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FREIHEIT


EDITORIAL

„ Dass wir die Zeit außerhalb der Arbeit als Freizeit bezeichnen, hängt damit zusammen, dass wir Arbeit als unfrei erleben.“ Hans-Jürgen Arlt, Honorarprofessor am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin (Interview, Seite 28)

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EDITORIAL

Der Untertan

Coverfoto: getty images

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reiheit, das heißt, keine Angst haben, vor nichts und niemand.“ Wer mit diesem Satz des deutschen Liedermachers Konstantin Wecker aufwächst, für den verheißt Freiheit das erlaubte Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit und Feigheit, das Abschütteln von jeglicher Obrigkeitshörigkeit wie wir sie von Heinrich Manns berühmten Protagonisten Diederich Heßling aus dem Roman „Der Untertan“ kennen. Heßling ebnet mit seinem Sozialchauvinismus den Boden für jenen Gräuel, der auf die Wilhelminische Ära folgen sollte. Der Untertan buckelt nach oben und tritt nach unten. Doch kann eine freiheitliche Gesellschaft nur im Bewusstsein der für sie unerlässlichen Zivilcourage gedeihen. Allerdings ist Freiheit nicht per se menschenfreundlich. Sie wird, bei Weitem nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, gekapert von jenen, die Menschenfeindliches unter dem Deckmantel der Meinungsfrei-

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heit streuen: „Das wird man ja noch sagen dürfen“, ist da nur eine törichte Äußerung unter vielen, die allein die Abwertung anderer zum Ziel hat und sich dabei feige in die Unschuldsecke kauert. So machen sich jene über die Freiheit her und schaffen dabei Unfreiheit. Dann wendet sich die Freiheit in ihrer ureigenen Beschaffenheit plötzlich gegen sich selbst, weil sie ohne unser Dazutun eben nicht unbesehen sozialverträglich ist. Vielmehr will sie verteidigt werden und immer wieder aufs Neue entstehen. Das Grundgesetz schützt demgemäß das Recht auf freie Entfaltung, solange dadurch die Rechte anderer nicht verletzt werden. Freiheit existiert stets in Relation zum Gegenüber, denn die Freiheit des Einzelnen endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Zudem birgt Freiheit nicht nur antisoziales Potenzial. Sie wird inmitten des neoliberalen Turbokapitalismus auch zum Steigbügelhalter einer kühlen Arroganz: „Du hast die Wahl“ lautet entsprechend die Kernaussage der Libertären. Wir hätten doch die Wahl zu gehen oder zu bleiben, dem Arbeitgeber die Treue zu schwören oder ihm zu kündigen. Doch ist dieses Dogma nur Symptom einer Überheblichkeit, die kürzer kaum gedacht sein könnte: Haben Angestellte, die nicht nur für ihr eigenes Wohl sorgen, wirklich die Wahl, ohne ein Wimpernzucken in die freie Welt da draußen zu ziehen, um ihres eignen Glückes Schmied zu werden? Für die Antwort bedarf es eines Blicks zurück, denn zuvor haben diese vermeintlich freien Menschen eine Wahl getroffen: In erster Linie die für ein Leben, in

zweiter die für ein Leben in Gemeinschaft. Und das will geschützt werden. Zuvörderst mit Grundsätzlichem. Doch wer richtet darüber, was Grundbedürfnis und was Luxus ist? Niemand muss ein Haus bauen, den Nachwuchs für den Musikunterricht anmelden oder den Lebensabend der Eltern so angenehm wie möglich gestalten. Aber sind nicht all diese Sehnsüchte und Bedürfnisse Ausdruck einer sozialverträglichen, sich umeinander sorgenden Gesellschaft? Ihnen begegnet der moderne Untertan mit Gleichmut und verweist auf seinen Glaubenssatz: „Hier muss ja niemand arbeiten.“ Buckelnd unterwirft er sich der sozialdarwinistischen Libertas und versetzt der Sehnsucht nach einem elementaren Sicherheitsbedürfnis einen galligen Tritt. Damit ebnet der zeitgenössische Diederich Heßling den Weg in die empfundene und in die tatsächliche Ungerechtigkeit, die sich an anderer, schmerzhafter Stelle wieder entlädt.

Hannah Petersohn, Leitende Redakteurin Human Resources Manager Uns interessiert, was Sie mögen und missen, schätzen und schassen möchten. Schreiben Sie uns! redaktion@human resources manager.de

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04/18 MEINUNG 5

Editorial

8 Desktop Christine Bhosale, Personalverantwortliche bei Adito, arbeitet mit ihrem Laptop auch mal im firmeneigenen Obstgarten 10 Digitaler Trugschluss Über den Fluch digitalisierter HR-Prozesse. Eine Liebeserklärung an das „H“ in HR 13 Die Bewerber rüsten auf Der Trend zur Automatisierung von Stellenbesetzungen mündet im Katz-und-Maus-Spiel 16

Sündenbock-Dilemma Die Angst zu versagen führt in die Mittelmäßigkeit. Ein Hoch auf die Verantwortung

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SCHWERPUNKT: FREIHEIT 20 Wir sind so frei Viele Angestellte sehnen sich nach Unabhängigkeit und kehren den Unternehmen den Rücken 24 Die Große Freiheit Welchen Regeln folgt das Recruiting im ältesten Gewerbe der Welt? Eine Reportage 28 Selbst schuld Was bedeutet mehr Freiheit für die Arbeitswelt und welche Konsequenzen dräuen Angestellten? Im Gespräch mit dem Philosophen Hans-Jürgen Arlt 32 Nichts als Gewinn Hierarchien und Statussymbole sind out. Doch die zunehmende Freiheit hat auch ihre Schattenseiten 36 Freizügigkeit Jeder EU-Bürger darf in jedem EU-Land arbeiten. Eine Heraus- forderung für Personaler 40 Gefangen in Arbeit In deutschen Gefängnissen herrscht Arbeitspflicht. Auf dem Arbeitsmarkt in Freiheit haben es Ex-Häftlinge dennoch schwer 46 Anonyme Workaholics Wenn Angestellte süchtig nach Arbeit sind. Über eine besondere Form des unfreien Lebens

Viele Arbeitnehmer wollen hinaus in die Freiheit und wählen das selbstbestimmte Arbeiten. Was bedeutet diese Aufbruchstimmung für Unternehmen?

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Die große Konzeptlosigkeit Die Soziologin Hanne Seel- mann-Holzmann über personal- politische Versäumnisse bei der Vorbereitung von Expats und die Rolle von Astrologie bei Vertragsabschlüssen in China

Foto: wikimedia; getty images

In hiesigen Gefängnissen unterliegen Häftlinge der Arbeitspflicht. Vorbereitet auf die Freiheit sind sie deswegen aber noch nicht. Über Sackgassen und Auswege

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VER B AN D 76 Editorial 77 Mitgliederversammlung Der BPM zieht Bilanz 78 Proud2bHR Der Personalmangement kongress 2018 in Bildern 80 Rückblick Die Nacht der Personaler 81 Employee Experience Die Zwischenergebnisse 82 Termine Wichtige Termine

ANALYSE

P RAXI S

56 Mit Gefühl Wie Bürodesign Empathie fördern kann und worin die Kraft positiver Kollisionen besteht 59 Female Shift Hoch qualifizierte Frauen bleiben noch zu oft unsichtbar. Was sich ändern muss

68 Sieben Gedanken Empathie kennt viele Spiel- arten. Ihr Gegenspieler ist immer das Urteil

61 Neue Nischen Mit der digitalen Revolution verschwinden einige Jobs. Andere bleiben oder entstehen neu. 21 Jobs der Zukunft

83 HR-Pioniere vereint BPM geht strategische Partnerschaft ein 84 Umfrage Was macht Sie Proud2bHR?

LETZ TE SEITE 69

Meine digitale Welt Rebell und Vordenker: Heiko Fischer, Gründer der Software- firma Resourceful Humans

86 Fragebogen Martin Spilker, Direktor des Kompetenzzentrums Führung und Unternehmenskultur der Bertelsmann Stiftung

RE CHT

Foto: getty images; Laurin Schmid

70 Aktuelle Urteile 64 Nach der Flucht Geflüchtete Frauen haben mit enormen Hürden auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Wie Integration dennoch gelingen kann au g u st / septem ber 2018

72 Permanent „on“ Über rechtliche Grenzen der ständigen Erreichbarkeit 73 Impressum 7


MEINUNG

Bitte mehr Human als Resources

Ein Gastbeitrag von Jörg Buckmann

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lgorithmen, künstliche Intelligenz, Big Data – diese Themen dominieren die Schlagzeilen und beflügeln die Fantasien, auch in den Personalabteilungen. Personaler versprechen sich – ja, „sich“, nicht den Bewerbern oder Mitarbeitern – damit schlankere Prozesse und eine höhere Effizienz. Arbeitszeugnisse, Vorauswahl oder Sourcingaufgaben wurden durch die Digitalisierung schließlich bereits in alle Welt ausgelagert. Nun winken weitere Einsparungen bei den Personalkosten, und es scheint endlich wieder mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge in der Personalarbeit zu geben: Zum Beispiel der Aufbau eines Dialogs und eine intensivere Beziehung zu den Führungskräften und den Talenten im Unternehmen: Gespräche führen, Potenziale erkennen, Entwicklungspläne für Leistungsträger erstellen, Konzepte entwickeln, um gute Mitarbeiter längerfristig zu binden, Ideen ausbaldowern, um an neue Fachkräfte zu kommen. Und www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e

Foto: Flickr American Telephone and Telegraph Company

Man könnte meinen, digitalisierte Prozesse würden Personalern die Arbeit erleichtern und ihnen mehr Zeit für andere Aufgaben schenken. Ein Trugschluss. Es ist an der Zeit für eine Liebeserklärung an das „H“ im HR.


MEINUNG

beklagen Bewerber. Es wird spät oder gar nicht, unpersönlich oder unverbindlich kommuniziert. Viele Firmen orientieren sich ausschließlich nach innen, was die da draußen unglücklich macht. Ausgerechnet sie, um die es doch eigentlich gehen sollte. Und warum? Nicht weil es am Digitalen fehlt, sondern am Analogen, am menschlichen Faktor. Die goldene Regel des Personalmarketings „Gehe mit anderen Menschen so um, wie du es dir selbst wünschst“ wird ignoriert. Wir träumen von Robotern, sind aber noch nicht mal in der Lage, den Bewerbern eine Antwortzeit zu versprechen. Wenn wir überhaupt einen neuen, modernen Ansatz brauchen, dann einen für unsere Haltung. Wir sehnen uns nach mehr Zeit für zwischenmenschliche Kontakte und drehen währenddessen munter weiter am Rad der Anonymisierung. Alle Welt spricht vom Kampf um die Fachkräfte und einer gelungenen Candidate Experience. Doch die Bedürfnisse der Zielgruppen werden bei den Diskussionen um Algorithmen, Robot Recruiting und künstliche Intelligenz nur selten erwähnt. Die Kernfragen müssten lauten: • Wer möchte einen Dialog mit Maschinen führen? • Welchen Vorteil haben Bewerber davon? • Wie gezielt gehen Chatbots auf die individuellen Bedürfnisse und Fragen der (potenziellen) Mitarbeiter ein? • Wie effizient ist die automatisierte Kommunikation für die Zielgruppen? • Wie akzeptiert ist der Einsatz von Algorithmen?

so weiter. Die Digitalisierung soll Personalern genau das ermöglichen, indem sie ihnen andere Aufgaben abnimmt. Was für ein Trugschluss!

Mehr human Die Zunahme von Technik und Digitalisierung geht fast immer einher mit riesigen Prozess-Einöden. Man könnte es auch Prozess-Dissonanz nennen, sie führt kaum zu mehr Zeit für die wirklich wichtigen Aspekte der Personalarbeit. Oder haben SAP, E-Spesen, Zeugnisgeneratoren oder Bewerbermanagementsysteme wirklich mehr Freiräume geschaffen? Letztere wurden im großen Stil eingeführt, um die Abwicklung der Bewerbungen und die Kommunikation mit den Bewerbern zu digitalisieren und zu verbessern. Dummerweise wurde dabei das Gegenüber vergessen. Das Antwortverhalten von Unternehmen sei katastrophal, au gu st / septem ber 2018

Zum Glück ist das Menschliche uns allen grundlegend wichtig und das Analoge nicht totzukriegen – allen digitalen Schwärmereien zum Trotz. Menschen sind sinnliche Lebewesen. Sehen. Hören. Schmecken. Riechen. Fühlen. Die meisten dieser Sinne können nur analog erlebt werden, und auf die Mehrzahl der Kundenbedürfnisse kann nur analog wahrhaftig eingegangen werden. Warum sollte die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation außer Kraft gesetzt werden, sobald es darum geht, einen neuen Job zu finden? Den Ort, an dem man täglich mehr als acht Stunden mit anderen Menschen zusammen ist? Mit der Entscheidung, einen anderen Job in einem anderen Umfeld zu suchen, gehen Menschen ein Risiko ein. Sie haben deswegen auch einen Anspruch auf die bestmögliche individuelle Betreuung. Dabei kann die Digitalisierung Chance und Problem gleichermaßen sein. Vieles hängt damit zusammen, wie man sie nutzt: Einseitig zum eigenen Vorteil der Prozessoptimierung? Oder zum Vorteil für Mitarbeiter und Bewerber, indem man sich konsequent nach dem Nutzen fragt und das „H“ in HR in den Fokus stellt. 11


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FREIHEIT

Foto:

Aufbruchstimmung

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Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

Der Wunsch nach Freiraum statt Nine-to-five lässt viele Angestellte zu neuen Ufern aufbrechen. Sorgen Arbeitgeber für mehr Freiheiten, bleiben ihnen Potenzialträger erhalten .

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iele Beschäftigte streben nach mehr Freiheit im Job. Sie möchten ausbrechen und eigene Wege gehen, sich unabhängig fühlen. Mit diesem Wunsch sind sie nicht alleine: Eine Bewegung an ortsunabhängigen Selbstständigen entsteht – sogenannten digitalen Nomaden. Sie verlassen ihren Job mit festen Anwesenheitszeiten, arbeiten online als Freelancer oder starten ihr eigenes Online-Business, von zu Hause oder jedem anderen Ort der Welt. Oftmals gehen Unternehmen damit die wahren Potenzialträger verloren, denn in ihnen schlummern Know-how und Unternehmergeist.

Foto: gettyimages

Unabhängigkeit liegt im Trend Das Modell „Dienst nach Vorschrift“ hat spätestens seit der Generation Y ausgedient. Die Generation der nach 1980 Geborenen prägt unsere heutige Arbeitswelt. Ihr Wunsch nach Sinnhaftigkeit, Vereinbarung von Beruf und Privatleben lässt Arbeit in einem anderen Licht erscheinen. Sie haben den Wunsch, ihren Interessen und Bedürfnissen nachzukommen. „Bezogen auf die Entwicklung der Arbeitswelt äußert sich dies zum einen in flexiblen Arbeitszeiten, aber auch in größerer Unabhängigkeit vom Arbeitsort, zum Beispiel durch Homeoffice-Möglichkeiten“, sagt Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Zum anderen bedeute der zunehmende Wunsch nach Selbstbestimmung ebenso, an Entscheidungen beteiligt zu werden und Verantwortung übernehmen zu wollen. Dass Unabhängigkeit an Bedeutung gewinnt, darauf lässt auch die sinkende Identifizierung mit dem Arbeitgeber schließen. Reinhardts Untersuchungen zufolge vertreten 58 Prozent der Bevölkerung die Ansicht, dass diese Identifikation in Zukunft geringer sein wird als heute. Ein selbstbestimmtes und unabhängiges Arbeitsleben liege demnach au gu st / septem ber 2018

im Trend. Der Wissenschaftler merkt aber an: Für die meisten Arbeitnehmer soll sich dieser Wunsch in einem festen Anstellungsverhältnis erfüllen. Ein selbstständiger Beruf oder eine Tätigkeit als Freelancer zeige sich nicht genauso beliebt, wie die Selbstbestimmung im Leben außerhalb der Arbeit. Die meisten Angestellten in Deutschland verbinden Selbstständigkeit mit Angst vor finanziellem Risiko. Ebenso haben sie Sorge, Einbußen hinsichtlich Freizeit und Urlaub sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinnehmen zu müssen, weiß Reinhardt.

Flexicurity Vor allem leistungsfähige Mitarbeiter sind oftmals bereit, sich neu zu orientieren – sei es der Weg in die Selbstständigkeit oder zu einem anderen Arbeitgeber. Wer dieses Potenzial im Unternehmen halten möchte, kommt um moderne und flexible Arbeitsmodelle kaum herum. „Im Hinblick auf die zunehmende Flexibilisierung unserer Arbeitswelt wäre das Arbeitsmarktmodell ,Flexicurity’ eine sinnvolle Variante“, sagt Zukunftsforscher Reinhardt. Die Niederlande und Skandinavien praktizieren dieses Modell bereits. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Flexibilität und Sicherheit. Flexicurity verbindet einen vergleichsweise geringen Kündigungsschutz mit einem hohen Niveau sozialer Absicherung. Darüber hinaus könne ein weiteres Zukunftsmodell sein, Organisation, Ort und Zeit der Arbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern flexibel zu vereinbaren, bei gleichzeitiger Sicherung des Arbeitsplatzes. Auf diese Weise erhalte ein Beschäftigter die gewollte Sicherheit, könne im Innenverhältnis aber selbstständiger agieren. Egal wie groß der Wunsch nach Flexibilisierung ist: Um die Berücksichtigung arbeitsrechtlichen Bedingungen je21


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FREIHEIT

Die Große Freiheit Eine Reportage von André Zand-Vakili

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Die bekannteste Seitenstraße der Reeperbahn ist die Große Freiheit. Auch wenn viele Nachtclubs schließen mussten – die Straßenprostitution ist geblieben. Wie sehen eigentlich die dortigen Arbeitsbedingungen aus? Und welchen Regeln folgt das Recruiting auf der sündigsten Meile der Stadt? www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


FREIHEIT TITEL

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exarbeiterinnen. So werden Prostituierte, erotische Tänzerinnen oder Darstellerinnen gern in Pornofilmen bezeichnet. Doch der Begriff führt in die Irre, denn „Arbeiter“ – also jemand, der als Angestellter gegen Lohn körperliche Arbeit verrichtet – sind sie nicht. Vor allem sind sie sind nicht angestellt. „Sexunternehmerinnen“ würde es eher treffen, noch passender wäre „Freiberuflerinnen“, ähnlich wie niedergelassene Ärzte, Wirtschaftsprüfer oder Schriftsteller. Denn als gewerbliche Tätigkeit kann man diese Berufe aus dem Sexgewerbe nicht anmelden. Nicht nur wegen der diffusen Begrifflichkeit bleibt es kompliziert mit dem ältesten Gewerbe der Welt. In Deutschland steht wohl kein Ort so sehr für das Rotlichtgewerbe wie der Hamburger Kiez. Auf der „sündigsten Meile der Welt“ – eigentlich ist sie nur 930 Meter lang – und in ihren Nebenstraßen spielt sich ab, was andernorts verboten ist: Prostitution auf der Straße. In diesem Bereich arbeiten etwa 400 Prostituierte. Dazu kommen Tänzerinnen, die in Table-Dance-Läden ihr Geld verdienen. Das Geschäft für die Prostituierten, die in den Laufhäusern oder auf der Straße auf ihre Kunden, im Fachjargon „Freier“, warten, ist auf dem Hamburger Kiez streng geregelt. Der Mann, der das genau weiß, ist Hauptkommissar Oliver Joneleit vom LKA 65 der Hamburger Polizei. Die Dienststelle des Landeskriminalamts bekämpft die Rotlichtkriminalität. Jede Frau, die auf der Straße oder in den Laufhäusern arbeitet, habe einen Zuhälter, sagt Joneleit. Dabei handele es sich nicht um Zuhälter im strafrechtlichen Sinne, also Menschen, die Frauen ausbeuten, indem sie ihnen mehr als 50 Prozent des Liebeslohns abnehmen und Arbeitszeiten, Praktiken und Preise dafür vorschreiben. Zumindest kann man es ihnen nicht nachweisen. Solche Männer sind „Geschäftspartner“. Sie haben die Kontakte zu den Betreibern der Steigen, zu den Zimmervermietungen für kurzfristige Nutzung, oder zu den Laufhäusern, eine Art bordellartiger Betriebe mit Einzelzimmern. Diese Männer vermitteln „ihren“ Frauen die Plätze in einem Laufhaus oder auf dem Straßenstrich. „Ohne sie kann keine Frau dort arbeiten“, sagt Joneleit. Die Geschichte von der Studentin, die sich auf dem Kiez ihr Studium finanziert, hält er für eine Legende.

Foto: IK‘s World Trip, Flickr

Recruiting nach „Loverboy-Methode“ Der Arbeitstag für die Sexarbeiterinnen auf dem Hamburger Kiez ist hart. Auf dem Straßenstrich arbeiten sie sechs Tage die Woche, täglich von 20 Uhr bis 6 Uhr. Die Zeit gibt die Sperrgebietsverordnung vor. Außerhalb dieser Zeit ist Prostitution auf der Straße verboten. An kaum einem anderen Ort in Deutschland wird Pünktlichkeit als Tugend derart gelebt. Punkt 20 Uhr stehen die Frauen auf ihren Plätzen. au gu st / septem ber 2018

Der Nachwuchs an Sexarbeiterinnen wird durch die Männer aus dem Milieu rekrutiert. Ein nicht unerheblicher Teil der Frauen kommt aus dem Ausland. Vor allem seit Rumänien und Bulgarien Mitgliedsstaaten der EU sind, kommen viele Prostituierte im Rahmen der Freizügigkeit nach Hamburg. Die Herkunft hängt stark von den Verbindungen ab, die jene Männer haben, die im Rotlichtmilieu aktiv sind. Aber auch die Ausrichtung der Bordelle spielt eine Rolle. Teilweise werden Frauen auch ins Rotlichtmilieu gelockt – meist mit völlig falschen Versprechungen. Knapp die Hälfte der Prostituierten auf dem Hamburger Kiez sind Frauen aus Deutschland. Sie werden meist von Männern angeworben, wie es schon vor rund 40 Jahren Männer mit Spitznamen wie „der schöne Klaus“, „Korvetten-Ralf“ oder „Karate-Tommy“ getan haben: „Da hat sich nicht viel verändert“, sagt Joneleit. Die Frauen werden in Diskotheken oder anderen Treffpunkten mit der „Loverboy-Methode“ angesprochen, erzählt der LKA-Mann. Es wird geflirtet, man geht eine Beziehung ein. „Fünf, sechs oder acht Wochen bereitet der Mann ihnen den Himmel auf Erden“, sagt der Hauptkommissar. Erst dann offenbart der Mann, dass er aus dem Rotlichtmilieu stammt. Die Frauen werden dann vor die Wahl gestellt: ganz oder gar nicht. Entweder Trennung oder Milieu. Dazu gehöre dann auch die Prostitution.

Auf sich gestellt Für Charlie Hansen, Generalsekretärin vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, ist der Hamburger Kiez nicht repräsentativ für das Sexgewerbe. Sie selbst arbeitet mit einer Agentur, die für sie das Marketing und die Kundenkommunikation übernimmt, sich aber auch um Sicherheitsaspekte kümmert. Ein Arbeitgeber ist eine solche Agentur nicht. Eher ein Dienstleister, sagt Hansen. Viele der Frauen würden ohne einen tonangebenden Mann im Hintergrund arbeiten. „Es ist ein sehr vielfältiges und kein zusammenhängendes Milieu. Es läuft auf vielen Ebenen.“ Aktuell sei die Prostitution ein Gewerbe, das im Umbruch ist. Der Auslöser ist das neue Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 in Kraft trat. Demnach brauchen Prostituierte nunmehr eine Anmeldebescheinigung. Zudem muss jedes Prostitutionsgewerbe eine Erlaubnispflicht vorweisen. „Ich wüsste nicht, an welchen Stellen dieses Gesetz die Prostituierten besser schützt“, sagt sie. Es erschwere die Situation für die Frauen. Und kleinere Betriebe, in denen wenige Frauen sich zusammengetan haben, könnten sich nicht mehr halten. „Die schaffen einfach nicht den behördlichen Genehmigungsprozess.“ Das neue Gesetz wird laut Hansen das Gewerbe stark verändern. Übrig blieben nur die großen bordellartigen Betrie25


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FREIHEIT

Die Qual der freien Entscheidung

Foto: gettyimages

Ein Interview von Hannah Petersohn

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FREIHEIT TITEL

Freiheit gilt als höchster Wert unserer westlichen Gesellschaft. Und so nimmt es kaum Wunder, dass Unternehmen zunehmend mit Flexibilität, Eigenverantwortung und frei wählbaren Arbeitsorten und -zeiten um Mitarbeiter werben. Die Probleme, die Freiheit mit sich bringt, werden dabei jedoch unterschlagen, sagt Hans-Jürgen Arlt, Honorarprofessor für Theorie und Praxis der Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin.

Herr Professor Arlt, Sie forschen zum Thema Arbeit und Freiheit. Unter welchen Voraussetzungen fühlt sich der Mensch denn wirklich frei? Menschen sind dann frei, wenn sie über ihr Tun und Lassen selbst entscheiden können. Dort, wo sie weder Notwendigkeiten unterworfen sind noch mit Unmöglichkeiten konfrontiert sind, haben Menschen Freiheiten. Im Arbeitsleben ist der Mensch eher weniger frei. Wie lässt sich Freiheit messen? Daran, ob ich solche Fragen selbst entscheide: Wo bin ich tätig? Wann bin ich tätig? Was mache ich wie lange und wie? Mit wem arbeite ich auf welche Weise zusammen? Wem bin ich gleichgestellt, wem untergeordnet? Wie frei sind Angestellte heute? Schließlich müssen selbst Banker nicht mehr eng sitzende Krawatten tragen. Äußere Korsetts verschwinden. Wie sieht es mit den inneren Korsetts aus? Freiheit gilt als der höchste Wert der westlichen Kultur und gleichzeitig zwingt die Moderne die Menschen dazu, möglichst viel und lange zu arbeiten. Und dadurch, dass wir heute in unserem Leben vieles selbst entscheiden, wird uns auch die alleinige Verantwortung für unsere Biografie in die Schuhe geschoben. Wer versagt, ist au gu st / septem ber 2018

nach dieser Logik selbst schuld – als ob wir alle unsere Lebensumstände selbst bestimmen könnten. Was bedeutet das für unsere Arbeit? Aus einem Rappen wird mit ein paar weißen Flecken noch kein Schimmel. Arbeit stammt aus dem Reich der Notwendigkeit und sie wird in der Geldwirtschaft als Kostenfaktor behandelt. Allein deswegen wird es immer Schranken für die Freiheit der Beschäftigten geben. Dennoch ist der Entscheidungsspielraum, den Angestellte heute haben, größer geworden. Sie beobachten also eine Freiheitsbewegung in der Arbeitswelt? Die Frage ist, ob Angestellte selbst auf mehr Entscheidungsfreiheiten gedrängt haben oder ob diese Bewegung von den Unternehmen initiiert wurde. Denn durch Beschleunigung, Globalisierung und Digitalisierung funktionieren bestimmte Routinen gar nicht mehr. Über Arbeitsabläufe muss immer wieder neu entschieden werden. Die Unternehmensspitze kann gar nicht mehr alles alleine entscheiden. Führungskräfte müssen Verantwortung abgeben und nennen das dann einen Zugewinn an Freiheit für die Arbeitnehmer. Wird Freiheit eher als Lockmittel benutzt?

Genau. Denn das Angebot, mehr selbst entscheiden zu dürfen, resultiert aus den Notwendigkeiten heutiger Erfolgsbedingungen von Unternehmungen. Natürlich kann das positive Effekte für die Beschäftigten haben. Aber es handelt sich um Nebenwirkungen, die sehr schnell zurückgenommen werden, wenn sie nicht mehr in die Strategie des Unternehmens passen. Unternehmen werben auch mit Freiheit, weil sie attraktiv für Bewerber sein müssen. Die Probleme, die Freiheit auch mit sich bringt, werden dabei immer unterschlagen. Welche Probleme sind das? Man hat die Qual vor der Wahl und die Qual nach der Entscheidung. Da ist der nagende Zweifel, ob man sich nicht doch hätte anders entscheiden sollen. Es gibt in Unternehmen kein intensiveres Bemühen als das, im Nachhinein für die richtigen Entscheidungen zuständig und für falsche Entscheidungen nicht zuständig gewesen zu sein. Das hat es an der Spitze schon immer gegeben und es setzt sich nun fort in die zweite, dritte und vierte Ebene. Und hier urteilen stets andere als die Entscheidungsträger selbst über die jeweils getroffene Wahl. Man fürchtet das Urteil anderer, das man nicht voraussehen kann. Das ist ein zusätzlicher 29


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FREIHEIT

Zurück an die Arbeit

Ein Beitrag von Anna Friedrich In deutschen Gefängnissen herrscht Arbeitspflicht. Auf diesem Weg will die Justiz die Inhaftierten auf die Zeit nach dem Gefängnisaufenthalt vorbereiten. Doch Fakt ist: Zurück in Freiheit haben es viele Ex-Häftlinge auf dem Arbeitsmarkt schwer. Das liegt nicht nur an der meist schlechten Qualifikation der Gefangenen. 40

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Foto: gettyimages

ünktlich um sieben Uhr klappern die Schlüssel der Gefängniswärter: Es ist Arbeitsbeginn in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Köln-Ossendorf. Die Wärter schließen Zelle für Zelle auf, die Häftlinge warten bereits. Dann strömen sie aus. In die Küche, Wäscherei und Schweißerei. Sie spülen Teller, reinigen Haftanzüge und bearbeiten Metall. Erst am späten Nachmittag kehren sie wieder in ihre Zellen zurück. Zurück in die Isolation, zwischen vergitterten Fenstern und verschlossenen Türen. Die JVA Köln steht exemplarisch für die mehr als 160 Justizvollzugsanstalten in Deutschland. In den meisten davon besteht Arbeitspflicht. Nur Gefangene in Untersuchungshaft, Rentner und Kranke sind davon ausgenommen. Die sogenannte Gefangenenarbeit soll der beruflichen und sozialen Integration der Inhaftierten dienen, heißt es im Behördendeutsch. Konkret bedeutet das: Die Inhaftierten sollen auf die Zeit nach dem Gefängnisaufenthalt vorbereitet werden, durch schulische oder berufliche Bildungsmaßnahmen oder durch Arbeit in den gefängniseigenen Werkstätten. Dabei bedeutet Arbeit noch viel mehr: Sie strukturiert den Tag der Häftlinge, holt sie aus der Isolation der Zellen und eröffnet ihnen eine Perspektive. Mit der Arbeitspflicht wollen die Behörden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen sind die meisten Inhaftierten schlecht qualifiziert und sprechen zum Teil kaum Deutsch. Die Zeit im Gefängnis können sie nutzen, um ihren Schulabschluss nachzuholen, eine Lehre zu machen oder Berufserfahrung zu sammeln. Zum anderen kann ihnen diese Qualifikation dabei helfen, nicht wieder auf die schiefe Bahn zu geraten, sobald sie wieder in Freiheit sind. In der Praxis allerdings geht dieser Plan selten auf: Eine Erhebung des Bundesjustizministeriums zeigt: Rund ein Drittel aller Straftäter wird drei Jahre nach Entlassung rückfällig. Denn viele ehemalige Häftlinge finden keine Arbeit, haben kein Geld und rutschen wieder in die Kriminalität ab.

Wenige Arbeitsverweigerer Wie wichtig Arbeit dennoch für Inhaftierte ist, weiß Joachim Heimeier. Der Leiter des Sozialdiensts der JVA Köln kümau gu st / septem ber 2018

mert sich um rund 1.000 Häftlinge, 24 Kollegen stehen ihm aktuell dabei zur Seite. „Es ist essenziell, dass Inhaftierte etwas Sinnvolles zu tun haben. Arbeit gibt ihnen eine Perspektive“, sagt Heimeier. Etwa die Hälfte der Gefangenen arbeitet in den gefängniseigenen Werkstätten, in der Bücherei, der Innenreinigung und der Küche. Die anderen holen ihren Schulabschluss nach, lassen sich umschulen, besuchen eine Weiterbildung oder dürfen nicht arbeiten. Direkt zu Beginn der Inhaftierung fragt Heimeier die Qualifikationen der Häftlinge ab und stellt einen sogenannten Vollzugsplan auf. Wer keinen Schulabschluss hat, kann ihn während der Inhaftierung nachholen. Die JVA bietet Haupt- und Realschulabschlüsse sowie das Fachabitur an. Inhaftierte, die zwar einen Schulabschluss, aber keine Berufsausbildung haben, teilt Heimeier entweder ungelernt in die Werkstätten ein oder bietet ihnen eine Weiterbildungsmaßnahme an. Besonders gefragt sind Fachkräfte: „Für gelernte Arbeiter wie Schlosser oder Maler versuchen wir natürlich einen Arbeitsplatz zu finden, bei dem sie ihren Beruf weiter ausüben können“, sagt der Sozialdienstleiter. Ein Arbeitsplatz in der Gefängnisküche ist bei den Kölner Häftlingen besonders beliebt. Zwischen 30 und 35 Gefangene servieren Essen, räumen die Tische ab und spülen Teller. Wie hoch der Lohn ausfällt, hängt von der Art der Tätigkeit ab: Für einfache Tätigkeiten verdienen Strafgefangene in Nordrhein-Westfalen 9,87 Euro pro Tag. Inhaftierte, die verantwortungsvolle, herausfordernde Tätigkeiten erledigen, bekommen den maximalen Tagessatz von 16,44 Euro. In der JVA Köln haben die Häftlinge im Schnitt rund 200 Euro im Monat zur Verfügung. „Wer nicht arbeitet, sondern Schul- oder Weiterbildungsmaßnahmen besucht, bekommt dafür auch Geld“, sagt Heimeier. Die Bezahlung sorgt unter anderem dafür, dass es kaum Arbeitsverweigerer gibt. „Von dem Geld können die Häftlinge beim Gefängniskaufmann Zigaretten, Schokolade oder Kaffee kaufen. Dinge, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten“, sagt Heimeier. Denn „Geld von draußen“ dürften die Inhaftierten nicht benutzen – nur das, was sie sich selbst verdienen. 41


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FOKUS

Es könnte am Astrologen liegen Ein Interview von Jeanne Wellnitz

Der abgebildete chinesische Zodiac enthält zwölf Tierkreiszeichen, die jeweils unterschiedliche Charaktereigenschaften repräsentieren. Während die Astrologie in der westlichen Welt als Aberglaube gilt, ein Kind geboren, erstellt der Familienastrologe ein Kosmogramm, wird in Unternehmen ein Vertrag verhandelt, entscheidet mitunter der Firmenastrologe über Wohl oder Wehe des Abschlusses.

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Foto: wikimedia

gehört sie in Asien ganz selbstverständlich zum Wissenssystem. Wird


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FOKUS

Wenn Unternehmen Mitarbeiter ins Ausland entsenden, herrschen hierzulande große Konzeptlosigkeit und fatale Spontaneität. Im Interview erzählt die Soziologin und Culture-Competence-Expertin Hanne Seelmann-Holzmann, in welche Fettnäpfchen deutsche Expats in Asien durch fehlende Vorbereitung treten, warum Unternehmen kaum mit einem Vertragsabschluss im Monat August rechnen sollten und was die Astrologie damit zu tun hat.

Frau Seelmann, bevor wir über die Versäumnisse der Personaler in der Expats-Vorbereitung sprechen, gehen wir kurz in das Jahr 1986: Sie haben damals Ihre Dissertation über Astrologie und Realitätsmuster geschrieben. Gibt es eine Verbindung zu Ihrer heutigen Arbeit als Beraterin für Interkulturalität? Oh ja! Mein erster Forschungsaufenthalt nach meinem Studium war Singapur. Wir führten dort Interviews durch, und oft hörte ich zum Beispiel im Rahmen einer Entscheidungsbegründung: „And then we went to the Astrologer.“ Ich lernte, dass Astrologie für die Menschen eine ganz selbstverständliche Lebenshilfe darstellt. Ich verglich also, welchen Systemen wir hier im Westen Rationalität zusprechen und welchen in Asien. Astrologie ist für uns Aberglaube – in Asien jedoch selbstverständlicher Bestandteil von Wissenssystemen. Wenn ein Kind geboren wird, kommt zu allererst der Familienastrologe, erstellt das Kosmogramm und gibt den Eltern Empfehlungen. Meine asiatischen Kollegen gingen mit ihren kranken Kindern immer zuerst zum Astrologen, danach zum Arzt. Und findet das auch in der Geschäftswelt Anwendung? Selbstverständlich, die Firmenastrologen berechnen zum Beispiel, wann Verträge abgeschlossen werden sollau gu st / septem ber 2018

ten, damit sie erfolgreich sind. Und wenn die Sterne nicht günstig stehen, wird der Vertrag nicht gemacht. Wenn es Verzögerungen gibt beim Vertragsabschluss und mich meine Kunden verzweifelt fragen, weshalb das so ist, sage ich oft: „Es kann am Astrologen liegen.“ Zum Beispiel schließt man in China von Mitte Juli bis Mitte August ungern Verträge ab. Dieser Zeitraum gilt als Geistermonat. Dann kehren die Geister der verstorbenen Familienangehörigen wieder auf die Erde zurück. Es heißt, dass es Unglück bringt, während dieser Zeit Häuser oder Autos zu kaufen, zu heiraten oder zu schwimmen. Meine Dissertation wurde übrigens total missverstanden. Inwiefern? Ich wurde von vielen Radiosendern und diversen Frauenzeitschriften interviewt, weil sie alle dachten, ich beweise auf wissenschaftlicher Ebene die Wahrhaftigkeit von Astrologie. Ich habe dann versucht klarzustellen, dass es in meiner Arbeit darum geht, unterschiedliche Rationalitätsmuster zu erklären. Es gibt eben nicht nur unsere westliche Logik, um die Welt zu interpretieren und zu verstehen. Diesen Gedanken haben Sie in Ihr Buch „Cultural Intelligence“ weitergetragen. Dort schreiben Sie auch, es herrsche allgemeine Konzeptlosigkeit, wenn es um die Personalpolitik rund um Expats geht. Das war 2011. Hat

sich etwas geändert in den vergangenen Jahren? Die Betreuung von Entsendungen ist ein Nischenthema. Ich denke, das liegt an der sogenannten Ähnlichkeitsfalle: Wir sehen in Asien die Hochhäuser, die westliche Musik und Kleidung und schon denken wir: „Die sind ja wie wir. Wir leben in einem globalen Dorf.“ Das ist ein teurer Fehlschluss! Ich kenne viele, die meinen, ein dreiwöchiger China-Aufenthalt bewahre sie vor einem Kulturschock. Doch der kommt sicher spätestens dann, wenn sie dann im Firmenalltag arbeiten. Worin sehen Sie den Grund für den Kulturschock? Die Deutschen sind häufig sehr direkt, kritisieren ihre chinesischen Mitarbeiter offen, erbitten deren Meinung und schätzen die politische Situation nicht richtig ein. Sie kennen Chefs in Deutschland als Primus inter Pares, als gleichrangige Führungskraft, die sich in flachen Hierarchien bewegt. Sie erwarten eigenständiges Arbeiten, obwohl man das in China nicht selbstverständlich erwarten kann. Warum nicht? In Asien ordnet der Chef an, er kontrolliert und ist dabei gleichzeitig der fürsorgliche Papa. Diese Rolle wollen die meisten Expats, die Personalverantwortung haben, nicht einnehmen. „Ich bin doch kein Kindergärtner“, sagen sie dann empört zu mir.


RECHT

Im Stand-by-Modus Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen das Arbeiten zu jeder Tageszeit. Die ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern hat indes ihre arbeitsrechtlichen Grenzen.

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er klassische Nine-tofive-Job gehört immer mehr der Vergangenheit an. Arbeitnehmer haben oftmals ein Interesse daran, den Arbeitsort auf ihre privaten Belange abzustimmen und mithilfe von mobilen Endgeräten ihre Aufgaben zu erledigen. Andererseits knüpfen die Unternehmen an die Bereitstellung der Kommunikationsgeräte die Erwartung, dass Mitarbeiter auch nach Feierabend erreichbar sind. Dabei stellt sich die Frage, ob dieser ständige Stand-by-Modus der Mitarbeiter arbeitsrechtlich überhaupt zulässig ist.

Chancen Zunächst einmal bietet die Digitalisierung der Arbeitswelt und die damit 72

einhergehende Flexibilisierung der Arbeitszeit Chancen und Vorteile für beide Arbeitsvertragsparteien. Dem Arbeitgeber wird hierdurch eine bedarfsgerechte Auftragsbearbeitung ermöglicht, da die termingerechte und schnellere Bearbeitung von Kundenwünschen, insbesondere im Dienstleistungssektor, gewährleistet werden kann. Die Erreichbarkeit der Mitarbeiter auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit gestattet zudem eine schnellere interne Abstimmung innerhalb der Belegschaft und führt dadurch zu einer effektiveren Gestaltung der Arbeitsprozesse. In der modernen Arbeitswelt ist für viele Arbeitnehmer eine ausgewogene Work-Life-Balance bei der Wahl des Arbeitsplatzes mindestens so wichtig wie die Höhe der Vergütung. Indem der Arbeitgeber

flexible Arbeitszeitmodelle anbietet, gelingt es ihm in Zeiten des Fachkräftemangels in der Regel besser, hoch qualifiziertes Personal an sich zu binden. Für den Mitarbeiter besteht der Vorteil insbesondere darin, dass er die Arbeit an persönliche Bedürfnisse, zum Beispiel an seine Familiensituation, anpassen kann und Stresssituationen vermieden werden, weil er nicht mehr zur Rushhour im Stau steht.

Risiken Die Risiken der ständigen Erreichbarkeit und der damit einhergehenden Entgrenzung der Arbeitszeit bestehen für den Arbeitgeber insbesondere darin, dass er mit den bußgeldbewehrten arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften in Konflikt geraten kann und riskiert, www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e

Foto: gettyimages

Ein Essay von Jens Ginal


IMPRESSUM RECHT

Herausgeber Rudolf Hetzel Frederik Nyga Torben Werner (V.i.S.d.P.) Redaktion Hannah Petersohn (hp) (Leitende Redakteurin) hannah.petersohn@quadriga.eu Jeanne Wellnitz (jew) jeanne.wellnitz@quadriga.eu Autoren der Ausgabe Felix Maria Arnet, Christine Bhosale Christopher Böhnke, Jörg Buckmann Euan Davis, Heiko Fischer Anna Friedrich, Katja Giese Jens Ginal, Boris Grundl Thomas Heckler, Monika Hein Sven Lechtleitner, Valentina Mählmeyer Patrick Sigel, Sarah Sommer Martin Spilker, Caroline Strobel André Zand-Vakili Lektorat Christa Melli http://www.literatur-und-film.de Gestaltung Danny Tuan Anh Schuster www.buero-farbe.de Fotoredaktion Jana Legler Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@quadriga.eu

dass die Arbeitnehmer aufgrund der fehlenden Möglichkeit, von der Arbeit abschalten zu können, überlastungsbedingt erkranken. Für den Mitarbeiter kann die Entgrenzung der Arbeitszeit aufgrund der fehlenden Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben eine erhebliche Belastung darstellen und aufgrund der fehlenden Transparenz zu einer „verdeckten“ Gehaltskürzung“ führen.

Arbeitszeitrecht Problematisch im Hinblick auf die zeitlich entgrenzte Arbeit ist, dass das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aus dem Jahr 1994 stammt und die flexiblen Beschäftigungsformen mit diesem Gesetz weitestgehend nicht vereinbar sind. Das Arbeitszeitgesetz geht noch davon au gu st / septem ber 2018

aus, dass der jeweilige Arbeitsblock zusammenhängend und überwiegend an einem bestimmten Ort ausgeübt wird. So wird im § 3 des Arbeitszeitgesetzes der Achtstundentag vorgeschrieben, wobei die werktägliche Arbeit um zwei bis maximal zehn Stunden verlängert werden kann, wenn ein Ausgleich innerhalb von sechs Kalendermonaten beziehungsweise 24 Wochen gewährleistet ist. Zudem muss die Ruhezeit zwischen zwei Arbeitseinsätzen mindestens elf Stunden betragen (§ 5 Abs. 1 ArbZG). An Sonn- und Feiertagen dürfen Arbeitnehmer gemäß § 9 Abs. 1 ArbZG ohne eine behördliche Genehmigung generell überhaupt nicht beschäftigt werden, es sei denn, es handelt sich um eine im Gesetz hiervon ausgenommene Beschäftigtengruppe wie beispielsweise das

Abonnement Bjanka Radusin bjanka.radusin@quadriga.eu Druck PieReg Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12 12277 Berlin Im Internet www.humanresourcesmanager.de/ magazin Verlags- / Redaktionsanschrift Quadriga Media Berlin GmbH Werderscher Markt 13 10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90 ­ Fax: 030 / 84 85 92 00 redaktion@humanresourcesmanager.de

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Der Ideengeber

Der die erste Job, Rolle des zukünftige e rs oder ein Personale : re de Lektü inspirieren nd u r re h chäftsfü en HRler, Ges rt o tw n A eben Blogger g gen m Fragebo re e s n in u n etzte auf der „L Seite“.

Martin Spilker, Direktor des Kompetenzzentrums „Führung und Unternehmenskultur“ der Bertelsmann Stiftung In welchen Momenten brauchen Personaler mehr Freiheit? Immer dann, wenn HR für Personalentscheidungen instrumentalisiert zu werden droht, man der Versuchung widerstehen muss, das nächste Standardprogramm oder Modethema mitzunehmen, der Wertefaktor eine Personalie beeinträchtigt und Bürokratisierungstendenzen bei HR-Prozessen sichtbar werden. 2013 forderte ich in meinem Buch, die HR solle sich neu erfinden. Heute sehe ich, dass … meine Forderung aktueller denn je ist. Die Digitalisierung ist wie das Jüngste Gericht, vor dem sich alle die Frage gefallen lassen müssen: Wie habe ich die vergangenen Jahre zum Erfolg der Organisation beigetragen? Wenn ich nicht HR-Experte geworden wäre, dann … wäre es wahrscheinlich irgendetwas mit Eisenbahnen geworden. Der Druck auf Führungskräfte wächst, weil … die Mehrfachbelastung zunimmt, 86

ethische und ökonomische Fragen zunehmend miteinander in Konflikt geraten und das Gerangel um Ressourcen und das Anspruchsdenken in Organisationen steigen. Meine Führungsphilosophie lautet: … auf dem Teppich bleiben, auch wenn es heute eigentlich ein fliegender Teppich sein müsste. Lebenslanges Lernen ist ein Instrument der Old School, weil … die damit verbundenen beruflichen Heilsversprechen nur noch schwer einzulösen sind und sich HR eher auf eine integrierte Lebens- und Karriereplanung konzentrieren sollte. Die Forderung nach HR als Business Partner ist irreführend, weil … man einer Organisation geben soll, was sie braucht und nicht, was sie will! Ein guter Morgen beginnt für mich … mit Kaffee, Kaffee, Kaffee, Nachrichtenschauen und Lesen. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist: … immer noch mal eine Nacht darüber schlafen.

Den interessantesten Rat, den wir einem Unternehmen gegeben haben, war für mich: … Ziehen sie Konsequenzen! Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als … Schüler durch das Austragen von Prospekten und dem einheimischen Kirchenboten. Fähigkeiten, die Personaler dringend brauchen, sind … Geduld und Zuhören, langer Atem und Bodenhaftung, konsequentes Entscheiden und Handeln. Eine Entscheidung, die ich nie bereuen werde, ist … meine knappe freie Zeit mit meinem Sohn zu verbringen. Ich gelte zwar als ungeduldig, dafür bin ich aber … auch immer voller Ideen, zum Leidwesen meiner Mitarbeiter und Kollegen. HR sollte sich in Zukunft mehr konzentrieren auf … die Individualisierung von Führungskräfte- und Personalentwicklung und die Unterstützung von Führungskräften bei ihren Alltagsproblemen.

Martin Spilker ist Direktor des Kompetenzzentrums Führung und Unternehmenskultur der Bertelsmann Stiftung. Der Volks- und Betriebswirt arbeitete jahrelang mit dem Bertelsmann-Nachkriegsgründer Reinhard Mohn zu Fragen der Führung, Tarifpolitik und Unternehmenskultur. Der 59-Jährige ist Co-Autor von „Die Akte Personal. Warum die Personalwirtschaft sich jetzt neu erfinden sollte“. Zuletzt erschien von ihm „Am Puls des Erfolgs. 10 Gebote für eine wertvolle Unternehmenskultur“.

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Foto: Kai Uwe Oesterhelweg

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