu fordern. Unnütze Meetings und Infos sind Denkbremsen. Besser: Weniger Pflichttermine und mehr freie Assoziation in kreativer Runde. Sie plädieren für mehr Geschwindigkeit. Aber scheitern Unternehmen nicht gerade an der schnelllebigen Gegenwart? In rasanten Zeiten sind die alten Methoden lahm geworden. Eigenkomplexität, Perfektionismus und Hochglanz-Wahn, wo Skizzen genügen: Das bremst uns aus. Qualität ist nichts ohne eine Kultur der Geschwindigkeit. MATTHIAS KOLBUSA ist Strategie- und Veränderungsexperte, Unternehmer, Referent und Autor von „Konsequenz. Management ohne Kompromisse. Führen mit Klarheit und Aufrichtigkeit“. Sein Credo: Was uns weiterbringt sind nicht Meetings, Planung und Kontrolle, sondern Mut,

ZITATE

„ Ich halte Personal Branding für einen der schlimmsten Business-Exporte aus den USA.“ Die amerikanische Anthropologin Ilana Gershon in einem Interview mit der Wirtschaftswoche über den Bewerbungsprozess und Personal Branding, auf das kaum ein Recruiter Wert legen würde.

„ (…) das Grundeinkommen ist eine wichtige Sache, die wir zwingend aus ökonomischen Gründen rechtzeitig einführen müssen, um Schlimmes zu verhindern.“ Richard David Precht, Philosoph und Publizist, in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk über die Zukunft der Arbeit.

„ Frau Merkel lässt Millionen Frauen in der Teilzeitfalle sitzen.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kritisiert in der FAZ das Verhalten der Bundeskanzlerin.

Geschwindigkeit und Konsequenz.

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Foto: Michael Kuhn

MEINUNG


MEINUNG

STUDIE

German Angst

Top-Verdiener unter den Frauen

Sabine € 83.638

Susanne € 82.689

Claudia € 78.934

Top-Verdiener unter den Männern

Dirk € 120.200

Rainer € 112.152

Jürgen € 110.087

Quelle: Deloitte

Illustration: thinkstock - Volhah (links); rageface_worried_oh_shit

Topverdiener: Dirk und Sabine Über die Karrieretauglichkeit von Vornamen wird seit längerer Zeit gerne diskutiert und geforscht. Eine aktuelle Studie zeigt nun: Kurze, einfache Vorname sind lukrativ. Der Top-Verdiener ist demnach Dirk mit durchschnittlich 120.200 Euro im Jahr. Sabine führt das Gehaltsranking der Frauen an: Sie erhält im jährlichen Durchschnitt 83.638 Euro. Die Jobsuchmaschine Adzuna, die das Ranking erstellt hat, überprüfte über 5000 Lebensläufe mit einem Jahresgehalt von über 50.000 Euro auf die Häufigkeit der Vornamen. Anscheinend spielt auch die Anzahl der Silben eine wesentliche Rolle beim Einkommen: Kollegen mit dreisilbigen Vornamen streichen im Vergleich zu jenen mit einsilbigen Vornamen 18 Prozent weniger Gehalt ein. Experten raten Personalern dazu, den Vornamen in Bewerbungen bei der Auswahl unkenntlich zu machen, um Diskriminierungen Einhalt zu gebieten. Allerdings sollte aus Koinzidenz nicht Kausalität werden: Besagte lukrative Namensträger haben zumeist ein gewisses Alter erreicht, wodurch sie gegenüber jüngeren Kollegen einen gewissen Vorsprung auf der Karriereleiter haben. hp Ju ni  /  Jul i 20 1 7

Nach einer Umfrage des Beratungsunternehmens Deloitte erwarten zwei Drittel der 150 befragten Finanzvorstände deutscher Konzerne einen Anstieg des Protektionismus. 60 Prozent rechnen mit der Zunahme einer populistischen Wirtschaftspolitik. Diese Gemütslage hat konkrete Auswirkungen: Die Hälfte der Unternehmen überprüft Investitionspläne und über ein Drittel die Lieferketten. Die Unternehmen würden sich auf politische Risiken zwar vorbereiten, ihr Handeln allerdings nicht aktiv danach ausrichten, bewertet Deloitte die erhobenen Daten. Dabei zeigt sich ein interessanter Unterschied im Vergleich zu anderen Ländern: Während in Deutschland nur 19 Prozent der Unternehmen die Anzahl der Mitarbeiter aufstocken will, sind es im Nachbarland Frankreich immerhin 23 Prozent. Ein Unterschied, der sich auch in der Investitionsplanung zeigt: 36 Prozent der deutschen Unternehmen planen steigende Investitionen. In Frankreich liegt diese Prozentzahl bei 42, in den Niederlanden sogar bei 52 Prozent. hp Quelle: Adzuna

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Systemisches Personalmanagement, M.A. (Human Systems Management) Infoabend in Heilbronn

Dienstag, 27. Juni 2017, 18.30 Uhr Organisationen verstehen Prozesse gestalten Systemisch Denken und Handeln

Bewerbungsschl uss 15.07.2017 Studienbeginn Oktober 2017

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MEINUNG

Gefangen im Spiegel des Narzissmus

I

n der abendländischen Kulturgeschichte gilt der Narziss-Mythos als der erste Fall eines Verzichts auf Wissen infolge einer radikalen Selbstüberschätzung. Sein Spiegelbild ersetzt Narziss den Austausch mit anderen Menschen, deren Feedback keinen Einfluss auf seine Persönlichkeitsbildung haben soll. Bis heute gilt der Mythos vom selbstverliebten Narziss als Sinnbild für die Gefahren von Realitätsflucht und Egozentrismus. Dessen ungeachtet nehmen immer mehr narzisstisch geprägte Persönlichkeiten einflussreiche Positionen ein. Narzissten ist die offene Gesellschaft ein Dorn im Auge. Die unverblümte Egomanie eines Erdogan oder Trump legitimiert derzeit öffentlich eine narzisstische Führungskultur, die längst überwunden geglaubt war. Trumps Erfolg rührt maßgeblich daher, dass er in vermeintlich volksnaher Art und Weise 14

Narzisstische Führer wollen Untergebene, die der vermeintlichen Größe und Allmacht bedingungslos folgen. Narzissmus ist eine Gefahr für Gesellschafts- und Wirtschaftsorganisationen. Doch: wie umgehen mit der Ich-Bezogenheit von Omnipotenzprotzen und Egozentrikern?

ein Ideal von Stärke und Aggressivität zelebriert, das die tiefe Verunsicherung der weißen Mittelschicht kompensiert.

Der Narzisst als Container Auf diese Weise übernimmt er die Funktion eines psychologischen Containers, mit dessen Hilfe der Druck aufgestauter Gefühle als Folge unerfüllter Überlegenheitswünsche kanalisiert wird. Das psychoanalytische Container-Contained-Modell stellt eine Kommunikationsform dar, die dabei hilft, mit Ungewissheit und Affektspannungen umzugehen. Idealerweise vermittelt das Konzept Rückhalt und moralische Klarheit in konfliktreichen Gruppenprozessen, um einen Prozess des gemeinsamen Lernens aus Erfahrung in Gang zu bringen. Narzissten machen sich die haltgebende Funktion des Containings jedoch für ihre eigenen Zwecke zunut-

ze. Beim narzisstischen Containment geht es eher um „hergestellte Dummheit” – ein Ausdruck von Alexander Mitscherlich, der die gezielte Verdummung durch politische Propaganda meint – als um Räume für Entwicklung. So versprechen Populisten wie Trump, die Modernisierungsverlierer ihres Landes wieder zum Teil eines Traums von Einheit und Größe zu machen. Sie tragen dadurch zur Abfuhr von kollektiven Unruhezuständen bei, was von der herrschenden Elite tatsächlich lange Zeit vernachlässigt wurde. Befremdlich ist dabei, wie die narzisstische Führungskultur für viele Menschen eine Denk- und Kommunikationsform eröffnet, aus der heraus sich starke Veränderungsdynamiken entfalten.

Gefühlte Wahrheiten Man sollte allerdings nicht übersehen, dass narzisstische Führer ihre Gewww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Melanie Meissner; James Rea

Ein Text von Thomas Kretschmar und Moritz Senarclens de Grancy


Illustration: wikimedia - Caravaggio

MEINUNG

folgschaft vor allem in ihrem eigenen Interesse beeinflussen und dafür die Spaltung von Gesellschaften in Kauf nehmen. Das narzisstische Ich kann sehr gut auf das Du seines Gegenübers verzichten. Doch das eigentliche Problem narzisstischer Führungspersönlichkeiten liegt in der Abgeschlossenheit des Denkens, zu der sie verleiten: Es folgt einer vorgegebenen Logik, wonach nur das von Relevanz ist, was dem narzisstischen Blick gefällt. Alles andere wird aus der Wahrnehmung ausgeblendet oder als Fake, als Unwahrheit, abgestempelt. Hat sich diese dogmatische Einstellung zur Wahrheit erst einmal verfestigt, wird nur noch das geglaubt, was in das narzisstisch aufgespannte Weltbild passt. Die Wirklichkeitswahrnehmung verkommt zu einer Unkultur der gefühlten Wahrheit, die sich in einer Blase alternativer Fakten einrichtet. Das narzisstische Weltbild scheint manchen Führungspersönlichkeiten wohl auch deshalb so verlockend, weil es von ihnen nicht mehr verlangt, sich an Objekte mit ungewissen Be-

friedigungsmöglichkeiten zu binden. Diese Haltung überträgt sich auch auf Gefolgschaft und Mitarbeiter: Sie lehnen es ab, mit unbequemen Vernunftoder Sachwahrheiten umzugehen oder diese über mühevolle Lernprozesse in den Alltag zu integrieren. Stattdessen orientieren sich narzisstische Kulturen an Vorurteilen und unbewussten Annahmen, den Unconscious Bias.

Last Exit: Ödipus’ Schicksal Narzisstische Führungskulturen weisen die Tendenz auf, ihr Umfeld entsprechend dem eigenen Wunschdenken imaginierter Größe zu vereinheitlichen. Damit wird aber die Chance vertan, Gesellschaften und Organisationen auch ohne Vereinheitlichung der Führungs- und Funktionsstrukturen zusammenzuhalten. Narzisstische Führungskulturen behindern die Entwicklung von Organisationen, Gesellschaften und Unternehmen. Gelingt es, narzisstische Engführungen des Denkens für einen gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess nutzbar zu machen, können sich das kreative Potenzial und die Bereitschaft zur Kooperation in Teams und Organisationen erhöhen. Über ein strukturgebendes Containment kann das Wunschdenken imaginierter Größe bewusst gemacht und für aktive, lebendige Verbindungen des Denkens geöffnet werden. Bestimmte Begabungen wie Humor erfüllen diese strukturge-

bende Containment-Funktion, indem Aggressionen und Affekte aufgenommen und in etwas Neues umgewandelt werden. Führungspersönlichkeiten, denen nicht nur an der eigenen Zukunft gelegen ist, unterstützen daher durch ihre innere Einstellung Containing-Prozesse, die zu mehr Toleranz und Lernbereitschaft führen. Sie fördern die Bereitschaft, Unterschiede wahrzunehmen und ihren Nutzen für die gemeinsame Sache anzuerkennen. Natürlich brauchen moderne Wissensgesellschaften auch Visionäre, die mit Selbstbewusstsein vorangehen und Innovationsanstrengungen einfordern. Aber ebenso wichtig sind diskursive Räume für ein strukturgebendes Containment, in denen narzisstische Allmachtsphantasien und egozentrisches Handeln für alle Beteiligten erkennbar sind und korrigierbar werden. Andernfalls droht das Schicksal des Ödipus, der in seiner Selbstbezüglichkeit gefangen blieb. •

THOMAS KRETSCHMAR ist Diplom-Kaufmann, klinischer Psychologie und Senior-Coach. Er leitet das Mind Institute SE in Berlin. Zuvor war er in einer Unternehmensberatung, als Hochschullehrer und Start Up-Unternehmer tätig.

MORITZ SENARCLENS DE GRANCY ist Kulturwissenschaftler, Psychoanalytiker und Experte für Verliebte sich in sein Spiegel-

analytische Führungskräfteentwicklung. Er leitet

bild und war für immer

den Forschungsbereich Kulturelle Innovation und

verloren: der Narziss.

Diversity beim Mind Institut SE in Berlin.

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Femme Digitale! Ein Essay von Silvia Hänig

Die digitale Arbeitswelt bietet gute Chancen für Führungsfrauen, sich zu positionieren. Eigentlich. Tatsächlich tun sich viele noch schwer mit der eigenen Markenbildung. Welche Weichen sollten die Protagonistinnen der Gegenwart jetzt für sich stellen? 16

I

n den Personaletagen ist mächtig Bewegung und es gibt viel zu tun: Die Digitalisierung berührt alle Unternehmensbereiche, schafft neue Tätigkeitsfelder und stellt die bisherige Arbeitsorganisation auf den Kopf. Mit dieser Entwicklung verändert sich auch die HR-Agenda und macht Vorstände zu Galionsfiguren des Wandels. Gerade die weiblichen Personalvorstände geraten verstärkt ins Rampenlicht. Bei ihnen wird ganz

genau hingesehen, ob sie die Belange der Mitarbeiter im Blick haben und gleichzeitig, quasi „on the job“, die richtigen Weichen für eine zukunftsfähige Organisation stellen können. Keine Frage: Das zu bewerkstelligen ist eine Herkulesaufgabe, die Frauen wie Männer gleichermaßen herausfordert. Die wirtschaftliche Situation kombiniert mit der Diskussion zu „Frauen in Führung“ oder „Gender-Diversity“ schafft ein hervorragendes Momenwww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


MEINUNG

„ Vorstandsfrauen sollten die Rolle der häufig übertrieben pflichtbewussten Botschafterin des Unternehmens zugunsten einer modernen Managerin ablegen.“

tum für Frauen, ihre Führungsqualitäten öffentlich unter Beweis zu stellen. Gerade wenn es um Mitarbeiterführung, neue Formen der Kommunikations- und Unternehmenskulturen sowie kollaborative Arbeitswelten geht. Weibliche Personalvorstände haben alle Karten in der Hand, ein Randthema zur strategischen Kernkompetenz zu machen. Wer das erkennt, vermag die vernetzte Arbeitswelt persönlich zu prägen und kann dadurch für andere zum Vorbild werden. Nur, wo passiert das gerade? Wer ist sich dieser öffentlichen Rolle bewusst und bereitet die eigene Organisation auf übermorgen vor? Die Antworten auf diese Fragen sind alles andere als einfach. Zunächst sollten sich Frauen ihrer Rolle als Chef-Kommunikatorin bewusst werden, diese Aufgabe als Teil ihrer unternehmerischen Agenda verstehen und verinnerlichen. Wegdelegieren ist keine Option. Der Dialog sollte eine klare Richtung haben. Neben der Kommunikation sowohl auf der Ebene der Geschäftsleitung als auch mit den Mitarbeitern haJu ni  /  Jul i 20 1 7

ben vor allem Kunden, Meinungs- und Interaktionsmedien sowie Netzwerke für potenzielle Bewerber Priorität. Allerdings fremdeln noch viele Vorstandsdamen mit besagten Gruppen.

Markenbildung Wichtig für weibliche Personalvorstände, die als Gestalterinnen diese neue Ära prägen wollen, ist es daher, ihren „Personal Brand“ herauszuarbeiten. Um die eigene Markenbildung authentisch aufzubauen, gilt es herauszufinden, welche kommunikativen Neigungen und Persönlichkeitsmerkmale am besten mit den Zielen der neuen Arbeitswelt und den Reputationszielen des Unternehmens korrespondieren. Möchte die Personal-Lenkerin das Vorbild für neue Werte, Arbeits- und Kommunikationskulturen sein? Oder doch der Change-Agent, der für Innovationen und Wachstum steht? Oder besser die Teamplayerin, die dafür sorgt, dass agiles Arbeiten über den Globus verteilt funktioniert? Die Antworten auf diese Fragen hängen stark

von der eigenen unternehmerischen Verantwortung ab, sollten aber in der Kommunikation und den persönlichen Eigenschaften zu einem stimmigen Gesamtbild führen. Denn das „Personal Branding“ oder „Leadership Branding“ hat von jeher große Strahlkraft auf das Image des Arbeitgebers. Daher sollte der weibliche Personalvorstand die entsprechende Identifikationsfigur verkörpern. Zwar kommunizieren die meisten frisch gekürten weiblichen Personalvorstände schon vor den ersten 100 Tagen munter drauflos. Beim verschärften Blick auf eine mögliche Positionierungs-Systematik fällt allerdings auf: Die Mehrheit scheint ihren Vorstandstitel in erster Linie dafür zu nutzen, sich auf öffentlichen Bühnen formal besser durchzusetzen. Diese weiblichen Chefs begreifen ihre Außenkommunikation noch zu stark als Projektionsfläche zur Selbstinszenierung oder Selbstsicherung und weniger als Möglichkeit, einen echten Wertbeitrag zu leisten. Das mag daran liegen, dass manch weiblicher Vorstand kommunikative Botschaften nicht gezielt einsetzt und manch eine Botschaft nicht vorstandsgerecht sein mag. Denn die bloße Vorstellung neuer Employer-BrandingInitiativen oder New-Work-Kampagnen, worüber entweder Top-Talente gefunden oder die Möglichkeit von Homeoffice-Arbeitsplätzen vorgestellt werden sollen, könnte auch eine Personalreferentin vortragen. Vorstandsfrauen brauchen thematisch eine andere Flughöhe, die sie öffentlich auf Augenhöhe mit dem Vorstandsvorsitzenden befördert. Damit sollte auch ihr Themenspektrum korrespondieren. Sie sollten die Rolle der häufig übertrieben pflichtbewussten 17


MEINUNG

Botschafterin des Unternehmens zugunsten einer modernen Managerin ablegen. Für die Positionierung bedeutet das: Weibliche Vorstände sollten zeigen, dass auch sie mitten im Leben stehen, dass sie klare Verfechterinnen ihrer eigenen HR-Agenda sind und diese auch gegen Widerstände beharrlich weiterverfolgen. Outside-InPerspektive lautet die Devise.

Femme Personal Wer als „Femme Personal“ Wirtschaftsgeschichte schreiben möchte, braucht eine klare Vision, die in konkrete Kernbotschaften heruntergebrochen wird. Und das ist in einer komplexen Welt gar nicht so einfach. Heute kommt es mehr denn je darauf an, mit einfachen Worten vermitteln zu können, welche wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Tragweite zum Beispiel ein Wandel in Richtung flexibler Arbeitswelten hat. Das Zielbild der Person und die dazugehörige Botschaft sollten so angelegt sein, dass jederzeit die Wirkungszusammenhänge zwischen der eigenen Mission und der geschäftlichen Entwicklung erkennbar sind. Je besser dieser Spagat gelingt, desto größer ist das Vertrauen. Konkret bedeutet das, je nach Zielgruppenzuschnitt, neue Arbeitskonzepte aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben zu können. Denn ein Recruiter braucht eine andere Ansprache als der IT-Vorstand. 18

Am griffigsten und wirkungsvollsten können diese „Master Narratives“ der modernen Vorreiterinnen natürlich über eine intelligente Kombination aus klassischen, digitalen und firmeneigenen Medien erzählt werden.

Im digitalen Dialog Insbesondere beim Dialog über die sozialen Netzwerke können Frauen punkten, wenn es darum geht, die „Persönlichkeit“ sprechen zu lassen. Denn die Stakeholder in den sozialen Communities interessiert vor allem die persönliche Einschätzung und der Blick hinter die Unternehmenskulissen: Welches Buch liest man gerade? Welche Veranstaltung war inspirierend? Was bedeutet diese neue Arbeitswelt für die Menschen? Je mehr persönliche Relevanz in die Kommunikation einfließt, umso authentischer ist die soziale Positionierungsbilanz. Es ist wichtig zu demonstrieren: Ich bin eine von euch. So erhalten sie auch unmittelbare Resonanz auf die eigenen Botschaften und können gefühlte Barrieren schneller abbauen. Nirgendwo sonst bietet sich durch den direkten Dialog eine derart perfekte Möglichkeit zur Reflektion der eigenen Rolle wie in den sozialen Medien. Das Social Web lässt Rangunterschiede in eine andere Sphäre abrücken und kann sogar eine gefühlte Kollegialität vermitteln.

Das sollten Frauen gezielt für sich nutzen und sich dort über Teamgeist, soziale Kompetenz und Einfühlungsvermögen präsentieren. Ihre digitale Handschrift sollte dabei durch einen fähigkeits- und interessensbasierten Dialog auf Augenhöhe zum jeweiligen Fachthema gekennzeichnet sein. Damit verschaffen sie sich als Promoterin der digitalen Arbeitswelt einen Vorteil gegenüber den männlichen Kollegen, die Netzwerke meist etwas plump zur Selbstvermarktung nutzen. Weibliche Personalvorstände, denen es gelingt, die Stellhebel geschickt zu betätigen, haben eine gute Chance, sich als Vorbild in einer komplexen Arbeitswelt zu positionieren. In der Praxis halten sich viele Frauen allerdings noch stark zurück. Frauen setzen insgesamt noch zu wenig den Werkzeugkasten der Augenhöhe-Diskussion ein. Die digitale Identität von Führungsfrauen im Netz passt noch nicht zu den Erfordernissen der Zeit. Sie präsentieren sich häufig ausschließlich über ihr Fachwissen. Hier gilt es, sich mit den Kommunikationsmechanismen des Social Web auseinanderzusetzen, um diese subtil einzusetzen. Weg vom Überzeugen durch Leistung hin zum Überzeugen durch Souveränität. •

SILVIA HÄNIG ist Beraterin und Geschäftsführerin von iKOM Strategische Kommunikation. Als Beraterin unterstützt sie Unternehmen kommunikativ beim digitalen Wandel.

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Foto: Privat

„ Insbesondere beim Dialog über die sozialen Netzwerke können Frauen punkten, wenn es darum geht, die Persönlichkeit sprechen zu lassen.“


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Wie ich mich selbst entmachtet habe Ein Gastbeitrag von Florian Rustler

Es war an der Zeit, eine neue Organisationsform in unserem Unternehmen einzuführen. Ein „Spiel für Erwachsene“ nannte es unser Coach. Ein Erfahrungsbericht über Höhen und Hürden der Holokratie.

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om Aufbrechen veralteter Unternehmensstrukturen erhoffen sich Firmen zufriedenere und motiviertere Mitarbeiter, die mehr Verantwortung übernehmen. Außerdem entlastete Führungskräfte, kurze Entscheidungswege und deutlich mehr Geschwindigkeit in Meetings. Ein Konzept, das all das verspricht, ist die Holokratie. Im vergangenen Jahr haben wir, wohlgemerkt ein etabliertes Unternehmen und kein Start-up, uns entschlossen, Holokratie als neue Organisationsform einzuführen. Es war an der Zeit, sich selbst als Versuchskaninchen und Vorreiter zur Verfügung zu stellen. Denn nur so lässt sich Innovation – auch im Bereich der Organisation – im eigenen Kontext leben.

Holokratie: Was ist das? Holokratie, neudeutsch: Holacracy, ist ein System der Selbstorganisation mit verteilten Autoritäten. Anstelle klassisch-hierarchischer Strukturen mit 20

zunehmender Machtfülle am oberen Ende der Pyramide sind dabei die Führungsaufgaben verteilt. Arbeit ist in Rollen mit klaren Verantwortlichkeiten, Rechten und Autoritäten gegliedert. Es handelt sich bei Holacracy explizit um kein demokratisches System, bei dem jeder alles mitbestimmen kann. Vielmehr füllt ein Mitarbeiter mehrere Rollen aus, in eigener Regie, das heißt eigenverantwortlich und selbstgesteuert. Jeder trifft im Rahmen seiner Rollen eigene Entscheidungen und muss dafür niemanden um Erlaubnis bitten. Auch gibt es niemanden, der dagegen ein Veto einlegen könnte, weder als ehemaliger Vorgesetzter noch als Geschäftsführer. Bestimmte Entscheidungen, die in die Autorität einer anderen Rolle eingreifen, müssen mit dieser Person besprochen und von ihr entschieden werden. Es gibt einen definierten Entscheidungsfindungsprozess, wie die Struktur der Organisation künftig weiter verändert und angepasst werden kann. Der Grundgedanke liegt

darin, dass Vertrauen gelebt wird und jeder Mitarbeiter das Unternehmen voranbringen will. Ein sinnstiftender Zweck in einer Organisation und entsprechende Autonomie steigern Motivation und Engagement aller Mitarbeiter, darauf weist auch die Forschung regelmäßig hin. Die meisten Ängste vor einem Kontrollverlust sind daher unbegründet. Ein „Spiel für Erwachsene“, nannte es der uns bei dem Transformationsprozess begleitende Coach . Diese Art der Organisationsstruktur erlaubt es einem Unternehmen, deutlich schneller Entscheidungen zu treffen und seine Struktur der sich wandelnden Realität anzupassen. Wie könnte das also aussehen? In einem operativen Meeting (Tactical) werden in etwa 60 Minuten 30 Themen strukturiert und zielführend besprochen – ohne ein Abschweifen in lange Diskussionen. In einem strukturellen Meeting (Governance) ist es möglich, die Struktur der Organisation sowie Verantwortwww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


MEINUNG

lichkeiten von Rollen innerhalb kurzer Zeit zu verändern und das Unternehmen so schnell anzupassen.

Loslassen lernen Das Konzept klingt erst einmal toll, gleichzeitig birgt es auch einige Herausforderungen. Natürlich ist es als kleineres Unternehmen leichter, diesen Wandel zu vollziehen. Es funktioniert aber grundsätzlich auch für größere Unternehmen, wenn gewisse Punkte beachtet werden:

Foto: creaffective   Illustration: thinkstock - rudall30

1. Chef und Führungskräfte müssen loslassen können und gleichzeitig eine tragende Rolle in der Entscheidungsfindung innerhalb des Veränderungsprozesses spielen. Schließlich gehen sie den größten Schritt in Sachen „Verantwortung abgeben“. Für Unternehmen, die aus einer Selbstständigkeit heraus gewachsen sind, oder solche, die stark von einzelnen Führungskräften abhängig sind, birgt das große Chancen. So lässt sich ein Unternehmen solider und unabhängig von einer einzelnen Person aufstellen, während ein Geschäftsführer entlastet werden kann. 2. Transparenz: Menschen können nur eigenverantwortlich gute Entscheidungen treffen, wenn sie Zugang zu allen relevanten Informationen haben. Das heißt Geschäftszahlen, Kennzahlen und Kundendaten sind für viele oder alle zugänglich – oft auch Gehaltsdaten. Wissen ist in diesem Fall eben nicht Macht und sollte auch nicht gehortet werden. 3. Der Wunsch nach eigenverantwortlichem Arbeiten im Unternehmen ist Kultursache. Nicht jeder Mitarbeiter möchte eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür übernehmen. Es gibt Menschen, Ju ni  /  Jul i 20 1 7

die lieber ausführend tätig sind. In einer Organisation, die auf Selbstorganisation setzt, werden sich diese Mitarbeiter langfristig nicht wohlfühlen. Jeder Mitarbeiter sollte frei entscheiden, ob er den Schritt mitgehen möchte. Es wird natürlich auch die eine oder andere Führungskraft geben, die nicht gerne ihren alten Einflussbereich aufgibt. 4. Die Fähigkeit, sich selbst gut organisieren zu können, ist essenziell. Systeme der Personal-Workflow-Organisation wie Getting Things Done (GTD) sind ein zentraler Grundbaustein für das Gelingen von Selbstorganisation in Unternehmen. Mitarbeiter brauchen die Fertigkeiten, „Dinge“ selbstständig zu organisieren, priorisieren und sie wiederzufinden. Ohne dieses funktionierende System bricht Chaos aus. Der Vorteil besteht darin, dass es sich vergleichsweise leicht erlernen lässt. Es erfordert jedoch Disziplin. 5. Die Bereitschaft, Dinge beim Namen zu nennen, sollte vorhanden sein. Mitarbeiter sollten fähig sein, persönliche Befindlichkeiten und Verhaltensweisen, die zu Reibereien führen, offen und mutig anzusprechen. Sie finden in den Prozessen, die auf Geschwindigkeit und Rollenverteilung abgestimmt sind, meist nur wenig Platz. Unternehmen sind aufgefordert, für diesen persönlichen Raum und den Austausch im Unternehmen abseits von Holacracy zu sorgen.

dern kann er es aber nicht. Der Startschuss und die anschließende Reise waren innerhalb unseres Unternehmens bisher weit weniger anstrengend als zu Beginn befürchtet. Schmerzfrei war dieser Wandel allerdings nicht. Ein Coach, der in den ersten Monaten mit Rat und Tat den Prozess unterstützend begleitet, ist daher ratsam. In unserem Unternehmen hat das System nach einem halben Jahr Fahrt aufgenommen. Wir haben uns an die Meeting- und Entscheidungsstrukturen gewöhnt und deutlich an Geschwindigkeit gewonnen. Das liegt auch daran, dass der Geschäftsführer bei einem Gros der Entscheidungen schlicht nicht mehr gefragt wird oder vielmehr: nicht mehr gefragt werden muss. Gleichzeitig ist es spannend zu sehen, wie die Kollegen im Rahmen ihrer Rollen Arbeitsinhalte motiviert vorantreiben und sie sich gegenseitig positiv und selten negativ überraschen. Nun haben wir lediglich die ersten Schritte gemacht, es werden uns sicher noch einige Hürden auf dem Weg begegnen. Der bisherige Weg und die Ergebnisse stimmen uns jedoch positiv für die Zukunft unserer Holokratie. •

Hürden und Weichen Die Umstellung bedeutet für den Geschäftsführer, sich selbst zu entmachten. Vieles, was früher selbstverständlich von ihm/ihr entschieden wurde, liegt nun in anderen Händen. Wem die Entscheidung eines Kollegen nicht gefällt, kann das zwar kundtun, verhin-

FLORIAN RUSTLER ist Berater, Coach, Moderator und Unternehmensgründer der creaffective GmbH. Er ist Autor mehrerer Bücher zu den Themen Kreativität, Innovation und Organisation der Zukunft.

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PROLOG

Social Collaboration steht für vernetzte Zusammenarbeit. Das Schlagwort der Stunde ist verbunden mit allerlei Versprechen: gesteigerte Effizienz, bessere Unternehmenskultur, größerer Wissenstransfer. Doch welche gesellschaftliche Bedeutung hat die „smarte“ Zusammenarbeit? Ist sie am Ende Steigbügelhalter für eine smarte Diktatur?

Leidenschaftlich transparent

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eidenschaft, Partizipation, Transparenz. Was wie ein gängiger zeitgenössischer Leitspruch eines hippen Unternehmens klingt, ist in Wirklichkeit das Diktat einer Dystopie: In Dave Eggers zeitgeistigem Roman „The Circle“ werden die Mitarbeiter des gleichnamigen Unternehmens auf diesen Dreiklang eingeschworen. Wendige Köpfe könnten nun fragen: Wo ist das Problem? Eine Sache leidenschaftlich anzugehen? Sie aktiv und vernetzt im Sinne der Social Collaboration mitgestalten zu können? Und dabei alle Beteiligten und ihre Ergebnisse sichtbar zu machen? www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Illustration: Miriam Jacobi

Ein Essay von Hannah Petersohn


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Gleichwohl mit dem Wortungetüm Social Collaboration, das in erster Linie für vernetzte Zusammenarbeit steht, Heilsversprechen wie gesteigerte Effizienz, Innovationskraft und optimierte Informationsflüsse einhergehen, scheint indes die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung auf der Strecke zu bleiben. Im Stakkato werden hastig die Segnungen der smarten Zusammenarbeit beschworen. Ob es nun um das Smart Phone, das Smart Home oder um das smarte Büro geht. Social Collaboration ist eine begriffliche Kombination, die übersetzt einfach nur soziale Zusammenarbeit bedeuten könnte. Allerdings ist Zusammenarbeit per se sozial, sonst wäre es einfach nur Arbeit. Es handelt sich strenggenommen also um einen Pleonasmus. Und wer ein historisches Gedächtnis hat, der darf über den Begriff nicht nachdenken. Denn niemand wäre im deutschen Sprachraum nach 1945 darauf gekommen, das Stichwort Kollaboration in den Raum zu werfen oder es gar für eine positiv konnotierte Bezeichnung des Arbeitsprozesses anzuwenden. Entsprechend unangenehm scheint die Verwendung der deutschen Übersetzung des Begriffs, weswegen man sich gern mit dem Terminus „vernetzte Zusammenarbeit“ behilft. Aber gut: Social steht mittlerweile nicht mehr allein für sozial, sondern vielmehr für smarte, also netzwerkartig-digital verknüpfte Sozialität. Smart ist das Schlagwort unserer Gegenwart. Smart ist, was vernetzt ist. Smart ist, was digital ist. Smart ist aber auch, was uns entgleiten könnte.

Wanna Cry? Das Problem liegt darin, diese neuen smarten Arbeitsweisen unreflektiert anzuwenden und ihre gesellschaftlichen

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Auswirkungen, eventuellen Gefahren und Fallstricke zu negieren. Zum anderen könnten die Maßlosigkeit und das blinde Vertrauen, mit dem digitalen Technologien hier und da begegnet wird, zu einem Kontrollverlust unbekannten Ausmaßes führen. Einen Vorgeschmack auf die Folgen der allumfassenden Vernetzung und ihrer Angreifbarkeit ließen sich kürzlich beobachten: Über 300.000 Rechner wurden weltweit von der Schadsoftware mit dem einigermaßen höhnischen Namen „WannaCry“ infiziert. Am Frankfurter Hauptbahnhof mussten Bahnmitarbeiter mit Kreide und Tafel die Reisenden über die Abfahrtszeiten und Gleisnummern informieren. In britischen Krankenhäusern mussten Operationen vertagt und Patienten weggeschickt werden. Die bislang größte Cyberattacke hat unsere vernetzte Welt lahmgelegt. Sie unkontrollierbar gemacht. Was bedeutet das für unsere vernetzte technikgestützte Zusammenarbeit? Nun, zum einen können wir gar nicht mehr nicht auf diese Weise miteinander arbeiten. Virtuelle Teams, räumlich und zeitlich voneinander getrennt, bedürfen der digitalen Kommunikationswege. Ohne Frage. Auch ermöglicht Social Collaboration mobiles Arbeiten, den Austausch von Dokumenten und Neuigkeiten und den auch informellen Wissenstransfer. Ideen können in Mindmapping-Tools entworfen werden, Diskussionen über Instant Messenger, Video- und Audio-Conferencing-Dienste geführt und der Projektfortschritt jederzeit über Projektmanagement-Tools überwacht werden. Physische Präsenz wird durch die virtuelle abgelöst, Kosten können eingespart werden. Aber nicht nur die Verletzlichkeit des vernetzten, digitalen Systems ist ein Problem. Der Kontrollverlust durch Cyberangriffe ist das eine. Die individuelle Kontrolle könnte indes auch Mitarbeitern entgleiten, die in einer allumfassend vernetzten Arbeitsumgebung arbeiten. Martin Klaffke, Professor für Betriebswirtschaftslehre, rät in seinem Buch „Arbeitsplatz der Zukunft“ Unternehmen dazu, sämtliche Funktionen wie Wikis, Blogs, Wissens- und Austauschplattformen in einem Portal zu integrieren. Sicher: Reibungsverluste durch verschiedenartig operierende Systeme könnten damit eingedämmt werden. Allerdings könnte so ein absolutes System Unternehmen, wenn sie es darauf anlegen, dazu befähigen, stärker Kontrolle über Angestellte auszuüben. Dave Eggers Roman „The Circle“ denkt die Mechanismen eines solchen umfassenden Systems konsequent und erbarmungslos weiter: Die Protagonistin Mae Holland findet sich nach ein paar gestrauchelten Job-Versuchen in der Arbeitswelt des IT-Unternehmens Circle wieder. Die Firma ist ein fiktives Konglomerat real 23


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bestehender „sozialer“ Plattformen wie Youtube, Twitter und Facebook. Hier heißt das Ganze TruYou und umfasst darüber hinaus die weltgrößte Suchmaschine, ist E-Mail-Anbieter und hält über 90 Prozent am SMS-Markt. TruYou fasst sämtliche Profile, Konten, Zahlungssysteme und Identitäten eines Nutzers zusammen. „Schluss mit mehrfachen Identitäten. Ein einziger Button für den Rest deines Onlinelebens“, heißt es im Circle.

Eine solche Vision ist keine Zukunftsmusik mehr. China plant bereits die Einführung eines Ratingsystems für alle Bürger basierend auf dem sozialen und öffentlichen Verhalten, aber eben auch auf den Internet-Aktivitäten. Unter dem Namen „Sozialkreditsystem“ wird das Verhalten eines Menschen sozial und politisch gemessen und bewertet. Regierungskritische Kommentare sind natürlich nicht besonders förderlich für den individuellen Punktestand. Das Punktesystem belohnt „gute“ Bürger mit vergünstigten Krediten oder kostenlosem Zugang zu Bibliotheken. „Bösen“ Bürger hingegen wird das Leben einfach ein bisschen schwerer gemacht: ob bei der Wohnungssuche, bei der Kreditvergabe oder beim Einholen einer Reiseerlaubnis. Die chinesische Regierung sieht in dem System, das bis 2020 landesweit eingesetzt werden soll, die Möglichkeit, Bürger und Unternehmen zum Einhalten von Regeln und Gesetzen zu zwingen. Was dabei gut und böse ist, liegt selbstredend im Ermessen der Regierung. Woher kommt uns diese Logik bekannt vor? „Sei nicht böse“ ist auch der Slogan von Google, wobei es vor zwei Jahren in sein euphemistisches Pendant „Tu das Richtige“ umgekehrt wurde. Man will ja nicht mit etwas Negativem in Verbindung gebracht werden. Aber was hat diese Dialektik des vermeintlichen Idealismus mit Personalarbeit zu tun? Eine ganze Menge. Schließlich dient das Silicon Valley, Hort vernetzter Zusammenarbeit, vielen Personalern, Managern und Geschäftsführern als unerschütterliches Vorbild – gerade beim Thema Social Collaboration. Daran können offensichtlich auch nicht die Stimmen jener, die die Unternehmenskultur im kalifornischen Mekka der Digitalisierung heftig kritisieren, etwas ändern. Chauvinismus und Frauenfeindlichkeit? Hat ja nichts mit der Digitalisierung zu tun. Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte? Wir nennen es Agilität und ungebremste Effizienz. Ein bisschen E-Mail-Scanning? Dient doch nur dem Schutz der Firmen-Interna. In manchen Firmen ist bereits das Telefon direkt an den Computer an24

geschlossen, und damit hängt die verbale Kommunikation nahtlos am Computernetz. Auch Unterhaltungen in unternehmensinternen Chats könnten, schreibt der Autor Martin Klaffke leicht verklausuliert, „im E-Mailsystem des Mitarbeiters zur Revision“, also zur nachträglichen Überprüfung, gespeichert werden. Begründen lässt sich der Hang zur Sammelleidenschaft passenderweise damit, dass Mitarbeiter schließlich keinem Informations-Overkill durch irrelevante Informationen erliegen sollen. Man könne, so Autor Klaffke, nicht von einer guten Information sprechen, wenn eine Suchmaschine Millionen Treffer ausspuckt. Und genauso wenig hilfreich sei es, wenn Mitarbeiter pro Tag Hunderte Mails erhalten. „Auch Intranet- und Kollaborationslösungen, die vermeintlich zur Informationsverteilung beitragen, können schnell zu einem totalen Informations-Overflow beitragen“, heißt es bei Klaffke. Um dieser Informationsflut Einhalt zu gebieten, ließe sich, so der Autor, argumentieren, dass Informationen dann einfacher und passgenauer auf Angestellte zugeschnitten werden können. Und zwar dann, umso „genauer ein Anwender im System charakterisiert und damit profiliert ist“. Da spielt die Tatsache, dass Angestellte auch ihre privaten mobilen Geräte zur Erledigung von Arbeitsaufgaben nutzen, der Informationsanreicherung zwecks genauer Profilierung in die Hände. Warum sollte ein Arbeitgeber auch kein Interesse am Nutzungsverhalten eines Angestellten haben? Schließlich kann so beispielsweise die Wechselbereitschaft der Mitarbeiter bereits algorithmisch berechnet werden. Große Datenmengen können nach Mustern und Auffälligkeiten untersucht werden, die dann mit Predictive Analysis Tools Vorhersagen über menschliches Verhalten erlauben. www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Illustration: Miriam Jacobi

Schuld und Sühne


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Big Brother – Big Data Dass es bei einigen Unternehmen einen grundlegenden Wunsch nach der Vermessung von Mitarbeitern gibt und eine Sehnsucht besteht, die Handlungen der Angestellten vorherzusehen, ist unbestreitbar: So entdeckten Redakteure der britischen Tageszeitung The Telegraph an einem Montagmorgen zu Beginn dieses Jahres Plastikboxen, die an ihren Schreibtischen installiert worden waren. Es handelte sich um Geräte einer Firma mit dem bedeutungsschwangeren Namen OccupEye. Sie sollten Wärmeentwicklung und Bewegungen der Angestellten aufzeichnen und hätten damit eine totale Überwachung über die Präsenz der Mitarbeiter ermöglicht. Trotz der euphemistischen Begründung, man habe nur „nachhaltige Umweltdaten“ sammeln wollen, war der Protest gewaltig und die Geräte mussten wieder entfernt werden. Allein dass es Widerstand gab, ist nicht mehr selbstverständlich. Harald Welzer, Sozialpsychologe und entschiedener Kritiker der „smarten Diktatur“, attestiert unserer Gegenwart eine freiwillige Kapitulation vor der digitalen Überwachung. Er weist auf das sozialpsychologische Phänomen der Shifting Baselines hin. Demzufolge bemerken wir in einer sich ständig verändernden Umgebung den Wandel nicht mehr, sondern justieren unsere Wahrnehmung kongruent zum äußeren Wandel permanent nach. Bei der britischen Tageszeitung The Telegraph hat man also den „Fehler“ gemacht, den Wandel disruptiv vorzunehmen. Entsprechend einschneidend wurde er wahrgenommen und abgelehnt. Das Gegenbeispiel: Stellen heute ganz selbstverständlich und freiwillig Millionen von Nutzern dem Unternehmen Google ihre privaten Daten zur Verfügung,

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gab es 1987 noch massive Proteste gegen eine Volkszählung, weil ein Missbrauch von Daten befürchtet wurde. Und was passiert eigentlich, wenn sich Mitarbeiter der Einführung bestimmter smarter Digitalisierungen entziehen? Wenn sie nicht online Messangerdienste nutzen wollen, sondern lieber zum Telefon greifen? Viele Unternehmen erliegen einem Trugschluss, wenn sie glauben, dass Social Media unternehmensintern funktionieren muss, weil die Mitarbeiter die Vernetzungstools privat ja auch nutzen. Eva Bittner, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Uni Hamburg, weist darauf hin, dass nur ein Prozent der Web-Nutzer die große Menge der Inhalte in den sozialen Netzwerken produziert. 90 Prozent seien passiv und nur Konsumenten der Inhalte. Die restlichen neun Prozent taggen oder kommentieren hier und da. Aber die große Masse der Inhalte werde nur von einem Bruchteil der Nutzer produziert. Übertragen auf Unternehmen bedeutet das: „Es handelt sich vielleicht um ein Prozent der Mitarbeiter, die aktiv unternehmensintern Inhalte beisteuern. Das ist nicht die Masse. Und wenn man noch Wert darauf legt, dass diejenigen, die diese Tools nutzen, Experten sein sollen, bleibt nur noch ein sehr kleiner Personenkreis übrig“, sagt Bittner.

Der Verdacht Angenommen, Mitarbeiter werden vom Chef dazu angehalten, soziale Kollaborationswege zu nutzen, das Social Intranet zu befüllen und im Unternehmens-Wiki Inhalte zu teilen. Was, wenn sie sich dem jedoch entziehen? Sie könnten außen vor bleiben, ins unternehmerische Abseits geraten oder noch schlimmer: sich gerade durch ihre ablehnende Haltung verdächtig machen, als illoyale Mitarbeiter, als Gegner des Unternehmens. Eine psycho-soziale Denkweise, die sich das amerikanische Ministerium für innere Sicherheit nach dem Amoklauf in Denver 2012 zum Ausgangspunkt seiner Arbeit genommen hat: Weil der Täter nicht bei Facebook oder Twitter angemeldet war, beobachtet der Ausschuss seither jene Schüler und Studenten, die sozialen Medien fernbleiben. Im Jahr 2013 erscheint Dave Eggers Roman „The Circle“. Der Autor brauchte sich bei der Recherche für seine Dystopie nur an der Realität bedienen: In dem fiktiven CircleUnternehmen ist „alles miteinander verknüpft und rückverfolgbar und simpel“. Aber noch viel wichtiger: Wer nicht teilnimmt, macht sich automatisch verdächtig. Es herrscht der Imperativ einer Transparenz, die mit den Worten „sharing ist caring“ (Teilen ist Kümmern) begleitet wird. Für jede Handlung, die die Romanfigur Mae in sozialen Medien ihres Unternehmens preisgibt, sammelt sie Punkte. 25


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Je mehr Punkte Mae anhäuft und damit im sozialen Ansehen der Firma aufsteigt, desto mehr will sie besitzen. Wie ein warmer Regen ergießt sich die Bestätigungsmaschinerie des Lobes über die Protagonistin. Es ist ein sich selbst antreibendes System: Jede unbeantwortete Mail wird zum Pfeil, dessen Spitze sich in den Narzissmus der Romanheldin bohrt und dort langsam sein Gift verbreitet. Die Punkte steigern ihr Gefühl, endlich dazuzugehören. Jede private Handlung, jedes Geheimnis wird zum Stigma. Alles wird Teil einer kollektiven Aufzeichnung. Der Zwang zur Transparenz wird zynisch begründet mit dem Willen zur Demokratie. Maes Optimismus und Anpassungsbereitschaft dienen sich dem Versprechen auf eine bessere Zukunft an. Und so wird aus ihrer Individualität kalte Konformität. Das ist die Krux an der Berechenbarkeit: Sie erlaubt vielleicht Vorhersehbarkeit und Kontrolle, doch kann sie in Angepasstheit und Stumpfsinn münden. Somit erweist sich Berechenbarkeit und Kontrolle gerade für das, wonach Unternehmen zu Recht streben, als äußerst hinderlich: Kreativität und Innovation. Ein berechenbares System verhindert Freiheit und fängt mögliche Fehler und Zufälle ab, die ihrerseits aber Grundstock kreativer Prozesse sind. Und: Nicht jeder arbeitet gut bei permanenter Vernetzung. Manch einer ist auf die Stille und Abgeschiedenheit angewiesen, um auf neue Gedanken zu kommen. Kreativität, im Unternehmerdeutsch gern Innovationskraft genannt, lässt sich nicht immer geregelt herstellen. Vielleicht sogar in den seltensten Fällen. Die Wirtschaftsinformatikerin Eva Bittner bezeichnet das Zusammenspiel aus Kontrolle und Kreativität als Balanceakt: „Die Philosophie dieser Tools basiert auf Offenheit, die es erlaubt, auch unkonventionelle Ideen zu diskutieren, ohne dass es eine Zensur gibt. Collaboration ist auf Transparenz angewiesen, andernfalls funktioniert sie nicht. Die vernetzte Zusammenarbeit scheitert dann daran, dass Unternehmen versuchen, das zu kontrollieren, was diskutiert und gepostet wird.“

geteilte Wissen kann so manch schwachem Geist Unbehagen bereiten. Gleich, ob eine Information sachlicher oder emotionaler Natur ist, gleich, ob sie verbrieft oder wieder nur ein Gerücht ist, gleich, ob sie direkten Einfluss auf die eigene Person hat oder nicht: Unwissen steigert die Nervosität in einer Wissensgesellschaft, die darauf angelegt ist, alles in Erfahrung zu bringen. Eine Gesellschaft, die es sogar für ihr natürliches Recht hält, alles über jeden zu wissen: Wo befindet sich wer mit wem und wann? Personenrelevante Informationen sind die Währung unseres Zeitgeistes. Wissensanreicherung und Kontrolle gehen dabei eine unheilvolle Allianz ein. Je mehr Wissen aufgenommen wird, desto mehr Wissen soll auch in Erfahrung gebracht werden. Und je mehr gewusst wird, desto handlungsfähiger wähnt sich der Sammler. Doch gerät das Wähnen zum Wahn, die Sammelwut wird blind und die Kontrollsucht findet wie jede Sucht ein Ende: entweder im Entzug oder in der Zerstörung. Jene, die andere kontrollieren, haben damit zuvor bei sich selbst begonnen. Kontrolleure waren vorher oft Kontrollierte. Sie verdrängen die Unberechenbarkeit der menschlichen Natur. Gleichwohl dekonstruiert sich ein solches System irgendwann selbst. Es beginnt mit innerer Unruhe, setzt sich fort in fieberhaftem Strategie-Gedankenspiel und schließlich fällt das überdrehte System in sich zusammen. Doch bis zu dem Punkt gibt es unschöne Kollateralschäden: Kollegen, die dem Druck nicht standhalten konnten, solche, die ihm nicht standhalten wollten und jene Mitläufer, die nun recht verloren wirken. Denn wahre Offenheit kann es nie ohne ihren Gegenspieler geben: das Geschlossene. •

Die Währung der Gegenwart

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Illustration: Miriam Jacobi

In der fiktiven Firma Circle, aus Eggers gleichnamigen Roman, ist die ständige Kommunikation zu einer allgemeinen Pflicht erhoben. Jede Intransparenz ist ein Vergehen und das Private gerät zum Diebstahl am allgemeinen Eigentum. In diesem Glaubenssatz des Circle wird der diktatorische Anspruch einer totalitären Ideologie entlarvt. Und sehen wir nicht in unserem Büroalltag hier und da Elemente einer in Ansätzen ähnlich gelagerten Sehn-Sucht nach Informationen? Selbst das für die Arbeitsaufgabe irrelevante, nicht www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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Digitale Helferlein Ein Text von André Schmidt-Carré

Illustration: thinkstock

Vernetztes Arbeiten wird für Unternehmen immer wichtiger, Collaboration Tools geben Mitarbeitern das nötige technische Rüstzeug. Ein Überblick über die wichtigsten Kategorien der digitalen Werkzeuge – und Tipps, wann Mitarbeiter die Tools auch wirklich nutzen sollten.

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inzelkampf ist out. Die Zusammenarbeit zwischen Kollegen und das gemeinsame Bearbeiten komplexer Aufgaben werden für den Unternehmenserfolg immer wichtiger. „Wissensarbeit nimmt zu, ebenso das Arbeiten in Teams und der Austausch mit Kollegen über Abteilungsgrenzen hinweg“, sagt Andreas Stiehler, Analyst bei der auf digitale Strategien spezialisierten Unternehmensberatung PAC. „Gleichzeitig wandelt sich das Umfeld, in dem Menschen zusammenarbeiten. Immer mehr Beschäftigte arbeiten mobil, an verschiedenen Standorten, im Homeoffice und in wechselnden Ländern. Die entsprechenden technischen Tools für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams werden deshalb immer wichtiger“, sagt Stiehler. Begriffe wie Digital Workspace, Smart Work und Social Collaboration grassieren in vielen Unternehmen, gemeint ist vor allem eines: Kommunikation und digital gestützte Zusammenarbeit. „Es geht darum, flexible virtuelle Räume zu schaffen“, sagt Stiehler. Wie diese Räume aussehen und welche von Mitarbeitern angenommen werden, kann sich je nach Unternehmen unterscheiden. „Die Mitarbeiter nutzen, was Nutzen stiftet“, sagt Siegfried Lautenbacher, Geschäftsführer der auf Collaboration spezialisierten IT-Beratung Beck in München. „In einem Unternehmen gibt es in der Regel rund fünf bis zehn Prozent technikaffine Mitarbeiter, die Tools aus Spaß anwenden. Der weitaus größte Teil der Belegschaft benutzt die Tools nur dann, wenn er davon einen konkreten Nutzen hat.“ Viele Unternehmen haben ähnliche Erfahrungen bereits mit ihren Social-Enterprise-Systemen gemacht, die das ganze Unternehmen im umfassenden Sinne digital abbilden. Sie werden durch zusätzliche Collaboration Tools nicht hinfällig, auch wenn sich die Anwendungsfelder teilweise überschneiden. „Social-Enterprise-Programme haben nach wie vor ihre Berechtigung“, sagt IT-Berater Lautenbacher. Die IT-Abteilungen der Unternehmen müssten sich allerdings an den Gedanken gewöhnen, dass Mitarbeiter neben diesem digitalen Hauptraum weitere Anwendungen und Kanäle nutzen. „Wenn die IT das akzeptiert und eine Vielfalt von Programmen zulässt, kann sie auch diese Nebenkanäle mitgestalten und einen Wildwuchs verhindern“, sagt Lautenbacher. Ob im großen oder kleinen Rahmen: Wer erfolgreich digitale Helfer einführen will, muss schnell konkrete Anwendungsfälle im Arbeitsalltag schaffen. Und seine Mitarbeiter an eine Kultur des Austauschs und der offenen Kommunikation gewöhnen. „Wenn die Abteilungen eines Unternehmens ein traditionelles Silo-Denken pflegen und diese Kultur lediglich digitalisieren, entsteht dadurch kaum ein Mehrwert“, sagt Lydia Zillmann, Geschäftsführerin der j u n i  /  j ul i 20 1 7

auf vernetztes Arbeiten spezialisierten Unternehmensberatung Avilox aus Leipzig. „Je nachdem wie ein Unternehmen tickt, braucht es neben technischen Tools auch einen mehr oder weniger großen kulturellen und organisatorischen Wandel.“ Die wichtigsten Kategorien von Tools für vernetztes Arbeiten im Überblick:

Instant Messenger Basis für jede Zusammenarbeit ist die Kommunikation der Kollegen untereinander. Traditionelle technische Hilfsmittel wie Telefon und E-Mail sind häufig schlicht zu umständlich, um sie niedrigschwellig mal eben zwischendurch zu benutzen, wenn man eine kurze Frage hat oder dem Kollegen durchgeben will, dass eine Aufgabe erledigt ist. Instant Messenger sind die Lösung, die immer mehr Unternehmen nutzen. Die größten Vorteile: Mitarbeiter können beliebig viele Gruppen eröffnen, um sich innerhalb eines Teams oder einer Abteilung oder zu einem konkreten Projekt auszutauschen. Und man sieht jederzeit, ob ein Nutzer gerade online ist und direkt antworten kann. „Über einen Messenger können Mitarbeiter schnell und unkompliziert miteinander in Kontakt kommen“, sagt Avilox-Geschäftsführerin Lydia Zillmann. „Wichtig ist, dass ein Messenger neben Gruppenräumen auch den direkten Eins-zu-eins-Kontakt ermöglicht, in dem zwei Mitarbeiter in einem geschützten, nicht öffentlichen Raum miteinander kommunizieren können.“ Zudem sollte ein Messenger sowohl auf dem Desktop-Rechner als auch auf dem Smartphone funktionieren, damit Kollegen die Software auch unterwegs nutzen können. Genauso wichtig wie die Technik ist die Kompetenz, transparent führen und digital kommunizieren zu können. Derzeit sind viele in Firmen genutzten Messenger in andere Anwendungen integriert. Das kann Vorteile haben, die Bedienung aber auch verkomplizieren. Reine Messenger haben deshalb ihre Berechtigung. Der Branchenführer bei privaten Anwendern ist WhatsApp. Der Instant-Messenger -Dienst buhlt längst gezielt um Firmenkunden. Nachteil: WhatsApp steht immer wieder wegen zu laxem Datenschutz in der Kritik, Konkurrenten wie Threema und Signal versprechen einen seriöseren Umgang mit Daten. Einen weiteren Nachteil können auch die Wettbewerber nicht ausbügeln: Sobald Mitarbeiter mehr wollen als kommunizieren – etwa Dateien austauschen –, wird es kompliziert.

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Conversational Platform Wenn Mitarbeiter mehr als nur kommunizieren wollen, schaffen sogenannte Conversational Platforms Abhilfe, die neben einem Chat weitere Funktionen bieten. Diverse Tüftler haben sich daran versucht, auf einer Plattform verschiedene Tools einfach und alltagstauglich zu kombinieren. Einer hat es geschafft: Slack-Entwickler Stewart Butterfield aus San Francisco, der zuvor schon die Fotocommunity Flickr mitgegründet hat. Slack ist als Tool noch vergleichsweise jung, hat aber in den vergangenen zwei bis drei Jahren einen regelrechten Hype ausgelöst. Unternehmen werben mittlerweile in Stellenanzeigen damit, dass ihre Mitarbeiter Slack nutzen dürfen. Das Start-up aus San Francisco hat geschafft, woran viele scheitern: Es funktioniert so einfach, dass Mitarbeiter es freiwillig nutzen wollen. Rückgrat des Programms ist die Chatfunktion. Mitarbeiter können verschiedene Chatkanäle einrichten wie bei einem Messenger und obendrein mit einer gut funktionierenden Suche nach alten Einträgen forschen, etwa um getroffene Absprachen leicht wiederzufinden. Zudem können Nutzer im Chat Dateien hochladen und kommentieren und andere Tools einbinden. Der Unterschied zu vielen anderen Anbietern: Slack baut die übrigen Tools nicht selber, sondern ermöglicht es, Programme anderer Anbieter einzubinden. Heißt konkret: Wenn zwei Mitarbeiter per Slack chatten und der Name eines Kunden fällt, ruft das CRM automatisch die jüngsten Infos etwa zu Rechnungen oder zum Stand eines Auftrags ab und blendet die Informationen ein. „Dahinter steht die Erkenntnis, dass es nicht einen Anbieter für alle Tools geben wird. Die Mitarbeiter nutzen am Ende die Tools, die sie vielleicht auch schon privat nutzen und die am besten funktionieren“, sagt IT-Berater Lautenbacher.

Filesharing Das Verschicken großer Dateien wie Präsentationen und Dokumente per E-Mail scheitert häufig an limitierenden Servern, zudem ist das Verschicken von Mails schlicht unpraktisch, wenn man eigentlich nur Dateien austauschen möchte. Abhilfe schaffen Dienste, mit deren Hilfe Mitarbeiter Dateien unabhängig von ihrer Größe besonders einfach austauschen und gemeinsam bearbeiten können. Der wohl bekannteste Filesharing-Dienst ist derzeit Dropbox. Vorteil des Dienstes ist zum einen die einfache 30

Handhabung. Einmal installiert, können Mitarbeiter auf den Speicher wie auf ein weiteres Laufwerk zugreifen und dort Dateien ablegen. Innerhalb des Dropbox-Ordners kann ein Mitarbeiter zudem unterteilen, welche Dokumente er zur Bearbeitung durch Kollegen freigibt und welche nicht. Weiterer Vorteil: Der Online-Speicher ist neben dem Computer des Mitarbeiters auch auf anderen Medien wie etwa dem Smartphone verfügbar, wenn die Dropbox-Software dort installiert ist. Größter Nachteil: Die Sicherheit der Daten ist für Nutzer nur begrenzt nachvollziehbar. Was für private Nutzer in Ordnung sein mag, ist für die meisten Unternehmen nicht akzeptabel, vor allem nicht bei sensiblen Daten. „Ich würde Unternehmen immer raten, die IT selbst aufzusetzen oder bei einem spezialisierten Dienstleister mit klar geregelter Datensicherheit einzukaufen“, sagt Avilox-Beraterin Zillmann. Der Online-Speicher sollte allerdings nicht nur sicher, sondern auch komfortabel nutzbar sein – ansonsten nutzen die Mitarbeiter heimlich doch wieder Dropbox oder ähnliche Dienste.

Collaborative Writing Collaborative-Writing-Tools gehen einen Schritt weiter als reine File-Sharing-Programme. Dort können Nutzer dezidiert festlegen, wer welche Rechte hat, wer etwa Dokumente nur einsehen, kommentieren oder auch bearbeiten darf. Zudem können die Programme dokumentieren, wer welche Änderungen vorgenommen hat, einzelne Zwischenversionen speichern, Bearbeitungen bei Bedarf auch rückgängig machen und frühere Versionen wiederherstellen. Zu den Platzhirschen zählt Google Docs, dessen Benutzeroberfläche Microsoft-Word-Nutzer wegen der großen Ähnlichkeit vor keine Probleme stellt und mit dem man neben reinen Text-Dokumenten auch Tabellen und Präsentationen erstellen kann. Das Programm ist web-basiert, um es zu nutzen, genügt eine Internet-Verbindung. Arbeiten mehrere Mitarbeiter gleichzeitig an einem Dokument, sortiert Google Docs die Eingaben in Echtzeit, sodass alle Beteiligten die Eingaben nachvollziehen können. Zudem gibt es ein Chat-Fenster, in dem sich die Nutzer direkt ansprechen können, wenn sie gleichzeitig an einem Dokument arbeiten.

Firmen-Wiki Wikipedia hat die Idee perfektioniert, dass viele Nutzer gegenseitig ihr Wissen verfügbar machen. Das gleiche Prinzip wenden immer mehr Firmen www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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für ihr eigenes internes Wiki an. Das Konzept: Mitarbeiter schreiben Artikel zu bestimmten Themen und machen sie für alle anderen Kollegen oder einen definierten Personenkreis verfügbar. Informationen zu Arbeitsabläufen, Kunden und Lieferanten sind so jederzeit verfügbar. Übergaben vor der Urlaubszeit oder bei Krankheit eines Mitarbeiters entfallen oder werden zumindest deutlich einfacher. Die Krux dabei: Ein Wiki anzulegen ist erst einmal Arbeit. Unternehmen müssen deshalb Anreize schaffen und ihre Mitarbeiter motivieren, Einträge zu erstellen. „Firmen profitieren von einem eigenen Wiki umso stärker, je offener die Firmenkultur ist“, sagt Beraterin Zillmann. Experten raten, die Nutzung erst einmal im kleinen Kreis zu testen, um mögliche Probleme und Hürden frühzeitig aus dem Weg räumen zu können. „Das gilt generell für sämtliche Tools, die unternehmensweit genutzt werden sollen“, sagt Zillmann.

Firmen-Facebook Im privaten Umfeld ist der Siegeszug der Mutter aller sozialen Netzwerke nicht aufzuhalten. Neuerdings nutzen auch Unternehmen vermehrt

Anwendungen, die im Prinzip wie Facebook funktionieren, aber nur für den geschlossenen Nutzerkreis der Mitarbeiter zugänglich sind. Kern einer solchen Software ist eine Pinnwand, auf der Mitarbeiter Einträge posten, die die Kollegen dann kommentieren können. Zudem können die Mitarbeiter Dateien wie Dokumente und Videos anhängen und weitere Team-Funktionen nutzen, etwa über den Termin für eine Veranstaltung abstimmen lassen. Neben der eigentlichen Pinnwand, auf dem der Hauptstrom der Beiträge läuft, können Mitarbeiter Projektgruppen zu bestimmten Themen gründen, die dann nur für die jeweiligen Kollegen sichtbar sind. Wichtigster Effekt: Mitarbeiter können ihre Kollegen einfach an ihrer Arbeit teilhaben lassen, Fragen in die Runde stellen und Aufgaben besprechen, die Zahl der Rundmails sinkt dadurch. Hinzu kommen in der Regel weitere Funktionen wie Chat, Firmen-Kalender und Aufgabenverwaltung, die das Zusammenarbeiten vereinfachen. Facebook selbst hat mit „Workplace by Facebook“ Ende vergangenen Jahres einen Ableger für die firmeninterne Anwendung gestartet. •

„HR muss zum Gestalter von Transformationsprozessen in Organisationen werden.“ Prof. Dr. Jörg Ritter Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung Quadriga Hochschule Berlin

MBA Leadership & Human Resources www.quadriga-hochschule.com/mba-hr

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Kreativ unter Beobachtung Ein Interview von Hannah Petersohn

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Mit Fotografien von Julia Nimke

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Für ihre Motive bereist die Fotografin Julia Nimke mit ihrem ausgebauten Sprinter entlegene Gebiete, die manchmal selbst bewohnt menschenleer wirken. Um erfolgreich zu sein, müssen gerade selbstständig arbeitende Fotografen gut vernetzt sein und die sozialen Plattformen gekonnt bespielen. Im Gespräch mit Julia, die bis vor Kurzem auch für den Human Resources Manager gearbeitet hat, geht es um Nähe und Distanz und darum, was Social Collaboration für sie bedeutet. Welchen Stellenwert die vernetzte Zusammenarbeit in ihrem Leben eingenommen hat, zeigt sich im Anschluss an unser Gespräch: Julia Nimke schickt einen Screenshot ihrer Handy-Startseite. Ihr Display zeigt 73 FacebookMeldungen, 21 Whatsapp-Nachrichten, eine SMS, eine Mail, zwei TwitterNachrichten, eine Pinterest-Meldung und eine Slack-Nachricht. „Nach einer Stunde nicht checken, sieht es in der Regel so aus“, schreibt sie.

Rechte Seite: Rumänien, Apuseni-Gebirge, 2016.

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Julia, du fährst in Gegenden, in denen kaum ein Mensch ist oder schon lange niemand mehr war. Diese verlassenen Orte werden seltener. Du spürst sie auf, fotografierst sie und postest das Ergebnis in sozialen Medien. Allerdings gebe ich keine konkreten Koordinaten an. Dann hätte ich das Gefühl, die Natur zu benutzen. Ich möchte die Orte nicht zugänglich machen, damit jeder schnell hinkommen kann. Das Schöne am Reisen ist ja gerade, nicht exakt zu wissen, wie was wo aussieht. Ich kaufe mir nie Reiseführer. Wenn ich in eine mir unbekannte Stadt komme, erlaufe ich sie mir. Eine Atmosphäre lässt sich nicht über das Abhaken von Sehenswürdigkeiten erfahren. Wie bist du zur Fotografie gekommen? Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich meine erste Kompaktkamera, eine Olympus µ, geschenkt bekommen. Da habe

ich angefangen, alles um mich herum zu fotografieren. Freunde, Familie, Frankfurt an der Oder, wo ich herkomme. Viele Strukturen, Plattenbauten. Alles schwarz-weiß. Die Fotos habe ich selbst entwickelt. Gutes benötigt Zeit. Du bist Teilnehmerin des Adobe-Creative -Residency-Programms, einem Förderprogramm für junge Künstler. Worum geht es da? Das Ziel ist, dass man sich weiterentwickelt und die Community an dem kreativen Prozess teilhaben lässt. Das bedeutet? Dass ich viel Social Media nutzen werde und online präsent bin. Diese Sichtbarkeit ist Teil des Deals. Ich hoffe, dass die Erreichbarkeit durch die Umgebung, in der ich mich befinden werde, etwas eingeschränkt wird. Ich setze auf eine zeitweise Kappung des Kommunikationsflusses. 33


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Oben: Französische Alpen bei Chamonix-Mont-Blanc, 2015.

Die 27-jährige Meisterfotografin Julia Nimke ist in Frankfurt (Oder) geboren und lebt seit knapp zehn Jahren in Berlin. Ihre Fotos wurden bereits im Zeit Magazin, Walden oder in der Emotion veröffentlicht. Nimke ist aktuell Stipendiatin des Adobe-Creative-ResidencyProgramms.

Doppelseite S. 34/35: Athen, 2016.

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Lenkt dich das digitale Teilen ab? Ich versuche, es als Tool zu betrachten, das ich nutzen muss. Aber es bringt mich aus der Situation raus, es zerstückelt meine Arbeit, nimmt mich aus dem Fluss. Wenn ich weiß, ich muss diesen Sonnenuntergang posten, kann mir das den Genuss am Moment nehmen. Da ist eine Störfrequenz. Welche Kanäle bespielst du? Instagram, Facebook, Behance, Slack, Twitter. Ich habe mich lange gegen diese Schnelllebigkeit gewehrt. Die Kommunikation im Social-Media-Bereich ist noch dazu extrem direkt. Mir fällt es immer noch schwer, einen Text zu meinen Bildern hinzuzufügen. Ich fühle mich dann sprachlos. Sehnst du dich zurück in die Zeit ohne digitale Kommunikationsmittel? Das war schon angenehm. Ich bin kürzlich stundenlang durch meinen

Berliner Kiez spaziert, ohne Handy. Und habe mich frei gefühlt. Ich habe nur die Menschen angesehen, meinen Blick schweifen lassen. Ich habe mich gefragt: Warum entziehen wir uns bewusst einer Situation und zerstören sie, indem wir auf das Handy schauen? Hast du eine Strategie, wie du mit der gewünschten Erreichbarkeit umgehen willst? Ich möchte das, was ich sehe, nur zeitlich versetzt preisgeben. Warum? Ich zeige mich durch und in meiner Arbeit. Und anscheinend wirke ich sehr nahbar. So ein In-der-Öffentlichkeit-Stehen bringt andere Menschen dazu, die natürliche Distanz nicht mehr einzuhalten. Das zeitlich versetzte Informieren oder Posten verschafft mir etwas Raum.

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„ Es gibt schönere Fotos in meinem Kopf. Sie entstehen in dem Moment, in dem ich nicht auf den Auslöser drücke.“ Deine Fotos greifen das Thema Nähe und Distanz auf. Absicht? Das siehst du als Thema in meinen Bildern? Abgefahren. In welchen Bereichen meiner Arbeit? Deine Bilder haben häufig etwas Diffuses, nicht Greifbares. Und du stellst automatisch eine Distanz her: zwischen dir und dem fotografierten Objekt. Du setzt die Apparatur dazwischen. Ich nehme mich selbst raus, aber nicht unbedingt absichtlich. Ich kann beim Fotografieren nicht so in der Situation sein, wie ich es ohne die Kamera sein könnte. Ich bin präsent, aber nicht wirklich im Moment. Ich habe mal gelesen: Ein Foto ist immer das Ticket für den verlorenen Moment, den man nicht wahrnehmen konnte. Machst du diese Beobachtung auch bei dir?

Ich glaube, es gibt schönere Fotos in meinem Kopf. Sie entstehen in dem Moment, in dem ich nicht auf den Auslöser drücke. Manchmal wünschte ich, ich würde blinzeln und automatisch entsteht ein Foto, eine Art Gedankenbild. Das könnte bald möglich sein. Der Unternehmer Elon Musk will Gehirn und Computer miteinander vernetzen, um Gedanken einzufangen, bevor sie geäußert werden. Irgendwann könnten auch innere Gedankenbilder sichtbar gemacht werden. Vielleicht liegt die Magie aber gerade darin, das nicht zu können und die schönsten Bilder nur für sich selbst zu konservieren. Wird die Distanz zum entstandenen Foto dadurch verstärkt, dass du es in sozialen Medien teilst?

(lange Pause) Ja. Allerdings ist das Teilen eine völlige Entblößung, wodurch wiederum eine Nähe entsteht. Ein Foto trägt viel Persönliches. Und wenn ich das teile, lasse ich eine Nähe zu. Ich erlaube dem Betrachter sich anzusehen, was ich empfunden habe. Die Öffentlichkeit kann auch ein Verstärker der Nähe zum Foto sein. Was macht diese Nähe mit dir? Das ist ein bisschen Striptease. Ich versuche, die Öffentlichkeit eher als anonyme Masse zu sehen. Am Anfang war es seltsam, meine Arbeit auf diese Weise mit anderen zu teilen. Mit der Zeit wächst man rein. Hast du Angst, dass niemand auf einen Post reagieren könnte? Nein, auch weil die Gefahr relativ gering ist. Aber vielleicht wäre es auch mal gut, sich wirklich in das Gefühl des

Rechts: Harz, 2015.

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Diese Doppelseite: Norwegen, Aurlandsdalen, 2015.

Alleinseins zu begeben. Im Endeffekt sind wir alle allein. Hat das Teilen etwas mit dem Gefühl der Selbstbezüglichkeit, des Werdens zur Marke zu tun? Es könnte leicht passieren, dass ich zur Marke werde. Scheinbar bin gut zu vermarkten. Diese Wanderlust, das Draußenleben, bewusst und achtsam sein: Das ist gerade hip. Und auf den Zug springen viele auf. Beim Thema Marke geht es um Sehnsüchte. Es geht darum, sie beim Betrachter erst hervorzurufen und dann aufrechtzuhalten. Hast du die Befürchtung, dass deine Authentizität mit dem Werden zur Marke verblassen könnte? Ich könnte verlieren, was wirklich da ist. Vielleicht muss man das als Job sehen, diesen Prozess des Teilens. Und abkoppeln von sich selbst. Ich möchte nie ein Foto machen, weil ich denke, es könnte in der Community gut ankom-

men. Ich glaube, dass die Community erkennt, ob man ein Foto aus innerer Überzeugung postet oder weil man vermutet, es könnte gefallen. Dann reden wir über Beliebigkeit. Und die nutzt sich mit der Zeit ab. Es setzt ein Sättigungsprozess ein. Es geht nicht darum, das Foto zu machen, das alle sehen wollen. Worum geht es dann? Es geht ums Einfangen eines Gefühls, das im Anschluss auch beim Betrachter ausgelöst werden soll. Deine Bilder sind sphärisch, beinahe ungreifbar. Was hast du gegen Klarheit? Ich mag die Klarheit eines Digitalfotos nicht. Mir hat letztens jemand gesagt, dass das Typische an meinen Bildern dieser Grauschleier ist. Das ist tatsächlich so. Die digitale Klarheit ist mir zu kühl. Julia, ich danke dir für das Gespräch.•



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Deutschlands Büros machen sich frei Ein Text von Martin Scheele

Lange dunkle Gänge mit abzweigenden Einer- oder Zweierbüros, die Türen geschlossen: Firmen mit einer solchen Büroarchitektur sind lange passé. Was aber ist modern auf dem Gebiet der vernetzten Zusammenarbeit? Weltweit arbeitet das Gros der Beschäftigten in Mehrpersonenbüros

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Fotos: thinkstock (2)

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in Strandkorb, eine Hollywoodschaukel, zwei Massagesessel: Das ist nicht etwa die Beschreibung eines Ferienparks. Vielmehr handelt es sich dabei um Arbeitsplätze in der Deutschlandzentrale von Philips. Seit knapp anderthalb Jahren residieren die etwa 1.000 Verwaltungsmitarbeiter in einem Neubau in Hamburg. 40 Millionen Euro kostete die Umsetzung des avantgardistischen Raumkonzepts. Ein Teil des neues Konzepts: Personen zugeordnete Arbeitsplätze sind beim Elektronikkonzern passé. Jeder fahndet morgens nach einem Platz, der für die anstehenden Aufgaben gerade passt. Auch Philips-Deutschlandchef Pieter Vullinghs. Die Bürokultur, das zeigen Beispiele wie das von Philips, ist im Umbruch. War im Industriezeitalter noch der Bürosaal en vogue, verstärkten viele Firmen diesen Trend in der Nachkriegszeit mit dem Wandel zum Großraumbüro. Jetzt, in der Ära der Digitalisierung, schwören mehr und mehr Unternehmen auf Vielfältigkeit. Gearbeitet wird in Besprechungsräumen, am Tresen, auf dem Sofa – oder ganz woanders: zu Hause, im Café oder am Flughafen. Sitzt noch irgendjemand am Schreibtisch? Ein modernes Büro ist für viele die Basis, um vernetzt zusammenarbeiten zu können. Social Collaboration Tools


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Noch nicht überall en vogue: radikale Open-Space-Strukturen

helfen dabei, dass sich Mitarbeiter über Räume hinweg austauschen. Wie verändern sich dadurch Kommunikation und Firmenkultur? Wie sollten Unternehmen den Umbau angehen? Sind Mitarbeiter in Open-Space-Büros zufriedener als die Angestellten traditioneller Arbeitsweise? Und: Was wünscht sich eigentlich die Belegschaft?

Smart in die Breakout-Area Hamburg, Stadtteil Fuhlsbüttel, Röntgenstraße 20. Hier streckt sich der Philips-Neubau fünfstöckig in den Himmel. Viel Glas, wenig Mauerwerk, verschiedene Farbtöne, breite Gänge und Birkenstämme für die Atmosphäre. Das Angebot an Arbeitsplätzen fächert sich sechsteilig auf: Der Großteil der Arbeitsplätze besteht wie gehabt aus Schreibtisch, Stuhl, Monitor – in der Regel in Vierer- und Sechsergruppen zusammengefasst. Dazu kommen über 100 Einzelzimmer – für das vertrauliche und konzentrierte Arbeiten. Außerdem 70 Besprechungsräume unterschiedlicher Größe, vier Kreativmeetingräume und 70 sogenannte Touch-down-Arbeitsplätze. Letztere sind für Außendienstmitarbeiter und Gäste anderer Philips-Standorte gedacht, die nur mal schnell ihre Mails abrufen wollen. Allen diesen Bereichen ist eines gemein: j u n i  /  j ul i 20 1 7

Einen Desktop-PC gibt es nicht mehr, jeder Mitarbeiter hat ein Notebook. Ebenso gibt es kein Festnetztelefon mehr, dafür regiert Kollege Smartphone. Obendrein bietet Philips Bereiche für informelle Treffen an. Zu diesen „Breakout Areas“ gehören besagter Strandkorb, Massagesessel und Hollywoodschaukel. Auf die Rundbank des XXL-Strandkorbs passen vier Personen, das Besprechungstischchen bietet Platz für Laptop und Kaffeebecher. Auch hier sitzt man nicht abgeschottet, das Innenleben ist von allen vier Seiten einsehbar. Derart umwälzend wie Philips gehen nur wenige Firmen vor. „Weltweit arbeiten noch zwei Drittel der Beschäftigten in Einzel- und Mehrpersonenbüros an fest zugewiesenen Arbeitsplätzen“, sagt Martin Klaffke, Professor für Personal und Organisation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Wenn allerdings Büros neu gebaut oder umgestaltet werden, dann nahezu immer mit offeneren Strukturen. Wirtschaftspsychologin Sarah Lütke Lanfer von der Universität Freiburg sagt: „Bei 17 von uns untersuchten Unternehmen aus allen Branchen haben 15 am Ende des Veränderungsprozesses Open-Space-Büros geschaffen.“ Udo-Ernst Haner vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation begründet: „Einfache Tätigkeiten werden zukünftig von Robotern übernommen, für höherwertige Aufgaben sind neue Bürostrukturen, unterstützt durch Social Colloboration Tools, sinnvoll.“ Haner hat den neuen Standort von Microsoft in München geplant. Beim Deutschlandableger des US-Softwarekonzerns sieht es ähnlich wie bei Philips aus. Nur noch revolutionärer: Statt maximal zwei Tagen Homeoffice wie bei Philips können die Microsoftianer jederzeit von überall arbeiten, vorausgesetzt, sie bringen die erforderte Leistung. Kein Wunder, dass Microsoft noch stärker auf Social Collaboration Tools wie das hauseigene Yammer setzt.

Mallorca-Prinzip Wie unterschiedlich in Deutschland derzeit gearbeitet wird, zeigt eine Fraunhofer-Studie. Demnach können über 50 Prozent der Befragten zeitlich autonom arbeiten, mehr als 80 Prozent können selbst wählen, mit welchen Mitteln und Methoden sie ihre Arbeitsziele erreichen. Jedoch können lediglich 40 Prozent selbst entscheiden, wo sie arbeiten. Ohne fest zugewiesenen Schreibtisch wie bei Philips arbeitet jeder Fünfte. Auf den ersten Blick sind es vor allem Firmen mit starkem Verbraucherbezug, die vorpreschen; hippe Unternehmen wie Google, Facebook, aber auch alteingesessene wie Microsoft und Philips. „Tatsächlich zieht sich der Wandel durch alle Branchen“, sagt Fraunhofer-Mitarbeiter Haner. 41


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noch nicht en vogue. In der Studie von Arbeitsforscherin Lütke Lanfer haben sich fast alle untersuchten Firmen für fest zugeordnete Arbeitsplätze entschieden. Wünschen sich Deutschlands Angestellte also eine persönlichere Umgebung? Legen sie Wert auf eine persönliche Note auf ihrem Schreibtisch? Lütke Lanfer hat mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Firmen zunächst flexible Arbeitsplätze angedacht oder sogar geplant hatten, dann aber am Widerstand der Belegschaft scheiterten. Bei Philips wird betont, dass die Mitarbeiter bei der Gestaltung des Headquarters beteiligt und Arbeits- und Verhaltensweisen in Workshops besprochen wurden. Pressesprecherin Elina Reinholtz nennt beispielhaft das Design der „Breakout Areas“, die Gestaltung von Wänden und der Cafeteria und die Auswahl der Möbel. Eine Abstimmung zu den Grundzügen des Open-Office-Konzepts inklusiver flexibler Arbeitsplätze gab es nicht. Hier stößt die Philip´sche Basisdemokratie an ihre Grenzen. Während des Rundgangs durch die Zentrale fällt auf: In den loungeartigen Bereichen hält sich kaum jemand auf. Dagegen sind Besprechungsräume und die Standardarbeitsplätze gut besetzt. Ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben möchte, sagt, dass die freizeitlich anmutenden Areale noch nicht so gut angenommen werden. Neue Bürostrukturen für „höherwertige Aufgaben“?

Er verweist auf den Autozulieferer ZF Friedrichshafen, der für seine 650 Mitarbeiter der Zentrale einen Neubau konzipiert hat, der dem von Philips ähnelt. Allerdings ist dort das „Mallorca-Prinzip“ durchgebrochen: Hier liegt mein Handtuch, das ist mein Bereich.

Widerstand der Belegschaft So mancher Konzern experimentiert. Der Pharmariese Bayer etwa, in dessen Leverkusener Zentrale zunächst 500 von insgesamt 14.300 Mitarbeitern vielseitiger zusammenarbeiten können. Ausgeguckt hat sich der Konzern die Bereiche Personal, IT und Einkauf. Bayer ist ein gutes Beispiel dafür, dass Büroorganisation mehr und mehr ein Thema für Personalabteilungen wird. „Früher hatte der Facility-Chef die Macht über das Zuschneiden der Büroarbeitsplätze“, erklärt Fraunhofer-Forscher Haner den Wandel, „dann bekam die IT-Abteilung, ausgelöst durch neue Technologien, mehr Einfluss. Mittlerweile ist das Thema in den Personalabteilungen angekommen.“ Das sei ein wichtiger Baustein, Mitarbeiter zu halten und neue anzuwerben – vor allem für Firmen in der Provinz. Klar ist: Radikale Lösungen wie Open-Space-Strukturen mit flexiblen Arbeitsplätzen sind 42

Welchen Einfluss das neue Konzept auf den jährlich ermittelten Wert der Mitarbeiterzufriedenheit hat, ließe sich noch nicht sagen, sagt die Philips Sprecherin Reinholtz. „Wir gehen aber davon aus, dass Work-Place-Innovation einen positiven Einfluss darauf hat“, sagt Reinholtz. Offene Bürostrukturen sind ihrer Meinung nach kommunikationsfördernd und sorgen für interdisziplinären Austausch. Im Arbeitsalltag habe das zur Folge, dass „die am häufigsten gestellte Frage am Morgen ist: ‚Wo bist du gerade?‘, kommuniziert über ein Messenger-System“, so Reinholtz. Es gibt keine einheitliche Studienlage, wie sich Open-Space-Strukturen auf die Mitarbeiterzufriedenheit auswirken. Nach Meinung von Guido Hertel von der Universität Münster steigen Arbeitszufriedenheit und Engagement bei Activity-based Offices, also bei aktivitätsbezogenen Arbeitsplatzlösungen, erst einmal an. Vor allem dann, wenn Mitarbeiter tatsächlich eine gute Passung zwischen Arbeitsaufgabe und Arbeitsumgebung herstellen können. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts sind nur 20 Prozent der Befragten mit ihrer Büroumgebung „sehr zufrieden“ und weitere 42 Prozent sind immerhin noch „eher zufrieden“. 40 Prozent der Teilnehmer dagegen sind nur „teilweise“ oder „eher nicht glücklich“. Die häufigsten Kritikpunkte: zu hohe Arbeitswww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Fotos: thinkstock

Fall für den Psychologen


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platzdichte, Störungen durch andere Kollegen, ständige Beobachtung. „Unternehmen müssen viele Aspekte bei der Umgestaltung oder beim Neubau berücksichtigten“, sagt Forscherin Lütke Lanfer. Großraumbüros oder eine Vielzahl von Einzelbüros seien nicht per se falsch, nur weil gerade etwas anderes modern sei. „Eine Firma, in der Angestellte 90 Prozent der Arbeitszeit hochkonzentriert alleine arbeiten müssen und es kaum Projektarbeit gibt, sollte sich überlegen, ob die Einführung einer Open-Space-Struktur sinnvoll ist.“ Ein anderer Arbeitsexperte, der anonym bleiben möchte, bringt es auf den Punkt: „Wer eine Belegschaft von 55-Jährigen aus Einzelbüros in ein Open-Space-Konzept umsiedeln will, der kann gleich eine Psychologenschar anheuern.“

Sparmodell: Open Office Nach Meinung von Arbeitspsychologe Hertel müssen Mitarbeiter erst einmal lernen, die jeweiligen Bedarfe für ihre Aufgabe richtig einschätzen zu können. Auch müssten sie über ausreichende Selbstdisziplin verfügen, um die Arbeitsumgebung bei Bedarf zu wechseln. „Zudem ist Vertrauen in

die Führungskräfte unerlässlich, damit ihre Selbständigkeit auch honoriert wird.“ Leider, so Hertel, geben sich viele Unternehmen genau dabei aber nicht genug Mühe. Er kennt Firmen, in denen eine bedacht stilvoll-moderne Büroumgebung geschaffen wird, aber Mitarbeiter in der Nutzung nicht geschult werden oder immer am selben Platz sitzen. Die Wirtschaftspsychologin Lütke Lanfer beobachtet: „Büros werden als attraktiver aber auch als anstrengender empfunden, weil man sich nur bedingt zurückziehen kann und auf dem Präsentierteller sitzt.“ Hertels Studie ergab auch, dass Open-Office-Konzepte zwar die Kooperation zwischen den verschiedenen Bereichen und Projektteams verbesserten, die Zusammenarbeit in den bestehenden Teams jedoch eher verschlechterten. Manchmal ist der wahre Treiber der Open-Space-Konzepte die Finanzabteilung. „Es gibt immer wieder Versuche, Open-Office-Konzepte vor allem als Sparmodell einzusetzen – diese greifen in der Regel zu kurz und rechnen sich nicht wirklich“, so Hertel. Auch Philips verkleinerte die Bürofläche im Zuge des Neubaus deutlich. Die gleiche Anzahl der Mitarbeiter arbeitet jetzt auf 13.000 Quadratmetern – statt wie vorher auf 21.000. •

Change Lab

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Auf der Suche

dem richtigen Maß nach

Ein Interview von Hannah Petersohn

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Unternehmen setzen zunehmend auf Social Collaboration. Doch bei der vernetzten Zusammenarbeit gibt es eine ganze Menge zu beachten. Ein Gespräch mit der Kommunikationswissenschaftlerin Verena Wölkhammer über die allgemeine Verunsicherung der Unternehmen, realistische Einschätzungen und über die Frage, ob wir in Zukunft nur noch digital kommunizieren.

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Frau Wölkhammer, alle Welt scheint momentan von Social Collaboration, also vernetzter Zusammenarbeit, zu sprechen. Was genau ist damit eigentlich gemeint? Ich spreche von Social Media als Instrument der internen Kommunikation, wenn es um Austausch und Dialog der Mitarbeiter im Intranet geht, und von Social Collaboration, wenn das Intranet als Plattform der gemeinsamen Arbeit dient. Lässt sich das so leicht trennen? Beide Aspekte verschmelzen immer mehr miteinander. Wir befinden uns in der Entwicklung vom Social Intranet hin zum digitalen Arbeitsplatz. Wie gehen Unternehmen mit dem Thema Social Collaboration um? Momentan herrscht eine grundsätzliche Unsicherheit. Eine Angst, den Anschluss bei der digitalen Kommunikation zu verlieren. Aber wer jetzt nicht mit Umsicht reagiert, erlebt eine große Enttäuschung. Die realistische Einschätzung der Unternehmen über ihren tatsächlichen Bedarf und Reifegrad muss bestimmen, welche digitale Kommunikations- und Kollaborationslösung Einzug hält. Wie lässt sich eine realistische Einschätzung gewinnen? Unternehmen müssen sich zunächst fragen, welchen Zweck sie im Arbeitsalltag der Mitarbeiter verfolgen: Ist es wichtig, dass Mitarbeiter einfach und schnell auf relevante Informationen zugreifen können? Soll die verschachtelte Dateiverwaltung auf einem Laufwerk abgelöst werden von einem System, das einfacher zu durchsuchen ist? Sollen Mitarbeiter zunehmend in den Dialog gehen, Silos aufgebrochen j u n i  /  j ul i 20 1 7

und informelles Wissen ausgetauscht werden? Dann wäre der Einsatz sozialer Kollaborationslösungen, unter Berücksichtigung der kulturellen Gegebenheiten im Unternehmen, ein realistisches Ansinnen. Wie sollten Unternehmen denn beim Einsatz sozialer Kollaborationslösungen vorgehen? Sie sollten analytisch und rational planen. Und dabei unbedingt die gegenwärtige Kommunikationskultur und Wahrnehmungssituation bei den unterschiedlichen internen Bezugsgruppen beachten. In einer Kulturanalyse muss danach gefragt werden, wie dialogisch, offen und vielfältig die Kultur ist und wie ausgeprägt Mitarbeiterbeteiligung, abteilungsübergreifender Austausch und Meinungsvielfalt sind. Möglicherweise stellt sich dabei heraus, dass sich Mitarbeiter bereits an der technischen Infrastruktur vorbei organisiert haben. Das klingt nach einer Menge Arbeit für die Personalabteilungen. Bei der Einführung von sozialen Kommunikations- und Kollaborationslösungen muss es einen Brückenschlag geben zwischen HR, Unternehmenskommunikation und Geschäftsführung. Bei der Einführung findet eben doch viel in der analogen Welt statt. Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen Social Collaboration und Unternehmenskultur? Es ist von der Unternehmenskultur abhängig, wie stark Social Media genutzt wird. Es geht aktuell um zweierlei Aspekte: die Digitalisierung in der internen Kommunikation und Zusammenarbeit einerseits – und die Kommunikation der damit einherge-

henden Veränderungen andererseits. Auch ein konservatives Unternehmen mit klassischer Hierarchie kann mit Social Collaboration arbeiten. Es sollte nur behutsamer vorgehen. Wir können keine Unternehmenskultur verordnen und sagen: Ab heute sind wir alle „social“. Veränderungen sind Lernprozesse, die gestaltet und bewusst begleitet werden müssen. Können hierarchisch organisierte Unternehmen überhaupt mit der demokratiefördernden Kommunikation durch soziale Kollaborationslösungen umgehen? Natürlich ist eine Command-and-Control-Kultur noch relativ weit weg von Agilität und Partizipation. Unternehmen müssen sich auf die Etablierung einer Netzwerkkultur einlassen und den Erlebnisraum herstellen für nichthierarchische Kommunikationsformen. Ein Netzwerk ist schließlich immer fach- und hierarchieübergreifend. Dabei kann eine unglaubliche Dynamik entstehen. Die Einführung und Umsetzung brauchen ein neues Denken und ein neues Selbstverständnis. Das muss eingeübt werden. Also müssen solche klassisch geführten Unternehmen vorher Trockenübungen machen? Das, was ich digital schaffen will, muss auch in der analogen Welt stattfinden. Wenn in der analogen Welt das Miteinander nicht durch Feedbackkultur und Transparenz geprägt ist, dann ist es fast unmöglich, diese Offenheit auf der digitalen Ebene herzustellen. Eine vorherrschende Vertrauenskultur beflügelt interne soziale Medien. Und umgekehrt ist eine Misstrauenskultur ein schwerwiegendes Hindernis. 45


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Verena Wölkhammer ist Professorin für Unternehmenskommunikation und Kommunikationsmanagement sowie Studiendekanin Medien- und Kommunikationsmanagement am Fachbereich Wirtschaft und Medien der Hochschule Fresenius in Düsseldorf. Sie ist außerdem Beraterin und Coach für Kommunikation, Veränderung und

Muss die Führungsebene lernen loszulassen? Um agil zu sein, müssen Entscheidungen verstärkt auch bei den Mitarbeitern liegen. Nur eine Führungskraft, die sich auch als Impulsgeber und Moderator sieht, ist förderlich für die Einführung von Social Tools. Zudem muss der Chef Sinnstifter in der digitalen Transformation sein und das Thema auf seine Agenda nehmen. 46

Könnte die vernetzte Zusammenarbeit zu demokratisch organisierten Unternehmen führen? Ein interaktives Intranet allein kann nicht dazu beitragen, dass eine Organisation sich demokratisiert. Aber es kann ein Anstoß für einen derartigen Wandel sein. Auch hier kommt es auf den Ausgangspunkt der Unternehmenskultur an. Kulturen wachsen über viele Jahre und ein Wandel braucht Zeit

und kann nur durch das Anregen eines Dialogs funktionieren. Vernetzung erhöht aber die Chance, denn beim Austausch im Netzwerk sind erst einmal alle gleich. Allerdings ticken nicht alle gleich. Steigt die Gefahr, dass wir einander missverstehen, mit dem Einsatz digitaler Kommunikationsmittel? Darin sehe ich keine primäre Gefahr. Kommunikation ist grundsätzlich geprägt von Missverständnissen. Raum für Ironie bieten bestimmte Kommunikationsinstrumente wie Twitter nicht, andernfalls hätte es einige Shitstorms nie gegeben. Man muss unterscheiden zwischen Instrumenten, die sich gut zum Informieren eignen, und solchen, die für den dialogischen Austausch sinnvoll sind. Messenger-Formate sind für kurze Informationen und schnellen Austausch gedacht. Verkürzende Formate sind für den Einsatz von Ironie einfach nicht passend. Die Kommunikation wird immer verkürzter und damit schneller. Wie können Angestellte mit der Forderung nach permanenter Anpassung, vorangetrieben und unterstützt durch die Formen der digitalen Kommunikation, umgehen? www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Fotos: Privat

Führung.


VORSORGE FÜR DIE ZUKUNFT TITEL

Mitarbeiter müssen in Zukunft mit neuen Fähigkeiten ausgestattet werden. In einer komplexeren Welt werden emotionale Intelligenz und Selbstorganisation wichtiger. Angestellte müssen lernen, sich selbst zu reflektieren und zu regulieren. Wenn man sich besser kennt, kann man in komplexen Situationen besser handeln. Unternehmen müssen sich fragen, welche „analogen Kompetenzen“ ihre Mitarbeiter in einer digitalen Welt benötigen. Google hat das Programm „Search Inside Yourself“ für seine Mitarbeiter entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Selbstentwicklungsprogramm, das auf Achtsamkeitstraining und neuropsychologischen Erkenntnissen basiert. Es soll Mitarbeitern bei der Ausprägung emotionaler Intelligenz helfen. Das klingt nach Selbstoptimierung. Was bedeutet denn die Zunahme sozialer Kollaboration für den Alltag der Mitarbeiter? Ich denke nicht, dass es um Selbstoptimierung geht, sondern um eine realistische und menschliche Sicht auf die Auswirkung digitaler Transformation und agiler Unternehmenskulturen auf jeden Einzelnen. Fakt ist, dass die mobile Kommunikation zunimmt und die Desktop-Nutzung rückläufig ist. Soziale Kommunikations- und Kollaborationslösungen, die auf dem privaten Endgerät stattfinden, sind ein Trend. Wenn wir aber bereits auf dem Weg zur Arbeit über unser Handy mit dem Social Intranet unseres Unternehmens verbunden sind, findet eine Überblendung zwischen Privat- und Arbeitsbereich j u n i  /  j ul i 20 1 7

statt. Das kann Angestellte überfordern. Was können Unternehmen tun, um den Stress aufseiten der Mitarbeiter zu lindern? Der Faktor Spaß kann helfen. Ein Trendthema bei der Umsetzung von Social-Intranet-Lösungen ist deswegen auch der Aspekt der Gamification: Spielbasierte Lernprozesse helfen Nutzern, Informationen zu verankern und einer Überforderung entgegenzuwirken. Leben wir bald in einer komplett virtuellen Arbeitswelt ohne physische Präsenz? Vom Social Intranet zum reinen digitalen Arbeitsplatz, ohne physische Präsenz, wird es nicht kommen. Momentan sind alle auf der Suche nach dem richtigen Maß. Gerade sehr agile Unternehmen sagen: Für uns ist die physische Anwesenheit wichtig. Ganz ohne Präsenz verliert ein Mitarbeiter den Kontakt zu seinen Kollegen und damit zur Unternehmenskultur, die eben auch in den Büroräumen entsteht. In Kombination aus analoger und digitaler Welt entwickelt sich Zusammenarbeit. Also werden wir weiter direkt miteinander sprechen? Unbedingt. Und so, wie sich die interne Kommunikation aktuell in ihrer Bedeutsamkeit entwickelt, vielleicht sogar mehr und offener als je zuvor. Es wird immer die ganze Bandbreite an Kommunikationsinstrumenten geben. Das wichtigste Kommunikationsmoment ist und bleibt die Face-toFace-Situation. •

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Ein Text von Thomas Trappe

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Unternehmen setzen immer h채ufiger auf die Expertise von Selbstst채ndigen. Doch die Zusammenarbeit ist alles andere als ein Selbstl채ufer. Um Frustrationen auf beiden Seiten zu vermeiden, braucht es einen Plan. Und am besten eine gute Software.

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Illustration: thinkstock

Neues Denken erw체nscht


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Mittendrin steht ein wild gestikulierender Mann, der laut spricht und ein Flipchart bearbeitet. Habib Lesevic ist Berater und Coach, und hier redet er nun über die veränderte Arbeitswelt, in der nicht mehr Hierarchien und Chefs den Ton angeben. Sie werden abgelöst von Netzwerken, in denen autonome und selbstbewusste Individuen als Auftragnehmer ein neues Denken der Wirtschaft erforderten. „Wir haben es nicht mehr mit Human Resources zu tun, sondern mit Menschen“, sagt Lesevic. Sei früher die Matrix der Arbeitswelt die Maschine gewesen, sei es heute das Netzwerk. „Das macht alles dynamischer und komplexer.“

Trend ohne Konzept

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m Mai trafen sich Blogger, Start-up-Gründer und andere Online-Profis zur re:publica in Berlin. Die Konferenz zu digitalen Themen ist zum wichtigsten Event der Netzszene avanciert. Die Arbeitswelt 4.0 überdeckt die Haupthalle mit einem Klangteppich. Hier ein Vortrag zum Coworking, dort echtes Coworking auf den obligatorischen Liegestühlen mit obligatorischem Klappcomputer. j u n i  /  j ul i 20 1 7

Zweifelsohne, es ist viel Show in seinem Vortrag, und vieles bleibt diffus. Und gerade damit macht Lesevic ungewollt auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam: Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch, und niemand weiß genau, wohin der Weg führt. Autonomes Denken und Handeln jedenfalls wird zunehmend von Arbeitnehmern gewünscht, und das führt zu strukturellen Änderungen. Konkret: Unternehmen beauftragen immer mehr Selbstständige, um sie projektbezogen einzusetzen. Das allerdings ist erst einmal nur ein Trend, kein Konzept. So können zwar viele HR-Verantwortliche die Auslagerung von Arbeit betriebswirtschaftlich begründen. Dabei machen sie sich wenig Gedanken darüber, wie Selbständige überhaupt in ein Unternehmen integriert werden können, ohne Reibungsverluste. „Die Strukturen brauchen ein Redesign“, sagt Habib Lesevic, der zu jenem Heer der Berater gehört, das sich der Arbeitswelt 4.0 widmet. Seit den 90er-Jahren steigt die Zahl der Selbständigen in Deutschland stetig. Gab es in den freien Berufen – dazu gehören neben Ärzten und Juristen unter anderem auch Unternehmensberater, beratende Ingenieure sowie andere Technik-Experten – im Jahr 1992 noch eine halbe Million Selbständige, sind es heute nahezu dreimal so viele. Für die einen, zum Beispiel die knapp verfügbaren und damit gut bezahlten ITler, ist es eine Entwicklung hin zu mehr Freiheit und Wohlstand. Andere, gerade jene in den Medienberufen, verbinden mit dem Wort Selbständigkeit oft die fortwährende Gefahr des Job- und Einkommensverlustes. So oder so gilt, dass Unternehmen es bei Selbständigen mit einer Gruppe zu tun haben, die sie pflegen müssen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. „Den meisten unserer Mitglieder geht es gut, sie sind sehr gerne selbständig“, betont Andreas Lutz. Er ist seit 14 Jahren Einzelunternehmer als Berater für Existenzgründer. Über 2.000 Seminare hat Lutz bereits organisiert und zehn Bücher geschrieben, darunter das „Praxisbuch Networking“. 49


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Lutz ist Vorsitzender und Initiator des Verbands der Gründer und Selbstständigen in Deutschland. Er versteht Teams aus externen Selbständigen und Angestellten von Unternehmen als ideales Innovationsinstrument: „Die Selbständigen bringen neues Wissen in das Unternehmen“, sagt er. „Dieser Transfer funktioniert natürlich nur, wenn es eine gute Zusammenarbeit mit den Angestellten im Team gibt, die dieses Wissen dann im Unternehmen halten.“ Typisch für die Einbindung von Externen seien Scrum-Teams. „Im Softwarebereich sind die gar nicht mehr wegzudenken.“ Er glaubt nicht, dass sich Selbständige schwer damit tun könnten, ihr Wissen, das ja ihr größtes Kapital ist, mit Unternehmen zu teilen. „Die Expertise ist der wichtigste Grund, Selbständige zu beauftragen“, sagt er. „Wenn sie nicht zusammenarbeiten, schadet das ihrer Marke. Und genauso erhöht es ihren Marktwert, wenn sie beweisen, dass sie einen Gewinn bringen.“ Selbständige täten sich schwer mit sinnlosen Anweisungen von oben, klar. „Aber sie wollen schnell Ergebnisse. Und deshalb werden sie im Team zusammenarbeiten“, sagt Lutz. Der Verbandsgründer spricht von in der Regel hochqualifizierten und zugleich knappen Selbständigen. Aber es gibt eben auch jene Auftragnehmer, die sich in einen vollen Anbietermarkt drängeln und oft auch geringer qualifiziert sind. Catharina van Delden ist Geschäftsführerin der Innosabi GmbH, einer Crowdsourcing-Plattform, die teilweise Hunderte Selbständige für ein Projekt zusammenführt. Sie ist überzeugt: Noch ist Crowdworking für die meisten Teilnehmer ein Zusatzverdienst, das Modell kann sich aber in Zukunft ausbreiten und wirtschaftlich an Bedeutung gewinnen.

Von der Mechanik zum Netzwerk Van Delden empfiehlt Unternehmen, die auf eine groß angelegte Zusammenarbeit mit Selbständigen setzen, „Projekte gut zu strukturieren, um leitend und kontrollierend steuern zu können“. Auch Anreize sollten so gestaltet werden, dass sie am Ende nicht demotivierten. „Zu schwache Anreize führen zu Unmut und hemmen oder verhindern eine langfristige Zusammenarbeit“, sagt sie. „Zu großzügige Incentives lassen dagegen schnell einen Wettbewerbscharakter aufkommen, was ebenfalls hinderlich ist für eine langfristige Kooperation und Kollaboration.“ Selbständige zusammenzuführen ist alles andere als ein Selbstläufer, und manchmal ist es ein Fall für eine Psychologin. Jutta Kreyenberg ist eine solche Psychologin. Sie berät seit vielen Jahren Unternehmen, unter anderem zu Führung, Konfliktmanagement und Teamentwicklung. 50

Also auch dazu, wie Zusammenarbeit so organisiert werden kann, dass sie funktioniert. Kreyenberg wählt ähnliche Wörter wie Berater Lesevic von der re:publica, während sie einen Paradigmenwechsel in der HR-Welt beschreibt. Weg von der Logik der Mechanik, hin zum Wissensnetzwerk aus Menschen. „Es ist selbstverständlich, dass man Maschinen wartet“, sagt Kreyenberg. „Genauso selbstverständlich muss es sein, dass man sich auch um die Menschen im Unternehmen kümmert, damit sie produktiv bleiben.“ Gerade bei der Zusammenarbeit mit Selbständigen sei das bis heute aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das habe sie selbst erlebt.

Ängste und Abwehr Als Beraterin hatte es Kreyenberg schon mit Firmen zu tun, die Aufträge über eine Auktion vergeben wollten, und zwar an die billigsten Bieter. „Bei so etwas steige ich sofort aus. Eine Beratungstätigkeit ist nun mal etwas anderes, als Margarine zu verkaufen.“ Genauso würden die meisten Selbständigen reagieren, wenn sie falsch behandelt würden, ist Kreyenberg überzeugt. Auch deshalb, weil sie mit ihrem eigenen Institut für Coaching und Supervision und als Teilhaberin des Beratungsunternehmens Professio selbst vorrangig externe Selbständige beschäftigt. „Ich muss mit ihnen immer auf Augenhöhe kommunizieren, ihnen attraktive Angebote machen, sie bei der Stange halten“, sagt sie. „Sobald ich da mit irgendwelchen Chefallüren anfangen würde, wären die weg.“ Die wenigen Angestellten, die vielen Selbständigen und sie selbst seien gleichberechtigte Kollegen. „Anders geht es gar nicht.“ Viele Unternehmen müssten diese Haltung allerdings erst lernen. Leider würde bei Teams aus Internen und Externen häufig „erst Wert auf die zwischenmenschlichen und sozialen Faktoren gelegt, wenn es nicht funktioniert“. Und Gründe, dass es nicht funktioniert, könne es viele geben, sagt Kreyenberg. Oft gehe es um Ängste bei Angestellten, die in Abwehrreaktionen gegenüber den hinzugezogenen Selbständigen münden könnten. Zum Beispiel dann, wenn die einen sich durch die Kompetenz der anderen in ihrem Job bedroht sähen. Selbständigen wiederum könne es zu schaffen machen, auf Hierarchievorstellungen zu treffen, die sie von einer Festanstellung einst abgeschreckt habe. „Grundsätzlich sind die Leute motiviert, wenn sie in ein Unternehmen gehen. Falsche Strukturen können das aber zerstören“, sagt Kreyenberg. Sie empfiehlt Unternehmen in solchen Situationen Ehrlichkeit und Austausch. „Wenn gesagt wird, warum genau man Selbständige hereinholt und gleichzeitig klarwww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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macht, dass man die Angestellten im Team genauso braucht, funktioniert das in der Regel auch.“ Wenn sich eine der beiden Seiten „abgewertet fühlt, dann ist der Wurm drin“. Oft reiche schon ein Führungskräfte-Coaching im Vorfeld, um dem Problem angemessen zu begegnen. Die Zusammenarbeit in Teams ist allerdings nicht nur eine psychologische, sondern auch eine technische Herausforderung. Das liegt nicht zuletzt an den strengen deutschen Gesetzen zur Scheinselbständigkeit, die eine zu regelmäßige persönliche Anwesenheit von Externen sogar zum sozialversicherungsrechtlichen Risiko macht. Um mit beauftragten Selbständigen in Teams so zusammenarbeiten zu können, als wären sie vor Ort, setzen immer mehr Unternehmen „Social Collaboration Tools“ ein. Sie ermöglichen es, über eine Plattform Dokumente zu bearbeiten und diese auszutauschen, sich in Gruppen zusammenzuschließen, im Team zu kommunizieren oder auf Formulare und Anträge zuzugreifen. Gleichzeitig ist der Zugang zum Unternehmensnetzwerk für Externe eingeschränkt, um vertrauliche Informationen sicher zu halten. Vorteil des Einsatzes von Social Collaboration Tools: Statt auf verschiedene externe Anbieter zu-

zugreifen, die nicht kontrolliert werden können, holt man sich ein einheitliches Werkzeug aus einem Haus, dass dann auch in den eigenen Händen liegt. Ein Anbieter ist Campana & Schott. Die Managementund Technologieberatung verkauft unter anderem Social Collaboration Tools und berät dazu. Boris Ovcak verantwortet diesen Unternehmensbereich, und er verweist auf die jüngste Social-Collaboration-Studie, die Campana & Schott herausgegeben hat. Die Studie habe gezeigt, dass der Einsatz von Social Collaboration Tools die Innovationsfähigkeit steigere, betont Ovcak. Nicht zuletzt in der Zusammenarbeit zwischen Externen und Unternehmen würden Tools helfen, Kommunikationswege zu verkürzen. „Das erhöht nicht nur die Geschwindigkeit“, sagt Ovcak, „sondern durch einen produktiveren Austausch im Team auch die Kreativität.“ Allerdings müsse es dafür auch eine Haltung im gesamten Unternehmen geben, Collaboration Tools auch zur Kollaboration einzusetzen. „Das ist ein Prozess, den man etablieren muss“, sagt er. Ein Netzwerk ist eben keine Maschine: Es funktioniert nicht auf Knopfdruck. •

Kuchen für die Mitarbeiter ist noch keine Anerkennung. Wertefabrik

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Teamarbeit auf Distanz Ein Text von Birga Teske

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eim Saarbrückener E-Learning-Anbieter IMC arbeiten Softwareentwickler, Instructional Designer und Vertriebsmitarbeiter Hand in Hand. Und das über Zeitzonen und Kontinente hinweg. „Kürzlich haben wir unsere Kollegen in Singapur bei einem Pitch unterstützt“, berichtet Frank Huefner. Der Bereichsleiter Content Services des Lernsoftwarespezialisten nahm per Bildschirmübertragung an einer Besprechung teil, die mehr als 10.000 Kilometer entfernt stattfand – in einem Büroturm mitten in Südostasien. Dort wartete eine 19-köpfige Delegation des US-amerikanischen Logistikdienstleisters Fedex auf Details zu einem Angebot. Die Rollen sind bei IMC klar verteilt: Die Kunden haben eine Kontaktperson vor Ort“, sagt Huefner. Aber an der Erstellung von Angeboten oder der Umsetzung von Aufträgen arbeiten Mitarbeiter in virtuellen Teams zusammen. „Wenn in Australien geschlafen wird, machen wir in Deutschland weiter“, so Huefner. Umgekehrt schalten die Deutschen manchmal einen externen Partner aus Indien ein, wenn eine Digitalisierung bis zum nächsten Tag abgeschlossen sein muss. Die 240 Mitarbeiter an elf Standorten von Neuseeland über Rumänien bis in die USA arbeiten somit rund um die Uhr. Das Elektrotechnikunternehmen Weidmüller aus Detmold setzt ebenfalls auf vernetztes Arbeiten. 4.500 Mitarbeiter sind weltweit in mehr als 80 Ländern tätig. Das mittelständische Unternehmen lebt von ständigen Innovationen. Und die finden zunehmend in grenzüberschreitenden Teams statt. Anfang 2013 gründete Weidmüller ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Singapur. Seither tauschen sich die Kollegen aus Asien und Deutschland regelmäßig über ihre Ergebnisse aus. „Wir haben schon viele gemeinsame Projekte gemacht“, sagt Ben Scott. Der Austrawww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Illustration: Miriam Jacobi

Die Arbeit in virtuellen Teams gehört längst zum Alltag.Videokonferenzen, Firmen-Intranets, und Cloud-Dienste erleichtern den Austausch über Standorte hinweg. Doch die neue Form der Zusammenarbeit erfordert viel Einsatz – von Mitarbeitern,Vorgesetzten und Personalern.


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lier sorgt als Chief Technology Officer zusammen mit einem deutschen Kollegen für die reibungslose Zusammenarbeit der Standorte. Noch vor zwei Jahrzehnten zielte die Kooperation zwischen den Niederlassungen einer Firma auf den Austausch von Finanzzahlen, Produktionsplänen und Absatzzielen. Heute formen sich virtuelle Projektteams je nach Aufgabe in ständig wechselnder Zusammensetzung. Sie sitzen sich nicht mehr am Bürotisch gegenüber, sondern arbeiten verstreut in der Firmenzentrale, im Homeoffice oder am anderen Ende der Welt. Melanie Hasenbein beobachtet diese Entwicklung seit etwa 15 Jahren. Sie begleitet als Coach und Trainer Führungskräfte virtueller Teams und lehrt als Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius.

Konzentrierter Arbeiten Ein wichtiger Vorteil virtueller Teams sei laut Hasenbein, dass für die Beschäftigten ihre Projektaufgaben beziehungsweise die Aufgaben des Tagesgeschäfts in den Fokus rücken: „Die Mitarbeiter sind weniger Ablenkungen ausgesetzt“, hat Hasenbein festgestellt. Der Chef schaut nicht ständig über die Schulter, am Nachbartisch wird nicht lautstark telefoniert, und das Geldeinsammeln für Geburtstagsgeschenke entfällt. „Man ist ein Stück weit vom Tagesgeschäft entfernt und kann konzentrierter arbeiten“, bestätigt Weidmüller-Manager Scott. So erreichten ihn in Singapur nur selten Anfragen von Produktmanagern. Doch diese Medaille hat auch eine Kehrseite: „Mitglieder virtueller Teams können ihrerseits nicht spontan auf jemanden zugehen“, sagt Hasenbein. Der fehlende Austausch könne zu Kontaktarmut führen. Ein Problem, das vor allem Einzelkämpfer im Homeoffice oder leitende Angestellte an fernen Standorten betrifft. Oft müssen sie einsame Entscheidungen treffen, ein Sparringpartner auf Augenhöhe fehle. „Manchmal fühle ich mich schon etwas allein“, räumt Scott ein. Zwar habe er Mitarbeiter in Singapur und tausche sich regelmäßig mit dem Sales Team vor Ort aus, aber Kollegen auf der gleichen Führungsebene gebe es in seinem Team nicht. Videokonferenzen, Firmen-Intranets oder Cloud-Speicherdienste lassen virtuelle Teams enger zusammenrücken. Persönliche Treffen ersetzen sie jedoch nicht. Denn zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit gehört Vertrauen. Und das bildet sich am besten Angesicht zu Angesicht: „Bei virtuellen Teams sollte es zu Beginn einen Kickoff geben“, rät deshalb Coach Hasenbein. Im Anj u n i  /  j ul i 20 1 7

schluss sind weitere regelmäßige Zusammenkünfte nötig. „Mindestens alle drei Monate sollte sich der Leiter eines virtuellen Teams mit den Mitarbeitern zusammensetzen“, so Hasenbein. Wenn Standorte weit entfernt sind, könne das schwierig sein. „Während meines zweiten Jahrs in Singapur bin ich nur einmal in die Zentrale gereist“, erinnert sich Weidmüller-Manager Scott. Rückblickend sei das ein Fehler gewesen. Es sei zu Missverständnissen gekommen, die Prioritätensetzung der Arbeit sei unklar geblieben. Erst als sich das Team persönlich gesehen habe, sei der Knoten geplatzt. Heute treffe Scott seine deutschen Kollegen dreimal pro Jahr, wenn nötig auch spontan: „Erst vor Kurzem hatten wir eine schwierige technische Diskussion. Ich bin dann mit zwei Kollegen nach Deutschland gereist, um eine Lösung zu finden.“

Kurz und knapp Neben regelmäßigen persönlichen Treffen samt gegenseitigem Feedback erfordert die Arbeit in virtuellen Teams vor allem eine gute technische Ausstattung. Nicht selten scheitern Videokonferenzen schon an der falschen Kameraeinstellung. Wichtig ist zudem die Form der Präsentation. Statt stundenlanger Monologe sind knappe Statements gefragt. Möglichst viele Teilnehmer sollten mit eigenen Beiträgen aktiv in die Diskussion eingebunden sein. Immerhin lässt die Konzentration beim Blick auf den Monitor deutlich schneller nach als bei einer Live-Präsentation. Das gilt erst recht, wenn Beschäftigte aus verschiedenen Zeitzonen teilnehmen. Ebenfalls entscheidend: Allen Mitarbeitern sollten dieselben digitalen Werkzeuge zur Verfügung stehen. Nur so entfaltet sich das ganze Potenzial des vernetzten Arbeitens. 53


Der Medizintechnikhersteller B. Braun betreibt seit vier Jahren eine firmeneigene Plattform, die von allen Standorten aus zugänglich ist – in 64 Ländern und zum Teil in der jeweiligen Landessprache. „Es gibt Collaboration Spaces, man kann Protokolle einstellen, Fragen stellen, kommentieren und Beiträge bewerten“, sagt Bernadette Tillmanns-Estorf, Direktorin der Unternehmenskommunikation und der Corporate HR. Vor dem Aufbau dieses Angebotes hatten Mitarbeiter von B. Braun in einzelnen Ländern eigene Netzwerke erstellt. „Um die Kollegen von der gemeinsamen Plattform zu überzeugen, haben wir sie zunächst nach ihren Bedürfnissen gefragt“, berichtet Tillmanns-Estorf. Anschließend entwickelten Unternehmenskommunikation, HR und IT gemeinsam das „B. Braun Knowledge Center“. „Besonders die themenbezogenen Wikis werden stark genutzt und helfen den Kollegen im Ausland, sich zu informieren“, berichtet Tillmanns-Estorf. Auch die Mikro-Blogs und News-Channel der einzelnen Abteilungen sind gefragt.

Vom Kontrolleur zum Moderator Die modernen Informationskanäle fordern den Beteiligten einiges ab: Alte Strukturen werden infrage gestellt, Hierarchien geraten ins Wanken. Wo die Firmenspitze die Angestellten einst vor vollendete Tatsachen stellte und Abteilungsleiter die Urlaubsplanung machten, wird Herrschaftswissen nun zum Allgemeingut erklärt. Gleichzeitig wird die Eigenverantwortung der Mitarbeiter forciert. Sie sollen sich selbst das Wissen beschaffen, das sie für ihre Arbeit benötigen. Aus der Bringschuld der Vorgesetzten ist die Holschuld der Beschäftigten geworden. Funktionieren kann das nur mit gut durchdachten Strukturen. Und für deren Aufbau ist bei B. Braun die Personalabteilung federführend verantwortlich: „Wir erarbeiten derzeit Strukturen, die das selbstbestimmte Arbeiten der Mitarbeiter erleichtern“, berichtet Tillmanns-Estorf. Um eine erfolgreiche Zusammenarbeit in firmenübergreifenden Netzwerken und virtuellen Teams zu ermöglichen, müssten sich die Unternehmen von innen heraus wandeln – dazu gehöre auch die Personalabteilung selbst. „Die Rolle der HR darf nicht die des Kontrolleurs sein, sondern des Facilitators“, sagt Tillmanns-Estorf. Dazu gehört die Pflege der Kommunikationskanäle: Nur wenn es Verantwortliche gibt, die Forums-Diskussionen moderieren und die Einbindung neuer Tools steuern, können die Beschäftigten die digitalen Angebote zielgerichtet nutzen. Wie wichtig so eine Moderation ist, hat IMC-Bereichsleiter Huefner bei einem früheren Arbeitgeber gesehen: „Dort wurde eine Ideenplattform eingerichtet, um 54

innovative Einfälle der Beschäftigten zu sammeln.“ In der Theorie ein großartiges Vorhaben – in der Praxis allerdings erst umsetzbar, nachdem das Management steuernd eingriff. Ebenfalls gefordert ist die HR bei der Organisation von Schulungen für Manager. Denn virtuelle Teams erfordern einen neuen Führungsansatz. Einerseits müssen Vorgesetzte den Mitarbeitern, die an entfernten Standorten sitzen, einen Vertrauensvorschuss geben. Sie können nun einmal nicht vor Ort alle Vorgänge kontrollieren. Andererseits müssen sie Methoden entwickeln, um ihre Mitarbeiter auch auf Distanz erfolgreich zu lenken. Empfehlenswert sind dafür feste Termine für Vieraugengespräche, sowohl persönliche als auch fernmündliche. Die HR-Abteilung kann Leitfäden entwickeln und Rahmenbedingungen setzen. So sollten Mitarbeiter im Homeoffice von Anfang an wissen, wie sie sich am heimischen Schreibtisch zu verhalten haben. Die Einhaltung solcher Regeln sollte überprüft und bewertet werden. Virtuelle Teams behalten ihre Ziele und Aufgaben besser im Auge, wenn sie diese gemeinsam schriftlich vereinbaren. Nötige Voraussetzungen für die Zusammenarbeit – wie etwa Selbstverantwortung und Selbstorganisation – können Vorgesetzte und Mitarbeiter in Zielvereinbarungen übernehmen. Das vernetzte Arbeiten erfordert Neuerungen, doch das Rad muss nicht komplett neu erfunden werden. Wenn Mitarbeiter sich etwa stark ins firmeneigene Intranet einbringen, ist das kein neues Phänomen: „Früher wurde in der Küche mehr gequatscht, das hat sich transformiert“, sagt Huefner von IMC. Auch unterschiedliche Leistungsniveaus in Projektgruppen gab es schon immer. Neu sind die Methoden, wie erfolgreich damit umzugehen ist. Gerade hier ist die Erfahrung und Unterstützung der Personalverantwortlichen stärker gefragt denn je. • www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Illustration: Miriam Jacobi

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„Persönliche Zusammenkünfte bleiben das A und O“ Wie vernetzt arbeiten Unternehmen in Zeiten der digitalen Kommunikation? Rainer Holler, IT-Chef des weltumspannenden Pharma- und Chemiezulieferers Sartorius AG, spricht im Interview über die wichtigsten Social Collaboration Tools, die Zusammenarbeit bei neun Stunden Zeitverschiebung und die Grenzen der Technik. Ein Interview von Martin Scheele

Herr Holler, bitte beschreiben Sie uns doch mal Ihre Arbeitsumgebung, damit wir ein Bild bekommen. Bei uns ändert sich gerade viel, weil wir im Herbst mit der gesamten Administration neue Gebäude beziehen. Im alten Werk waren unsere Arbeitsstrukturen relativ klassisch: Die meisten saßen in Einzel-, Zweier - oder kleinen Teambüros zusammen. Meine IT-Abteilung sitzt bereits heute überwiegend im Großraum, wobei die Bedingungen zum Beispiel mit Blick auf Akustik oder Rückzugsräume im Neubau deutlich besser werden. Insgesamt reflektiert der neue Campus die Veränderungen, die wir in den letzten Jahren durchlaufen haben: Es gibt deutlich mehr Projektarbeit, meist über mehrere Standorte hinweg. Teams setzen sich aus internen und externen Mitarbeitern zusammen und werden im Projektverlauf flexibel größer und kleiner. All das muss räumlich und von der IT- und 56

Kommunikationsinfrastruktur unterstützt werden. Wie geht Sartorius dabei vor? Es wird schon deutlich flexibler, kreativer und kommunikativer werden. Zugleich berücksichtigen wir die Wünsche von Mitarbeitern nach dem eigenen, individuell gestaltbaren Arbeitsplatz und auch das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten für die konzentrierte Arbeit. Wie arbeiten Sie derzeit? Welche Rolle spielen technische Tools in der Zusammenarbeit? Wir beschäftigen heute 7.000 Mitarbeiter und sind weltweit an über 50 Standorten mit Produktion und Vertrieb tätig. Pro Jahr stellen wir etwa 1.000 Leute neu ein. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit und Koordination ohne gute technische Tools gar nicht denkbar ist. Das geht von einem leistungsfähigen ERP-System über CRM-Tools bis hin zu Videokonferenzen, Desk Sharing Tools oder Remote -Schulungen.

Gilt die internationale Aufteilung auch für Ihre IT-Abteilung? Ja. Die IT ist eine der Abteilungen, die besonders schnell gewachsen ist: 2013 waren wir 85 Kollegen, 2017 bereits 165 Mitarbeiter, und wir sind an 14 Standorten vertreten. Unser Teamleiter für die Endnutzerbetreuung sitzt beispielsweise in Großbritannien. Wenn ein deutscher Mitarbeiter etwa ein Problem beim Helpdesk aufgibt, das einen Vor-Ort-Einsatz bedarf, läuft das über den Tisch von unserem Kollegen in Großbritannien. Das geht genauso effizient, als würde er in Göttingen sitzen. Wie lässt sich in Zeiten zunehmender digitaler Kommunikation eine zugleich effiziente und vertrauensvolle Atmosphäre herstellen? Vor allem durch persönlichen Kontakt. Natürlich nutzen wir für Projekttreffen häufig Skype oder Videokonferenzsysteme. Der Kick www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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- o f f f i n d e t aber meist persönlich statt, damit sich das Team kennenlernen kann. Außer dem Arbeitstreffen verbringen wir auch einen Teil unserer Freizeit zusammen. Die Betriebssportgruppe Golf wurde auf Initiative der IT gegründet. Ich habe im letzten Jahr meine Kollegen aus aller Welt zu einem mehrtätigen Treffen nach Göttingen eingeladen. Kollegen verschiedener US-Standorte haben sich zum ersten Mal persönlich getroffen, obwohl manche schon über zehn Jahre im Unternehmen waren. Was geschieht bei diesen Treffen genau? Wir veranstalten Workshops, damit jeder Mitarbeiter auf dem neuesten Stand ist. Wir vernetzen uns stärker mit anderen Abteilungen in unserem Matrix-Aufbau. Es gibt viele formelle wie informelle Einzelgespräche. Natürlich gibt es auch einen lockeren Anteil. Dieses Jahr etwa haben wir zusammen 15 Bäume gepflanzt. Ich gebe jetzt regelmäßig ein Update zum Wachstum der Bäume durch, um dieses verbindende Element immer wieder zu reaktivieren. Außerdem haben wir eine Nachtfackelwanderung gemacht. Wie kommunizieren Sie die anderen Tage mit Ihren Mitarbeitern in nah und fern? Schon wegen der Matrix-Organisation spielt tägliche Kommunikation eine größere Rolle als in einer Linienorganisation. Wir haben deutlich mehr Mitarbeiter und damit auch mehr Kommunikationsteilnehmer. Auch hier helfen interaktive Tools, um effizient und vertrauensvoll zu-

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sammenarbeiten zu können. Jeder neue Kollege bekommt bei uns ein Onboarding, also Hilfestellungen, um unser Unternehmen kennenzulernen. Wir bieten hierzu ein sogenanntes Xpresso-Training an, bei dem in 30 Minuten interaktiv Fragen rund um die IT und andere Themen beantwortet werden, etwa wie Skype for Business funktioniert. Wie nutzen Sie darüber hinaus soziale Kollaborationslösungen? Nehmen wir zum Vergleich einen Teamleiter: Der hat zum einen seine Themen vor Ort, er geht in Video-Konferenzen, schreibt zwischendurch eine Skype-Message, informiert sich in den firmeneigenen Whatsapp-Gruppen, checkt zwischendurch über Outlook seine Mails, bildet sich mit einem Webcast-Seminar weiter und macht in Yammer einen Eintrag dazu oder er liked in Teams den Kommentar eines Kollegen. Verschiebt sich die Nutzung von gewöhnlichem Mailprogramm und Festnetztelefonie hin zu Social Collaborations Tools? Eindeutig, ja. Bei der Nutzung von Outlook gibt es keinen Anstieg mehr. Trotzdem ist das ein valides Instrument für den Versand von Arbeitsaufträgen und für Gruppeninformationen offizieller Art. Für Sartorius arbeiten Mitarbeiter in allen Zeitzonen. Das hört sich nach einem 24-Stunden-Tag an … Wir haben eine gute Aufteilung gefunden, sodass jeder auch mal früher oder später als gewöhnlich arbeitet. Einer unserer Mitarbeiter in der IT-Infrastruktur etwa sitzt in Colorado, USA – mit einem neunstündigen Zeitunterschied zu unserem deutschen Standort. Wenn ich mit ihm und einem japanischen Kollegen, der acht Stunden in die andere Richtung zeitversetzt arbeitet, eine Videokonferenz mache, dann muss einer

in den sauren Apfel beißen. Ohne Technik wäre ihr Arbeitsalltag nicht mehr möglich. Die Technik von heute macht alles komfortabler. Wir stellen langsam, aber sicher alle unsere Standorte auf IP-Telefonie um. Schon heute verbinden wir Videokonferenzsysteme in unseren Meetingräumen mit Skype for Business, um auch vom Büro-Laptop bei Konferenzen dabei zu sein. Wir wollen es möglich machen, künftig von jedem Endpunkt wie einem Mobiltelefon, Laptop oder Tablet an globalen Meetings live und ohne Unterbrechung teilzunehmen. Das bedeutet konkret für Ihren Arbeitsalltag? Das könnte dann in meinem Fall so aussehen: Ich fahre morgens ins Büro, nehme an einem Meeting im LiveBetrieb über mein Smartphone teil, kann mobil noch weitere Personen dazu schalten. Dann übertrage ich im Büro das Gespräch auf meinen Laptop, auch weil ich vielleicht noch eine Grafik zur Veranschaulichung des Themas dort teilen möchte. Dann könnte ja auch jeder gleich von zu Hause arbeiten. Homeoffice ist bei Sartorius durchaus verbreitet, auch in der IT. Allerdings ist die Zusammenarbeit in der IT bedingt durch das starke Wachstum der vergangenen Jahre noch nicht komplett ausgereift. Die Kollegen sollen sich alle erst mal kennenlernen, in zwei bis drei Jahren lässt sich das HomeofficeAngebot sicherlich noch ausbauen. Persönliche Zusammenkünfte bleiben meiner Meinung nach auch in Zeiten digitaler Kommunikation das A und O. • 57


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Die Evolution der smarten Führung Moderne Unternehmenskulturen brauchen interne Social-Media-Plattformen. Mit digitalen Werkzeugen sind vernetzte Zusammenarbeit und Vertrauen möglich. Trotzdem müssen sich Menschen auch weiterhin real begegnen.

VU CA - U mwe l t

Vernetzung

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Ein Essay von Thorsten Petry

Offenheit

h. er d. id t y, w el it .T. w gu , z m bi tige e U Am eu lich rd ch eh ü m spr Abb. 1 VOPA + Modell in VUCA-Umwelt

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Illustration: thinkstock

Partizipation

Agilität

C ng om vi igk ple el ei x fä t b ity lti z , ge w. d.h r E In . le ter Abm a en kti te on

Vertrauen


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I

m Zeitalter der Digitalisierung ist unsere Umwelt vielschichtig, mehrdeutig, widersprüchlich und wird von sprunghaften Veränderungen erschüttert. Unsere Welt lässt sich treffend als VUCA-Umwelt bezeichnen. VUCA, ein Akronym aus dem amerikanischen Militärjargon, steht für Volatility (Sprunghaftigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Und damit für die Zeichen unserer Zeit. Bereits seit 2010 untersuchen wir an der Hochschule RheinMain im Rahmen der Enterprise-2.0-Studienreihe fortlaufend den aktuellen Stand und die zeitliche Entwicklung des Einsatzes von Social-Media und Social-Collaboration-Plattformen in deutschen Unternehmen. An der aktuellen Studie haben 145 Studienteilnehmer verschiedener Funktionsbereiche, Branchen und Unternehmensgrößen teilgenommen. Ein Ergebnis ist dabei kaum verwunderlich: 70 Prozent dieser Unternehmen stellen starke und sehr starke Auswirkungen der Digitalisierung fest. Aber nur 47 Prozent fühlen sich angemessen auf die Konsequenzen der digitalen Transformation vorbereitet. Der digitale Reifegrad der Führungskultur wird sogar am geringsten eingeschätzt.

Mit der Abkürzung zum Ziel Verändert sich ständig das Umfeld, wird Führung zunehmend schwieriger. Wie kann sie dennoch gelingen? Durch VOPA+. Auch bei VOPA+ handelt es sich um eine Abkürzung. Sie steht für Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität plus Vertrauen (vgl. Abb. 1). Eine zunehmende VUCA-Umwelt erfordert eine „VOPA+“-Führung. In einem dynamischen und komplexen Umfeld ist das Prinzip des Versuch und Irrtums, des Trial and Error, oft er-

Wissen, wo man suchen muss. www.humanresourcesmanager.de/jobboerse

folgreicher als detaillierte Analyse und Planung. Führung muss zwar beweglicher und agiler sein, Führungskräfte müssen aber weiterhin eine grundsätzliche Richtung vorgeben. Sie sollten mit Lösungsansätzen experimentieren und aus den gemachten Erfahrungen – inklusive Fehlern – lernen. Vor dem Hintergrund der ständigen Veränderungen unserer Zeit wäre es vermessen zu glauben, dass Unternehmen noch rein zentral steuerbar sind. Führungskräfte kommen in unserer schnelllebigen Zeit rasch an die Grenzen ihrer Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit. Genau aus diesem Grund sollten Führungsaufgaben viel stärker verteilt und die gesamte kollektive Intelligenz im Unternehmen genutzt werden. Eine Voraussetzung für die höhere Beteiligung und Selbststeuerung der Mitarbeiter ist eine ausgeprägte Vernetzung innerhalb der Unternehmen. Deswegen müssen Chefs die Bildung von Netzwerken fördern und die Zusammenarbeit jenseits von Abteilungen, Regionen oder Funktionen unterstützen. Eine Führungskraft sollte im Digitalzeitalter offen kommunizieren, offenes Feedback geben und auch selbst offen für Kritik sein. Wenn Führung vernetzter, offener, partizipativer und agiler werden soll, dann müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen. Das gilt sowohl im Hinblick auf deren Motivation als auch deren Kompetenzen.

Raumschiff Enterprise 2.0 Die Entwicklung einer VOPA+, also einer auf Vertrauen basierten Führungskultur, ist ein zentraler Aspekt der digitalen Transformation. Doch wie kann eine solche Kultur gefördert und unterstützt werden?

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Abb. 2 Erwartete Konsequenzen von Enterprise-2.0-Ansätzen erwartet

festgestellt

Abweichung größer 50 %

Stärkere Vernetzung der Mitarbeiter

71 % 51 %

Offenere Kommunikation

68 % 49 %

Offenerer Informationszugang

67 % 47 %

Höhere Schnelligkeit und Flexibilität (Agilität)

57 % 25 %

Verstärkte virtuelle Zusammenarbeiten

54 %

Informationszugang ermöglichen. Das ist eine geeignete Basis für eine ausgeprägte Beteiligung aller Mitarbeiter und ermöglicht schnelles und flexibles Arbeiten und Entscheiden. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Virtuelles Arbeiten kann eine agilere Unternehmenskultur entstehen lassen, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit unterstützen und zu einem partizipativen Führungsstil führen (vgl. Abb. 2).

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass zwischen Erwartungshaltung und Wirklichkeit eine zum Teil erhebliche Lücke klafft. Gerade im Hinblick auf eine stärker ausgeprägte Agilität und einen partizipativeren Führungsstil sind die Erwartungen in vielen Unternehmen nicht erfüllt. Zwar beurteilen 70 Prozent der Unternehmen ihre Enterprise-2.0-Maßnahmen als „erfolgreich“, allerdings nur zehn Prozent davon als „sehr erfolgreich“. Die Veränderung der Führungskultur in Unternehmen ist und bleibt ein langwieriger Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt und eine kontinuierliche Arbeit am Wandel erfordert.

43 %

Ohne echte Begegnung kein Vertrauen 36 % 11 %

Abflachen von Hierarchien

29 % 10 %

Ein Ansatz ist die Etablierung von Social-Collaboration-Ansätzen, also die Vernetzung der Mitarbeiter durch soziale Medien innerhalb eines Unternehmens. Denn: Je größer die Auswirkungen der Digitalisierung sind, desto stärker setzen sich Unternehmen mit dem Thema der vernetzten Zusammenarbeit auseinander. Das ist auch das Ergebnis der aktuellen Studie Enterprise 2.0 der Hochschule RheinMain. Das Schlagwort Enterprise 2.0 ist angelehnt an den Begriff des Web 2.0 als Evolutionsstufe des Internets, die auf nutzergenerierten Inhalten und multilateraler Interaktion basiert (Social Media). Enterprise 2.0 steht damit für den Einsatz von Social Media zur Verbesserung der unternehmensinternen Kommunikation und Zusammenarbeit. Enterprise-2.0-Ansätze zielen auf die Entwicklung einer „VOPA+“-Kultur. Sie sollen Mitarbeiter stärker vernetzen und ihnen eine offene Kommunikation und einen offenen 60

Social Collaboration- beziehungsweise Enterprise-2.0-Plattformen sind nur ein Baustein der digitalen Transformation von Unternehmen. Sie sollten als Teil eines größeren Transformationsprogramms betrachtet werden. Zur Unterstützung einer „VOPA+“-Kultur eignen sich auch partizipative Workshopmethoden wie Open Space, World Café oder Barcamp und agile Managementansätze wie Scrum, Design Thinking oder Lean Startup. Eines sollte man allerdings nie vergessen: Die Vernetzung darf nicht allein über Social-Media-Plattformen stattfinden. Menschen müssen sich auch weiterhin physisch begegnen. Ansätze wie Early Bird Café oder Learning Lunch, also regelmäßig angebotene Lern-, Vernetzungs- und Austauschplattformen zu unterschiedlichen Tageszeiten und Themen, sind eine Möglichkeit. Denn: Der Mensch braucht weiterhin die physische Anwesenheit anderer Menschen. •

Thorsten Petry ist Professor für Strategie, Organisation und Personalmanagement an der Hochschule RheinMain. Er arbeitet auch als Managementberater, Projektleiter, Trainer und Referent. Derzeit befindet er sich auf Studienreise in Indonesien.

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Foto: Privat

Stärker kooperativer bzw. partizipativer Führungsstil


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„Unsere Kultur ist auf einem Angsttrip“ „Medien der Gemeinschaft erweisen sich mitunter als Verhinderung von Gemeinschaft.“ Zu diesem Schluss kommt der Medienpsychologe Daniel Salber. In unserem Gespräch über den Einsatz digitaler Kommunikation wird es auch um Vertrauen und den Aufbau von Vertrauen durch digitale Technologien gehen. Salber ist überzeugt, Kontrolle schafft das Gegenteil von Vertrauen. Mediale Kritik von einem Professor der Business School für Management Berlin. Am Ende des Interviews sagt Salber, er wolle den Text nicht zur Autorisierung vorgelegt haben. Er habe Vertrauen.

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Illustration: thinkstock

Ein Interview von Hannah Petersohn

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Herr Professor Salber, wieso glauben Sie, dass soziale Medien innerhalb eines Unternehmens Gemeinschaft verhindern? Sehen Sie sich an, wie die Leute in der Bahn sitzen. Früher haben sie sich unterhalten, jetzt starren alle auf ihr Handy. Diese Gespräche mit dem Handy verhindern die wirkliche Kommunikation. Heute sprechen Menschen lieber mit ihrem digitalen Equipment. Das ist ein Selbstgespräch. Warum ziehen wir diese Form dem direkten Gespräch vor? Menschen können sich durch die neuen Medien schützen. Diese Instrumente erlauben, dass mir andere nicht zu nahe kommen. Soziale Medien als Verhinderer sozialer Nähe? Soziale Medien sind nicht sozial. Sie schaffen Isolation. Es geht nicht um die Kommunikation mit anderen, sondern darum, seine Selbstliebe zu pflegen und sich selbst zu produzieren. Briefpost, Telegramm, Telefon, Mail, Handy ... Verändern sich nicht einfach nur Weg und Weise der Kommunikation? Es gibt doch einen qualitativen Unterschied zwischen einem handgeschriebenen Brief, dem Telefon und den sogenannten sozialen Medien. Wir haben mal die Kommunikation mit Whatsapp untersucht und festgestellt, dass die App in erster Linie dazu dient, die Kommunikation zu kontrollieren. Ich sehe, wer wann, was gelesen hat und bestimme, wer mir schreiben darf. Das ist ein Unterschied zum Telefon: Sie haben mich angerufen, und ich bin rangegangen. Wenn ich das nicht getan hätte, wären Sie weg gewesen. Ist es nicht ein Fortschritt, wenn wir selbst bestimmen können, wie wir mit den neuen Kommunikationsmitteln umgehen wollen?

Wir bestimmen sie aber nicht, sondern machen uns abhängig von ihnen: Wir fühlen uns gezwungen, innerhalb einer kurzen Zeit zu antworten und immer wieder zu gucken, ob es etwas Neues gibt. Die Leute werden in einen Zustand der Dauer-Aufregung versetzt. Warum lassen wir uns darauf ein? Die Menschen glauben durch die Abgrenzung, diese Nähe und Distanz kontrollieren zu können. Allerdings funktioniert die Nutzung digitaler Medien anders als ein analoges Gespräch, dessen Verlauf man eben nicht in der Hand hat. Die Kommunikation in Echtzeit ist schwieriger zu kontrollieren. Ich kann das Gesagte, bevor ich es ausspreche, kaum filtern. Es lässt sich auch nicht wieder zurückholen. In den sozialen Medien kann ich meine Einträge auch wieder löschen und bekomme das Gefühl der Kontrolle. Gilt das auch für unternehmensinterne Social-Media-Werkzeugen? Ich glaube, dass sich das übertragen lässt. Warum erliegen wir diesem starken Glauben an die Technik? Das ist die bewegende Frage. Das hat tiefe geschichtliche Wurzeln. Erst wurde der Glaube an Gott abgelöst durch den Glauben an die Wissenschaft. Jetzt wird die Wissenschaft abgelöst durch den Aberglauben an die Technik. Sie ist das neue Heilsversprechen. Unternehmen führen teilweise blindlings die digitale Kommunikation zwischen den Mitarbeitern ein. Schließlich soll ja alles rasch digitalisiert werden. Dabei laufen sie diesem Diktat der Digitalisierung blind hinterher, ohne zu fragen: Müssen wir das wirklich? Braucht unser Unternehmen das wirklich? Manchmal werden gleich mehrere digitale Kommunikationssysteme gleichzeitig angeschafft. Die Leute verzetteln sich dann völlig und 63


und Professor für Medien- und Wirtschaftspsychologie an der BSP Business School in Berlin. Er forscht unter anderem zur Wirkung von Medien sowie zur Massen- und Kulturpsychologie. Salber ist zudem als Berater und Coach tätig.

können sich gleichzeitig wunderbar voneinander abschotten, sich von echter Kommunikation fernhalten. Wird der Zusammenhalt durch soziale Kollaborationstools gestört? Die Bürokommunikation wird dadurch nicht zusammengeführt. Sie wird fragmentiert. Die digitale Kommunikation zerstückelt die Zusammenarbeit. Es wird behauptet, die digitale Kommunikation fördere die Kreativität. Das ist Aberglaube. Und was ist mit der Schwarmintelligenz? Die ist ganz großer Quatsch. Da entsteht einfach nur der größte gemeinsame Nenner der Dümmsten. Das sind die, die der Herde hinterherlaufen. Das Neue, das Zukunftsweisende geht doch über das Trotten der Trottel in der Herde hinaus! Das entsteht nicht im Schwarm. 64

Wir sind doch keine Fische, und selbst bei denen funktioniert das nicht. Nur Einzelgänger sind innovativ? Innovation ist immer etwas, das gegen den Schwarm entsteht. Wirkliche Innovation gibt es immer da, wo Leute kämpfen gegen die Masse jener, die sich dagegen wehrt. Als die Eisenbahn aufkam, hat man befürchtet, der menschliche Körper könnte durch die Geschwindigkeit zerstört werden. Der Schwarm hat nie Neues erfunden, das waren einzelne Menschen. Und was ist mit Wikipedia, dem Inbegriff der kollektiven Intelligenz? Der Nutzen von Wikipedia ist durchaus vorhanden. Aber dieses Lexikon ersetzt nicht das eigenständige Denken, das Durcharbeiten von Problemen. Da gibt es Wissen auf Knopfdruck, aber keine Intelligenz. Wikipedia schafft die fal-

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Foto: Jennifer Zumbusch

Daniel Salber ist promotierter Philosoph, ausgebildeter Psychotherapeut

sche Erwartungshaltung, man könnte per Mausklick ein Studium absolvieren, man könnte durch Wischen oder Klicken ans Ziel kommen. Das ist eine Illusion. Sie würden das eher als ein Konsumverhalten bezeichnen? Richtig, eine Befütterung der Nutzer. Dabei werden nur die Gewohnheiten einer Maschine auf den Menschen übertragen … … der zunehmend digital kommuniziert. Ich glaube, dass es Bewegungen gegen die Übertechnisierung und Überdigitalisierung geben wird. Auch Berater gucken wieder stärker darauf, was auf der zwischenmenschlichen Ebene passiert. Welche Konflikte gibt es? Welche Abgründe tun sich auf? Wer unterdrückt wen und warum? Macht uns die digitale Kommunikation kontrollierbarer? Werden wir durch sie vielleicht sogar zur Fairness gezwungen? Meine Erfahrung ist, dass Menschen mithilfe der digitalen Kommunikation stärker tricksen, täuschen und tarnen. Aus Untersuchungen über Weiterbildungsmaßnahmen mittels digitaler Medien weiß man, dass jene, die diese Weiterbildung vor einem Computer machen, dazu tendieren, so zu tun als hätten sie etwas getan. Aber in Wahrheit haben sie die Füße nach oben gelegt. Social Collaboration Tools könnten doch gerade gegen Betrugsversuche gegensteuern? Die Kontrollbewegung nimmt generell zu. Sobald irgendetwas schiefgeht, werden Videokameras installiert. Unsere Kultur ist auf einem Angsttrip. Wir schieben Panik und fordern immer mehr Kontrollen in dem Glauben, die Dinge dadurch in den Griff zu bekommen. Aber Kontrolle schafft das Gegenteil von Vertrauen: Kontrolle verlangt nach immer mehr Kontrolle.


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„ Das Digitale muss sich in der realen Welt wiederfinden, sonst wird das eine gespenstische Blase.“

Das klingt, als würden wir bereits in einer Diktatur leben. Wir leben in einem Teufelskreis aus Kontrolle und Panik. Ende der 80er-Jahre gab es in der BRD noch großen Widerstand gegen die Volkszählung. Wie konnte es dazu kommen, dass wir unsere Daten gedankenlos und freiwillig in soziale Medien speisen? Tja, gute Frage. Warum sind alle plötzlich so still? Ich sehe zwei Gründe: Weil Menschen andere Menschen kontrollieren wollen, nutzen sie soziale Medien und Instrumente. Das blaue Häkchen bei Whatsapp verrät, ob eine Nachricht gelesen wurde oder nicht. Menschen können einem Staat oder einem Wirtschaftsunternehmen nicht vorwerfen, was sie selbst tun. Und: Sie wollen sich wie kleine Götter fühlen. Nehmen wir zum Beispiel die Dating-App Tinder: Da kann man ganze Ströme möglicher Partner kontrollieren, sie wegwischen oder erheben und auswählen. Nutzer fühlen sich allmächtig in dieser Herrschaftsposition. Der gesteigerte Wunsch nach Kontrolle lässt ein Manko an Vertrauen vermuten. Die Vertrauensfrage ist ein großes Thema, auch in vielen Firmen. Es gibt viele soziale Gräben, Feindseligkeiten, unterschwellige Formen des Gegeneinanders – und alles unter dem Deckmantel der Demokratisierung. Alle sind angeblich gleich. Da wird dann behauptet: Wir sind alle ein Team; hier j u n i  /  j ul i 20 1 7

gibt es keine Chefs mehr. Dabei ist es in vielen Fällen das genaue Gegenteil. Der Schwund an Vertrauen lässt sich nicht durch die digitale Kommunikation reparieren? Das funktioniert nicht. Vertrauen heißt ja eben: ohne Kontrolle auskommen. Um Vertrauen herzustellen, braucht es andere Dinge als eine Technologie. Welche? Vertrauen bedeutet, mit jemanden mitzugehen, der mehr sieht als ich selbst. Er muss ein Land sehen, das ich noch nicht kenne. Ich muss ihm zutrauen, dass er sieht, wohin wir gehen, obwohl ich es selbst nicht sehe. 
 Müssen sich Mitarbeiter weiterhin physisch treffen? Oder wird die reale Begegnung durch die digitale abgelöst? Nichts kann die lebendige Begegnung ersetzen. Das digitale Treffen kann eine Ergänzung sein. Dort, wo Netzwerke nur digital sind, bleiben sie unfruchtbar und werden wieder eingestellt. Das, was digital gemacht wird, kann nur in der wirklichen Welt weiterleben. Das Digitale muss sich in der realen Welt wiederfinden, sonst wird das eine gespenstische Blase. Kann es zu einer Überforderung durch die Nutzung von Social Media Tools in der Arbeitswelt kommen? Die Überbelastung ist greifbar. Wir haben oft schon privat eine Überlastung durch die digitale Kommunikation. Wir kommen kaum noch nach. Man ist kaum noch anwesend, bei nur ei-

ner Sache. Wir leben aufgelöst in einer völlig zerstreuten Welt. Wie erklären Sie sich, dass viele Unternehmen überzeugt sind, dass durch Social Collaboration Tools alles besser wird? Viele folgen leichtfertigen Studien, die ich der Propaganda oder Werbung für eine bestimmte Industrie zurechnen würde. Die meisten Unternehmen wissen nicht einmal, was Unternehmenskultur ist. Die lässt sich nicht durch Technik herstellen, denn da verfallen die Umgangsformen noch mehr. Wir brauchen eine Grundidee davon, wie wir miteinander umgehen. Das ist eine ethische Frage, eine des Knigges. Ihre Prognose: Arbeiten wir künftig in smarten Büros, in denen jeder alles über alle weiß? Man kann sich streiten: Geht es eher in die Richtung von Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Orwells „1984“ oder Eggers „The Circle“? Wir erleben gerade die Extremisierung dessen, was Marx mit der Entfremdung1 meinte. Diese Gefahr sehe ich auch. Unsere Zukunft könnte die Horrorvision werden, vor der Marx vergeblich gewarnt hat. Es ist durchaus möglich, dass der Mensch seine Menschlichkeit verliert. Aber es könnte auch zum Widerstand, zur Auflehnung und zu Revolten kommen. Das denke ich. Das hoffe ich. Wir müssen in die Résistance gehen. An einer Hochschule für Management stelle ich mir das schwierig vor. Da haben Sie recht. Aber ich bin Psychologe und vertrete den menschlichen Faktor. Und ich glaube, ganz düster wird unsere Zukunft nicht. • 1 Nach Marx gehört das Produkt der Arbeit nicht demjenigen, der es produziert hat, sondern einem anderen. Die eigene Tätigkeit wird dadurch als eine fremde empfunden, weil sie nicht das eigene Bedürfnis befriedigt. Durch die Arbeitsteilung in einzelne Schritte verliert der Arbeiter das Gefühl des gemeinschaftlichen Handelns. Letztlich wird der Mensch sich selbst fremd durch die Distanz zum produziertem Produkt, zu seiner Tätigkeit und damit auch zu seinem eigenen Wesen.

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Gläserne Gedanken Ein Beitrag von Anne Hünninghaus

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ür den Anfang brauchen wir noch Buchstaben. „I-c-h k-o-m-m-e h-e-u-t-e s-p-ä-t-e-r“ bedeutet: 19-mal konzentrieren und die einzelnen Zeichen vor dem inneren Auge imaginieren, dann erscheint die Nachricht auf dem Display – und das ganz wie von selbst. So könnte unsere Kommunikation der Zukunft aussehen. Im April hat der Internetkonzern Facebook auf seiner Entwicklerkonferenz im kalifornischen San José bekannt gegeben, an einer Technik zu forschen, die es in Zukunft ermöglichen soll, Gedanken in Schrift umzuwandeln. Funktionieren soll das mittels am Kopf befestigter Sensoren. „Es klingt unmöglich, aber es ist näher, als es Ihnen bewusst ist“, bekräftigte Regina Dugan, Leiterin der Forschungsabteilung des Unternehmens, „Building 8“, vor Ort. Ein 60-köpfiges Team arbeitet in den USA daran, die Visionen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg wahr werden zu lassen – stets gut vernetzt mit Forschungsinstituten auf der ganzen Welt. Bereits im vergangenen Jahr hatte Zuckerberg in einem öffentlichen Chat mit dem an der Nervenkrankheit ALS leidenden Astrophysiker Stephen Hawking seine Vorstellungen einer Art internetgestützter telepathischer Kommunikation geteilt. Es werde – und hier geht der Facebook-Chef noch einen Schritt weiter – eines Tages möglich sein, andere ganz 66

unvermittelt an den eigenen Gedanken und Gefühlen teilhaben zu lassen: „Du wirst einfach an etwas denken und deine Freunde werden im gleichen Moment in der Lage sein, deine Gedanken mitzuerleben.“ Zuckerberg kann in diesem Zusammenhang durchaus als Pionier betrachtet werden. Er ist aber nicht der einzige Konzernchef, der daran arbeitet, Ideen zu verwirklichen, die bis vor Kurzem noch als Science-Fiction galten. Tesla-Gründer Elon Musk gab im Frühjahr bekannt, das Start-up Neuralink zu übernehmen, das ebenfalls darauf abzielt, das menschliche Gehirn mit Computertechnik zu verknüpfen. Zunächst wolle er auf diese Weise Assistenzsysteme für Hirnschlagpatienten entwickeln und anschließend dazu übergehen, auch die Gehirne gesunder Menschen effizienter zu machen. Aber warum sollte ein gesunder Mensch überhaupt Interesse an Brain-Computer-Interfaces haben, also an einer Schnittstelle, die die Vernetzung von Gehirn und Internet zulässt? „Wir reizen heute die Kapazität unseres Gehirns überhaupt nicht aus“, sagt Stefan Meister, Communications Manager bei Facebook. „Wenn wir miteinander reden, spiegelt die Sprache nicht das wider, was unser Gehirn eigentlich leisten könnte.“ Das gesprochene Wort, sagt Meister, sei ein unzureichender Behelf, wie einst die Schreibmaschine. Es hinke dem Gehirn stets ein Stück hinterher. Eine postsprachliche Kommunikation habe außerdem den Vorteil, abbilden zu können, dass wir viele Dinge gleichzeitig denken und empfinden. „Wenn wir es schaffen, Technologien zu entwickeln, die auf die Sprache verzichten, dann können wir auf mehreren Ebenen gleichzeitig kommunizieren und so die Produktivität ins Unermessliche steigern“, erklärt er. Gerade für die Arbeitswelt klingt das erst einmal verlockend.

The Gap in Mind Eingabemedien werden in ihrer Weiterentwicklung immer intuitiver und einfacher zu bedienen sein. Für den Internetsoziologen Stephan G. Humer, Dozent an der Hochschule Fresenius, ist es nur eine logische Konsequenz, auf lange www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

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Die Kommunikation der Zukunft ist transparent, ehrlich, international und absolut simpel. In diese Richtung versuchen sie zumindest führende Tech- und Internet-Unternehmen zu revolutionieren. Über den Sinn und die ethische Komplexität der Visionen von Mark Zuckerberg und Co.


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Sicht eine Bewusstseinskopplung ganz ohne ein Zwischenmedium herzustellen. Aus seiner Sicht ist das vergleichbar mit dem Schritt hin zur Computermaus, mit der man auf Icons klickt, anstatt Tastaturkürzel zu verwenden. Die große kommunikative Revolution wittert Humer in der Telepathie-Vision nicht: „Wenn der letzte Schritt irgendwann getan ist und man nichts weiter tun muss, außer an bestimmte Dinge zu denken, ist das in erster Linie eine Interface-Verkürzung. Dahinter steckt ganz normales menschliches Verhalten.“ Doch wir werden nicht nur schneller, sondern auch transparenter: Die große Lücke, die bislang zwischen Denken und Sprechen klafft, könnte sich weiter schließen. Um herauszufinden, was die Deutschen davon halten, Gedanken in Schrift umzuwandeln, startete das Meinungsforschungsinstitut Yougov Deutschland kurz nach Facebooks Entwicklerkonferenz eine Umfrage. Die Mehrheit der insgesamt 1.071 Befragten zeigte sich skeptisch bis ablehnend. Die Vision befanden aber immerhin 30 Prozent für positiv. Unter den 18- bis 24-Jährigen war die Zustimmung mit insgesamt 45 Prozent signifikant höher. Doch auch die j u n i  /  j ul i 20 1 7

größere Offenheit dieser Altersgruppe, glaubt Soziologe Humer, sei einem Wandel unterworfen: „Wenn die heutigen Digital Natives älter werden, werden sie skeptischer und konservativer, was das Teilen von Daten anbelangt.“ Dennoch beobachtet er insgesamt, dass sich die Auffassung von Privatsphäre und Datenschutz wandelt. Die Begriffe seien weniger statisch als früher. Für den Gesetzgeber, der definieren möchte, bis zu welchem Punkt die Datenpreisgabe akzeptabel ist, macht es das nicht unbedingt einfacher. Stefan Meister hält die Yougov-Umfrage für verfrüht. Man dürfe im Zusammenhang mit dieser Forschung nicht Face­ book als das soziale Netzwerk betrachten, sondern müsse weiterdenken. Brain-Computer-Interfaces seien Technologien, die erst in zehn bis 15 Jahren relevant würden. Was alles möglich sei, könne auch Facebook noch nicht absehen. „Wir möchten da gar nicht orakeln“, wiegelt der Sprecher ab. Technologien der Stunde seien Augmented Reality (AR), also die computergestützte Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung, zum Beispiel durch Brillen und Linsen, und Virtual Reality (VR), die uns vollständig in die virtuelle Welt eintauchen lässt. AR ist jedoch nur eine Zwischentechnologie auf dem Weg zur Telepathie.

Wie realistisch ist Zuckerbergs Vision? Aber wie weit ist die Forschung bisher überhaupt auf diesem Gebiet? Es klingt erst einmal einfach: Wenn wir denken, feuern Nervenzellen. In Abhängigkeit davon, in welcher Weise das geschieht, bilden sich Wörter, die wir in Schrift umsetzen können. Die Technik, die auch in bestehenden Assistenzsystemen genutzt wird, ist keine Gedankenübertragung und kein Gedankenlesen, sondern das schlichte Abgreifen dieser biologischen Signale. Das zu betonen ist dem Neurologen Gereon R. Fink wichtig. „Das ist kein Hokuspokus, Nervenzellen feuern und dadurch entsteht elektrische Aktivität oder eine Magnetfeldveränderung“, erklärt der Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Köln. Diese Veränderung lässt sich aufzeichnen, beispielsweise via EEG und Kernspinto67


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Facebooks Etappenziel besteht darin, 100 Buchstaben pro Minute via Gedankenkraft auf ein Display zu übertragen. Von einer großen Zeitersparnis gegenüber dem getippten Wort lässt sich also in diesem Stadium kaum sprechen. Und auch bis dahin ist der Weg dem Neurologen Fink zufolge noch weit. „Die Frage ist auch, ob die Menschen das System so trainieren wollen. Ob sie es zulassen, dass man ihnen eine EEG-Haube aufsetzt, um zu sehen, ob ihnen etwas gefällt oder nicht.“ Nicht nur Gedanken, sondern auch Emotionen seien theoretisch abrufbar, würde man via Sensor am Smartphone den Hautwiderstand messen. Dieser könnte zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wie man auf eine bestimmte Werbung reagiert. „Auch Emotionen sind nichts anderes als neurobiologisch verursachte Reaktionen, die über den Blutdruck, die Pupillen und den Hautwiderstand gemessen werden können“, so Fink. Die Frage ist also: Was lassen wir zu? Wollen wir gläsern werden und die Grenzen zwischen Realität und Virtualität vollständig aufheben?

mografie oder – was bisher nur experimentell genutzt wird – indem man Elektroden in den Kopf einpflanzt, um an die Hunderttausenden Nervenzellen heranzukommen, die nötig sind, um messbare Aktionspotenziale zu erzeugen. Genau hier liegt jedoch laut Fink das technische Problem: Die Nervenzellen kommunizieren über Synapsen miteinander, im Millisekundentakt gibt es Veränderungen. Wie man die komplexen Signale von außen abgreifen kann, sei noch ungelöst. Möglich ist es bislang lediglich, Maschinen-Lern­ algorithmen einzusetzen, die in der Lage sind, bestimmte Muster zu erkennen. Das heißt aber auch, dass man diese Muster mühsam trainieren muss, indem man immer wieder jeden einzelnen Buchstaben gedanklich fokussiert. Durch ein solches Erlernen funktionieren auch Spracherkennungssysteme wie Siri oder Alexa. „Diese Verfahren sind da, aber die Vorgänge sind nicht trivial“, sagt Fink. „Es freut mich, dass Facebook Geld in die Forschung steckt und ich begrüße die Entwicklung von Assistenzsystemen. Das wird aber nicht dazu führen, dass das Unternehmen über das Handy in Ihrer Hand künftig Ihre Gedanken lesen kann.“ 68

„Secrets are lies. Sharing is caring. Privacy is theft.“, das sind die obersten Prinzipien der konzerngesteuerten Gesellschaft in Dave Eggers vielbeachtetem dystopischen Roman „The Circle“. Ziel des im Buch geschilderten beinahe allmächtigen Internetkonzerns ist es, dass jeder Einzelne so gläsern wie möglich wird, dass man dem anderen – egal ob Freund oder Kollege – umfassenden Einblick in sein tiefstes Inneres gewährt, um das Netzwerk zu stabilisieren und die Zirkulation von Informationen über die Privatsphäre des Individuums zu stellen. In seiner Kolumne „Lobes Digitalfabrik“ auf der Webseite Spektrum.de schreibt der Journalist Adrian Lobe, die Übertragung und Auslesung von Gedanken schaffe die Bedingungen freien und kritischen Denkens ab. Lobe verweist in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu Selbstgesprächen aus dem Jahr 2011. Damals wurde entschieden, dass die Gedanken sogar beim „lauten Denken“ frei sind und der Staat keinen Zugriff auf sie nehmen darf. „Mark Zuckerberg, der immer in großen humanistischen Dimensionen redet, sollte sich diesen Satz ins Stammbuch schreiben“, findet Lobe. Die Menschlichkeit ende, wenn der Mensch nicht mehr frei denken darf. „Wir setzen nicht den Milliarden Nutzern plötzlich irgendwelche Interfaces auf den Kopf“, bekräftigt hingegen www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

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Auf dem Weg zur Dystopie?


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Stefan Meister von Facebook Deutschland. Als Technolo- Gefühlswelt bekommt. Sollte diese Art der Kommunikagieunternehmen investiere Facebook in zukunftsträchtige tion tatsächlich irgendwann alltäglich werden, wird, so Forschung zur besseren Vernetzung. antizipiert der Soziologe, die Kontextualisierung unserer Obwohl jede neue Entwicklung auch ethische und mo- Botschaften noch wichtiger. Schon jetzt werden wir in unralische Fragestellungen birgt, begleitet zurzeit noch kein seren Selbstpräsentationen im Internet mit jedem neuen „Ethikbeauftragter“ die durch Facebook betriebene For- Profil, Bild oder Tweet transparenter. „Je umfangreicher und schung. Man würde sich im Entwicklungsprozess laufend komplexer diese Präsentationen werden, desto mehr neigen darüber Gedanken machen, sagt Meister. „Wie bei den wir dazu, uns auf Details zu konzentrieren“, sagt Humer. AR-Brillen kann eine gesellschaftliche Debatte erst richtig Indem wir Zitate aus dem Kontext nehmen und Bilder isostarten, wenn die Technologien ausgereift sind und wir über liert betrachten, lässt sich stets aus verschiedenen Quellen konkrete Einsatzmöglichkeiten ein Weltbild zusammenbauen, sprechen. So weit sind wir aber das in sich stimmig ist. noch lange nicht.“ Bricht der Filter „Sprache“ www.interflex-zutritt-zeit.de Stück für Stück weg, wird es Jede neue Technologie birgt ethische Risiken, die neuer Renoch wichtiger, mehr Toleranz geln bedürfen. „Ich verstehe, dass aufzubauen und ein unpassendie Vorstellung Angst macht, ein des Detail, einen verstörenden Unternehmen könnte die Macht Gedanken des anderen nicht haben, Gedanken zu lesen. Das aus dem Gesamtbild zu lösen: ist aber nicht unsere Zielsetzung. „Wir bekommen schon jetzt Unser Plan ist es, eine Technoloimmer mehr von den anderen gie zu entwickeln, die Menschen mit, damit muss man umgehen dabei hilft, noch besser zu komkönnen – auch im beruflichen munizieren, und diese der GeKontext“, sagt Humer. Es käme darauf an, öfter mal fünfe gerasellschaft zur Verfügung zu stellen“, sagt Meister und sinniert: de sein zu lassen, nachsichtig „Wenn wir über die Gehirne dizu sein. Wir sollten also mit der rekt miteinander in Verbindung Information über Menschen treten, brauchen wir dann noch verschiedene Sprachen künftig sehr viel behutsamer umgehen. Gleichzeitig trainieoder Sprache im Allgemeinen? Diese Gedanken treiben uns ren wir im jetzigen „Vorstadium“, strategischer zu kommuum.“ Das Aufkommen von Horrorvisionen implantierter nizieren und uns zu vermarkten. Wer sich gut präsentieren Mikrochips, die es unmöglich machen zu lügen, möchte kann und ein positives Außenbild vermittelt, hat seit der er unbedingt verhindern. Zudem, betont Meister, bestehe zunehmenden Digitalisierung immense Vorteile, derweil die Vision auch nicht darin, dass Menschen dauerhaft ihre es kommunikativ weniger geschulte Menschen zunehmend Gedanken preisgeben. schwerer haben – privat wie im Job. „Die Sprache ist das effizienteste Kommunikationsmittel, das wir zur Verfügung haben“, sagt Neurologe Fink. „Die Die totale Transparenz wäre fatal Computerindustrie arbeitet mit Hochdruck daran, von dem „Es darf natürlich keine Rund-um-die-Uhr-Übertragung binären System mit Nullen und Einsen wegzukommen. Sie unserer Gedanken geben. Eine solche totale Transparenz versucht Systeme zu entwickeln, die mit einer ähnlichen wäre eine Katastrophe“, sagt auch Soziologe Stephan G. Hu- Effizienz arbeiten wie unser Gehirn.“ mer. Dennoch sieht er durchaus praktische AnwendungsDie allzu menschliche Kommunikation ist – trotz all ihrer möglichkeiten. So könne man als Arzt oder Pilot über eine Defizite und mit ihren Filtern, ihrer Unvollständigkeit und Bewusstseinskopplung wertvolle Millisekunden gewinnen. der Möglichkeit zur Lüge – also nach wie vor das mächUnd man könne auch im beruflichen Kontext sensibler auf tigste Werkzeug, das wir im gesellschaftlichen Miteinander die Kollegen eingehen, wenn man einen Einblick in deren haben. •

#jedesekundezählt

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Recruiting in der Krise Ein Text von Birga Teske Jedes Unternehmen durchlebt mal eine Krise oder das Image hat anderweitig gelitten. Gerade dann wird gutes Personal dringend benötigt. Nur wer Bewerber mit den richtigen Argumenten überzeugt, kann langfristig gewinnen.

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unsch und Wirklichkeit liegen manchmal weit auseinander. Das spüren unter anderem Arbeitgeber in Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel oder Transport und Logistik. Sie gelten als besonders unbeliebt bei deutschen Bewerbern. Lange Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung – dieser Ruf eilt den Dienstleistern voraus. Andere Firmen schlittern ganz unvermittelt in eine schwere Krise. Fehlinvestitionen, neue Wettbewerber oder juristische Auseinandersetzungen – die Liste der möglichen Fallstricke ist lang. Wer unter solchen Voraussetzungen gutes Personal sucht, hat es nicht leicht. Die gute Nachricht ist: Sie sind nicht allein. Jedes Unternehmen erlebt einmal eine schwierige Phase. Viele müssen 70

von Anfang an kämpfen: „Wenn man genauer hinsieht, hat jedes Unternehmen komparative Nachteile“, sagt Professor Christoph Beck von der Hochschule Koblenz. Der Spezialist für Employer Branding und HR-Image kennt die Sorgen vieler Arbeitgeber. Ist der Firmensitz in einer ländlichen Region, sind Facharbeiter Mangelware. Umgekehrt leiden Arbeitgeber in Ballungsräumen unter einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe. Je nach Branche kämen unterschiedliche Herausforderungen dazu. Eine schnelle Lösung dafür gibt es meist nicht. Stattdessen geht es zunächst vor allem darum, Haltung zu bewahren. Wer den Kopf hängen lässt, hat schon verloren: „Man muss raus aus dem Jammertal“, rät Professor Beck. Unternehmen sollten ihre Nachteile akzeptieren und konstruktiv www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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an einer Lösung arbeiten. In vielen Fällen helfe es schon, den Bekanntheitsgrad des Unternehmens in der relevanten Bewerber-Zielgruppe zu erhöhen: „Ohne einen bestimmten Bekanntheitsgrad brauche ich überhaupt nicht darüber nachzudenken, ob ich auf der Image-Seite etwas tun kann“, sagt Beck. Gutes Image trotz Kritik Was aber machen Arbeitgeber, die in der Öffentlichkeit oder in Fachkreisen bekannt sind – dort allerdings selten mit positiven Schlagzeilen glänzen? Die Burger-Kette McDonald´s ist so ein Fall. 1.470 Schnellrestaurants betreibt der US-Konzern in Deutschland, 90 Prozent davon über Franchisenehmer. 2012 aßen dort täglich mehr als 2,7 Millionen Fastfood-Fans. Dennoch steht das Unternehmen regelmäßig in der Kritik. „Ungesundes Essen, miese Arbeitsbedingungen, mangelnde Hygiene“ lauten die häufigsten Vorwürfe. Der Tiefpunkt war 1985 erreicht, als der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff gravierende Missstände aufdeckte. Erst vor Kurzem gab es wieder Negativschlagzeilen – diesmal wegen der Beziehung zu den Franchisenehmern. „Wuchermieten, Knebelverträge, Marktmissbrauch“ titelte das Handelsblatt im April. Verglichen mit der negativen Berichterstattung schneidet McDonald´s auf öffentlichen Bewertungsplattformen für Arbeitgeber erstaunlich gut ab. Besonders Bewerber und Azubis geben der Schnellrestaurantkette gute Noten. Auf „Kununu“ etwa empfehlen 82 Prozent der Kommentatoren das Unternehmen als Arbeitgeber weiter. Diese Ergebnisse kommen nicht von ungefähr: Seit Langem bemüht sich McDonald´s um ein positives Arbeitgeberimage. „Wir tun alles, damit die Bewerber den Kontakt mit dem Unternehmen und den Bewerbungsprozess positiv wahrnehmen“, sagt Gabriele Fanta, Vorstand Personal von McDonald´s Deutschland. Um die Hürden für die Kandidaten möglichst niedrig zu halten, nutzt das Unternehmen für den Restaurantbereich eine „One-Minute-Bewerbung“. Ein neues Bewerbermanagementsystem erleichtert die Kommunikation und beschleunigt das gesamte Verfahren. Ist der Einstellungsvertrag unterschrieben, bietet der Konzern zahlreiche Aus- und Weiterbildungsmöglichkei-

„ Eine realistische, authentische Kommunikation nach innen und außen hilft einem Unternehmen auch in Krisenzeiten.“ Christoph Beck, Professor für Human Resource Management, Hochschule Koblenz j u n i  /  j ul i 20 1 7

ten. Fünf regionale Schulungszentren und eine Corporate University betreibt McDonald´s in Deutschland. Zusätzlich stehen den Beschäftigten Dutzende Unterrichtsangebote offen, darunter Sprachtrainings, Wellnesskurse oder Soft-Skills-Seminare. Je nach Standort, Betriebszugehörigkeit und Position kommen Benefits wie Sonderzahlungen, betriebliche Altersvorsorge oder die Möglichkeit zum Sabbatical hinzu. Sogar firmeneigene Ferienhäuser gibt es. Von innen nach außen So etwas spricht sich herum: „Die eigenen Mitarbeiter sind die besten Multiplikatoren“, sagt Professor Beck. Mit der Bereitstellung von Benefits allein, sei es jedoch nicht getan. Damit die Beschäftigten diese überhaupt wahrnehmen, sollten sie von den Personalverantwortlichen aktiv kommuniziert werden – und zwar regelmäßig. Positive Beispiele für Arbeitgeberleistungen ließen sich bei vielen Gelegenheiten transportieren: auf Sommerfesten, Führungskräftetagungen oder in der Firmenzeitschrift. Erst wenn die eigenen Mitarbeiter bereits überzeugt sind, sollten Unternehmen an ihrer Außendarstellung arbeiten, empfiehlt der Wissenschaftler. Gerade für große Dienstleister wie Telekommunikationsanbieter, Brief- und Paketzusteller oder Schienenbetreiber kann die Talentakquise schwierig sein. Der enge Kontakt mit nicht selten unzufriedenen Kunden schreckt potenzielle Arbeitnehmer ab. Entsprechend viel Aufwand stecken die Unternehmen in Employer Branding. Beispiel Deutsche Bahn: 2012 startete das Unternehmen die Kampagne „Kein Job wie jeder andere“. Dadurch wollte die Personalabteilung auf die Berufsvielfalt im Bahn-Konzern aufmerksam machen. Im April dieses Jahres gab es eine Neuauflage. Statt als perfekter Arbeitgeber tritt die Bahn in den Werbespots als Unternehmen mit Verbesserungspotenzial auf. In einer Szene meldet eine Anzeigetafel Zugausfälle, in einer anderen ärgert sich ein Techniker über den WLAN-Ausfall in einer Bahn. Dahinter steht die Hoffnung auf Bewerber mit einem dicken Fell, die dem Unternehmen auch in schlechten Zeiten die Treue halten. Mit der Kampagne trifft die Deutsche Bahn nicht nur den Nerv jüngerer Zuschauer. Sie könnte das Arbeitgeberimage langfristig verbessern: „Eine realistische, authentische Kommunikation nach innen und außen hilft einem Unternehmen auch in Krisenzeiten“, sagt Image-Experte Professor Beck. „In manchen Branchen brauchen Mitarbeiter eine gewisse Standhaftigkeit“, weiß Thomas Deininger, Geschäftsführer der Personalberatung Deininger Consulting. Passende Kandidaten könnten nur durch Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit gewonnen werden. Wie will sich das Unter71


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nehmen künftig aufstellen? Welche Rolle soll der Bewerber dabei spielen? Solche Fragen müssen frühzeitig geklärt werden. Auch die Motivation des Bewerbers sollte gründlich abgeklopft werden. Überwiegt die Begeisterung für die Aufgabe oder kann er nur durch ein überdurchschnittliches Gehalt gelockt werden? „Wenn es einem Kandidaten nur um das Geld geht, ist seine Moral für die Aufgabe nicht auf dem richtigen Level“, so Deininger. Gerade Firmen mit einem angeschlagenen Ruf müssen ihre Stärken herausstellen. Weil der Bewerberpool tendenziell kleiner ist als bei anderen Arbeitgebern, sei beim Recruiting eine besonders gute Vorbereitung nötig. „Den Kandidaten sollten solide Informationen vermittelt werden über das Unternehmen, seine Historie, die Führungsgrundsätze und die Karrieremöglichkeiten“, sagt Deininger.

nehmen verläuft erfolgreich. Er betrifft die Organisation, die Prozesse, die Kultur. Genau das vermitteln wir den Bewerbern.“ Rainer Goeckel hat ebenfalls Erfahrungen mit kritischen Nachfragen von Bewerbern gesammelt. Von 2011 bis 2016 arbeitete der CSR-Manager des Spezialmaschinenbauers Aixtron in der HR-Abteilung des Unternehmens. Jahrelang schrieben die Aachener Verluste, dann brach 2015 ein Großauftrag weg. Anschließend wollte ein chinesischer Investor Aixtron kaufen, was aber am Veto der US-Behörden scheiterte. Das Medienecho war groß, die Zukunft ungewiss. „Auch wenn in einem Bereich Stellen gestrichen werden, in anderen Bereichen sind wir Marktführer und suchen Spezialisten“, sagt Goeckel über die Herausforderung. Krisenfälle nehmen zu

Mit besonderen Herausforderungen im Recruiting sehen sich Unternehmen konfrontiert, die plötzlich in eine Krise rutschen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein – die Handlungsanweisung ist für alle dieselbe: „Wenn es eine kurzfristige Krise ist, helfen nur Aufklärung, eine ehrliche und transparente Kommunikation sowie konkrete Maßnahmen“, sagt Professor Beck. Zieht sich eine Krise dagegen länger hin, kommen Unternehmen neben einer transparenten Informations- und Kommunikationspolitik nicht daran vorbei, auch Grundsätzliches zu ändern. Und das muss dann sowohl der bestehenden Belegschaft als auch Bewerbern glaubhaft vermittelt werden. So wie bei Volkswagen. Die Reputation des Autobauers hat enorm gelitten, seit im September 2015 eine großangelegte Manipulation von Abgaswerten bekannt wurde. Der Vorgang hat weltweit Empörung ausgelöst und den bis dahin guten Ruf des Autobauers schwer beschädigt. Wochenlang berichteten die Medien über den Fall. Heute finden sich bei Google unter dem Schlagwort „Diesel-Skandal“ 315.000 Treffer. Seither müssen sich die Wolfsburger nicht nur Presseanfragen, sondern auch den Fragen von Job-Bewerbern stellen. Obwohl VW allein in Deutschland insgesamt 23.000 Stellen abbauen will, sollen gleichzeitig 9.000 Arbeitsplätze für Zukunftsthemen geschaffen werden. Einige werden mit externen Kandidaten besetzt. Der Umbau ist eine Mammutaufgabe für die HR-Abteilung, auch wenn Volkswagen in Arbeitgeberrankings nach wie vor gut dasteht. Wie macht man das? „Ehrlichkeit und Transparenz gehören dazu“, sagt Markus Schlesag, Sprecher für Personalthemen bei der Volkswagen AG. „Der Veränderungsprozess im Unter72

In solchen Situationen greifen manche Firmen auf Interimsmanager zurück, die eine Umstrukturierung planen, eine Trendwende erreichen und nach einigen Monaten oder Jahren wieder gehen. Allerdings sind es meist nur die Top-Jobs, die auf diese Weise besetzt werden können. Das Gros der Neueinstellungen lässt sich mit solchen Übergangslösungen nicht bewältigen. Also ist das Engagement der HR-Abteilung gefordert: „Ich habe festgestellt, dass sich Bewerber gezielt vor allem nach ihrem eigenen Bereich erkundigen“, sagt Goeckel. Entsprechend detailliert sollten die Antworten ausfallen: „Das, was man normalerweise den Aktionären als Perspektive mitgibt, muss man den Bewerbern auch mitgeben“, sagt Goeckel. Dazu gehören Informationen zur Marktentwicklung, zu geplanten Investitionen und zum künftigen Umsatz. Und statt mit exorbitant hohen Gehältern, die in Zeiten von Kosteneinsparprogrammen ohnehin schwer zu finanzieren sind, setzt Aixtron auf weiche Faktoren: „Man kann mit dem Spirit des Unternehmens, mit großartiger Technologie, mit Freiräumen und der einzigartigen Firmenkultur überzeugen“, weiß Goeckel. Vielen Unternehmen geht es wie Aixtron oder VW. Personalberater Thomas Deininger schätzt, dass 20 Prozent der von ihm zu besetzenden Stellen einen „Krisenfall“ darstellen. Der Anteil solcher Fälle dürfte laut Professor Beck von der Hochschule Koblenz künftig anwachsen: „Wir kommen zunehmend in eine Situation, in der Unternehmen Geschäftszweige schließen und gleichzeitig an anderer Stelle neue aufbauen.“ Einen Schaden für das Arbeitgeberimage könne die HR-Abteilung nur verhindern, wenn sie eine wesentlich aktivere Rolle in der Kommunikation einnehme – nach innen und außen. • www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: wikimeida

Recruiting im Krisenmodus


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Ticken wir richtig? Ein Text von Eva Brandt

Jeder Mensch verfügt über sein eigenes, individuelles Zeitmanagement. Im Takt der Persönlichkeit prägt jeder von uns die Zusammenarbeit eines Teams.Welche Zeit-Persönlichkeiten sind nötig, damit eine Gruppe erfolgreich zusammenarbeiten kann? j u ni  /  j ul i 20 1 7

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IM FOKUS

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Persönlichkeit mit Köpfchen Menschen, die sich stärker nach den Funktionen aus dem Zwischenhirn orientieren, nennen wir sie Macher, lieben es, wenn alles möglichst schnell verläuft und sich die meisten Aktivitäten noch dazu parallel abspielen. Indes orientieren sich andere an den Funktionen des Großhirns, hier Analytiker genannt. Sie sehen sich erst alle Details genau an, bevor sie eine Entscheidung treffen. Sie wollen sicher sein, zuvor auch alle Informationen erhalten zu haben. Die dritte Zeitpersönlichkeit lässt sich als die Geselligen beschreiben: Es handelt sich dabei um Menschen, die den Funktionen des Stammhirns nachgehen. Sie streben nach Harmonie und schätzen es, wenn sich ihre Aufgaben und Prozesse wiederholen und das möglichst ohne Veränderungen. Jeder verfügt über alle drei funktionalen Gehirnteile und könnte versuchen, sämtliche daraus resultierenden Potenziale zu nutzen. Auf lange Sicht wäre das allerdings nicht 74

erfüllend. Wir würden uns verbiegen. Sind wir authentisch, nutzen wir vor allem unsere dominante Eigenschaft, das sogenannte Potenzial unserer Dominanz. Diese Authentizität verleiht uns gleichfalls Zufriedenheit. Die ticken ganz anders Innerhalb der Zusammenarbeit zeigen sich entsprechend auch deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie Aufgaben, Herausforderungen oder Veränderungsprozesse angegangen werden. Was ein Macher als wunderbare Möglichkeit ansieht, um sich von anderen abzuheben, führt bei einem Geselligen zu Befürchtungen und Vermeidungsstrategien. Ein Analytiker möchte neue Vorgehensweisen erst überprüfen, bevor er sie akzeptiert. Diesen unterschiedlichen Herangehensweisen liegt der jeweilige angeborene Zeittakt zugrunde. Es wäre sinnvoll, weil effektiv, wenn Teammitglieder ihre eigene Zeitpersönlichkeit identifizieren, dieses im Team besprechen und die Zusammenarbeit darauf abstimmen. Damit bekommt das schlichte Wort „Team“ eine tragende Bedeutung, denn: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (Aristoteles). Sie beugen Unzufriedenheit im Team vor, ... ... wenn ein Geselliger nicht an der Brennpunktstelle arbeitet, an der Ad-hoc Entscheidungen getroffen und unter Zeitdruck schnelle Änderungen initiiert werden müssen. Der Gesellige würde versuchen, die Entscheidungen hinauszuzögern und Änderungen grundsätzlich zu vermeiden. Er wäre unglücklich und leicht reizbar, was normalerweise www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: wikimeida

m Zuge der Digitalisierung wird es immer notwendiger, Projektteams zusammenzustellen, die zielgerichtet und effizient zusammenarbeiten können. Auch dann, wenn sie einander kaum kennen. Die Frage ist, welche Persönlichkeiten braucht man innerhalb eines Teams, damit es erfolgreich sein kann? Mit Hilfe eines Persönlichkeitsmodells können wir im Hinblick auf das individuelle Zeitmanagement frühzeitig erkennen, in welchem Takt ein Mitarbeiter arbeitet und wie das Team wirkungsvoll zusammengesetzt sein sollte. Als der Hirnforscher Paul MacLean in den 1980er-Jahren die Evolution des Gehirns in ein Schema aus Stamm-, Zwischen- und Großhirn fasste, horchte die Fachwelt auf. Er nannte es das „dreieinige Gehirn“ und wurde nicht müde zu betonen: „Bereits vor der Geburt eines Menschen bilden sich Temperamente im „dreieinigen Gehirn“, mit diesem Moment entsteht die Hardware fürs Leben.“ Eine bahnbrechende Erkenntnis, die bis heute nachwirkt. Der Anthropologe Rolf Schirm griff diese Erkenntnis auf und entwickelte daraus ein Persönlichkeitsmodell, das uns erlaubt, unsere persönlichen Potenziale nach den Erkenntnissen von Paul MacLean zu ermitteln. Er nannte dieses Model Structogram. Mit Hilfe des Structograms lassen sich nicht nur das eigene Verhalten und die persönlichen Bedürfnisse aus den Funktionen der verschiedenen Gehirnteile ableiten. Es liefert auch Hinweise auf die Zeitpersönlichkeit eines Menschen. Auf dieser Grundlage habe ich die Nuancen individueller Zeitgefühle weiterentwickelt und dabei drei Zeitpersönlichkeiten herausstellen können.


IM FOKUS

Ein Macher arbeitet am liebsten unter hoher Geschwindigkeit und geht dabei gern neue Wege. „Höher, schneller, weiter“ ist sein Credo. Seine Ideen sind für das Team inspirierend und führen dazu, dass Stillstand unmöglich ist. Entscheidungen trifft er sofort, lieber gestern als heute. Er sucht die Herausforderungen und lässt sich zu spielerischen Wettkämpfen motivieren. Ein Analytiker wird als Experte im Team geschätzt. Sein Credo sind Zahlen, Daten, Fakten. Als Spezialist fühlt er sich verstanden und bringt die Geduld für das Detail mit ins Team. Die Prüfung der Tabellen und Prozesse bereitet ihm Freude. Auf seine Analyse ist Verlass! Der Schlüssel zum Erfolg

gar nicht seine Spielart ist. Auch würde sich dieser Zeittyp viel lieber um die Bestandskundenbetreuung kümmern, Routinetätigkeiten im gleichbleibenden Rhythmus in sehr guter Qualität abliefern und sich um die Belange des Teams kümmern. ... wenn ein Macher keiner Routine folgen muss. Sich wiederholende Tätigkeiten ausüben zu müssen, würde den Macher dazu bringen, dass er unbewusst Fehler in den Ablauf einbaut. Er freut sich auf eine neue Herausforderung und die Abwechslung, um – auch unter Druck – schnelle Lösungen zu finden, Kunden für die Firmenprodukte zu begeistern oder durch Brainstorming neue Visionen zu entwickeln. ... wenn ein Analytiker keine Kaltakquise und bei Großveranstaltungen keine Neukundengewinnung durch Networking machen soll. Dies würde ihn direkt in eine Frustration hineinmanövrieren, die viel zu spät erkannt wird, weil er ungern über sich selbst spricht. Er würde viel lieber neue, effiziente, kostensparende und gewinnbringende Strategien und Arbeitsprozesse entwickeln.

Foto: Miriam Pfitzmayer-Sayk

Dreamteam Ein Geselliger arbeitet stetig und mit Besonnenheit. Sein Credo: In der Ruhe liegt die Kraft. Er wird im Team wegen seiner Zuverlässigkeit geschätzt. Treu und beständig liefert er Qualität. Seine Verbundenheit zum Team stärkt das Miteinander, weil er mit Feinsinn auf persönliche Belange einzugehen weiß. Seine Entscheidungen trifft er auf der Basis seiner Expertise. j u n i  /  j ul i 20 1 7

Man stelle sich vor, alle drei Zeitpersönlichkeiten im eigenen Team zu haben. Wie einfach wäre auf einmal die erfolgversprechende Zuteilung der Aufgabenbereiche. Durch Berücksichtigung des jeweiligen Zeittaktes und den damit verbundenen Potenzialen der Mitarbeiter in einem Projekt kann nicht nur die Motivation im Team gesteigert werden, sondern auch der Erfolg des gesamten Teams. Einen Mitarbeiter unter Nichtbeachtung seiner Zeitpersönlichkeit so zu verbiegen, dass er auf die Stellenbeschreibung passt, führt nicht nur zur Unzufriedenheit. Im schlimmsten Fall drohen Burn-out und Verlust der Authentizität. Ziele sind auf diese Weise nur schleppend und – wenn überhaupt – nur mit großer Mühe zu erreichen. Authentizität ist der Schlüssel zum persönlichen Erfolg und dem des Teams. Wenn wir authentisch mit unseren Potenzialen, in unserem Zeittakt und unseren Motivationsfaktoren unseren Job erfüllen dürfen, sind wir erfolgreich. Kaum jemand hat das Glück, alle drei Zeitpersönlichkeiten in einem Team vorzufinden. Auch sind Aufgaben nicht so einfach dem Persönlichkeitstakt zuzuordnen. Allerdings kann bereits eine Annäherung an die Aufgabenverteilung, die sich entlang der drei Zeitpersönlichkeiten ausgerichtet, Erfolg und Zufriedenheit schaffen. Schließlich liegt im Bewusstsein für die unterschiedlichen Potenziale und der Wertschätzung für die divergenten Kompetenzen der Schlüssel effektiv arbeitender Teams. •

Die promovierte Erziehungswissenschaftlerin Eva Brandt ist Autorin, Beraterin und Coach. Ihre jüngste Publikation trägt den Titel „Zeitmanagement im Takt der Persönlichkeit“.

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ANALYSE

Karriere in Teilzeit Ein Text von Anja Karlshaus und Boris Kaehler

Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit dem Thema Führen in Teilzeit. Allerdings steckt die Entwicklung des Modells noch in den Kinderschuhen. Welche Wirkmechanismen und Zusammenhänge gilt es dabei zu beachten?

T

eilzeitführung ist weder ein neues noch ein unbekanntes Phänomen. Und doch gibt es wenige Themen, die innerhalb der HR-Community derart polarisieren. Befürworter gewinnen in den letzten Jahren im Zuge sich verändernder politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen deutlich an Zulauf. Hintergrund ist unter anderem die rechtliche Ab76

sicherung von Teilzeitbeschäftigung, die explizit auch für Leitende gilt. Daneben erhöhen politische Initiativen, interne Frauenquoten und die öffentliche Darstellung erfolgreicher Teilzeitführungskräfte den Druck, das Thema aufzugreifen. Zunehmend wird aber auch wirtschaftlich-ökonomisch für Teilzeitführungskonzepte argumentiert. Viele Personalverantwortliche gehen davon

aus, dass exzellente Arbeitsergebnisse und hohe Motivation nur durch die Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse im Sinne einer lebensphasenorientierten Arbeitszeitplanung zu erreichen sind. Im Vordergrund der Teilzeitführungsdebatten stehen dabei meist die demografische Entwicklung und die Furcht vor einem Fachkräftemangel. Unternehmen und Behörden beobachten zudem einen kulturellen Wertewandel und eine Bedeutungszunahme von Vereinbarkeitsthemen. Ein mächtiger Katalysator ist hierbei der Wunsch nach Bindung von hoch qualifizierten Frauen mit Teilzeitwunsch insbesondere nach Mutterschutz oder Elternzeit. Unternehmen, die hier nichts zu bieten haben, laufen in Gefahr, dass andere Arbeitgeber diese Zielgruppe gezielt ansprechen und mit Teilzeitangeboten punkten.

Teilzeitmodelle für Führungskräfte Was bedeutet Teilzeitführung überhaupt? Oft wird Teilzeit von der Vollzeit abgegrenzt und bedeutet ein Arbeitszeitvolumen von unter 35 Wochenstunden – eine Untergrenze beziehungsweise Mindeststundenzahl gibt es dabei nicht. Allerdings wird in der heutigen globalisierten und technologisierten Welt die willkürliche Festlegung von 40 Stunden als „Vollzeitnorm“ sowieso zunehmend infrage gestellt. Ohnehin ist das, was unter dem Begriff Teilzeitführung subsumiert wird, www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


ANALYSE

äußerst vielfältig. Im gehobenen Management wird vor allem das vollzeitnahe Teilzeitführungsmodell (Vollzeit light) praktiziert. Dabei wird die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit auf etwa 30–36 Wochenstunden reduziert. Seit den 1980er-Jahren findet sich ebenso das sogenannte „Job-Sharing“ oder „Job-Splitting“, im Führungskräftebereich auch „Top-Sharing“ genannt. Bei diesem Modell teilen sich mindestens zwei Führungskräfte die Führungsverantwortung. Das muss keineswegs in 50/50-Aufteilung einer Vollzeitstelle geschehen. Vielmehr kann das gemeinsame Arbeitszeitvolumen ebenso gut darunter oder darüber liegen und asymmetrisch aufgeteilt werden. Schließlich finden sich sogenannte (Stell-)Vertretermodelle, bei denen Teilzeitführungskräfte, meist solche in vollzeitnaher Führung, durch ihren Vize entlastet werden. Für all diese Modelle gilt, dass die vereinbarte Wochenarbeitszeit entweder gleichmäßig über alle Wochentage verteilt oder aber geblockt werden kann bis hin zu längeren Auszeiten am Stück. Insgesamt lassen sich bei Teilzeitführungskräften im Vergleich zu anderen Teilzeitkräften aber bestimmte Besonderheiten ausmachen: So ist Teilzeitführung im Führungskräftebereich in der Regel frei gewählt, oft zeitlich befristet und gilt meist als Hauptbeschäftigung der Führungskraft. Der Großteil der Teilzeitführungskräfte arbeitet vollzeitnah. Darüber hinaus ist insbesondere bei den Führungskräften eine ausgeprägte Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort zu erkennen. Oftmals wird zusätzlich j u n i  /  j ul i 20 1 7

Telearbeit beziehungsweise Home-Office als auch das Arbeiten zu betriebsuntypischen Zeiten praktiziert. Nicht anders als bei Vollzeitführungskräften, kommt es oft genug zu Abweichungen zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit. Viele Teilzeitführungskräfte leisten sogar noch umfangreichere Mehrarbeit. Gemäß einer aktuellen Statistik sind 47 Prozent der berufstätigen Frauen, aber nur circa neun Prozent der Männer in Teilzeit tätig. Teilzeit ist im Großen und Ganzen also eher ein Frauenthema. Im Führungsbereich ist das nicht anders: Der mit 83 Prozent weitaus überwiegende Anteil der Teilzeitführungskräfte ist weiblich. Freilich ist der Anteil der Teilzeitler unter den Führungskräften noch immer verschwindend gering. Das ist auch – aber nicht nur – durch den geringeren Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erklären. Ein Blick auf die gewünschte Arbeitszeit lässt ebenfalls den Schluss zu, dass Teilzeitführungskonzepte immernoch eher Frauen als Männer ansprechen. So zeigen die Daten des DIW-Führungskräfte-Monitors 2015, dass Frauen in Führungspositionen im Schnitt eine wöchentliche Arbeitszeit von 34 Stunden als Ideal einschätzen, ihre männlichen Kollegen hingegen 38 Stunden. Zwar ist ein Wertewandel zu erwarten, denn Männer der jüngeren Generationen räumen ihrer Familie und anderen privaten Belangen mehr

Platz ein. Da Frauenkarrieren jedoch im Allgemeinen stärker als jene von Männern durch erziehungsbedingte Reduktions- und Auszeiten beeinträchtigt werden, ist die Förderung von Teilzeitführung ein relevantes Element fast aller einschlägigen Frauenförderkonzepte.

Karrierestillstand? Nur sehr wenige Führungskräfte in Deutschland arbeiten in Teilzeit. Noch weniger machen während ihres Teilzeitengagements Karriere und werden aus der Teilzeit heraus in höhere Positionen befördert. In der Praxis bedeutet Teilzeitführung also häufig einen Karrierestillstand. Er geht teilweise mit Einkommenseinbußen einher und mitunter auch mit weniger spannenden oder komplexen Aufgaben. Zudem absolvieren Teilzeitkräfte in der Regel weniger Qualifizierungsmaßnahmen, was die Gefahr einer schleichenden Abqualifizierung mit sich bringt. Teilzeitführungsmodelle werden auch nur selten explizit ausgeschrieben. Der Regelfall besteht häufig immer noch im Wechsel aus einer Voll-

„ Der Großteil der Teilzeitführungskräfte arbeitet vollzeitnah.“ 77


ANALYSE

Anpassungsbedarf für Unternehmen Für Arbeitgeber ist es durchaus vorteilhaft, Teilzeitarbeit auch für Führungskräfte anzubieten. Damit solche Arbeitszeitmodelle auch flächendeckend angenommen und erfolgreich 78

„ Teilzeitführungsmodelle finden sich vor allem auf den unteren Führungsebenen (...).“

umgesetzt werden, sind einige Punkte zu beachten. Erfolgreiche Teilzeitführungsmodelle müssen an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden, so an die individuelle Persönlichkeit der Führungskraft, ihre Aufgaben, die Kompetenzen der Teammitglieder und die Unternehmensphilosophie. Also muss, soll das Ganze nicht zur Farce geraten, mit der Arbeitszeit auch das Arbeitsvolumen angepasst werden. Dafür bieten sich im Wesentlichen drei Stellschrauben: Reduziert werden können die reinen Sachaufgaben (wie Zusatzprojekte), die Leitungsspanne (die Zahl der direkt unterstellten Mitarbeiter) und/oder die Führungsintensität (durch größere Autonomie und Selbststeuerung der Mitarbeiter, zum Beispiel im Rahmen komplementärer Führung). Auf keinen Fall reduziert werden dürfen hingegen die Zeitaufwände für Weiterbildungs- und Entwicklungsmaßnahmen sowie für Networking. Ganz entscheidend ist es, dass bei der Einführung von Teilzeitkonzepten auch deren Kompatibilität geprüft und bestehende Personalinstrumente angepasst werden. Zudem darf Teilzeitführung keine Sackgasse sein, es muss also die Möglichkeit geben, auch wieder in die Vollzeit zu wechseln. Um mikropolitische Benachteiligungen auszuschließen, brauchen Unternehmen klare Regelungen im Umgang mit Teilzeitführung, zum Beispiel hinsichtlich der Lage von Sitzungen und Abstimmungsgesprächen.

Ebenso wichtig ist eine von Akzeptanz geprägte Unternehmens- und Führungskultur, die in der Regel nur durch entsprechende Kommunikationskampagnen und erfolgreiche Rollenvorbilder zu erreichen ist. Idealerweise sollte Teilzeitführung auf allen Führungsebenen und selbstverständlich auch von Männern praktiziert werden. Wie im Bereich der Frauenförderung, empfiehlt sich der Rückgriff auf das Konzept der „kritischen Masse“ und zahlreicher erfolgreicher Rollenvorbilder: Wo Teilzeitführung normal ist, lösen sich viele der vermeintlichen Schwierigkeiten in Luft auf. •

Anja Karlshaus ist Professorin für Personalmanagement an der Cologne Business School und leitet den Fachbereich Personal und Unternehmensführung.

Boris Kaehler ist Professor für Personalmanagement an der Hochschule Merseburg, Führungsautor und Gründer der Strategieberatung goodHR.

www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Privat, maasgestaltet

zeit Führungsposition in eine Teilzeitvariante nach Einschnitten wie dem Mutterschutz oder der Elternzeit. Aber auch Führungskräfte mit zu pflegenden Angehörigen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zeitintensiven Hobbys, Ehrenämtern, Weiterbildungsambitionen interessieren sich zunehmend für Teilzeitführung. Aus welchen Gründen auch immer eine Führungskraft ihre Arbeitszeit reduziert – karriereförderlich ist es kaum. Zumeist gilt dabei die leicht reduzierte Vollzeit als karriereförderlichste Variante. Denn das Arbeitspensum spielt bei Beförderungsentscheidungen noch immer eine große Rolle. Vielerorts wird ein Mehr an zeitlichem Input noch immer als ein Mehr an Engagement wahrgenommen. Dies gilt für Vollzeitführungskräfte, die mit vielen Überstunden eher Karriere machen – trifft Teilzeitführungskräfte aber natürlich umso härter. Teilzeitführungsmodelle finden sich vor allem auf den unteren Führungsebenen und werden häufig proaktiv von der Teilzeitführungskraft selber initiiert. Entsprechende organisationsstrukturelle Voraussetzungen gibt es selten. In jedem Fall hilft ein hoher Anteil an Teilzeit- beziehungsweise Teilzeitführungskräften im Unternehmen: Je weniger exotisch das Modell der Teilzeitführungskraft ist, desto geringer sind Stigmatisierungseffekte und Benachteiligungen im Vergleich zu Vollzeitkräften.


ANALYSE

Der einsame Held hat ausgedient Eine ausgeklügelte Technik kann menschliche Fehler nicht verhindern. Katastrophale Entscheidungen, gerade in der Luftfahrt, sind oft das Ergebnis schlecht zusammenarbeitender Teams. Erst ein besonderes Führungsmodell ermöglicht den Wandel.

Foto: Dr. Angela Fengler

Ein Text von Thomas Fengler

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eder kennt ein Team, jeder arbeitet und lebt mit einem Team. Doch: Was macht ein Team eigentlich aus? Was ist überhaupt ein Team? Es gibt kaum ein anderes Thema in Unternehmen, das so unscharf beschrieben und gelebt wird. In der Verkehrsluftfahrt hat diese Unschärfe bis Anfang der 1980er-Jahre den Irrtum konserviert, die Crew in Cockpit und Kabine sei automatisch ein Team. Genau dieser Irrtum hat die Unfallzahlen steigen und die Unfallraten stagnieren lassen – trotz immer perfekterer Flugzeugtechnik und stetig verbesserter Ausbildung der Besatzungsmitglieder.

Der fatale Unfall auf Teneriffa im Jahr 1977, bei dem zwei Jumbojets im Nebel beim Start zusammenstießen und bei dem fast 600 Menschen ums Leben kamen, war gleichzeitig ein Auslöser für die Entwicklung des Crew-Resource-Managements (CRM). Es gilt heute als das fehlerärmste und effektivste Führungsmodell der Welt.

Fehlerquelle: Einzelkämpfer Hauptursache, nämlich über 80 Prozent, für diese fatalen Fehler war menschliches Versagen im Team. 79


ANALYSE

Warum? Es gab überhaupt kein echtes Team innerhalb der Crews. Es war eine Ansammlung von nebeneinander arbeitenden Menschen, geführt von einem einsamen Helden, dem Kapitän. Die Erkenntnis von der einzelnen Führungsfigur und den nebeneinander und nicht miteinander agierenden Mitarbeitern führte zum grundlegenden Wandel der Führungs- und Arbeitskultur in Cockpit und Kabine. Airlines, NASA und nationale Luftfahrtbehörden forschten gemeinsam mit Psychologen, Soziologen und Medizinern renommierter Universitäten wie Harvard und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), um eine Lösung zu finden. Erst als es gelang, aus dem einsamen Helden im Cockpit einen Teamleiter eines echten und erfolgreichen Teams zu machen, gingen von 1985 bis heute die Unfallzahlen in der Luftfahrt um 90 Prozent zurück. Der Wissenschaftler und Autor des Standardwerkes „Leading Teams“, Havard Professor J. Richard Hackman, machte sich daran herauszufinden, welche Voraussetzungen erfolgreiche Teams benötigen. Dazu gehört auch die Frage nach der optimalen Größe eines Teams, die Hackman mit maximal sechs beziffert. Es stellte sich heraus, dass alle Teams mit über zehn Mitgliedern derart ineffizient werden, dass sie die Bezeichnung „Team“ eigentlich gar nicht mehr verdienen. Die vier Bedingungen für ein echtes Team beschreibt Hackman wie folgt: 1. Die Team Aufgabe... ist eine Aufgabe, die nicht von Einzelnen erledigt werden könnte

3. Die Team-Autorität Es ist klar festgelegt, was das Team alleine, ohne die Führungsfigur, entscheiden kann. 4. Die Team-Stabilität Die Team-Mitglieder wechseln selten. Ohne diese Voraussetzungen braucht man über den Erfolg im Team gar nicht erst nachzudenken. Ist einer der Punkte nicht erfüllt, so existiert kein echtes Team. Doch: Welche Faktoren machen ein Team erfolgreich? Die Forschungsergebnisse des Harvard-Wissenschaftlers Hackman sind auch dazu eindeutig: 1. Es muss sich um ein echtes Team handeln (siehe oben) 2. Es muss ein erstrebenswertes Ziel geben Dazu gehört eine klare Vorstellung aller Teammitglieder von der zu leistenden Arbeit und dem dazugehörigen Ziel.

wissen, welchen Wert seine Arbeit im Unternehmen hat. Ein eventuelles Bonussystem im Unternehmen muss teambezogen sein und nicht Individualisten fördern. Das System muss zudem klar die konkrete Teamarbeit belohnen. 5. Es bedarf eines Team-Trainings Regelmäßiges Coaching der Teamarbeit. Und auch gilt: Alle Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Team erfolgreich ist. Hackman widmete einen großen Teil seiner Forschung dem Managementsystem CRM und trug so wesentlich zur Erfolgsgeschichte dieses Führungsmodells bei. Nicht nur alle namhaften Airlines weltweit setzen das CRM ein. Auch die Medizin und andere Branchen haben seinen Wert für eine fehlerarme Teamleistung erkannt. In Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und zunehmenden Prozessgeschwindigkeiten gewinnt CRM für viele Unternehmen immer mehr an Bedeutung. •

3. Es muss eine Geeignete Struktur geben Neben einer geeigneten Arbeitsund Kompetenzstruktur braucht ein Team eine klare Rollenverteilung. 4. es muss eine Fördernde Organisation geben Dem Team müssen ausreichend Ausstattung, Zeit und Raum zur Verfügung stehen. Das Team muss

Thomas Fengler ist Unternehmer, Manager und Berater. Er war Pilot und Kapitän und wendet die Führungssysteme der Cockpitwelt auf die Welt der Unternehmensführung an. Fengler trainiert, coacht und berät im Cockpit, in einem AirlineSimulator, Manager und Teams aus ganz Europa.

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Foto: Privat

2. Die Team-Zugehörigkeit... ist klar geregelt durch den Teamleiter. Jedem Teammitglied muss klar sein, wer zum Team gehört.

www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


ANALYSE

Engagiert durch Fragen und Zuhören 65 %

60 %

60 %

58 %

57 %

55 %

Mitarbeitergewinnung

Performancemanagement

Talentmanagement

Weiterentwicklung von Fähigkeiten

Kollaboration und Wissensaustausch

Mitarbeiterengagement

68 %

Produktivität der Mitarbeiter

80 %

Talentbindung

87 %

Talententwicklung

Ein Text von Markus Dahm und Benjamin Rolff

Abb. 1 Gegenwärtige Herausforderungen der Chief HR Officer

Die Aufmerksamkeit vieler Organisationen richtet sich nicht mehr ausschließlich auf ihre Kunden. Die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiter stehen mittlerweile an erster Stelle. Um deren Engagement zu steigern, liegt der entscheidende Aspekt im aktiven Zuhören.

Quelle: IBM CHRO Studie 2014

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ngagierte Mitarbeiter entwickeln Leidenschaft und Enthusiasmus für ihre Tätigkeit. Sie sind gewillt, ihre Energie für das Unternehmen einzusetzen und ihren Intellekt im Einklang mit den Zielen und Werten des Unternehmens einzubringen. Ihre Arbeit erfüllt sie mit Stolz und deswegen gehen sie auch die extra Meile, die überhaupt erst zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt. j u n i  /  j ul i 20 1 7

Einer Studie zufolge gehört das Thema Employee Engagement zu den Top-Prioritäten (Abb. 1). Unternehmen, denen es gelingt, das Mitarbeiterengagement zu steigern, sind finanziell erfolgreicher, auch weil die Fehlzeiten der Mitarbeiter mit einer hohen Bindung an den Arbeitgeber niedriger ausfallen. Engagierte Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen länger treu und empfehlen die Dienste und Produkte der eigenen Organisationen weiter.

Die neue Macht der Mitarbeiter Der Kampf um die besten Mitarbeiter ist in vollem Gange. Das macht sich auch auf der Seite der Mitarbeiter bemerkbar: Sie schätzen ihre Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zunehmend besser ein. Immerhin 26 Prozent bewerten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als 81


ANALYSE

Vertrauen in die Zukunft der Organisation Vertrauen in Senior Leader Erfolgversprechende Zukunft für mich Anerkennung Mitarbeiter geben ihr Bestes Begeisterung für die Arbeit Eigene Fähigkeiten verbessern

Weniger Abwesenheiten Führungskräfte, die Vertrauen in die Zukunft erwecken

Mitarbeiterbindung Produktivität

Manager, die ihre Mitarbeiter wertschätzen und ihre Teams zu Höchstleistung motivieren Spannende Arbeit und die Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern

Individuelle Performance & Team-Performance Employee Engagement

Servicequalität Kundenzufriedenheit Kundentreue Gesteigerter Marktanteil

Work-Life-Balance Sicherheit hat Priorität Unternehmensverantwortung

Organisationen nehmen ihre Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und der Öffentlichkeit wahr

Nachhaltiges Marktwachstum Profit

Abb. 2 Voraussetzungen für Employee Engagement und Resultate

Engagement gezielt fördern – aber wie? Zuversicht und Inspiration für eine gemeinsame Zukunft Ein wesentlicher Aspekt ist das Schaffen einer Zukunftsvision der Mitarbeiter. Sie wollen nicht nur heute einen guten Job machen, sondern auch ein gutes Gefühl hinsichtlich der Zukunft ihres 82

Unternehmens haben. Es ist eine der wesentlichen Aufgaben der Führungskräfte, dieses Gefühl zu vermitteln. Wertschätzung und Motivation Der unmittelbare Vorgesetzte hat bedeutenden Einfluss auf das Engagement eines Mitarbeiters. Führungsfiguren repräsentieren die Organisation und entscheiden über kritische Faktoren der täglichen Arbeit, wie den Einsatz von Ressourcen, die angeforderte Unterstützung und den Kommunikationsfluss. Mitarbeiter wünschen sich Anerkennung für ihre geleistete Arbeit. Und sie müssen überhaupt erst einmal in die Lage versetzt werden, einen guten Job machen zu können. Verantwortung übernehmen Die Mitarbeiter legen hohen Wert auf die Sinnhaftigkeit der Mission des Unternehmens. Sie arbeiten gerne für Unternehmen, die sich in den Dienst anderer stellen und Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Diese Verantwortung muss sich auch in der

Unternehmenskultur widerspiegeln. Durch eine gelungene Work-Life-Integration kann die Eigenverantwortung der Mitarbeiter unterstützt werden. Die vier Elemente des Engagements Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Einblicke in das Engagement der Mitarbeiter zu bekommen und ihr Erlebnis am Arbeitsplatz aktiv zu verbessern. Neben den Beziehungen zu Kollegen, einer sinnvollen Tätigkeit, der Anerkennung der Leistungen und dem Feedback, sollte der Fokus auf die Stimme der Mitarbeiter gelegt werden. Nachweislich erreichen Unternehmen, die ihre Belegschaft regelmäßig zu Engagement-Themen befragen, ein durchschnittlich bis zu 20 Prozentpunkte höheres Mitarbeiterengagement. Es gibt keine universell anwendbare Methode, wie Employee Engagement gemessen werden kann. Ein möglicher Ansatz, das Mitarbeiterengagement zu messen, ist der Employee Engagement Index (EEI) des Unternehmens IBM. Die Werte des Index werden durch eine gleichgewichtete Kombination aus vier www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Employee Engagement IBM Software Group 2014

sehr positiv. Zum anderen beabsichtigen zunehmend weniger Mitarbeiter über einen Zeitraum der nächsten ein bis drei Jahre noch bei ihrem Unternehmen zu bleiben. Ein Indiz für die fehlende emotionale Bindung zum Unternehmen. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Engagement der Mitarbeiter und deren Leistung am Arbeitsplatz. Deswegen gilt es, Umgebungen zu schaffen, die eine engagierte und produktive Belegschaft fördern und die das Potenzial aller steigern. Schließlich zeigen Mitarbeiter mit einem positiven Arbeitsplatzerlebnis eine höhere freiwillige Leistungsbereitschaft.


ANALYSE

Elementen ermittelt: Stolz, Zufriedenheit, Fürsprache und Treue. Schließlich besteht eine engagierte Belegschaft aus Mitarbeitern, die stolz auf ihr Unternehmen und zufrieden mit ihrem Arbeitsplatz sind. Sie vertreten das Unternehmen aktiv in der Außenwelt und beabsichtigen, dem Unternehmen treu zu bleiben. Die Messung des Engagements basiert auf vier Statements, die anhand einer 5-Punkte-Skala abgefragt werden. Gemessen wird dabei der durchschnittliche Grad der Zustimmung zu den Statements. Ich teile Menschen in meiner Umgebung mit Stolz mit, dass ich für mein Unternehmen arbeite. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Unternehmen als Arbeitgeber. Ich würde mein Unternehmen als einen guten Arbeitgeber weiterempfehlen.

Fotos: Cornelius Kalk; Privat

Ich denke selten darüber nach, einen neuen Job bei einem anderen Unternehmen anzunehmen. Mitarbeiter wollen sich Gehör verschaffen. „Employee Listening“ reicht von der Erfassung und Analyse strukturierter Daten wie Engagement Surveys oder Mini Polls bis hin zur Aufnahme unstrukturierter Daten. Das „Zuhören“ ist in dem Fall kein periodisch auftretendes Event mehr, sondern eine kontinuierliche Initiative, die im Unternehmen verankert ist. Neue Ansätze des Employee Listenings können auch unstrukturierte Daten erfassen und auswerten. Insbesondere sogenannte Jams sowie interne und externe soziale Plattformen bieten Gelegenheit, Informationen zu verschiedenen Themen zu erhalten und zu analysieren.

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Smarte Datenerhebung In virtuellen Räumen haben die Mitarbeiter zum Beispiel bei Jams die Möglichkeit, sich innerhalb eines bestimmten Zeitfensters über Themen auszutauschen. Die Informationen strukturierter und unstrukturierter Daten helfen, neue Einblicke in die Arbeitsweisen und Stimmungen der Mitarbeiter zu bekommen. Die Daten können durch regelmäßige Mini Polls (Umfragen), aber auch mithilfe sogenannter Wearables gewonnen werden. Wearables, die aussehen könnten wie smarte Armbanduhren, nehmen kontinuierlich Daten ihrer Nutzer auf. Diese können für die Auswertung von Verhaltensweisen am Arbeitsplatz genutzt werden und geben so Aufschluss über das Engagement eines Mitarbeiters oder die Belegschaft als Ganzes. Allerdings stoßen solche Formen der Datenerhebung nicht überall auf Akzeptanz. Für die Datenerhebung empfiehlt es sich, verschiedene Methoden zu kombinieren.

Ein weiterer wichtiger Faktor hinsichtlich der Akzeptanz von und Motivation für Mitarbeiterbefragungen ist der Arbeitsort. Jene Arbeitskräfte, die ortsunabhängig beschäftigt sind und nur wenige Möglichkeiten haben, sich mit ihrem Manager und Team physisch abzustimmen, begrüßen soziale Analysen. Sie sehen die Befragungen als eine Form des Zuhörens, um auf diese Weise Themen adressieren zu können, die andere Kollegen beim direkten informellen Austausch im Büro anbringen können. Ihre Belegschaft möchte sich äußern! Mitarbeiter haben ein großes Interesse daran, ihre Perspektiven und Meinungen zu teilen. Oftmals fehlt es lediglich an den richtigen Mechanismen, um die Stimmen einzufangen. Employee Listening hebt nachgewiesen das Engagement in der Belegschaft. Ihre Mitarbeiter werden es Ihnen danken, nicht nur indem sie ihrem Unternehmen treu bleiben, sondern es auch mit Stolz nach innen und außen vertreten. •

Nuanciert zum Erfolg Kulturelle Unterschiede müssen bei der Planung eines „Employee Listening“ mit einbezogen werden. So mag der eine Mitarbeiter eine offene Stimmenabgabe nicht in Betracht ziehen, während sich der andere bereitwillig äußert. Um das Zuhören effektiv zu etablieren, müssen die Nuancen innerhalb der Belegschaft verstanden werden. Generationsunterschiede spielen dagegen eine weniger wichtige Rolle. Trotz des Hypes reagieren Millennials nicht positiver auf soziales Zuhören als andere Generationen. Organisationen sollten sich also auf die Ähnlichkeiten zwischen den Generationen konzentrieren, statt immer wieder die Unterschiede zu betonen.

Markus Dahm ist Strategie- und Organisationsberater bei IBM Global Business Services und Honorarprofessor der FOM Hochschule für Ökonomie & Management, Essen/Hamburg.

Benjamin Rolff ist Strategie- und Entwicklungsberater und war zuvor Strategie- und Changeberater im Inhouse Consulting bei IBM Global Business Services.

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ANALYSE

Jetzt mal ehrlich, Chef!

Ein Text von Stefan Goes Wie sich Manager-Floskeln decodieren lassen und man dem Vorgesetzten zu einer klaren und aufrechten Sprache verhilft

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u meiner Doktorandenzeit nutzte mein Professor zwei Standardfloskeln. Nummer 1, oft knapp vor der Vorlesung: „Wir müssten in die Bibliothek und XY raussuchen.“ Die Bedeutung dahinter war einfach zu entschlüsseln: „Stefan, Sie suchen bitte noch XY raus.“ Das war der unreflektierte Ausdruck eines Teamdenkens mit stark divergierenden Rollen. Nummer 2 bestand aus einer Lautgruppe höherer Ordnung, nämlich einem Arsenal irritierter Räusperlaute, meist einhergehend mit einem scharfen Blick. Ein eigens erstellter Räusperkatalog erleichterte uns Assistenten die Deutung. Und damit sind wir schon mitten im Thema: Menschen kommunizieren unterschiedlich stark bewusst. Das hat mit Persönlichkeit, Wachheit und Rückmeldungsqualität 84

aus dem direkten Umfeld zu tun. Von Führungskräften erwarten wir, dass sie reflektiert handeln oder das zumindest anstreben. Ihr Handeln unterliegt dabei mehreren Einflüssen – hier die wichtigsten: • Persönlichkeit • persönliche Ethik • (vermutete) Auswirkung der eigenen Handlungen auf andere • (vermutete) Reaktion der Adressaten • Unternehmenskultur • Unternehmenssituation (zum Beispiel angespannt, im Wandel begriffen, kritisch) • persönliche Situation (zum Beispiel in ungeklärten Machtverhältnissen, in heikler Mission, unter Druck) • Beziehung und Status (Mächtige „dürfen“ Klarheit und Partner-

schaftlichkeit in den Hintergrund stellen. Schwache „müssen“ Unbequemes und Gefährliches verschleiern) Die Forschung zeigt, dass mit zunehmendem hierarchischen oder fachlichen Status die Parameter der sogenannten Dunklen Triade ins Spiel kommen: • Narzissmus („Ich darf das, man bewundert mich dafür.“) • Machiavellismus („Das ist unternehmerisch effizient – Ethik und Kultur hin oder her.“) • (subklinische) Psychopathie („Mal sehen, was passiert, wenn ich das jetzt mache.“) Jeder Mensch wird durch seine innere Vielfalt an emotionalen und sozialen Mustern, Überzeugungen und Zielen gelenkt. Und jeder versucht stets unbewusst, halbbewusst oder bewusst das Sinnvollste zu tun. Wenn Sie etwa mit Ihrem Auto auf dem Gehweg parken, wissen Sie zwar, dass das weder angemessen noch erlaubt ist. Aber Sie haben einen guten Grund für ihr Verhalten: Sie sind in Zeitnot oder fühlen sich mit Ihrem feinen Kraftfahrzeug einfach so unglaublich großartig. Wenn Sie Kunden oder Kollegen die Wahrheit vorenthalten, wissen Sie zwar, dass Sie das irgendwann einholen wird und dass das auch nicht freundlich ist, aber Sie haben einen guten Grund: nämlich Schaden vom Unternehmen oder sich selbst fernzuhalten. Und so liegt nahe, dass die Floskelei Ihres Chefs einen sozialen oder taktischen Sinn hat, wie etwa: • Verantwortung ablehnen • dem Mitarbeiter Raum für Interpretation/Reaktion lassen • den anderen und/oder sich selbst schonen • Problematisches beschönigen www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


ANALYSE

• von unliebsamen Sachverhalten ablenken • Bedrohliches verschleiern • das Gegenüber verwirren • Entscheidungen/Konsequenzen hinauszögern Die Ursachen sind meist ganz menschlich. So denken und fühlen wir doch auch oft: • Kontaktscheuheit/Bedürfnis der Unverbindlichkeit („Nur nicht zu viel Nähe, das geht meist schief.“ oder „Jetzt aufgepasst, dass mir hinterher keiner einen Strick daraus dreht!“) • mangelndes Selbstwertgefühl („Hoffentlich merkt keiner, dass ich von der Sache kaum Ahnung und mich wenig vorbereitet habe!“) • geringe Kontrollüberzeugung („Das wird sicher wieder nix, ich sehe doch schon, wie der Bruhn und die Larsen diese Blicke austauschen...“) • niedrige Selbstwirksamkeitserwartung („Wenn die wüssten, welche Hürden mir im Weg stehen!“)

Illustration: thinkstock   Foto: Thomas Berg

Viel seltener als gedacht haben wir es mit echten „Haltungsschäden“ zu tun, wie etwa Feigheit Respektlosigkeit Herablassung Intriganz Verlogenheit Vertrauen Sie also darauf, dass Ihr Chef Ihnen eigentlich etwas Gutes tun will. Und der wahre Floskel-Meisterbäcker verzaubert Ihre Sinne mit der gekonnten Verarbeitung dieser Zutaten: • leere Signifikanten (nach Lacan) wie Familie, Vision, Umstände, Prozess • (deplatzierte) Fremd- und Bombastwörter wie Commitment, Teamplay, ROI j u n i  /  j ul i 20 1 7

• färbende Attribute/Adverbien wie leicht, schnell, vielschichtig, komplex, diffizil, bald, später • schwache/leere Verben wie machen, überdenken, verhandeln, ausloten, darstellen • Modalwörter wie vielleicht, eigentlich, zeitweise, momentan, grundsätzlich • „Wir“-Konstruktionen wie „Das kriegen wir schon gewuppt, locker!“ • unpersönliche Fürwörter, gerne in Verbindung mit Passiv: „Das wird dann noch entschieden.“, „Man kann das mal überlegen.“ • Konjunktiv: „Die Ergebnisse würden in KW 47 vorliegen.“ Das macht natürlich alles keine Freude und bringt letztlich keinen voran. Deshalb könnten Sie Ihrem herumfloskelnden Chef zu klarer, aufrechter Sprache verhelfen: 1) Beobachten Sie, welche der Zutaten Ihr Chef zu Baisers, Soufflés und Windbeuteln verarbeitet. 2) Versuchen Sie, Einflüsse, Ursachen und Sinn zu ergründen und 3) bringen Sie dann das Gespräch voran durch • Schweigen • selbstbewussten Blickkontakt • betretenen Blick zum Kollegen, auf die Schreibunterlage oder die Schuhspitzen • Locken mit paraverbalen Äu ßerungen wie „mmh“, „mmh- mmh“, „ach, ja“, „okay“. Nutzen Sie die Möglichkeit, am Ende mit der Stimme zu steigen, zu schweben oder zu fallen • Spiegeln („Sie meinen also, dass wir noch auf die Konjunktion der situativen Parameter war ten sollten?“) • verständnissicherndes Nach fragen („An welche Parameter dachten Sie?“, „Was denken Sie,

wann es so weit sein wird?“) • korrigierendes Nachfragen („Das kann möglicherweise etwas dauern?“, „Okay, wir reden hier aber von sieben Parametern?“) • Interpretieren („Sie meinen, dass Entwicklung, Produktion und Marketing sich endlich zu sammensetzen und einigen sollen?“) • Weiterspinnen („Ja, genau und wenn sich die Abteilungsleiter dann geeinigt haben, können wir sofort loslegen!“) • Provozieren: „Na ja, das ist ja nun auch keine leichte Situation für Sie?“

Wenn Ihr Chef unbewusst oder ungewollt floskelt, tun Sie ihm und allen Beteiligten einen großen Gefallen. Wenn Ihr Chef zielorientiert floskelt („‘Weg von der Wahrheit!‘ kann auch ein Ziel sein!“), unterstützen Sie ihn darin, zur Aufrichtigkeit zurückzufinden. Das macht Spaß und hilft Ihrem Chef dabei, nicht nur Manager, sondern auch Anführer zu sein.

Der Sprachwissenschaftler Stefan Goes promovierte über Abweichungsbewältigung in Gesprächen. Er arbeitet als Berater und Coach mit den Schwerpunkten kommunikative Wirksamkeit, Teamentwicklung und Mitarbeiterführung und lehrt an der Fachhochschule Lübeck, am Institut für Systemische Studien (Hamburg) und am Osterberg-Institut (Niederkleveez).

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PRAXIS

7 Gedanken

Widerstand ist lebenswichtig Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zu Widerstand.

Raus aus der Denkfalle Wenn Ihnen Widerstand begegnet, haben Sie dann Sätze im Kopf wie: „Ein Drittel ist eh immer dagegen“ oder „Menschen wollen sich ohnehin nicht ändern“? Wenn Ihnen diese Gedanken kommen, dann sitzen Sie in einer für den Widerstand typischen Denkfalle.

Widerstand ist wichtig Widerstand blockiert Entscheidungen, taucht im dümmsten Moment auf und bleibt manchmal rätselhaft. Aber stellen wir uns vor, alle wären immer mit allem einverstanden. Es gäbe nur noch blutleere Organisationen. Widerstand ist lebenswichtig für entwicklungsfähige Organisationen.

Was ist mein Beitrag? Widerstand wird gerne anderen zugeschrieben: Die anderen rebellieren, sind nur zynisch oder stellen sich tot. Schuldige zu benennen, führt allerdings in die Sackgasse. Oft tragen alle Parteien dazu bei, dass Widerstand entsteht. Fragen Sie sich: „Was ist mein Beitrag zum Widerstand der anderen?“

Verstehen ist der Schlüssel Häufig ist unklar, worum es bei Widerstand eigentlich geht. Umso wichtiger ist es, sich nicht vorschnell von den eigenen Emotionen leiten zu lassen, sondern die Beweggründe zu erkunden. Verstehen ist der Schlüssel zum produktiven Umgang mit Widerstand.

Beteiligen Wir erwarten, dass Menschen sich mit ihrer Organisation identifizieren. Dafür müssen sie sich einbringen können. Es darf nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden werden. Leichter gesagt als getan. Aber intelligente Organisationen verstehen es, ihre Leute an Entwicklungen und Entscheidungen zu beteiligen.

Recht auf Widerstand Erik Nagel ist Professor für Organisation an der Hochschule Luzern. Er coacht Führungskräfte und berät Organisationen bei Veränderungsprozessen. Nagel ist Autor des Buchs „Glücksfall Widerstand – Vom produktiven Umgang mit ganz normalen Ausnahmen“.

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Widerständler haben das Recht, Widerstand zu leisten. Denn er bringt Engagement für die Sache und für die Organisation zum Ausdruck. Nutzen Sie diese Ressource!

Widerstand heißt, einen Standpunkt mutig zu äußern. Doch Obacht: So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Andere vor sich herzutreiben, sie unter Druck zu setzen oder bloßzustellen, schafft eine unproduktive Dynamik. Widerstand ist eine Kraftanstrengung und bedarf eines sozialen, kulturellen Gespürs. www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Hochschule Luzern

Wenn Widerstand – dann bitte richtig


Meine digitale Welt

Digitale Fitness

PRAXIS

https://hootsuite.com/de/

Ein Digital Mindset ist erlernbar – aber Übung gehört dazu, meint Barbara Braehmer, Expertin im Finden und Gewinnen talentierter Mitarbeiter.

I

ch arbeite ebenso viel on - wie offline: Ich veranstalte Social Recruiting und Active-Sourcing-Trainings und begleite Change-Prozesse in Einzel- oder Team-Coachings. Also ist für mich das Blended Learning, der analoge und digitale Wissenstransfer, ein zentrales Thema. https://www.wunderlist.com/de/

Foto: Thomas Volberg

Gewohnheiten sind wichtig: meine Geräte Ich nutze ein Smartphone mit Tabletqualitäten, das es mir erlaubt, auf dem Gerät schriftliche Notizen zu machen und auch mal längere Texte zu lesen. Außerdem verwende ich ein 2-in-1Laptop, der ebenso auch als Tablet benutzt werden kann. Meine Mails lese ich vor allem auf dem Smartphone, während ich heute nicht mehr sicher sagen kann, ob ich mehr am PC oder am Laptop arbeite. Da ich am PC einen großen Bildschirm habe, fällt mir das grundsätzliche oder konzeptionelle Arbeiten dort leichter.

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Welches Arbeitsgerät? Ich bin viel auf Reisen. In unserem Unternehmen haben wir Microsoft Office 365 eingeführt und können so unsere Daten und Informationen, gerade Outlook-Mails und Dateien, über alle Geräte, also PC, Laptop und Smartphone, synchronisieren. Noch haben wir nicht alle Informationen in der Cloud gespeichert, aber das ist das Ziel. Denn augenblicklich wandern vor jeder Reise noch die wichtigsten Dateien auf einen USB-Stick. Und immer wieder passiert es, dass man eine Datei – oder sogar den Stick – vergisst. Dank Cloud wird das in Zukunft stressfreier werden.

und OneDrive, die dann auch an allen Geräten automatisch synchronisiert werden.

Messenger-Traum Ich nutze die App Aqua Mail als zentrale E-Mail-App. Mein Austausch mit meinen internationalen Freunden und Kollegen läuft heute vor allem über den Facebook Messenger. Er ist auch die zentrale App auf der Frontseite meines Smartphones. Auch unsere interne Firmen- Kommunikation funktioniert zentral über Facebook in einem Gruppenchat. Privat und in meinem Hobby Tierschutz (ich bin Vorstand des Tierschutzvereins Fellgesichter e.V.) geht der Austausch viel über WhatsApp und ganz und gar old-school über das gute alte SMS-Schreiben.

Herausforderung Da sich die Situation ständig verändert, bleibt das alleine schon eine konstante Herausforderung für Vielbeschäftigte und Vielinteressierte wie mich. Ich nutze die Portale, beruflich wie auch privat: XING, LinkedIn und Facebook und handhabe das Posten und Lesen alles über das Dashboard Hootsuite. Unsere Zusammenarbeit und den Informationsaustausch organisieren wir über Wunderlist, Evernote, OneNote und ganz einfach die Cloud-Apps Dropbox

Barbara Braehmer hat langjährige Erfahrung als Personalmanagerin und ist Autorin des Buchs „Social Media Recruiting“. Sie ist außerdem Gründerin von Intercessio, einem Unternehmen, das HR-Beratung, Recruiting und Sourcing-Trainings anbietet.

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PRAXIS

Film

Irrlichternd in moderne Zeiten

Charlie Chaplin in seiner bekanntesten Rolle: der des Tagelöhners (der Tramp)

„Moderne Zeiten“ gilt zurecht als Filmklassiker. Charlie Chaplin leistet als Hauptdarsteller ganze Arbeit.

Taussendsassa Charlie Chaplin in „Modern Times“

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E

in gigantisches Räderwerk verschluckt den Fabrikarbeiter, durchwalkt ihn und spuckt ihn erst nach einigen schmerzhaften Durchläufen wieder aus. Der Arbeiter, der da vom Zahnradgetriebe einverleibt wird, ist der Tramp: die US-amerikanische Symbolfigur des Tagelöhners. Charlie Chaplin spielt besagten Tagelöhner in einem der wohl gängigsten Filmklassiker der Filmgeschichte: „Moderne Zeiten“. Chaplin firmiert gleichzeitig auch als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent des 1936 uraufgeführten Films. Wenngleich die Slapstick-Komödie die Weltwirtschaftskrise zum Ausgangspunkt der filmischen Auseinandersetzung nimmt, hat sie auch nach über 80 Jahren nichts an Relevanz und Aktualität verloren. Chaplins bekannteste Kunstfigur und sein Alter Ego, der Tramp, hat in „Moderne Zeiten“ übrigens seinen letzten Kinoauftritt: Als Angestellter einer Stahlfabrik bemüht sich der Tramp vergeblich, mit dem Tempo am Fließband Schritt zu halten. Doch in der

auf gnadenlose Effizienz getrimmten Fabrik wird selbst seine Aufgabe, die im gleichzeitigen Festdrehen zweier Schrauben besteht, zur Unmöglichkeit. Die Rasanz des Fließbands und die Tollpatschigkeit des Tramps erweisen sich als schlechte Wegbegleiter. In einem unachtsamen Moment landet er im Zahnradgetriebe der großen Maschine. Und selbst dort verrichtet er wahnhaft, ohne Unterlass sein Tagewerk und schraubt, was das Zeug hält. Als er schließlich aus dem Räderwerk ausgespuckt wird, sucht sein Blick weiter besessen nach Schrauben, die er in den Kleidungsknöpfen einer Sekretärin zu erkennen glaubt. Er verfolgt sie und landet schließlich in der Nervenheilanstalt. Doch seine Odyssee nimmt auch da kein Ende und so wird er später zum unfreiwilligen Anführer einer Arbeiterbewegung und am Ende gar zum Kellner mit Entertainer-Qualitäten. In der Irrfahrt des Tramps lässt sich die Suche nach dem richtigen Job und damit auch nach Selbstverwirklichung erkennen – ohne Zweifel: ein Luxus in Zeiten der Großen Depression, die von www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Abbildungen: Kinowelt GmbH; wikimedia

Ein Text von Christopher Klausnitzer


PRAXIS

stillstehenden Fließbändern, Massenarbeitslosigkeit und extremer Armut geprägt waren. Gleichzeitig zeigt die Handlung auch, wie ungelernte Arbeiter eine ganze Fabrik ruinieren können: Im Film muss die Stahlfabrik nach dem Unfall des Tramps geschlossen werden. Recruiting wollte eben schon damals gelernt sein. Die Themen des Films kommen uns mit Blick auf die heutige Arbeitswelt nur allzu vertraut vor: Arbeiter werden zuneh-

mend von Maschinen ersetzt. Die verbliebenen menschlichen Arbeitskräfte unterstehen einer immerwährenden Überwachung und schuften bis zum Burn-out. Arbeitnehmerrechte werden unterdrückt. Chaplins brillant-kritische Beobachtungsgabe brachte ihm später den Vorwurf ein, er sympathisiere mit dem Kommunismus. Die Errungenschaften der modernen Technik nehmen in „Moderne Zeiten“ makabre Ausmaße

an: So soll eine Ernährungsmaschine, von der Angestellte automatisiert gefüttert werden sollen, kostbare Pausenzeit einsparen. Und wer kennt es heute nicht: den schnellen Lunch am Arbeitsplatz? Die moderne Arbeitswelt klingt bereits in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Es gibt diese Parallelen, doch liegt das Zeitalter der Industrialisierung schon hinter uns. Monotones Schraubendrehen haben längst Maschinen übernommen. Und so steht nicht nur inhaltlich „Moderne Zeiten“ für das Ende einer Epoche. Stummfilmstar Charlie Chaplin stand der cineastischen Revolution, der Verbreitung des Tonfilms, skeptisch gegenüber. Er verließ sich auch in „Moderne Zeiten“ in erster Linie auf sein pantomimisches Talent. Die wenigen gesprochenen Worte vernimmt der Zuschauer zunächst nur vom Firmenboss, der seine Untergebenen verbal zusammenstaucht. Erst am Ende des Films ertönt auch Chaplins Stimme, wenn er als Tramp bei seinem neusten Job in einem Tanzlokal sein Gesangstalent entdeckt. Wenngleich sein Song nur aus Kauderwelsch besteht, erntet er Begeisterungsstürme. Auch in dieser Pointe liegt ein Vorgriff auf so manch gegenwärtige – gerade politische – Situation. • Anzeige

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PRAXIS

Buch

Macht ist …

Machtgefüge sind Teil einer jeden Organisation. Sie zu verstehen, ist Voraussetzung jedes Veränderungsbestrebens.

„Macht in Organisationen“ von Falko von Ameln und Peter Heintel, Schäffer Poeschel, 312 Seiten, 2016, 49,95 Euro.

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ie Antwort auf die Frage, worum es in diesem Buch geht, könnte auch als Überschrift über den meisten Entwicklungen, Konflikten und Ränkespielen in Gegenwart und Historie stehen. Es geht um „Macht“, genauer gesagt um das Verständnis ihrer Dynamiken und der Möglichkeiten, sie zu nutzen. Denn auch wenn Macht noch immer etwas Geheimnisvolles, ja sogar Mißbräuchliches anhaftet, wie es die Autoren Falko von Ameln und Peter Heintel eingangs anmerken, ist sie nicht per se negativ. Im Gegenteil, sie ist aus Organisationen kaum wegzudenken. Und spätestens seitdem die Digitalisierung den strengen Hierarchien großindustrieller Tage mehr und mehr den Boden entzieht, sind die Machtgefüge einer ergebnisoffenen Evolution unterworfen. Macht ist Bedingung und Hindernis zugleich für jeden, der innerhalb eines organisationalen Rahmens etwas bewegen will. Hierfür wollen von Ameln und Heintel Denkwerkzeuge liefern. Sie wollen das Phänomen Macht verständlich und damit nutzbar machen.

In insgesamt neun Kapiteln nähern sich die Autoren dem Thema. Sie erklären, was Macht eigentlich ist und wie sie entsteht, ihre Funktionalität und Dysfunktionalität. Sie gehen auf die Quellen der Macht ein und beschreiben ihr Wirken in unterschiedlichen Kontexten. Von Ameln und Heintel gehen dabei sehr strukturiert vor und versuchen dem Leser mit Merksätzen, Exkursen und wissenschaftlichen Belegen jegliche Verständnishürden zu nehmen. Ein großes Plus dieses Buches sind die Textbeiträge verschiedenster Experten, die, anders als in Herausgeberbänden, nicht einzelne, abgeschlossene Kapitel bilden, sondern kontextbezogen in die Ausführungen einfließen und weitere Perspektiven und auch Gegenpositionen eröffnen. Der Blick in dieses Buch lohnt sich. Er lohnt nicht nur, weil die Autoren ihr Eingangsversprechen erfüllen, sondern weil sie nicht zuletzt durch die Expertenbeiträge das Phänomen Macht auch im universellen Kontext, jenseits der Organisation, begreifbar machen. www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: wikimedia - Joanbanjo

Ein Text von Sven Pauleweit


PRAXIS

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RECHT

N

achverAbsage (22. März 2017 SALVATORISCHE KLAUSEL – 10 AZR 448/15). Das tragliche WettbeGericht sah keinen werbsAnlass für eine Abkehr verbote sind nach von seiner ständigen dem Gesetz (§ 74 Abs. Rechtsprechung, wo2 Handelsgesetzbuch) nach das gänzliche Fehlen der Zusage nur wirksam, sofern sich das Unternehmen einer Karenzentschäverpflichtet, eine ausdigung unmittelbar reichende KarenzentNachvertragliche Wettbewerbsverbote sind unwirksam, zur Nichtigkeit eines nachvertraglichen schädigung (das heißt wenn keine Karenzentschädigung vereinbart wurde. Wettbewerbsverbots mindestens die Hälfte Ein LAG sah das in einem konkreten Fall anders. der zuletzt bezogenen führt. Als Begründung Für Klarheit hat nun das BAG gesorgt vertraglichen Leisführt es an, dass spätungen) an den austestens im Zeitpunkt der Beendigung des geschiedenen Arbeitnehmer zu zahlen – nachvertragliche Wettbewerbsverbote Anstellungsverhältnisses eindeutig sein müsse, ob ein nachohne eine solche Verpflichtung sind nichtig. vertragliches Wettbewerbsverbot besteht oder nicht. Dies sah das LAG Hamm (5. Juni 2015 – 10 Sa 67/15) in einer Um dies entscheiden zu können, müssen die Vertragsparviel beachteten Entscheidung in Konstellationen anders, teien aus der Vereinbarung selbst ersehen können, ob das in denen der zugrunde liegende Arbeitsvertrag eine soge- Verbot (un-)wirksam ist. Dieser Klarheit steht eine salvatonannte salvatorische Klausel enthält. Sofern dort, wie im Fall rische Klausel entgegen, da nach ihr erst anhand einer werdes LAG Hamm, geregelt ist, dass anstelle einer nichtigen tenden Betrachtung geprüft wird, welche wirksame RegeRegelung eine angemessene Regelung treten soll, die dem lung die unwirkentspricht, was die Vertragsparteien regeln wollten, haben same ersetzen sich die Vertragsparteien auf eine „Ersetzungsklausel“ ver- soll. Die Parteien ständigt: Die nichtige Klausel wird durch eine rechtswirk- wissen insoweit same Klausel ersetzt. Für den Fall des nachvertragliches- im Zeitpunkt der nWettbewerbsverbots bedeutet dies, dass ein Wettbewerbs- Vertragsbeendiverbot ohne Karenzentschädigung (= nichtig) durch ein gung gerade nicht Wettbewerbsverbot mit gesetzlicher Karenzentschädigung rechtssicher, ob Alexander Möller (l.) ist Fachanwalt für Arbeits(= rechtswirksam) ersetzt wird. Die Klägerin hatte somit ein nachvertrag- recht und Associate bei Stockum & Partner einen Anspruch auf Karenzentschädigung in der gesetzlich liches Wettbe- Rechtsanwälte und Steuerberater mbB. Rainer vorgesehenen Höhe. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erteil- werbsverbot gel- Thum ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Stockum & Partner mbB. te der Auffassung des LAG Hamm in der Revision jedoch eine ten soll. KÜNDIGUNG I

Vorsicht bei SocialMedia-Profilen Kommentare in sozialen Netzwerken sind regelmäßig Ursache arbeitsrechtlicher Streitigkeiten. Selbst marginale „Fehltritte“ werden zum Anlass genommen, um eine Kündigung auszusprechen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Rechtsprechung sozialen 92

Netzwerken das Attribut eines „öffentlichen Marktplatzes“ zuschreibt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln (7. Februar 2017 – 12 Sa 745/16) beurteilte nun einen solchen „Fehltritt“ eines Arbeitnehmers auf dem Netzwerk Xing. Der Arbeitnehmer gab trotz laufendem Arbeitsverhältnis an, „Freiberufler“ zu sein. In der Kategorie „Ich suche“ machte er hingegen keine Angaben. Der Arbeitgeber sprach

dennoch eine fristlose Kündigung aus, weil er in den Profilangaben eine unberechtigte Konkurrenztätigkeit erblickte. Das LAG Köln sah dies anders und gab der Kündigungsschutzklage statt. Gleichwohl erläuterte das Gericht, dass eine andere Entscheidung mitunter ergangen wäre, sofern der Arbeitnehmer unter der Kategorie „Ich suche“ eindeutige Angaben etwa zur Akquise von Kunden gemacht hätte. www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Privat (2)

Kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigung


RECHT

ARBEITSVERTRAG

ÜBERSTUNDEN

KÜNDIGUNG II

Bezugnahmeklausel und Betriebsübergang

BAG mildert Darlegungslast

Entlassung „durch“ den Betriebsrat

Der EuGH hat klargestellt (27. April 2017 – C-680/15, C-681/15), dass sogenannte dynamische Verweisungsklauseln, das heißt Klauseln, welche bestimmte tarifliche Regelungen in ihrer jeweils aktuellen Form für anwendbar erklären, im Falle eines Betriebsübergangs für den Erwerber des Betriebs dynamisch fortgelten. Dies gilt auch, wenn der Erwerber keine Möglichkeit hat, Einfluss auf den Inhalt der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen zu nehmen, etwa bei einem Verweis auf tarifliche Regelungen des öffentlichen Dienstes.

Das BAG mildert seine bisherige Rechtsprechung zum Umfang der prozessualen Darlegungslast von Überstunden zum Nachteil der Arbeitgeber ab. Nach einer aktuellen Entscheidung (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 362/16) muss der Arbeitnehmer nur noch seine täglichen Arbeitszeiten inklusive der Überstunden darlegen. Zu diesen behaupteten Arbeitszeiten muss der Arbeitgeber dann schon substantiiert Stellung beziehen. Kann er dies nicht, gelten die Arbeitszeiten (und somit die Überstunden) als zugestanden.

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen die Entlassung von Arbeitnehmern verlangen (vgl. § 104 S. 1 BetrVG). Dies kann der Betriebsrat sogar gerichtlich durchsetzen, mit der Folge, dass das Arbeitsgericht dem Arbeitgeber unter Androhung eines Zwangsgeldes die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers aufgeben kann. Eine entsprechende rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts rechtfertigt stets eine anschließende ordentliche Kündigung, sofern der Arbeitnehmer im Verfahren ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Laut BAG (28. März 2017 – 2 AZR 551/16) entfaltet die rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts nämlich Bindungswirkung für andere Arbeitsgerichte und begründet damit ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG.

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DER DUALE MASTER DER DUALE MASTER

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RECHT

Noch ist Zeit zu handeln!

Im Sommer soll das neue Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen in Kraft treten. Damit soll die Gleichstellung der Geschlechter bei der Vergütung erreicht werden. Doch zufriedenstellend sind die erlassenen Regelungen für keine der beiden Seiten.

B

ereits der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als auch der Regierungsentwurf wurden in der einschlägigen Fachliteratur scharf kritisiert. Die Vorwürfe reichten von der Negation seiner als Begründung vorgebrachten Ursache, der sogenannten Gender Pay Gap, über die inhaltliche Ausgestaltung bis hin zur Vernachlässigung des grundlegenden juristischen Handwerkszeugs. Die Kritik ging sogar so weit, dass mancher Autor noch nach der Veröffentlichung des Regierungsentwurfs angeregt hat, das aktuelle Gesetzesvorhaben zu verwerfen und neu anzusetzen. Die inhaltlichen Kritikpunkte an dem Gesetz sind derart zahlreich, dass eine detaillierte Zusammenfassung aller angegriffenen Punkte den Rahmen sprengen würde. Die Kritik lässt sich aber in vier übergeordnete Blöcke einteilen: die mangelhafte und 94

unzureichende Ausgestaltung des individuellen Auskunftsanspruchs der Arbeitnehmer, die Rechtsfolgen bei der Verweigerung der Auskunft durch den Arbeitgeber, das voraussichtlich wirkungslose – weil freiwillige – Prüfverfahren der Arbeitgeber zur Entgeltgleichheit und, last but not least, der bürokratische Aufwand, den das Gesetz bei den betroffenen Arbeitgebern verursacht.

Der Auskunftsanspruch In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber hat jede/r Beschäftigte grundsätzlich einen individuellen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber bezüglich des sogenannten Vergleichsentgelts. Der Auskunftsanspruch besteht allerdings nur, wenn die Beschäftigten eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit bestimmen und diese Tätigkeit von

mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts ausgeübt wird. Der Anspruch umfasst auch die Kriterien zur Festlegung des Entgelts. Allein die genannten Voraussetzungen werfen viele Fragen auf, die vom Gesetz nicht beantwortet werden. Während eine Definition der gleichen Tätigkeit noch gelingen mag, ist der Begriff der Gleichwertigkeit sehr unbestimmt und erklärungsbedürftig. Nach der gesetzlichen Definition soll eine gleichwertige Tätigkeit vorliegen, wenn weibliche und männliche Beschäftigte unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu diesen Faktoren sollen auch die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen zählen. Hinzu können Fertigkeiten, zu tragende Verantwortung oder die jeweilige Belastung kommen. An dieser Stelle ist Streit vorprogrammiert, denn der Arbeitgeber ist nicht zu einer Auskunft verpflichtet, wenn er die Tätigkeit für nicht vergleichbar hält. Das vom Arbeitgeber zu benennende Vergleichsentgelt ist der „auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete statistische Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts“ vergleichwww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Illustration: thinkstock - TeamOktopus

Ein Essay von Jan Axtmann


IMPRESSUM RECHT

barer Arbeitnehmer des jeweils anderen Geschlechts. Bei tarifgebundenen oder tarifanwendenden Arbeitgebern genügt die Angabe des Vergleichsentgelts des anderen Geschlechts in der gleichen Entgeltgruppe. Bei den anderen Arbeitgebern ist das Verfahren dagegen höchst kompliziert ausgestaltet. Zunächst ist die Vergleichsgruppe zu ermitteln. Diese besteht aus allen Beschäftigten, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Im zweiten Schritt muss der Arbeitgeber das durchschnittliche Bruttoentgelt eines jeden Beschäftigten in der Vergleichsgruppe berechnen, bei Teilzeitmitarbeitern hochgerechnet auf das Vollzeitäquivalent. Beim Bruttoentgelt sind neben dem Grundgehalt auch sämtliche zusätzlichen Entgeltbestandteile zu berücksichtigen, wie Sonderzahlungen, private Dienstwagennutzung, Überstundenzuschläge, Fahrtkostenzuschüsse. Die Liste kann mühelos fortgesetzt werden. Anschließend muss der Arbeitgeber den Median – also nicht, wie etwa zu erwarten, den Durchschnitt – aus den ermittelten Bruttoentgelten bilden. Der Median ist der Wert, der in der Mitte steht, wenn die Beträge der Größe nach sortiert werden. Bei einer geraden Anzahl von Beträgen errechnet sich der Median aus der Hälfte der Summe der beiden in der Mitte liegenden Beträge. Das Abstellen auf den Median als anzugebenden Wert wurde zu Recht mehrfach heftig kritisiert. Er trifft keine Aussage über eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts. So ist es durchaus möglich, dass eine Arbeitnehmerin weniger verdient als der Median bei den männlichen Beschäftigten. Liegt sie aber gleichzeitig auch unter dem Median bei den weiblichen Beschäftigten, kann von einer Benachteiligung wegen des Geschlechts keine Rede sein. Denkbar ist auch, dass eine Frau j u n i  /  j ul i 20 1 7

in einem Frauen diskriminierenden Vergütungsschema über dem Median der Männer verdient, aber aus diesem Grund nach Auskunftserteilung fälschlich keine Benachteiligung annehmen wird. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass die Arbeitgeber sich einem erheblichen bürokratischen Aufwand zur Ermittlung von Vergleichsgruppen, Errechnung der Bruttoentgelte der Vergleichsgruppe und Bildung des Medians ausgesetzt sehen, ohne dass hieraus ein tatsächlicher Mehrwert für die Arbeitnehmer entstünde. Schlimmstenfalls ist folgendes Szenario denkbar: Eine Arbeitnehmerin verdient, ohne Vorliegen einer Diskriminierung, unter dem angegebenen Median der männlichen Beschäftigten und erhebt Klage auf Entgeltgleichheit. Der Arbeitgeber obsiegt zwar, hat aber beim Arbeitsgericht in erster Instanz stets die Kosten seines eigenen Anwalts zu tragen. Der Arbeitnehmer trägt neben seinen Anwaltskosten noch die Gerichtskosten. Für beide Seiten wird das Ergebnis unbefriedigend sein, beide haben finanzielle Nachteile erlitten. Das führt zu Unfrieden im Betrieb. Auch ein nichtdiskriminierender Arbeitgeber sieht sich nun diesem Risiko ausgesetzt.

Rechtsfolgen bei Verweigerung Unterlässt der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht, trägt er nach dem neuen Gesetz im Streitfall die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt. Ob diese Beweislastumkehr auch greift, wenn der Arbeitgeber zwar eine Auskunft erteilt, diese aber nicht korrekt ist, und welches Ausmaß des Unterlassens die Beweislastumkehr auslöst, ist bislang völlig offen. Der Wortlaut des Gesetzes muss wohl so

Herausgeber Rudolf Hetzel Frederik Nyga Torben Werner (V.i.S.d.P.) Redaktion Hannah Petersohn (hp) (Leitende Redakteurin) hannah.petersohn@ quadriga.eu Anne Hünninghaus anne.huenninghaus@ quadriga.eu Sven Pauleweit (svp) sven.pauleweit@ quadriga.eu Mitarbeiter der Ausgabe Jan Axtmann, Melanie Baier Barbara Braehmer, Eva Brandt André Schmidt-Carré, Daniel Dirks Thomas Fengler, Stefan Goes Silvia Hänig, Laura Heisch Boris Kaehler, Anja Karlshaus, Christopher Klausnitzer Sandra Koch, Thomas Kretschmar Alexander Möller, Erik Nagel Thorsten Petry, Florian Rustler Martin Scheele, Moritz Senarclens de Grancy Birga Teske, Rainer Thum Thomas Trappe redaktion@ humanresourcesmanager.de Gestaltung Danny Tuan Anh Schuster www.buerofarbe.de Fotoredaktion Laurin Schmid Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@quadriga.eu Druck PieReg Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12 12277 Berlin Im Internet www.humanresourcesmanager.de

Verlags- / Redaktionsanschrift Quadriga Media Berlin GmbH Werderscher Markt 13 10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90 ­ Fax: 030 / 84 85 92 00 info@quadriga.eu

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RECHT

Prüfverfahren und Berichterstattung Private Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten sind aufgefordert, mithilfe betrieblicher Prüfverfahren ihre Entgeltregelungen sowie deren Anwendung regelmäßig auf die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots zu überprüfen. Werden bei diesen Prüfverfahren Benachteiligungen festgestellt, hat der Arbeitgeber Maßnahmen zu deren Beseitigung zu ergreifen. Will der Arbeitgeber der gesetzlichen Aufforderung zur Prüfung gerecht 96

werden, muss diese geradezu wissenschaftlichen Standards genügen. Auch wenn der Gesetzeswortlaut „Arbeitgeber sind aufgefordert“ mehrdeutig klingt, statuiert dies keine echte gesetzliche Pflicht. Den Arbeitgebern ist von einer Durchführung dieser Verfahren dringend abzuraten, da ihnen hieraus nur Nachteile entstehen können. Entweder zeigt das Prüfverfahren keine Diskriminierung. In diesem Fall war es entbehrlich, hat aber Kosten verursacht. Wird aber eine Diskriminierung offenbar, sind die Beschäftigten zwingend zu informieren, was eine Klagewelle – wiederum bis zu den Grenzen der Verjährung – auslösen kann. Der Arbeitgeber kann sich durch das Prüfverfahren daher nur „ins eigene Fleisch schneiden“, weshalb er es nicht freiwillig durchführen wird. Eine echte Pflicht zur Berichterstattung trifft Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, die zur Erstellung eines Lageberichts (gemäß § 264 HGB) verpflichtet sind. Die Pflicht zur Berichterstattung besteht alle drei Jahre bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern respektive alle fünf Jahre bei tarifgebundenen/-anwendenden Arbeitgeber. Es muss ein Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit erstellt werden. Der Bericht hat den jeweils vorgenannten Zeitraum zu umfassen und Angaben zur Beschäftigtenzahl, zu Maßnahmen zur Förderung allgemeiner Gleichheit und zur Herstellung von Entgeltgleichheit von Frauen und Männern zu beinhalten. Eine Sanktion bei Nichterfüllung der Berichtspflicht sieht das Gesetz allerdings nicht vor.

Fazit und Ausblick

wie hoch sie tatsächlich ausfällt, ist allerdings umstritten. Das neue Entgelttransparenzgesetz wird jedenfalls nicht dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Das Gesetz verfehlt seinen Zweck und ist daher misslungen. Es ist für die Arbeitgeber mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand verbunden, für die Arbeitnehmer bringt es kaum Vorteile und ist mithin unbefriedigend. Die größte Gefahr für die Arbeitgeber besteht aber in der Nicht- oder der falschen Erteilung der individuellen Auskunft. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Entgeltstrukturen müssen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachvollziehbar und bestenfalls prozesssicher dokumentiert werden. Für die Zukunft sollten Stellenausschreibungen individuell formuliert werden, um eine Vergleichbarkeit zu vermeiden. Außerdem müssen sachliche Kriterien der Entgeltfindung stets ausführlich und schriftlich festgehalten werden. Mit den ersten Anfragen ist ab November 2017 zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt kann der Auskunftsanspruch geltend gemacht werden. Die verbleibende Zeit sollten betroffene Arbeitgeber dringend nutzen und Abläufe für die Auskunftserteilung ausarbeiten. Das beinhaltet unter anderem, einen Weg zur zulässigen Übermittlung personenbezogener Daten zu finden.

JAN AXTMANN ist Rechtsanwalt für Arbeitsrecht bei der überörtlichen Sozietät MELCHERS Rechts-

Das Gesetz wurde aufgrund einer behaupteten Gender Pay Gap erlassen. Ob es eine solche überhaupt gibt und

anwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB am Standort in Heidelberg. Er promovierte im Bereich Sport-, Schiedsverfahrens- und Europarecht.

www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Privat

verstanden werden, dass jegliche, auch fahrlässige Nichterfüllung der Auskunftspflicht eine Beweislastumkehr zur Folge hat. Dabei wird sicherlich die Frage zu klären sein, ob die fahrlässig falsche Auskunft über einzelne Teile des Anspruchs genauso zu behandeln ist wie die Weigerung des Arbeitgebers, überhaupt eine Auskunft zu erteilen. Dramatische Folgen kann ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer insbesondere dann haben, wenn er für die Zeit vor der Einführung des Gesetzes geltend gemacht wird. Der Entgeltgleichstellungsanspruch und damit verbundene Nachzahlungen können von den Arbeitnehmern bis zur Grenze der dreijährigen Regelverjährung nachgefordert werden. Davon betroffene Arbeitgeber sollten sich hierfür im Vorfeld wappnen. Dies umfasst die Dokumentation der in der Vergangenheit für die Entgeltermittlung bestehenden Kriterien ebenso wie möglicherweise im Einzelfall bestehende besondere Qualifikationen, Erfahrungen oder Kenntnisse eines Arbeitnehmers zur Begründung für dessen (höheres) Gehalt. Das wird einer Herkulesaufgabe gleichkommen, da zumeist nicht sämtliche Einzelheiten einer Gehaltsverhandlung dokumentiert worden sind.


RECHT

Personal Werksleitung BP Raffinerie

Lingen

HR Manager (m/w) BP ist eines der führenden internationalen Öl- und Gasunternehmen mit 74.500 Mitarbeitern weltweit in rund 70 Ländern. Zu den Hauptaktivitäten zählen das Auffinden von Öl- und Erdgasvorkommen (Exploration), die Förderung von Erdöl und Erdgas sowie die Mineralölverarbeitung und der Vertrieb von Mineralölprodukten. Im Bereich der Erneuerbaren Energien konzentriert sich BP auf Biokraftstoffe und Windenergie. Mit knapp 25 Millionen Tonnen Mineralölprodukten der Marken Aral, BP und Castrol deckt das Unternehmen fast ein Viertel des jährlichen Bedarfs in Deutschland ab. Ausgestattet mit thermischen und katalytischen Crackanlagen (Koker und Hydrocracker) zählt BP zur Spitzengruppe der Raffinerien in Europa. Durch ständige Verbesserungen und erhebliche Investitionen in die Betriebsanlagen gehört Lingen (Ems) heute zu den modernsten Kraftstoff produzierenden Raffinerien Europas. BP betreibt das zweitgrößte Raffineriesystem in Deutschland und beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiter. Dazu zählen die Raffinerien in Lingen sowie in Gelsenkirchen mit den Werken Scholven und Horst. Mit aktuell über 700 Mitarbeitern verarbeitet die Raffinerie Lingen seit über 60 Jahren Rohöl zu Kraftstoffen, Kerosin, leichtem Heizöl und Chemievorprodukten. Die Abnehmer sind regionale Verbraucher und Kunden in Deutschland und Europa. Die Funktion „HR Manager“ umfasst die Verantwortung für alle Personalthemen von der Definition der Strategie bis zur Umsetzung in Lingen. Ein Fokus wird auf der Prozessoptimierung und Organisationsentwicklung liegen, einhergehend mit einem Cultural Change. Sie werden als Sparringspartner eng mit der Geschäftsführung, der Arbeitnehmervertretung und der Muttergesellschaft zusammenarbeiten. BP bietet Ihnen, dem modernen, dynamischen und proaktiven „HR Manager“, eine anspruchsvolle HR-Aufgabe mit hervorragender Karriereperspektive an. In der Regel erwartet Sie nach zwei bis drei Jahren die nächste, internationale Aufgabe innerhalb des Konzerns.

VERANTWORTUNG:

ANFORDERUNGSPROFIL:

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Verantwortung für die gesamte Personalarbeit der Raffinerie in Lingen. Ausrichtung der Personalstrategie und Organisation an den Geschäftszielen Aktive Mitarbeit an Veränderungsprozessen und Prozessoptimierung in enger Kooperation mit der Geschäftsführung und dem Linien-Management Führung und Weiterentwicklung eines Teams von vier Mitarbeitern Kooperation auf internationalen Projekten Sicherstellen fundierter HR-Kompetenz u. a. in Organisationsentwicklung Talent Management, Succession Planning, Führungskräfteentwicklung, Diversity sowie Employer Branding Austausch und Zusammenarbeit mit der Muttergesellschaft

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Mind. 10 Jahre HR-Erfahrung in Industrieunternehmen, die durch internationale Standorte und komplexe Organisation gekennzeichnet sind; davon mehrere Jahre in einer Führungsfunktion Nachweisliche „Change-Management“-Erfahrung in der Durchführung von umfassenden Veränderungsprozessen sowie der Implementierung professioneller HR-Arbeit Erfahrung als HR-Generalist/HR-Business Partner in operativen HR-Themen von Produktionsstandorten oder Werken Expertise in der Beratung von Senior Management und Vertretern der Muttergesellschaft in Fragen der Personalentwicklung. Vertraut mit der professionellen und von Wertschätzung geprägten Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern Umfassende Erfahrung im Umgang mit Arbeitnehmervertretungen in einem mitbestimmungsgeprägten Umfeld Ausgeprägtes Geschäftsverständnis und die Fähigkeit, effizient mit allen Unternehmensebenen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Sehr gute Kommunikationsfähigkeiten. Ausgezeichnete Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch

Die Aufgabe bietet eine attraktive Herausforderung für engagierte Führungskräfte in HR, die ein unternehmerisches Umfeld suchen und sich innerhalb eines internationalen Konzerns weiterentwickeln möchten. Bitte senden Sie uns Ihre Bewerbung in Englisch per E-Mail unter folgender Referenznummer: HRM- 033740517F an Jeanine Kremer, Spencer Stuart & Associates GmbH, E-Mail: jkremer@spencerstuart.com. Spencer Stuart ist ein international führendes Unternehmen im Executive Search und die vertrauliche Behandlung aller Daten gewährleistet. j u n i ist ul i 20 1 7 /  jselbstverständlich

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BPM on the road Ein Text von Laura Heisch

100 Rückblick zum Fachgruppentag 101 Neue Fachgruppe Compensation & Benefits 102 BPM Berufsfeldstudie 2017 104 CEB Essay: Cloudbasierte HR-Systeme

E

insteigen und Netzwerken war das Motto der BPM Roadshow am 16. Mai in Frankfurt. In einem stil­ echten Oldtimer-Bus fuhren die Teilnehmer zu drei BPM-Mitgliedern, die aus ihrer HR-Praxis berichteten. Die Fahrt zwischen den einzelnen Stationen nutzten die Teilnehmer, um sich kennenzulernen und sich über die unterschiedlichen Herausforderungen der Personalarbeit auszutauschen. www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Christopher Fuhrmann (2)

INHALT 98 BPM Roadshow in Frankfurt

Netzwerken mal anders: Bei der BPM Roadshow am 16. Mai in Frankfurt machten die Teilnehmer an drei Stationen Halt, um die HR-Arbeit ihrer Kollegen kennenzulernen.


VERBAND

Die Teilnehmer der Roadshow hatten sichtlich Freude an der Ausfahrt mit dem Oldtimer-Bus.

Der Auftakt der Veranstaltung fand bei der IG Metall statt. Nach einer kurzen Einleitung durch Christa Stienen, Vize-Präsidentin des BPM, gab Markus Würdemann vom Fachbereich Personal des IG Metall Vorstands einen Einblick in die Besonderheiten der Personalarbeit einer NonProfit-Organisation. Hierbei stellen vor allem Themen wie mobiles Arbeiten und der Generationenwechsel besondere Herausforderungen dar. Im Anschluss ging es mit dem Bus Richtung Messe Frankfurt, wo das HR-Team sein aktuelles Projekt „Kompetenzorientiertes Schulungsmanagement“ vorstellte. Ziel des Projekts ist es, gemeinsam mit den Mitarbeitern neue Kompetenzen zu entwickeln und die Personalentwicklung langfristig in den Fokus zu rücken. Der letzte Stopp führte die Teilnehmer zur Lufthansa. Christa Stienen, hauptberuflich Senior Vice President Corporate HR bei LSG Sky Chefs, erläuterte aktuelj u n i  /  j ul i 20 1 7

le Schwerpunkte ihrer HR-Arbeit, die durch vielfältige Transformationen geprägt ist. Dabei ging sie insbesondere auf die Herausforderungen internationaler Personalarbeit ein. Die vielseitigen Vorträge wurden durch das Networking „an Bord“ abgerundet. Das besondere Setting erlaubte den Teilnehmern einen engen fachlichen Austausch, von dem sie auch über das Event der Roadshow hinaus profitieren. Nawal Akoucham, HR Business Partner von Ferrero, unterstrich dabei die Bedeutung des Netzwerkens: „Netzwerken bedeutet nicht mehr nur sich lokal in der eigenen Firma, sondern global und international mit anderen HR-Kollegen auszutauschen, Erfahrungen zu sammeln und von anderen zu lernen. Nur so kann man weiterkommen.“ • Rückblickvideo zur Roadshow unter www.bpm.de/videos 99


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Nach der Keynote führten die Teilnehmer die Diskussion in einzelnen Fachgruppen-Workshops fort.

Next Generation HRManagement Ein Text von Laura Heisch

10 0

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er diesjährige Fachgruppentag fand im besonderen Flair der alten Versteigerungshalle auf dem Kölner Großmarkt statt. Nachdem die Gemüsehändler ihr Tagwerk verrichtet hatten, übernahm die HR-Zunft das Gelände. Den Einstieg machte Michael Illert, Partner bei Frazer Jones, mit einer Keynote zu dem Thema „How HR will excel into the future“. Dabei ging es vor allem um die großen Themen, die HR bewegen sollte. In Bezug auf sich ständig veränderte Anforderungen an Mitarbeiter und Unternehmen, standen insbesondere Organisationsstrukturen auf dem Prüfstand. Michael Illert riet Unternehmen in diesem Zusammenhang, ihre Recruiting-Strategien zu überdenken und ihre Mitarbeiterbindung zu verbessern. Zuletzt ging es darum, wie bestehende und zukünftige Technologien für den HR-Bereich nutzbar gemacht werden können und welche Potentiale sie versprechen. Insgesamt bieten sich für HR zukünftig www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: Fabian Rockenfeller Photography (3)

Rund 80 Teilnehmer kamen zum diesjährigen Fachgruppentag am 27. April in Köln zusammen, um die Anforderungen an HR in der Zukunft zu diskutieren.


viele Möglichkeiten, einen aktiven Part in sich wandelnden Organisationen zu spielen und so einen starken Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen. Im Anschluss an die Keynote kamen die Teilnehmer zur Kleingruppenarbeit in den Fachgruppen zusammen, um sich zu zukunftsorientierten Themen in den Bereichen Change Management, Strategisches Personalmanagement sowie Gesundheitsmanagement auszutauschen. Erstmalig beteiligte sich in diesem Jahr auch die neue BPM Fachgruppe „Compensation&Benefits“, die im kleinen Kreis über das Entgelttransparenzgesetz diskutierte. Die intensive Kleingruppenarbeit wurde am Nachmittag weitergeführt und förderte den fachlichen Austausch zwischen allen Beteiligten. Nach der Mittagspause ging es mit drei Live-Simulationen von innovativen HR-Apps weiter, die den Teilnehmern einen Einblick in das Digitalisierungspotenzial des HR-Bereichs

Heiko Leitz, Head of HR Operations & Compensation/ Benefits bei der UL International Germany GmbH, leitet ab sofort die Fachgruppe.

Neue Fachgruppe Compensation & Benefits

N ermöglichten. Es stellten sich die Startups teambay, eine Software für Mitarbeiterfeedback in Echtzeit, und Spendit, mit ihrer digitalen Essensmarke Lunchit, vor. Die LSG Sky Chefs präsentierte ein Beispiel aus der Alltagspraxis. Ihre App „global culinary excellence academy“ regt die Kollegen mit spielerischen Elementen an, das eigene Lernen zu steuern und Wissen mit anderen weltweit zu teilen. Alle Systeme zeigten dabei neue Wege auf, die zukunftsweisend für die nächste Generation von HR-Managern sein können. Insgesamt wurde der Fachgruppentag sehr positiv aufgenommen. Anne-Cathrin Kreysel aus der Fachgruppe Gesundheitsmanagement fasste das Feedback der Teilnehmer zusammen: „Ein tolles Format, das es so nicht woanders gibt. Der Fachgruppentag war wieder eine sehr gute Sensibilisierung, sich mit veränderten und agilen HR-Herausforderungen der Zukunft auseinanderzusetzen.“ • j u n i  /  j ul i 20 1 7

icht erst seit der Verabschiedung des Entgelttransparenzgesetzes ist die Gestaltung zeitgemäßer Vergütungssysteme ein Dauerbrenner in vielen Personalabteilungen. Die Gehälter sollen Leistungsträger an das Unternehmen binden, das Verhalten der Mitarbeiter steuern und gleichzeitig für alle fair und nachvollziehbar sein – keine einfache Aufgabe. Hinzu kommt, dass es mittlerweile unzählige Möglichkeiten gibt, attraktive Gehaltspakete zu schnüren, sei es durch Zusatzleistungen für die Altersvorsorge, Sabbaticals oder gesponserte Kinderbetreuung. Um sich mit Gleichgesinnten zu Vergütungsfragen austauschen zu können, wurde im Mai die neue BPM-Fachgruppe „Compensation & Benefits“ gegründet. Das Leitungsteam der Fachgruppe um Heiko Leitz, Philipp Schuch und Claudia Weller freut sich auf den Erfahrungsaustausch mit allen Interessierten zu aktuellen Themen des Leistungs- und Vergütungsmanagement. Anmeldung zur Fachgruppe unter www.bpm.de/fachgruppe-beitreten

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Die Vermessung des Berufsstands HR Ein Text von Melanie Baier

Der BPM veröffentlicht alle drei Jahre mit seiner Berufsfeldstudie einen umfassenden Branchenmonitor. Im Fokus der diesjährigen Erhebung stand die Frage, wie sich HR in einem volatilen wirtschaftlichen Umfeld wandeln muss.

84 % der befragten Personalverantwortlichen halten es zukünftig für wichtig bis sehr wichtig, dass HR sich als Moderator des Wandels sieht und die Innovations- und Transformationsmentalität stärkt.

N

ach den Jahren 2010 und 2014 vermisst die Studie „Personalmanagement als Beruf 2017“ zum dritten Mal deutschlandweit das Berufsfeld Human Resources. Die Dringlichkeit, mit der sich HR neuen Aufgaben und damit veränderten Rollen- und Kompetenzprofilen stellen muss, hat sich vor dem Hintergrund einer zunehmend volatilen Unternehmensumwelt deutlich verschärft. Die Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen Einfluss nimmt auf Formen der Zusammenarbeit, die unternehmerische Wertschöpfung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit, ist für das Personalmanagement Herausforderung und Chance zugleich. Kurz gefragt: Wie muss und wird sich die HR-Funktion verändern? Dieser Frage widmet sich insbesondere das Forschungsprojekt „Rethinking HR“, das in diesem Jahr Teil der quantitativen Erhebung „Personal10 2

Aber nur 43 % schätzen die derzeitigen HR-Kompetenzen in diesem Bereich als hoch oder sehr hoch ein.

55 % halten es zukünftig für wichtig oder sehr wichtig, dass HR relevante Teilprozesse des People Management, z.B. durch Artificial Intelligence, digitalisiert.

Aber nur 16 % schätzen die derzeitigen HR-Kompetenzen in diesem Bereich als hoch oder sehr hoch ein.

management als Beruf 2017“ war, und gemeinsam von BPM, Egon Zehnder, BCG und der Quadriga Hochschule Berlin durchgeführt wird. Ziel der Fragen im Schwerpunkt „Rethinking HR“ war es, zum einen zu erfassen, wie Personalmanager die Bedeutung bestimmter Aufgaben in fünf bis zehn Jahren einschätzen. Zum

anderen wurden die Teilnehmer nach den derzeitigen HR-Kompetenzen ihres Unternehmens gefragt. Zunehmende Akademisierung Die Transformation der HR-Funktion macht sich auch in den Karrierewegen bemerkbar. Immer mehr Personalverwww. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


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Zufriedenheit und Stresserleben der Personalmanager 2 % Zufriedenheit

21 %

40 %

30 %

sehr unzufrieden

antwortliche haben studiert oder promoviert. Der Anteil derjenigen, die ein fachspezifisches Studium mit HR-Fokus absolviert haben, ist im Vergleich zu 2014 um 10 Prozent gestiegen. Zufriedenheit im Job gesunken, Stresserleben gestiegen

7 %

sehr zufrieden

“Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer aktuellen Tätigkeit?“ (N=1320)

1 % Stresserleben

10 %

33 %

40 %

gar nicht stressig

Die vielfältigen, durch die Digitalisierung ausgelösten Herausforderungen spiegeln sich dabei auch in der Zufriedenheit und dem Stresserleben der Personalmanager wider. So zeigt sich in der aktuellen Erhebung, dass die Zufriedenheit im Personalmanagement deutlich abgenommen hat. Waren 2014 noch 81 Prozent der Befragten mit ihrer Tätigkeit zufrieden oder sehr zufrieden, sind es 2017 nur noch 70 Prozent. Gleichzeitig erlebt mehr als die Hälfte der befragten HR-Manager ihre Tätigkeit als stressig bis sehr stressig. Insbesondere der Bereich Employer Branding und Recruiting zeigte sich ambivalent: In diesem Feld ist der höchste Anteil der (sehr) Zufriedenen tätig (74 Prozent), gleichzeitig geben die hier Beschäftigten auch am häufigsten ein (sehr) hohes Stresserleben an (63 Prozent). Gerade der Bereich Employer Branding und Recruiting mag symptomatisch für die Dynamik und den Transformationsdruck sein, der im Personalmanagement zu spüren ist. Das Recruiting ist ohne die Nutzung digitaler Kommunikations- und Managementtools nicht mehr denkbar. j u n i  /  j ul i 20 1 7

16 % sehr stressig

„Wie stressig erleben Sie Ihre Tätigkeit?“ (N=1321)

Insgesamt zeigt die Studie jedoch, dass sich die Anwendung digitaler Arbeitstechniken im Personalmanagement noch nicht umfassend durchgesetzt hat. Nur 20 bis 40 Prozent der Befragten nutzen intensiv digitale Tools zur Kommunikation, Zusammenarbeit oder für das Management von HR-Prozessen. Fokus auf Recruiting, Change Management und Digitalisierung Insgesamt spiegelt sich in den thematischen Prioritäten der Personalmanager wider, dass die Anforderungen an HR offenbar nicht nur durch die Digitalisierung zunehmen. Gerade Business Partner sehen sich offenbar der ganzen Bandbreite strategisch relevanter, aber auch spannungsvoller Themen gegenüber – neben dem allseits drängenden Thema Recruiting und der Erfordernis, die Digitalisierung von HR-Prozessen voranzubringen, bleiben die Themenfelder Organisationsentwicklung und

Change Management, wie schon in der Studie 2014, weiterhin hochgradig relevant. Die hier nur skizzierten Trends zeigen, dass Personalmanager nicht nur den Wandel in ihrem Unternehmen gestalten und moderieren müssen, sondern der technologische Wandel auch ihre eigenen Arbeitstechniken und die Arbeitskultur verändert. Wie dies in die unterschiedlichen Arbeitsbereiche hineinwirkt, ist detailliert der Studie „Personalmanagement als Beruf 2017“ zu entnehmen, die im Rahmen des Personalmanagementkongresses 2017 der Fachöffentlichkeit präsentiert wird. •

Weitere Informationen unter www.bpm.de Melanie Baier ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Quadriga Hochschule Berlin.

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Wie die Cloud die HR-Welt revolutioniert Ein Text von Daniel Dirks

Cloudbasierte HR-Systeme sind die Zukunft im Personalbereich. Viele Unternehmen scheitern jedoch bereits bei der Implementierung. HR-Experte Daniel Dirks zeigt auf, worauf Unternehmen achten sollten, um die Effizienz von cloudbasierten Systemen zu garantieren.

Erfolgreiche CloudImplementierungen: Do‘s and Don’ts

M

it dem Wandel der HRWelt haben sich auch die Softwarelösungen für den Personalbereich stark verändert. Vor allem die Umgestaltung der Systemlandschaften in Richtung cloudbasierter und Software as a Service-Lösungen (SaaS) hat die personalwirtschaftliche und technische Infrastruktur in der letzten Dekade erheblich geprägt. Cloudbasierte Systeme verbessern durch ihren neuartigen nutzerzentrierten Ansatz nicht nur die Art und die Möglichkeiten der Interaktion mit dem System, indem sie mobil und jederzeit verfügbar sind, sondern auch die Prozesse und den Wertbeitrag der HR-Organisation innerhalb eines Unternehmens. Für HR-IT-Verantwortliche wird es daher immer wichtiger, nicht nur über Zukunftssysteme zu sprechen, sondern diese auch erfolgreich zu implementieren. 10 4

Vereinfachend meint die Implementierung eines cloudbasierten Systems zum einen, alle notwendigen technischen Schnittstellen zu bestehenden Systemen erfolgreich einzurichten. Zum anderen bedeutet es, von allen zur Verfügung stehenden Optionen der Systemkonfiguration diese auszuwählen, die die Anforderungen des eigenen Unternehmens am besten unterstützen. Nachhaltig implementierte CloudLösungen haben das Potential, den Mehrwert von HR in der Organisation erheblich zu steigern und innovative Lösungsansätze für Herausforderungen im Bereich Talent Management zu ermöglichen. Was aber unterscheidet erfolgreiche von erfolglosen Implementierungen?

Eine typische Kundensituation: Die Einführung neuer HR-Informationssysteme wird hauptsächlich durch IT getrieben, wobei der Fokus der Implementierung stark auf technische Aspekte gelegt wird. Fachliche und prozessuale Anforderungen von HR als auch aus den Geschäftsbereichen werden hingegen nicht ausreichend einbezogen, womit die Nutzerakzeptanz häufig gänzlich vernachlässigt wird. Eine CEB-Analyse zeigt, dass Organisationen im Durchschnitt eine Rendite von 15 Prozent aus Investitionen in HR-IT erwarten, sich aber am Ende des Projekts regelmäßig mit einem Verlust von bis zu 26 Prozent konfrontiert sehen.

ÜBER CEB  Seit Juli 2014 kooperiert der BPM mit CEB (jetzt Gartner) im Rahmen einer ‚Thought Leader‘-Partnerschaft. Im Rahmen dessen bringt CEB neueste Forschungsergebnisse zur Stärkung des internationalen Profils des BPM ein. Mehr auf gartner.com/ceb

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Der Wertverlust ist auf einige wenige Ursachen zurückzuführen: - mangelhafte Projektdurchführung, - Nichtanpassung des implementierten Systems an die Bedürfnisse der Organisation und - zu niedrige Nutzerakzeptanz. Vor allem die letzten beiden Punkte haben einen gravierenden negativen Einfluss, da 80 Prozent des Wertverlusts bei einer Implementierung auf sie zurückzuführen sind. Vor allem die Nutzerakzeptanz spielt im Kontext der cloudbasierten Produkte eine große Rolle, weil solche nutzerzentrierten Systeme einen wirklichen Paradigmenwechsel einleiten.

Elemente einer erfolgreichen Implementierung Organisationen, die Cloud-Implementierungen erfolgreich durchgeführt haben, folgen einem ganzheitlichen Ansatz, indem HR die Rolle eines gleichberechtigten Partners neben IT einnimmt. Dies ermöglicht, drei wichtige Punkte zu adressieren, die typischerweise nicht im Fokus von IT stehen, aber entscheidend zum Implementierungserfolg beitragen: 1) die HR-Prozesse optimieren und vereinfachen, 2) die funktionalen Anforderungen aus den Bedürfnissen von HR und den Geschäftsbereichen ableiten, und 3) eine wertschöpfende Rolle von HR ermöglichen. Ein weiterer Erfolgsfaktor dieser Organisationen ist die Begleitung der Implementierung durch ein aktives Veränderungsmanagement, um so frühzeitig die notwendige Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz für die neuen Anwendungen im Unternehmen zu erzeugen. j u n i  /  j ul i 20 1 7

1 – HR Prozesse optimieren und vereinfachen

der übrigen Geschäftsbereiche abgeleitet werden.

Zu komplexe und schwerfällige Prozesse mit unklaren Rollen und Verantwortlichkeiten werden auch durch eine Systemimplementierung nicht automatisch verschlankt oder klarer. Jeder in seiner Gänze betrachtete Prozess beinhaltet Schritte, die sowohl im IT-System abgebildet als auch außerhalb eines System stattfinden müssen. Daher ist eine umfängliche Prozess­ analyse wichtig und notwendig, um den kompletten Vorgang zu verstehen und ihn anschließend im Sinne einer besseren Nutzererfahrung zu optimieren. Einen erheblichen Einfluss auf den Prozessablauf und die Nutzererfahrung haben aber auch die Entscheidungs- und Kommunikationswege in Organisationen. Auch sie müssen bewusst optimiert und verschlankt werden – und dies idealerweise vor der Implementierung.

3 – Eine wertschöpfende Rolle von HR ermöglichen

2 – Die funktionalen Anforderungen aus den Bedürfnissen von HR und den Geschäftsbereichen ableiten Wenn das implementierte System mehr Funktionalitäten bietet als gebraucht oder gefordert sind, dann werden nicht nur die Systemkomplexität, sondern auch die Implementierungskosten unnötig erhöht. Werden hingegen dringend benötigte Funktionalitäten nicht bereitgestellt, stellen enttäuschte Nutzer die Sinnhaftigkeit der Systemimplementierung infrage. In beiden Fällen ist sowohl die Bedienerfreundlichkeit als auch die Nutzerakzeptanz gefährdet. Um sicherzustellen, dass Aufwand, Kosten und Komplexität in einem angemessenen Rahmen bleiben, müssen die funktionalen Anforderungen also aus den Bedürfnissen von HR und

Werden Personalinformationssysteme implementiert, findet dies oftmals ohne hinreichenden Einfluss von HR statt. Personalbereichen während der Implementierung eine mit IT gleichberechtigte Rolle einzuräumen, ist jedoch ausschlaggebend für den Erfolg. Denn nur so werden ein ganzheitlicher fachlicher Blick sowie das rechtzeitige Erkennen von Fehlentwicklungen und Diskrepanzen zwischen Bedarf und Umsetzung sichergestellt. Zudem wird dadurch ein Herzstück der erfolgreichen Implementierung ermöglicht: ein effektives und frühzeitiges Veränderungsmanagement durch HR, um die notwendige Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz im Unternehmen zu erzeugen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Unternehmen, um eine erfolgreiche Cloud-Implementierung und Akzeptanz zu gewährleisten: - eine strategische und gleichberechtige Partnerschaft zwischen IT und HR herstellen, - Geschäftsbereichs- und Nutzeranforderungen in der Mittelpunkt stellen und - optimalerweise die Systemeinführung durch aktives Veränderungsmanagement begleiten sollten. •

Daniel Dirks verantwortet als Leiter Consulting EMEA die strategische Ausrichtung des HR Consultinggeschäfts von CEB, jetzt Gartner.

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LETZTE SEITE

Der erste Job, die zukünftige Rolle des Personalers oder eine inspirierende Lektüre: HRler, Geschäftsführer und Blogger geben Antworten in unserem Fragebogen auf der „Letzten Seite“.

„ Die besten Ideen habe ich beim Frühsport“ Gabriele Fanta Personalvorstand McDonald’s

Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als … Ferienjobber an einer Waschmittelfertigungsstraße. Zweimal im Jahr stehe ich selbst in einer McDonald’s-Filiale und brutzel Pommes und Hamburger, ... um nah an unserem Geschäft und unserer Mannschaft zu bleiben. Zeitgemäße Organisationsentwicklung heißt, … nicht nur Strukturen, sondern auch die DNA und Kultur eines Unternehmens bei der Ausrichtung der Organisation auf künftige Businessanforderungen weiterzuentwickeln. Als Personalentwicklerin habe ich gelernt, … dass es wirksamer ist, Menschen zunächst anhand ihrer Stärken weiterzuentwickeln. Meine wichtigste Erkenntnis aus der Zusammenarbeit ist es, … außerhalb funktionaler Beschränkungen zu denken und zu arbeiten 10 6

und immer das große Ganze im Blick zu behalten. Die Rolle von Personalern wird in Zukunft … breiter werden, viel mehr Businessbezug haben und damit übergreifend Wirkung entfalten. Ein HR-Thema, das in Unternehmen immer noch zu kurz kommt, ist … Diversität losgelöst von Gender Die Umbrüche in der HR-Branche sind … eine Chance für die Weiterentwicklung unseres Tätigkeitsspektrums. Die größte Herausforderung in der Personalentwicklung ist es, … passgenaue, motivierende Instrumente einzusetzen. Ein guter Morgen beginnt für mich … mit Frühsport. Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist … „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (Marcel Proust). Die besten Ideen habe ich … beim Frühsport.

Eine positive Unternehmenskultur lässt sich erreichen, indem … Unternehmenskultur als Teil der Strategie verstanden wird und alle dies vorleben. Mein Selbstvertrauen gewinne ich durch … meinen bisherigen Lebensweg und die Fähigkeit, lernen zu wollen und lernen zu dürfen. Tarifgebundene Arbeitsverhältnisse sind wichtig, weil … sie vergleichbare Bedingungen schaffen – für alle Sozialpartner Der weibliche und männliche Führungsstil sind … oftmals ähnlicher als gedacht. Gabriele Fanta ist im Vorstand Personal von McDonald’s Deutschland Inc. In dieser Funktion verantwortet sie die Bereiche Human Resources und Learning & Development. Sie war maßgeblich an der erfolgreichen unternehmensweiten tariflichen Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns beteiligt.

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